Chemnitz, Martin - Perikope für den ersten Sonntag nach Ostern, oder Quasimodogeniti - Zweiter Theil.

Chemnitz, Martin - Perikope für den ersten Sonntag nach Ostern, oder Quasimodogeniti - Zweiter Theil.

Sacharja 13,7. findet sich eine auserlesene Weissagung von dem Leiden und der Auferstehung Christi: „Schwert, mache dich auf über meinen Hirten“ u. s. w., welche Christus Matth. 26,31., Marc. 14,27. eben beim Anfange Seines Leidens auf sich anwendet; denn Er selbst ist „der treue und gute Hirte, der Sein Leben gelassen für Seine Schafe“, Joh. 10,12. Wie aber die Schafe, wenn der Hirt in die Flucht getrieben oder getödtet wird, sich zerstreuen, so wurden die Jünger wie zitternde Schäflein zersprengt und zerstreut, als Christus im Oelgarten gefangen und zum Tode geführt ward. Nach Seiner Auferstehung aber sammelte dieser treue Hirte Seine Schäflein wieder, oder, wie der Prophet spricht, „kehrte Seine Hand zu den Kleinen“, d. i. zu den im Glauben noch schwachen und kleinen Jüngern. - Ein herrliches Exempel Seiner Hirtensorge und Hirtentreue wird uns in dieser Historie vor Augen gestellt, da Christus den Thomas als ein irrendes Schäflein aufsucht und zur Herde zurückführt. Diese Geschichte zerfällt nun in zwei Theile: Thomas' Abirrung nämlich und seine Zurückführung zur Herde.

1. Hier wird nun erstens die Person des verirrten Schäfleins genannt, nämlich „Thomas, der Zwölfen einer, der da heißt Zwilling“; denn dies bedeutet sein Name im Hebräischen, sei es, daß er wirklich ein Zwilling war oder daß man bei der Beschneidung ihm diesen Namen willkürlich beigelegt hatte. Einige spielen damit auf seine zwiefache Gesinnung an; denn ein anderer war er vor dieser Offenbarung Christi, zweifelhaftig und ungläubig; ein anderer aber nach derselben, nämlich fest und gläubig; ein anderer war er nach seinen natürlichen Kräften und Anlagen; ein anderer nach den freien Gnadengaben Gottes. - Ueber Vaterland und Eltern dieses Thomas erhellt aus den Schriften der Evangelisten weiter nichts, als daß es aus der Geschichte Joh. 21,2. wahrscheinlich wird, er sei aus Galiläa und am See Tiberias zu Hause gewesen. Auch wird aus derselben Geschichte wahrscheinlich, daß er vor seiner Berufung zum Apostel ein Fischer gewesen sei. Matth. 10,3. wird er zugleich mit den andern Eilfen ins Collegium der Apostel aufgenommen und mit Matthäus zusammen gesellt; Joh. 11,15., als Christus sagte, Er wolle nach Judäa zurückkehren, spricht Thomas: „Lasset uns mitziehen, daß wir mit Ihm sterben.“ Joh. 14,5., als Christus zu Seinen Jüngern von Seinem Hingange zum Vater redete und sagte, sie wüßten wohl, wo Er hingehe, und den Weg wüßten sie auch, antwortete Thomas: „HErr, wir wissen nicht, wo du hingehst; und wie können wir den Weg wissen?!“- woraus hervorgeht, daß er ziemlich ungebildet und unbescheiden gewesen sei, was man eben in dieser Geschichte noch deutlicher erblickt.

Aber nachdem er von Christo durch die Offenbarungen Seiner Auferstehung zum Glauben gebracht und am Pfingsttage nebst den andern Aposteln mit dem Heiligen Geist begabt worden war, machte er große Fortschritte im Glauben und brachte reiche Früchte in der Ausbreitung der Kirche JEsu Christi. Eusebius erzählt in seiner Kirchengeschichte, dem Thomas sei bei der Theilung der Apostel Parthien zugefallen, wo er dann das Evangelium verkündigt und Kirchendiener bestellt habe. Darnach reisete er, wie Hieronymus berichtet, nach Medien, Persien, Hyrcanien und Ostindien. Chrysostomus schreibt, er habe die Weisen aus dem Morgenlande getauft. Ueber seinen Tod ist man nicht einig. Hieronymus sagt ganz einfach, er sei in einer gewissen Stadt in Indien entschlafen. Isidorus der Märtyrer berichtet, er sei in einen feurigen Ofen geworfen worden, da er nicht nach der Weise der Götzendiener die Sonne habe anbeten wollen; weil ihn aber das Feuer nicht versehrt habe, so sei er vom Götzenpriester mit einer Lanze durchbohrt worden. Ruffinus und Socrates berichten, er sei in Edessa, einer Stadt in Mesopotamien, begraben, wo Abgarus regierte, von dem Eusebius erzählt, daß er in einer unheilbaren Krankheit einen Brief an Christum geschrieben, und dem Christus geantwortet habe, Er wolle nach Seiner Auferstehung ihm einen Seiner Jünger senden, der ihm an Leib und Seele helfen solle, und das sei geschehen durch Thaddäus, Thomas' Bruder. - Dieses ist denn ein kurzer Abriß von dem Leben und den Thaten des Thomas, woraus seine Unwissenheit und Schwachheit vor der Ausgießung des Heiligen Geistes über ihn klärlich erhellt. Christus aber trug dieselbe nicht nur, sondern besserte sie auch mit bewundernswürdiger Geduld, wie aus Nachfolgendem erhellen wird.

Zweitens wird nun die Gelegenheit beschrieben, bei welcher dies Schäflein abgeirrt war. „Thomas aber“, sagt unser Text, „war nicht bei ihnen, da JEsus kam.“ Wie es leicht geschehen kann, daß sich ein Schäflein verirrt, wenn es sich von der übrigen Herde trennt, so ging es auch hier dem Thomas. Er hatte sich von der Gemeinschaft der andern Apostel getrennt, als Christus ihnen Seine Auferstehung durch die zum Grabe gegangenen Weiber und Simon Petrus nicht nur hatte verkündigen lassen, sondern auch sich selbst ihnen lebendig erzeigte. Daher wird er der Frucht dieser Offenbarung beraubt und fällt in diesen schweren Irrthum, daß er nicht glaubt, Christus sei auferstanden. Chrysostomus meint, Thomas sei noch nicht wieder zu den Aposteln zurückgekehrt gewesen, seit er dort im Garten mit ihnen entflohen war und Christum verlassen hatte. Daraus geht hervor, wie groß die Gefahr sei, wenn jemand die öffentlichen Versammlungen der Kirche verläßt und sich von der Gemeinschaft der Frommen trennt; weshalb uns auch die Epistel an die Hebräer, Cap. 10,24., so ernstlich ermahnt: „Lasset uns unter einander unser selbst wahrnehmen, mit Reizen zur Liebe und guten Werken“, und V. 25.: „Und nicht verlassen unsere Versammlung, wie etliche pflegen“ u. s. w. Wer die öffentlichen kirchlichen Versammlungen verläßt, beraubt sich der Frucht, die er aus der Anhörung des Worts und aus den öffentlichen kirchlichen Gebeten einsammeln könnte. Daher kommt es denn, daß sein Glaube abnimmt und verkümmert. Denn wie eine Lampe ausgebt, wenn man kein Oel zugießt, so erlischt auch das Glaubenslicht, wenn es nicht fortwährend mit dem Oel des Worts und Gebets genährt und gepflegt wird. Zu dieser Ursache des Unglaubens kommen bei Thomas noch andere. Es zeigt sich bei ihm ein eigensinniges und selbstkluges Wesen; er dünkt sich allein weise, steift sich auf seine Gedanken und widerspricht allen übrigen Aposteln; er will ihrem Zeugniß von der Auferstehung Christi nicht glauben; setzt alle Vorhersagungen Christi von Seiner Auferstehung aus den Augen und hängt dem Urtheil der Sinne und seiner Vernunft nach. Mögen wir uns also hüten und durch Thomas' Exempel warnen lassen vor der eigensinnigen Selbstklugheit, Röm. 12,16., besonders aber vor jener umgekehrten und verkehrten Ordnung, nach welcher so Viele die finstere Vernunft dem hellen Lichte des göttlichen Worts leider vorziehen, und, weil sie nicht sehen und verstehen, was ihnen im Worte vorgelegt wird, darum auch nicht glauben wollen, da doch der Glaube eine Ueberzeugung von unsichtbaren Dingen ist, Hebr. 11,1., und alle Vernunft unter den Gehorsam Christi gefangen genommen werden muß, 2 Cor. 10,5. -

