Hus, Jan - Am Allerheiligentage.

(Teilweise im Auszuge mitgeteilt.)

Joh. 11,21-27.

Unser Evangelium handelt von dem Tode des Lazarus, der von Christus auferweckt wurde. Er war der letzte derjenigen, die der Herr zur Zeit seines Erdenwallens auferweckte. Er stand dem Herrn nahe mit seinem Hause im Glauben, in Gastfreundschaft, im Umgang. Daher liest man dieses Evangelium bei den Leichenfeierlichkeiten der Verstorbenen, damit die hinterlassenen Brüder und Schwestern in derselben Stimmung und demselben Glauben zu dem Herrn Jesus für die Toten beten, wie Martha, und sie ward erhört, indem ihr Bruder leiblich vom Tode auferstand. Denn sie hatte die Auferweckung des Bruders im Sinn, als sie sagte: Herr, wärst du hier gewesen - nämlich körperlich anwesend, - mein Bruder wäre nicht gestorben; aber ich weiß auch noch, dass, was du bittest von Gott, das wird dir Gott geben. Hier dringt Martha, dass Christus Gott bitten solle, so wie die Jungfrau Maria in ihn drang, als sie sagte: Sie haben nicht Wein. Und weiter begehrt Martha, dass Christus etwas erbitten solle, weil er es von Gott erhalten würde. Es ist, als ob Martha damit sagen wollte: Ich glaube, dass, wenn du beim Tode meines Bruders zugegen gewesen wärst, so wäre er damals nicht gestorben. Und weiter weiß ich, dass du, wenn du etwas von Gott bittest, es erhalten wirst. Also, da ich auch weiß, dass du mitleidig bist und meinen Bruder lieb hast, und weiß, dass durch dein Gebet mein Bruder vom Tode erweckt werden wird, so bitte ich, dass du also betest. Daher hat der liebe Heiland, gerührt durch den Glauben, die Gemütsbewegung und die Bitte Marthas, sie erhört.

So lautet es weiter: Jesus spricht zu ihr: Dein Bruder soll auferstehen. Hierin verheißt er, Martha tröstend, dass ihr Bruder am jüngsten Tage auferstehen werde; zum zweiten: auch von diesem zeitlichen Tode durch das Wunder, das sich offenbaren sollte; zum dritten: er wird auferstehen in Christo von dem gewohnten sündigen Zustand, was der leibliche Tod und die Erweckung ihres Bruders im geistlichen Sinne abbildete. Aber Martha, den ersten gebräuchlichen Sinn aufgreifend, bekennt sich gläubig dazu und begehrt die erwünschtere Erweckung des Lazarus durch ein Wunder. Martha spricht zu ihm: Ich weiß wohl, dass er auferstehen wird in der Auferstehung am jüngsten Tage. Womit sie sagen will: Ich weiß, dass mein Bruder Lazarus auferstehen wird zum ewigen Leben am jüngsten Tage, aber das meine ich nicht, ich möchte, dass er von dir schon jetzt erweckt würde und mit uns lebte. Der treue Heiland aber, ihren Glauben zu stärken, erwidert: Ich bin die Auferstehung und das Leben. Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe. Und wer da lebet und glaubet an mich, der wird nimmermehr sterben. Damit will er sagen: Ich will, dass du nicht allein glaubst, dass ich bin wahrer Gott und wahrer Mensch, wie du vorher geglaubt hast, sondern eine andre Lehre erteile ich dir, dass ich sowohl leiblich als geistlich die Auferstehung bin und das Leben, da ich sowohl Grund als auch Geber der leiblichen und geistigen Auferstehung und des Lebens bin. Es geht seine Rede hier sowohl auf den Grund als auf die Macht. Ich bin die Auferstehung und das Leben, d. h. ich gebe Auferstehung und Leben, und zwar so mitleidig und gütig, dass, wer glaubt an mich, ob er gleich stürbe, nach dem Leib oder nach der Seele, doch lebe in beidem. Und da es für den Menschen köstlicher ist, dass er geistlich vom Sündentod durch Christum erweckt werde, als leiblich, und in der Folge es für den Menschen köstlicher ist, dass er geistlich in Christo lebe, als dass er durch Christum sichtbar zum Leben erweckt werde, so fügt er als Grund hinzu, dass, wer an ihn glaubt, ewiglich durch Liebe mit ihm verbunden, auch wenn er vorher durch die Sünde gestorben ist, nicht den ewigen Tod der Seele noch des Leibes sterbe, sondern befreit vom geistlichen Tod durch Gnade, verbunden durch den Glauben mit Christo, geistlich in Ewigkeit nicht sterben kann. So leuchtet klar die Herrlichkeit der geistlichen Auferstehung und des geistlichen Lebens, das Christus in den Menschen gibt, weit über der Auferstehung zum leiblichen Leben, die so sehr begehrt.

