Harms, Claus - Am Sonntag Quasimodogeniti 1844.

Harms, Claus - Am Sonntag Quasimodogeniti 1844.

Ges. 285. Christ ist erstanden.

Gott, sei uns gnädig! - Man möchte ein Wörtlein zu verändern geneigt sein und sagen nicht: Gott, sei uns gnädig, sondern anstatt sei, ist: Gott ist uns gnädig. Denn was begehren wir weiter, daß Gott noch möge thun, um uns von seiner Gnade einen gewisseren Beweis zu geben und ein noch Helleres darthun, als in der Auferstehung Jesu von den Todten geschehen ist? Wie denn ja auch ein Apostel spricht, Petrus: Gelobet sei Gott und der Vater unsers Herrn Jesu Christi, der uns nach seiner großen Barmherzigkeit wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung durch die Auferstehung Christi von den Todten zu einem unvergänglichen und unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das behalten wird im Himmel. - Ich meine, so müssen wir Alle mit dem Apostel sprechen, wir Alle, vor deren Augen in den neulichen Ostertagen das Grab aufgerissen ist, darin der Heiland lag, durch welche Gottesthat unser neues Testament, mit dem Blute Christi geschrieben, von Gottes Hand versiegelt worden ist. Das hat Gott ja gethan, um unsern Glauben zu wecken, zu stärken und zu behüten. Was begehren wir denn weiter Zeugniß von seiner Gesinnung gegen uns und wollen noch bittweis sagen: Gott sei uns gnädig, nicht dankweis sagen und fingen: Gott ist uns gnädig? - Indessen doch, meine lieben Zuhörer, wir lassen es bei dem Ausdruck des Gesanges und sagen: Gott, sei uns gnädig! wie Viele von uns auch mit dem Apostel sprechen können: …. der uns wiedergeboren hat zu einer lebendigen Hoffnung; uns wiedergeboren hat. Sind's wirklich Viele? Seien's Viele! Was haben wir, das nicht könnte wieder verloren gehn, uns vom Herzen wieder genommen, gerissen werden? Hoffnung, Trost, Glaube, sind sie uns unverlierbar? Was haben wir ganz gewiß in dieser Welt, ob wir es gleich im Busen tragen, im Herzen haben? Grund dessen befehlen wir uns mit allem, das uns theuer ist, Gott und seiner Gnade, daß er diese lasse darüber schweben und, walten. Gott, sei uns gnädig. Weiter gesprochen davon und als Klage so: Da fehlet noch so viel daran, daß die ganze Gemeinde wiedergeboren ist durch die Auferstehung Christi, und das gilt ja auch für den hier versammelten Theil der Gemeinde. Unser sind nicht Wenige, an welchen die Verkündigung des Leidens Christi spurlos vorübergegangen ist und hat keine Spur zurück gelassen, für die wohl, aber nicht in denen Christus auferstanden ist, die nicht mit ihm auferstanden sind. Sie liegen im geistlichen Tode noch und geben kein Zeichen von einem neuen Leben, darin sie mit Christo wandeln. Und wenn es so bleibt bei ihnen, so wird ja, ach, ihr jetziger geistlicher Tod in ihren ewigen Tod unfehlbar umschlagen. Steht's nicht also unter uns? Spricht nicht Mancher: So steht es mit mir? Nun, das ist ein zweiter und noch ein dringenderer Grund dafür, daß wir bei dem Worte „sei“ bleiben und sagen: Gott, sei uns gnädig! Aber, ihr Lieben, erinnern wir uns, wie wir nicht sollen aus dem Gesange, sondern aus dem Evangelio predigen. Geschehe das. Hört es verlesen:

Joh. 20, 19-31. Am Abend aber desselbigen Sabbaths, da die Jünger versammelt und die Thüren verschlossen waren, aus Furcht vor den Juden, kam Jesus, und trat mitten ein, und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das sagte, zeigte er ihnen die Hände, und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, daß sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Gleichwie mich der Vater gesandt hat: so sende Ich euch, Und da er das sagte, blies er sie an, und spricht zu ihnen: Nehmet hin den heiligen Geist! welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen; und welchen ihr sie behaltet, denen sind sie behalten. Thomas aber, der Zwölfen einer, der da heißt Zwilling, war nicht bei ihnen, da Jesus kam. Da sagten die andern Jünger zu ihm: Wir haben den Herrn gesehen. Er aber sprach zu ihnen: Es sei denn, daß ich in seinen Händen sehe die Nägelmale, und lege meinen Finger in die Nägelmale, und lege meine Hand in seine Seite, will ich es nicht glauben. Und über acht Tage waren abermals seine Jünger darinnen, und Thomas mit ihnen. Kommt Jesus, da die Thüren verschlossen waren, und tritt mitten ein, und spricht: Friede sei mit euch! Darnach spricht er zu Thomas: Reiche deinen Finger her, und siehe meine Hände; und reiche deine Hand her, und lege sie in meine Seite; und sei nicht ungläubig, sondern gläubig. Thomas antwortete und sprach zu ihm: Mein Herr, und mein Gott! Spricht Jesus zu ihm: Dieweil du mich gesehen hast, Thoma, so glaubest du. Selig sind, die nicht sehen, und doch glauben. Auch viele andere Zeichen that Jesus vor seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buch. Diese aber sind geschrieben, daß ihr glaubet, Jesus sei Christ, der Sohn Gottes; und daß ihr durch den Glauben das Leben habt in seinem Namen.

Wir wollen zwar nicht alles Andre liegen lassen aus diesem Evangelio, aber hervorheben laßt mich und zur Predigt machen den Ausruf des Jüngers: Mein Herr und mein Gott! und sehen wir zu

  1. was darin liegt,
  2. wie man dazu kommt.

Höret die Antwort auf diese beiden Fragen, zwischen Frag' und Antwort aber laßt mich einen kleinen Gesang einlegen, welcher so heißt:

Nach eines Thomas Glücke,
Nur auf zwei Augenblicke,
Möcht' ich wohl tausend Meilen
Auf wunden Füßen eilen,

Mich lange Jahre sehnen
Und viele heiße Thränen
Aus meinen Augen weinen
Wenn er mir wollt' erscheinen.

Doch, Herr und Gott, was wähl' ich?
Mach' mich im Glauben selig!
Willst du das Aug' mir binden,
Das Herz kann doch dich finden.

1.

Tretet, sämmtliche liebe Zuhörer, im Geiste näher zum Zusehen und Betrachten heran. Der Jünger soll's zum Vorsprechen gesprochen haben, auf daß auch wir, ein Jeder von uns, spreche und ausrufe: Mein Herr und mein Gott! Denn es ist kein Christ, der es nicht spricht und in seinem Leben nach dem ersten Male noch manches Mal es wieder spricht, zu Zeiten ausruft. Was heißt es, wenn es zum ersten Mal geschieht? und was wird damit ausgesprochen? Ein entstehendes neues Verhältniß wird damit ausgesprochen. Wie sich's in des Jüngers Seele gemacht habe, was in derselben vorgegangen sei, worauf er so ausgerufen: enthalten wir uns bestimmter Angaben darüber. Es ist überhaupt schwer, in Anderer Seelen sich hinein zu versetzen, zumal wenn die eigene Aeußerung so kurz ist, wie es diese ist: Mein Herr und mein Gott! Es ist nicht zur Ungebühr und setzt den Jünger, den nachherigen Apostel nicht herab, wenn wir sagen, was auch immer in seiner Seele vorgegangen sei: Das ist es nicht, was jetzt in eines Christen Seele vorgeht, wenn sie ausruft: Mein Herr und mein Gott! Ob der Jünger wohl den Erlöser aus Sünde oder einem sündigen Leben gemeint haben mag? Den Erlöser aus seinen Zweifel wohl; es mögen wohl recht schwere und beunruhigende gewesen sein. So ein Wort kommt nicht aus einer unbewegten oder leichtfertigen Seele. Wir bleiben bei uns, reden aus uns, wenn wir zusehen, was in dem Ausruf: Mein Herr und mein Gott! liege, und machen es uns klar, daß darin ein entstehendes neues Verhältniß liege. Wie sich Thomas, da er so sprach, zum Herrn stellte, wie wir, wenn wir in Wahrheit seine Jünger sind, uns zum Herrn stellen: so war es bei ihm, so ist es bei uns nicht immer gewesen. Zwar hatten wir eine Kenntniß von ihm, von seiner Person, wie er einst auf der Erde ging, von seinen Lehren, die er vortrug, von seinen Thaten, die er verrichtete, von seinen Lebensumständen, von seinem Sterben und Auferstehen, dieses alles bis zu seiner Himmelfahrt war uns bekannt, selbst umständlich bekannt und genau: aber doch war's kein Verhältniß, wir blieben ihm fern dabei; wie nah' er auch Andern war und wie viel er ihnen war, davon wir hörten und zum Theil auch sahen, das war es uns nicht, unser Herr und Unser Gott war er nicht. Unser Herr war er nicht; denn wir kannten keinen Dienst, in welchem wir standen bei ihm, unser Gott war er nicht; denn wir hatten kein Gebet, das wir richteten an ihn. Und wo auch immer wir in Schwachheit Kraft suchten, in Trübsal Trost, in dem Gefühl unsrer Unsicherheit und schwerer Gefährdung eine Zuflucht, und ein gutes Vertrauen auf Höheres, als auf Menschen und eignen Schutz, - er war es nicht. Sondern der ging diese, der ging jene Wege, und Mancher verging, kam geistlich um, leiblich vielleicht auch. Das wird anders, ganz anders, wenn die Seele zum Ausruf vor Christo kommt und an ihn: Mein Herr und mein Gott! Da wissen wir, wem wir angehören und zu dienen haben, wir wissen, daß wir zu Christo beten können und thun es, vor wem wir klagen und uns freuen können, von wem wir alles Gute und nichts als Gutes erwarten dürfen. Es ist das entstehende neue Verhältniß zwischen uns und Christo, wenn unsre Seele ruft: Mein Herr und mein Gott!