Drittens wird uns vorgestellt, wie lange sich dies Schäflein verirrt habe und in wie große Gefahr des Verderbens es gerathen sei. Als die andern Jünger dem Thomas verkündigten, sie hätten den von den Todten auferstandenen HErrn gesehen, antwortete er ziemlich unbescheiden: „Es sei denn, daß ich in Seinen Händen sehe die Nägelmale, und lege meine Finger in die Nagelmale, und lege meine Hand in Seine Seite, will ichs nicht glauben.“ Bei den Jüngern, die alles gesehen und gehört hatten und dem Thomas erzählen, zeigt sich die Art des wahren Glaubens und der rechten Liebe. Wo das Licht des Glaubens im Herzen ist, da thut es sich durch die Strahlen der Liebe hervor; und dies ist eine Eigenschaft der wahrhaft Frommen, daß sie gern von Christo reden, gern Andere unterrichten und zur Erkenntniß Christi hinführen. Es ist aber ungewiß, ob Thomas aus eigenem Antriebe zu den übrigen Aposteln zurückgekehrt sei und diese Erzählung von der Erscheinung Christi von ihnen gehört habe, oder ob die Apostel ihn in seiner Abwesenheit aufgesucht, zu sich zurückgerufen und ihm diese Botschaft von dem wiederlebenden Christo zugebracht haben. Nehmen wir das Erstere an, so gibt uns das eine nützliche Lehre von dem Unterschiede zwischen der Sünde des Thomas und des Verräthers. Thomas hatte sich, nachdem er dort im Garten, aus Schwachheit des Fleisches und von Furcht übernommen, geflohen war und Christum verlassen hatte, von der Gemeinschaft der Apostel eine Zeitlang getrennt, kehrte aber nachher zu ihnen zurück und vereinigte sich wieder mit dieser frommen Versammlung. Judas that ganz das Gegentheil: nach der Sünde des Verraths kehrt er nicht zu den Jüngern zurück, sich von ihnen trösten zu lassen, sondern geht hin zu den Hohenpriestern und Aeltesten, den geschwornen Feinden Christi, Matth. 27,3., bekennt ihnen seine Sünde; erlangt aber die dürre und leere Absolution: „Was geht uns das an? - da siehe du zu!“ Daher er denn in Verzweiflung fällt. Thomas aber, der sich den Aposteln wieder zugesellt, wird aus der Sünde auf den rechten Weg zurückgerufen, und durch das Wort des Evangeliums aus dem Rachen des höllischen Löwen befreit. Dasselbe widerfuhr Petro, der Christum nicht allein verlassen, sondern auch verleugnet hatte. Sind wir also durch Betrug des Teufels in die Grube der Sünde und des Irrthums gestürzt, so lasset uns ja nicht Sünde auf Sünde häufen, indem wir uns den Feinden Christi und Seiner Kirche beigesellen, sondern uns der Herde des HErrn anschließen, damit wir den rechten und gewissen Trost aus dem Worte hören mögen. - Wenn man aber das Letztere annimmt, so leuchtet um so mehr die Gluth der Liebe bei den Aposteln hervor, daß sie nach dem Beispiel Christi, Luc. 15,4., das verirrte und verlorne Schaf suchen und nicht ablassen, bis sie es finden und zur Herde zurückführen. Dasselbe sollen die Diener der Kirche thun, denen Christus Seine Herde zu weiden befohlen hat, 1 Petri 5,2., sie sollen dafür halten, daß es ihr Amt und ihre Pflicht sei, nicht allein „der Schwachen zu warten, die Kranken zu heilen und das Verwundete zu verbinden, sondern auch das Verirrte zu holen und das Verlorne zu suchen“, Hesek. 34,4.

Die Nachricht ferner, welche die übrigen Apostel dem Thomas von der Auferstehung Christi geben, wird ganz schlicht so beschrieben, daß sie gesagt haben: „Wir haben den HErrn gesehen.“ Allein es ist kein Zweifel, daß sie ihm die ganze Geschichte von der Auferstehung und Erscheinung Christi mit allen Umständen ausführlich erzählt haben; wie nämlich der Engel vom Himmel herabgekommen sei, den Grabstein durch ein Erdbeben fortgewälzt habe und die Hüter des Grabes geflohen seien; wie die Weiber, als sie zum Grabe gegangen, den HErrn Christum zu salben, das Grab leer gefunden und die Engel von der Auferstehung Christi haben predigen hören u. s. w.; ferner wie Christus eben am Tage Seiner Auferstehung der Maria Magdalena, den andern vom Grabe zurückkehrenden Weibern, dem Simon Petrus, den beiden Emmausjüngern und am Abend allen Jüngern erschienen sei. Vor allem aber haben sie ihm gewiß mit Fleiß die Umstände dieser Erscheinung mitgetheilt, wie nämlich Christus ganz unerwartet und wunderbarer Weise durch die verschlossenen Thüren bei ihnen eingetreten sei, als sie eben mit den beiden zurückgekehrten Emmausjüngern über die Sache geredet; wie Er plötzlich in ihrer Mitte stehend ihnen Frieden gewünscht habe; wie sie Ihn nicht nur gesehen, sondern auch Seine Hände und Füße betastet hätten; wie Er vor ihren Augen von dem Honigseim und dem gebratenen Fische gegessen habe u. s. w.; so daß gar kein Zweifel übrig sei oder übrig sein könne über Seine Auferstehung. Dies alles erzählen die andern Jünger dem Thomas mit allem Fleiß; aber sie richten wenig bei ihm aus; denn er antwortet: „Es sei denn, daß ich in Seinen Händen sehe die Nägelmale, und lege meine Finger in die Nägelmale, und lege meine Hand in Seine Seite, will ichs nicht glauben.“ Dem Sehen der Apostel seht er sein Sehen entgegen und will so viel sagen: Ihr behauptet zwar, daß ihr den HErrn gesehen habet; allein wenn ich nicht selbst Ihn sehe, so glaube ich nicht; - eurem Zeugniß kann ich in einer so ungereimten und unwahrscheinlichen Sache nicht trauen; sondern ich muß mich durch meine eigenen Sinne überzeugen, wenn ich glauben soll. Ihr seid gewiß durch irgend ein Gespenst geneckt und geäfft worden; ich werde es also nicht glauben, wenn ich nicht Seine Nägelmale sehe; ja, da die Augen durch irgend ein Blendwerk getäuscht werden könnten, so will ich es noch nicht glauben, wenn ich nicht auch meine Finger in die Nägelmale und meine Hand in Seine Seite lege, d. i. in jene große und breite Wunde, welche Ihm am Kreuze in Seiner Seite beigebracht ward. Wenn ich nicht auf diese Weise Christum sehe und betaste und durch solche Anschauung und Betastung überzeugt werde, daß eben derselbe Leib auferstanden sei, der am Kreuze mit Nägeln und Lanze durchbohrt worden ist, so kann und will ichs nicht glauben. Dies war sicherlich eine höchst schwere Sünde und ein ungeheurer Fall

a. in Rücksicht auf die Person. „Jedes Vergehen ist um so strafwürdiger, je höher der in Ansehen steht, welcher sich vergeht“, sagt Juvenal. Nun aber war Thomas nicht einer aus dem gemeinen Haufen der Jünger Christi, sondern aus dem Collegium der Apostel; hatte gehört, wie Christus nicht einmal, sondern vielmal Seine Auferstehung vorhergesagt; hatte gesehen, wie Christus Andere von den Todten auferweckt; konnte und mußte also schließen, was Er an Andern könne, könne Er auch an Seinem eigenen Leibe thun, indem Er Gottes Sohn sei.

b. in Rücksicht auf die Form. Der Unglaube ist nicht allein eine höchst schwere Sünde, sondern auch die Quelle und Wurzel aller andern Sünden, Marc. 16,16., Joh. 3,36., Joh. 16,9., Röm. 14,23., Hebr. 11,6., 1. Joh. 5,10. Da nun Thomas in die Sünde des Unglaubens fiel, so ist dies ja nicht eine leichte Schwachheit, sondern eine ganz schwere und verdammliche Sünde,

c. in Rücksicht des Gegenstandes, d. i. in Betracht derjenigen, deren Zeugniß von Christi Auferstehung er verwarf. Die Frauen hatten die Rede des Engels und die Offenbarung Christi den Aposteln verkündigt; Petrus hatte ausgesagt, daß ihm Christus besonders erschienen sei; die übrigen Jünger hatten erzählt, was zu Emmaus geschehen, und daß Christus ihnen selbst erschienen sei. Allein diese alle hält er für untüchtige Zeugen, um ihnen Glauben beizumessen. Der Lüge also beschuldigt er die Leute, d. i. die Weiber und alle Apostel, die da bezeugten, „was sie mit ihren Augen gesehen und mit ihren Händen betastet hatten“, 1 Joh. 1,1. Einen ehrlichen Mann aber und Augenzeugen für einen Lügner halten, ist ein schweres Verbrechen gegen den Nächsten. Der Lüge beschuldigt er die Engel, welche wahrhaftige Geister sind, die vom Himmel, dem Throne der Wahrheit, herabgestiegen waren und von Christi Auferstehung gezeugt hatten. Christum beschuldigt er der Lüge, der die Wahrheit selbst ist, Joh. 14,6., und von dem er öfters die Vorhersagung Seiner Auferstehung gehört hatte. Endlich Gott selbst klagt er der Lüge an, der durch den Heiligen Geist in den prophetischen Schriften des Alten Testaments nicht etwa einmal von der Auferstehung Christi geweissagt hatte.

d. in Rücksicht auf das öffentliche Bekenntniß. Thomas unterdrückte nicht in seinem Herzen diesen Unglauben und diese wenig frommen Gedanken, sondern bekennt sie öffentlich vor Allen, und gibt so durch sein Exempel Andern ein Aergerniß.