Es wiederholt aber der treffliche Meister diese Lehre, wenn seine Schülerin sie nicht weiß, damit er, wenn es ihr darin etwas fehle, er die Schülerin zum Heile unterrichte. Glaubst du das? so spricht er. Sie spricht zu ihm: Herr, ja, ich glaube, dass du bist Christus, der Sohn Gottes, der in die Welt gekommen ist. Damit bekennt dieses Weib in einem allgemeinen Glaubenshauptsatz ihren Glauben, dass sie glaubt, was dem Pilger zu glauben not ist. Denn sie bekennt das natürliche Sohnesverhältnis Christi zum himmlischen Vater und damit die ewige Einheit des göttlichen Wesens. Weiter bekennt sie das zeitliche Kommen Christi durch die zeitliche Geburt, und bekennt somit, Christus sei wahrer Gott und wahrer Mensch, sie glaubt also, dass, was auch Christus sagt, die Wahrheit ist und, was er tun will, dass er das auch kann Denn wenn sie sagt: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, bekennt sie, dass er allmächtiger Gott ist. Und wenn sie sagt: der in die Welt gekommen ist, bekennt sie, dass er Mensch sei, gesandt von Gott, und sie glaubt also, was wir von seiner Gottheit und Menschheit glauben müssen.

Nach diesem Evangelium wollen wir nun fragen: Weshalb hält man Leichenfeierlichkeiten für die Toten?

Da gibt es zweierlei Grund: zuerst wahren und löblichen, dann auch falschen und tadelnswerten. Und da nach den Philosophen bei einem Ding zuerst das Störende und Hinderliche zu beseitigen ist, so haben wir zuerst den verdammenswerten Grund von den Exequien1) abzutun.

Dieser ist ein dreifacher, durch des Teufels Dienst bewirkend, dass heutzutage die Leichenfeierlichkeiten für die Verstorbenen so prunkvoll sich gestalten. Zuerst ist zu verurteilen, dass vor der Welt das Gedächtnis eines gestorbenen Reichen festlicher gefeiert wird. Zweitens: dass das Leben des Verstorbenen durch viele Lügen entstellt wird. Drittens: dass irdische Reichtümer von den Priestern gesammelt werden.

Diese Gründe schaden zuerst den Reichen, die da geben und die Exequien veranstalten, denn sie sind von eitlem Wahn erfüllt und verlieren, was sie aufwenden, nach dem Schwur des Herrn Matth. 23: Alle ihre Werke tun sie, dass sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich, ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin. Zweitens schaden sie den Priestern, die da empfangen, weil sie deshalb mehr zur Habsucht und Simonie neigen und sich allzu gierig darauf stürzen, wie die Raben auf das Aas. Davon sagt man: „Wie an der Krankheit der Arzt, so erfreut sich am Tode der Priester.“2) Weil die Krankheit nämlich den Arzt, die Leiche den Priester ernährt. Drittens aber schaden sie den lebenden Armen, die um ihr Gut betrogen werden. Zum vierten schaden sie den Toten, weil das Opfer der Überlebenden wegen ihrer Sünde den Toten entzogen wird und bei von den Toten dargebotener Gelegenheit wegen schlecht erworbener oder schlecht verwalteter Güter die begonnene Sünde vollendet wird und so ihre Strafe sich verlängert. Dass aber beseitigt werde, was die Befreiung der Toten hindert, ist nötig, des rechtschaffenen Herzens Auge zu öffnen und solche Handlungen zu vollziehen, die gemeiniglich für die Verstorbenen geschehen.

