Härter, Franz-Heinrich - Der wahre Bekenner Jesu Christi
Unser Herr Jesus Christus will, dass wir ihn bekennen sollen vor den Menschen; Er gibt dem, der solches treulich tut, eine große Gnadenverheißung, nämlich: dass Er ihn auch bekennen werde vor seinem himmlischen Vater, und vor den Engeln Gottes1); dem aber, der diese Pflicht versäumt, verkündigt Er eine schreckliche Drohung, mit den Worten: „Wer mich verleugnet vor den Menschen, den will Ich auch verleugnen vor meinem himmlischen Vater!“ Das hat viel zu bedeuten; denn der Vater hat dem Sohn alles Gericht übergeben2), und wenn Christus nicht unser Fürsprecher beim Vater ist, so gehen wir in unseren Sünden verloren3). Der Richterspruch des Herrn: „Ich kenne euch nicht, wo ihr her seid!4)“ ist das Verwerfungsurteil über die falschen Christen, das sie an den Ort der Verdammnis verweist.
Die Folgen der treulosen Verleugnung unsers Heilandes gehen also bis in das jüngste Gericht und in die furchtbare Ewigkeit des andern Todes hinaus5); und doch gibt es leider Viele unter denen, die den Namen Christi an sich tragen, und Ihm am Altar lebenslängliche Treue gelobten, welche die Pflicht, Ihn vor den Menschen zu bekennen, weder bedenken, noch verstehen; und auch unter denen, die nicht mehr in der gedankenlosen Gleichgültigkeit gegen Christum geblieben sind, zeigt sich doch sehr oft eine beklagenswerte Zaghaftigkeit, aus Weltsinn und Menschenfurcht hervorgehend, wodurch sie an dem Bekenntnis verhindert werden, welches der Herr von den Seinen fordert; ja, selbst treue Jüngerseelen haben Zeiten der Schwachheit, wo es ihnen entschwinden mochte, was sie Dem schuldig sind, der sie so teuer erlöst hat. Darum ist es für Alle nötig, oft und mit Ernst zu erwägen:
Was dazu gehört, ein wahrer Bekenner Jesu Christi zu sein.
- Nach innen.
- Nach außen.
1. Nach innen.
„Wes das Herz voll ist, des geht der Mund über6).“ Im Herzen muss die Ursache gesucht werden, wenn das Bekenntnis fehlt; im Herzen muss der Grund gelegt werden, wenn wir wollen wahre Bekenner Christi sein; vor allen Dingen haben wir deswegen betend vor Gott unser Innerstes zu prüfen, wie die Schrift uns lehrt: „Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich, und erfahre, wie ich's meine; und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege.7)“
Nach innen müssen wir also zuerst unsere Aufmerksamkeit richten, und uns fragen, ob wir einen lebendigen Glauben an Christum und sein Evangelium haben. Der Glaube ist eine gewisse Zuversicht des, das man hofft, und nicht zweifelt an dem, dass man nicht sieht8). Wer zweifelt, ist gleich wie die Meereswoge, die vom Winde getrieben und gewebt wird9). Wer glaubt, der fleucht nicht, sondern steht fest im Wort Gottes, auf dem bewährten Stein, der wohl gegründet ist10). Dieser Stein ist Jesus Christus11); die Bauleute, die Priester und Schriftgelehrten, haben ihn zwar verworfen, aber durch ein Wunder Gottes ist er dennoch zum Eckstein geworden12); die Widersacher werden daran zerschellen, und im Gerichte wird er die Übermütigen zermalmen13); er selber aber wird ein großer Berg werden, der die ganze Welt erfüllt14).
