Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Einundzwanzigste Predigt

Kähler, Carl Nikolaus - Auslegung der Epistel Pauli an die Philipper in 25 Predigten - Einundzwanzigste Predigt

Selig sind, die Friede machen,
Darauf seh'n ohn' Unterlass,
Das man mög' in allen Sachen
Fliehen Hader, Streit und Hass,
Die da stiften Fried' und Ruh',
Raten allerseits dazu,
Sich des Friedens selbst befleißen,
Werden Gottes Kinder heißen.

Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens (1 Kor. 14). Schon der Blick auf den irdischen Himmel lehrt es uns. Siehe gen Himmel und zähle die Sterne: kannst du sie zählen? Und doch, wie zahllos auch ihr Heer ist, wandeln sie alle ruhig und friedlich neben einander ihre Bahn. Wer hat jeglichem von ihnen seine Stelle und seine Bahn angewiesen und sie alle so geordnet, dass von Anfang der Welt her bis jetzt keiner den andern beschädigt und zertrümmert hat? Die Ordnung des Himmels zeugt von der Ordnung dessen, der ihn geschaffen hat. Gott ist ein Gott des Friedens. Hat er nicht auch als solcher sich uns offenbart in Christo? Ja, wenn irgend ein Werk, so muss das Erlösungswerk ein Werk des Friedens heißen. Durch die Sünde waren die Menschen unter sich und waren mit Gott zerfallen. Was tat nun Gott? Er sandte seinen eingebornen Sohn, dass derselbe die Versöhnung stiftete durch sein Blut und durch ihn das Friedensevangelium ausginge in die Welt: Lasst euch versöhnen mit Gott! Lernt den Vater unsers Herrn Jesu Christi, lernt die Liebe, die für uns in den Tod gegangen, lernt das Wort Gottes kennen, so wird es euch nicht zweifelhaft sein können, dass unser Gott ein Gott des Friedens ist. Wie nun? können wir Kinder Gottes heißen, wenn in unsern Herzen die Flamme des Unfriedens und der Zwietracht brennt? Wenn wir, statt in christlicher Eintracht mit einander zu leben, durch Kampf und Zwietracht uns unter einander aufreiben? Zwietracht, Hass, Kampf, Verfolgung überlasst denen, die nicht Kinder Gottes, sondern von dem Vater, dem Teufel sind, dessen Werk es ist und von Anfang an gewesen ist, Unordnung, Unfrieden, Krieg zu stiften unter den Menschenkindern; ihr aber, als Kinder des Friedens-Gottes, lebt, wie mit Gott, so unter euch in Eintracht. Das ist es auch, wozu uns der Apostel in unserem heutigen Text ermahnt.

Phil. 4, V. 2 bis 5:
Die Evodia ermahne ich und die Syntyche ermahne ich, dass sie eines Sinnes seien in dem Herrn. Ja, ich bitte auch dich, mein getreuer Geselle, stehe ihnen bei, die samt mir über dem Evangelio gekämpft haben, mit Clemens und meinen übrigen Genossen, welcher Namen sind in dem Buch des Lebens. Freut euch in dem Herrn alle Wege, und abermal sage ich: Freut euch. Eure Lindigkeit lasst kund sein allen Menschen. Der Herr ist nahe.

Es ist die Weise des Apostels in seinen Briefen, dass er gegen das Ende noch besondere Ermahnungen, teils an Einzelne, teils an Alle richtet. So tut er auch hier. In der Gemeinde zu Philippi tat besonders die Ermahnung zur Eintracht not. Denn ob die dortigen Christen gleich auf evangelischem Weg gingen, so hatte doch der Feind unter den Weizen ihres Christentums das Unkraut der Zwietracht gesät. Es fand bei Etlichen unter ihnen ein falscher Eifer, ein verkehrter Wettstreit, ein fleischliches Geltendmachen ihrer Verdienste um das Evangelium statt. Daher hatte der Apostel schon früher (Kap. 2, V. 2) an Alle die herzliche Ermahnung zur Eintracht gerichtet; jetzt richtet er sie an Zwei insonderheit, und wendet sodann vom vierten Vers an seine Ermahnungen wieder an Alle. Nun, werde das Wort des Apostels betrachtet als auch an uns gerichtet. Wer das Evangelium liest oder hört, der muss es lesen oder hören, als wäre es für und an ihn gerichtet und geschrieben. Wir hören denn heute eine Ermahnung zur Eintracht. Fragen wir

  1. was diese Ermahnung fordert, und
  2. worauf sie sich gründet.