e. in Rücksicht auf seine Beharrlichkeit. Ganze acht Tage lang verharrt er in dieser seiner Ungläubigkeit, und läßt nicht eher davon ab, bis Christus nach seinem Begehr mit ihm handelt und sich ihm zu besehen und zu betasten gibt. Da sehen wir, wie tiefe Wurzeln der Unglaube in unserm Herzen geschlagen hat, so daß auch selbst in den Herzen der Wiedergeboren, wie Thomas einer war, seine Fasern noch zurückgeblieben sind, die durch die Gnade des Heiligen Geistes auszurotten sie ihr Leben lang sich bemühen müssen. Wenn sie ihre Geistesaugen nur ein wenig vom Licht des Worts abwenden und dem Licht der Vernunft, welches in göttlichen Dingen Dunkelheit und Finsterniß ist, folgen wollen, so geschieht es sehr leicht, daß der dem Herzen angeborne Unglaube wieder hervorbricht, wie aus dem Exempel Mosis erhellt, 4 Mos. 11,21. und Cap. 20,11. Thomas hatte (so zu sagen) vier Lichter vor seinen Augen: das Licht des himmlischen Worts; das Licht der innern Erleuchtung; das Licht der Vernunft und das Licht der Sinne. Er hatte aus den Weissagungen der Propheten und den Predigten Christi von der Auferstehung gehört; eben dasselbe bezeugen die Apostel, daß nämlich Christus auferstanden sei: dies war das Licht des himmlischen Worte. Er hatte überdies die göttliche Kraft Christi aus dessen Wundern erkannt, wodurch der Heilige Geist den Unglauben in seinem Herzen unterdrückt und auszurotten angefangen hatte: dies war das Licht der innern Erleuchtung. Auf der andern Seite hielt ihm die Vernunft immer wieder vor, es sei ganz unmöglich und ungereimt, daß eben derselbe Leib von den Todten wiederkehre: dies war das Licht der Vernunft. Auch hatte Thomas gesehen, wie Christus am Kreuze hing, mit Dornen gekrönt, mit Nägeln durchbohrt, mit Blut benetzt u. s. w.: dies war das Licht seiner Sinne. Nun hätte Thomas das Licht der Sinne und der Vernunft fahren lassen und dem Licht des Worts und der innern Erleuchtung folgen sollen. Allein, da er das Licht des Worts fahren läßt und dem Urtheil der Sinne und seiner Vernunft folgt, geräth er in die Finsterniß des Unglaubens. In menschlichen und weltlichen Dingen ist das Urtheil der Sinne und der Vernunft ein vortreffliches Licht; aber in Sachen und Geheimnissen des Glaubens ist es das dichteste Dunkel; weshalb nach dem Zeugniß der Schrift der Glaube nicht ein Werk unsrer Kräfte und unsrer Vernunft, sondern eine Gabe Gottes ist, - ein Licht durch den Heiligen Geist angezündet in unseren Herzen, - eine Erleuchtung von oben, Matth. 16,17., Phil. 1,29. u. s. w.

Ferner, da der Unglaube des Thomas eine so große Sünde ist, so fragt man billig, warum der Heilige Geist dieselbe zu ewigem Gedächtnis) habe aufzeichnen lassen? Die Papisten sagen, „eben darum sei den Laien das Lesen der Bibel zu untersagen, damit sie nicht durch die Trunkenheit Noahs, durch die Blutschande Lots, durch die Abgötterei Aarons, durch das Zweifeln Mosis, durch den Ehebruch Davids, durch Petri Verleugnung, durch Thomas' Unglauben“ u. s. w. geärgert würden. Allein diese Schmach fällt auf die Propheten und Apostel, ja auf Gott selbst zurück, der diese Sünden der Heiligen durch jene Seine Schreiber in die heilige Schrift eintragen ließ, und junge Leute und Laien können durch diese Geschichten nicht geärgert werden, da die Beschreibung der Strafe, welche der Schuld auf dem Fuße folgt, sogleich beigefügt ist, oder doch, wie sie der wohlverdienten Strafe durch wahre Buße entflohen seien. Fleischliche Menschen mißbrauchen diese Exempel, sich in ihrer Sicherheit zu bestärken, und wenden vor, sie seien noch nicht so schwer und ungeheuer tief gefallen. Aber ihnen ist das Wort Augustins bei Psalm 51. entgegenzuhalten: „Viele wollen wohl mit David fallen, aber nicht mit David aufstehen. Nicht zum Fallen, sondern zum Aufstehen wird uns sein Beispiel vorgehalten. Wer nicht gefallen ist, höre es, damit er nicht falle; wer gefallen ist, höre es, damit er aufstehe.“ Die Fehltritte der Heiligen sind also vom Heiligen Geiste aufgezeichnet worden,

1. zum Beweis der Wahrheit der prophetischen und apostolischen Schriften. Menschen wollen immer gern gelobt werden, und können es nicht gut leiden, daß man ihre Fehler rügt. Anders aber haben die heiligen Männer Gottes gehandelt, weil sie geschrieben haben, „getrieben von dem Heiligen Geiste“, 2 Petri 1,21.

2. zur heilsamen Lehre, daß alle Heiligen Vergebung der Sünde bedürfen, Ps. 32,6., daß sie alle bitten müssen: „vergib uns unsre Schulden“, Matth. 6,12. Denn obwohl die Heiligen den Begierden des Fleisches widerstehen und sie durch den Geist tödten, so wohnt dennoch in ihrem Fleische die Sünde, Röm. 7,17., und das ist die unerkannte Sünde, die Gott ins Licht stellt vor Seinem Angesicht, Ps. 90,8. Weil das aber weder die Heiligen selbst, noch die andern Menschen erkennen, so läßt Gott die bittere Wurzel in solchen fehlerhaften Auswüchsen zum Vorschein kommen. Die Heiligen würdigen oft nicht genug die Grüße und Menge ihrer Sünden, da doch in ihrem Herzen Ungeduld, Zweifel, Hoffart, Weltliebe u. s. w. steckt; darum denn Gott nach Seinem wunderbaren Rath den verborgenen Hochmuth des Herzens durch das offenbare Verderben des Fleisches straft.

3. zur Ueberführung derjenigen, die für die Verdienstlichkeit der Werke wie für Haus und Herd streiten. „Wer an einem sündigt, der ist an allen schuldig“, sagt Jacobus Cap. 2,10. Begeht er also auch nur eine einzige Sünde, so wird seine Gerechtigkeit aus den Werken unvollkommen und zur Rechtfertigung vor Gott unnütz. Darum demüthigen sich alle Heiligen vor Gottes Gericht, kehren ihr Auge und Herz ab von dem Gedanken der eigenen Gerechtigkeit und nehmen ihre Zuflucht allein zur Gnade Gottes und dem Verdienste Christi, wie man mit dem Exempel Davids, Jesaiä, Daniels, Pauli, Johannis, ja aller Heiligen überall genugsam beweisen kann.

4. zum Troste der wahrhaft Bußfertigen, 1 Tim. 1,15.: „Das ist je gewißlich wahr und ein theuer werthes Wort, daß JEsus Christus kommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen, unter welchen ich der vornehmste bin“; und V. 16. - Die göttliche Verheißung von dem gnädigen Willen Gottes gegen alle wahrhaft Bußfertigen ist fest und unbeweglich, Hesek. 33,11., 1. Tim. 2,4., 2. Petri 3,9. Doch damit wir um so weniger daran zweifeln möchten, darum hat Er sie mit diesen Exempeln gleichsam besiegelt.

5. zur Warnung. Augustinus sagt: „Dazu sind die Fehltritte der großen Männer aufgeschrieben, daß man sich überall vor jenem apostolischen Ausspruch fürchte: Wer da steht, der sehe zu, daß er nicht falle! Wenn solche Säulen wanken, wer sollte da nicht zittern und erschrecken!“

2.

Nun folgt der andere Theil dieser Geschichte, wie Christus, der treue und gute Hirte, das verirrte Schäflein Thomas auf den rechten Weg zu Seiner Gnade zurückgeführt habe, indem Er Seinen Jüngern aufs neue erschien. In diesem Theil dieser Geschichte wird theils die so liebliche Erscheinung Christi, theils das herrliche Bekenntniß des Thomas beschrieben.