Und nicht ist es etwa ein jeweiliges stück- oder theilweises Verhältniß, darin wir zum Herrn stehn, das sich nur soweit und soweit erstreckt, nur das und das befasset, sondern es ist ein allumfassendes. Sagen wir, was der Jünger, der so sprach, wohl möge ausgenommen, zurückbehalten und nicht gemeint haben, in Betreff dessen Christus sein Herr und Gott nicht sein sollte? Gewiß, gar nichts hat er ausgenommen, da er so sprach; wie wir denn ja auch anderswo von ihm lesen das schöne Wort: So lasset uns mit ihm ziehen, daß wir mit ihm sterben. Er starb nicht mit ihm; allein da er also sprach, hat er gewiß sein Leben, und dasselbe nicht zum Theil, gewidmet und alles, was er war, hatte, konnte und je können werde, gewidmet und zugesprochen dem, vor welchem er so sprach, den er so nannte. Wie's auch noch immer so zugeht in Jedem, der also spricht, dessen Herr und Gott Christus wird, wenn er's also ruft; er läßt dies neue Verhältniß zu Christo, seinem Herrn und Gott, auch alles umfassen, was sein ist und bis dahin war. Alles andere Mein wird ausgestrichen und darüber geschrieben: Sein. Nur behält die Seele ein einziges Mein, das ist: Mein Herr und mein Gott'. Denn das liegt in dem Ausruf: ein völliges Aufgeben aller andern Verhältnisse. Sehn wir zu, das lieget darin, ob der, der so spricht, auch noch sein eigen bleibe oder eines Andern? Nimmermehr. Was mitgehen will, kann mitgehen, wo nicht, so mög' es bleiben, da es ist. Daran oder darin man seine Freude, seine Ehre, sein Glück, ja seinen Himmel gehabt hat, was es auch gewesen: wer mit Wahrheit spricht: mein Herr und mein Gott! der sagt sich davon los, welches Maaßes dabei nicht Christus sein Herr und sein Gott sein kann. Manches wird völlig abgethan, so daß auch kein Stäubchen mehr die Seele berühren darf, wird angesehn, wenn überhaupt noch angesehen, mit Abscheu, - alles Sündliche, - Andres wird untergeordnet, wie es sich ja selbst unterordnet und darf nicht einen Finger breit weiter noch Raum einnehmen, keine Minute lang die Seel' erfüllen, Christum verdrängend aus ihr, ob es auch an sich unschuldig sei; denn das bleibt es nicht, unschuldig nicht mehr, sobald mit demselben zugleich Christus nicht in der Seele sein kann, und noch darüber stehend bei jedem Gedanken an ihn. Es ist eine Bekehrung, die eine Umkehrung ist, und wo sie geschieht, daselbst geschiehet sie mit Freuden. Es ist wie ein Fund, der gethan wird, und ist ein Heil, das ergriffen wird. Es findet da kein Wählen noch Bedenken Statt. Es wird nicht gefragt: Thue ich's, oder thue ich's nicht? Was mein gewesen ist seither: ich habe jetzt nur ein einziges Mein und das ist Jesus, wie er jetzt mir erscheint und sich mir giebt. Ja, es ist seine Erscheinung in seiner Größ' und Herrlichkeit, oder sag' ich lieber, in seiner Güt' und Freundlichkeit, wie er sich mir giebt, und ist wie ein Himmel, der sich über mir aufthut, ist eine Seligkeit, die ich empfinde, über die auch nichts geht, noch gehen kann. Denn es ist das Allerhöchste, kaum daß mein Herz es fassen kann. Ruf macht Raum, ich muß rufen: Mein Herr und mein Gott! Ob's anhält? Wie sollt' es können aufhören! Es kommt mit allen Zeichen der Beständigkeit. Er bleibet gewiß Er, wenn ich nur ich, dieser neue Ich bleibe, und dafür wird seine große Treue mit zusehen, der ich meine Seele befehle, und sage einmal über das andre: Mein Herr und mein Gott!