Du, Gott des Friedens, aber gib, dass das apostolische Wort uns zu Herzen gehe, alle Zwietracht aus unserer Mitte verbanne und das Band der Eintracht um unsere Herzen schlinge.

1.

Die Ermahnung des Apostels fordert ein Zwiefaches von uns; zum Ersten, dass wir Frieden halten, und sodann, dass wir Frieden und Eintracht unter einander stiften sollen. - Zwei, vielleicht angesehene, Frauen zu Philippi werden namhaft gemacht, Evodia und Syntyche, die in einen verkehrten Wettstreit und dadurch in Zwietracht mit einander geraten waren. Wettstreit ist löblich, wenn er auf das Gute gerichtet ist und nicht zu Hochmut und Selbstgerechtigkeit führt. Sucht es Einer dem Andern zuvor zu tun im Glauben, in der Liebe, im Gutes tun; aber wer darin der Erste ist, der lasse sich gleichwohl dünken, als sei er der Letzte, wie Paulus, der hochverdiente Apostel, sich den Geringsten unter Allen nennt. Machen wir aus unsern Vorzügen und Verdiensten einen Spiegel, vor den wir uns hinstellen mit eitlem Wohlgefallen an uns selbst, und fangen wir an, unsere Verdienste herzuzählen und vor andern Leuten geltend zu machen, damit Aller Augen auf uns gerichtet seien und wir Ehre und Lob ernten von den Menschen, so verunreinigen wir damit unser Gutes und nehmen ihm den schönsten Schmuck, den Schmuck der Demut. Was ist selbst das höchste Verdienst auf Erden, wenn in seiner Krone die Perle der Demut fehlt? So war es bei den genannten Frauen in Philippi. Sie waren verdient um das Evangelium, aber dies Verdienst weckte in ihnen die Eitelkeit, den Hochmut; die eine wollte für mehr und wollte für verdienstvoller gelten, als die andere, und wozu sonst konnte das führen, als zu Missgunst, Neid und Streit? Daher nun tritt der Apostel an sie heran mit seiner Ermahnung, welche die eine so gut wie die andere gilt, und spricht: Seid gleich gesinnt in dem Herrn, Seht, da erinnert er sie an ihre Gemeinschaft mit Christo. Wird durch Zwietracht nicht das Band, der Bund zwischen uns und Christo zerrissen? Können wir noch seine Herde heißen, wenn wir aus sanften, friedlichen Schafen Wölfe werden, die einander beißen und den Raub streitig machen? Sind wir noch seines Namens wert, wenn sein Geist von uns gewichen ist, der Geist der Eintracht und des Friedens, und wir nicht von Herzen sanftmütig und demütig sind wie Er? Seht doch ihn, euren göttlichen Vorgänger, an, wie er während seines Wandels auf Erden so weit entfernt gewesen ist von allem, was die Menschen unter einander entzweit. Nehmt aller Menschen Verdienste zusammen, so sind sie dennoch an Wert nicht seinem Verdienst gleich, wodurch er die Welt erlöst hat. Trachtete er nun der Erste zu sein, und mit seinem Verdienst sich Ehre und einen großen Namen unter den Menschen zu gründen? Er hätte reich sein können, und war ärmer als ein Vogel; er hätte eine Königskrone tragen können, und war ein Knecht Aller und der Verachtetste unter Allen. Seid doch gesinnt wie Er und haltet die Gemeinschaft mit ihm fest, so weicht aus eurer Mitte die Zwietracht, und aus eurem Herzen Alles, was Zwietracht stiften kann. In der Philippischen Gemeinde waren es Zwei: wie viele sind in unserer Gemeinde, die als offenkundig zwieträchtige namhaft gemacht werden könnten? Zwar nicht aus solcher Quelle fließt bei uns die Zwietracht, als woraus sie bei den Philippern floss. Wo sind bei uns zwei Menschen, die darum mit einander in Zwietracht leben, weil jeder von ihnen nach der Ehre trachtet, für Christum am mehrsten getan und für sein Evangelium am mehrsten gelitten zu haben? Das Verdienst um Christum und um das Evangelium gilt Hunderten kaum mehr als ein auf der Straße liegender Stein, den Niemand des Aufnehmens wert achtet. Fürwahr, die Zwietracht zu Philippi ist fast noch lobenswerter, als die Eintracht vieler jetziger Christen, die bloß darum nicht mit einander wetteifern, weil es ihnen an Eifer für Glauben und Tugend fehlt. Ihre Eintracht ist ein Wert der Natur, wie bei den Ameisen und Bienen: wir aber werden ermahnt, einträchtig in Christo zu sein. Öffnet denn Herz und Haus dem Herrn, dass er bei euch einziehe und an die Stelle der Zwietracht, wo sie gefunden wird die Eintracht setze. Eintracht sollte das Band sein, das Gatten und Gattinnen, Eltern und Kinder, Brüder und Schwestern, Herrschaften und Dienstboten, Nachbarn und Nachbarn verknüpft: aber lasst einmal eure Gedanken umhergehen in der Gemeinde und Visitation in den Häusern halten, so findet ihr ohne Zweifel manche Ehe, wo große Kälte herrscht zwischen Mann und Weib, wenn sie nicht gar sich hassen und in beständigem Streit und Unfrieden mit einander leben. Es fehlt bei manchen Kindern die Liebe zu den Eltern, bei manchen Eltern die christliche Geduld mit den Kindern, daher manches böse Wort gehört wird, das kein christlicher Vater sagen sollte zu seinem Sohn, und noch weniger ein Sohn zu seinem Vater. Und zwischen wie vielen Herrschaften und Dienstboten herrscht arge Zwietracht, so dass viel gescholten wird und wenig in rechter Liebe gesagt und getan! Sinne doch Jeder von euch in einer stillen Minute nach, ob nicht Jemand sei, mit dem er in Zwietracht lebt, und wenn es auch nicht zu. bitterer Feindschaft und zu offenem Hader und Unfrieden gekommen wäre: es ist schon Zwietracht, wenn ihr euch einander meidet, euch einander nicht grüßt, euch einander im Herzen zürnt und grollt. O, ihr Zwieträchtigen, bedenkt doch, dass ihr Christen seid. Wie könnt ihr sagen: Christus lebt in uns, wenn Neid, Zorn, Hass in euren Herzen sind? Meint ihr, dass Christus mit solchen Satanskindern zusammenwohnen könne? Sanftmut, Versöhnlichkeit, Demut, Milde, Liebe, das sind die Hausgenossen unsers Herrn; darum treibt das Böse von euch aus, schließt Frieden und Freundschaft mit einander, seid gleichgesinnt in dem Herrn.