Solche weissagende Worte bedürfen keiner erklärenden Deutung; ihre Erfüllung ist die Geschichte der Ausbreitung des Reiches Gottes auf Erden, während des großen Erlösungskampfes in der Gnadenzeit; wer nun seine Gnadenzeit als ein kluger Mensch15) anwendet, gründet sich auf Christum, den einzigen Grund unserer Seligkeit16), und nimmt somit den wahren Glauben im Herzen auf, nämlich die unerschütterliche Überzeugung, dass in keinem Anderen Heil ist, und kein anderer Name den Menschen gegeben, darin sie sollen selig werden17), als Jesus Christus, der Sünderheiland, welcher Allen zuruft: „Ich bin der Weg, und die Wahrheit, und das Leben; Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.18)“
Da haben wir nun gleich den Stein des Anstoßens, und den Fels der Ärgernis, an dem gar Viele mit ihrem Glauben Schiffbruch leiden; denn sie stoßen sich an dem Wort19), dass Jesus Christus der einzige Weg zur Seligkeit ist; sie wollen selbstgewählte Wege gehen, wollen durch ihre Tugenden und guten Vorsätze selig werden, und das Wort vom Kreuz ist ihnen eine Torheit20); sie sehen in Christo höchstens das Vorbild menschlicher Vollkommenheit, nach der wir streben sollen, und in seinem Leiden und Sterben einen Märtyrertod für die Wahrheit; um sich und Andere zu täuschen, schmücken sie ihre Ansichten mit Stellen der heiligen Schrift, die aus dem Zusammenhang gerissen sind, und schildern Gott als einen schwachgütigen Vater, der nur lieben und wohltun kann, aber nicht als den heiligen Gott, der auch zürnt und straft. So entstand das matte, abgestandene Wesen, welches nicht für, sondern wider die Wahrheit protestiert, und die Pflicht nicht erkennt, durch ein freimütiges, demütiges Bekenntnis des Glaubens den Irrenden auf den Weg der Seligkeit zu weisen.
O wache auf, du Geist der ersten Zeugen! - Der Apostel Paulus war entschlossen, mitten in dem, auf seine Weltmacht und Weltweisheit übermütigen Rom aufzutreten, mit der törichten Predigt vom Kreuz: „denn,“ so sagt er, „ich schäme mich des Evangeliums von Christo nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die da selig macht Alle, die daran glauben.21)“ Also eine Kraft Gottes war ihm das Evangelium, nicht eine bloße Lehrmeinung; und es ist und hat noch dieselbe unveraltete, ewig jugendliche Gotteskraft, in seliger Lebensfrische für alle wahrhaft Gläubigen. Wer nun diese Kraft an seinem Herzen erfahren möchte, entsage dem hochmütigen Wahn, der die Offenbarung Gottes vernünftelnd meistern will, und nehme mit Sanftmut das Wort des Lebens an, welches der heilige Geist in uns pflanzt zu unserer Seligkeit22), als einen unvergänglichen Samen, der uns wiedergebiert23), das heißt, neue Menschen aus uns schafft.
Man denke jedoch nicht, dass diese Wiedergeburt plötzlich geschehe, und dass, von dem Augenblick an, wo der Mensch seine ungläubigen Zweifel aufgegeben, und das lebendige Wort Gottes angenommen hat, er auch schon sagen dürfe: „Das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu geworden24)!“ Gleichwie auf dem Acker eine geraume Zeit verstreicht zwischen der Aussaat und der Ernte, so geht auch die Entwicklung des inneren Lebens nur stufenweise und allmählig voran. Der Anfang ist zwar allemal der Glaube an das Wort; so lange dieser fehlt, ist keine Hoffnung vorhanden; wenn er aber im Herzen wohnt, so liegt er wohl bei Manchen eine ziemliche Zeit in der Stille verborgen. Wir wollen dies auch nicht tadeln, denn das gute Land ist tief; auf dem steinigen Boden, da die Tiefe fehlt, geht der Same viel schneller auf, allein er verwelkt bald wieder, weil er keine Wurzel hat25). - Damit soll sich jedoch Niemand vor sich selber beschönigen, und denken: ich habe das Wort im Herzen, nur vor Anderen will ich nicht sehen lassen, dass ich daran glaube. Der Same darf nicht immer im Grunde verborgen bleiben, er muss hervorwachsen ans Tageslicht; so muss auch der wahre Glaube zu seiner Zeit vor den Menschen offenbar werden; er muss die falsche Scham und Menschenfurcht durchbrechen, die wie eine Erdkruste das Herz umzieht; er muss grünen, blühen und Frucht bringen zur Freude und zum Preise des Sämannes Jesus Christus.