Überlege dir doch, wozu dient die Menge der Vigilien3) im Hause eines verstorbenen Reichen, und du wirst sehen: zu eitlem Wortgeplärre! Denn man denkt dort nicht an einen andächtigen Psalmengesang, weder von Seiten des Bezahlenden, noch von Seiten des Bezahlten. Sondern man richtet nur seine Aufmerksamkeit darauf von Seiten des Bezahlenden, dass um der Leute willen möglichst viel Vigilien gesungen werden; von Seiten des Singenden aber wird nur darauf gesehen, dass es möglichst schnell beendigt ist. Daher singen sie entweder nur kurze Lektionen oder kürzen die Psalmen ab und ziehen sie zusammen, um die unangenehmen Vigilien, die sie des Geldes wegen zu singen haben, möglichst schnell los zu werden, und schaden so sich selbst und auch den Toten durch ihre Sünde, indem sie deren Befreiung verzögern. Bedenke ferner, was soll die prunkvolle Versammlung der Vornehmen beim Leichenbegängnis eines Verstorbenen, wovon ein Vers sagt:

Wenn ein Reicher verstirbt, so kommen sie alle zusammen; Trägt man den Armen zu Grab, geht kaum der Kleriker einer.4)

Was soll drittens das angenehme und vergnügliche Zusammensitzen der Priester bei den Exequien auf gepolsterten Sesseln? Du, Herr Christe, beurteile es, der du standest und weintest am Grabe des Lazarus und demütig den Vater anriefst: warum stehen wir nicht, sondern sitzen? Weinen nicht, sondern sind vergnügt? Rufen nicht demütig, sondern gedankenlos? Was soll viertens das umständliche Anschlagen der Glocken, das viel Geld kostet, das Läuten der Glocken, das Gemurmel der Menschen, und ein im Verhältnis zu der geringen Mühe so großer Aufwand von Geld? Bedenke zum fünften, was soll das kostbare Begräbnis des Reichen, das unnötig viel Gut verzehrt und den Hinterlassenen kurze Ehren schafft? Bedenke sechstens, was soll das Zusammenkommen der Priester, das nur die Schlemmerei und Habsucht nährt? Bedenke siebentens, was soll die ungeordnete Anhäufung von Messen, an einem Tag in einer Kirche, die nur Neid, Streit, Habsucht und des Judas bekannten Verrat bei den Priestern begünstigt? Bedenke zum achten, was soll das viele, reichliche, aber ungeordnete Verteilen von Almosen? Und überlege, was es für einen Zank unter den Armen hervorruft und dabei unnötigen Aufwand verursacht, während es, wenn es richtig verteilt würde, viel mehr Frucht bringen und die Armen weniger verwirren würde. Was soll ferner nach dem Begräbnis des Verstorbenen der Leichenschmaus, wobei die Schlemmerei, unnützer Aufwand und eitles Geschwätz ihren Sitz haben? Wozu das Abhaspeln von Messen, die beim Volke nur Spott und Verachtung der Habsucht des Klerus hervorrufen? Wozu die simonistische und übertriebene Verlesung des Psalters am Sarge, dadurch nur Spott, Torheit, Trunkenheit und andre Laster genährt werden? Wozu der unmäßige Verbrauch von Kerzen, der dem Stifter eitlen Ruhm bereitet und bei den Armen nur Neid erweckt? Wozu die ungeordnete Abmachung von dreißig Messen, die die hergebrachte Ordnung der heiligen Väter und der Kirche in den Amtshandlungen durchbricht und das Gewissen der Priester beschwert? Ach, dass doch nicht auch dadurch ihre Seelen geworfen würden in die äußerste Finsternis! Wozu die Ladung der Priester verschiedener Parochien zur Mahlzeit, die ihre Parochianen der Ausübung der Messe beraubt, die Priester mit Fressen, Saufen, Habsucht, Raub, Lust und Spiel sättigt und zu späterer Andacht, Predigt und Messelesen untüchtig macht. Aber nicht allein den Priestern bringt es jene Laster, sondern auch denen, die die Gastmähler bereiten, schadet es durch eitlen Ruhm, überflüssige Ausgaben und Sorgen und belästigt, ja beraubt die Armen auf dem Lande, die wegen jener Gastmähler mit Jagden oder andern Lasten und Erhebungen hart bedrängt werden.

