Girgensohn, Thomas- Zur Erbauung - Bereitung aufs Pfingstfest.
„Wenn aber der Tröster kommen wird, welchen ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht; der wird zeugen von mir. Und ihr werdet auch zeugen, denn ihr seid von Anfang bei mir gewesen.“(Joh. 15, 26. 27.)
Das Pfingstwunder hat die ersten Jünger Jesu zu seinen Zeugen gemacht; das nahe bevorstehende Pfingstfest legt uns die Frage ans Herz: wie werden wir zu Zeugen des Herrn? Zeugen des Herrn sind wir, wenn unser Zeugnis den Herrn zum Inhalt hat; es handelt sich aber dabei nicht etwa nur um ein Zeugnis in einzelnen Aussagen und Reden, in denen der Herr bekannt wird, sondern aus unserem ganzen Leben, aus Worten und Werken soll ein Zeugnis ausgehen über den Herrn, indem sein Bild sich an uns wiederspiegelt. Wenn der Herr sagt: ihr sollt meine Zeugen sein, so erfüllt sich dieses Wort in dem Halten des Mahnwortes, dass wir sollen nachfolgen seinen Fußstapfen. Dabei müssen wir aber bedenken, dass wir den Herrn nicht äußerlich nachahmen, dass wir seinen Wandel nicht nachmachen können in äußeren Formen und Gebärden, sondern dass sein Bild uns zunächst tief innerlich eingeprägt sein muss, damit es sich von da aus auch im ganzen Wesen und Wandel ausgestalte. Damit nun Jesu Bild also in uns und an uns leuchte, muss vor Allem eine Verbindung hergestellt sein zwischen uns und dem Herrn derart, dass der Herr auch zu uns sagen kann: ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Die Herstellung dieser Verbindung zwischen uns und dem Heilande ist aber das Werk dessen, von dem der Herr sagt in den vorstehenden Worten, dass er ihn senden werde vom Vater, dessen, der vom Vater ausgeht, nämlich des heiligen, göttlichen Geistes. „Der wird zeugen von mir,“ spricht der Herr, „und ihr werdet auch zeugen.“ Das Zeugnis der Jünger gründet sich auf das Zeugnis des heiligen Geistes; dieser Geist treibt vor Allem dies eine Werk, uns mit Jesu zu verbinden, von ihm zu nehmen und in uns hineinzutragen und also eben das Bild Jesu in uns zu prägen und auszugestalten. Dieser Geist kommt aber nach Gottes heiliger Ordnung zu uns nur durch das Wort, durch das mündlich oder schriftlich verkündigte Gotteswort, das sich gründet auf das Wort der heiligen Schrift und sich richtet nach der Schrift. Zeugen Jesu werden wir demnach, wenn wir dieses Wort aufgenommen, bewahrt, im Innern verarbeitet, bedacht, bewegt haben und dasselbe dann wieder in Wort und Werk von uns ausstrahlen lassen. Man müsste aus unserem Leben im Hinblick bald auf dieses bald auf jenes Gotteswort den Eindruck empfangen. Das ist's, das ist's in Wirklichkeit, was dort im Buche steht oder in der Predigt zu hören war; es müsste sich bei uns im Kleinen wiederholen, was uns im Leben des Herrn so vielfach bezeugt wird, nämlich: das geschah aber, auf dass erfüllt würde, was geschrieben steht. Dann wären wir Jesu Zeugen, denn das Wort ist sein Wort, und in solchem Zeugnis würden wir immer mehr und mehr das Abbild Jesu darstellen, zunächst in der Kraft unseres Zeugnisses; er predigte gewaltig, und bei all' seiner Erniedrigung verwunderten sich die Leute der Kraft, die von ihm ausging; wir sind, so unser Leben vom Worte Gottes durchdrungen ist, insbesondere das Wort vom Kreuz verkündigt, auch solche, deren Zeugnis sich erweist denen, die es annehmen, als göttliche Kraft und göttliche Weisheit. Wollen wir also mit Jesu verbunden sein und seine Zeugen werden, so sollen wir danach trachten, dass das Wort Gottes in unserem Leben Gestalt gewinne.
Der Geist aber, der von Jesu zeugt, wird von dem Heilande der Tröster“ genannt; so wir nun als Zeugen Jesu, deren Zeugnis aus dem Geiste stammt, wirken sollen, so muss man uns auch mit Recht „Tröster“ nennen können. Wir denken hier nicht an einzelne Trostworte, entnommen der Fülle des Tröstlichen im Evangelium, welche die Zeugen Jesu etwa bei dieser und jener Gelegenheit anwenden sollen. Das soll geschehen, trägt uns aber noch nicht den rechten Trösternamen ein; nein, sowie der heilige Geist seinem innersten Wesen nach ein Tröster ist, sowie der Heiland, der den Geist sendet, auf Grund seines Erscheinens in der Welt heißt „aller Heiden Trost“, so sollen auch die Zeugen Jesu, die ihr Zeugnis zurückführen auf den Tröster, in ihrem ganzen Wesen, Erscheinen und Wandel Tröster sein. Es gibt ja aber im tiefsten Grunde nur eine wirkliche und wirksame Trostesmacht für die Leiden und Wunden des Menschenherzens; das ist die Liebe, und zwar eine vom Himmel stammende, von Gott ausgehende Liebe. Der Tröster, der durch das Wort Gottes zu uns kommt, der will uns erfahren lassen solche Liebe und uns offenbaren die in Christo erschienene Liebe. Darum hat die christliche Kirche mit Recht für den zweiten Pfingstfeiertag das Evangelium bestimmt, welches mit Joh. 3, 16 beginnt, und in welchem zwar von dem Tröster dem Wortlaut nach nicht die Rede ist, aber um so mehr von dem Inhalt seines Zeugnisses, damit wir wissen, was er uns als den Kern des Evangeliums verkündigen will, und wie unser Zeugnis von Jesu in Kraft des Geistes geartet sein soll. Werden wir in der Liebe, in allerlei Gütigkeit, Sanftmut, Freundlichkeit und Geduld rechte Tröster, so werden wir auch Zeugen Jesu, indem sein Bild an uns leuchtet. Es ist ja aber nicht unsere natürliche Liebe, die wir als Zeugen Jesu offenbaren, sondern die Liebe, die wir von Gott erfahren und empfangen haben. Wollen wir daher Jesu Zeugen sein, so lasst uns schöpfen aus Jesu Fülle Liebe um Liebe, Gnade um Gnade, lasst uns anhalten am Gebet im Namen Jesu, an solchem Gebet, dessen Grundton immerdar ist: Deine Gnade müsste mein Trost sein, wie du deinem Knechte zugesagt hast. (Psalm 119, 76.)
Endlich aber wird der Geist, der uns lehrt ein rechtes Zeugnis von Jesu abzulegen, von dem Herrn der Geist der Wahrheit genannt. Dementsprechend können auch wir nur mit Jesu verbunden sein und in Kraft des heiligen Geistes zeugen, so wir aus der Wahrheit sind. Der Geist der Wahrheit aber beginnt sein Zeugnis damit, dass er die Welt, auch die Welt in uns straft um die Sünde, und die Wahrheit fängt an in uns Wurzel zu schlagen, wenn uns die Augen über uns selbst und über unser Sündenelend aufgehen; diese Wahrheit macht uns denn für alle weitere Wahrheit empfänglich. Diese Grundwahrheit besteht nicht nur in einer Erkenntnis über die Sünde, sondern immer zugleich in einem Verhalten gegen dieselbe, sie steht in einem Gegensatz zur Ungerechtigkeit (1. Kor. 13, 6), man kann die Wahrheit nicht nur erkennen, sondern auch tun. Sind wir aus der Wahrheit, so muss man es uns anmerken, dass wir die Sünde erkennen und ihr feind sind; so müssen wir nach der Wahrheit an uns und außer uns die Sünde richten, bekämpfen, vertilgen, auf dass auch das Bild des heiligen Jesu in unserem Wesen und Wandel sich abpräge. Fest am Worte, treu im Gebet, lauter aus der Wahrheit sein und bleiben, das ist eine Frucht des Geistes und zugleich die rechte Ausrüstung, um immer wieder die Kraft des Geistes zu erfahren und zu empfangen; in diesen drei Stücken wiederum aufzurichten die lässigen Hände und die müden Knie (Hebr. 12, 12), das ist die rechte Bereitung aufs bevorstehende Pfingstfest. Wo solches geschieht, da kommt der Geist in die Herzen, da werden wir mit Jesu verbunden, da lernen wir ihn kennen, da sind wir, wenn auch in anderer Weise als die ersten Jünger, bei ihm gewesen, und der Herr braucht es nicht mehr zu gebieten, sondern er kann es auch von uns gewisslich vorhersagen: ihr werdet auch zeugen.
Rig. Kirchenbl. 92. Nr. 21