Hagenbach, Karl Rudolf - Das Gleichniß von den beiden Söhnen.

Hagenbach, Karl Rudolf - Das Gleichniß von den beiden Söhnen.

(An einem Communionssonntage.)

Text: Matth. 21, 28-32.

Was dünket euch aber? Es hatte ein Mann zween Söhne und ging zu dem ersten und sprach: mein Sohn, gehe hin und arbeite heute in meinem Weinberge. Er antwortete aber und sprach: ich will's nicht thun. Darnach reuete es ihn, und ging hin. Und er ging zum andern und sprach gleich also. Er antwortete aber und sprach: Herr, ja! und ging nicht hin. Welcher unter den zween hat des Vaters willen gethan? Sie sprachen zu ihm: der Erste. Jesus sprach zu ihnen: wahrlich, ich sage euch: Die Zöllner und Huren mögen wohl eher ins Himmelreich kommen, denn ihr. Johannes kam zu euch, und lehrte euch den rechten Weg, und ihr glaubtet ihm nicht, aber die Zöllner und Huren glaubten ihm. Und ob ihrs wohl sähet, thatet ihr dennoch nicht Buße, daß ihr ihm darnach auch geglaubt hättet.

Wenn der Zweck christlicher Lehrvorträge blos darin bestände, die schwierigern Stellen der Heiligen Schrift zu erklären und über das ein neues Licht zu verbreiten, was dem ungelehrten Bibelleser beim einsamen Lesen und Nachdenken dunkel bleiben dürfte, so würde die Wahl unseres heutigen Textes sich schwerlich rechtfertigen lassen; denn in der That liegt der Sinn des vorgelesenen Gleichnisses so offen und klar vor uns, und die Anwendung davon ergibt sich so leicht und wie von selbst, daß es keiner weitern Auslegung zu bedürfen scheint. Aber wie? wenn eben jene Erwartung, die so manche zur Kirche mitbringen mögen, gleich jenen Athenern immer etwas Neues zu hören, eine unrichtige, in den eigentlichen Bedürfnissen des Christenthums keineswegs so ganz gegründete wäre? - Allerdings sollen wir mehr und mehr wachsen in aller christlichen Erkenntniß, und gewiß sind die Lehrer in der Kirche vornehmlich auch dazu aufgestellt, diese Erkenntniß zu fördern und zu berichtigen, wo es noch thut, und es ist auch schön und erfreulich, wenn eine heilsame Lern- und Wißbegierde von Seite der Zuhörer ihnen entgegen kommt. Aber diese Erkenntniß in den Dingen des Heils, die durch das richtige Verständniß der christlichen Lehre bedingt wird, ist am Ende doch nur ein Mittel, um zum Heile selbst zu gelangen, und wehe dem, der den Zweck über dem Mittel vergißt. Nicht das Wissen und die Erkenntniß als solche zu fördern, sondern das christliche Leben zu wecken, die Herzen für Gott zu gewinnen und eine neue tüchtige Gesinnung da zu schaffen und hervorzurufen, wo sie durch die Gewohnheit der Sünde verdrängt oder wenigstens beschränkt und gehindert ist - das ist der Zweck der christlichen Predigt, das die erste und letzte Aufgabe aller, welche an Christi Statt den Gemeinden zurufen: lasset euch versöhnen mit Gott! Und auf diesen höchsten und letzten Zweck arbeitet auch alles hin, was die Heilige Schrift in ihrer reichen Fülle uns darbietet. Hohes und Tiefes, Schweres und Leichtes; Bildliches wie Geschichtliches, Lehre wie Ermahnung; Spruch und Gleichniß, sie alle sollen dazu dienen, das von Gott abgewendete Herz ihm wieder zuzuwenden und es fest zu machen in ihm. O daß wir darum nicht nur Hörer des Wortes oder gar solche seyn möchten, die immer nur lernen wollen, ohne auszulernen, sondern Thäter des Wortes, die den von Gott ausgestreuten Samen in den feinen empfänglichen Herzen bewahren und Früchte bringen zu seiner Ehre.

