Hofacker, Wilhelm - Am Neujahr - Zweite Predigt

Hofacker, Wilhelm - Am Neujahr - Zweite Predigt

So hätten wir denn mit Gottes Hülfe das neue Jahr glücklich erreicht, und sind bereits an der Hand unseres himmlischen Führers über seine Schwelle in einen neuen Zeitabschnitt unserer irdischen Pilgrimschaft eingetreten. Ein Jahr schwerer Sorge, das wohl uns Allen ohne Zweifel in stetem Gedächtnis bleiben wird, liegt hinter uns, eine offenere, freiere, sorgenleichtere Bahn vor uns; uns aber ist gestattet, mit unserem Lebensschifflein auf der erreichten Station einige Augenblicke still zu halten, auf der Rhede dieses neuen Jahrs Anker zu werfen und auf die zurückgelegte Bahn einen prüfenden Rückblick zu thun. Sie gehen noch einmal an uns vorüber, die mancherlei Klippen und Gefahren, durch die die sichere Hand unseres guten Gottes uns hindurchgesteuert, wir überzählen die gnädigen und mächtigen Durchhülfen, die Gott im Einzelnen und im Ganzen uns hat zu Theil werden lassen, wir gedenken unserer vielen Sünden und Versäumnisse, mit denen wir unser großes Schuld-Register noch weiter belastet haben und was anders kann von solcher prüfenden Umschau das nothwendige Ergebniß seyn, als stille, demüthige Beugung vor dem HErrn, der nicht mit uns gehandelt nach unfern Uebertretungen, sondern seine Gerichte mit Maßen geschärft, und seine Langmuth, Treue und Barmherzigkeit auf's Neue in unzähligen Proben an uns verherrlicht hat.

Ehe wir deßwegen daran denken, die Anker wieder zu lichten und unter dem Schild und Schirm des rechten Steuermanns der in so dichte Nebel gehüllten Zukunft entgegenzuschiffen, muß es unsere erste und heiligste Pflicht seyn. Dank zu sagen dem dreieinigen Gott für alle Huld und Gnade, die er an uns gewendet und durch die er neue sprechende Denkmale seiner helfenden, segnenden, rettenden Liebe in jedem Haus und in jedem Menschenleben unter uns aufgerichtet hat. Haben dieser Pflicht auch Tausende in unserer Stadt in dieser Nacht und am heutigen Morgen mit schnödem Undank vergessen, so daß der HErr mit vollkommenstem Rechte jene beschämende vorwurfsvolle Frage auch über sie laut werden lassen kann: wo sind aber die nenne? - so wollen wir wenigstens nicht zu diesen Undankbaren gehören, sondern dem Psalmisten nachfolgen, der da spricht: wie soll ich dem HErrn vergelten alle seine Wohlthat, die er an mir thut? Ich will den heilsamen Kelch nehmen und des HErrn Namen predigen. Ich will dem HErrn mein Gelübde bezahlen vor allem seinem Volk. (Psalm 116, 12-14.) Das Lobopfer unserer Lippen wird er nicht verschmähen; denn wer Dank opfert, der preiset Gott, und das ist der Weg, darauf er ihm zeiget sein Heil (Psalm 50, 23.). Wir stimmen mit einander an den zwölften Vers des 5. Liedes:

Vater, Du hast mir erzeiget
Lauter Gnad und Gütigkeit;
Und Du hast zu mir geneiget,
Jesu, Deine Freundlichkeit;
Und durch Dich, o Geist der Gnaden,
Werd' ich stets noch eingeladen.
Tausend, tausendmal sei Dir,
Großer König, Dank dafür!

Text: Jes. 9, 6.
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter; und er heißt Wunderbar, Rath, Kraft, Held, Ewig-Vater, Friedefürst.