Ja! spricht Paulus, und bestätigts und besiegelt's mit diesem Ja, dass es ihm ein heiliger Ernst mit seiner Ermahnung sei. Und damit Eintracht an die Stelle der Zwietracht trete, bittet er Andere, dass sie das Werk des Friedens fördern möchten. Er redet namentlich einen Mann in Philippi an, den er seinen „treuen Genossen“ nennt, weil er in der Bearbeitung des geistlichen Ackers mit ihm an Einem Joch zog; vermutlich war es ein Vorsteher der Gemeinde, in dessen Hand etwa zunächst seine Epistel kam. Ich bitte auch dich, spricht er, nimm dich ihrer an. Jede Sünde ist eine Krankheit, eine Not, die Kranken aber und Notleidenden bedürfen der Hilfe. Auch die in Zwietracht Lebenden sind Kranke, und wie schwer hält es oft, dass sie genesen und ihre Zwietracht in herzliche Liebe und Freundschaft verwandelt werde, wenn nicht ein Friedensstifter sich findet? Christen, wir werden von dem Apostel aufgefordert, wo und wann wir können, Frieden zu stiften. Friedensstörer gibt es genug, denn wie Mancher sät durch sein Reden und Tun den Samen der Zwietracht, und findet nicht selten sogar Freude daran, Menschen gegen Menschen aufzubringen, aufzuheben. Geschieht das in der Nachfolge Gottes, der ein Gott des Friedens ist, und in der Nachfolge Jesu Christi, der, um Frieden zu stiften, sein Leben für uns am Kreuz gelassen hat? Unfrieden stiften ist Teufelswerk; du aber treibe das Werk deines Gottes, und nimm dich, wo und wann du kannst, in Liebe der kranken Brüder an, zumal wenn sie Christen sind. Das waren die beiden Frauen zu Philippi, als welche über dem Evangelio mit mir gekämpft haben, spricht der Apostel. Sie hatten wohl nicht öffentlich das Evangelium verkündigt, denn das gehört ja nur den Männern, nicht den Weibern zu (1 Kor. 14,34); aber auf wie vielfache andere Weise konnten sie sich verdient machen um das Evangelium, nicht durch das Licht des Glaubens, das sie in ihrem Wandel leuchten ließen, sondern in jenen Zeiten auch noch besonders durch treues, standhaftes Bekenntnis, wenn sie um ihres Glaubens willen geschmäht und verfolgt wurden.

