Gossner, Johannes - Evangelische Hauskanzel - Am 17. Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 18, 1-11.

Vom Kindersinn und Aergerniß.

Das Gift der stolzen Schlange, des hochmüthigen Teufels, womit er schon unsere ersten Eltern verführte und sie zur Selbstvergötterung zu verleiten suchte, und gerade dadurch der Einfalt und Unschuld beraubte und in's tiefste Verderben stürzte, ist eben deswegen in allen Menschen noch bis heute wirksam; die Frucht ist wie der Baum - vergiftet. Alle Menschen wollen etwas seyn, wollen mehr seyn als sie sind, weil sie nichts sind; denn wer sich dünken läßt, er sey etwas, da er doch nichts ist, der betrügt sich selbst. Es will immer Einer über den Andern und mehr und größer als der Andere seyn. Das ist nicht nur in höhern, gebildeten Ständen so, das ist in allen Ständen und Altern und Geschlechtern, bei den Geringsten wie bei den Vornehmsten. Wer waren die Jünger Jesu? Fischer und Zöllner, von der geringsten und niedrigsten Klasse, arm, unwissend und ungebildet; und doch entstand Streit unter ihnen, wer der Größere von ihnen sey. Sie sahen die Demuth Jesu, daß Er nichts aus sich machte, obwohl Er allein Etwas und Alles war, sahen, wie Er sich beugte und erniedrigte, sich nicht bedienen zu lassen, sondern zu dienen, und Aller Knecht zu seyn, gekommen war; daß Er, wem gleich ihr Herr und Meister, doch als ihren Diener sich bewies. Und bei alledem herrschte in ihnen der Hochmuth und die Eitelkeit, die nach Größe, nach dem ersten Range trachtete. Man höre nur.

Zu derselbigen Stunde traten die Jünger zu Jesu und sprachen: Wer ist der Größte im Himmelreich?

d. i. in Jesu Reich auf Erden, in der Kirche und Gemeinde des Herrn? Sie meinten nämlich, wer unter ihnen, die Seine ersten Reichsgenossen zu seyn die Ehre hätten, der Größte, wer Papst wäre. So etwas kommt zum Vorschein in diesen ungeschickten Menschen, die nicht einmal Fische fangen konnten, wenn sie der Herr Jesus nicht in ihr Netz trieb; wenn sie nicht auf Sein Wort das Netz auswarfen; die, wenn sie Ihn zweimal Tausende mit wenigen Broden speisen sahen, daß noch Körbe voll übrig blieben, doch gleich darauf wieder um Brod verlegen waren, und wenn Er vom Himmelsbrod redete, das irdische Brod im Sinn hatten. So steckt das unselige Großwerden in allen, auch armen und geringen Menschen, und es ist keine Seele sicher davor, so schwach und klein sie dem Aeußern nach ist und scheint; im Innern kann sie doch von diesem Teufel - dem Großwerden und Etwas seyn wollen, angefochten und geplagt oder gar hingerissen werden, wenn sie nicht wacht und betet. Besonders gefährlich, wie bei den armen Jüngern, ist es bei Erweckten aus den niedrigen Ständen; die, wenn sie hören, in Christo sind Alle gleich, und kein Unterschied, weder Herr noch Knecht, weder Sklave noch Freier, sondern allzumal Einer, Gal. 3, 28. so ziehen sie das auch auf das Aeußere, als wenn in Christo aller Unterschied des Standes, alle Verhältnisse der Herrschaft und Dienerschaft, der Vorsteher und Untergebenen, der Obern und Untergeordneten aufhöre und Alle gleiche Rechte, Macht und Gewalt auch im Aeußern hätten, und sie nicht mehr Ehre und Gehorsam dem erweisen müßten, dem es nach seinem Stande und nach der Ordnung gebührt. Das ist ein trauriges Mißverständniß und Verwechselung des Aeußern mit dem Innern, welches von innerm Hochmuth zeugt, und mit gänzlichem Verlust der Gnade droht. Das ist die französische Freiheit und Gleichheit, nicht die christliche, welche bei gleicher oder sogar größerer Begnadigung und Erleuchtung jeden Andern höher achtet, als sich selbst, Jedem, warum nicht vielmehr den Aeltern und Vorgesetzten oder Höhern, mit Ehrerbietung zuvorkommt und selbst den Geringeren gerne dient und sie vorzieht; welche sich immer gern untenan setzt und den letzten Platz wählt, die schlechtesten Dienste am liebsten thut und Andern das Bessere überläßt.