Bei der Beschreibung der Erscheinung wird die Zeit angegeben. „Ueber acht Tage“, d. i. am achten Tage vom Tage der Auferstehung an; eben wie es heißt, Christus sei nach dreien Tagen, d. i. am dritten Tage auferstanden u. a. m. Dieser achte Tag nun war der Tag des HErrn, wie er Offenb. 1, 10. genannt wird, d. i. unser Sonntag. Wie also acht Tage früher den Weibern, dem Simon Petrus, den Emmausjüngern und den andern Jüngern, so erscheint Er ihnen jetzt wieder am Sonntag, diesen Tag zu ehren, den Er auf diese Weise heiligen und zum Gottesdienste bestimmen wollte; woher es denn ohne Zweifel gekommen ist, daß die Apostel denselben zum Gottesdienste bestimmt haben, weil nämlich der HErr an demselben auferstanden ist und Seine Auferstehung durch mehrere Erscheinungen geoffenbart hat. Aber wie kommts, daß Christus erst nach einem Zwischenraum von acht Tagen dem ungläubigen Thomas erscheint? Gewiß muß man in diesem Stücke Sein ganz freies Wohlgefallen anerkennen. Indeß sagt man doch wohl nicht mit Unrecht, dieser Verzug sei 1. eine ganz gerechte Strafe für die Nachlässigkeit und Trägheit bei Thomas gewesen. Er hatte sich von den andern Aposteln getrennt und sich durch seine eigene Schule der Frucht der Offenbarung, welche jenen zu Theil wurde, selbst beraubt. Daher kam es denn, daß er sich ganze acht Tage lang mit den Gespenstern des Unglaubens, mit seinem Fleisch und seiner Vernunft herumschlagen mußte. 2. eine Prüfung des Glaubens bei den andern Aposteln. Sie wurden durch viele vorgegangene Erweisungen zum Glauben an Seine Auferstehung gebracht. Dieser Glaube sollte sich im Kampfe mit dem ungläubigen Thomas bewähren, damit er durch die gegenseitige Besprechung und Bestreitung wüchse. 3. ein Bild unserer Nöthen. Christus erscheint dem Thomas nicht sofort im Anfang seiner Anfechtung; sondern ganze acht Tage lang überläßt Er ihn sich selbst, und läßt ihn mit seinem Unglauben sich herumschlagen. Wenn uns nun etwa dasselbe widerfährt, daß wir auch mit Zweifel, Herzensangst und Anfechtung eine Zeitlang kämpfen müssen, so sollen wir den Muth nicht sinken lassen, sondern nur getrost hoffen, Christus werde endlich mit uns sein. 4. ein Bild unserer Verherrlichung. Es gibt sechs Tage in diesem Leben, in welchen wir uns unter dem Kreuze abmühen; der siebente ist der Ruhetag im Grabe. Der achte wird ein Ehren- und Freudentag sein, an welchem wir Christum von Angesicht zu Angesicht schauen werden, 1 Cor. 13,12. b. Das Object, oder wem Christus hier erscheint. Obwohl diese Erscheinung dem Thomas zu Gute veranstaltet ward, so wollte Er doch nicht ihm allein, wie es bei Petrus und Jacobus geschah, sondern als er mit den andern Jüngern beisammen war, erscheinen: „als die Jünger drinnen und Thomas mit ihnen war.“ Es könnte als ein Lob der Bruderliebe angesehen werden, daß die Jünger leiblich und geistlich vereint waren, als Christus zu ihnen kam. Allein da der Text beigefügt: „Als die Thüren verschlossen waren“, so scheint es vielmehr ein Tadel ihrer Furchtsamkeit und Glaubensschwachheit zu sein. Sie hatten Christum als wiederlebenden Sieger erblickt, und wie groß Seine Macht sei, hatten sie daraus abnehmen können, daß Er im Oelgarten mit einem einzigen Wörtlein die ganze Schaar zu Boden geworfen und ihnen selbst ein sicher Geleit verschafft hatte; ja sie waren sogar mit dem Heiligen Geiste angehaucht worden. Dennoch hatten sie noch nicht alle Schwäche und Furcht des Herzens austreiben können, sondern sie verrammeln sich noch hinter Riegeln und Thüren vor dem Anfall der Feinde. Diese ihre Schwachheit trägt Christus zu unserm Troste mit aller Langmuth und Geduld. Doch ist das an den Jüngern zu loben, daß sie den ungläubigen Thomas in ihrer Mitte dulden, ihn freundlich belehren und nicht nach ein- und abermaliger Ermahnung den Bannstrahl auf ihn schleudern. Dies Exempel soll uns erinnern, daß wir „den Schwachen im Glauben aufnehmen und die Gewissen nicht verwirren“, Röm. 14, 1. Die Jünger hätten unter dem scheinbaren Vorwande Thomas ausschließen können, daß er trotz aller Ermahnung den Grundartikel von der Auferstehung des HErrn nicht glauben wolle. So soll man wegen Meinungsverschiedenheit nicht sofort das Band der christlichen Einigkeit zerreißen, sondern geduldig auf völlige Uebereinstimmung hoffen. Damit jedoch halsstarrige und hartnäckige Feinde der Wahrheit unsre Güte nicht mißbrauchen, so ist ein Unterschied zu machen zwischen Hartnäckigen und Besserlichen. Von jenen sagt Christus Matth. 15, 14.: „Lasset sie fahren; sie sind blind und Blindenleiter“, und Paulus Tit. 3,10.: „Einen ketzerischen Menschen meide, wenn er einmal und abermal ermahnt ist“ u. s. w. V. 11. und 1 Cor. 1,10. An Thomas ist auch zu loben, daß er sich nicht von jenem Häuflein trennt, mit welchem er nicht in Sachen des Glaubens ganz übereinstimmte; denn man soll sich nicht um jedweder Mißhelligkeit willen von der kirchlichen Einigkeit lossagen, sondern völligere Erleuchtung von Gott erwarten und erbitten. Ferner daß Christus mit Seiner Gnade dem Thomas zuvorkommt, und nicht wartet, bis Er von ihm gesucht wird, darin zeigt Er, daß Er ein treuer Hirte sei, dessen Eigenschaft ist, die verirrten Schäflein zu suchen; ja Er hält uns eine Abbildung unserer Bekehrung zu Gott vor, der all unserm Laufen und Bestreben mit Seiner Gnade zuvorkommt, Röm. 9,16., Jes. 65,1., Röm. 10,20. Daß Er dem Thomas nicht privatim, sondern in Gegenwart der andern Jünger erscheint und seinen Unglauben zurechtweist, geschah darum, weil er ihnen ein nicht geringes Aergerniß gegeben hatte. Christus wollte also aus dieser Zurechtweisung und dem Bekenntniß des Thomas auch den Uebrigen eine Frucht zufließen lassen, vergl. 1 Tim. 5,20. - Wiederum offenbart Er sich Allen um des Einen willen, um ihnen allen zu zeigen, mit welcher Sorgfalt Er die Seinen umfasse, und um Aller Glauben durch den Unglauben des Thomas zu stärken.

Die Art und Weise der Erscheinung.

Als Christus nach Seiner Auferstehung zum andern Mal zu Seinen Jüngern kam, erschien Er nicht etwa stumm, sondern redete erst überhaupt alle Jünger, und darnach den Thomas insbesondere an. Er wünscht ihnen allen Frieden, welche Grußformel wir bei der ersten Erscheinung erklärt haben. Wir hören hier aufs neue den alten Gruß und vormaligen Friedenswunsch, dessen Er sich vor acht Tagen bedient hatte, damit wir einsehen, daß Christus nicht ein neues vom frühern verschiedenes Evangelium bringe, sondern das alte Evangelium wiederhole, welches uns die Versöhnung des menschlichen Geschlechts mit Gott durch Christi Leiden und Auferstehung verkündigt und denen, die an Ihn glauben, Gerechtigkeit, Frieden des Gewissens und ewiges Leben verheißt. Bald darauf richtet Er Seine Rede an Thomas, um dessentwillen Er hauptsächlich erschienen war, und spricht: „Reiche deinen Finger her, und siehe meine Hände; und reiche deine Hand her, und lege sie in meine Seite; und sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ Er wiederholt ganz dieselben Worte, deren sich Thomas gegen die andern Jünger bedient hatte. Thomas hatte gesagt: „Es sei denn, daß ich in Seinen Händen sehe die Nägelmale“; Christus antwortet: „Siehe meine Hände!“ Thomas hatte gesagt: „Es sei denn, daß ich meine Finger lege in die Nägelmale“; Christus antwortet: „Reiche deinen Finger her!“ Thomas hatte gesagt: „Es sei denn, daß ich meine Hand in Seine Seite lege“; Christus antwortet: „Reiche deine Hand her und lege sie in meine Seite!“ Thomas hatte gesagt: „Ich wills nicht glauben“; Christus erwidert umgekehrt: „Sei nicht ungläubig, sondern gläubig!“ - Hieraus leuchtet nun die große Menschenfreundlichkeit Christi hervor, die eben so wunderbar als tröstlich ist, daß Er aufs neue um Thomas willen den Jüngern erscheint, und Sich selbst ihm zu besehen und zu betasten gibt, damit Er ihn vom Unglauben zum Glauben, vom Irrthum zur Wahrheit, vom Tode zum Leben zurückrufe, wodurch Er sich als den rechten Hirten erweis't, der durch die That erfüllt, was er Hesek. 34,15. verheißen hat: „Ich will selbst meine Schafe weiden“ u. s. w., und Luc. 15,4. Christus war durch Sein Leiden und Seine Auferstehung in Seine Herrlichkeit eingegangen; dachte Er nun etwa: Was geht mich der ungläubige Thomas an? er hat sich durch seine eigene Schuld verirrt; ich habe gethan, was ich konnte; bin meinen Jüngern zum Beweis meiner Auferstehung erschienen; warum hat er sich von ihnen gesondert; er mag zum Teufel fahren, - ich werde nichtsdestoweniger in himmlischer Herrlichkeit sein. Nein, so denkt Christus keineswegs, sondern ängstlich und fleißig sucht Er das irrende Schäflein, das Er mit Seinem theuern Blut erworben hat. Joh. 10,12. nennt sich Christus „den guten Hirten“. Damit wir aber nicht denken, Christus sei wohl in den Tagen Seines Fleisches, als Er noch auf Erden wandelte, so gegen uns gesinnt gewesen, jetzt aber in Seiner Herrlichkeit, wo Er mit größern Dingen beschäftigt sei, habe Er Seine Hirtensorge abgelegt, so wollte Er eben durch dieses Beispiel zeigen, daß Er in alle Ewigkeit dasselbe Herz und dieselbe Gesinnung gegen uns hege, Röm. 8,34., Joh. 10,11. -

So zeigt also Christus, daß Er der rechte und treue Hirt, aber auch der wahre Arzt unsrer Seelen sei, Matth. 9,12. Thomas laborierte an der höchst gefährlichen und tödlichen Krankheit des Unglaubens, Joh. 3,36. Christus nun, als der rechte Seelenarzt, besuchte und heilte ihn gütigst. Wie aber ein treuer Arzt nicht damit zufrieden ist, daß er seinen Kranken nur einmal besucht, sondern öfter zu ihm geht, sich fleißig nach dem Stande der Krankheit erkundigt, Stärkungsmittel reicht u. s. w., so kehrt auch Christus öfters zu Seinen Jüngern zurück, zeigt ihnen Seine Hände und Füße, um sie von ihrem Unglauben zu heilen, und da einer unter ihnen schwerer als die andern leidet, so kommt Er um seinetwillen aufs neue wieder. Endlich beweist Christus durch dies Exempel, daß Er der Erzbischof Seiner Kirche sei. Thomas sollte nebst den übrigen Aposteln ein Zeuge Seiner Auferstehung in der ganzen Welt sein, Ap. Gesch. 1,8., Cap. 10,41. Christus wollte ihn also erst selbst im Glauben befestigen und begründen, damit er davon, als von einer gewissen und zuverlässigen Sache, den Kindern der Kirche Zeugniß geben könnte. Diese Menschenfreundlichkeit Christi sei uns ein Trost, wenn wir in unsern Herzen Zweifel, Ungewißheit, Glaubensschwachheit u. s. w. empfinden; daß wir alsdann denken, Christus, unser Hirt, werde uns um der anklebenden Schwächen und Fehler willen keineswegs wegwerfen, Ps. 119, 176. Jedoch sollen wir diese Lehre nicht zur Sicherheit mißbrauchen, als würden wir unter der Sorge und Aufsicht dieses Hirten sicher sein, wenn wir auch mit Wissen und Willen uns in Irrthümer stürzten und darin verharreten. -

Dem Beispiele des Erzhirten Christi sollen die Diener der Kirche nachfolgen, fleißig auf die Seelen Acht haben, die Herde weiden, die ihnen befohlen ist, 1 Petri 5,2., nicht allein im Allgemeinen lehren, predigen, ermahnen, sondern auch die irrenden Schäflein insonderheit aufsuchen, auf den rechten Weg zurückrufen und zur Herde zurückführen, da sie nicht nur für alle, sondern auch für die einzelnen Schäflein, die ihrer Hut und Treue befohlen sind, Rechenschaft geben sollen, Hebr. 13,17., Hesek. 34,4. - Es ist auch nicht zu übersehen, daß Christus absichtlich dieselben Worte wiederholt, welche der ungläubige Thomas ausgestoßen hatte, denn eben dadurch wollte Er Seine Auferstehung und Majestät erweisen, Thomas aber von seinem Unglauben überführen. Wenn Christus wußte, was zwischen Thomas und den andern Jünger geredet oder gehandelt worden, so ist Er ja wahrhaftig auferstanden, so ist Er ja wahrer Gott, der ja allein die Eigenschaft besitzt, daß Er Herzen und Nieren prüft, Vergangenes, Gegenwärtiges und Zukünftiges mit einem Blick überschaut; und da Er, ohne daß es Ihm von Andern erzählt worden ist, die Worte Thomä genau weiß, so folgt daraus, daß Ihm diese Majestät nach Seiner menschlichen Natur zukommt, und daß Er nach Seiner Majestät gegenwärtig war, als Thomas die ungläubigen Worte hervorbrachte, obgleich Er äußerlich und sichtlich nicht zugegen war. Wir werden auch erinnert, daß Worte, aus Unglauben und Ungeduld hervorgebracht, nicht in der Luft verhallen, sondern in Gottes Buch aufgezeichnet werden und bei Ihm im Gedächtniß bleiben. Darum lasset uns in wahrer und ernster Reue die Vergebung dieser Sünde suchen und im Kreuz auf unsre Gedanken und Worte genau Achtung geben, daß wir nicht aus Ungeduld etwas „Thörliches wider Gott reden“, Hiob 1, 22. Ferner da Christus hier dem Thomas die Wundenmale in Seiner Seite, Händen und Füßen zeigt, so fragt man billig, was von diesen Wundenmalen zu halten sei, ob Er dieselben an Seinem verklärten und zum Himmel erhöhten Leibe noch beibehalte, und warum das geschehen sei. Die frommen Alten behaupten fast einstimmig, Christus habe die Wundenmale an Seinem Leibe beibehalten, nicht nur als Er den Jüngern erschien, sondern auch bei Seiner Himmelfahrt, bei Seiner Wiederkunft zum Gericht - und werde sie auch in der Herrlichkeit des ewigen Lebens beibehalten. Daß Er sie in der Zeit zwischen Seiner Auferstehung und Himmelfahrt beibehalten habe, erhellt deutlich genug aus dieser und der vorigen Geschichte. Daß Christus bei Seiner Himmelfahrt Seine Wundenmale den Engeln gezeigt habe, schließt Cyrillus aus Jes. 63, 1., Andere aus den Alten beziehen hierauf passender die Stelle Sach. 13, L. Was Seine Wiederkunft zum Gericht betrifft, so schließt man aus Sach. 12, 10., daß man auch dann die Wundenmale an dem Leibe Christi erblicken werde; vergl. Offene. 1, 7., Ap. Gesch. 1, 11. Was endlich Seinen Stand in der Herrlichkeit des ewigen Lebens anlangt, so bezieht man darauf Jes. 49,16.: „Siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet.“ Dies sind die Gedanken der Alten von den Wundenmalen in de n Händen und Füßen Christi, die weder von Dr. Luther, noch Dr. Chemnitz gemißbilligt werden. Denn so schreibt Ersterer zu dieser Stelle: „Ob Christus auch nach Seiner Auferstehung die Wunden- und Nägelmale an sich behalten habe, will ich nicht bestreiten, doch so, daß nichts Ungestaltes beim Anblick sei, wie sonst, sondern lieblich und tröstlich anzusehen.“ Dieser aber sagt ausdrücklich, „Christus habe auch nach Seinem Eingang in die Herrlichkeit die Wundenmale behalten, zum Andenken an den theuren Preis, womit Er uns erkauft hat.“ Doch muß hinzugefügt werden: 1. daß man keinen Glaubensartikel daraus machen dürfe, da wir in diesem Stücke klarer und deutlicher Schriftzeugnisse entbehren, und die angeführten Stellen die Sache nur wahrscheinlich machen; 2. daß jene Wundenmale nicht aus Unvermögen, sie zu heilen, an Seinem Leibe zurückgeblieben seien; 3. daß sie keine Fehler und Gebrechen seien, die Ihn verunzieren; 4. vielweniger irgend einen Schmerz verursachen; 5. daß sie nicht nothwendig an Seinem Leibe hängen, sondern aus freiem Wohlgefallen.

Dies vorausgesetzt, sagen wir, die Wundenmale seien nach Seiner Auferstehung den Jüngern gezeigt worden 1. zur Bestätigung Seiner Auferstehung, damit sie daraus lernen sollten, Christus sei in demselben Leibe wieder auferstanden, in welchem Er gekreuzigt worden war. 2. Bei Seiner Himmelfahrt sind sie beibehalten worden zum Andenken an den blutigen Kampf und zum Ruhm des Siegers. 3. Bei Seiner Zukunft zum Gericht wird Christus Seine Wundenmale zeigen zur Beschämung und Verwirrung der Gottlosen. „Sie werden sehen, in welchen sie gestochen haben“, Sach. 12,10., Joh. 19,37., Offenb. 1,7.4. Im Stande der Herrlichkeit und im ewigen Leben wird Christus Seine Wundenmale behalten zur Freude und zum Trost der Auserwählten und um sie zu immerwährender Danksagung anzureizen. -

Darauf folgt also nun das herrliche Bekenntniß des Thomas. Thomas antwortete und sprach zu Ihm: „Mein HErr und mein Gott!“ Aus den Worten des Evangelisten ergibt sich nicht undeutlich, daß Thomas nicht eher zum Glauben gekommen sei, bis er sich durch die Betastung selbst überzeugt hatte. Er hätte beim ersten Anblicke Christi vor Scham erröthen sollen. Allein dreist und unerschrocken legt er seine Finger in die Nägelmale und seine Hand in die Seite Christi, bis er endlich durch die hinzukommende innere Erleuchtung zu Verstande kommt und ausruft: „Mein HErr und mein Gott!“ Einige meinen, der Nominativ sei hier nach hebräischer Weise statt des Vocativs gesetzt, und Thomas sei vor Erstaunen und Verwunderung in diese Worte ausgebrochen. Aber auf diese Welse würde die Rede Thomä eher auf einen Andern als Christum gerichtet sein und die Beweiskraft verlieren, welche die frommen Alten aus dieser Stelle für die Gottheit Christi nehmen. Man muß also sagen, diese Worte seien eine Aussage des Thomas, worin er bekräftigend bezeugt, was er von Christo halte, so daß man hinzudenke: „Du bist“ mein HErr und mein Gott. Denn da er sich durch den Anblick und die Berührung selbst überzeugte, Christus sei in demselben Leibe, in welchem Er mit Nägeln und Lanze durchbohrt worden, auferstanden; und da er hörte, daß Christus alles ganz genau wisse, was er gegen die andern Jünger vorgebracht hatte, so schloß er daraus, Christus müsse nicht nur wahrhaftig auferstanden, sondern auch wahrhaftiger Gott sein, Luc. 24,26., Röm. 1,3., darum bekennt er Ihn in wahrem Glauben als seinen HErrn und seinen Gott. In diesem Bekenntnisse Thomä wird also beschrieben: 1. die Beschaffenheit unserer Bekehrung; 2. die Eigenschaft des wahren Glaubens, und 3. die Person und Majestät des auferweckten Christus. Wir sehen nämlich hier, daß unsre Bekehrung ein Werk der Gnade Gottes sei, und nicht unsers menschlichen Willens; eine freie Gabe, nicht das Verdienst unserer Werke. Christus kommt mit Seiner Gnade dem Thomas zuvor, ehe Er von ihm gesucht wird. Eben dasselbe ist auch bei unserer Bekehrung nöthig. Das Mittel der Bekehrung ist das Wort. Vor der Ankunft Christi sagte Thomas: „Ich wills nicht glauben“; aber durch Christi Wort bekehrt, ruft er aus: „Mein HErr und mein Gott!“ Thomas wird auch erinnert, von seiner Sünde abzustehen: so ist auch den Bekehrten das Gesetz Gottes vorzuhalten, als die heilige Regel und Richtschnur guter Werke, wonach sie ihren Lebenslauf einzurichten haben.

Der wahre Glaube wird hier so beschrieben, daß sein Hauptobject Christus sei, der gelitten hat und auferstanden ist, den er nicht schlechthin als Gott und HErrn, sondern als seinen Gott und seinen HErrn anerkennt. Auch die Teufel glauben, daß Christus HErr und Gott sei, Jac. 2,19. Allein das ist noch nicht der wahre und rechtfertigende Glaube, dessen Eigenschaft es ist, sich insonderheit die Wohlthaten Christi zuzueignen, wie hier Thomas im wahren und lebendigen Gefühl des Glaubens das Pronomen „mein“ zweimal sagt, was er aus Ps. 110,1. gelernt hat: „Der HErr hat gesagt zu meinem HErrn.“ Dies ist also ein Wort des wahren rechtfertigenden Glaubens: O HErr JEsu Christe! ich weiß, bekenne und glaube, daß du mein Gott und mein HErr bist, der du mich durch deinen Tod erlöset hast aus dem Reich und der Gewalt des Satans, der du mich mächtig und gütig wider alle Feinde beschützen willst u. s. w. Und weil der wahre Glaube Christum für seinen HErrn und seinen Gott hält, so treibt er den Menschen immer an, diesem HErrn nun auch in einem neuen Leben zu dienen und Ihm treuen Gehorsam zu leisten, 2 Cor. 5,15. Das Mittel, wodurch ein solcher Glaube im Herzen angezündet wird, ist das sichtbare und hörbare Wort. Denn wie Christus hier dem Thomas Seine Wundenmale zeigt und ihn durch Sein Wort zum Glauben bringt, so zeigt Er auch noch heute durchs Wort des Evangeliums den zerknirschten Herzen Seine Wunden, in welchen sie, wie in Felslöchern, sich vor dem göttlichen Zorn verbergen, Hohel. 2,14. Und wie Thomas Christum ergreift, so ergreifen wir Christum im heiligen Abendmahle und trinken aus Seinen Wunden Sein Blut, um dadurch den Glauben in unserm Herzen zu wecken, zu nähren und zu stärken. Dieser Glaube aber hat es mit unsichtbaren Dingen zu thun; wie Christus hier spricht: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“, und: „Wir wandeln hier im Glauben, dort aber im Schauen“, 2 Cor. 5,7. Die im Evangelio verheißenen Güter werden wir erst im ewigen Leben ganz und vollkommen besitzen. Endlich ist der wahre Glaube des Herzens mit dem Bekenntniß des Mundes verbunden, wie hier Thomas glaubt und bekennt, Ps. 116,10., Röm. 10,9., 2. Cor. 4,13. Die Person Christi wird in diesem Bekenntnisse Thomä so beschrieben, daß sie aus zwei Naturen, der göttlichen und menschlichen, bestehe. Die göttliche wird mit dem Gottesnamen ausgedrückt; die menschliche aber durch das Zeigen des Leibes als sichtbar und tastbar kundgethan. Thomas schließt aus der Auferstehung Christi, daß Er der wahre Sohn Gottes sei. Daher sagt auch Paulus, Christus sei durch die Auferstehung erwiesen als der Sohn Gottes, Röm. 1,4. Ein Anderes ist es, aus eigener Kraft auferstehen; ein Anderes, von den Todten auferweckt werden. Jenes ist allein dem Sohne Gottes eigen; dieses hat Er mit allen Heiligen gemein. Daß Thomas ferner Christum nicht nur „Gott“, sondern auch „HErr“ nennt, das bezieht man nicht unpassend auf die Bekräftigung der Gottheit Christi, indem dies Wort den hebräischen Namen „Jehova“ ausdrückt. Da jedoch hier die Namen „Gott und HErr“ verbunden werden, so scheint sich der erstere auf die göttliche, der letztere auf die menschliche Natur Christi zu beziehen, so daß also Christus auf diese Weise mit zwiefachem Rechte HErr genannt wird. Der göttlichen Natur nach ist Er HErr, weil Er vom Vater in Ewigkeit gezeugt; der menschlichen Natur nach hat Ihn Gott zum HErrn gemacht, Ap. Gesch. 2,36., Joh. 17,2. Wie Christus aber mit zwiefachem Rechte HErr ist, so ist Er auch mit zwiefachem Rechte unser HErr, wie Thomas Ihn hier seinen HErrn nennt. Durchs Recht der Schöpfung ist der Sohn Gottes nebst dem Vater und dem Heiligen Geiste unser HErr, dem wir aus diesem Grunde zu dienen und zu gehorchen verpflichtet sind. Aber neben dieser Wohlthat der Schöpfung hat Er auch dies noch für uns gethan, daß Er uns, die wir durch die Sünde in die Gewalt des Satans gerathen waren, mit mächtiger Hand daraus errettet, und also auch nach dem Recht der Erlösung uns sich zum Eigenthum erworben hat u. s. w.

Aber was für ein Urtheil fällt Christus über dieses Bekenntniß Thomä? „Dieweil du mich gesehen hast, Thoma“, spricht Er, „so glaubst du. Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ Christus billigt mit diesen Worten Thomas' Glauben und Bekenntniß, und zeigt eben damit, daß er wahrer Gott und HErr sei. Denn nimmer hätte Er gelitten, daß man dem Vater die Ehre geraubt und auf Ihn übertragen hätte, wenn Er nicht Theilhaber und Mitgenosse derselben gewesen wäre. Aber das tadelt Er auf indirecte Weise, daß Thomas dem Zeugnisse der Apostel nicht hatte glauben wollen, bevor nicht der Beweis seiner Augen und das Urtheil seiner Sinne hinzukäme. Die Sache selbst, d. i. den Glauben und das Bekenntniß des Thomas, lobt Er, aber die Art und Weise desselben tadelt Er, und spricht daher diejenigen selig, welche nicht sehen und doch glauben; vergl. 1. Petri 1,8. Christus empfiehlt also das Amt des Worts und die Predigt der Apostel. Er wollte nicht selbst alle Tage die Wahrheit Seiner Auferstehung durch neue Erscheinungen beweisen und sich selbst allen und jeden Menschen lebendig erzeigen, sondern erwählte die Apostel zu Zeugen Seiner Auferstehung, welchen Er vierzig Tage lang erschien, und sie durch mancherlei Erweisungen von Seiner Auferstehung überzeugte, damit sie dieselbe hernach in der ganzen Welt öffentlich bezeugen sollten, Ap. Gesch. 10,40.41.42. Dieses Zeugniß der Apostel, welches in ihren Schriften und in der Predigt des Worts noch täglich in unsern Ohren erschallt, empfiehlt Christus an diesem Ort und versichert, daß diejenigen selig sein sollen, die demselben glauben, obgleich sie Christum äußerlich weder sehen noch tasten. Wir sollen also in diesem Leben auf keine neuen Offenbarungen vom Himmel warten, sondern sollen das Wort hören, welches das ordentliche Mittel ist, unsern Glauben anzuzünden und zu stärken; wie denn Christus Joh. 17,20. für Alle bittet, die durch der Apostel Wort an Ihn glauben würden, vergl. Hebr. 11,1. - Da aber Christus nur diejenigen selig preis't, die nicht sehen und doch glauben, - ist denn Thomas, der nicht glaubte, bis er sah, von dieser Seligkeit ausgeschlossen? Keineswegs! denn obwohl dies ein großer Fehler an Thomas ist, daß er nicht eher glaubte, bis er gesehen und gefühlt hatte, so geht doch seinem Glauben dadurch nicht ab, daß er ein wahrer und seligmachender sei. Wie also Petrus, als er Matth. 16,17. in seinem und seiner Mitapostel Namen dasselbe bekannte, was hier Thomas bekennt, von Christo wiederum hört: „Selig bist du, Simon Bar Jona“: so wird auch hier Thomas durch den Glauben selig gepriesen.

Aber wie stimmt dies Wort: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“ mit dem, was Christus Luc. 10,23. zu Seinen Jüngern sagt: „Selig sind die Augen, die da sehen, was ihr sehet?“ Antwort: Christus redet dort bei Lucas nicht von der Seligkeit des künftigen Lebens, sondern von einem Glücke und Vorzug der Apostel in diesem Leben. Denn man kann Christum auf dreierlei Weise sehen: 1. bloß mit leiblichen Augen, wie Kaiphas, Pilatus und andere Ungläubige Ihn sahen. Dieses Sehen macht an sich nicht selig, sondern wird eine Ursache um so größerer Verdammniß, wenn nicht der Glaube hinzukommt, Jes. 6,9., Matth. 13,14., Marc. 4,12., Luc. 8,10., Joh. 12,40. 2. bloß mit geistlichen Augen, wie die Gläubigen aller Zeiten Christum sehen; wie auch wir an Christum glauben, und Ihn lieben, obgleich wir Ihn mit leiblichen Augen nicht erblickt haben, 1 Petri 1,8. Dieses Sehen Christi ist zur Seligkeit hinreichend, wie hier Christus sagt: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben.“ 3. mit leiblichen und geistlichen Augen zugleich, wie Ihn die Jünger sahen, und das war ihr besonderes Vorrecht, welches ihre Seligkeit gewissermaßen verdoppelte. Von diesem Sehen redet Christus bei Lucas, wenn Er Seine Jünger wegen des geistlichen und leiblichen Anblicks zugleich selig preis't. Durch das erstere Sehen waren sie von den Schriftgelehrten, Pharisäern und Hohenpriestern rc. unterschieden, durch das letztere von den Patriarchen und Propheten des Alten Testaments. Das war gewiß ein großer Vorzug der Jünger, der aber im ewigen Leben allen Auserwählten zu Theil werden soll, wo sie Christum ebenfalls von Angesicht zu Angesicht schauen werden, 1 Cor. 13,12. Inzwischen müssen sie sich in diesem Leben damit begnügen, daß sie Ihn im Glauben erkennen; wodurch sie nichtsdestoweniger selig sind. Denn Paulus sagt Röm. 4,6.7.8.: Die Seligkeit des Menschen bestehe in der Gnade Gottes, in der Vergebung der Sünden, in der Gerechtigkeit und dem ewigen Leben.

Hierauf zielt nun auch der Evangelist mit den Schlußworten, zu welchen er jetzt übergeht, indem er hinzufügt, Christus habe auch noch viele andere Zeichen vor Seinen Jüngern gethan, die nicht geschrieben seien, und zugleich den Endzweck und die Frucht seiner Schrift darlegt, daß wir nämlich dadurch zum Glauben und durch den Glauben zum ewigen Leben kommen möchten. - Also: 1. „Auch viele andere Zeichen that JEsus vor Seinen Jüngern, die nicht geschrieben sind in diesem Buche.“ Viele behaupten, dies sei der allgemeine Schluß, den man also auf die ganze von Johannes verfaßte evangelische Geschichte beziehen müsse. Allein da Johannes namentlich von solchen Zeichen redet, die vor Seinen Jüngern geschehen seien, und nicht vor Allen, und da erst am Ende des folgenden Capitels ein solcher allgemeiner Schluß beigefügt wird, so scheint es dem Text angemessener, diesen Uebergang bloß auf die vorhergehende Geschichte zu beziehen, obwohl die Meinung selbst ganz recht ist, daß Christus nämlich nicht nur mehr Reden gehalten, sondern auch mehr Wunder gethan habe, als von den Evangelisten aufgeschrieben worden sind. - Aber warum sind denn die andern Erscheinungen und Zeichen Christi, durch welche Er Seine Auferstehung und Herrlichkeit Seinen Jüngern erwies, nicht aufgeschrieben worden? Einige fassen die Worte des Evangelisten einfach so auf, daß er uns damit auf die Geschichte der andern Evangelisten verweisen wolle, da er ausdrücklich hinzufügt: „in diesem Buche“; so daß der Sinn dieser Worte sei: obgleich in dieser evangelischen Geschichte nicht alle Erscheinungen und alle Wunder Christi hätten aufgeschrieben werden können, so seien sie doch von Matthäus, Marcus und Lucas aufgeschrieben worden; indem es gewiß ist, daß Johannes unter den Evangelisten zuletzt geschrieben hat, als die andern Apostel schon mit Tode abgegangen waren, wie Eusebius berichtet. Diese Meinung ist zwar sehr bequem; allein sie genügt der Frage nicht, da es doch gewiß ist, daß Christus Vieles gethan und gesagt hat, was weder von Johannes, noch den andern Evangelisten aufgeschrieben ist. Christus erschien Petro, erschien Jacobo; aber keine von diesen beiden Erscheinungen ist von den Evangelisten beschrieben worden. Auch sind keine vollständigen Reden von ihnen aufgezeichnet, die Er nach Seiner Auferstehung an Seine Apostel gerichtet hat. Ja, Christus hat auch schon vor Seinem Leiden mehr Reden gehalten und mehr Wunder gethan, als von den Evangelisten beschrieben worden sind. Warum haben also die Evangelisten deren Beschreibung unterlassen? Die Papisten wollen hieraus die Unvollkommenheit der Schrift beweisen. Doch dieser Spitzfindigkeit ist schon längst Johannes begegnet, indem er in den folgenden Worten hinzufügt: „Diese sind geschrieben, daß ihr glaubet, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes, und daß ihr durch den Glauben das Leben habet in Seinem Namen.“ Wenn wir also aus dem, was geschrieben ist, den Glauben an Christum lernen und den Weg zum ewigen Leben erkennen können, so geht ja der Vollkommenheit der heiligen Schrift nichts ab, daß nicht alle Reden und alle Wunder Christi geschrieben sind. Wenn wir sagen, daß die Schrift vollkommen sei, so meinen wir damit nicht, daß alle und jede Worte und Thaten Christi, wie der Propheten und Apostel, darin enthalten seien, sondern daß alle Glaubensartikel darin vorgetragen werden. Die einzelnen Reden und Thaten Christi und der Apostel, die zur weitern Erklärung der Hauptstücke des Glaubens gehörten, benehmen der Vollkommenheit der Schrift nichts, da sie ganz derselben Art waren als diejenigen, welche geschrieben sind. Wenn das ein richtiger Schluß ist, daß die Schrift darum unvollkommen sei, weil die einzelnen Reden und Thaten Christi nicht alle darin stehen, so wird man auf gleichen Grund schließen können, daß die Schrift auch selbst mit der Ergänzung durch die Traditionen nicht vollkommen sei. Denn obwohl die Papisten eine große Masse von Traditionen herzählen, so haben sie doch noch nicht alle einzelnen Reden und Thaten Christi aufzählen können, und werdens auch wohl bleiben lassen. - Warum aber der Heilige Geist nicht gewollt hat, daß alle einzelnen Worte und Thaten Christi aufgeschrieben würden, davon gibt Johannes im folgenden Capitel im letzten Verse den Grund an; nicht, daß wir ihre Ergänzung aus dem Schrein der päpstlichen Brust suchen sollen, sondern weil „die Welt die Bücher nicht begreifen würde, wenn alles eins nach dem andern sollte geschrieben werden“; was, wie Augustinus sagt, nicht von der Größe der Bücher und der räumlichen Fassung zu verstehen ist; sondern daß der Heilige Geist auf uns Rücksicht genommen und das zum Aufschreiben ausgewählt hat, was die Gläubigen in dieser ihrer Schwachheit fassen könnten. Mit Dankbarkeit und Ehrfurcht sollen wir also das als eine Wohlthat des Heiligen Geistes erkennen und ergreifen, daß Er sich zu unserer Schwachheit herabgelassen und sie nicht zu sehr hat beschweren wollen; „sondern von der Lehre und den Wundern Christi das ausgewählt hat und aufschreiben lassen, was Er zum wahren Glauben und zum ewigen Leben für nöthig und hinreichend hielt“, wie Dr. Chemnitz in seinem Examen des Tridentiner Concils ganz richtig schreibt. Außerdem wollte Gott auf diese Weise dem Ueberdruß vorbeugen, der aus der Menge und Größe der Bücher zu entstehen pflegt. Speisen, in großer Menge und Verschiedenheit aufgesetzt, erregen Ekel und Uebelkeit; - dasselbe wäre zu befürchten gewesen, wenn alles, was Christus gesagt und gethan, mit allen Umständen wäre schriftlich hinterlassen worden. Die Pharisäer hörten alle Tage Christi Reden, sahen alle Tage Seine Wunder, aber wurden dadurch nichts gebessert. Besonders aber ist zu beachten, daß dasjenige, was von Johannes und den andern Evangelisten übergangen ist, ganz von derselben Art war, als was sie beschrieben haben. - Lasset uns also ja nicht spitzfindig fragen, ob denn das Uebrige, was Christus gesagt und gethan, aber nicht aufgeschrieben ist, müßig und unnütz zur Glaubens- und Sittenlehre gewesen sei u. s. w.; sondern lasset uns zufrieden sein mit der Mäßigkeit des Schrift-Canons, den Gott mit gutem Bedacht in diese Grenzen eingeschlossen hat; und lasset uns das, was geschrieben ist, da es zum Glauben und zur Seligkeit genügt, mit Ehrfurcht und Dank gebrauchen. Denn wie uns die Herrlichkeit und Majestät Christi darin vor Augen gestellt wird, daß Er so Vieles und so Großes geredet und gethan hat, was sich nicht in die Grenzen einer Schrift fassen ließe: so wird uns wiederum die Vollkommenheit und Herrlichkeit der Schrift darin vor Augen gestellt, daß wir aus dem, was geschrieben ist, uns hinreichend zur Seligkeit belehren können. - Denn also fügt Johannes noch schließlich hinzu: 2. „Diese aber sind geschrieben, daß ihr glaubet, Jesus sei Christus, der Sohn Gottes, und daß ihr durch den Glauben das Leben habt in Seinem Namen.“ In diesen Worten wird uns also der Endzweck der evangelischen Schriften vorgestellt, welcher der Glaube an Christum, den Sohn Gottes, ist; und der Endzweck des Glaubens an Christum, welcher das ewige Leben ist. Wir sehen also, welchen wahren Nutzen und Zweck die von Christo verrichteten und von den Evangelisten aufgezeichneten Wunder haben, nämlich, daß wir uns nicht bloß daran ergötzen und mit dem Lesen derselben die Zeit vertreiben, sondern daß wir dadurch in dem Glauben befestigt werden, Jesus sei Christus, d. i. der verheißene Messias, von dem Jes. 35,4. und anderwärts vorhergesagt ist, daß Er solche Wunder thun werde; und daß dieser nicht ein bloßer Mensch, sondern der Sohn Gottes sei, der Seine Gottheit durch solche Wunder beglaubigt hat. Wolltest du sagen, man könne aus den Wundern Christi Gottheit nicht erweisen, da auch die heiligen Männer Gottes im Alten Testament dergleichen gethan; so dient zur Antwort: daß durch Wunder wie durch himmlische Zeichen und göttliche Zeugnisse die Wahrheit der Lehre bekräftigt wird, welche derjenige vorträgt, der die Wunder thut; sie sind Siegel der Lehre. Nun aber hat kein Prophet im Alten, und kein Apostel im Neuen Testament sich selbst für Gottes Sohn bekannt; sondern allein Jesus, Mariens Sohn, hat gelehrt, daß Er Gottes Sohn, der verheißene Messias sei, von dem die Propheten gezeugt haben, daß Er der wahre Sohn Gottes sei; folglich bekräftigen Seine Wunder diese Lehre. Dazu kommt, daß nicht nur in der Art und Weise der Wunderverrichtung (denn Christus hat aus eigener, die Andern aus fremder Kraft Wunder gethan), sondern auch zwischen den Wundern Christi und den andern Heiligen selbst ein großer Unterschied ist. Christus that einige Wunder, welche kein Prophet oder Apostel jemals gethan hat; Joh. 9,32.: „Von der Welt an ists nicht erhört, daß jemand einem gebornen Blinden die Augen aufgethan habe.“ Er wurde empfangen vom Heiligen Geist, ohne Mannes Samen; geboren von einer Jungfrau ohne Verletzung ihrer Jungfrauschaft; stand von den Todten auf aus eigener Kraft - was von keinem Andern gesagt werden kann. - Wir sehen also, daß hier den Wundern der Nutzen zugeschrieben wird, daß sie Stützen des Glaubens seien, indem sie die Herzen der Menschen erwecken und vorbereiten, Gottes Wort und Verheißungen zu glauben, welche ja auch ohne Wunder glaubwürdig sind, 1 Tim. 1,15. Wunder stärken wohl den Glauben, aber sie geben ihn nicht. Wer nicht aus dem Wort, sondern aus den Wundern glaubt, der wird zur Zeit der Anfechtung nicht bestehen. Darum werden auch die Brüder des reichen Mannes auf Mosen und die Propheten verwiesen: „Hören sie Mosen und die Propheten nicht, so werden sie auch nicht glauben, wenn jemand von den Todten auferstünde“, Luc. 16,31. Daher kam es auch, daß, während JEsus so viele Wunder vor den Juden that, dennoch die meisten unter ihnen nicht glaubten, Joh. 12,37.; weil sie nämlich das Wort verachteten, welches das eigentliche Princip und Fundament des Glaubens ist. Da aber der Zweck der Lehre und Wunder Christi, die von den Evangelisten beschrieben sind, nicht allein der Glaube, sondern auch die Buße und guten Werke sind, warum wird denn hier nur der Glaube als Endzweck bezeichnet? Antwort: Johannes redet nicht vom bloßen Bekenntniß des Glaubens, welches auch wohl bei sichern Leuten und Heuchlern stattfindet; sondern vom wahren und seligmachenden Glauben, welcher nicht ohne wahre und ernste Buße stattfindet und welcher durch die Liebe und allerlei gute Werke immer thätig ist. Dieser Glaube wird hier so beschrieben, es sei glauben, daß Jesus sei Christus, der Sohn Gottes; d. h. Gott habe die Welt also geliebt, daß Er Seinen eingebornen Sohn gab, der am Altar des Kreuzes für unsre Sünden gestorben, und um unsrer Gerechtigkeit willen wieder auferweckt ist. Denn obwohl der Glaube, insofern er eine Kenntniß und Zustimmung ist, alles das zu seinem Gegenstande hat, was im geoffenbarten Worte zu glauben vorgelegt wird, so hat er doch, insofern er eine Zuversicht ist, Christum allein in Seinem Erlösungsamte zum entsprechenden Gegenstande: Ihn ergreift er, Ihm hängt er an; auf Sein Verdienst stützt er sich, und In Ihm empfängt er die Gnade Gottes, Vergebung der Sünden, Gerechtigkeit und das ewige Leben; wie hier gleich hernach hinzugefügt wird: „auf daß ihr durch den Glauben an Ihn das Leben habet in Seinem Namen“, wo nicht vom natürlichen Leben die Rede ist, dessen auch die Ungläubigen theilhaftig sind, sondern vom geistlichen, himmlischen und ewigen Leben. Von Natur sind wir alle „todt in Sünden“, Ephes. 2.1., Col. 2,13., „entfremdet von dem Leben aus Gott“, Ephes. 4,18., Seinem Zorn und dem ewigen Tode unterworfen; in Christo aber ist uns wieder die Gnade Gottes, Gerechtigkeit und ewiges Leben geschenkt worden, 1 Cor. 1,30. Wer also an Christum glaubt und Ihn im wahren Glauben annimmt und umfaßt, der empfängt in Christo die Gnade Gottes, Gerechtigkeit und ewiges Leben; d. i. er wird von seinen Sünden absolviert, vor Gott gerecht erklärt, lebt im Glauben des Sohnes Gottes; darum, ob er auch stirbt, so wird er doch am jüngsten Tage wieder auferweckt zum ewigen Leben, wie dies in vielen Stellen der Schrift, besonders aber in Johannes ausgesprochen wird, Joh. 3,16.18.36., Cap. 4,14., Cap. 5,24. u. a. m. Und es wird nicht umsonst hinzugefügt: „in Seinem Namen“ oder durch Seinen Namen; d. h. in Christo, durch Christum und um Christi willen, den wir im Glauben ergreifen, wird uns das geistliche, himmlische und ewige Leben geschenkt, wie denn auch sonst diese Redeweise in demselben Sinne gebraucht wird; als Ap. Gesch. 4,12., Cap. 10,43., 1 Cor. 6,11., 1 Joh. 2,12. Dadurch wird uns also alles Verdienst der Gerechtigkeit und des ewigen Lebens abgesprochen und Christo allein zugesprochen, indem wir nicht aus uns, oder um irgend etwas willen an uns und in uns gerecht und selig sind, sondern allein in Christo und um Christi willen. Es liegt also ein besonderer Nachdruck in diesem Worte „Namen“; denn der Sinn desselben ist, daß nichts genannt oder erdacht werden könne, worin die vor Gott gültige Gerechtigkeit und das ewige Leben bestehe, als allein Christus. Auch zeigt dieser Ausdruck, daß Christi Wohlthaten im Wort des Evangeliums angeboten werden, welches Wort der Glaube gleichsam als sein beständiges Correlat ansieht und umfaßt. Noch sehen wir Christum nicht; aber Seinen Namen hören wir; d. h. im Worte wird uns Christus mit Seinen Wohlthaten vorgestellt, die man im Glauben ergreifen muß. Ingleichen heißt es von uns, daß wir in Christi Namen das ewige Leben haben, weil Er unser Mittler und Heiland ist, nicht nur dem Verdienste, sondern auch der Wirksamkeit nach. Wie die Apostel in Christi Namen, d. i. durch Seine Kraft Wunder thaten, Ap. Gesch. 3,6., so haben wir auch in Christi Namen das ewige Leben, weil Er es durch Seine göttliche Kraft in uns wirkt. Endlich heißt es darum von uns, daß wir in Christi Namen das Leben haben, weil die Art und Weise unserer Rechtfertigung und Seligmachung allein auf Christi Ruhm und Ehre abzielt, indem sie in Bezug auf uns frei und unentgeltlich, von Christo aber mit dem kostbaren Lösegelde Seines Blutes erworben ist, und darum nur Seinem Namen alle Ehre gebührt. Ps. 115,1.: „Nicht uns, HErr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre.“ 1 Tim. 1,11.12.

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