Vor einigen Jahren lasen wir in öffentlichen Blättern, daß die Abgeordneten Frankreichs in einer Glückwunschsadresse an ihren König folgende Worte aussprachen: „Sire, vertrauen Sie Ihrem Sterne, wie wir vertrauen auf die beständige Dauer Ihrer Dynastie!.“ - Das war ihre Anrede, und damit lieferten sie einen neuen Beitrag zu der erlogenen Sprache des Unglaubens, wie er sich im öffentlichen Staatsleben im Laufe des aufgeklärten 19ten Jahrhunderts ausgebildet hat. In der That, man traut seinen Ohren kaum, wenn man hört, daß die Vertreter eines christlichen Landes ihrem Könige, der von Alters her den Titel des allerchristlichsten zu führen hat, den chaldäisch heidnischen Rath geben, seinem Stern zu vertrauen, während sie in erheuchelter Devotion auf die beständige Dauer seiner Dynastie vertrauen zu wollen vorgeben. Anstatt sich an den König aller Könige zu wenden und ihm die Ehre zu geben und seinem Gesalbten Jesu Christo, dem HErrn, der doch der einzige vertrauenswerthe Schild christlicher Könige und ihrer Königreiche auf Erden ist, faselt man in lächerlicher Gespreiztheit von einem unbekannten Schicksalsstern ^ der die Geschicke der Könige und der Reiche lenke und dem man vertrauen müsse. Und woher kommen solche verschrobene heidnische Ausdrücke? man nimmt zu ihnen seine Zuflucht, nur um den Namen dessen nicht in den Mund nehmen zu müssen, durch den allein die Könige dieser Erde regieren und von dem sie ihre Herrschaft zu Lehen tragen und der deßwegen auch einst Könige und Völker vor seinen Richterstuhl stellen und den Erdkreis richten wird mit Gerechtigkeit. -

Meine Lieben, wir stehen am Anfang eines neuen Jahrs; auch die Klügsten und Fernsichtigsten wissen nicht, was es in seinem dunkeln Schoos bergen wird. So viel aber können auch die blödesten Augen wahrnehmen, daß des Zündstoffes, der uns beunruhigen könnte, allenthalben viel aufgehäuft ist; so viele Fragen drängen einer Lösung entgegen, und auf die gewöhnlichen Stützen, auf die wir uns bisher lehnen zu dürfen geglaubt haben, ist kein rechter Verlaß mehr. Worauf sollen wir unter diesen Umständen beim Eintritt in einen neuen Zeitabschnitt vertrauen? auf unfern eigenen Stern, auf den Stern des Glücks? oder auf den Stern unserer Fürsten? oder auf den Stern Württembergs, Deutschlands, Europa's? oder auf den Stern des 19ten Jahrhunderts? oder auf den Stern der Geschichte, auf den Stern des menschlichen Geistes? Wer nach Strohhalmen greifen, am Nichtigen halten will, der mag's thun, wer aber etwas Zuverlässiges, etwas Festes, Unumstößliches erwählen will, der muß nach einem andern Sterne sich umsehen, dem er sein volles, sein ganzes Vertrauen schenken kann, ohne eine späte Reue und Beschämung befürchten zu müssen. Und gottlob, wir haben einen andern Stern, einen zuverlässigen Stern, - den hellen Morgenstern, der gestern und heute und derselbe ist in Ewigkeit.

Das ist der Stern, von dem jenes schöne Neujahrslied singt, wenn es also anhebt:

Steig' auf mit Gott, du junges Jahr,
Mit deinen Sternen, mild und klar,
Steig' auf am Himmelsbogen!
Aus deiner Lichter hellem Chor
Tritt schon ein Morgenstern hervor,
Der oft mein Herz gezogen.
Christus Jesus,
Stern der Sterne,
Nah und ferne,
Licht vom Morgen,
Ja Du bleibest nicht verborgen!

Diesem Stern wollen wir vertrauen, dann sind wir mit Leib und Seele, mit unserem Ausgang und Eingang, im Leben und im Sterben wohl geborgen, und auch das neue Jahr, mag es uns bringen, was es will, muß für uns ein Jahr des Heils und der Gnade, des Friedens und des Segens werden für die Zeit und Ewigkeit.