Und mit dieser Gesinnung laßt uns denn auch herantreten zu dem vorgelesenen Gleichnisse. Es gehört mit in die Reihe derer, welche Christus unser Herr im Kampfe mit den Pharisäern vortrug, um ihre Heuchelei zu bestrafen und ihren Stolz zu demüthigen. Nachdem sie ihm selbst eine verfängliche Frage über seinen Beruf und seine Wirksamkeit vorgelegt hatten und ihm dagegen die Antwort auf die Frage, die er ihnen vorlegte wegen der Taufe Johannis, aus leicht begreiflichen Ursachen schuldig geblieben waren, erzählte er ihnen dieses Gleichniß von den zwei Söhnen. Am Verständniß desselben fehlte es ihnen wahrlich nicht. Sie fanden die Frage, welcher besser gethan von den beiden Söhnen? kinderleicht und konnten nicht anders als zu ihrer eigenen Beschämung sie richtig beantworten; aber dennoch mußten sie vom Herrn den Vorwurf hinnehmen: „die Zöllner und die gröbsten Sünder und Sünderinnen mögen eher ins Himmelreich kommen, denn ihr. Johannes kam zu euch und lehrte euch den rechten Weg und ihr glaubtet ihm nicht; die Zöllner und Sünder glaubten ihm, und ob ihrs wohl sahet, thatet ihr dennoch nicht Buße, daß ihr darnach auch geglaubt hättet!“

Soll aber uns nicht ein ähnlicher Vorwurf treffen, so laßt uns nicht stehen bleiben bei dem bloßen äußern Verständnis des Gleichnisses, etwa, daß wir es blos auf die damaligen Zeitverhältnisse beziehen, indem wir sagen unter dem einen der Söhne seyen die Heiden und ihre Genossen, unter dem andern die Juden und die Pharisäer verstanden. Vielmehr laßt uns fragen, ob diese Söhne nicht noch immer auch unter uns sich befinden, und ob wir sie nicht selbst hegen und tragen, vielleicht beide miteinander zugleich in unsern Herzen?

Ueber diese ernste Gewissensfrage möge uns Gott selbst die Augen öffnen, und die Betrachtung seines Worts also an uns gesegnet seyn lassen, daß wir nicht nur am Verstande belehrt, sondern auch im Herzen gebessert und fürs Leben bereitet und gestärkt aus dem Hause des Herrn und von seinem heiligen Tische scheiden mögen. Amen

Es hatte ein Mann zween Söhne und ging zudem einen und sprach: mein Sohn! gehe hin und arbeite heute in meinem Weinberge. Sehet da das schöne, einfache, väterliche Verhältniß Gottes zu den Menschen, das der Erlöser unermüdet war, überall seinen Zeitgenossen zum Bewußtsein zu bringen und das er auch in uns verwirklicht wissen will. Einen Vater lehrt er uns kennen, der das Recht hat, von uns, seinen Kindern, Gehorsam zu verlangen, und der nur das von uns fordert, was zu unserm eigenen Besten dient. Der Besitzer des Weinbergs hätte auch seine Knechte ausschicken, er hätte fremde Taglöhner dingen können, den Weinberg zu bearbeiten; aber er zieht es vor, die Söhne zu schicken, eben darum, weil er die Arbeit, die er ihnen überträgt, zuträglich für sie hält, weil er einen Segen in der Arbeit findet. Die Söhne nun hätten diese väterliche Absicht erkennen, sie hätten dem Vater danken, ihm freudig entgegen kommen und es sich zur Ehre rechnen sollen, ihm zu dienen. Arbeiteten sie doch nicht in eines Fremden Dienst, sondern im Weinberge des Vaters. Wo hätten sie lieber verweilen, lieber arbeiten sollen, als im Eigenthum des Vaters, das ja, wenn sie es recht bedachten. ihr Eigenthum und ihr Erbe war? So sendet der himmlische Vater auch uns in seinen Weinberg aus guten, väterlichen Absichten. Er, der unendlich Reiche, der Allgenügsame ist unsres Dienstes nicht benöthigt. Er, der die Winde zu seinen Boten macht und die Feuerflammen zu seinen Dienern, dem alle Kräfte und alle Geister zu Gebote stehen - er könnte auch durch andere Geschöpfe, als durch uns seinen heiligen Willen vollziehen lassen; aber er würdiget uns seines Dienstes zu unserm eigenen Besten, und so hat er denn jedem unter uns seine Stelle im Weinberg angewiesen, die er für die zuträglichste hält; denn glaubet doch ja nicht nur die seyen Arbeiter im Weinberge des Herrn, die in einem besonderen Sinne und von Amts wegen Diener der Kirche sind, die vermöge ihres Amtes und ihrer Stellung in der Kirche das Wort Gottes erklären, die heiligen Sakramente verwalten und die Gebete darbringen für die versammelte Gemeinde. Wir alle, Geistliche und Weltliche, sind Arbeiter im Weinberge; wir alle gehören zu dem auserwählten Priestergeschlecht, zu dem Volke des Eigenthums, daß wir verkündigen sollen die Tugend des, der uns berufen hat von der Finsterniß zu seinem wunderbaren Lichte (1. Petr. 2, 9.).

Wo immer einer im Dienste der Menschheit arbeitet und mit seiner Thätigkeit in die große Kette der menschlichen Thätigkeit eingreift, ja, wo Einer auch nur - gesetzt, daß er durch Krankheit oder andere Umstände und Verhältnisse von dieser gemeinsamen Thätigkeit ausgeschlossen wäre - sein eigenes Inneres redlich pflegt und anbaut und sich christlich ausbildet nach Geist und Gemüth; der arbeitet in Gottes Weinberg. Die Erde ist ja des Herrn und was darinnen ist, und wo ließe sich daher auch nur eine irdische, geschweige denn eine himmlische Beschäftigung denken, die nicht im Auftrage des Herrn, nicht in seinem Dienste sich vollziehen ließe? Nur daß wir immer unsern Beruf als einen solchen Auftrag erkennen, daß wir alles, was wir thun, nicht den Menschen thun, sondern dem Herrn, der den Dienst uns anvertraut hat und dem wir einst Rechenschaft geben sollen.

Aber eben an dieser Anerkenntniß unserer Abhängigkeit von Gott in allen Dingen fehlt es uns so oft. Wenn wir auch nicht als Müßiggänger jeder Arbeit und Anstrengung uns entziehen, sondern im Gegentheil uns Vieles und oft Unnöthiges zu schaffen machen, so zögern wir doch gar zu oft, da zu folgen, wo es gilt im Dienste Gottes zu arbeiten und die Zwecke seines Reiches an uns und an Andern zu verwirklichen. Da machen wir es denn auch wie jener erste Sohn, in unserm Evangelium, der antwortete: „ich will es nicht thun.“ -

Eine harte, böse Rede im Munde eines Kindes, dem Vater gegenüber, der sein Bestes will, und so freundlich es auffordert. Ach, ihr Alle, die ihr selbst schon als Eltern, als Lehrer, als Vormünder und Vorgesetzte von Kindern in den Fall gekommen seyd, ihnen einen Befehl zu ertheilen, und es ist euch die trotzige Antwort geworden: ich will es nicht thun; ihr fühlt es, wie schwer ein solches Wort das Innerste verletzt. Ihr seyd leicht geneigt, das Schlimmste von einem solchen Kinde zu erwarten und auf ein böses, verdorbenes Herz zu schließen, aus dem eine solche Rede als aus einer bittern Wurzel hervorgehe. Es ist möglich, daß ihr damit dem Kinde unrecht thut, indem ihr mehr nach dem Scheine und nach dem augenblicklichen Eindrucke als nach dem Wesen urtheilt; denn wer weiß? ob nicht ein solches Kind bald umkehrt mit Reue, gleich jenem ersten Sohne und dennoch euern Befehl erfüllt, gegen den es sich zuerst auflehnte. Gleichwohl bleibt dieser Trotz, auch bei dem besser gearteten Kinde, auch da wo er wirklich nur eine plötzliche Aufwallung, eine augenblickliche Verstimmung und Verirrung, eine kindische Unart seyn sollte - eine betrübende Erscheinung, die wir so gerne hinwegwünschen möchten aus der Reihe der Erfahrungen, die wir auf dem Gebiete der Erziehung machen. Und so ist es auch mit dem ersten Sohne in unserm Gleichnisse. Werden wir auch in der Folge sein Benehmen unendlich besser finden, als das des zweiten Sohnes, der umgekehrt handelte, der erst gute Worte gab und hinterher doch nicht gehorchte - gutheißen können wir es nun und nimmer mehr; es bleibt ein unschönes, ein unkindliches, ein trotziges Benehmen. - Und wie? lassen nicht auch wir uns dasselbe Benehmen zu Schulden kommen? Ich will nicht einmal reden von dem offenen, frechen und beharrlichen Trotze, der mit Absicht gegen den Ruf Gottes sich verhärtet, seinen Führungen und Anordnungen mit geheimer Lust am Bösen sich widersetzt und in seinem Widerstreben zu seinem eigenen Unglück verharrt; auch besser Gearteten und weicher Gestimmten begegnet es bisweilen, daß wenn ein Ruf des Herrn zu ungelegener Zeit (wie ihnen dünkt) an sie ergeht, wenn er sie in ihren Lieblingsbeschäftigungen unterbricht, in ihrer Bequemlichkeit sie stört, antworten: ich will es nicht thun! Ja, diese Befangenheit in unsern selbstsüchtigen Planen und Bestrebungen, diese natürliche Trägheit und Verdrossenheit zum Guten, die sich so ungern aus dem einmal gewohnten Gleise aufstören läßt, ist es gar oft, die einen ähnlichen Trotz in uns nährt, wie bei jenem Sohne, der auch vielleicht grade von einem Geschäfte oder einem Vergnügen abberufen wurde, das ihm wichtiger schien als der Auftrag und Wille des Vaters. In solchen Fällen rafft sich denn das sonst gehorsame und gut geartete Kind alle Gründe zusammen, die ihm die erfinderische Eigenliebe eingibt, dem Gebote des Vaters sich zu entziehen; da giebt es denn tausend Entschuldigungen und Ausflüchte, und wo diese nicht mehr ausreichen, da verhärtet sich endlich das Herz in seinem Trotze und erklärt rund heraus: „ich will es nicht thun.“

Wo es aber nicht jene natürliche Trägheit und Verdrossenheit ist, da ist es oft der Stolz und die Eigenliebe, die dem Herzen mit Schlangenberedsamkeit einreden, es doch zu versuchen, nun auch einmal selbst Meister zu seyn und nicht immer fremden Antrieben zu folgen. Oder wer kennt nicht jenen falschen Ehrgeiz, der in den Augen Anderer einen Ruhm drein setzt, weniger fromm und lenksam zu erscheinen, als man es der bessern Stimmung des Herzens und der Mahnung des Gewissens nach wohl seyn möchte? Man schämt sich ja wohl des kindlichen Sinnes, der dem Vater aufs Wort folgt, man will auch einmal den Herrn spielen vor Gott und sich das Ansehen der Unabhängigkeit geben vor der Welt. - War es nicht auch so bei jenem ungehorsamen Sohne? Anderemale hatte er vielleicht gehorcht; aber das böse Beispiel seiner Genossen hatte auch auf ihn gewirkt. Es ist uns als sähen wir einige der bösen Buben in der Ferne stehen und ihn beobachten, ob er wohl dem Vater aufs Wort folgen würde, um ihn dann als ein schwaches Kind zu verspotten, das sich nicht getraue einen eigenen Willen zu haben - und aus Furcht vor diesem Hohn und Spott, wirft er sich plötzlich in die Brust und antwortet: „Ich will es nicht thun!“ - Und wahrlich diese eitle kindische Furcht vor dem Urtheil der Welt hat einen größern Antheil, als wir es glauben, an dem Ungehorsam unseres Geschlechtes, besonders in solchen Zeiten, wo es für ein Zeichen der Aufklärung und eines freien Sinnes gilt, gegen göttliche und menschliche Gebote sich aufzulehnen. Dieß zeigt sich uns schon in den weltlichen und menschlichen Dingen. Lasset irgend eine gute Verordnung ausgehen von einer Regierung oder einer Behörde derselben: gleich werden sich tausend Stimmen erheben, „das sey zu viel verlangt, das trete unsern Rechten, unsern Freiheiten zu nahe“ und alsobald ertönt die prahlerische Kraftsprache: „Wir thun es nicht!“ Zum Glück ist dieß auch nicht immer so ernstlich gemeint, als gesprochen, und schon morgen sehen wir manchen, der heute mit in den Trotz einstimmte, wieder umkehren wie jener Sohn und ganz still und gelassen die Pflicht erfüllen, der er sich erst widersetzt hatte. Zum Glücke, sagen wir, verhält es sich so, daß die, die am wildesten sich gebärden, nicht immer die Schlimmsten sind. Aber ein reines Glück ist es am Ende doch nicht zu nennen, wenn alles Gute erst durch diesen Kampf der Leidenschaft und des Widerspruchs hindurch muß, ehe es Anerkennung findet; und besonders gut steht es nicht um das öffentliche Wesen, wo es gleichsam zum herrschenden Tone wird, erst eine Zeit lang den Widerspenstigen zu spielen und dann erst zu gehorchen; wo man seinen Stolz und seine Freude drein setzt, erst seinen Kopf und seinen Willen zu haben, ehe man einer bessern Einsicht sich unterordnet. Und wie im Bürgerlichen und Weltlichen, so ist es auch im Geistlichen. Mit diesem, wenn auch nicht immer so böse gemeinten Sträuben gegen den Ruf Gottes, mit diesem Markten und Abdingen, mit diesen Unter. Handlungen zwischen dem höhern Gesetz und dem Gesetz in unsern Gliedern, zwischen dem was die Ehre bei Gott und dem was die Ehre bei den Menschen fordert, verstreicht oft die beste Gnadenzeit, die schöne Morgenstunde im Weinberg des Herrn, die wir nie mehr einbringen können, und so wird uns auch selbst bei nachfolgender Reue immer ein Theil des Segens verkümmert, den wir ganz haben könnten, wenn wir gleich gehorchten.

Indessen ist es freilich besser, einmal zu gehorchen als gar nicht; einmal reuig zurückzukehren als fortzufahren im Trotze. Kaum hatte der Sohn in unserm Texte das unvorsichtige Wort gesprochen „ich will es nicht thun“, als es ihn reute und er doch hinging. O schöner, kindlicher Zug, der uns wieder aussöhnt mit dem Trotzigen! Wohl mochte ihm der Vater einen ernsten, wehmüthigen Blick nachgesandt haben, als er ihn entließ. Dieser Blick aber ging ihm tief ins Herz und verfolgte ihn überall hin, und ließ ihm keine Ruhe. Die Arbeit, die er auf seinen Kopf unternommen, wollte ihm nicht gelingen, die Vergnügungen, zu denen die Freunde ihn lockten, wurden eine Pein für das aufgewachte Gewissen. Es war ihm nicht wohl bis er den Auftrag des Vaters erfüllt hatte. Wohl mochte es ihm jetzt doppelte Ueberwindung kosten, sein Unrecht einzugestehen, und vielleicht im Angesichte seiner bösen Genossen wieder umzukehren, um gleich jenem ungerathenen Sohne zu sprechen: Vater ich habe gesündiget in den Himmel und vor dir und bin hin. fort nicht werth, daß ich dein Sohn heiße. Aber keine Berechnung, keine falsche Scham hält ihn mehr zurück; die kindliche Liebe siegt über jede Bedenklichkeit, die Pflichttreue über jede Unart des Herzens. Und o mit welch befriedigtem Gefühle mag er nun die Arbeit angetreten haben, vor der er erst sich scheute; mit wie ganz andern Empfindungen mag der Vater den am Abend Heimkehrenden empfangen haben, als die waren, womit er ihn am Morgen entließ? Aehnliche Empfindungen mochten es jetzt seyn, wie die jenes Vaters, der auch den reuigen Sohn in seine Arme schloß mit den Worten: mein Sohn ist verloren gewesen, aber wiedergefunden, er ist todt gewesen, aber lebendig geworden; lasset uns uns freuen und fröhlich seyn. O daß doch diese Reue, die Niemand gereuet, auch uns ereilen möchte, wenn wir den Befehlen Gottes ungehorsam waren, o daß auch wir noch zur guten Stunde zurückkehren und das Versäumte durch doppelten Eifer nachholen möchten, wo wir uns haben verleiten lassen, den Ruf Gottes zu überhören, der an unser Herz er. ging. Haben doch auch wir einen gütigen barmherzigen Vater, der das irrende Kind auch da wieder annimmt, wo es durch Trotz seine Liebe verscherzte, einen Vater, der nicht will den Tod des Sünders, sondern daß er lebe, um sich zu bekehren. Darum kehret wie. der, ihr abtrünnige Kinder - so rufen wir euch mit dem Propheten (Jerem. 3,12) - lasset euch versöhnen mit Gott - so rufen wir euch mit dem Apostel zu an Christi Statt; ja, an Christi Statt, der die Versöhnung selber ist und der den Weg uns bereitet hat, der zum Vater führt.

Wenden wir uns nun aber zum zweiten Sohne in unserm Gleichnisse. Wie ganz anders empfängt dieser den Auftrag des Vaters! Wenn jener mit einem trotzigen Nein antwortete, so dieser mit einem freudigen Ja. Wenn jenes Stirn sich runzelte beim erhaltenen Befehl, so bleibt diese glatt und freundlich. Wenn jener sein eigener Herr seyn wollte, so nennt dieser den Vater seinen Herrn. Gewiß werdet ihr denken, ein lieber Sohn mit seinem heitern süßen Blick, mit seiner zuvorkommenden Freundlichkeit und Gefälligkeit. Aber o daß wir doch nicht so oft nach dem Scheine richteten und die gleißende Außenseite der Frömmigkeit und Tugend für diese selbst hielten. Nicht alle die zu mir sagen, Herr Herr? werden in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen thun meines himmlischen Vaters. (Matth. 7,22.) Das ist das Gericht, das über den zweiten Sohn ergeht und über alle, die ihm ähnlich sind. -

Es ist uns zwar in der Erzählung nicht gesagt, daß der Sohn, indem er also antwortete, schon im Geheimen den bestimmten Vorsatz gefaßt habe, den Willen des Vaters nicht zu erfüllen, es wäre möglich daß sein Versprechen wirklich damals aufrichtig gewesen wäre und daß es ihn erst hinterher gereut hätte; obwohl der Zusammenhang der Erzählung mit dem Benehmen der Pharisäer uns vermuthen läßt, daß Jesus in dem Gleichnisse allerdings die absichtliche und bewußte Heuchelei seiner Gegner habe darstellen wollen, da er sie ja auch anderwärts mit übertünchten Gräbern vergleicht, die wohl von außen einen freundlichen Anblick gewähren, innen aber voll Moders sind und Todtengebein. Dem sey übrigens wie ihm wolle, auch bei der mildesten Auslegung, die wir dem Benehmen des zweiten Sohnes geben können, erscheint es uns gleichwohl in einem schlimmen Lichte, jedenfalls in einem noch weit schlimmern Lichte als das Benehmen des ersten Sohnes; denn, gesetzt auch, der Wille zu gehorchen, sey anfangs vorhanden gewesen, was für ein leichter und elender Wille mußte dieß seyn, der sogleich wieder in Ungehorsam sich verkehrte und das gegebene Wort zur Lüge stempelte.

Diesen Willen konnte wenigstens die ächte Liebe nicht erzeugt haben. Entweder war die so auffallende Willfährigkeit eine abgenöthigte durch die Furcht, oder sie war die Frucht einer augenblicklichen guten Laune. Der strenge, gebieterische Blick des Vaters hatte ihn eingeschüchtert und daher das unbedingte: Ja, Herr! Oder es war ihm nun gerade einmal bequem, zu gehen, weil er nichts Besseres zu thun hatte, weil er sich eben zur Arbeit aufgelegt fand. Aber kaum hat der Vater den Rücken gewendet, siehe, so schwindet die Furcht vor dem Stecken des Treibers, oder, wo gute Laune vorhanden war, so macht diese nun schnell einer andern Platz und es verfliegt die schöne Anwandlung des Gehorsams, wie Rauch und Nebel. Wahrlich da ist uns doch der kräftige Trotz noch lieber, der am Ende wieder in sanfte Ergebung sich auflöst, als die feige, weichliche Nachgiebigkeit, die alsobald zum Trotze sich verhärtet. Dort ist ja wenigstens eine Umkehr vom Bösen zum Guten, hier ein treu. loses sich Abwenden vom Guten zum Bösen; dort ein Sieg, hier eine Niederlage, Kampf ging zwar an beiden Orten voraus; aber dort siegte die bessere Ueberlegung über den natürlichen Trotz des Herzens; hier hingegen muß der scheinbar bessere Wille der kalten Ueberlegung, der tückisch hinterher schleichenden Selbst. sucht weichen, und das ist es, was uns schmerzt und verletzt und was auch den Vater, an dessen Stelle wir uns zu setzen vermögen, noch viel tiefer und inniger schmerzen mußte, als der Trotz des ersten Sohnes. In beiden Söhnen hatte er sich getäuscht, aber in dem Einen zu seiner Freude, in dem Andern zu seinem Schmerz, und wie sehr wurde ihm eben jene Freude durch diesen Schmerz verbittert. Das war also der liebe, freundliche Sohn, auf den er all sein Vertrauen gesetzt hatte, und von dem er jetzt so schmählich betrogen ward. O sagt selbst, Väter, Mütter, Erzieher! habt ihr nicht gerne Geduld mit dem Trotz und den Unarten der Kinder, wenn nur - ach, das ist ja eure Bitte zu Gott - wenn nur ihr Herz aufrichtig und treu bleibt, unversehrt von dem Gifthauche der Heuchelei, der Lüge und der Verstellung, unerschüttert von dem Wankelmuthe einer falschen und niedern Gesinnung! Aber wollt ihr das Herzeleid, das der Vater an seinem zweiten Sohne erleben mußte, nicht an Euern Kindern erleben, o so hütet euch, daß ihr nicht selbst dem himmlischen Vater euch also darstellet wie jener zweite Sohn.

Wir wollen gerne annehmen, daß keiner unter uns mit bewußter Heuchelei vor Gott hintrete und ihm ein Gelübde ablege, dessen er schon zum Voraus im Herzen spottet. Aber wie oft sprechen auch wir, wenn der Ruf des Herrn in einer entscheidenden Stunde des Lebens an uns ergeht, etwa in Krankheit oder bei einem Unglück, einem großen Leiden oder auch wieder bei einer unerwarteten Freude, im Augenblicke der Rettung aus Gefahren, wie oft sprechen wir da nicht, entweder von Angst getrieben oder von Rührung überwältigt oder ans einem flüchtigen Anfinge von Begeisterung es aus: Ja, Herr! ich will es thun. - Und kaum ist diese Stunde, dieser Augenblick vorüber, so läßt auch die Begeisterung nach, der alte Mensch mit den alten Gewohnheiten tritt wieder in seine Rechte, und wir thun es nicht. Und doch wollen wir noch die guten, die folgsamen Kinder heißen. Wie oft erzürnen wir uns ja sogar in heiligem Eifer über die trotzigen Weltmenschen, die es wagen, Gott ins Angesicht den Gehorsam aufzukünden und seiner Befehle zu spotten und siehe! wir lassen uns doch von eben diesen Weltmenschen beschämen. Zu derselben Stunde, da der Trotzige in sich geht und den Fehler wieder gut zu machen sucht, sinnen wir darüber nach, wie wir auf anständige Weise des gegebenen Wortes uns entledigen und dennoch den Schein des Gehorsams bewahren können- Jene tadeln vielleicht laut und unziemlich eine gute Verordnung, ein edles Unternehmen und sagen sich mit Worten davon los. Wir preisen dagegen ihre Trefflichkeit und begrüßen sie mit lautem Jubel; aber wo es zum Handeln kommt, wo Opfer gefordert werden, da treten wir zurück, und jene hervor mit der That, die besser ist als ihre Worte. Nun antwortet selbst: was ist besser: der harte Kiesel, dem am Ende doch noch edlere Funken entlockt werden, oder das Strohfeuer, das alsobald erlischt? was ist erfreulicher: die verspätete Blüthe, die aber dennoch ihre Frucht bringt, wenn die warme Sonne darüber kommt mit ihrem belebenden schmelzenden Liebesfeuer, oder die frühzeitige Blüthe, die die schönsten Hoffnungen weckt, aber auch also. bald wieder im kalten Froste erstarrt, der sich ihrer unbarmherzig bemächtigt? O darum hüten wir uns doch auf unsern sogenannten guten Willen zu sehr uns zu verlassen oder mit unsern süßen Empfindungen und Ge. fühlen ein selbstgefälliges Spiel zu treiben, während wir die scheinbare Rohheit, Kälte und Unempfindlichkeit Anderer nur allzuhart beurtheilen. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen, spricht der Herr. Wehe daher denen, die die erste Liebe wieder verlassen und die Hand vom Pfluge wieder abziehen, die den Schein eines gottseligen Wesens haben, aber seine Kraft verläugnen. Darum lasset uns nicht lieben mit Worten noch mit der Zunge, sondern mit der That und mit der Wahrheit, (1. Joh. 3,18) damit wir als tüchtige Arbeiter erfunden werden in seinem Weinberge.

Eines aber meine Freunde, hat sich uns denn doch wohl herausgestellt bei der Betrachtung dieses Gleichnisses. Keiner von den beiden Söhnen hat den Willen des Vaters vollkommen gethan, und wenn auch der erste ihn besser erfüllte als der zweite, so hat doch auch sein Benehmen keinen ganz befriedigenden Eindruck auf uns gemacht; so daß es doch nur ein halber, ja ein schlechter Trost für uns wäre, wenn wir uns damit beruhigen wollten, wir seyen am Ende doch nicht so arg wie der zweite Sohn, und wenn wir auch bisweilen den Trotz des Ersten theilten, so sey es auch nicht so böse gemeint und die Reue und Buße könne immer nachfolgen. Nein, weder der Wille, der erst mit dem Trotze zu kämpfen hat, ehe er sich zum Gehorsam entschließt, noch der, welcher bloß in den Schein des Guten sich hüllt und alsobald wieder abfällt, ist der rechte, Gott wohlgefällige Wille. Weder da, wo wir schlimmer und gottloser scheinen in den Augen der Welt, als wir es unserm bessern Wesen nach sind, noch da, wo wir besser und frömmer scheinen wollen, ist das gesunde christliche Leben vorhanden; sondern nur da, wo Wille und That mit einander übereinstimmen, wo beide aus einer lautern, für Gott entschiedenen und begeisterten Gesinnung hervorgehen. Das Beispiel der beiden Söhne hat uns also nur gezeigt, wie wir nicht seyn sollen, ob. wohl wir darin als in einem Spiegel erkannt haben, wie wir leider: noch immer sind. Noch immer spaltet sich auch in uns das was immer Eins seyn sollte, der Wille und die That, und diese Spaltung und Entzweiung unseres Wesens, die hier in dem Bild der beiden Söhne äußerlich uns entgegentritt, ist sie nicht die fortwährende Quelle des innern Mißbehagens und des Widerspruches mit uns selbst, so daß wir das einemal mit dem einen Sohne im Trotz uns verhärten, und das anderemal mit dem andern, als die von Grund aus Verzagten durch die That verläugnen, wozu wir schon mit dem Munde, ja vielleicht auch mit dem Herzen uns bekannt hatten? - Und wenn wir denn fragen, wo finden wir die rechte Vermittlung und Versöhnung dieses innern Widerspruches, wo das eine, ungetheilte Bild des wahren Gehorsams, das gleich weit entfernt sich hält vor der einen, wie vor der andern Mißgestalt, o so ist es freilich nur Einer, der dieses Bild in seiner ganzen Reinheit uns darstellt. Höher laßt uns daher den Blick erheben von den unvollkommenen Söhnen unseres Gleichnisses weg zu dem Sohne, der immer im Eigenthum des Vaters arbeitete und den Willen desselben mit Freuden that, ohne Murren und ohne Trotz, wie ohne Reue und ohne Wanken, dem es vielmehr seine Speise war, den Willen des Vaters zu thun, ja dessen Wille eins war mit dem des Vaters, und der uns daher im Leben wie im Sterben ein Vorbild gelassen hat, daß wir nachfolgen sollen seinen Fußstapfen. Ja, von ihm laßt uns lernen, Gottes Kinder werden, die den Willen des Vaters aus freier Liebe thun. Zu ihm, den Gott uns gesetzt hat zur Weisheit, zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung, blicket auf, ihr vor allen Tischgenossen des Herrn, bei dem heutigen Genusse seines Mahles. Wenn auch ihr euch anklagen müßt vor dem prüfenden Gewissen, bald mit dem einen Sohne getrotzt, bald mit dem andern geheuchelt oder wenigstens treulos geschwankt und gestrauchelt zu haben, o so lernet wenigstens das von dem ersten der Söhne, daß ihr reuig umkehret und Gottes Gnade wiedersuchet. Und das thut ihr ja, indem ihr seinem heiligen Tische in bußfertiger Stimmung euch nähert. Da suchet ihr ja Vergebung eurer Sünden und erhaltet sie. Da will der Sohn, der sich selbst für uns geopfert hat, euch speisen und tränken ins ewige Leben; da geistig und innerlich mit euch sich verbinden, auf daß ihr in seiner Kraft thut, was ohne ihn euch unmöglich wäre. Wohlan denn, das Brot, das ihr esset, erinnere euch daran, daß ihr wirket die Speise, die da nicht vergänglich ist, sondern die bleibt ins ewige Leben; der Trank, den ihr trinket, belebe euch, daß ihr auch in den übrigen Verhältnissen des Lebens den Kelch trinken wöget, den der Vater euch darreicht und daß ihr dem Willen des Allliebenden euch geduldig unterwerfet mit den Worten des Erlösers: Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst!

Dieser Herr und Erlöser heilige uns selbst durch und durch, er bilde unsern von Natur trotzigen und schwachen Willen um zu einem rechten erfreulichen und kräftigen Gotteswillen, er schaffe in uns ein neues Herz und schenke uns in seiner Gemeinschaft den Geist der Kindschaft, in welchem wir rufen: Abba! lieber Vater! und thun was vor ihm gefällig ist. Amen.

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