O so fahr auf ewig hin, du verblenderische Größe!
Deine Blöße ist der ganzen Gnadenschaar offenbar.
Weil der Herr, dem doch die Schaaren aller Engel dienstbar waren,
Hier so arm und niedrig war.

Was antwortet der Heiland Seinen hoffärtigen Jüngern? Jesus rief ein Kind zu sich und stellte es mitten unter sie und sprach: Wahrlich, ich sage euch, es sey denn, daß ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen - geschweige die Größten darin werden - ihr kommt gar nicht hinein. Das Thürchen zum Himmelreich ist so klein und niedrig, daß nur Kinder hineinkriechen können, große Hansen können nicht durch. Kinder müssen noch kriechen, und es auf den Knieen annehmen, wie wollen die, die den Kopf hochtragen, und sich dick und breit machen, durchkommen! Wenn der kleine demüthige David noch geringer werden will vor dem Herrn, dessen Niedrigkeit und Kindersinn schon der Spott und die Verachtung der stolzen Michal war, wo will sie, die hochmüthige Verächterin der Demuth, wo will Goliath hineinkommen? - durch das große, weite Thor in die Hölle kann er kommen, aber nicht durch das Thürchen des Himmels.

Der Heiland hat uns also ein bewährtes Mittel angerathen, wie wir's machen sollen, wenn uns hochmüthige Gedanken einfallen; wenn uns das unselige Großwerden anwandeln will - Such dir ein Kind, und schau es an - denn ihrer ist das Himmelreich. Lerne von den Kindern Demuth und Einfalt. Sie wissen, wenn sie nicht schon durch falsche Erziehung verdreht und verkehrt sind, nichts, gar nichts von Größe und Hochseyn; sie sind gern klein, und gehen am liebsten mit ihres Gleichen, mit Kleinen um. Da ist ihnen so wohl; dagegen ist ihnen bei großen Leuten, die nicht zu ihnen sich herablassen und kindlich thun, sehr unwohl.- Doch hilft das Anschauen der Kindlichkeit an Kindern nicht allein, man muß selbst ein Kind werden, und das geschieht nur durch Wiedergeburt, die man sich vom kleinsten und besten Kinde, das in der Klippe lag, schenken lassen muß; man muß sich ein kindlich Herz und Wesen von Ihm ausbitten, so lange bis Er's giebt. Dann heißt es:

Ich bin Dein armes Würmelein,
Mir ist so wohl, daß ich's darf seyn,
Und hab's erfahren in der That,
Daß man Dich so am nächsten hat.

Als ich noch etwas wollte seyn,
Da hatt ich nichts als Angst und Pein.
Seitdem ich nun ein Würmlein bin,
So ist mir wohl in Herz und Sinn.

Ach blieb ich's und würd's immer mehr,
So würd ich Dir noch ganz zur Ehr ,
Du bliebst mir Alles und ich nichts;
Ich war ein selig's Kind des Lichts.

Wer Dich o Herr im Herzen hat,
Giebt keinem Hochherfliegen statt.

Wer sich nun selbst erniedriget wie dieses Kind, der ist der Größte im Himmelreich. Geht's der Natur entgegen, so geht's gerad und fein. Das war ja ganz gegen ihren Sinn; das haben die Jünger nicht erwartet - eine solche Lektion! Sie wollten groß werden, und Er stellt ihnen ein kleines Kind zum Muster vor. Er fordert Klein werden - und so unbedingt, daß ohne dieses keine Möglichkeit ist, in Sein Reich zu kommen. Dennoch denkt man wenig daran. Es will Alles in's Himmelreich, aber das Kleinwerden, die Erniedrigung seiner Selbst, das Kinder werden, will Niemand oder doch nur Wenigen anstehen. Wie werden sie denn hinein kommen, da keine andre Thüre ist, und kein andrer Himmelschlüssel als die Kindlichkeit, Demuth und Einfalt? Wir können ja doch die Himmelsthüre nicht ausbrechen und erweitern, wir müssen von unserer Größe und Stärke, Dicke und Fette abbrechen, abschmelzen und abhauen lassen. Wir müssen noch einmal in den Mutterleib des Heiligen Geistes zurück, und uns wiedergebären, neuschaffen, und zu Kindern machen lassen. Anders geht's nicht.

Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen, der nimmt mich auf. Wer die Kindlichen, Einfältigen, Unmündigen, denen der Herr sich offenbart und ihnen Seinen Sinn und Sein Wesen mitgetheilt hat, liebt, ihnen freundlich ist, sich zu ihnen halt, sich ihrer herzlich annimmt oder sie aufnimmt um meinetwillen, der hat mich auch zum Freunde, Haus- und Herzensgenossen, den will ich auch zum Kinde machen, und ihm meine Natur mittheilen. Bei Kindern wird man gern ein Kind, bei Großen, Hochmüthigen gern groß und hochmüthig. Der Umgang steckt an im Guten wie im Bösen. Und bei Kindern oder kindlichen Seelen hat man noch den Gewinn, daß der Heiland gewiß dabei ist; so daß man kein Kind oder Kindern ähnliche Menschen aufnehmen, lieben kann, ohne zugleich Ihn mit zu kriegen und zu haben.

Wer aber ärgert dieser Geringsten Einen, die an mich glauben, dem wäre besser, daß ihm ein Mühlstein an den Hals gehängt und er ersäuft würde im Meer, da es am tiefsten ist. Damit er doch gewiß nicht mehr zum Vorschein kommt, und keinen Schaden mehr anrichten kann.

So theuer und lieb sind dem Heiland Kinder und Kindern ähnliche Seelen, daß es in Seinen Augen das Allerärgste ist, wenn man, statt wie die Kinder zu werden, sie verführt und sie aus ihrer Kindlichkeit herausreißt durch Anstoß oder Aergerniß; wenn man sie in ihrer Einfalt irre macht, zur Klugheit im Bösen, zum Sündigen oder Großwerden, zum Ehrgeiz, zur Eitelkeit, zum Lügen oder Betrügen verleitet durch Wort oder Beispiel; der Heiland ist sonst so milde und sanft, so mitleidig und barmherzig, aber einem solchen Menschen, der Ihm Seine lieben Kinder und kindlichen Seelen verderbt, kann Er einen Mühlstein an den Hals werfen und ihn in den Abgrund der Hölle stürzen, daß er nimmermehr herauskommt. Das sind die ärgsten Feinde der Menschheit, wahre Teufel und Belials-Kinder, die die Unschuld verführen, der Einfalt das Ziel verrücken: das ist die Brut der alten Schlange, die, wie diese Eva verführte mit ihrer Schalkheit, also auch die Sinne verrücken von der Einfältigkeit in Christo. 2 Kor. 11, 3. Das gilt, wie sich's von selbst versteht, nicht nur von kleinen Kindern, sondern von allen christlichen, frommen, einfältigen, kindlichen Seelen, die von ganzem Herzen an Christo hangen, und in Einfalt Ihm folgen; wenn diese irre gemacht und vom schmalen auf einen breitern Weg geleitet werden, daß sie sich mehr der Welt gleichstellen, und von ihrem Ernst und der Treue im Kleinen ablassen, so ist das die allerentsetzlichste Sünde, man greift Christo in's Auge und zieht sich ein fürchterliches Gericht zu. O wie vielen solchen Verführern hängt der Mühlstein schon am Halse, wenn man ihn nur sehen könnte, oder sie ihn fühlen möchten, ehe er sie in den Abgrund zieht.

Wehe der Welt der Aergerniß halber. Es muß ja Aergerniß kommen; doch wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt! Wenn die Liebe - Wehe!„ ruft, so muß es vom Argen und ein unwiederbringlicher Schade seyn. Und das ist das Aergerniß, das die Welt nimmt und giebt, durch böse Beispiele, verführerische Reden, Unglauben, Sittenlosigkeit und alle schändliche Dinge, wodurch unschuldige, unverdorbene Menschen zur Sünde, zum Unglauben, zum Leichtsinn und zur Gottvergessenheit verleitet werden. Böse Gespräche verderben gute Sitten; freche Geberden, unanständige Kleidung, schlüpfrige Gesänge und ausgelassene Spiele, reizende Gemälde und dergleichen richten viel Schaden an in der Welt, und ziehen Viele zurück vom Wege der Gottseligkeit auf die breite Bahn des Lasters, die zum Verderben führt. Warum müssen denn aber solche Aergernisse kommen?

