Harms, Ludwig - Der Psalter - Der 13. Psalm.
David spricht in diesem Psalm zum HErrn: HErr, wie lange willst Du meiner so gar vergessen? Wie lange verbirgst Du Dein Antlitz vor mir? Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele, und mich Ängsten in meinem Herzen täglich? Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben? Da sehet ihr, daß David den Psalm gebetet hat in großer Herzensangst und Anfechtung. Solche geistliche Anfechtungen, darin David steckte, sind die schwersten aller Anfechtungen, denn man verzagt darin beinah an Gott, und der Satan ist eifrig beschäftigt, einem allen Glauben wegzunehmen und dadurch den Menschen in Verzweiflung zu stürzen. Darum sind diese Anfechtungen so sehr gefährlich, weil der Mensch, der darin steckt, am Rande des Verderbens und am Abgrunde der Hölle schwebt, so daß er mit David sagen kann: Satans Tücke haben mich umgeben und Belials Bäche haben mich umfangen Ps. 18. Solche geistliche Anfechtungen haben von jeher alle Kinder Gottes wohl gekannt, ihr braucht in unserm Gesangbuche nur die Gesänge nachzuschlagen, die überschrieben sind: „In schweren geistlichen Anfechtungen“, und ihr werdet da bestätigt finden, was ich eben gesagt habe. - HErr, warum vergissest Du meiner so lange? das ist die erste Frage. Hat Gott David vergessen, so ist er kein Kind Gottes mehr, denn Gott vergisset Seiner Kinder nicht. Das spiegelt nun der Teufel David vor, denn Gott hat gesagt: Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? und ob sie desselbigen vergäße, so will Ich doch dein nicht vergessen Jes. 49, 15. Wie schwer muß da die Anfechtung sein, wenn ein Mensch sagt: Wie lange willst Du meiner vergessen? d. h. mit andern Worten: ich habe keinen Gott mehr, denn schon lange vergisset Er meiner, nicht erst seit gestern oder vorgestern. Es sucht sich ein solcher Mensch Hülfe im Gebet zu Gott; aber das Gebet ist scheinbar kraftlos und läßt kraftlos, es bleibt auf der Erde liegen und wird nicht erhört. Darum spricht er weiter: Wie lange verbirgst Du Dein Antlitz vor mir? Verbirgt Gott Sein Antlitz vor ihm, so wendet Er ihm den Rücken zu, - und den Rücken wende ich dem zu, mit dem ich nichts zu thun haben will. Wendest du dich mit deiner Bitte an einen großen, reichen Herrn, und der dreht dir dann den Rücken zu und geht davon, kannst du glauben, daß der dich liebt und dir helfen will? Wenn er weiter fortfährt: Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele, und mich ängsten in meinem Herzen täglich? so sehet ihr, worin solche Anfechtungen bei den Christen ihren eigentlichen Grund haben, nämlich in weiter nichts, als in den Sorgen und Aengsten des Herzens. Ach, wenn doch die Menschen das Sorgen, nicht nur das leibliche, sondern auch das geistliche, lassen wollten, und damit auch das Aengsten und Grübeln! Aber leider üben sie sich darin und quälen sich und andere Leute damit, es ist, als ob sie darnach trachten, diese Kunst immer besser auszubilden. In diesem Sorgen und Aengsten des Herzens wird die andere Seite der Anfechtung offenbar, - David spricht weiter: Wie lange soll sich mein Feind über mich erheben? Dieser Feind ist der Teufel. Der Teufel hakt hinter das Sorgen und Aengsten, er rührt das Herz so gewaltig auf, daß es heißt: du kannst kein Christ sein, Jesus kann dein Heiland, Gott kann dein Vater nicht sein. Dann geräthst du beinah in Verzweiflung und kommst an den Rand der Hölle. Wenn Luther