Calvin, Jean - Apostelgeschichte - Kapitel 28.
1Und da wir gerettet waren, erfuhren wir, dass die Insel Melite hieß. 2Die Leutlein aber erzeigeten uns nicht geringe Freundschaft; zündeten ein Feuer an, und nahmen uns alle auf um des Regens, der über uns gekommen war, und um der Kälte willen. 3Da aber Paulus einen Haufen Reiser zusammenraffte und legte es aufs Feuer, kam eine Otter von der Hitze hervor, und fuhr Paulus an seine Hand. 4Da aber die Leutlein sahen das Tier an seiner Hand hangen, sprachen sie untereinander: Dieser Mensch muss ein Mörder sein, welchen die Rache nicht leben lässet, ob er gleich dem Meer entgangen ist. 5Er aber schleuderte das Tier ins Feuer, und ihm widerfuhr nichts Übels. 6Sie aber warteten, wenn er schwellen würde oder tot niederfallen. Da sie aber lange warteten und sahen, dass ihm nichts Ungeheures widerfuhr, wandten sie sich und sprachen, er wäre ein Gott.
V. 1. Der Anfang des Kapitels bietet uns das traurige Schauspiel, wie zahlreiche durchnässte Menschen, durch den Schaum und Schmutz des Meeres verunstaltet, vor Kälte zitternd, mühsam zum Ufer kriechen. Es ist, als hätte sie das Meer nur ausgeworfen, damit sie eines andern Todes stürben. Lukas erzählt dann, wie die Barbaren sie freundlich aufnahmen und man ein Feuer anzündete, damit sie ihre Kleider trocknen und ihre durch Kälte ermatteten Glieder wärmen könnten, wie sie endlich auch gegen den Regen geschützt wurden. Indem nun Paulus diese Leistungen rühmend anerkennt, beweist er seine Dankbarkeit. In der Tat verdient solche Freundlichkeit gegen unbekannte Menschen, von der man in der Welt nur selten ein Beispiel findet, ihr Lob. Mag nun auch die gemeinsame Menschennatur selbst barbarische Völker angesichts einer schweren Notlage zu mitleidiger Stimmung anleiten, so ist doch kein Zweifel, dass Gott den Bewohnern von Malta einen barmherzigen Sinn eingab, um seine Verheißung zu einem deutlichen und gewissen Ende zu führen: wäre irgendjemand der Schiffbruch noch zum Tode ausgeschlagen, so hätte diese Verheißung verstümmelt dagestanden.
V. 3. Kam eine Otter hervor. Was sich soeben ereignet hatte, diente zum Beweise, dass Paulus ein unzweifelhaft echter Gottesbote war. Um ihn nun auf dem Lande gleicher weise herrlich darzustellen wie auf dem Meere, verstärkt Gott den eben gegebenen Fingerzeig durch ein neues Wunder und bekräftigt dadurch bei den Bewohnern von Malta des Paulus apostolische Sendung. Hatten auch nicht gerade viele einen Gewinn davon, so wurde doch auch bei den Ungläubigen die Majestät des Evangeliums in helles Licht gerückt: auch für diejenigen, die von dem ersten Fingerzeig zu erzählen wussten und doch noch nicht genügende Ehrfurcht gewonnen hatten, entstand hier eine große Bekräftigung. Es war kein Zufall, dass die Otter aus dem Reisig hervor schoss, sondern der Herr trieb sie durch seinen verborgenen Rat, den Paulus zu beißen, weil er sah, dass dies zur Verherrlichung des Evangeliums dienen werde.