Auch anderswo werden Frauen wegen ihres Kampfes für das Evangelium gerühmt, so Röm. 16 manche Frauen in Rom, von denen Paulus schreibt: sie haben viel gearbeitet in dem Herrn. Solches Zeugnis soll den beiden philippischen Frauen zur Empfehlung dienen. Kommt ein Jünger Christi in Gefahr des geistlichen Todes, so muss man eilen, ihn zu retten, damit nicht der Weg zum Leben, auf dem er ging, für ihn ein Weg zu desto größerer Verdammnis werde. Wolltet ihr euch der lieben Brüder und Schwestern in Christo nicht annehmen, die mit euch Glieder eines Leibes sind? Geht zu ihnen, redet mit Liebe und Freundlichkeit ihnen zu; haltet ihnen die Gefahr vor, in der sie schweben; zeigt ihnen das Unrecht, das sie tun, wenn sie aus Neid oder um eitler Ehre willen mit Andern in Zwietracht leben; weist sie auf Christum hin, den Friedensfürsten, und auf sein Wort: Selig sind die Sanftmütigen, die Versöhnlichen (Matth. 5); und wenn das Werk euch nicht sofort gelingen will, so ermüdet nicht, so haltet an mit Bitten und Ermahnen, und fleht zu Gott, der die Herzen der Menschen lenkt wie Wasserbäche, dass er mit seinem heiligen Geist euer Werk fördern und unterstützen wolle.

2.