2.

Ist mir gefolgt worden soweit? Liebe, theure Christen, ich bin mir selbst gefolgt, Wort und Empfindung sind voraus gewesen, davon bin ich selbst fortgezogen. Hinunter meine Gedanken: Ach, wenn es so mit dir stände! es könnte ja so stehn! Indessen, soviel darf ich doch sagen und scheue» nichts, keine verkehrte und böse Auslegung: Ich habe nicht erfahrungslos gesprochen. - Das liegt in dem Ausruf, dies entstehende neue Verhältnis, dies allumfassende, dies völlige Aufgeben aller seitherigen Verhältnisse, welches geschieht mit Freuden. Jetzt werde gefragt: Wie kommen wir dazu? Auf kürzeren oder auf längeren Wegen. Aber was ist's, daß wir so fragen und geben Antwort auf diese Frage! Stehen wir ja sämmtlich als Christen hier, als bei welchen sowohl Frag' als Antwort nicht an der Stelle sein sollte; nämlich Jeder sollte sagen können: So bin ich gekommen dazu Noch mehr, Einige von uns haben ja den Tag noch gar nicht weit hinter sich, an welchem das: Mein Herr und mein Gott! ob auch in anderm Ausdruck, ausgesprochen worden. Und nach unserer Confirmation die mehrern Beichten und die Abendmahlsfeier: wem ist's fern geblieben und fremd, was ich vorhin von dem Ausruf des Jüngers sagte, das in demselben liege? Wozu dennoch Lehre hinzufügen, wie wir zu diesem Ausruf kommen? Kehren wir uns an diese Einrede nicht. Wenige mögen sich genügt haben in der gemachten Erfahrung. Andre sagen wohl: Ach, ich kann sie nicht zu oft haben! und noch Andre gestehen, …. - wir erlassen euch das Geständniß, behaltet es bei euch. Die Rede geht ihren Pfad und giebt Antwort auf die Frage: Wie komm' ich zu dem Ausruf: Mein Herr und mein Gott!

Auf kürzern Wegen und auf längeren. Der Jünger hier hatte einen längern Weg zu gehen; jene Maria, die mit ihrem seelenvollen Rabbuni wohl nicht weniger sagte, kam kürzeres Wegs dazu. Der längere Weg ist das Seufzen, Sorgen darum, Trachten darnach. Wie wird der gegangen von uns? Gehn wir der Lehre von Christo, den Zeugnissen von ihm nach, wo sich die finden. Lassen wir uns die heilige Geschichte vor Augen malen und die hohe Person selbst. Gehn wir nach Bethlehem, als wo Christus geboren wird, und hören die derzeitige Verkündigung, die der Engel und die der Hirten. Stehen wir dabei, wie seine Eltern den Zwölfjährigen im Tempel finden, und hören sein Wort: Wisset ihr nicht, daß ich sein muß, in dem, das meines Vaters ist? Begleiten wir ihn überall hin, da er lehret, da er Zeichen thut. Ja wahrlich, wenn es schwer fällt zu glauben, daß Christus der Sohn Gottes ist, noch schwerer muß es fallen zu glauben, daß er es nicht sei. Sehen wir ihn bei dem letzten Mahle; folgen wir ihm nach Gethsemane, vor seine Richter nach Golgatha; nehmen wir Stand unter seinem Kreuze und wiederum Stand am leeren Grabe, daselbst auf dem Stein der Begebenheit; treten wir näher überall, da der auferstandene Christus seinen Jüngern erscheinet, und stehn wir noch dabei, wenn er vierzig Tage nach seiner Auferstehung gen Himmel fährt. Mancher Christ hat diese Gänge machen müssen, und sie oft machen müssen, bis es geschah, was ich vorhin beschrieben. Daneben will auch zugleich ein anderer Weg fleißig gegangen werden, der in uns selber, indem wir zusehn, wer wir sind, wie unfrei, wie befleckt, wie irdisch gesinnt, wie des Eitlen so voll, und dem Eitlen ergeben, vergeblich das Streben, unnütz das Leben und außer Stand, uns zu erheben; möchten aber doch die herrliche Seele nicht so lassen hinüber schweben. Werde dir selbst recht leid, so wird Jesus dir lieb. Das Wort geb' ich als eine gute Regel zu vernehmen. So sollen wir thun. Ich gebe nur dies an; es kann nicht alles in einer Predigt gesagt werden. Wenn Jemandem das genannte Thomasglück nicht ans kurzen Wegen beschieden ist, so geh' er längere; werth ist es, auch lebenslang darnach zu gehn.

