Jordanus, Raymundus - Aus den Meditationes
aus dem Lateinischen übersetzt, nach einer Cöllner Ausgabe von 1614.
Dich, o mein Herr Jesu Christe, du Quelle, ja du Abgrund der Liebe und Barmherzigkeit, hat die Liebe besiegt. Aus Liebe hast du dich selbst ausgeleeret, alle Fülle gegen uns ausgeschüttet, und Erhabenster! bist uns gleich geworden, Du bist in unsre Gesellschaft getreten; Deine heftige Liebe hat uns schnöde und häßliche Sünder geliebt, du hast uns aus schnöden Sündern zu geheiligten, aus verunstalteten zu Deinem schönen Bilde ähnlich gemacht. Du bist ein armer Mensch geworden um unsertwillen, hast uns erhoben, du hast dich gleichsam tief gebückt, um uns aus dem Abgrunde, in welchen wir versunken waren, herauszuholen; du hast Dich entäußert Deiner Gottes-Majestät, damit wir der göttlichen Natur theilhaftig würden; du bist bis zu uns gekommen, damit wir bis zu dir kommen möchten. Nicht Vater, nicht Mutter, nicht Freund, niemand hat uns so hoch geliebt, als du, o Herr! unser Gott, der du uns erschaffen hast; Die Glut und honigreiche Süßigkeit deiner Liebe, Herr Jesu, leere mein Herz von allem aus, damit es mit dir erfüllet, und von deiner unendlichen Liebe recht durchdrungen, und trunken werde. O! mein Herr Jesu! was ist das für ein großes Gut, wenn deine Liebe so ins Herz strahlet, daß es ganz helle davon wird! Da werden die giftigen Seelenwunden recht ausgeheilt, das ganze Herz wird erleuchtet, wenn du darinne funkelst, das Herz genießet ein sanftes Wohlseyn, und die ganze Seele wird heiter, und dadurch gestärkt.
Ob du mich nun gleich, Herr Jesu, mehr liebst, als ich es sagen kann, so habe ich doch ein eisernes, steinernes Herz in mir, meine kalte Brust hat die Flammen deiner Liebe lange nicht gefühlt. Ich kann dich aus eignen Kräften nicht wieder lieben; ach! darum komm mir doch zu Hülfe, mein Herr JEsu Christe, der du nicht anders kannst, als lieben. So groß ist deine Liebe, Herr Jesu! daß, wenn die Seele nach dir aussieht, und auf dich harret, so hast du dich schon längst nach ihr umgesehen; man kann dir nie zuvorkommen, wenn man früh wachet zu dir, so hast du längst zuvor gewacht. Wenn das Herz dich und deine Liebe nur recht erkennet, so läßt sie (und du stärkst sie dazu) alles andre fahren, und hänget ganz allein an dir. Du weisest gar niemanden ab, du versagst dich niemanden, du verachtest niemanden, es ist dir niemand zu schlecht; du streckest nach allen deine Liebesarme aus, und nimmst alle hinein; nur diejenigen nicht, die in Sünden beharren, und in Ungehorsam von dir weichen, und sich nicht von dir nehmen lassen.
Aber auch auf diejenigen, die noch im Sündenschlamme liegen, wartest du mit großer Langmuth, ob sie sich etwa bekehren wollten, und boshafte Rebellen ermahnest du freundlich, zu dir zurückzukehren. So hilf mir denn auch, Herr Jesu; erleuchte mein rebellisches Herz; mache, daß ich wahre, Gott wohlgefällige gute Werke mit einem reinen, kleinen, gebeugten, und dich liebenden Herzen vollbringe! daß ich hier in deiner Liebe lebe, und, wenn ich dieses Leben beschließe, aus Barmherzigkeit das ewige Leben erlangen möge!