Einmal, wegen der Verkehrtheit der Menschen, da die Welt im Argen liegt, und daß Meer nichts Anderes, als Unflat ausschäumt, und die Hunde nichts Anderes speien können, als sie gefressen haben. Wie kann aus dem bösen Herzen des unwiedergebornen Menschen, dessen Dichten und Trachten böse ist von Jugend an, Gutes kommen? müssen da nicht herauskommen arge Gedanken, Mord, Ehebruch, Hurerei, Dieberei, falsche Zeugnisse, Lästerung? Matth. 15, 19. Können Dornhecken Trauben, und Disteln Feigen tragen? - Dann müssen Aergernisse kommen, oder Gott läßt es zu, zur Prüfung der Frommen und Gläubigen, zur Scheidung, daß die Guten und Bösen offenbar werden, wie Paulus sagt: es müssen Rotten seyn. 1 Kor. 11, 19.

Aber das entschuldigt die Welt nicht, und macht ihr Gericht und ihre Strafe nicht geringer; sondern der Heiland sagt doch: Wehe dem Menschen, durch welchen Aergerniß kommt. Wir dürfen nicht sagen: Lasset uns Böses thun, Aergerniß geben, damit Gutes daraus entstehe. Die also sprechen, deren Gericht ist ganz gerecht, sagt Paulus. Röm. 3, 8. Wenn es auch dem Verführer nicht gelingt, und er mit allem Aergerniß, das er giebt, die Unschuld, den Gläubigen, nicht zum Fall bringen kann, sondern nur dadurch noch mehr befestigt, so bleibt er doch ein Satan, so wie Petrus von Christo selbst gescholten wurde, da er Ihm ärgerlich war, und Ihn vom Leiden abhalten wollte. Matth. 16, 23.

So aber deine Hand oder dein Fuß dich ärgert, so haue ihn ab, und wirf ihn von dir; es ist dir besser, daß du zum Leben lahm oder ein Krüppel eingehest, denn daß du zwei Hände und zwei Füße habest, und werdest in das ewige Feuer geworfen. So weit geht es, so ernst nimmt es der Herr. Nicht nur wehe der Welt, wenn sie dir Aergerniß giebt, wehe dir selbst, wenn du dir deine eigne Hand und deinen Fuß zum Aergerniß werden läßt, d. h. wenn dein Liebstes, das du hast oder dir das Nöthigste und Unentbehrlichste ist, dir zum Anstoß, dir hinderlich, störend in der Gottseligkeit, im Staunen und Anhangen an Jesum wird, so verläugne es, entsage ihm, entferne es, reiß dich davon los, und sollte es dir so wehe thun und so abgehen, als eine Hand oder ein Fuß, der abgehauen wird, wenn er brandig ist, und für andre Glieder ansteckend und schädlich wird. Thut daß ein Mensch im Natürlichen, und läßt sich Hand und Fuß abnehmen, um seine Gesundheit und sein Leben zu erhalten, wie vielmehr muß das der Christ im Geistlichen thun, und seinen Isaak schlachten, das Allerliebste opfern, um seine Seele zu retten und das ewige Leben zu erhalten. Es ist besser, hinkend oder verstümmelt, arm und verschmäht, in den Himmel eingehen, als im Besitze alles dessen, was man hatte und liebte, woran das Herz hing, in die Hölle wandern. Da geht doch Alles verloren: Hand und Fuß, Leib und Leben, aller Welt Lust, Gut und Ehre. Der Christ wirft also nur früher weg, was ihm im Wege steht, und was er über kurz oder lang doch verlieren würde und - das ewige Leben mit. Wenn er aber früher über Bord wirft, was seinem Schiffe und ihm den Untergang droht, so wird er sein Leben erretten, und mit seinem Schifflein in den Hafen der ewigen Ruhe einlaufen, wo er mehr, ungleich mehr findet, als er hier über Bord geworfen hat. O was ist doch alles das, was uns hier so schätzbar, so unentbehrlich scheint im Vergleich mit der Herrlichkeit und den unerforschlichen Reichthümern Christi, die wir dort dafür erhalten werden! Sind uns nicht die allerköstlichsten und größten Verheißungen gegeben - wenn wir fliehen die vergängliche Lust dieser Welt? 2 Petr. 1, 4. Sey es immer dein Auge, deine rechte Hand oder dein Fuß, die dir zum Anstoß und Aergerniß, zum Falle oder zum Aufenthalt auf dem Wege des Lebens werden, haue sie doch ab, reiße sie aus, laß sie fahren, du hast größern Gewinn, es wird eine höhere Hand und ein stärkerer Fuß und ein allsehendes Auge sich dir darbieten und dir helfen, mehr als alle deine und aller Menschen Hände, Füße und Augen. Hättest du auch an irgend einem Menschen oder Dinge eine Stütze, die dir so lieb und unentbehrlich ist, als alle Glieder deines Leibes, haue sie ab, wirf ihn weg, und hinke oder krieche lieber in den Himmel hinein, der Herr wird dir Stab und Stecken, deine feste Stütze seyn, daß du weiter kommst als mit deinem Beine und aller Menschen Füßen. Es ist besser, hinkend vorwärts, als gar nicht gehen oder den Rückweg einschlagen.