In Voraussicht dessen und um solches zu verhindern, sagt unser barmherziger Heiland Lukas 14: Wenn du ein Mittags- oder Abendmahl machst, so lade nicht deine Freunde, noch deine Brüder, noch deine Freunde, noch deine Nachbarn, die da reich sind; auf dass sie dich nicht etwa wieder laden und dir vergolten werde. Sondern, wenn du ein Mahl machst, so lade die Armen, die Krüppel, die Lahmen, die Blinden; so bist du selig. Denn sie haben es dir nicht zu vergelten, es wird dir aber vergolten werden in der Auferstehung der Gerechten. Ach, diese heilige Lehre haben leider, die da einladen, vergessen und beschweren sich so sowohl mit eignen, als auch der Eingeladenen Sünden und verzögern infolgedessen die Befreiung der Verstorbenen, denn wenn sie nicht so schwelgerisch, sondern bescheiden und andächtig sich verhaltend sich enthielten, würden sie eher die Verstorbenen von den Strafen durch ihre Hilfe befreien. Daher urteilte auch der heilige Augustin von dem Begräbnispomp, wie er es nennt, der aus dem oben Angeführten sich herschreibt, dass er wohl zum Trost der Lebenden, nicht aber zur Unterstützung der Verstorbenen diene. Hiernach ist klar, welches die tadelnswerten Gründe sind, um derer willen die Leichenbegängnisse so großartig gehalten werden.

Der lobenswerten Gründe aber für die Exequien sind drei. Zuerst, dass wir dabei über den schmachvollen und schrecklichen Tod Christi und über unsre Sünde, die seinen Tod verschuldet hat, nachdenken. Zum zweiten, dass wir, an das Elend des Verstorbenen denkend, uns selbst in Sitten verbessern. Zum dritten, dass wir andächtig für die Toten betend, der schlafenden Kirche, das heißt den Heiligen im Fegefeuer, Unterstützung zu teil werden lassen. Das sind die drei Gründe, die die Exequien der Verstorbenen rechtfertigen. Sie dienen auch besonders den Lebenden dazu, dass sie wie in einem Spiegel schauen, dass, wie dieser Heimgegangene gestorben ist, so auch sie sicherlich sterben müssen. Und die Betrachtung solchen Spiegels mahnt die Überlebenden, dass in jeder Art von Sünde dem Feinde zu widerstehen ist. Was, frage ich, vermag die Versuchung des Teufels zu Hochmut, Neid und Hass, wenn der Leichnam entseelt daliegen und machtlos werden muss, wie sehr er auch vermochte lasterhaft zu leben? Jene Erwägung müsste auch Begehrlichkeit und Habsucht beseitigen, diese Sünden der Welt, da den Verstorbenen die Reichtümer nichts nützen, es sei denn, soweit sie ihnen bei Lebzeiten Mittel waren, Gutes zu tun, und sie dann sich freuen werden, dass ohne Begehrlichkeit die, denen sie Gutes getan, inständig beten. Zum dritten ist die Erwägung jenes Spiegelbilds ein besonderer Antrieb wider die Sünden des Fleisches, Schlemmerei und Üppigkeit. Also, wenn du einen rechten Zaum haben willst, dein Fleisch in seinen Begierden zu zähmen, so denke unablässig an deinen Tod nach jenem Verse:

Besser vermag nicht der Mensch sein Fleisch im Leben zu zähmen, Als wenn er immer bedenkt, wie einst er sich tot wird ausnehmen.5) Das meint auch der Prediger Salomo 7, wenn er sagt: Es ist besser, in das Klagehaus gehen, denn in das Trinkhaus; in jenem ist das Ende aller Menschen, und der Lebendige nimmt es zu Herzen. Und ebenso Sirach: Was du tust, so bedenke das Ende; so wirst du nimmermehr Übles tun.