Wenn es aber kommt, alsdann kommt es schnell. Wie es an einer Stelle heißt: Gleichwie der Blitz aufgehet im Aufgang und scheinet bis zum Niedergang, also wird auch sein die Zukunft des Menschensohnes. Eben so müssen wir von der Erscheinung Christi in uns sagen, die den Ausruf hervorbringt: Mein Herr und mein Gott! Bei Vielen war keine Erwartung seiner zu der Zeit, keine besondre Bereitung an ihrem Theile; manchmal, wenn ein Mensch recht weit von Christo abgewandt ist, ja sogar ist's geschehen, wenn er vor Christo und allem Göttlichen sich abschloß, wie die Jünger vor den Juden, und noch die Rede gesteigert, selbst wenn jemand Christum lästerte und verfluchte, denkt an Saulus: ist's ihm widerfahren, was wir eine Erscheinung Christi nennen, daß ihm die Seite gewiesen wurde, darin er seine Hand legte, und ihm die Nägelmaale gezeigt wurden, darin er seine Finger legte und gläubig auf der Stelle ward und ausrief: Mein Herr und mein Gott! Ja, so geht's auch zu, hört es zu eurem Trost, - geistlich wird es verstanden - die ihr immer noch nicht oder sehr schwach nur zu dieser innern Erscheinung des Herrn und Gottes gelangt seid: Bleibt nur im Verlangen! Einmal kommt, und dann schnell, das Erlangen, das selige Erlangen mit seinem Ausruf. Höre das Wort auch, habe das Wort gehört auch, wenn ein Solcher unter uns: Du bist wohl weit vom christlichen Glauben entfernt und weichst auch der Predigt gern aus, die so von Christo zeuget; ja wenn einmal ein Strahl seiner Erscheinung in deine Seele fällt, schiebst du sofort den Riegel zu; denn diese Helle magst du nicht. Wenn sie aber einmal kommt in ihrer Stärke, mußt du sie wohl nehmen und wirst nicht gefragt, ob du wollest. Doch höre einen guten Rath an, diesen Rath: Es ist Erweisung einer besondern Gnade, wenn dir solches geschieht; du darfst darum auch kein Spiel mit derselben treiben. Entziehe dich deinem Heilande nicht, wenn deine Seele dir noch ein wenig lieb ist. Hätte er denn nicht auch den Jünger hier in seinem Unglauben können verharren lassen? Der wurde getadelt, daß er nicht Menschenzeugniß hatte glauben wollen: was soll er sagen von dem, welchem er nahe kommt und derselbe will ihn nicht erkennen? Siehe zu, es ist eine Gnade, wenn Christus dir ein- oder zweimal nahe tritt; er möchte es nicht wieder thun und dich laufen lassen. Hat er doch ja über eine ganze Stadt gesprochen: Und ihr habt nicht gewollt, darum soll euer Haus auch wüste gelassen werden. Siehe zu, daß nicht auch deine Seele, die es noch nicht ist, dir wüste gemacht wird! Aber uns Allen ist mit dem Nach gedient, der darin liegt, daß wir durch Gnade zu dem Ausruf: Mein Herr und mein Gott! kommen. Sehet, wir sind ja doch wie umgeben von den Mitteln, die der Herr zu Gefäßen seiner Gnade theils gemacht hat, theils neu macht, manche für die einzelne Seele besonders. Da ist das von ihm ausgegangene und vor ihm hergehende Wort, in den Kirchen hört man es, in den Büchern liest man es; die Sacramente werden vor unsern Augen und Ohren verwaltet; Exempel von Gläubigkeit und Glaubensseligkeit finden sich allerwärts, wer sie nur ansehen will; auch mit der Zunge der Schicksale, beider, der angenehmen und der widrigen, redet Christus zu uns, wenn wir ihn nur darin hören wollen. Ist's nicht Gnade? und ist's nicht also, daß wir derselben zu wenig achten? Wir wollen größere Gnaden, wollen zu dem Ausruf hin: Mein Herr und mein Gott! Da müssen wir aber die kleinern Gnaden doch nicht verschmähn, sie sind Stufen zu den größern und zu der größten, wie wir die kennen, die der Ausruf des Jüngers auch bei uns zu Wege bringet.