So lautet des Apostels Ermahnung zur Eintracht. Frieden halten und Frieden stiften, das ist es, was von uns gefordert wird. Nun lasst uns, für's Andere, fragen, worauf diese Ermahnung zur Eintracht sich gründet. Der Apostel weist auf unsere Hoffnung hin, die wir als Christen haben, und sucht durch diese Hoffnung uns abzuziehen von allem Trachten nach eitler Ehre in der Welt. Er stellt den beiden Frauen zu Philippi andere dortige Christen an die Seite, die ebenfalls mit ihm gekämpft hatten über dem Evangelium, nämlich einen gewissen Clemens und seine übrigen Mitarbeiter daselbst. Deren Vorbild sollten die Zwieträchtigen vor Augen haben, denn sie kämpften den guten Kampf, und welches Ziel hatten sie vor Augen? Nicht Ehre und Ruhm vor den Leuten, sondern die unverwelkliche Krone der Seligkeit. Darum spricht er: ihre Namen sind in dem Buch des Lebens. Das bedeutet nichts anderes, als dass sie die gewisse, untrügliche Hoffnung haben, selig zu werden. Das Bild ist hergenommen von den Stadtbüchern, worin die Namen sämtlicher Bürger verzeichnet standen. Auch für die Stadt Gottes, für das Jerusalem, das oben ist, gibt es ein solches Buch, das keine Hand zerreißen, kein Feuer verbrennen kann. In diesem Buch stehen verzeichnet die Namen aller derer, die die Seligkeit ererben sollen. Kennt ihr das Buch? Es ist der gnädige Ratschluss Gottes, dass alle, die an Christum glauben, das. ewige Leben ererben sollen, und die Allwissenheit Gottes ist es, welche Alle kennt, die auf dem Wege des Lebens sind; denn der Herr kennt die Seinen (2 Tim. 2,19). Wie kann nun aber Paulus wissen, dass Clemens und Andere in diesem Buch stehen? Er weiß ja von Gott und kennt seinen Ratschluss, darum weiß er auch, dass, wer einen guten Kampf auf Erden kämpft, seiner Seligkeit sicher ist. Steht der Satz fest, dass, wer glaubt, selig wird, so kann ich ja mit Sicherheit schließen: Du, du, der du glaubst und in deinem Glauben treu über dem Evangelium kämpfst, wirst nicht verloren gehen, sondern das ewige Leben ererben. Und auf dies große, herrliche Ziel unsers Glaubenskampfes weist er uns hin, damit er uns abziehe von dem Trachten nach den weltlichen Ehrenkränzen. Ist es euch mit eurem Kampf um Ehre und Ruhm vor der Welt, um einen glänzenden Namen auf Erden zu tun? Kämpft ihr für das Evangelium und für euren Glauben, damit ihr von den Menschen gepriesen werdet, und seid missgünstig, neidisch, und hadert mit einander um eitler, weltlicher Ehre willen? O, sagt euch los von solchen Eitelkeiten, und sucht vielmehr eure Hoffnung auf die unverwelkliche Krone des ewigen Lebens fest zu machen. Je treuer der Kampf, desto sicherer die Krone. Geh' ich nicht den Weg der Kinder der Welt, sondern laufe auf der Bahn meines Erlösers, glaube ich von Herzen an ihn und lebe, kämpfe und leide, wie es ihm wohlgefällt, so besiegelt er durch seinen heiligen Geist die Hoffnung in meinem Herzen, und ich habe die feste Zuversicht, dass mein Name im Himmel geschrieben steht, wie Paulus spricht (2 Tim. 1,12): „Ich weiß, an welchen ich glaube, und bin gewiss, dass er kann mir meine Beilage bewahren bis an jenen Tag.“ Dieses Gewisse sollt ich hingeben für das Ungewisse, für das Vergängliche? und was ist vergänglicher als Ehre und Ansehen in der Welt!