Siehe, solche Ermahnungen gehören zu den Exequien, und nicht eitles Lob oder ungläubiges Tun oder unsichere und lügnerische Werke, durch die sowohl die Überlebenden, als auch die Toten beschwert werden. Solche Betrachtungen lasst uns halten, zum Weinen über die begangenen Sünden zu rufen, indem wir zurückdenken, wie unser Herr Jesus bei der Erweckung des Lazarus, der schon vier Tage im Grabe verweste, nach dem Zeugnis des Evangeliums geweint hat. -

Es bleibt uns noch zu betrachten, für welche Verstorbenen, durch was für Überlebende dargebracht und von welcher Art die Suffragen6) sind, die etwas helfen. Zuvor aber ist zu betonen, dass dabei die Unsterblichkeit der menschlichen Seele vorauszusehen ist, nach Weisheit 2: Gott hat den Menschen geschaffen zum ewigen Leben, und Matth. 10: Fürchtet euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten. Dies Wort wäre doch unsinnig, wenn der Mensch nicht eine unsterbliche Seele hätte. Zweitens aber ist auch vorauszusehen, dass der Seele vergolten wird, was sie in diesem Leibe verdient hat, nach dem Wort des Herrn Matth. 16: Des Menschen Sohn wird kommen in der Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln; und alsdann wird er einem jeglichen vergelten nach seinen Werken. So noch in vielen andern Schriftstellen. Denn Gott wäre ein ungerechter Richter und Herr, wenn er den Menschen nicht Lohn gäbe nach ihrem Verdienst. Aus diesen beiden Voraussetzungen, die Art des Sündigens der Menschen noch vorausgeschickt, - geht hervor, dass die Seelen der Abgeschiedenen nach dem Verlassen des Körpers dreierlei Daseinsart haben. Die einen, wie die der heiligen Märtyrer und Bekenner, brennen in dem Augenblick des Todes so von Liebe zu Christo, dass sie sofort ins Vaterland gelangen, indem kein Makel zurückbleibt, von dem sie noch zu reinigen wären. Die andern Seelen aber, die ihre Liebe noch auf das Weltliche gerichtet haben, auch wenn die Liebe Christi in ihnen überwog, haben verzeihbare Makel, die noch zu tilgen sind. Die dritte Art Seelen aber, die wissentlich die Welt mehr lieben als Christum, empfangen sofort die ewige Verdammnis, denn sie sind außer Stand eines Verdienstes gesetzt, da sie mit der Sünde bewusster Unbußfertigkeit behaftet sind. Die erste Art Seelen, beziehentlich die erstgenannten Menschen, werden nach Augustin die ganz Guten genannt. Die zweite Art aber die nicht ganz Schlechten. Die dritte: die ganz Schlechten.

Hieraus ist zu entnehmen, welcher Art von Verstorbenen die Suffragien etwas nützen zu schnellerer Befreiung von den Strafen, nämlich denen, die nicht ganz gut, auch nicht ganz schlecht sind, sondern in der Mitte stehen, die weder ewig verdammt, noch sofort im Vaterlande selig geworden, sondern durch das Opfer der streitenden Kirche noch zu reinigen sind. Die ganz Schlechten können aber nicht gereinigt werden, denn wer in der Tat in wissentlicher Unbußfertigkeit verharrt, wird auch in der Läuterung nach diesem Leben nicht geläutert. Sonst würde der Heiland nicht sagen (Matth. 12), dass die Sünde wider den heiligen Geist nicht vergeben wird, weder in dieser noch in jener Welt. So nützen ihnen auch die Opfer nichts zur Läuterung. Wiederum auch kann es keine Reinigung von Sünde geben in der vollkommenen Seligkeit, denn die Strafe, die das Heilmittel von der Sünde ist, ist mit der Seligkeit nicht vereinbar. So muss es also einen dem Verdienst entsprechenden mittleren Stand und Ort geben, den wir den Läuterungsort nennen. Doch ist dabei zu erwägen, dass die Fähigkeit der Läuterung aus der Würdigkeit des zu läuternden Menschen selbst hervorgehen muss; nach der Voraussetzung, dass niemand Lohn empfängt nach diesem Leben, als was er verdient hat in diesem Leben. Das geht daraus hervor, dass nur die Zeit der Pilgerschaft die verdienstliche Zeit ist, sich den Lohn der Seligkeit zu verdienen. Das geht hervor aus den Worten Augustins: Es werden ihnen nicht neue Verdienste bereitet, sondern nur die Folgen aus ihren vorhergehenden Verdiensten gezogen. Das geht auch hervor aus den Worten Gregors, der dafür anführt Joh. 12: Wandelt, dieweil ihr das Licht habt, und Jes. 49: Ich habe dich erhört zur gnädigen Zeit und habe dir am Tage des Heils geholfen, sowie Prediger Salomo 9: Alles, was dir vorhanden kommt zu tun, das tue frisch; denn in der Hölle, da du hinfährst, ist weder Werk, Kunst, Vernunft noch Weisheit; aus diesen Schriftstellen folgert der Kirchenvater: Aus diesen Sprüchen geht klar hervor, dass, wie einer hier abscheidet, so steht er auch vor dem Gericht. Hiernach helfen also die Heiligen im Läuterungszustand dem Menschen nach dem Maße, wie er es in diesem Leben verdient hat, denn hier ist allein der Ort des Verdienstes, wobei unter Verdienst die freiwillige Würdigmachung zur Seligkeit zu verstehen ist. -

