Coerper, Heinrich - Werdet voll Geistes!

„Werdet voll Geistes (wörtl.) indem ihr redet untereinander in Psalmen und Lobgesängen und geistlichen Liedern und singet und spielet dem Herrn in eurem Herzen, und indem ihr Dank saget allezeit für alles Gott und dem Vater in dem Namen unsers Herrn Jesu Christi, indem ihr untereinander untertan seid in der Furcht Gottes“
Eph. 5, 18b-21

Das Gebot: „Werdet voll Geistes!“ gilt zwar allen Menschen, aber in erster Linie den Kindern Gottes, Alten und Jungen, Männern und Frauen. Sie alle haben es nötig, mit dem Geist Gottes erfüllt zu sein, um das Vorrecht zu genießen, als echte Kinder Gottes und als Zeugen der Erlösung ihres Heilandes auf Erden zu leben und um die Kraft zu haben, ihrem Gott auch in allen Widerwärtigkeiten des Lebens in Wahrheit zu dienen. Aber wenn dies Gebot die Bedingung für ein göttliches Leben und für einen wahren Gottesdienst ist, so ist es ebenso wie ein Vorrecht zugleich auch eine Pflicht für jedes Gotteskind, sich mit ganzem Herzen danach auszustrecken, bis es diese Gnade erlangt hat.

Daß das Erfülltsein mit dem Heiligen Geist nicht gleichbedeutend ist mit Wiedergeborensein, geht unter anderem aus dem Epheserbrief aufs deutlichste hervor. Dort ist von den Ephesern gesagt, daß sie durch den Geist Gottes wiedergeboren und versiegelt worden seien, und doch wird gerade ihnen der göttliche Befehl erteilt, sich mit dem Geist Gottes erfüllen zu lassen. Aber man hört diese Botschaft und glaubt sie nicht, oder man achtet sie nicht. Man hat sich eben zu sehr daran gewöhnt, christliche Fertigkeit und Gewandtheit oder auch christliches Wissen, Beredsamkeit und Sitte an Stelle der Ausrüstung mit Kraft und Leben von oben zu setzen. Und doch ist diese Kraft unentbehrlich, wenn man wirklich ein Zeugnis für die Erlösung in Christus sein will. Es ist schon ein Großes, wenn jemand dies erkennt und danach trachtet. Leider aber geschieht es nicht selten, daß gerade in den Kreisen der Frommen dieses Trachten als Unnüchternheit gebrandmarkt wird, und so geben viele, welche einen kurzen Anlauf gemacht haben, wenn sie nicht sofort den Erfolg sehen, das Trachten danach wieder auf und begnügen sich mit ihrem alten Zukurzkommen, mit einem Leben, das kein wirkliches Zeugnis für die herrliche Erlösung ist.

Vom Geist erfüllt sein bedeutet: einen das Herz ausfüllenden, allezeit gegenwärtigen, allgenugsamen, lebendigen und herrlichen Erlöser haben, wodurch das Fragen und Suchen des Menschenherzens nach Hilfe oder Trost wirklich zur Ruhe kommt. Durch den Geist Gottes weiß das Herz nun, mit wem es jeden Augenblick rechnen darf. Jesus lebt, Jesus wirkt jetzt jeden Augenblick in uns zu unserem Heil. Er gibt das Wollen und Vollbringen. Das erkennt man aber nur durch das Licht des unser Herz erfüllenden Heiligen Geistes. Ebenso weiß das Herz jetzt auch, daß es mit seinen eigenen Kräften und Entschlüssen, mit seiner eigenen Weisheit und seinem Können, mit seinen eigenen Plänen, Wünschen und Zielen nicht mehr rechnen darf noch muß. Das eigene Leben ist ans Kreuz gebracht, und Christus hat den Thron des Herzens eingenommen, und in der Stille des Heiligtums, wozu jetzt das Herz geworden ist, empfängt der Mensch die Weisungen und Mahnungen, die Anstöße und Kräfte zum Handeln. Es findet fortan ein wunderbarer Austausch statt: man gibt das Eigene dem Herrn, und er gibt uns dafür das Seine; es ist ein Bitten und Nehmen und Danken. Wie das Eisen vom Feuer durchglüht wird und wie es seine Kälte, Dunkelheit und Sprödigkeit durch des Feuers Hitze, Licht und Beweglichkeit verliert, so ist der, welcher von dem erfüllt wird, von dem gesagt ist, daß er mit Feuer tauft. Da schmelzen auch die Ketten der Sünden, die Stricke der Weltlust werden versengt, und statt dessen erfüllt selige Lust an dem herrlichen Heiland und heilige Ehrfurcht vor dem lebendigen Gott das Herz, ein „Beugen ohn' Aufhören“, heiliges Liebesfeuer, reines Leuchten und rückhaltlose Gefügigkeit gegen den Herrn teilen sich der Seele mit, und die Selbstsucht hat der selbstlosen Liebe Platz gemacht. Wie die Rebe von ihrem Fuß im Weinstock an bis in ihre Zweige, Blätter und Früchte vom Saft des Weinstocks erfüllt ist, so wird Jesus, die stets fließende Lebensquelle, der Antrieb zum Denken, Reden und Handeln, und statt der Werke des Fleisches wird die Frucht des Geistes offenbar im Leben seiner Gesalbten. Je stiller, je mehr hingegeben und je kindlicher der Mensch durch diese von dem Heiligen Geist verklärte Gegenwart seines Herrn wird, desto mehr können sich göttliche Kräfte äußern und auswirken im Leben und Dienst zur Ehre des Erlösers. Herrliche Früchte im eigenen Leben und auch im Leben anderer sind dann die Folge davon.

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