Du, Herr Jesu! hast mich elende Creatur 1) aus unzähligen Gefahren errettet. Du hast mich vom Irrwege auf den rechten Weg gebracht, hast mich gelehret, da ich unwissend war, hast, da ich in Sünden lebte, auf meine Bekehrung gewartet, hast mich aufgerichtet, da ich darnieder lag, und als ich zu dir kam, hast du mich, nach dem Reichthum deiner Erbarmung, aufgenommen. Mein ganzes Verdienst kann gar nichts seyn, wenn ich deine Liebe bedenke. 2) Du bekommst von mir nichts, und bedarfst auch meiner Gaben nicht.
In aller meiner Noth fand ich jederzeit deine Arme offen. Was mir ehedem süße schmeckte, das schmeckt mir nun bitter: So hast du mein Herz verändert. Mich verlornes Schaf hast du, Herr Jesu, auf deine heilige Achseln gelegt, und mich heimgetragen. Ich danke dir und bitte dich, ach gieb! daß deine Liebe nicht von mir weiche, und mir Leib und Seele bewahre. Du, Herr Jesu, du Sohn Gottes, hast den Menschen gemacht, du bist auch selbst ein Mensch geworden; beydes hast du gethan, damit wir dich lieb haben sollten. Du starker Liebhaber, Herr Jesu! hilf mir! daß ich dich liebe, die Sünde hasse, und fliehe, und dir aufrichtig diene. Ich bin mich dir ganz schuldig, weil du mich gemacht hast, ich bin mich dir noch mehr schuldig, weil du mich erlöset hast, du hast mich durch Allmacht erschaffen, aber durch Leiden des Todes erlöset.
Mache mich weise, Herr! der du die Weisheit bist, damit ich von keinem Irr- und Lügengeiste hintergangen werde! Leuchte in mir, damit ich durch keine Trübsal von dir abfalle. Stärke mich, daß ich in deinem Dienste nicht matt werde. Deine Liebe entzünde meine Gegenliebe, deine Weisheit leite meine Einsichten, deine Treue erhalte mich beständig bey dir! gieb daß ich in deiner Liebe brünstig, vorsichtig, und unüberwindlich seyn möge; daß ich ja nicht lau werde. Sey mir süß gegen die falschen Reize der fleischlichen Lüste; deine wahre Süßigkeit überwinde jene falsche; Du Liebe! dein Frieden geht über alle Vernunft. Gieb, daß ich in süßer Andacht betrachte deine Verkündigung, deine Geburt, dein Liegen an der Mutter Brust, dein Lehren, dein Fasten, dein Predigen, dein Wunderthun, deinen Tod, deine Wiederkunft.
Durch deine Liebe wird das Fleischesleben verbannet, die Welt verachtet, und das geistliche Leben in uns angerichtet. Du hast lieber deine Menschenseele vom Körper scheiden lassen, ehe unsre Seelen auf ewig von dir geschieden seyn sollten. Die Liebe erträgt alles; darum haben auch die heiligen Märtyrer aus Liebe allerhand Arten von Qualen erduldet. Wen die Liebe Jesu erfüllet, der ist munter zu allen guten Werken; er fühlt Schmerz, und fühlt ihn auch nicht; er arbeitet, und wird nicht müde; er wird verspottet, und merkt nicht darauf. Nichts kann uns wider unsern Willen von der Liebe Jesu scheiden; Wir sind mit ihm gleichsam zusammengeleimt, 3) daß man uns eher zerreiße, eher die Hand von dem Arm, den Kopf vom halse reißen könnte, als die Seele von Jesu. Die heiligen Märtyrer konnten auch von deiner Liebe nicht getrennt werden. O! JEsu! du Schöpfer der Liebe! dieß feste Band hielt dich am Kreuz fest; Dich, den alle Bande nicht hätten halten können! Wer mit der Liebe Jesu bepanzert ist, der fürchtet sich nicht, und wenn das ganze Heer der Teufel 4) mit ihm stritte.
Du bist ein recht treuer Freund, Herr Jesu, und kommst deinen Freunden gern zu Hülfe. Die Liebe Jesu hilft allein von der Sünde los, und überwindet alles. Darum hat der Teufel gegen nichts eine größre Feindschaft. Jesus ist sehr beständig in seiner Liebe; wie er hatte geliebt die Seinen, die in der Welt waren, heißt es, so liebte er sie bis ans Ende.