Und so dich dein Auge ärgert, reiß es aus, und wirf es von dir; es ist dir besser, daß du einäugig zum Leben eingehest, denn daß du zwei Augen habest, und werdest in das höllische Feuer geworfen. Was ist dem Menschen theurer und lieber, als seine Augen, wie schwer entbehrt er sie; aber doch müssen dieses Leben und dieses Lebens Güter, Ehre und Lüste sein Augapfel nicht seyn, und er soll lieber blind durch die Welt gehen wollen, als in jener Welt Gott nicht sehen; er muß lieber nicht nur ein, sondern beide Augen, das heißt: Alles, was ihm so lieb wie sein Augapfel ist, dran geben, wenn es ihm zum Anstoß wird, ihm sein Herz verunreinigte und seine innern Augen trübte, womit er Gott schauen kann. Was helfen dir zwei Augen in der Hölle? im Himmel aber bekommst du, wenn du hier um des Himmels willen deine Augen ausrissest oder dein Liebstes, deinen Augapfel opfertest, neue Augen, und Besseres, als du hier weggeworfen hast. Reiß also immer aus, wirf immer weg, was dich im Jagen nach dem himmlischen Kleinod und nach der Anschauung des herrlichen Angesichts Gottes und Jesu Christi hindert und aufhält oder gar davon abhält; es ist kein Verlust; es ist ewiger Gewinn. Alles, was du um des Himmelreiches willen verläugnest und opferst, wird dir hundert- und tausendfältig hier schon und dort durch ewige Herrlichkeit und Seligkeit ersetzt.

Sehet zu, daß ihr nicht Einen von diesen Kleinen verachtet, denn ich sage euch, ihre Engel im Himmel sehen allezeit das Angesicht meines Vaters im Himmel. Noch einmal kommt der Heiland auf das Aergerniß der Kleinen zurück. Das ist Ihm sehr wichtig, Er kann nicht genug davor warnen. Er hat noch einen besonderen Grund, den wir nicht gewußt hätten, wenn Er ihn uns nicht offenbart hätte. Man achtet die Kinder für nichts, schont sie nicht, redet und thut vor ihnen, was man will, ohne Rücksicht zu nehmen. Und die Kinder merken auf Alles, beobachten und hören Alles, und werden so oft gräulich geärgert, und der Keim des Bösen in ihnen geweckt und genährt. In dieser Hinsicht sagt der Heiland: Sehet zu, daß ihr keinen von diesen Kleinen verachtet, als hätte es nichts zu bedeuten, was ihr vor ihren Augen und Ohren thut und redet. Sie sind vor Gott sehr hochgeachtet, wie Himmels-Prinzen, die eigentlichen Bürger des Himmels; sie haben schon himmlische Bedienung, wie Lieblinge der Gottheit. Die vornehmsten Thron-Engel, die vor dem Angesichte Gottes zunächst stehen, sind beordert, die Kinder zu bewachen und zu bewahren. Wenn Kinder oder ihnen ähnliche Seelen geärgert werden, so sehen es die Engel, die ihnen beigegeben sind, und sie nie aus den Augen und Händen lasten, diese werden auf's höchste beleidigt, man greift ihnen in die Augen, sie tragen's gleich vor den Thron Gottes, und man ist bei Gott verklagt, ehe das Aergerniß vollbracht ist. Welche Ehrfurcht soll man also vor den kleinen Wesen haben, wie aufmerksam und wachsam seyn, sie nicht zu stoßen, weil Engel, die höchsten Engel, die reinsten Wesen sie bewachen und sie umgeben. Welche Freude aber auf der andern Seite, daß wir wissen, daß Gott die Kinder so lieb hat, und sie durch Seine höchsten Engel bewachen und beschützen läßt! Wie herzerhebend für Mütter, Väter, Erzieher und Alle, die mit Kindern zu thun haben, wenn sie denken, daß sie nicht allein um die Kinder sind, sondern in Gemeinschaft mit den seligsten Geistern und Himmelsbewohnern, die es für Ehre und Gnade schätzen, um Gottes willen bei den Kindern Wache halten zu dürfen. Könnte man sie sehen, diese unsichtbaren Freunde und Diener der, Kinder in der Kinderstube, im Kreise der Kleinen oder auch bei jedem einzelnen Kinde, wie ganz anders würde uns seyn! Dies alles gilt auch von kindlichen erwachsenen Seelen, die den Kindern ähnlich sind.

Denn des Menschensohn ist gekommen selig zu machen, das verloren ist - oder verächtlich scheint und hülflos ist. Er will hier sagen: Ich bin ihretwegen, sie zu retten, vom Himmel gekommen, und ihr verderbet sie - die Kleinen. Er hat es ja bewiesen, daß Kinder und die Kleinen und Einfältigen nicht die Letzten waren, die Ihn vom Himmel gezogen haben. Wen herzte Er denn so wie die Kinder? mit wem ging Er lieber um, als mit ihnen und den Einfältigen? Kinder und Sünder, die heilsbegierig waren, sind ja der Hauptgegenstand Seiner Liebe und Seines Wirkens gewesen. Welch ein schönes Wort: Er ist für Verlorne gekommen, sie selig zu machen! Kinder sind in so fern den Verlornen gleich, weil sie so leicht verzogen, verführt, geärgert und verdorben werden können - also die Hülflosesten sind. Darum freuen wir uns eines solchen Heilandes, der sich gerade der Bedürftigsten und Hülflosesten, der Kinder und Sünder, am meisten annimmt, und ihre Erlösung und Seligkeit zur Aufgabe Seines Lebens, zum Zweck Seines Menschwerdens und Sterbens gemacht hat. Darum ladet Alles, was Kinder und Sünder heißt, zu Ihm ein, führet Alle zu Ihm; Er ist dafür da, ist ihr Heiland, auch noch im Himmel wie einst auf Erden, immer derselbe - Kinder und Sünder sind Sein Augenmerk, Sein Augapfel. O du liebenswürdiger Heiland! So seyen Dir denn alle Kinder und Sünder empfohlen und an Dein Herz gelegt. Schenk allen Deine Liebe, segne sie, herze sie, und führe sie zum Leben ein. Amen.

Heil‘ge Einfalt, Gnadenwunder, tiefste Weisheit, größte Kraft,
Schönste Zierde, Liebeszunder, Werk, das Gott alleine schafft;
Wenn wir in der Einfalt stehen, ist es in der Seele Licht,
Aber wenn wir doppelt sehen, so vergeht uns das Gesicht.
Einfalt denkt nur auf das Eine, in dem alles Andre steht;
Einfalt hängt sich ganz alleine an den ewigen Magnet.

Wem sonst nichts als Jesus schmecket, wer allein auf Jesum blickt;
Wessen Ohr nur Jesus wecket, wen nichts außer Ihm erquickt;
Wer Ihn so mit Inbrunst liebet, daß er seiner selbst vergißt;
Wer sich nur um Ihn betrübet und in Ihm nur fröhlich ist;
Wer allein auf Jesum trauet, wer in Jesu Alles find't,
Der ist auf den Fels erbauet und ein sel'ges Gnadenkind.

Ein Kind der Gnade werden, in Christi Wahrheit stehn,
In Einfalt Seiner Heerden, ist gar zu wunderschön.
Die Gnade liegt zum Grunde, die Wahrheit macht gewiß,
Die Einfalt schützt im Bunde vor Fall und Aergerniß.

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