Was nun das zweite betrifft, so ist vorauszuschicken, dass Christus unser Herr der Grund alles Verdienstes der Glieder der Kirche ist. Denn so sagt der Apostel: Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, des gelegt ist, welcher ist Jesus Christus. Damit meint der Apostel, dass allein Christus der Mensch ist, der grundlegend dem menschlichen Geschlecht die Seligkeit erwirbt, so, dass sie niemand sonst anders, als durch das Verdienst dieses Grundsteins erwerben kann. Von welcher Bedeutung also ist es, dass der Lebende in der Gnade stehe, denn so sich die Seligkeit selbst verdienend, vermehrt er das Verdienst der streitenden Kirche und in der Folge auch das Verdienst des zu Läuternden. Soviel ist klar: wer für die Abgeschiedenen opfern will, muss bei sich selbst ein gutes Leben beginnen, also, dass er auch selbst es sich verdiene, dass man in Zukunft einmal auch für ihn solche Opfer darbringen kann. So muss jeder auf Gottes Gnade nach Maßgabe des Verdienstes Christi und seines eignen vertrauen, denn niemand kann einem andern ein Verdienst erwerben, er habe es denn auch sich selbst erworben, und niemand soll auf das Opfer eines andern seine Hoffnung setzen, dass er dadurch nach dem Tode gereinigt werde, sondern soll selbst bei Lebzeiten so viel als möglich Verdienstliches tun. Aus den Worten Gregors: … (4. Dialog, letztes Kapitel) geht hervor, dass es sicherer ist, gut zu leben, als nach dem Tode von andern Befreiung zu erwarten.

Gehen wir zum dritten: welches sind die Suffragien für die Toten? Da antwortet uns Thomas, dass die Seelen der Abgeschiedenen auf vier Arten befreit werden. können: durch Messopfer der Priester, durch Almosen der Liebe, durch Bitten der Heiligen, durch Fasten der Angehörigen. Das nützt ihnen aber nach demselben Kirchenlehrer nicht zum Verdienen des ewigen Lebens, das müssen sie verdient haben bei Lebzeiten, sondern zur Milderung der Strafe, zur schnelleren Erlangung der Herrlichkeit.