Um uns in diesem heiligen Entschlusse zu bestärken, könnte unser, heutiger prophetischer Text nicht passender gewählt seyn. Er weist uns auf den ewigen Gnadenstern, der schon den Vätern des alten Bundes in der Nacht des Gesetzes vorgeleuchtet hat, und der nun, seitdem er als der Aufgang aus der Höhe uns erschienen ist, einen hellen Schein auch in unsere Herzen gesendet hat, so daß auch wir mit Freudenpsalmen frohlocken können und in einem viel höheren Sinne als Jesaias sprechen: „Ein Kind ist uns geboren, ein Sohn ist uns gegeben, welches Herrschaft ist auf seiner Schulter, und er heißet Wunderbar und Rath und Kraft und Held und Ewig-Vater und Friedefürst,“ oder wie es dem hebräischen Grundtext nach wortgetreuer lauten sollte: Wunderrath, und Gott-Held, und Ewig-Vater, und Friedefürst.

Der Gegenstand unserer Betrachtung sei, nach Anleitung unserer Epistel:

Christus, der helle Morgenstern, als der Erste und Letzte, auf den wir vertrauen sollen auf dem dunkeln Pfad unsrer Pilgrimschaft.

I.

Unter den bedeutungsvollen Namen, die der Prophet in weissagender Fernsicht dem göttlichen Kinde, das er pries, dem heiligen Königssohne, auf dessen Schultern die Herrschaft liegen werde, zuschreibt, steht Wunderbar und Rath, oder, nach dem Grundtexte, „Wunderrath,“ oben an. Er will damit diejenige Eigenschaft des kommenden Messias bezeichnen, kraft der er nicht nur den Rath Gottes zu unserer Errettung und Seligkeit auf dem wunderbaren Wege seiner Erniedrigung und Knechtsgestalt ausführen werde zum Sieg, sondern auch als König seines Reiches selbst da, wo menschlicher Rath zerronnen und versiegen gegangen sei, auf wunderbaren, außerordentlichen Wegen Rath und Hilfe schaffen und durch die augenscheinlichsten Machtbeweise die Wahrheit jenes Prophetenworts bekräftigen werde: Des HErrn Rath ist wunderbar, aber er führet Alles herrlich hinaus. (Jes. 28, 29).

In dieser Eigenschaft aber ist uns der Name Jesu Christi am Portal dieses neuen Jahrs, namentlich beim Blick auf die gegenwärtige Zeit und Welt, doppelt willkommen. Denn man braucht weder ein besonders kluger Staatsmann, noch ein besonders unterrichteter Geschichtskenner zu seyn, um hinlänglichen Grund für die gewiß nicht übertriebene Behauptung angeben zu können, daß der Ernst unserer Zeit groß, die Schwierigkeiten unserer bürgerlichen Verhältnisse manchfaltig, und der wichtigen, tiefeingreifenden Fragen nicht wenige sind. Die Ueberschuldung unserer Staaten, die nach dreiunddreißig Friedensjahren mit größeren finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, als im Jahr 18 l 5 nach der langen und schweren Kriegszeit; der schon längere Zeit andauernde gedrückte Geldmarkt, der hemmend und lähmend der freien Bewegung des Verkehrs entgegentritt und den Sturz sonst bedeutender Geldmächte herbeiführt, in welchen dann unzählige andere mit hineingezogen und drunter begraben werden; die immer mehr fortschreitende Verarmung des Mittelstandes und der kleineren Gewerbe, die trotz aller Gegenanstrengungen mit einem immer kümmerlicheren Daseyn ringen, die tiefen Wunden, welche die letzten Jahre der Theurung und des Mangels dem Nationalwohlstand geschlagen haben und die noch lange nachbluten werden; der Geist der Unzufriedenheit, des Mißmuths, des Ungehorsams, der Auflehnung, des Trotzes, ja sogar der frechen Empörung, der göttliche und menschliche Majestäten zu lästern sich nicht entblödet, und unter denen, die nichts zu verlieren, wohl aber viel zu gewinnen haben und darum mit den Besitzenden gerne theilen möchten, eine immer breitere Grundlage zu gewinnen fortfährt; endlich das bei allen Nachdenkenden immer mehr überhandnehmende Gefühl einer Unsicherheit und Unbehaglichkeit, die mit steigender Aengstlichkeit wartet auf die Dinge, die da kommen sollen, - alles das zusammen genommen stellt uns an dieser Gränzscheide zweier Jahre ein ziemlich dunkles Rundgemälde der Zeit dar, und wir haben alle Ursache in das Hillersche Lied einzustimmen:

Jetzt ist böse Zeit,
Und der Christ im Streit'.