Bemerkt hier an dieser Gleichnisrede, wie der lebendige Glaube nicht unser eigenes Werk und Verdienst ist, sondern das Aufnehmen einer Gottesgabe, nämlich des guten Wortes, das uns als himmlischer Same angeboten wird; sobald ein Herz das Wort kindlich angenommen hat, wirkt der heilige Geist in ihm den wahren Glauben, indem er noch etwas Anderes dazu gibt, welches zum inneren Leben unentbehrlich ist. Im Winterfrost kann nichts wachsen; der Same bleibt liegen, als ob kein Leben darin wäre; nun aber kommt die Frühlingswärme; sie erweicht den Grund und regt den Keim an, dass er nach oben treibt. Die Wärme ist also eine zweite Gottesgabe, die mit der ersten, mit dem Samen, sich aufs innigste vereinigen muss, damit eine Ernte möglich werde.
So muss zum Glauben an das Wort die Liebe Gottes kommen, damit der Glaube tatkräftig werde, sonst bleibt der Glaube tot; denn in Christo Jesu gilt nur der Glaube, der durch die Liebe tätig ist.26) Solche Liebe können wir aber ebenfalls nicht aus uns selber hervorbringen, sondern sie wird ausgegossen durch den heiligen Geist in jedes Herz, das kindlich an Jesum Christum glaubt27). Der Glaube ist der Grund der Seligkeit, die Liebe ist die Seligkeit selber; denn sie besitzt und genießt das, was der Glaube erkennt und ergreift, nämlich Gott in Christo, das gute Teil28), das höchste Gut. Im Glauben wird das Band der innigsten Gemeinschaft mit Gott geschlungen29); in der Liebe besteht das Band der Vollkommenheit30), welches Himmel und Erde umfasst, und die beseligte Seele emporzieht über Erde und Himmel31), in das Allerheiligste, wo unser Hoherpriester thront, und wo hinein der Anker unserer ewigen Hoffnung geht32).
Weil die Liebe Gottes das eigentliche Lebenselement des Glaubens ist, so ist es durchaus nötig, dass die Gläubigen danach streben33), weil sie sonst nie wahre Bekenner Jesu Christi werden. So lange die Christen nicht sagen können: „Die Liebe Christi dringt uns also!“34) ist es mit ihrem Christentum auch kein rechter Ernst. Dies ist leider der Zustand gar mancher Christengemeinden unserer Tage, und darum ist das kräftige, freudige Bekenntnis etwas so Seltenes geworden. Es soll nicht also sein, meine Brüder! Wie sieht es unter uns so traurig aus! Muss uns nicht der Herr das strafende Wort zurufen: „Ich habe wider dich, dass du die erste Liebe verlassen hast. Gedenke, wovon du gefallen bist, und tue Buße, und tue die ersten Werke. Wo aber nicht, so werde ich dir kommen bald, und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wo du nicht Buße tust!35)“
So lange die Christen nicht die heilige Pflicht üben, vor den Menschen Den zu bekennen, der sie zuerst geliebt, und sein Blut für sie am Kreuz vergossen hat, ist auch kein wahrer Glaube und keine rechte Liebe in ihnen. Eine Kirchengemeinschaft, in welcher dieses Bekenntnis fehlt, ist einem Acker zu vergleichen, der brach liegen bleibt, und auf dem das Unkraut und Dorngebüsch den guten Samen erstickt. Darum heißt es: „Pflügt ein Neues, und sät nicht unter die Hecken.36)“ Es muss vorher eine gründliche Änderung in den Herzen vorgehen, damit der Gemeindezustand ein anderer werde. Wenn die Einzelnen über ihre Lauheit Buße täten, und sich zum Herrn bekehrten mit göttlicher Traurigkeit über ihre bisherige lange Untreue; wenn immer Mehrere mit heilsamem Schrecken an das nahende Gericht dächten, wo das Todesurteil sie erwartet in dem richtenden Ausspruch: „Ich kenne dich nicht; weiche von mir, du Übeltäter!“ o dann würde bald neues Leben erwachen, und die rechtschaffenen Früchte der Buße würden aus der Glaubenssaat aufwachsen und in der Liebe erstarken, als ein gesegnetes Bekenntnis, das auch nach außen darstellt, was nach innen wohl begründet worden.
