Hofacker, Wilhelm - Am Sonntag Lätare.
Text: Joh. 6 57-69.
Wie Mich gesandt hat der lebendige Vater, und Ich lebe um des Vaters willen; also wer Mich isset, derselbige wird auch leben um Meinetwillen. Dieß ist das Brod, das vom Himmel gekommen ist, nicht wie eure Väter haben Manna gegessen und sind gestorben. Wer dieß Brod isset, der wird leben in Ewigkeit. Solches sagte Er in der Schule, da Er lehrete, zu, Kapernaum. Viele nun Seiner Jünger, die das höreten, sprachen: Das ist eine harte Rede, wer kann sie hören? Da JEsus aber bei sich selbst merkete, daß Seine Jünger darüber murreten, sprach Er zu ihnen: Aergert euch das? Wie, wenn ihr denn sehen werdet des Menschen Sohn auffahren dahin, da Er zuvor war? Der Geist ist es, der da lebendig macht; das Fleisch ist kein nütze. Die Worte, die Ich rede, die sind Geist und sind Leben. Aber es sind Etliche hinter euch, die glauben nicht. Denn JEsus wußte von Anfang wohl, welche nicht glaubend waren und welcher Ihn verrathen würde. Und Er sprach: darum habe ich euch gesagt: Niemand kann zu Mir kommen, es sei ihm denn von Meinem Vater gegeben. Von dem an giengen Seiner Jünger Viele hinter sich und wandelten hinfort nicht mehr mit Ihm. Da sprach JEsus zu den Zwölfen: Wollt ihr auch weggehen? Da antwortete Ihm Simon Petrus: HErr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, daß Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.
Die auf dem Felsen sind die, wenn sie es hören, nehmen sie das Wort mit Freuden an; und die haben nicht Wurzel, eine Zeitlang glauben sie, und zu der Zeit der Anfechtung fallen sie ab, - so redet der Mund der Wahrheit selber, und heute in unserem Evangelium ist diese Schrift erfüllet. Viele von denen, die dem HErrn Jesu nachgezogen waren, ja sogar Viele von denen, die sich in Seine Nachfolge begeben hatten, also daß sie Johannes „Jünger“ nennen konnte, giengen hinter sich, und wandelten hinfort nicht mehr mit Ihm. Sie hatten sich gestoßen am Stein des Aergernisses und am Glauben Schiffbruch gelitten, und sind gezogen ihre alte vorige Straße und haben zurückgelenkt zum vorigen Wandel nach väterlicher Weise. Von den vielen Hunderten, die Ihn umgeben hatten, von der großen Menge, die Ihn überall aufgesucht und mit Bewunderung und Begeisterung begleitet hatte, waren dann nur etliche Wenige noch übrig, die getreu bei Ihm verharrten, die, wenn auch Alles Ihn verließ, Ihn doch nicht verlassen wollten, sondern, je mehr sich die Reihen lichteten, nur um so gläubiger sich an Ihn schmiegten, und mit einem Petrus in das große Huldigungs-Wort einstimmten: HErr! wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, daß Du bist Christus, der Sohn, des lebendigen Gottes. Was dort in Kapernaum geschah in der Schule, da Er lehrete, das hat sich seit achtzehn Jahrhunderten schon unzählige Male im Großen und Kleinen wiederholt. Schon oft wurde vom großen Worfler die Tenne gefegt und der Walzen gesondert von der Spreu, also, daß das Häuflein der Gläubigen zusammenschmolz, und die falschen Brüder offenbar wurden. Und auch in jedem einzelnen Christenleben gibt's besondere Zeiten der Anfechtung, wo es zur Entscheidung kommt, was lauteres Gold des Glaubens ist, und was nur schimmernde Schlacken sind ohne Gehalt und Währung. Denn es muß durch's Feuer bewähret werden, welcherlei eines Jeden Werk sei. Die größte Sichtung steht aber noch bevor, wenn die Stunde der Versuchung kommen wird über den ganzen Erdkreis. Da werden die vielen Blüthen, die ein günstiger Frühling am Lebensbaume, Christus, hervorgelockt hat, geschüttelt werden von einem gewaltigen Sturmwind, der verheerend und verwüstend durch die Welt ziehen wird, und dann werden nur die beharren, die frischen Saft und wahres Leben haben vom Holz des Lebens und eingesenkt sind durch Glauben und durch Liebe in den unvergänglichen Stamm. O daß dann unter uns sich Keiner finden möchte, der hinter sich geht und hinfort nicht mehr Ihm nachwandelt, sondern wir Alle unter der Fahne Dessen stehen möchten, der die Seinigen durch Kampf zum Sieg und durch Tod zum Leben führet! Unser heutiges Evangelium sei uns Warnung und Ermunterung. Wir betrachten die erste Sichtung der Kirche Christi auf Erden.
Wir lenken unsere Aufmerksamkeit
- auf die Vielen, die in derselben um der Worte Christi willen hinter sich giengen, und
- auf die wenigen Getreuen, die in der Sichtung bestanden, und bei Ihm beharrten.
JEsu! stärke Deine Kinder,
Und mach' aus ihnen Ueberwinder,
Die Du erkauft mit Deinem Blut.
Schaff' in uns ein neues Leben,
Daß wir uns bald zu Dir erheben,
Wenn uns entfallen will der Muth.
Geuß' aus auf uns den Geist,
Dadurch die Liebe fleußt
In die Herzen; so halten wir,
Getreu an Dir
Im Tod und Leben, für und für.
Amen.
I.
Es scheint auf den ersten Anblick unbegreiflich, daß das, was der Heiland in unserem heutigen Evangelium in der Schule zu Kapernaum geredet hat, einen so entscheidenden Einfluß auf die Gemüther Seiner Zuhörer ausgeübt, und eine so gewaltige Sichtung unter ihnen hervorgebracht haben soll. Es scheint auf den ersten Anblick unbegreiflich, daß Viele murren konnten über Seine Rede, als eine „harte“ Rede, also daß sie fragten: wer kann sie tragen? und Ihm den Rücken kehrten und zurückwichen. Sind die Reden, die dort über Seine Lippen flossen, nicht lieblich wie Honig und köstlicher, denn Honigseim? sind sie nicht Geist und Leben, um uns zu füllen mit Gnade und Wahrheit, und uns zu schmecken zu geben die Kräfte der zukünftigen Welt? Ist in ihnen nicht die Pforte des verschlossenen Eden's wieder aufgethan, so daß wir essen sollen vom Baume des Lebens, vom Brode, das vom Himmel gekommen ist? Kann es für die, die da hungern nach der Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, und schmachten nach einem unvergänglichen Trost, kann es für sie eine freudenreichere Kunde geben, als daß der HErr sie speisen wolle mit den reichen Gütern Seines Hauses, daß Er deßwegen vom Himmel gekommen, um ihr Sehnen zu stillen, und ihre Seelen zur Erquickung und Ruhe zu führen? O wie viele Gläubige haben sich schon an den holdseligen Reden JEsu in unserem Textkapitel erlabt, wie waren diese für so viele verschmachteten und vertrockneten Seelen Thau-Tropfen aus der Höhe, durch die sie erquickt und mit neuer, frischer Lebens-Kraft durchdrungen wurden? Und diese Rede soll eine harte, unerträgliche Rede sein? Diese Rede soll so zurückstoßend wirken, daß Viele umwendeten und den HErrn verließen? Weit eher hätte man erwarten sollen, daß die Berg-Predigt Viele hinter sich getrieben hätte, weil mehr als Menschen - Vorsatz und Menschen - Kraft dazu gehört, jene heiligen Gesetze über sich anzuerkennen ohne Zittern und Zagen, und mit Freude und Lust zu wandeln auf der so schmal gezeichneten Straße des Lebens. Viel eher hätte man denken sollen, der Weheruf über Chorazin und Bethsaida und über Kapernaum hätte Seine Nachfolger erschrecken, und für sich und ihre eigenen Seelen zittern machen sollen, daß sie umgewendet und ihre eigene Straße gezogen wären. Aber nein! gerade die holdseligsten, die trostreichsten, die erfreulichsten Verheißungen und Reden von Seiner Menschwerdung und göttlichen Hoheit, vom Essen und Trinken Seines Leibes und Blutes, von der unvergänglichen Speise und dem unverweslichen Leben, das matt bei Ihm und in Ihm finden könne, gerade dieß war für Viele ein Stein des Anstoßes und ein Fels des Aergernisses. So ist derselbe Christus gesetzt zum Fall und zum Aufstehen; so ist dasselbe Wort Christi den Einen ein Geruch des Lebens zum Leben, den Andern ein Geruch des Todes zum Tode, den Einen göttliche Kraft und himmlische Weisheit, den Andern ärgerliche Thorheit und verächtlicher Wahn. Ja, so war auch das Wort, das der HErr hier verkündigte, die scharfe Kante, welche die Ihm zuströmende Menge schneidend zertheilte und zertrennte und eine wohlthätige Entscheidung der Herzen hervorrief.
Jedoch lasset uns die Worte noch näher betrachten, die so gewaltig wirkten, welche die Halbgläubigen zum Unglauben zurückwarfen, die Kleingläubigen aber zu muthigem, bekennendem Glauben emporhoben.
Schon darüber waren Viele Seiner Zuhörer ungehalten, daß Er auf Sich hindeutend sprach: Dieß ist das Brod, das vom Himmel gekommen ist. Schon das konnten sie nicht ertragen, daß Er Sich hier himmlische Abkunft und göttliche Würde zuschrieb, ja daß Er endlich sogar noch hinzusetzte: wie, wenn ihr dann sehen werdet des Menschen Sohn auffahren dahin, da Er zuvor war? Auch ein ander Mal hoben sie ja Steine auf, um Ihn als Gotteslästerer zu verderben, weil Er Sich selber zu Gottes Sohn gemacht habe. Und so sprachen sie denn auch hier, wie Johannes unmittelbar vor unserem Evangelium erzählt: Ist dieser nicht JEsus, Joseph's Sohn, deß Vater und Mutter wir kennen? Wie spricht Er denn, ich bin vom Himmel gekommen? Sehet da! einen Hauptanstoß, den die unerleuchtete Vernunft und der fleischliche Sinn stets an JEsus Christus genommen hat; sehet da den einen hervorspringenden Felsen des Aergernisses, an welchem schon Viele zerschellten und am Glauben Schiffbruch erlitten. Christum als den Eingebornen vom Vater, als den wahrhaftigen Gott und das ewige Leben, hochgelobet in alle Ewigkeit, anzuerkennen, das ist für Viele eine harte Rede; Ihm zu huldigen als dem großen Könige, den alle Zungen als HErrn bekennen müssen zur Ehre Gottes des Vaters, - sich vor Ihm in den Staub zu beugen, als eine elende sündige Kreatur, Sein Wort anzunehmen als ewige, unumstößliche Wahrheit, es mag unserem Herzen gefallen oder nicht, zu Ihm seine alleinige Zuflucht zu nehmen als dem einzigen Helfer und Arzt Leibes und der Seele, Ihm die Ehre zu erweisen, die Ihm der Vater im Himmel und auf Erden gegeben hat, nur durch Ihn und Seine ewige Vermittlung und Versöhnung zum Vater zu kommen, dieß ist für Viele etwas Herbes, etwas Unerträgliches. Wenn sie sich es auch gefallen lassen, in Ihm einen vorzüglichen Menschen und ein reines Muster der Tugend zu erblicken, wenn sie Ihn auch als den vollkommensten Weisen und Propheten der alten und der neuen Zeit anerkennen, wenn sie sich auch dazu entschließen, Seine Sitten-Lehre als die beste Anweisung zu einem frommen und tugendhaften Leben gelten zu lassen; - dennoch können sie sich niemals überwinden, vor Ihm als dem Sohne des Hochgelobten, dem Alles in Seine Hände gegeben ist, und der zur Rechten der Majestät in der Höhe sitzet, ihren steifen Nacken, die eiserne Ader, zu beugen, und sich zu schmiegen unter Seine gewaltige Hand. Dagegen sträuben sie sich, dagegen murren sie, dagegen fluchen sie, dagegen bäumt sich der Stolz ihres Herzens hoch auf. Des Brodes, das vom Himmel gekommen ist, begehren sie nicht; sie sind irdisch', und wollen auch irdisch bleiben, sie sind unbeugsame, hochmüthige Sünder, und wollen es auch bleiben; sie wollen nicht, daß Dieser über sie herrsche. So stoßen sie sich am Stein des Aergernisses, und gerade das, was dem Glauben das anbetungswürdigste Wunder, der unversiegbare Trost des ewigen Lebens ist, - gerade das, daß Er das Brod des Lebens ist, vom Himmel gekommen, daß Er so tief sich erniedriget hat bis in den Todes - Staub der Erde, um mit den Früchten Seiner Erniedrigung uns zu speisen und zu erquicken und zur Herrlichkeit zu führen, gerade das ist für sie ein Geruch, des Todes zum Tode, statt einer Quelle des Segens eine Quelle des Fluches und der Verdammniß.
Ein zweites Wort des Anstoßes war für Viele der andere Ausspruch JEsu in unserem Evangelium: Wer dieß Brod isset, der wird leben in Ewigkeit. Ja in heiligem Ernste und mit bedeutsamer Bekräftigung sagte Er kurz zuvor zu ihnen: nur wer von diesem Brode isset, wird leben in Ewigkeit; denn wahrlich, wahrlich Ich sage euch, werdet ihr nicht essen das Fleisch des Menschensohnes und trinken Sein Blut, so habt ihr kein Leben in euch. Von der wesentlichen, lebendigen, innigen, unzertrennlichen Gemeinschaft unserer Seelen mit Ihm, dem erhöheten Menschen - Sohne, redet Er hier; davon, daß Er im Glauben von uns genossen und aufgenommen werden solle, daß Er zu uns eingehen und das Abendmahl mit uns halten und uns theilhaftig machen wolle aller Segnungen Seines heiligen Verdienstes, Seines Leibes und Seines Blutes, Seiner Erlösung und Seiner Verherrlichung, Seines Geistes und Seines unauflöslichen Lebens, aller Kraft-Ausflüsse Seines unvergänglichen Priesterthums und aller Gnaden - Schätze Seiner himmlischen Vertretung, - davon redet Er hier tiefe bedeutsame Worte. Kann Er, der erniedrigte Menschen - Sohn, uns zu größerer Verherrlichung führen, als wenn Er uns Sich selber schenkt, wenn Er sich in uns selber verklären will von einer Klarheit zur andern, als wenn wir arme, sündige Kreaturen Ein Leben und Ein Geist mit ihm werden sollen; wenn wir nicht mehr, sondern Er in uns leben will, und wir, was wir leben im Fleisch, leben sollen im Glauben an Ihn, in Seiner Gnade, in Seiner Rechtfertigung, in Seiner Kraft, in Seinem Frieden, in der Unauflöslichkeit Seines Lebens? Aber freilich, das kann dem stolzen, selbstgenügsamen Herzen des natürlichen Menschen nicht gefallen, wie es auch dort offenbar wurde, als der HErr diese Worte redete in der Schule zu Kapernaum. Das ist noch bis auf den heutigen Tag für Viele eine harte und unverständliche Rede, die man nicht tragen kann. Das wird noch bis auf den heutigen Tag mit dem Namen von Mysticismus und Schwärmerei, von unverständigem Gefühls - Wesen und gaukelndem Phantasie-Spiele abgeurtheilt; diese Lehre, sagt man, mache brütende und freudenscheue Menschen, ja führe wohl gar zum Wahnsinn und zur Verwirrung. Natürlich kann es der stolze Sinn nicht vertragen, daß der Stab gebrochen wird über alles natürliche Leben außer Christo und Seiner Gemeinschaft; natürlich ist's ihm eine harte Rede: Werdet ihr dieß Brod nicht essen, so habt ihr kein Leben in euch; natürlich ist's ihm unerträglich, daß all' sein Dichten und Trachten, all' sein Denken, Reden, Fühlen und Thun, all' seine Tätigkeit und Wirksamkeit, all' seine Rechtschaffenheit und Ehrbarkeit, all' sein Gutes, ja sein Bestes in Gottes Augen todt, verwerflich und ohne Werth sein soll, daß er in seinem Reichthum dennoch arm, in seinem Ehrbarkeits-Schmuck dennoch häßlich, in seinem Weisheits-Dünkel dennoch thöricht, in seinem Rechtschaffenheits-Gewand dennoch nackt und bloß, in seinem Leben dennoch todt vor Gott sein soll, weil er Den nicht hat, der allein des Lebens Fülle in sich trägt. O wie sauer geht es der Natur doch ein, das eigene Leben in Christi Tod dahinzugeben; o wie schwer kommt es den Menschen an, bis er zur Einsicht kommt, daß Alles an ihm verwerflich und verdammlich ist, was nicht stammt aus Christi Gnade, und nur das in Gottes Augen Geltung hat, was Geist ist von Christi Geist, Kraft aus Christi Kraft, Natur aus Christi Natur, Leben aus Christi Leben. Darum stoßen sich Viele an diesem Stein des Aergernisses, weil sie ihr eigenes Leben lieb haben und es nicht opfern wollen in den Tod. Denn nur der, der sein Leben verliert um Christi willen, wird es wieder gewinnen, erneuert und verherrlicht in Christi Gnade. Aber dieß ist eine harte Rede für den alten Menschen; vor diesem Tod und Untergang bebt er zurück, und lieber wendet er sich rückwärts wieder, und zieht die alte Straße der eigenen Gerechtigkeit, der eigenen Kraft, des eigenen Verdienstes, des Gesetzes und des Todes. Ganz arm und nackt, ganz verwerflich und verdammlich, ganz sündig und hülfsbedürftig, ganz schwach und unvermögend, auf lauteres Erbarmen hin in die Arme der ewigen Gnade sich zu werfen, das erfordert Gottes-Macht, weil es eine Geburt ist aus dem Tod in's Leben, aus der Finsterniß zum Lichte; und darum sagt auch der HErr in unseren Textes-Worten: Niemand kann zu Mir kommen, es sei ihm denn gegeben von Meinem Vater.
Und nun, meine Lieben! die Hand auf's Herz! Haben denn wir, ohne Murren und Aergerniß, dem Zuge des Vaters zum Sohne gefolgt, wenn Er uns durch den Glauben Christo einverleiben wollte? Haben wir unser eigenes, fleischliches und eigengerechtes Leben in den Tod geopfert, um es reichlich wieder zu erhalten in Seiner Gemeinschaft? Haben wir gegessen Sein Fleisch und getrunken Sein Blut, auf daß Er sich mit unserem Innersten verlobe in Gerechtigkeit und Gericht, in Gnade und Barmherzigkeit? Oder sind uns Alles dieß noch fremde und unverständliche Worte, wohl gar ärgerliche Dinge, die wir von uns stoßen, dagegen wir uns sträuben und verwahren? Vernehmet das centnerschwere, das Mark und Bein durchschneidende Wort: So ihr nicht esset das Fleisch des Menschensohnes und trinket Sein Blut, so ihr nicht in Ihm erfunden werdet und Er eine Gestalt in euch gewinnet und Sein Bild in euch verkläret wird durch den Geist, den Er ausgegossen hat, so habt ihr auch kein Leben in euch. Ihr seid dann dürre erstorbene Aeste, die da abgehauen und in's Feuer geworfen weiden, und müssen brennen. Wer Ohren hat, zu hören, der höre.
II.
Wehmüthig blickte der Heiland um sich her, als Einer nach dem Andern aus den Reihen Seiner Nachfolger trat, noch wehmüthiger blickte Er ihnen nach, als sie Ihm den Rücken wandten und die ihnen angebotene Gnade von sich stießen. Aber siehe da! die Zwölfe standen noch um Ihn her; sie konnten Ihn nicht mehr verlassen, und wenn auch ihnen Vieles in den Reden Christi noch unverständlich war, darum sielen sie doch nicht ab; und wenn sie auch Vieles noch nicht tragen konnten, - das sanfte Joch des HErrn, das sie auf sich genommen hatten, warfen sie doch nicht weg, - sie waren die Getreuen, die bei Ihm aushielten. Um aber dem Aergerniß zu wehren, das sie an den Abgefallenen hätten nehmen können, um sie mit desto festeren Banden des Glaubens und der Liebe an sich zu ketten, legte Er ihnen eine Frage vor, die Tod und Leben, Himmel und Hölle, ewigen Fluch und ewigen Segen ihnen zur Wahl und Entscheidung überließ. Wollt ihr auch weggehen? - sprach Er im Tone wehmüthiger, aber himmlischer Milde. O! Er kannte ihren Sinn, Er täuschte sich nicht in ihrem Glauben, Er wußte, daß Der, der sie ihm gegeben hatte vor der Welt, sie auch bewahren werde durch Seine Macht vor allem Aergerniß im treuen Glauben, bis auf das verlorene Kind, auf daß die Schrift erfüllet werde, denn das ist ja des rechten Glaubens Probe und Siegel, daß er gerade dann feste steht, wenn Tausend fallen zu seiner Linken und Zehntausend zu seiner Rechten. Ja dann, wenn es Entscheidung gilt, wenn keine Wahl mehr statt findet, ausser zwischen Tod und Leben, wenn das Schwanken und Laviren sich selbst verbietet, wenn man sich nur entweder rechtwärts oder linkwärts wenden kann, dann wird auch der schwache Glaube zum starken, dann wird auch das schwanke Rohr zum festen Stab, dann lodert auch der glimmende Docht in heiliger Flamme himmelwärts. So war's bei den Jüngern. Der HErr hatte durch Seine Frage einen feurigen Funken in ihre Herzen geworfen; er zündete, und die Flamme brach hervor zur Freude Seines Herzens in muthigem Bekenntniß und felsenfestem Vertrauen. - HErr, -sprach der rüstige Petrus im Namen aller Uebrigen, - HErr, wohin sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens; und wir haben geglaubt und erkannt, daß Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.
Das ist das Bekenntniß, um das sich alle Gläubigen seit Jahrtausenden versammelt haben; in diesem Glauben sind Viele auf den Scheiterhaufen gestiegen, in diesem Bekenntniß haben Viele ihr Haupt auf den Todes-Block gelegt, in diesem Glauben haben Tausende die Welt überwunden und wurden zugezählt der Schaar der vollendeten Gerechten. Ja! dieser Glaube ist das Panier geblieben, um das sich vom Anfang alle Kinder Gottes versammelten, und diesen Glauben ließen sie sich nicht rauben in aller Trübsal des äußeren und in aller Anfechtung des innern Menschen, und dieser Glaube wird auch die Losung in der Streiter - Fahne der Knechte Christi bleiben, bis sie singen das neue Lied und das ewige Hallelujah!
HErr! nennt Ihn der Apostel, den HErrn auch seiner Seele, den Mann auch seiner Liebe, den König auch seines Herzens, den HErrn, dem der Vater Alles in seine Hand gegeben hatte, dem unterthan waren alle Gewalten und Fürstenthümer und Kräfte, den HErrn, der auch in Niedrigkeit dennoch der König der Herrlichkeit ist. O süßer Glaube, den großen Jesus seinen HErrn und König nennen zu dürfen! o siegreicher Glaube, Ihn umklammern zu können in aller Drangsal und Noth, im Schiffbruch der eigenen Gerechtigkeit Ihn umfassen zu können als alleinigen Halt der Seele, und auf diesen Felsen des Heils sich zu gründen, den keine Woge zerschellt, keine Ewigkeit verwittert. Ja, das ist ein Vorschmack der himmlischen Seligkeit.
Der am Kreuz ist wahrer Gott!
Und würden wir der ganzen Welt zum Spott,
Das ist die Losung, daran man spüret.
Ob uns der Name der Brüder gebühret,
Das Schiboleth.
Petrus gibt dem HErrn Seine Frage mit einer Gegenfrage zurück und spricht: HErr, wohin sollen wir gehen? Ja! er blickte in der ganzen Welt umher, und es war ihm, als ob man die Sonne am Himmel auslöschen würde, wenn er sich allein denken müßte ohne Jesus in der Welt. Die ganze Welt schien ihm eine Wüste, auf der ein ewiger Fluch liegt, eine Todtengruft, in der nur Moder und Leichenduft wehte, wenn man den HErrn der Herrlichkeit herausnehmen wollte aus der Welt. Wohin sollen wir gehen? Zurück an's Fischernetz? O nein! dieser Beruf war ihm zu klein, als daß er seinen Geist hätte befriedigen können. Oder zurück auf den See Genezareth? Das Leben wäre ihm ein wüstes Meer gewesen, wäre Christus nicht auf seinem Lebensschiffe der Steuermann gewesen. Oder zu den Pharisäern und Schriftgelehrten? Ihre Gerechtigkeit erschien ihm ein beflecktes Kleid, und Ruhe und Frieden hatte er nur bei dem Einen gefunden. Darum fragte er auch kühn und unerschrocken: HErr, wohin sollen wir gehen? Die Sache war bei ihm entschieden, und wenn auch sein Fuß nachher strauchelte, dennoch galt dieß Wort, und ein göttliches Siegel der allmächtigen Gnade ward drunter gedrückt.
O daß es auch bei uns zu solcher Entscheidung endlich kommen möchte! Warum hinken so Viele auf beiden Seiten? Warum markten sie so lange mit dem HErrn um den Besitz ihres Herzens? Warum brechen sie nicht durch zur Entschiedenheit und Entschlossenheit? Der Welt rein ab und Christo an, dann ist's gethan. Wohin wollt ihr gehen? Zurück zu den Trabern der Welt, die ihr verlassen habt, und die euch nur Schmerz und Pein bereiten? Zurück zu den löcherichten Brunnen eurer eigenen Gerechtigkeit und Weisheit, die doch kein Wasser geben? Nein! Vorwärts sei eure Losung, Dem sinket zu Füßen, ohne den ihr elend seid in Zeit und Ewigkeit; Er ist der Herzog eurer Seligkeit und der Fürst des Lebens, der euch erworben und erkaufet hat.
Ermannet euch zum freudigen Gelöbniß:
Einer ist's an dem wir hangen,
Der für uns in den Tod gegangen,
Und uns erkauft mit Seinem Blut!
Unsre Leiber, unsre Herzen
Gehören Dir, o Mann der Schmerzen,
In Deiner Liebe ruht sich's gut.
Nimm uns zum Eigenthum,
Bereite Dir zum Ruhm
Deine Kinder!
Dein Joch ist süß,
Dein Geist gewiß.
Und offen steht Dein Paradies.
Du hast Worte des ewigen Lebens, - so setzt der Apostel hinzu. Er hatte es verspüret, daß die Worte Christi Geist und Leben waren; er hatte es erfahren, daß nirgends Licht, nirgends Wahrheit, nirgends Labung, nirgends Erquickung und Ruhe zu finden sei, als nur bei Ihm und in Seinen Worten, und darum hatte er geglaubt und erkannt, daß Jesus Christus sei der Sohn des lebendigen Gottes. Der Glaube, der auf Erfahrung ruht, der hält die Probe; das Gebäude des Wissens kann zusammenstürzen; die Erkenntniß kann untergehen, - aber der Glaube, der da geschmecket hat, wie freundlich der HErr ist, - der Glaube, der auf der dauernden Unterlage der Erfahrung ruht, - besteht in allen Proben, und nur um so fester und um so siegender geht er aus ihnen hervor. Ja, dieser Glaube ist's, der freudig spricht:
Wenn Alle untreu werden,
So bleib' ich Dir doch treu;
Daß Dankbarkeit auf Erden
Nicht ausgestorben sei.
Für mich umfieng Dich Leiden,
Vergiengst für mich in Schmerz;
D'rum geb' ich Dir mit Freuden'
Auf ewig dieses Herz.
Bei Dir, JEsu! will ich bleiben,
Halte selbst Dein schwaches Kind,
Bis durch's sel'ge an Dich Gläuben
Leib und Seel' geheiligt sind.
Alle Noth will ich Dir klagen,
Alles Dir in's Herze sagen,
Bis Du endest meinen Lauf,
Und dann hört mein Weinen auf.
Amen.