An Leuten, die der verzweifelt bösen Zeit rathen und helfen wollen, fehlt es zwar in dieser Zeit keineswegs. Der Rathenden und Räthe sind es vielmehr in unsern Staaten außerordentlich viele. Man hat für Alles Räthe, Kanzleiräthe, Regierungsräthe, Rechnungsräthe, Kirchenräthe, Kriegsräthe, Staatsräte, Geheimeräthe, und mehr als genug wird von ihnen berathen und gerathen, geschrieben und gesandelt, normirt und rescribirt. Und wie viele andere, oft recht unberufene Rathgeber, die die Schäden der Zeit heilen zu können meinen, liegen ihnen in den Ohren, drängen sich ihnen auf, kläffen ihnen nach. Man kann ja kein Zeitungsblatt in die Hand nehmen, ohne daß man Rath über Rath für unsere kranke Zeit zu lesen bekäme.

Jeder glaubt zum Heilkünstler berufen zu seyn, um an ihr wenigstens sein Glück noch versuchen zu können. Ja gerade wer zu Nichts mehr taugt, will noch an der todtkranken Zeit zum Heilkünstler, zum Glücksritter werden, obgleich schon so viele Aerzte darüber zu Grunde gingen. Die Einsichtigen aber gestehen sich's im Stillen, daß schwer zu rathen und noch schwerer zu helfen ist, und daß es wohl keine Zeit gegeben hat, wo der Menschenwitz und die menschliche Weisheit größere Veranlassung gehabt hätte, die Segel zu streichen, ihre Unmacht einzugestehen und Buße zu thun, als eben die unsrige. Aber wo wird in unseren Tagen eine derartige Sprache der Demuth, der Beugung gehört? Wo hört man davon sprechen, daß es die Hand des HErrn ist, die also schwer auf uns lastet? Wo wird in die eigene Brust gegriffen, um da die Schuld zu suchen? Wo findet sich in unsern öffentlichen Zuständen eine Umkehr von dem verkehrten Wege, von den menschlichen Heilkünstlern, die sich aufgeworfen haben, denen man sich zinsbar gemacht, - zu dem großen allmächtigen Arzt, der in seinem Namensverzeichniß mit göttlichem Fug und Recht den Namen „Wunderrath“ führt, und der dem verzweifelt bösen Schaden unserer Zeit, wenn man Ihn beriefe in glaubensvoller Buße, ohne alle Widerrede gewachsen wäre? Hat Er Rath zu finden gewußt, das durch die List Satans in's tiefste Sündenverderben gestürzte Geschlecht Adams wieder zum göttlichen Ebenbilde zurückzuführen, hat Er Rath zu finden gewußt, um sein Volk Israel zu bewahren und zu leiten mitten unter der verderbten und mächtigen Heidenwelt, - hat Er sogar den Himmel zerrissen und ist hinabgefahren in die untersten Oerter, um seine Erlösten als eine Siegesbeute dem Satan zu entreißen und heimzubringen, - hat Er da Rath zu finden gewußt: nun so wird auch jetzt noch sein Arm nicht verkürzt seyn, die Quelle des Verderbens zu verstopfen, die geschlagenen Wunden zu heilen. Aber siehe da! man will nichts von Ihm, man spricht nicht von Ihm, man nimmt seinen Namen nicht in den Mund. Oder gibt es wohl auch seit Jahren irgend einen Regierungserlaß, in dem sein Name genannt worden wäre? hört man auch irgend ein Bekenntniß von diesem unserm König und HErrn in einer Landtagsversammlung? Ist's nicht gerade, wie wenn wir Chinesen oder Muhamedaner wären? - und warum ist's so still von ihm? Er aber spricht: „Wer Mich verachtet, der verachtet den, der Mich gesandt hat“ (Luk. 10,16.), „Wer sich mein und meiner Worte schämet, deß wird sich des Menschen Sohn auch schämen, wenn Er kommen wird in seiner Herrlichkeit und seines Vaters mit den heiligen Engeln“ (Luk. 9, 26. Mark. 8, 38.). Deßwegen bleibt es beim alten Satz:

Verachtet man Gottes ein'gen Sohn,
So ist es ja der verdiente Lohn,
Daß man unter'm Fluche muß liegen bleiben;
Denn denen nur, die an Jesum gläuben,
Ist Heil bereit.

II.

Der zweite Name, den der Prophet dem ihm im Gesicht gezeigten Wunderkinde ertheilt, ist: Kraft und Held, oder in Einen Namen vereinigt: „Starker Held, Kraftheld, Gottheld.“ Er will ihn damit nicht nur als denjenigen bezeichnen, der mit göttlicher Kraft in dem ihm vom Vater verordneten Kampf den Sieg erringen, Sünde, Welt, Tod, Teufel und Hölle in jenem Riesenkampfe bewältigen, sondern es auch am Ende dahin bringen werde, daß man alle seine Feinde zum Schemel seiner Füße liegen sieht. Dieser Beiname hat einen kriegerischen Ton, und schon deßwegen muß er uns am Portal dieses Jahrs beim Blick auf die Kämpfe, die auf dem Gebiet des Glaubens und der Kirche entzündet sind, doppelt willkommen seyn.

Die Kirche unserer Tage bietet den gewiß sehr unerfreulichen Anblick eines in sich gespaltenen Heerlagers dar, in dessen Mitte ein heftiger und heißer Kampf sich entsponnen hat, von dem noch gar nicht abzusehen ist, wie er enden wird. Licht und Finsterniß, Lüge und Wahrheit, Bibelglaube und Vernunftglaube, Christusbekenntniß und Christusleugnerei, Gottesanbetung und Menschenvergötterung stehen einander in Reih und Glied feindlich gegenüber, und kein Mensch weiß, ob und wie bald die innere Spaltung auch zu einer äußern durchreißt, ob und wie bald der Riß, der in der Glaubenswelt entstanden ist, zu Kämpfen und Reibungen fortschreitet, deren Ende und Charakter gar nicht abzusehen ist. An der Frechheit aber, mit der jetzt an den alten, ehrwürdigen Bekenntnissen der Christenheit und des Evangeliums gerüttelt wird, an der Gehässigkeit, mit der man alle diejenigen, die nicht auch mitschreien: „Groß ist die Diana der Epheser!“ (Ap. Gesch. 19,34) beurtheilt und behandelt, an der Zuversichtlichkeit, an der Keckheit, mit der ohne Scheu antichristliche Ideen unter das Volk geworfen werden und mit der man sich für solche Ansichten auf die Massen beruft, an den Waffen des Hohns und des Spottes, mit denen das Hehrste und Heiligste, das die Christenheit hat, in den Koth heruntergezogen wird, kann man abnehmen, daß der Satan einen großen Zorn hat, und daß die Feinde der evangelischen Wahrheit gar nicht Willens sind, das Feld ohne Schwertstreich zu räumen, ja bereits von Siegeshoffnungen trunken sind. An der Säuberlichkeit aber, mit der man gegen das kirchenräuberische und kirchenschänderische Gesindel in unfern Tagen hie und da verfährt, an der feigen Bekenntnißlosigkeit so vieler unter denjenigen, die die Verpflichtung hätten, unter einem ehebrecherischen Geschlecht vor den Riß zu treten, an der Getheiltheit in Glauben und Gesinnung bei denen, die sich noch zum Worte der Wahrheit halten, und bei denen es oft Mühe braucht, nur zehn oder zwanzig unter Einen Hut und zu Einem Entschlusse zu bringen: an all dem kann man abnehmen, daß der Zeug Israels in der That und Wahrheit in vielfacher Hinsicht schlecht bestellt, und die Hoffnung, daß uns der Sieg zufallen werde, eine nicht im mindesten gesicherte ist. Der HErr hat zwar überall Zeugen der Wahrheit erweckt, und wenn es einmal zur Entscheidung kommen und nur Eine Wahl gelassen werden wird, werden manche, die jetzt unentschieden hin und her schwanken, zu einer heilsamen Entschiedenheit geführt, und den Spruch Christi, um den sie gegenwärtig noch herumzuschleichen suchen, - den Spruch, „wer nicht für mich ist, der ist wider mich“ - thatsächlich in Uebung zu bringen gezwungen werden. Im Ganzen aber genommen ist und bleibt die Heerde Christi eine kleine wehrlose Heerde, und das eben ist's, was ihre Feinde und Widersacher so frech und zuversichtlich und so siegsgewiß macht. Auf was soll da die Kirche Christi vertrauen? Auf die Fürsten und Gewaltigen, die der HErr ihr zu Schirmvögten verliehen hat? „Verlasset euch nicht auf Fürsten, sie sind Menschen, die können ja nicht helfen“ (Psalm 146, 3.). Oder soll die Kirche sich verlassen auf Dokumente und Siegel, auf beschworene Staatsverträge und Verfassungen, wenn diese etwa sagen: „die christlichen Kirchen sind anerkannte Religionsgesellschaften“? Ach wie leicht nimmt man es, wenn die Zeiten sich ändern, auch die Verfassung abzuändern oder wenigstens ihre Paragraphen umzudeuten oder, wie man es nennt, zeitgemäß auszulegen? Oder sollen wir vertrauen auf die gepriesene Toleranz des Zeitgeistes und auf die schöne Rede von Religions- und Gewissensfreiheit, welche die Freunde des Fortschritts im Munde führen? Man schützt diese Freiheit nur, so lange man sie für sich selbst in Anspruch nimmt. Die französische Revolution vor fünfzig Jahren, und erst neuerlich das Waadtland kann einem jeden darüber die Augen öffnen, wie tolerant der ungläubige Zeitgeist ist, wenn es an ihm wäre, an einem Bekenntniß der evangelischen Kirche Duldung zu üben. Nein, nein! bei den Fürstenthronen und bei den Pergamenten des Reichsarchivs und in den erlogenen Redensarten der radikalen Zeitblätter sind unsere Stützen nicht zu suchen.