2. Nach außen
„Die Christen sollen scheinen, als Lichter in der Welt37)“. Unser Herr sagt: „Lasst euer Licht leuchten vor den Leuten!38)“ Darunter ist aber nicht das Naturlicht eigener Weisheit zu verstehen, sondern das Gnadenlicht des Lebens, welches denen gegeben wird, die Christo nachfolgen39). Christus verklärt sich in den Seinigen durch den heiligen Geist40); diese himmlische Klarheit gehört nicht unter den Scheffel, sondern auf den Leuchter, damit der Name Jesu Christi verherrlicht werde. Deswegen befiehlt uns der heilige Geist: „Alles, was ihr tut, mit Worten oder mit Werken, das tut Alles in dem Namen des Herrn Jesu, und dankt Gott und dem Vater durch ihn!41)“
Nach außen müssen unsere Worte und Werke ein entschiedenes Bekenntnis ablegen, dass wir nicht bloß Christen heißen, sondern Christen sind, und dass der Name, in welchem allein Heil für Alle ist42), in unseren Herzen mit unauslöschlichen Zügen des lebendigen Glaubens, mit der Flammenschrift der treuen Liebe steht. - Zum vollständigen Bekenntnis Jesu Christi gehören also: Worte und Werke; keines von diesen beiden Stücken darf fehlen, doch wollen wir jedes ins Besondere betrachten.
Das Bekenntnis in Worten ist aller Christen Pflicht; denn es heißt: „Ich glaube, darum rede ich!43)“ Denkt nur nicht, dass es bloß den Geistlichen oder Gottesgelehrten44) zukomme, über göttliche Dinge zu reden und die ewigen Wahrheiten zu verkündigen vor den Menschen. Der Christ soll in jedem Verhältnis, ohne Unterschied des Standes und Berufs, allezeit bereit sein zur Verantwortung Jedermann, der Grund fordert der Hoffnung, die in ihm ist45). Wir haben ja Alle das Wort Gottes in Händen, und gründen darauf unsern allerheiligsten Glauben46) und unsere ewige Hoffnung; sollten wir, wie die stummen Hunde47), still uns verkriechen, wenn die freche Lüge sich auflehnt wider das Evangelium von Christo Jesu? Sollten wir schweigend zusehen, wie das Antichristentum durch kräftige Irrtümer seine Macht immer weiter ausbreitet? - Welche Schmach wäre das für die evangelische Kirche!
Aber siehe, es sind nicht Wenige unter uns, welche diese Schmach weder erkennen, noch fühlen. Aus Furcht, man möchte sie für fromm halten, oder ihnen gar gewisse Übernamen anhängen, womit von jeher die Gläubigen von der Welt geschmäht und verfolgt wurden48), wagen sie es nicht, sich frei und offen zu Christo zu bekennen; sie dulden es, dass in ihrer Gegenwart die göttliche Wahrheit verachtet und mit Füßen getreten werde, und meinen dadurch die Pflicht der Duldsamkeit49) zu üben. So bleiben sie freilich mit der Schmach Christi verschont; sie meiden den Kampf, wie schlechte Kriegsleute, verbergen sich im Lager, und geben ihren Feldherrn draußen, mit seiner kleinen Schar, dem Feind preis50). Darin liegt die Ursache, warum aus so vielen unserer Gemeinden das Leben gewichen ist; denn die falsche Toleranz, die den Irrtum duldet, zehrt an dem Lebensmark der christlichen Kirche.