Du barmherzigster Liebhaber Jesu Christe! Vergieb mir, erbarme dich meiner, gieb mir die Gnade, dich so zu lieben, daß ich alle eitle Liebe hintansetze, die dir nicht wohlgefällt, und ganz allein die Deinige erwähle, und von deiner Liebe nicht geschieden werde, sondern in derselben fest bleibe, in Ewigkeit! Du erhörest den, der dich liebt, sehr gern; deine Gnade ist so groß, daß du ihm nicht nur das giebst, warum er bittet, sondern auch das, warum er nicht bittet, nicht allein die ewigen, sondern auch die zeitlichen Güter.
Du giebst denen, die dich lieben, auch die wahre Weisheit, und die wahre Freude, und salbest sie mit Freudenöle. Du bist der treueste Freund; deine wahre Freundschaft geht über alle andre Freundschaft. Du liebst immer, im Leben und im Tode. Du liebst im Glück und im Unglück. Du liebst auch, wenn du nicht geliebt wirst. Nichts kann die Seele sättigen, keine Ehre, kein Geld, kein irdisches Gut auf der ganzen Welt; nichts als deine Liebe. Und wer dich liebt, der hat dich auch. Wer in der Liebe bleibet, in dem bleibet Gott, und Gott in ihm. Wer aber Gott hat, der kann nicht arm seyn. Wer Gold im Kasten hat, der ist nicht reich; aber, wer dich im Herzen hat, der ist reich; Und wenn einer auch alle Reichthümer und Güter der Welt hätte, der würde doch immer mehr begehren. Und wenn einer auch alle Tugenden der Philosophen hätte, so wäre er doch elend, wenn er Dich nicht hätte.
O! Herr Jesu! ich bin arm, elend, blind, nackt, und blos; erfülle mich mit deiner Liebe, und erwärme mit derselben mein Herz; Du hast uns erst geliebet, und gewaschen von Sünden mit deinem Blute. Du hast recht wahrgeredet, wenn du gesagt hast, daß dein Joch sanft, und deine Last leicht sey. Wenn man zu jemanden sagt, er solle fasten, so kann er antworten: ich habe eine schwächliche Gesundheit; wenn man ihm sagt, er soll den Armen geben, so kann er sagen, ich bin selbst arm; wenn man aber sagt: liebe Gott! so hat er gar keine Entschuldigung. Von Jesu Liebe wird man nicht krank, sie kostet kein Geld, sie wird einem nicht sauer; wer dich liebt, Herr Jesu, der wird von dir väterlich gezüchtigt, wie vom Vater ein geliebter Sohn; wer dich liebt, der lebt immer in Frieden. Du nimmst auch diejenigen, die dich lieben, in Schutz gegen die Sünde, und gegen den Teufel. Du hast, o Jesu, den Evangelisten Johannes besonders geliebt; das war der Jünger, den du lieb hattest; du hast die Martha und Maria besonders geliebt; Ich finde in mir keinen Grund, warum du mich besonders lieben könntest, sondern ich fliehe allein zu deiner Barmherzigkeit.
Ach ich soll dich über alles lieben, und meinen Nächsten, als mich selbst. Alles was ich will, daß mir die Leute thun sollen, das soll ich ihnen auch thun. Wir sollen auch die Feinde lieben; denn du hast uns auch geliebt, da wir noch Feine waren. Du bist eines schändlichen Todes für deine Feinde gestorben, und hast für deine Kreuziger gebeten. Wer nicht lieb hat, der bleibt im Tode; Deine Liebe kann aber mit der Liebe zur Welt nicht bestehen; die verwandelt sich gar bald in lauter Bitterkeit, und wer die Welt liebt, der ist betrogen, und verschließet sein Herz vor deiner Liebe, denn diese lässet sich mit der Liebe zur Welt nicht vereinigen. Gieb mir die Gnade, dich von ganzem Herzen und von ganzer Seele und aus allen meinen Kräften zu lieben!
Quelle: Wöchentliche Beyträge zur Beförderung der ächten Gottseligkeit.