von solchen Anfechtungen spricht, dann pflegt er hinzuzusetzen: Die wünsche ich meinem ärgsten Feinde nicht. Er will damit sagen: daß es nichts Schrecklicheres gebe, als diese Anfechtungen. In solchen Zuständen ist es gerade, als ob Gott und der Teufel um den Menschen kämpfen, es ist, als ob nur noch ein Haar breit daran fehlt, und der Teufel geht mit der Seele durch. O geht das so wochen- und monatelang fort, dann wird die Angst so groß, daß man mit dem Psalm spricht: Schaue doch, und erhöre mich, HErr, mein Gott. Erleuchte meine Augen, daß ich nicht im Tode entschlafe! Wollt ihr diese Anfechtungen der frommen Kinder Gottes recht gründlich kennen lernen, so leset einmal zu Hause recht andächtig den Gesang, Schwing dich auf zu deinem Gott, du betrübte Seele, warum liegst du, Gott zum Spott, in der Schwermuthshöhle? Darin wird uns geschildert, wie Gott und der Teufel um eine Seele ringen, der Teufel will die Seele haben, und Gott kämpft dagegen und will sie ihm nicht lassen. Auch die Ursachen solcher Anfechtungen werden darin angeführt. Dieser Gesang gehört zu denjenigen, die ein jeder Christ billig auswendig wissen soll, damit wenn die Anfechtungen ihn treffen, er sich daraus Trost holen kann. Brechen die Anfechtungen herein über ein Menschenherz, so ist es gewiß, daß der Teufel den Sieg gewinnt, wenn der Mensch vom Beten abläßt. Läßt er aber nicht davon ab, sondern fährt fort mit Schreien zu Gott, so ist es gewiß, daß Gott den Sieg gewinnt. Es kommt Alles darauf an, ob der Mensch sich durch den Satan vom Gebet abtreiben, oder durch Gott beim Gebet erhalten läßt, davon allein hängt der Untergang oder der Sieg ab; David läßt sich nicht abwendig machen vom Gebet, denn er betet weiter: Daß nicht mein Feind rühme, er sei meiner mächtig geworden, und meine Widersacher sich nicht freuen, daß ich nieder liege. Da hat er schon den Sieg ganz gewiß in den Händen, denn er bleibt beim Gebet. In der schwersten Anfechtung, in der größten Angst und Noth seines Herzens hält er doch die Gewißheit fest: mein HErr, mein Gott, mein Heiland ist Er doch - Er kann wohl eine Weile mit Seinem Trost verziehn, und thun an Seinem Theile, als hätt' in Seinem Sinn Er meiner sich begeben, als sollt' ich für und für in Noth und Aengsten schweben, als fragt Er nicht nach mir; aber dann wird Er auch Seine Hülfe um so herrlicher beweisen. Schaue doch, sagt er, meine ganze Noth ist vor Dir aufgedeckt und Du hast ein allsehendes Auge; höre doch mein Schreien, denn Du hast ja ein allhörendes Ohr, so komm und hilf mir, erhöre mein Gebet, erleuchte meine Augen, daß ich Deinen Trost erkenne und erfahre. Einen Augenblick kannst Du wohl Dein Angesicht vor mir verbergen, aber dann mußt Du mich mit großer Gnade erquicken. Ich sehe es deutlich ein, daß das nur eine kleine Zeit dauern kann, Sein Vaterherz kann Er vor mir nicht verschließen, deshalb ist der Sieg schon in meiner Hand und ich kann sprechen: ich warte, bis die rechte Stunde des HErrn kommt, wenn die da ist, dann ist auch die Hülfe da, denn Er hat gesagt: Wer zu Mir kommt, den will Ich nicht hinausstoßen, und: Kommt her zu Mir, alle die ihr mühselig und beladen seid, Ich will euch erquicken, und: Ich habe im großen Zorn Mein Angesicht ein wenig vor Dir verborgen, aber mit großer Gnade und Frieden will Ich dich schmücken. Das ist die Erleuchtung der Augen, die jedem aufrichtigen Christen, der in der Anfechtung steckt, zu Theil