Die Apostel und die Christen der ersten Zeit zeigen uns, worin die wahre Toleranz besteht, nämlich darin, dass man keinen Menschen von der barmherzigen Liebe ausschließt, und allezeit bereit ist einem Jeden, auch dem tief gefallenen Sünder, ja selbst dem ärgsten Feind Gutes zu tun. Gott selber ist auf diese Weise tolerant, denn er ist in der Gnadenzeit gütig über die Undankbaren und Boshaften51); und der Weltheiland betete leidend noch für seine Mörder52). Allein seine Wahrheit lässt Gott nicht ungestraft verachten; denn er hat die Zeugnisse seiner Gerechtigkeit und die Wahrheit hart geboten53), und kündigt Ungnade und Zorn Denen an, die der Wahrheit nicht gehorchen54). Und der Sohn Gottes, der treue und wahrhaftige Zeuge55), war mit den Feinden der Wahrheit im beständigen Kampf. Den ungläubigen Sadduzäern sagte er ins Angesicht: „Ihr irrt, und wisst die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes56);“ die heuchlerischen Pharisäer nannte er „Narren und Blinde, Schlangen und Otterngezücht57)“; und nachdrücklich warnte er seine Jünger vor den falschen Propheten der letzten Zeit.58)
Auch die Apostel bedienten sich keiner schonenden Ausdrücke, wenn sie die Widersacher des Evangeliums bekämpfen mussten. Der Apostel Paulus erklärt ohne Rückhalt, dass dieser Welt Weisheit eine Torheit ist bei Gott59). Der Apostel Jakobus sagt: „Das ist nicht die Weisheit, die von oben kommt, sondern irdisch, menschlich, teuflisch60).“ Der Apostel Johannes ruft aus: „Wer ist ein Lügner, wenn nicht der, der da leugnet, dass Jesus der Christ sei? Das ist der Widerchrist, der den Vater und den Sohn leugnet. Wer den Sohn leugnet, der hat auch den Vater nicht!61)“ Und in dem Brief an die Galater schreibt Paulus: „So auch wir, oder ein Engel vom Himmel euch würde Evangelium predigen anders, denn das wir euch gepredigt haben, der sei verflucht62)!“ Woher diese Strenge bei den Boten des Friedens? Offenbar daher, weil eine falsche Lehre, welche die Menschen von Christo ab und in die Selbstgerechtigkeit führt, seelengefährlich ist; denn das Werk der Erlösung wird dadurch verhindert, zu den armen Verlorenen zu dringen, und sie vom Tod zu retten.
Die wahrhaftigen Friedensprediger sind Botschafter an Christi Statt; sie müssen die Menschen aus ihrer Sicherheit aufschrecken, durch den Erweckungsruf: „Lasst euch versöhnen mit Gott!63)“ Der Friede mit Gott, in Christo Jesu, ist der einzig wahre und dauerhafte; er kann nur denen zu Teil werden, welche die Gerechtigkeit erlangen, die Gott dem Glauben zurechnet64); darum mussten die Zeugen der Wahrheit mit Macht auftreten wider die Irrlehrer, die, vom Glaubensweg seitwärts und rückwärts, nach eigenen Gedanken die Seelen verleiteten, indem sie dieselben teils mit Gesetzeswerken unnütz zerplagten65), teils sie einschläferten dadurch, dass sie sagten: „Es ist Friede, es hat keine Gefahr.66)“
Auf dieselbe Weise, wie die Apostel der Urkirche, traten auch zur Zeit der Reformation redliche Glaubensmänner auf, stellten das Evangelium wieder auf den Leuchter, und übersetzten das Wort Gottes in die Volkssprache, damit ein Jeder, der beten und lesen konnte, Wahrheit und Irrtum unterscheiden, und den Weg des Friedens im Glauben an Christum finden möchte.
In unseren Tagen, geliebte Mitchristen, da der Feind der Wahrheit das Wort Gottes nun dem Volk nicht mehr entreißen kann, ist er desto geschäftiger den Unkrautsamen des Unglaubens auszustreuen durch eine Menge von falschen Lehrmeinungen, die dem Geist dieser Zeit huldigen, und geradezu der heiligen Schrift widersprechen; Schriftgelehrte in großer Zahl suchen mit geschäftiger Hand einzureißen, was unsere frommen Väter gebaut haben; die Bekenntnisse der evangelischen Kirche werden als veraltet und unnütz erklärt, die eigene Weisheit aber wird als ein gereinigtes Christentum angepriesen, und mit christlichen Namen belegt.
Dagegen erhebt sich nun ein neu aufwachsendes, wildes Geschlecht, tritt solches Scheinwerk falscher Schriftgelehrsamkeit mit Füßen, und erklärt geradezu alle Religion als überflüssig. Das Verderben gärt in der Masse, und droht einen gewaltigen Ausbruch, dessen verwüstende Folgen kein Mensch berechnen kann. Wir gehen offenbar einem Zustand entgegen, welcher demjenigen ähnlich sein wird, da zu der Apostel Zeit das Christentum als ein Salz der Erde67) wirken musste, um der völligen Auflösung aller geselligen Verhältnisse entgegen zu arbeiten.
O ihr, die ihr als Freunde des Vaterlandes und als Glieder der evangelischen Kirche dem einreißenden Verderben steuern möchtet, seht zu, dass ihr nicht als dummes Salz erfunden werdet, das heißt, als Christen ohne den lebendigen Glauben an Jesum Christum; das Kleinod der Menschheit ist euch anvertraut; ihr kennt Den, der allein uns retten kann, denn Ihm ist gegeben „alle Gewalt im Himmel und auf Erden.68)“ Schließt euch denn aufs Neue an Ihn an, bleibt bei Ihm, bekennet Ihn unerschrocken vor den Menschen, und lasst euch nicht durch Widerspruch, oder Spott, oder Verfolgung irre machen. Der Glaube muss allemal die Feuerprobe bestehen69); aber wenn er rechtschaffen und als gediegenes Gold bewährt ist, wird er mit großer Herrlichkeit belohnt.
In den Worten: „Wer mich bekennt vor den „Menschen, den will Ich auch bekennen vor meinem himmlischen Vater!“ liegt eine ewige Verheißung; denn, sobald der Sohn Gottes uns vor Gericht als die Seinen erklärt, so haben wir, als Kinder Gottes, auch Teil an dem unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbe, das Er durch sein Leiden und Sterben erworben70), das kein Auge gesehen, kein Ohr gehört hat, und in keines Menschen Herz gekommen ist, das Gott bereitet hat Denen, die ihn lieben.71)
Ach, wer die Liebe Gottes im gläubigen Herzen trägt, dem wird es nicht schwer, seinen Heiland vor der Welt zu bekennen; er kann nicht anders, er muss aussprechen, was seine Seele bewegt, muss den Menschen sagen, was der Herr an ihm getan, und Alle einladen, Teil zu nehmen an dem großen Heil, das uns der Vater in dem Sohn anbietet. Denn die Liebe Gottes in Christo ist von der Welt- und Kreaturliebe nicht nur durch ihren Gegenstand, sondern besonders auch durch ihre Art sich zu äußern, ganz verschieden; die Weltliebe will ihr Gut allein besitzen, und wird von Neid und Eifersucht bewegt, wenn Andere auch danach verlangen; die Gottesliebe hingegen möchte mit Allen teilen, und gibt ein solches Übermaß von Seligkeit ins Herz, dass es von Wohlwollen und Segen rings umher überfließt.