Wohin wollen wir denn mit unserm Vertrauen gehen? Allein zu dem Einen, der Gottheld heißt, - zu dem, der die Bürgschaft uns in die Hand gibt, daß Er es gewinnen werde; denn Er hat schon Alles überwunden, dort auf Golgatha, und nun lebet und herrschet Er. Wenn etwas wahr ist, so ist gewiß dieses wahr: Er wird's gewinnen. Ob wir's gewinnen werden, ist freilich eine andere Frage. So habens auch die Christen in den ersten drei Jahrhunderten nicht gewonnen: aber Er, unser Held, der gekreuzigte Jesus, welcher nach seiner Auferstehung durch den Dienst der Apostel einhergegangen ist, hat ohne Schwertstreich die vieltausendjährige griechische und römische Heidenwelt sich zu Füßen gelegt. Ebenso vor 300 Jahren, als das Wort unter den Fesseln des Papstthums lag, hat Christus es gewonnen und die Zwingherrschaft gebrochen. Und Er ist auch jetzt stark genug, es zu gewinnen; dafür haben wir das Ehrenwort des lebendigen Gottes, der da spricht: „Ich schwöre bei mir selbst, und ein Wort der Gerechtigkeit gehet aus meinem Munde: mir sollen sich alle Kniee beugen, und alle Zungen sollen bekennen, daß Ich der HErr bin“ (Jes. 45, 23. Phil. 2, lt.). Darum sind wir getrost: Unser HErr gewinnt's; er steht als der Letzte auf dem Plan, als das A und O, der Anfang und das Ende, der Erste und der Letzte (Offenb. Joh. 22,13.); denn er heißt Gottheld!

