d'Espagne, Jean - Über das Predigen der guten Werke
Stellen aus den Schriften des Jean d'Espagne, eines reformirten Predigers bey der französischen Gemeine in London im vorigen Jahrhunderte, nach der Ausgabe von 1674.
(Aus dem Französischen übersetzt.)
Man glaubt es sehr gut zu verstehen, wenn man schreyet, daß man, anstatt die Geheimnisse des Glaubens zu predigen, mit dem Gewissen sprechen, die guten Werke predigen, und die Laster bestrafen müsse. Die Leute, die dergleichen Urtheile fällen, sind mit den Vorurtheilen der Unwissenheit benebelt, sie vernichten den vornehmsten und besten Theil der christlichen Lehre, und hegen viele Grundirrthümer. Es ist ein Irrthum, wenn man glaubt, daß ein rechtschaffenes Wesen blos in guten Werken bestehe; gerade, als wenn man nicht nöthig hätte, erst den rechten Glauben zu haben, ehe man recht leben will. Es ist ein Irrthum, zu behaupten, daß das Anhören der geheimnißvollen Lehren der Religion, welche man für blos spekulativisch ausgiebt, gar keinen Einfluß auf die innere Besserung eines Menschen habe. So reden die Juden auch, wenn sie vom Evangelio sprechen. Denn sie fragen: Wie kann das etwas zu meiner Rechtschaffenheit beytragen, wenn ich weiß, daß Jesus unter Pilato gelitten habe, daß er gecreuziget worden, gestorben und begraben worden sey? -
Es ist ferner ein großer Irrthum, wenn man die Leute durch schöne Schilderungen der Tugenden tugendhaft zu machen gedenket, und ihnen deshalb allerhand Vorschriften ertheilet, nach der Art der philosophischen Sittenlehrer. Das heißt einen Baum bey den Zweigen pflanzen, anstatt es bey der Wurzel zu thun. Gott braucht andre Bewegungsgründe, wenn er uns die guten Werke predigt. Die heilige Schrift ermahnt uns, die Tugend auszuüben und die Sünde zu vermeiden, weil wir mit Christo begraben sind, weil wir auf seinen Tod getauft worden sind, weil Er, als unser rechtes Osterlamm, für uns aufgeopfert worden ist, weil er vom Tode auferstanden ist, und der Tod hinfort nicht über ihn herrschen kann. Die Schrift ermahnt uns zur Heiligung aus Gründen, die das Gegentheil anzurathen scheinen. Ihr seyd nicht unter dem Gesetze, sagt sie, sondern unter der Gnade; aber auch in der Natur kommt die Frucht und die Wurzel dem Aussehen nach nicht mit einander überein; die Unwissenheit mag nun urtheilen, was sie will; es ist und bleibt gewiß, daß der Glaube die Wurzel aller Tugenden sey, daß unsre Herzen allein durch den Glauben gereiniget werden, und daß es unmöglich sey, ohne den Glauben gute Früchte zu bringen. Die Leute hören lieber eine Ermahnung zur Freygebigkeit, zur Versöhnlichkeit, zur Mäßigkeit, zu einer andern Tugend, als Betrachtungen über ein Stück der evangelischen Lehre. Das kommt daher: der Innhalt des Gesetzes ist schon von Natur in eines jeden Menschen Herz geschrieben. Daher ist er dem Menschen klar, bekannt und verständlich; er stimmet auch mit der Vernunft des Menschen aufs vollkommenste überein. Der Innhalt des Evangeliums hingegen, welchen die Natur nicht kennet, und welcher uns von oben herab offenbaret worden ist, welchen wir nicht von der Vernunft gelernt haben, ist unsrer Seele fremde; daher wird das Evangelium nicht so gut, als das Gesetz, aufgenommen. Daher kommt es, daß so viele Seelen sich gleich außer ihrem Elemente befinden, wenn man ihnen von einem Geheimnisse des Glaubens vorspricht, an welches sie vielleicht nie recht gedacht haben.
Es ist eine unvernünftige Undankbarkeit, die Geheimnisse nicht predigen zu wollen, die uns Gott aus Barmherzigkeit offenbaret hat. Man sagt oft: das Thun sey die Hauptsache in der ganzen Religion, und also müsse man von guten Werken predigen; aber ist die Lehre von der Erlösung durch Jesum nicht wichtiger, als die Lehre von unsern Werken? Ist das Gesetz mehr als das Evangelium?
Bey einem Menschen würde es Thorheit seyn, einem andern Menschen zu befehlen, daß er etwas glauben sollte; denn der Glaube lässet sich nicht befehlen, sondern muß durch Gründe und vernünftige Vorstellungen hervorgebracht werden. Niemand ist Herr über eines andern Glauben, ja nicht einmal über seinen eignen; denn ein Mensch kann nicht alles glauben, was er will, ja oft muß er glauben, und glaubt wirklich, was er gern nicht glauben wollte; die Teufel müssen glauben, daß ein Gott sey, wider ihren Willen. Allein, Gott ladet uns nicht nur zum Glauben ein, indem er uns die Wahrheiten, die wir glauben sollen, vorhält; sondern er befiehlt uns auch, zu glauben. Das ist sein Gebot, daß wir glauben an den Namen Jesu Christi, sagt Johannes. Aber indem er uns befiehlt, zu glauben, reichet er uns auch die Kraft dar, daß wir im Stande sind, zu glauben. Seine Worte pflanzen den Glauben in das Herz des Menschen, wenn er sie mit seinem Geiste belebet. Diese Sprache, dieser Befehl zu glauben, der in dem Munde eines Menschen Thorheit seyn würde, ist Weisheit und Liebe bey Gott; denn er ist der Herr der Geister und des Verstandes; wenn er befiehlt zu glauben, so wirkt er auch die Kraft, daß man glauben könne.
Die allgemeine Meynung außer der christlichen Lehre ist die, daß man nicht durch den Glauben, sondern durch die Werke gerecht werde. Der Mensch wäre auch wirklich durch die Werke gerecht geworden, wenn er nicht gefallen wäre; nunmehr aber, da er gefallen ist, kann er nicht durch seine Werke gerecht werden.
Quelle: Wöchentliche Beyträge zur Beförderung der ächten Gottseligkeit.