Christenleute aber müssen wissen, dass es sich ziemt, Gott zu bitten, ob es ihm gefallen wolle, einer bestimmten Person zu helfen, für die wir aus Liebe bitten. Aber man hüte sich, dass es keine ungeordnete Liebe sei, und dass, unterstützt zugleich durch ein heiliges Leben, vor allem der ganzen Kirche zu dienen nicht vergessen werde. Dann darf man auch abwechseln und auch besonders für eine Person bitten, für die man aus Liebe bittet, dass die Liebe geschärft werde und man dann für die gesamte Kirche, die noch mehr geliebt werden muss, desto andächtiger bete. Denn eine solch allgemeine Fürbitte hat mehr Verdienstliches, und da sie aus einer höheren Art Liebe hervorgeht, hilft sie auch der Person, mit der der Bittende besonders verbunden ist, mehr aus dem Läuterungsort, wenn sie dort ist. Denn Gott verteilt das Verdienst des Gebets für die dort Leidenden nach dem Maße unter sie, wie sie bei ihrem Abscheiden mehr oder weniger in der Gnade stehend es mehr oder weniger verdient hatten. Fragst du aber, welches von den vier genannten das wirksamste Opfer für die Abgeschiedenen sei? so lautet die Antwort: die heilige Hostie, denn sie ist Christus. Dieser aber ist Grund und Verdienst, genügend, alle im Fegefeuer zu erlösen. Fragst du aber, was die beste Art ist, den Verstorbenen zu helfen von Seiten des helfenden Lebenden, so muss ich sagen: wenn man fromm lebt und mehr die Lebenden, die es bedürfen, unterstützt und so Werke der Barmherzigkeit sät, ebenso geistlicher als fleischlicher Art. Wer also dem Verstorbenen eine Wohltat erweisen will, der erwäge, was ihm selbst am heilsamsten, der Kirche am nützlichsten, Gotte am ehrenvollsten ist und das tue er für die Verstorbenen, das wird ihnen am meisten helfen. Ein Werk daher, das am meisten die streitende Kirche von Sünden reinigte und sie festmachte in den Geboten Gottes und entzündete in Liebe zu Gott, dieses Werk wäre es auch, das am meisten der schlafenden Kirche hülfe, weil die streitende Kirche also von Sünde gereinigt, im Gebot befestigt, in der Liebe Gottes entzündet, am meisten der schlafenden Kirche helfen könnte. Daher ist auch die Evangelisation, die die streitende Kirche also bereiten will, das beste Suffragium für die schlafende Kirche. Satan aber, der dies weiß, gibt sich alle Mühe, die Evangelisation auszurotten und, täuschend sowohl Priester als Laien, führt er sie beide in den Abgrund: die Kleriker zur Habsucht durch Verkauf von dreißig Messen als Requiem, und die Laien zu trügerischem Vertrauen auf dieselben und simonistischem Kauf. Denn man hat bereits für jene eine Tare, wie für Kühe, die verkauft werden. So sehr nämlich weiß der böse Feind der Seelen die Leute zu täuschen, dass sie den sichersten Weg zum Leben vergessen und sich auf Zweifelhaftes verlassen. Denn wer weiß nicht, dass der sicherste Weg zum ewigen Leben ist, zu leben, wie der Herr und die Apostel lehrten? Wer aber weiß, ob dreißig Messen jemanden aus dem Fegefeuer befreit haben?

Da kommen mir überhaupt Zweifel, warum wohl die Menschen der modernen Zeit so sehr auf Suffragien für die Toten bedacht sind, da doch in der ganzen heiligen Schrift der heilige Geist davon nichts ausdrücklich gelehrt hat, außer dem Buche der Makkabäer, das aber nicht dem bei den Juden gültigen Kanon des alten Testaments angehörte, woselbst erzählt wird (2. Makk. 12), dass der tapfere Judas eine Steuer von zweitausend Drachmen Silber zusammenlegen ließ und sie nach Jerusalem schickte, zu opfern für die Sünde der Erschlagenen, und es zum Schlusse also heißt: Eine gute und heilige Meinung also ist es, für die Toten zu bitten, dass ihnen die Sünde vergeben würde. Dann aber haben weder die Propheten, noch Christus mit seinen Aposteln, noch die Heiligen, die ihnen zunächst folgten, gelehrt, für die Toten zu beten, sondern sie lehrten eifrigst besorgt das Volk, dass, wer rein und heilig lebt, selig würde.