III.

Der dritte Name des göttlichen Kindes, das der Prophet Preist, ist das schöne Wort: „Ewig-Vater.“ - Wie es von Alters her der höchste Ruhm der Könige war, Väter ihrer Völker, Versorger ihrer Unterthanen genannt zu werden, und mit väterlicher Treue das Wohl derselben auf dem Herzen zu tragen, so sieht der Prophet auch an der Stirne des Königs, den er seinem Volke ankündigt, den hellen Namen: „Vater seines Volkes,“ glänzen, aber auch, weil sein Königreich von ewiger und unvergänglicher Dauer ist, zu der unerreichbaren Höhe: „Ewig-Vater“ hinaufgehoben. Und auch dieser Name, wann könnte er uns wohl willkommener, wann anbetungswürdiger seyn, als eben beim Beginn eines neuen Jahres, wenn wir Umblick halten über uns und unsere Familien, über die Er ein solcher Vater seyn will, wenn wir zurückblicken auf den Abschnitt der Vergangenheit, den wir unter seinem Walten wieder durchlebt haben?

Ein jeder Jahreswechsel bringt uns unsere Verwaisung und die fortschreitende Vereinsamung und die Lücken zum Bewußtseyn, die durch den Tod in unseren Reihen und Häusern gemacht werden. Da sind Eltern, die den Tod ihrer Lieblinge, da sind Ehegatten, die den Hingang ihrer theuersten Lebensgefährten beklagen; da sind Kinder, die ihre Versorger, da sind Freunde und Verwandte, die ihre nahen Angehörigen verloren haben; und was ist das Grundgefühl bei Allen? es muß ein unnennbares Gefühl der Verwaisung seyn. Mit was aber sollen wir dieses Gefühl uns erträglich machen? Sollen wir uns zerstreuen nach Welt Art? sollen wir dem trostlosen Rath Gehör geben: solche Wunden muß die Zeit heilen? oder sollen wir die Schicksalsmächte anklagen, die unser schönstes Erdenglück zerknickt haben? sollen wir denen folgen, die da sprechen: du mußt dich eben dem allgemeinen Schicksal unterwerfen? Welch armselige Rathschläge! Das wäre noch viel schlimmer als dasjenige selbst, wofür wir Hilfe und Linderung suchen. Etwas ganz Anderes bietet uns der, der da heißet Ewig-Vater. Zu Ihm eilet! Wie Er einst zu seinen Jüngern gesprochen hat, so tritt er auch bei uns mit seinen Friedens- und Trostgründen hervor und spricht: „Ich will euch nicht Waisen lassen, Ich komme zu euch“ (Joh. 14, 18.). Er tritt heute mit heiligem Ernste belehrend zu diesem oder jenem unter uns und spricht: Diese Stützen, diese Lieblinge habe ich dir genommen, damit ich der einzige feste Halt deiner Seele werden könne. Er richtet auf in der Trauer für die Abgeschiedenen und spricht: Selig sind die Todten, die in dem HErrn sterben (Offenb. Joh. 14, 13.). Du aber eile und errette deine Seele; bedenke, daß auch deine Tage gezählt sind; eile darum, deinen Beruf und deine Erwählung fest zu machen, damit du nicht zu Schanden werdest am Tage seiner Zukunft. Und wenn wir ferner hineinblicken in die fortwährenden vielerlei Sorgen und Fragen des häuslichen Lebens, wo so mancher Stein uns im Wege liegt, den wir nicht wegräumen können: so tritt uns auch da der Ewig-Vater entgegen, dem wir Alles sagen, Alles klagen dürfen. Ja Er tritt ein für alle unsere Sorgen; auch unsere äußeren Bedürfnisse lassen Ihn nicht unbekümmert, wie Er einst nach der Auferstehung seine Jünger fragte: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ (Joh. 21, 5.) und ihnen dann reichliche Nahrung wunderbar zukommen ließ. Er ist ein treuer Freund, dem auch die kleinste Sorge nicht gleichgültig ist, und zu dem wir mit jedem Gemüthsbrast kommen dürfen, mit allen Fragen, die wir nicht lösen können, - und zwar ein Freund, der nicht müde wird, wie irdische Freunde, sondern zu dem wir alle Tage in jeder Stunde Zutritt haben. Er hat verborgene Gnadenkräfte, - allgenugsame Lebenskraft, - Rath und Hilfe genug für alle unsere Lagen; denn Er heißt Ewig-Vater.'