Je gewisser aber meine Hoffnung, desto größer meine Freude. Zu dieser Freude lädt uns der Apostel ein. Freut euch in dem Herrn allezeit; abermal sag' ich's, freut euch. Es ist, wozu er auffordert, ein so über die Maßen Großes und Wichtiges, dass er's nicht oft und kräftig genug sagen kann. Er hatte es schon früher wiederholt gesagt, ja alle seine Ermahnungen befasst unter das „Freut euch“ (Kap. 3, V. 1). Was lag auch ihm, dem Gefesselten des Herrn, näher, als jene Freude, die sein Herz erfüllte! Die Welt mit ihren Gütern und Freuden war ihm zu einer Wüste geworden, und er wusste nicht, ob er nicht vielleicht schon in Kurzem sterben müsste; aber sein Herz war fröhlich und getrost, denn er lebte in der Gemeinschaft des Herrn, und war in dieser Gemeinschaft seines ewigen Heils gewiss und froh. Was wünschte er nun lieber, als dass auch die teuren Philipper ihre Freude in Christo suchen möchten? Zuvor hatte er gesagt: Steht fest in dem Herrn; dann: seid gleichgesinnt in dem Herrn; jetzt spricht er: freut euch in dem Herrn. Alles Gute, sei es Treue, sei es Eintracht, sei es Freude, kommt aus der Gemeinschaft mit Christo. Paulus redet nicht von der irdischen, üppigen Weltfreude, die ein Gefallen daran hat, von den Leuten gepriesen zu werden, oder die dem Bauch dient; denn was hat solche Freude mit Christo zu schaffen? Wer Christo angehört, der kreuzigt sein Fleisch samt den Lüsten und Begierden, der neidet nicht, der missgönnet nicht, der trachtet nicht in verkehrtem Wettstreit, in weltlichen Ehren und Genüssen obenan zu stehen; sondern sein Streben geht über die Welt hinaus und seine Freude ist eine Freude in Gott und eine Freude an dem Schatz, davon Paulus sagt (Ephes. 1): Gelobt sei Gott und der Vater unseres Herrn Jesu Christi, der uns gesegnet hat mit allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern, in Christo. Über den Besitz solcher Güter sollten wir nicht fröhlich sein? Kein Gut der Welt, und wenn es das größte wäre, kann das Herz so fröhlich machen, wie die Gemeinschaft mit Christo es tut. Eine einzige Stunde des innigen Zusammenlebens mit dem Herrn, wo das Herz mit ihm redet und ihm dankt für den teuren Schatz an Gütern des Glaubens und der Hoffnung, ist mehr wert als ein ganzes Jahr jenes reichen Mannes im Evangelium, der alle Tage herrlich und in Freuden lebte. Zudem ist weltliche Freude flüchtig und vergänglich; sie wechselt mit Leid und hat, wie die Rosen, scharfe Dornen der Traurigkeit neben sich: aber die Gemeinschaft mit Christo macht das ganze Leben eines Christen zu einem Freudenfest, daher auch Paulus sagt: Freut euch allezeit. Seht doch die Irdisch gesinnten an: wie viele von ihnen sind den ganzen Tag, ja das ganze Leben hindurch traurig; sie haben kaum eine frohe Stunde, und wer anders ist der Meister ihrer Unruhe, ihrer Sorge, ihrer Qual, als sie selbst? Werdet doch Christi Eigentum, so gewinnt ihr eine Freude, die Niemand von euch nehmen kann; denn wer will euch Christum, wer eure Gerechtigkeit, euren Frieden, eure Hoffnung rauben? Es kommen zwar auch im Leben eines Christen viele traurige Tage vor, teils um der Sünde, teils um der Trübsal willen. Des Christen größtes Leiden ist die Sünde, die nicht von ihm lassen will, wie gern er auch von ihr ließe, und zudem trägt er ja so manche irdische Trübsal, so manches Kreuz, das Gott auf seine Schulter legt. Aber wird nun damit das Feuer seiner Freude gänzlich ausgelöscht? Nein, lasst es nicht ausgehen; tragt Holz zum Feuer, indem ihr unter euren Kämpfen mit Sünde und Trübsal die Liebeswerke Gottes erwägt. Ob ihr auch arm seid, so seid ihr doch reich in Gott; ob auch verlassen von der Welt, so seid ihr doch nicht verlassen von eurem himmlischen Seelenfreund; ob auch schwach, so seid ihr doch stark in dem Herrn, der eure Hilfe und Zuflucht ist. Wie groß auch euer Kampf und eure Trübsal sei: freut euch, spricht Christus, und hüpft, denn siehe, euer Lohn ist groß im Himmel (Luk. 6); freut euch, dass eure Namen im Himmel geschrieben sind (Luk. 10).