Wie kommen wir dazu? sei noch einmal gefragt. Gnade ist es, aber die sich als eine zwingende erweiset. Wir sehen es ja hier, der Jünger wird gezwungen. Er hatte gesagt: Es sei denn, daß - sonst glaub' ich's nicht. Das geschah aber; so mußte er nun. Ihr Lieben, es mag Einige eine hohe Lehre dünken, sie gehört aber zum A. B. C. des Christenthums, diese: Freiwillig wird kein Mensch Christ, er muß dazu gezwungen werden, sonst thut er's nimmermehr; man wächst auch nicht hinein, lebt sich nicht hinein, aber man stirbt sich hinein. Das ist's, was nicht freiwillig geschieht, sondern Zwang erfordert. Verlassen, verläugnen, entsagen, aufgeben, unterdrücken, dämpfen, kreuzigen, tödten, das soll geschehn. Wer wird's thun, als der muß? Es thut's Niemand; es sei denn, daß Christus uns zwinge. Oder auch: wir müssen ihn zwingen, und in solcher Weise, wie hier der Jünger, daß er sich uns offenbart. Sei's denn unsre Sprache vor ihm: Herr, wie ich dich wohl nennen will, Gott wie's ich sagen will, wie's Andre thun, die Wege, die du gegangen bist mit ihnen, sind mir nicht bekannt: willst du aber mich haben, ich kann einmal nicht von mir und der Welt los, so mußt du mich nehmen; sonst bekommst du mich nicht. Ich soll dich bitten; ich kann nichts anders, als dich bitten: Lehre du mich bitten. Ich soll suchen, ich habe nichts zu suchen, o laß mich das Suchen selbst finden; ich will über das Suchen deiner als über einen gemachten Fund mich freuen. Ich soll anklopfen, bei dir anklopfen; ach, dazu kommt's nicht! Aber wenn du wolltest bei mir anklopfen und dazu deine Stimme hören lassen als deine die deinige; sonst thu' ich nimmer auf. Das ist Rede wie Thomasrede. Sind deren unter uns, bei denen es so steht? Ich vermuthe. Denen ist also gesagt, wie sie zu dem „Mein Herr und mein Gott!“ kommen können. Thut denn so, auf daß der göttliche Zwang bei euch eintrete. Das soll aber nicht euch allein, sondern uns Allen insgesammt gesagt sein. Wir haben Ursache, diesen Weg miteinander zu gehen. Da ist bei uns Allen so viel Gleichgültigkeit, die allein von seiner Gnadenmacht hinweggeschafft werden kann, und so viel Widerstreben übrig, das allein seine Uebergewalt überwältigen kann. Tritt herein mit deinem Friedensgruße, den die Jünger bekamen! Hauch' uns wie die Jünger an und laß uns den heiligen Geist nehmen! Zeige uns, wie du der Jünger Einem zeigtest, deine Seite und deine Nägelmaale mit dem Verbot: Sei nicht ungläubig! und mit dem Gebot: Sei gläubig! so daß wir sagen im Gehorsam: Mein Herr und mein Gott! Zwingt uns, o Jesu, daß wir dich unsern Herrn und unsern Gott nennen müssen, und ein Jeder ausrufen müsse, wie der Jünger ausrief: Mein Herr und mein Gott! Amen.

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