Darum begnügt sich die begnadigte Seele nicht mit dem Bekenntnisse des Mundes, sondern sie preist auch den Herrn, der sie erlöst hat, durch unermüdeten Fleiß in guten Werken72). - Mit großem Unrecht wirft man der Lehre unserer evangelischen Kirche vor, dass sie wider die guten Werke sei, und dieselben verhindere und verbiete. Wer dies behauptet, hat dieselbe noch nie erkannt. Unsere Kirche lehrt zwar ausdrücklich, mit der heiligen Schrift: Dass wir aus Gnaden selig werden durch den Glauben, und dasselbige nicht aus uns; Gottes Gabe ist es; nicht aus den Werken, auf dass sich nicht Jemand rühme73). Die Werke sind nicht der Grund unserer Seligkeit, gleichwie die Blüte und Frucht eines Baumes nicht dessen Wurzel ist. Aber wenn die Gottespflanze des Christenlebens im Glauben Wurzel geschlagen hat, soll sie sich erweisen als das, was sie ist, indem sie, durch die in ihr wirkende göttliche Kraft, heranwächst zur brüderlichen Liebe und zur allgemeinen Liebe74).
Das fordert Gott von uns, zum Beweis des lebendigen Glaubens, damit wir nicht als unfruchtbare Pflanzen abgehauen und ins Feuer geworfen werden75). Die evangelische Lehre verwirft also nur die Scheinwerke, oder das sogenannte Gesetzeswerk76), aber sie dringt nachdrücklich darauf, dass der Christ durch gute Werke, die aus dem Glauben kommen, seinen Dank erweise gegen Gott, der ihn so hoch begnadigt hat. „Denn wir sind sein Werk, geschaffen in Christo Jesu zu guten Werken, zu welchen Gott uns zuvor bereitet hat, dass wir darin wandeln sollen77).“ Und der Apostel, welcher am allerausführlichsten den Heilsweg durch den Glauben darlegt, schreibt auch ausdrücklich an einen Christenlehrer: „Lass die Unseren lernen, dass sie im Stande guter Werke sich finden lassen, wo man ihrer bedarf, auf dass sie nicht unfruchtbar seien78).“
Soll ein Werk ein wahrhaft gutes sein, so muss es zu denen gehören, wovon Christus, der Richter der Welt, einst bekennen wird, es sei Ihm getan79). Das können aber keine Scheinwerke sein, die nur getan wurden, um von den Menschen gesehen zu werden; denn solche haben ihren Lohn dahin80). Bei jedem guten Werk sucht der Christ nicht seine eigene Ehre, noch den eigenen Vorteil, sondern er will dadurch seinen Gott und Heiland ehren, und an seinem Teil Etwas dazu beitragen, dass das große Gotteswerk auf Erden, die Erlösung des armen Menschengeschlechtes, gefördert werde.
Dieses Gotteswerk hat aber der Verzweigungen gar viele, und nimmt die Tätigkeit der Glieder der streitenden Kirche Christi auf die mannigfaltigste Weise in Anspruch. Doch kann man die wohltätige Wirksamkeit der Gläubigen, nach der Schrift, in zwei Hauptteile zusammen fassen. Es heißt: „Da wir denn nun Zeit haben, so lasst uns Gutes tun an Jedermann; allermeist aber an des Glaubens Genossen!81)“ Zuerst lehrt uns hier der Heilige Geist die ganze hilfsbedürftige Menschheit liebend umfassen, und also dazu mitwirken, „dass allen Menschen geholfen werde, und dass sie zur „Erkenntnis der Wahrheit kommen.82)“
Es ist Ordnung Gottes auf Erden, dass die ewige Wahrheit durch Menschen den Menschen verkündigt werde; darum ist der Sohn Gottes selbst als Mensch geboren worden83), und hat seine Boten ausgesandt in alle Welt84). So ist das evangelische Missionswerk entstanden, zu welchem jeder Gläubige mitwirken soll. Mit Dank und Staunen vernehmen wir in unseren Tagen, wie das Licht des Lebens eindringt in die Finsternis, und wie sich von allen Weltgegenden Viele sammeln, aus allen Heiden, und Völkern, und Sprachen, zu der Einen großen Herde, die der gute Hirte mit seinem Blut sich erkaufet hat85). Und immer mehr Christengemeinden erkennen und üben mit Freuden die heilige Pflicht, durch ihre Gebete und Gaben die Boten des Evangeliums zu unterstützen, dass sie ihr schweres Amt desto ungehinderter üben können.
Man hat früher oft gegen diese allgemeine Wohltätigkeit, die sich der fernen und unbekannten Nationen annimmt, eingewendet, dass es in der Nähe und unter uns des geistlichen und leiblichen Elendes so mancherlei gibt, dem man zuvor abhelfen müsste; allein die Erfahrung hat bewiesen, dass die Gemeinden keinen Schaden leiden, wenn sie sich der allgemeinen Not erbarmen; denn es erwacht dadurch erst unter ihnen der Sinn der wahrhaftigen Barmherzigkeit, indem ein besonderer Segen Gottes das schlummernde Glaubensleben wieder in den Seelen weckt, dass nun erst Manche anfangen zu begreifen, was das heiße: Gutes tun an den Glaubensgenossen.
Wer einmal Gefühl hat für die Not der gefallenen Menschheit überhaupt, wendet auch teilnehmend seinen Blick auf die nächsten Umgebungen, und sieht jetzt erst ein, wie viel im Schoß der Christenheit selber zu tun ist, damit die Kinder nicht in der Verwilderung wie Heiden aufwachsen, damit die schmachtenden Armen und Kranken erquickt und getröstet werden, damit die Verirrten und Versunkenen noch eine rettende Hand finden, die sie zurechtweist und aus dem Verderben zieht, und was dergleichen Veranlassungen zum Gutestun sein mögen, bei welchen sich das Evangelium durch die Tat beweisen soll.
Unsere evangelische Kirche ist zwar nie ohne Früchte der barmherzigen Liebe gewesen, und einzelne Glieder derselben haben zu jeder Zeit mit echt evangelischem Sinn durch Werke der Liebe ihren Glauben bekannt und geehrt; aber es fehlte den Gemeinden an geordneten Anstalten, welche die vereinzelten Kräfte vereinigten, um den stets dringender werdenden Bedürfnissen auf eine dauerhaftere und wirksamere Weise zu entsprechen; vorzüglich vermisste man unter uns Bildungsanstalten für Jüngerinnen Christi, welche ihr ganzes Leben uneigennützig dem Dienst ihres Heilandes an den leidenden Gliedern seiner Kirche widmen wollten.
Solche Anstalten sind nun an mehreren Orten im Entstehen, und liefern den erfreulichen Tatbeweis, dass das evangelische Leben unter uns nicht am Ersterben ist, sondern mit verjüngter Kraft aufblüht; mitten unter dem Widerspruch der Welt sind diese Anstalten lebendige Zeugnisse für unsere Zeit; und wer als evangelischer Christ seine Kirche liebt, findet darin eine Gelegenheit, durch Empfehlung, Fürbitte und kräftige Unterstützung seinen Glaubensgenossen auf eine erfolgreiche Weise Gutes zu tun, und vor den Menschen Den zu bekennen, der jeden wahrhaftigen Bekenner mit ewigem Segen krönt.
O gnadenreicher Gott, unser Heiland Jesus Christus! wirke Du selbst in uns zum treuen, freudigen Bekenntnis das Wollen und Vollbringen, nach deinem Wohlgefallen! Gieße auf uns aus, in überschwänglichem Maß den Geist des Gebets und des Zeugnisses! Erwecke und verbreite in unseren Gemeinden ein gesundes Glaubensleben, dass viele unserer Brüder mit uns, von dankbarer Liebe zu Dir getrieben, vor aller Welt es bezeugen, wie dein Evangelium als eine beseligende Gotteskraft uns heilig verpflichtet, durch Wort und Werk deinen Namen zu verherrlichen, so lange wir im Prüfungsland wandeln; damit wir einst an deinem Thron anbetend und mit Freuden hören mögen, wie Du uns bekennst vor deinem himmlischen Vater! Amen.