IV.

Der vierte Name, endlich, welchen das Kind in der Krippe zu Bethlehem vom Propheten erhält, ist „Friedefürst.“ Hiemit preist ihn der Prophet als den, der, nachdem er über Sünde, Tod und Hölle den Sieg gewonnen, ein ewiges Friedensreich aufrichten und darin als ewiger Hohepriester, als himmlischer Melchisedek, Gerechtigkeit und Frieden austheilen werde.

Ein heiliges Bedürfniß nach Frieden meldet sich bei uns an gerade am Scheidepunkte der Zeiten, ein Bedürfniß nach Frieden, welchen wir in uns selbst nicht finden. Die Flucht unserer Tage, die Hinfälligkeit alles Irdischen sagt uns, daß wir etwas Bleibendes, ein unvergängliches, wahres Gut haben müssen; und zugleich sagt uns der Rückblick auf unsere Versäumnisse, auf unsere Sünden, daß wir wirklich in uns von Natur keinen Frieden haben, und daß wir erst noch einen Friedensbalsam bedürfen, der die Wunden des Gewissens heilt, - jenen Frieden nämlich, von dem der Apostel sagt, daß er höher sei denn alle Vernunft (Phil. 4, 7.). O es ist etwas darum, Frieden zu haben in dieser friedelosen Zeit, - den Frieden, der durch nichts, durch keine Gewalt, soll von uns genommen werden. Wo aber ist dieser Friede zu finden? Ihr findet dieses Kleinod nirgends als bei dem HErrn selbst. Steiget hinab in die tiefsten Schachte der Erde, wo der Kleinodien so viele liegen; klopfet an die hohen Thüren, an Paläste und Königsschlösser: diesen Frieden werdet ihr dort nicht finden. Suchet ihn in den Tiefen der Wissenschaft, auf den Höhen der Kunst und Poesie: sie können ihn euch auch nicht geben. Dieser Friede ist ein Monopol des ewigen Friedefürsten, der zwischen Gott und den Menschen Frieden gemacht hat, des Heilandes, der den Frieden errungen hat in heißem Streit, der mit seiner Siegesfahne über dem Grabe steht und zu seinen Jüngern spricht: „Den Frieden lasse ich euch, meinen Frieden gebe ich euch, nicht gebe ich euch wie die Welt gibt; euer Herz erschrecke- nicht und fürchte sich nicht“ (Joh. 14,27.) O Heil uns, daß wir diesen Friedefürsten anbeten, daß wir dieses Friedensscepter küssen dürfen. Er wolle seinen Frieden auch uns Allen schenken nach seiner überschwenglichen Gnade.

Friede, ach Friede, ach göttlicher Friede!
Vom Vater durch Christum im heiligen Geist,
Welcher der Frommen Herz, Sinn und Gemüthe
In Christo zum ewigen Leben aufschleußt!
Den sollen die gläubigen Seelen erlangen,
Die alles verleugnen und Christo anhangen.

Amen.

Cookies helfen bei der Bereitstellung von Inhalten. Diese Website verwendet Cookies. Mit der Nutzung der Website erklären Sie sich damit einverstanden, dass Cookies auf Ihrem Computer gespeichert werden. Außerdem bestätigen Sie, dass Sie unsere Datenschutzerklärung gelesen und verstanden haben. Wenn Sie nicht einverstanden sind, verlassen Sie die Website.Weitere Information
autoren/h/hofacker_w/hofacker_w_neujahr2.txt · Zuletzt geändert: von 127.0.0.1
Public Domain Falls nicht anders bezeichnet, ist der Inhalt dieses Wikis unter der folgenden Lizenz veröffentlicht: Public Domain