Je inniger nun die Freude eines Christen ist, desto größer ist seine Milde, und wo Milde ist, da ist auch die Eintracht, zu der uns der Apostel ermahnt. Eure Milde werde kund allen Menschen. Was versteht er unter dieser Milde? Das stille, sanfte, freundliche Wesen eines Christen, wonach er, weit entfernt, mit seinem Nächsten zu hadern und zu rechten, vielmehr überall die größte Geduld, Nachsicht und Nachgiebigkeit beweist, und auch wo ihm zu nahe geschieht, viel lieber Unrecht leidet, als Unrecht tut. Solche Milde ist die Frucht der Freude. Solltest du, wenn du Christum und mit Christo Alles hast, so dass du sprechen kannst: mein ist das Reich Gottes mit seiner Gerechtigkeit und mit seinem Frieden; mein ist der Himmel mit seinem Leben und mit seiner Seligkeit: solltest du in der seligen Freude darüber nicht ein so mildes Herz haben, dass du Allen Alles geben und Allen Alles vergeben könntest? Kann schon eine große irdische Freude, die plötzlich wie eine Sonne durch die Wolken irdischer Trübsal bricht, sei es, dass die totkranke Gattin genas, sei es, dass die Sorge um das tägliche Brot durch ein großes, unerwartetes Glück auf immer gehoben wurde, kann schon eine solche Freude das Herz so milde stimmen, dass alle Bitterkeit, alle Missgunst, aller Zorn aus demselben weicht, und die milden Empfindungen des Wohlwollens, der Liebe, der Versöhnlichkeit dasselbe erfüllen: wie vielmehr muss die lebendige Freude über den unaussprechlich großen Reichtum in Christo unser Herz weich, sanft, milde stimmen! Und da sollten wir noch fähig sein, mit unserm Nächsten um eine eitle Ehre, um Rang und Ansehen zu streiten, und es ihm zu missgönnen und ihn anzufeinden, wenn er mehr bei den Menschen gilt, als wir? Lass die Armen, die keinen Christum, keinen Gott, keine selige Zukunft haben, deren Besitz sich auf die Güter und Freuden eines kurzen Lebens beschränkt, lass die um vergängliche weltliche Vorzüge mit einander kämpfen: euch aber, spricht Paulus, euch, denen mit Christo der große unvergängliche Segen an himmlischen Gütern gehört, euch lerne Keiner von einer andern Seite kennen, als von der Seite der Milde, und nie mache Jemand eine entgegengesetzte Erfahrung an euch. Werde eure Milde allen Menschen kund, allen; nicht nur euren Glaubensgenossen, gegen die ihr nachsichtig, schonend, freundlich euch beweisen müsst, jeden verkehrten Wettstreit, jeden Hader, jede Zwietracht meidend, sondern auch den Feinden Christi, falls sie euch Unrecht tun und zum Zorn, zur Rache euch reizen sollten. Übt gegen jeglichen Widersacher, der euch kränkt und Unrecht tut, dieselbe Milde, die ihr von dem Herrn, wenn er kommt, gegen euch geübt wissen wollt. Und liegt etwa die Zukunft Jesu Christi noch in weiter Ferne? Nein! der Herr ist nahe! Ist er? - Hat er's doch selber gesagt (Matth. 16): Wahrlich, ich sage euch: Es stehen Etliche hier, die nicht schmecken werden den Tod, bis dass sie des Menschen Sohn kommen sehen in seinem Reich. Er ist gekommen - Jerusalem ist Zeuge davon, - und kommt fort und fort, und wird zuletzt seine Gerechtigkeit über alle zumal offenbaren. Haltet die Zeit, die zwischen dem heutigen und dem jüngsten Tag liegt, nicht für eine lange Zeit; denn die Jahre laufen schnell und vor Gott sind tausend Jahre wie Ein Tag. Den Einzelnen aber, dir, dir und mir, ist der Herr so nahe, dass wir vielleicht schon nach zwanzig, vielleicht schon nach zehn Jahren werden vor seinem Richterstuhl stehen. Leben, Tod und Gericht, diese Drei stehen nahe bei einander. Wolltest du denn in der so nahen Nähe deines Richters hart und schonungslos strenge gegen deinen Nächsten sein? Sei es auch nicht gegen deinen erbittertsten Feind und Widersacher.

Und so weiche denn aus unserer Mitte alle Zwietracht, lasst uns gleichgesinnt sein in dem Herrn. Was die Kinder der Welt entzweit, das entzweie uns nicht, die wir Kinder Gottes sind. Unser Ziel sei nicht eitle Ehre und weltliches Gut, sondern die unverwelkliche Krone der Gerechtigkeit; um die lasst uns kämpfen in Treue und so unsere Hoffnung befestigen. Die Hoffnung aber mache fröhlich unser Herz, und die Freude mache uns milde gegen Jedermann, dann weichen Hader und Streit und wir leben friedlich mit einander als Kinder und Erben Gottes.

So lang' ich als ein Fremdling hier
In diesem Leben walle,
Schaff, Herr, ein reines Herz in mir,
Ein Herz, das dir gefalle,
Und leite mich auf eb'ner Bahn
Durch deinen Geist zu dir hinan!

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/k/kaehler_c/kaehler_philipperbrief_21_predigt.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain