Heuser, Wilhelm - Abrahams Führungen - V. Das Stärkungswort Gottes an seine gläubigen Kinder
Eine große, eine für uns alle höchst bedeutungsvolle Bitte, die der Apostel für seine Freunde in Colossä auf dem Herzen trägt, wenn er sagt: Wir hören nicht auf, für euch zu beten und zu bitten, daß ihr erfüllet werdet mit Erkenntniß seines Willens in allerlei geistlicher Weisheit und Verstand (Col. 1. 9.). Was dem Apostel zu heißem und unaufhörlichem Gebete vorliegt, das müssen auch wir suchen: Erkenntniß des göttlichen Willens. Eine große Sache, fürwahr, erfüllet sein mit solcher Erkenntniß, die nicht sowohl erlernt, als mit heißem Flehen erbeten werden muß, und von der der Herr einst sagte, sie sei das ewige Leben. Gewiß also eine Erkenntniß, die nicht in müßigen Gedanken und in allerlei Meinungen des Kopfes besteht, und wäre es auch ein aufgehäuftes Wissen und solch ein Schatz von Gelehrtheit, daß du, ein Meister in Israel, über Gott und sein Wort, seine Gebanken und Rathschlüsse wie über Sonne, Mond und Sterne reden und auch wohl streiten kannst. Eine Erkenntniß des göttlichen Willens in allerlei geistlicher Weisheit und Verstand. In diesem Zusatz gibt uns der Apostel den Prüfstein der wahren, ächten Erkenntnis;: sie macht uns geistlich weise, sie durchscheint und durchleuchtet Herz und Verstand, sie stehet über allen Führungen Gottes als ein heller Leitstern und giebt tröstliche Einsicht in alle seine Wege: sie macht den Menschen tüchtig mit heutigem Geschick in allen Lagen und Verhältnissen des Lebens zu stehn und überall mit getroster Fassung und heiterm Sinn einher zu gehn.
Solche Erkenntniß, fehlt sie uns aber wirklich nicht? Haben wir sie uns nicht zu erwünschen und zu erbitten? Meine Freunde, Mangel an Erkenntniß ist in Wahrheit ein Hauptgebrechen der jetzigen Christenheit und liegt, in dem verwirrten Fragen und Streiten, worin jetzt Tausende über christliche und kirchliche Dinge umhergetrieben werden, als ein offner Schade zu Tage. Unglaublich Vielen fehlt die Erkenntniß Gottes und seines geoffenbarten Willens ganz und gar. Ach, was ist das für eine erstaunliche Unwissenheit, die sich bei so unglaublich Vielen kund giebt, wenn mau sie über Gottes Willen und über seine Rathschlüsse in Christo Jesu befragt! Andre haben wohl etwas von Erkenntniß, aber ach! wie dürftig und schwankend ist das, und auch das Wenige, wie unklar, ungewiß und unfruchtbar! Es liegt freilich ein unabweisbar Bedürfniß nach einer Regel der Wahrheit, nach einer Ueberzeugung in den unsichtbaren Dingen, nach einem Standpunkt, wie man sagt, in jedes Menschen Brust. Die verwerfende Frage Pilati: Was ist Wahrheit? ist dem menschlichen Herzen nicht natürlich. Kommt der Mensch zu verständigen Jahren und wird er sich mehr und mehr seines Wollens und Thuns bewußt, wird er seiner Stellung zu Gott und seiner Erwartungen in der Zukunft eingedenk, so faßt er irgend welche Vorstellungen, Ansichten, Grundsätze und Lehren auf, nach welchen er seinen Glauben bestimmt, seinen Wandel leitet und die er seine Ueberzeugungen zu nennen pflegt. Einen Catechismus muß jeder Mensch haben, und nimmt er nicht den rechten - der rechte aber ist, wie Luther sagt, ein kurzer Inbegriff der heiligen Schrift, daraus man lernt, was uns zu unsrer Seligkeit nützlich und dienlich ist - nimmt er den nicht, den Kern des läutern Wortes Gottes, so macht er sich selbst einen, und der ist dann natürlich, dem Fundament nach, in Widerspruch mit dem Evangelio, und verflicht und verwickelt den armen Menschen so in ein Gewebe selbstgesponnener Lehren und Regeln des Glaubens und Lebens, daß er zuletzt wie in einem Netze des verderblichsten Irrthums gefangen liegt.
O, daß wir doch alles eigne Meinen, Dünken, Zweifeln in den göttlichen Dingen und Wegen von uns würfen! Gottes Wort unser Anker unter allem Gedränge der Wellen und des Sturmes von innen und außen. Unsre Loosung: aufzublicken und uns leiten zu lassen von dem Stern, der über Bethlehems Hütten stand! Es ist ein köstlich Ding, daß das Herz fest werde, gebe Gott Gnade dazu, daß das Licht seiner Erkenntniß auch heute unsere Herzen erfülle mit geistlicher Weisheit und Verstand und dieselben frei und fest mache!
l. Mose 15, 1.
Nach diesen Geschichten begab sich's, daß zu Abraham geschah das Wort des Herrn im Gesicht und sprach: Fürchte dich nicht, Abraham, ich bin dein Schild und dem sehr großer Lohn.
Sehn wir zunächst die Veranlassung zu diesem Trostwort, es steht in genauem Zusammenhang mit dem, was wir zuletzt aus dem Leben Abrahams betrachteten. Nach diesen Geschichten, lesen wir. Welche sind dies? Abraham hatte die Könige, welche Sodom geplündert und Lot mit seiner Habe gefangen hinweggeführt hatten, verfolgt, überwältigt und ihnen das Geraubte entrissen. Nach überstandener Gefahr, heimkehrend vom Sieg, wird er, wie wir zuletzt sahen, von dem Priesterkönig in Salem, Melchisedek, gesegnet.
Aber eine, wenn gleich glücklich überwundene Gefahr, wirket immer ein Zweifaches. Sie hält uns das Bild der überstandenen Noth vor Augen, und dadurch wirkt sie zunächst das Gefühl des Dankes, aber dadurch ruft sie sodann auch die Vorstellung neuer, kommender Gefahr hervor und die Sorge, ob wir sie eben so glücklich überwinden werden. Ist es nicht immer so? So war es denn ganz natürlich, daß nach diesen Geschichten ein Sorgen und Fürchten in Abrahams Herzen aufstieg, welches dem, der Herz und Nieren durchschaut, nicht verborgen blieb. Es zu beschwichtigen, geschah des Herrn Wort zu Abraham in einem Gesicht: Fürchte dich nicht, ich bin dein Schild und dein sehr großer Lohn. Ein Stärkungswort, das mit dem Rufe: Fürchte dich nicht! die innere Herzenslage Abrahams, mit dem Rufe: ich bin dein Schild, die Gefahr der Gegenwart und mit dem Rufe: ich bin dein sehr großer Lohn, die ganze Zukunft umfaßt, so daß nichts übrig gelassen ist, das nicht in seinem Bereich läge. Glücklich, wer es sich aneignen kann, fröhlich darauf ruht mit seinem zagenden Herzen, getrost darauf lebt im Gewirre der Gegenwart, freudig darauf stirbt in seliger Hoffnung!
Erwägen wir das Stärkungswort Gottes an seine gläubigen Kinder.
Es enthält einen Zuruf: Fürchte dich nicht! sodann die Zusage: ich bin dein Schild, und endlich die Verheißung: und dein sehr großer Lohn.
l.
Fürchte dich nicht! Ich bin dessen recht erfreut, daß dieser theure Spruch mir heute den Mund aufthut. Unsre Lebensfahrt wird oft und gegenwärtig immer mehr der Fahrt jener Jünger ähnlich, die vom Ungestüm des Meeres also litten, daß auch das Schifflein mit Wellen bedeckt ward und sie zuletzt riefen: hilf, Herr, wir verderben. Wo wäre da Trost und Muth, wenn wir nicht das. Eine wüßten, daß die Hand des Herrn in allen Stürmen, welche daher brausen, noch immer das Steuer führt, und wenn wir nicht mitten im finstern Verderben der Zeit dem allmächtigen Walten dessen trauten, dessen Wege, wie der Prophet sagt, auch in Sturm und Wetter sind (Neh. 1, 3.). Er spricht zuerst, und o daß dies Wort auch in unsrer Seele brennte: Fürchte dich nicht!
So allgemein und so uneingeschränkt gesprochen, lautet das nicht seltsam? Haben wir nicht Ursache zu fürchten? Wir können's nicht verkennen, große Ursache. Siehe dich selbst an, dein ganzes Sein und Wesen, deine Vergehungen von Kindes Beinen an, die Schwachheiten deines Herzens, die Ohnmacht deines Fleisches und dagegen die starken Reize der bösen Lust den täglichen Versuchungen gegenüber: o sprich und bekenne, in uns ist keine Hülfe wider diesen großen Haufen, der gegen uns zieht. Und wie wandelbar ist alles, auch die innere Kraft deiner Seele! du kannst nicht dafür einstehn, daß die gute Gesinnung und der feste Entschluß, die dir heute beiwohnen, dich morgen noch beleben. Ich will nichts weiter darüber sagen; hätte Petrus gefürchtet und sich selbst mißtraut, er würde vielen bittern Thränen überhoben worden sein. Wir dagegen, wir hätten nicht Ursache zu fürchten, da wir doch die Macht der wechselnden Umstände und den Einfluß, den sie auf uns einüben, nicht von uns abwehren und es nicht ermessen können! was sich dadurch in unserem Innern gestaltet? Israel war fromm, da es durch's rothe Meer aus Egypten zog und sang dem Herrn Psalme, aber beim Mangel in der Wüste verließ es den Herrn. Gedenket auch an David im Hirtenrock und an David im königlichen Purpur. Sehet sodann endlich auch die Hinfälligkeit unsres Lebens! Unsre Tage sind eine Handbreit. Der Tod wartet auf uns, das Grab liegt offen vor unsern Füßen, wir gehn den alles entscheidenden Verhängnissen der Ewigkeit entgegen und wir sollten, wenn wir uns selbst ansehn, was und wie wir sind, nicht Ursache haben, zu fürchten? Wir blicken aber auch um uns. Es gährt und bebet noch immer unter unsern Füßen, und auf die Stimme aus Seir: Hüter, ist die Nacht schier hin? spricht der Hüter: wenn der Morgen schon kommt, so wird es doch Nacht sein (Jes. 21, 12.). Unter den Völkern dieser verwilderte und zügellose Freiheitsdrang, unter den Gliedern der Kirche dieses zerrissene Band der Bekenntnisse, und deshalb dieser Irrglaube, dies Zerwürfniß und im Innern des häuslichen Lebens, der eigentlichen Pflanzstätte eines besseren Zustandes, von welcher aus, was ungleich wichtiger ist, als alle Verfassung, die Volksgesinnung gebildet werden soll, wie viel Aergerniß und Elend, wie wenig Zucht und Vermahnung zum Herrn! Und wir hätten nicht Ursache, zu fürchten und bange zu fragen, was will das werden, wo soll das hinaus?
Wie wunderbar nun mein Gott ruft: Fürchte dich nicht! Ja, mein Gott ruft, fürchte dich nicht, als wollte er sagen, wenn du armes Menschenkind zu sorgen hättest, so würdest du zu Schanden werden, aber der, dessen Gnade nicht weichet, wenn auch Berge hinfallen, dessen Rath nicht irret, dessen Weisheit nicht fehlt, dessen Kraft nicht ermüdet, der verkündet: fürchte dich nicht! Ist, wenn du in dich selbst hineinsiehst, kein Trost da, gegen die Anklagen der Sünde, kein Vermögen da, die Handschrift zu tilgen, die wider dich zeugt, keine Kraft, die Versuchung zur Sünde und die Hitze der Anfechtung zu Nichte zu machen? - der da spricht: ich, ich tilge deine Uebertretungen um meinetwillen und gedenke deiner Sünden nicht, und der dir betheuert: meine Kraft ist in den Schwachen mächtig (2. Cor. 12, 9.), der verkündet: Fürchte dich nicht! Ist, was du um dich herum siehst, furchterregend: der zum Meere spricht: bis hierher und nicht weiter hin sollen sich legen deine stolzen Wellen! (Hiob 38,11.), der in allem Sturm das Steuer in seiner starken Hand und seine Kirche auf einen Felsen gebaut hat, daß auch die Pforten der Hölle sie nicht überwältigen werden, der verkündigte: Fürchte dich nicht! der da verheißen hat, dem Verderben zu steuern zu seiner Zeit im ganzen Land (Jes. 10, 32.), der, der selbst, wenn der Mensch der Sünde den Gipfel seiner Macht ersteiget, sich das Tödten mit dem Hauche seiner Lippen vorbehalten hat, der verkündigte: Fürchte dich nicht! Er weiß wohl, wie arg es wird, stehet zu, schweiget eine Zeitlang, läßt das Unheil auch wohl sein volles Maß erfüllen, und er wachet dann zu seiner Stunde auf und stehet darein und schilt, daß des Brennens und Reißens ein Ende wird (Ps. 80, 17.) O merket doch das, die ihr Gottes vergesset, merkt das, daß er nicht einmal hinreiße und sei kein Retter mehr da (Ps. 50,20.). Merket das auch, die ihr ihn liebet und sein gedenkt! Wie trübe es sich auch auf dem Wege eurer Wallfahrt lagern mag, wollet euer Auge nur immer zu den Höhen gerichtet halten, wo er allwaltend herrscht und alle Dinge lenkt, wie er will, und ihr werdet in dieser Erkenntniß seines Willens erfüllet werden mit allerlei geistiger Weisheit und Verstand, und der Stern einer fröhlichen Hoffnung wird euch immer wieder aufgehn und mit seinem hellen Schimmer auch den nächtlichsten Pfad durchschimmern! Fürchte dich nicht! spricht dein Gott und fügt diesem Zuruf:
2.
eine Zusage bei: Ich bin dein Schild. Was will uns dieses Wort sagen? Ein Schild bedeckt den Leib des Menschen und beschützt ihn, daß er vom Pfeil und Schwert des Feindes nicht verletzt wird. Spricht Gott: Ich bin dein Schild, sehet, so will er uns nicht freisprechen von Drangsal und Noth, aber unter aller Gefahr will er uns seiner allmächtigen Beschützung und seines schirmenden Beistandes getrosten, will uns in diesem Wort ein göttlich Unterpfand, eine versiegelte Handschrift geben, es solle uns an Hülfe und Bewahrung nicht mangeln. O eine treue Behütung, welche das Größte und Kleinste, ja auch das Haar des Hauptes umfasset! Da giebt's freilich oft Wundersachen in seinem Reiche und es trifft manches ein, was gegen all dein Erwarten und Gutdünken ist, was dich so unerwartet niederbeugt und zu Boden wirft, daß du wie Zion klagest: Der Herr hat mein vergessen, der Herr hat mich verlassen. Das Erste, was dich in solchen Augenblicken eines anscheinenden Preisgegebenseins überwältigt, ist das bestürzte: Herr, was machst du? Bald legst du dann freilich die Hand auf den Mund mit einem: Er ist der Herr - sprich aber dann auch noch weiter und sage:
Es kann mir nichts geschehen,
Als was Gott hat versehen
Und was mir nützlich ist,
und an dem Felsen dieser Wahrheit richte sich dein banges Gemüth auf, mit ihr panzere sich deine Zuversicht! Und stände es noch schlimmer mit dir, o ich würde dennoch rufen: Fürchte dich nicht, dein Gott ist dein Schild! Wir halten manches Begegniß für schmerzlich und schreckhaft und im Fortgang der göttlichen Wege erweiset es sich als wohlthätig und heilsam. Wir zittern heute unter dem Drucke einer Trübsal und über's Jahr, durch dieselbe geübt und gesegnet, preisen wir sie und bekennen: Wir rühmen uns der Trübsal. Wir halten manches für gut und unentbehrlich, das doch nicht viel gilt und also gern fallen mag, und wir sehn manches Gute fallen, da doch nur die Schaale und die äußere Hülle fällt; seid gewiß, den Kern schützet er! Was mit seiner Ehre zusammenhängt und mit seinem Reiche, was als Bestandtheil seiner ewigen Ordnung dasteht, was nicht entbehrt und ersetzt werden kann, das wird er wohl hüten, das wird ihm niemand nehmen und haben wir's nicht mit Augen gesehn, wie seine Hand dann mächtiglich eingreift, wenn dergleichen bedrohet ist? Er erhält nicht nur sein Grbtheil, nein, der Herr Zebaoth will auch Jerusalem beschirmen, wie die Vögel thun mit Flügeln, schützen, erretten, darin umgehn und aushelfen. (Jes. 31, 5.) Er schützet das Volk seiner Rechten und die Leute, die er sich festiglich erwählet hat. (Ps. 80, 18.) Der Herr ist mein Schild!
Wie überraschend auch etwas kommen und auf uns eindringen möchte: diese Zuversicht sollte freilich eine unbewegliche sein. Seitdem der Aufgang aus der Höhe uns besucht, seitdem der Vater sich in dem eingebornen Sohn uns so gnadenreich genahet hat, seitdem sollten wir eine Zuversicht auf den Herrn Herrn setzen, die auch im heftigsten Sturme der Leiden, wenn alle Hülfe fern scheint, ja selbst wenn das Meer wüthete und wallete und von seinem Ungestüm die Berge einfielen (Ps. 46, 4.), so wenig wiche, als er selbst, unsre Zuflucht für und für. Und wenn alle Hoffnungen zerstört, alle Wünsche vereitelt, alle Sterne am Himmel dieses Lebens erloschen wären, dennoch sollte unsre Seele fest und freudig der Zusage göttlicher Bewahrung trauen, deren Ja und Amen der Blutbürge Jesus Christus ist; dennoch sollte sie getrost und still in dem Schooße seiner allmächtigen Liebe, wie in einer Arche ruhen, und sich von den Engeln geschirmt und getragen fühlen, denen er befohlen hat, daß sie dich behüten auf allen deinen Wegen, daß du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest! (Ps. 91, 11.) Und sähen wir auch mit diesen unsern leiblichen Augen kein Zeichen seiner freundlichen Nähe, ja ließe es sich gar an, als sei er ganz ferne getreten, um uns trostloser Verlassenheit preis zu geben: die eine Hand auf das Wort der ewigen Wahrheit, die andre auf das Kreuz der sterbenden Liebe, sollten wir durch alles Dunkel fest und muthig zu unserm Gott blicken und-sprechen: Dennoch, dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei meiner rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rath und nimmst mich endlich mit Ehren an. (Ps. 73, 23.) Aber wessen Glaube hat diese Festigkeit und Gewalt? Wer fühlt nicht seine Gebrechlichkeit, wenn die Erweisungen der helfenden himmlischen Liebe in Noth und Gefahr lange zögern, wenn keine Errettung aus Bedrängmß und Tiefe erfolgt, wenn Schlag auf Schlag und der Trost nicht kommt, den wir suchen - ach, wie nöthig ist's dann, zum Worte zu fliehn und diesen unzerbrechlichen Stab in den Händen, zu beten, etwa:
Herr, ich glaube, hilf mir Schwachen,
Laß mich ja verzagen nicht!
oder:
Laß den Anker meiner Seelen,
Unter aller Stürme Wuth,
Stets mein Herz zum Grunde wählen,
Wo es fest und sicher ruht.
Laß mich, Herr, auf dein Wort hoffen,
Das noch stets ist eingetroffen;
So wächst meine Zuversicht,
So wankt meine Hoffnung nicht.
Eins also thut uns noth: Zuflucht zu ihm nehmen, Herz und Leben ihm befehlen, völlig befehlen und auf ihn hoffen! Und der die Zusage seiner Hülfe gegeben: ich bin dein Schild, der lässet kein einziges seiner Worte auf die Erde fallen, ja, er will noch überschwänglich mehr thun, als wir bitten und verstehn. Höret auch:
3.
die Verheißung, welche er hinzufügt: und dein sehr großer Lohn. Wenn seine Zusage: Ich bin dein Schild, die Gegenwart umfaßt, dann umfaßt diese Verheißung die Zukunft, die Ewigkeit. Innerhalb der Grenzen dieses Lebens Er unser Schild, und jenseits derselben Er der allmächtige Gott, unser sehr großer Lohn! Pilgert denn, fröhlich in Hoffnung fort, ihr Wohlbeschirmten! Wie vielfach auch das Ungemach sei, bei dessen Gedränge ihr euch unter den Schild eures Gottes flüchtet, blicket hin auf das Ziel, und welch ein Ziel! Da blickt ihr nicht nur blos auf das Grab, das Ende alles irdischen Leids, von welchem Hiob spricht: daselbst ruhen doch, die viele Mühe gehabt haben. Ihr sehet über dieses Ende hinaus, ihr sehet auch einen Anfang, den Anfang eines neuen, höhern, seligen Zustandes; es winket euch die Stadt des lebendigen Gottes, das Haus des Vaters!
Fasset denn, so viel ihr's vermöget, was der Allmächtige spricht: Ich bin dein sehr großer Lohn. Unendlich große Verheißung, die uns der Herr von dem giebt, was er bereitet hat denen, die ihn lieb haben! Es ist wahr, Geliebte, die Schrift öffnet auf jedem ihrer Blätter, wie mit mütterlichen Händen den staunenden Kindern die reichen Schatzkammern des Vaters, sie spricht von einem unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbe, von Hütten des Friedens, von einem Kleinod der himmlischen Berufung, von einer Krone des Lebens, aufbehalten denen, die die Erscheinung Jesu lieb haben, von weißen Kleidern derer, die aus großer Trübsal gekommen. Ich habe einige einzelne Ringe aus dieser glänzenden Verheißungskette genannt, das Wort aber, das wir hier lesen: Ich bin dein sehr großer Lohn, umfasset das Ganze, das Tiefste und Höchste, was sonst von den Gütern der himmlischen Welt, von der Pracht und Herrlichkeit des Himmels gesagt ist. Er selbst, der reiche, majestätische Gott will unser Lohn sein - wer kann, was das ist, ermessen und ausgründen? Es ist die äußerste Gedankenhöhe, die ein Menschengeist erreichen kann. Ich bin dein Lohn. Ich! Mit diesem Wort giebt er selbst, die Fülle alles vollkommnen Lebens, sich uns zu eigen und verheißt, unser schwaches, ohnmächtiges Wesen mit, den Kräften der göttlichen Natur zu durchdringen. Wie ist das möglich? fragst du: da doch der Apostel bezeugt: der Selige und allein Gewaltige, der König aller Könige und der Herr aller Herren, der allein Unsterblichkeit hat, wohne in einem Lichte, da niemand zukommen kann, welchen kein Mensch gesehen hat, noch sehen kann, (1 Tim. 6,15.) wie kann er uns in solche Lebensgemeinschaft mit ihm aufnehmen? Ich antworte dir