wird. Ohne diesen Trost muß ich als ein Selbstmörder dem Teufel in den Rachen springen, mit diesem Trost kann ich alle meine Feinde überwinden. David sagt, Gott solle ihn darum erhören, Gott solle ihn darum aus der Schwermuthshöhle ziehen, daß sein Feind sich nicht rühme, er sei seiner mächtig geworden, und seine Widersacher sich nicht freuen, daß er nieder liege. Nein, mein Feind, der Teufel, soll den Ruhm nicht haben, als hätte er mich übermocht, denn ich bin Gottes Kind; wenn er Gottes Kind übermächte, so hätte er Gott überwunden, denn Gott darf sich Sein Kind nicht aus der Hand reißen lassen. So gewiß als ich Gottes Kind bin und Gott mein Vater ist, so gewiß soll er nicht rühmen, den Sieg über mich gewonnen zu haben. Ich bin Gottes Kind durch die heilige Taufe, durch die heilige Absolution, durch das heilige Abendmahl, durch die Bekehrung und durch tausend andere Dinge bin ich an Gott gekettet, daß ich nicht von Ihm loskommen kann. Eben so wenig wie der Teufel triumphiren soll, sollen auch meine Widersacher, die Teufelskinder triumphiren, daß ich besiegt sei. Der Teufel hat ja seine Knechte und Kinder auf Erden, das sind die gottlosen Menschen, und die reiben vor Freuden die Hände, wenn es dem Frommen übel geht. - Warum ist David der Sieg gewiß? Er sagt: Ich hoffe darauf, daß Du so gnädig bist; mein Herz freut sich, daß Du so gerne hilfst. Ich will dem HErrn singen, daß Er so wohl an mir thut. Siehe, sagt er, - o merket diese wunderbare Abwechselung, mit einer schweren Klage fängt der Psalm an und mit einem herrlichen Triumphgesange schließt er, also daß alle Schwermuth weg ist und David siegesgewiß dasteht, - siehe, ich hoffe darauf, daß Du so gnädig bist, mein Herz freut sich, daß Du so gerne hilfst. Freilich weiter begehrt der Fromme nichts als Gnade, von Verdienst ist bei ihm nicht die Rede. Er vertraut darauf, daß Gott gnädig ist, und wenn er das im Glauben festhalten kann, dann ist es mit der Sündenangst vorbei. Gott ist gnädig, - und ich bedarf Gnade, - so passen wir beiden sehr gut zusammen: ich, der Sünder und Er, der Sünderheiland. Ja ich weiß, daß Er so gern hilft, und daß es oft Sein Kummer ist, daß Er so aussehen muß wegen unsers Kleinglaubens, als hülfe Er nicht gern. Man muß nur, wie Luther sagt, Glaubensaugen mitbringen, wenn man bei Jesu ein saures Gesicht sieht, und darf nicht mit Kuhaugen kommen. Bringt man Glaubensaugen mit, dann sieht man nichts, als ein gnadenreiches Angesicht, und läßt sich nicht irre machen durch Jesu scheinbar saures Gesicht. Mit solchen Augen sah das kananäische Weib den HErrn Jesum an. In Seinem scheinbar sauren Gesicht und Antworten sah sie nur Seine Freundlichkeit, und darum fuhr sie fort mit Bitten, bis der HErr ihr half. Matth. 15, 21-28. So machte es der Erzvater Jacob mit dem HErrn an der Furt Jabot l. Mos. 32, 22-32. - Der Anfang dieses Psalms ist eine große Klage, und der Schluß ein Triumph der Erhörung, aus der Klage ist ein Reigen geworden. Das sind Christenerfahrungen, die David gemacht hat und die wahre Christen heute noch machen. Aber viele Christen kennen diese Erfahrungen nicht, und darum möchten sie, wenn sie davon hören, mit dem Landpfleger Festus ausrufen: Du rasest, die große Kunst macht dich rasend! Ap. Gesch. 26, 24. Sie kennen nichts davon in ihrem eigenen Herzen und deßhalb erscheinen sie ihnen als Narrheit und Thorheit. Hast du diese Erfahrungen auch schon gemacht? Amen.