Der erste Grund, warum die Menschen so auf Totenopfer bedacht sind, scheint mir die Verführung der Priester zu sein, hervorgerufen durch die Habsucht, welche nicht Namens der Propheten, Christi und der Apostel das Volk sorgfältig lehren, fromm zu leben, sondern lehren, viel zu opfern, indem sie ihnen Hoffnung der Seligkeit und der schnelleren Befreiung aus dem Fegefeuer machen. Dafür führen sie unter vielen andern Lügen eine an, die sie dem heiligen Gregor unterschieben, der gesagt haben soll: O, welch wunderbares Geschenk der Barmherzigkeit Gottes, dass die Messe niemals gefeiert wird, ohne dass dabei zwei Werke getan werden: die Bekehrung eines Sünders und die Erlösung wenigstens einer Seele aus dem Fegefeuer. Das dies eine Lüge ist, lässt sich schon daraus nachweisen, dass es nirgends in einem Befehl Gottes seine Begründung hat. Zum zweiten aber, weil, als Christus beim Abendmahl den Jüngern seinen Leib im Sakrament spendete, er damals keine Seele aus dem Totenreich herausführte, obwohl er selbst der höchste Bischof ist, der die Messe einsetzte, ohne dessen Opfer es weder eine Bekehrung von Sünden, noch eine Befreiung aus dem Zwischenzustand gibt. Zum dritten lässt sich jenes als Lüge erweisen daraus, dass viele Priester nach Art des Judas Ischarioth Messen vollziehen, während sie mit dem Laster der Üppigkeit und der Habsucht behaftet sind, welche sich dann selbst das Gericht essen nach dem Wort des Apostels 1. Kor. 11: In sie fährt, wie in den Judas, der Satan, dass sie versteckte Verräter des Herrn sind. Wie will einer von ihnen erlangen, dass wenigstens ein Sünder bekehrt werde und wenigstens eine Seele von den Strafen des Fegefeuers befreit werde? Sie haben wider sich das Zeugnis des Herrn (Maleachi 1): „Ich habe keinem Gefallen an euch und das Speisopfer von euren Händen ist mir nicht angenehm“ und Jesaja 1: „Bringet nicht mehr Speisopfer so vergeblich!“ Wem willst du also glauben? Gott oder ihren Lügen? womit sie die Einfältigen betören und der Kirche schaden, sich selbst zur Verdammnis. Zum vierten wird jenes als Lüge nachgewiesen, da der Apostel Christi und so die ganze heilige Kirche jeden, der in Sünden steht, warnt, von dem Brote Christi zu essen und seinen Kelch zu trinken (1. Kor. 11). Solche Verräter sind es, die wiederum ihnen selbst den Sohn Gottes kreuzigen und für Spott halten nach dem Worte des Apostels Hebr. 6.

Der zweite Grund, weshalb die Menschen so auf zukünftige Exequien und Suffragien bedacht sind, ist der Menschen gottloses Leben. Wenn sie nämlich wie die Heiligen fromm lebten, brauchten sie dann keine Suffragien nach dem Tode; denn sie würden den Heiligen gleich sofort nach dem Tode ins Vaterland gelangen.

Der dritte Grund, der aus diesem folgt, ist der Zweifel. Denn deshalb zweifeln die Menschen, dass sie gleich nach dem Tode ins Vaterland eingehen würden, weil sie in diesem Leben schlecht leben. Die Heiligen aber hatten die Zuversicht, sofort selig zu werden, weil sie in dieser Welt ein heiliges Leben führten; daher fürchteten sie sich nicht zu sterben. Aber ach, nicht so wir, die wir das Leiden fürchten, uns zu bessern unterlassen, aus dieser Welt nicht scheiden mögen.

So fassen wir nach dem Gesagten zusammen, dass von den Exequien ausgeschlossen werden muss alles Überflüssige, wie eitles Rühmen, Habsucht des Klerus, überflüssige Sorge, allzugroßes Sichverlassen, trügerische Verführung und alle Todsünde bei den Opfernden; da alle ihre Messopfer, Almosen, Fasten und Beten, kurz, jede verdienstliche Handlung den Gliedern der schlafenden Kirche nur insoweit nützen, als sie es bei Lebzeiten in dieser Welt verdient haben. Und zwar nur um des Verdienstes unsers Herrn Jesu Christi willen, der aller Suffragien eigentlicher Grund ist. Amen.

1)
Begräbnisfeiern
2)
De morbo medicus gaudet, de morte sacerdos.
3)
Eine Vigil (von lateinisch vigilia ‚Nachtwache', griechisch pannychis), auch als Pluraletantum Vigilien gebraucht, ist eine nächtliche Gebetswache vor einem Fest des Kirchenjahres, die meist in Gemeinschaft gefeiert wird, oder vor einer Beerdigung.
4)
Dum moritur dives concurrunt undique cives. Pauperis ad funus vix currit clericus unus.
5)
Non melius poterit hominis caro viva domari, Mortua qualis erit quam semper praemeditari.
6)
Gebet zu den Heiligen um ihre Fürbitte
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