nach den Enthüllungen derselben neutestamentlichen Offenbarungen. Dieser Gott ist nicht in seinem unzugänglichen Lichte verschlossen geblieben; er hat sich selbst erschlossen, er ist in dem Ebenbilde seines Wesens und in dem Abglanz seiner Herrlichkeit erschienen, er ist, o des Wunders der Erkennung, leibhaftig offenbar geworden im Fleisch. Und dieser Gott ist es, von dem Johannes sagt: wir werden ihm gleich sein, denn wir werden ihn sehn, wie er ist; und Paulus: wir werden theilhaftig der göttlichen Natur; und wiederum Paulus: sind wir Kinder, so sind wir auch Erben, nämlich Gottes Erben und Miterben Christi. Q meine Seele, verstumme und bete an! Ich bin dein Lohn. Dies Wort leitet aus dem Umkreis in den Mittelpunkt der allergrößesten Verheißungen. Dein sehr großer Lohn. Dies Wort zeigt uns den Ueberschwung der Barmherzigkeit. Wir begreifen ihn nicht, aber wir fassen es, es ist ein Gnadenlohn.
Ist er auch zu hoch für schwache Lippen, zu blendend für blöde Augen, so muß ich doch Einiges davon lallen und stammeln. Gott ist das höchste, ewige Gut, und wenn ich erwache nach seinem Bilde, so werde ich satt werden und empfinden, was Seligkeit, Sättigung alles Begehrens ist. Gott ist ein Meer ungestörter Freude, vor ihm ist Freude die Fülle und liebliches Wesen zu seiner Rechten ewiglich, und zu dieser Freude des Herrn soll eingehn, wer über wenig getreu gewesen ist. Er ist der Reine und Heilige und sind wir zu dem Erbtheil der Heiligen im Licht gelangt, dann ist jede Sünde und jede quälende Erinnerung der Sünde von uns genommen und unsre Zierde ist das glänzende Kleid der Gerechtigkeit Christi. Kurz, er ist der selige Gott und, in seine Gegenwärtigkeit aufgenommen, sollen wir fühlen und schmecken, wie freundlich er ist, kein Schmerz und keine Klage, keine Trauer, keine Mühe, keine Furcht rühret uns an.
Das ist unsre Hoffnung, meine Theuren, denn es ist die Verheißung unsres Gottes. Und wozu hat er sie uns gegeben? Dazu hat er sie uns gegeben, daß unsre Seele einen Zug verspüre nach jener himmlischen Welt, daß das Herz dürste nach dem lebendigen Gott und rufe: wann werde ich dahin kommen, daß ich Gottes Angesicht schaue. Dazu hat er sie heimleuchten lassen in unsre Finsterniß, daß wir mit ihrem süßen Trost den Druck der Anmuth, das Gedränge der Noth, jeden klagenden Seufzer besiegen und die Trübsal, die zeitlich und leicht ist, der Herrlichkeit nicht werth achten, die an uns offenbaret werden soll. Läßt es sich entschuldigen, Geliebte, wenn wir um eines schimmernden Flimmers oder um eines trüben Schaltens, immer um eines vergänglichen Wesens, um eines eiteln Nichts willen, unsre Krone aus den Augen verlieren, oder sie gar in den Staub mit Füßen treten? Der Glaube hebt diese Krone empor und stehet sie unverrückt an. Thut das, ihr zu einem himmlischen Erbe Berufenen und wiewohl ihr jetzt eine kleine Zeit, wie es sein soll, traurig seid in mancherlei Anfechtungen, so sage ich dennoch: ihr seid selig. Und warum? Weil ihr das Wort fassen könnt - ich bin dein sehr großer Lohn. Amen.