V. 4. Da aber die Leutlein sahen usw. Es war ein zu allen Zeiten feststehendes Urteil, dass man Leute, die etwas besonders Schweres zu erleiden hatten, als in ein schlimmes Verbrechen verstrickt ansah. Dies war kein willkürlicher Einfall, sondern entsprang einer richtigen und frommen Empfindung. Um die Welt unentschuldbar zu machen, wollte ja Gott allen Herzen einprägen, dass Leiden und Unglück, besonders aber handgreiflich schwere Schläge Zeichen seines Zornes und der gerechten Strafe gegen die Sünden seien. So oft also ein eindrückliches Unglück uns in die Augen fällt, sollen wir uns sagen, dass der Gott, der ein so strenges und hartes Gericht vollzieht, schwer beleidigt sein müsse. Zugleich ging aber stets der Irrtum im Schwange, dass man ausnahmslos auf ein verdammungswürdiges Verbrechen schloss, wo jemand schwerer betroffen ward als andere. Nun straft Gott gewiss die Sünden der Menschen stets durch allerlei Plagen, aber es muss doch nicht jeder die verdienten Strafen im gegenwärtigen Leben abmachen; zuweilen sind auch die Leiden der Frommen weniger Strafen als Erprobungen des Glaubens und Übungen in der Geduld. Darum ist es eine Täuschung, als allgemeingültigen Maßstab für den Wert eines Menschen sein glückliches oder unglückliches Ergehen hinstellen zu wollen. Darüber ging der Streit zwischen Hiob und seinen Freunden: sie betrachteten ihn als einen Gott verhassten und von Gott geschlagenen Verbrecher; er behauptete dagegen, dass auch ein frommer Mann zuweilen durch Kreuz gedemütigt werde. Wollen wir also in diesem Stück nicht fehl greifen, müssen wir eine doppelte Gefahr meiden. Erstlich dürfen wir nicht über unbekannte Personen lediglich auf Grund ihres äußeren Ergehens ein blindes und voreiliges Urteil fällen. Denn Gott beugt unterschiedslos Gute und Böse, ja, er schont oft die Verworfenen und züchtigt die Seinen mit besonderer Härte. Darum muss sich ein rechtes Urteil auf eine andere Unterlage gründen als auf die Strafen: man muss auch nach dem Leben und den Taten der Menschen forschen. Wenn ein Ehebrecher oder Lästerer, ein Meineidiger oder Räuber, ein Lüstling oder Betrüger oder ein Blutmensch schwere Schläge bekommt, so zeigt uns Gott sein Urteil gleichsam mit dem Finger. Steht uns kein offenkundiges Verbrechen vor Augen, so wird man am besten das Urteil über den Grund der Strafe in der Schwebe lassen. Zum andern ziemt es sich, vorsichtig das Ende abzuwarten. Denn nicht schon mit dem ersten Anfang der Züchtigung wird Gottes Absicht uns klar: vielmehr zeigt erst der verschiedene Ausgang, wie weit voneinander vor Gott solche Leute abstehen können, die vor Menschenaugen durch ähnliche Strafen auf gleiche Linie rücken. Nunmehr erkennen wir, worin die Bewohner von Malta sich täuschen: ohne nach dem Leben des Paulus zu fragen, erklären sie ihn für einen Verbrecher, lediglich, weil die Natter ihn biss; zum andern überstürzen sie ihr Urteil, weil sie das Ende nicht abwarten. Bei alledem wollen wir uns doch merken, dass nur ein ganz abscheuliches Geschöpf versuchen kann, die Empfindung für das göttliche Urteil aus seinem Herzen zu reißen, die uns allen von Natur eingepflanzt ward und auch barbarischen und wilden Menschen nicht abgeht.
Welchen die Rache nicht leben lässet. Sie halten ihn für einen gottlosen Menschen, weil ihn die Rache verfolgt, nachdem er kaum dem Meer entronnen ist. Die Rachegöttin, griechisch „Dike“ genannt, dachten sie sich als Beisitzerin auf Jupiters Thron. Dieser rohe Aberglaube, auf den die Menschen nur außerhalb der wahren Religion verfallen könnten, birgt doch einen erträglichen Sinn, indem er Gott gleichsam als den Richter der Welt abmalt. Unterscheidet doch auch diese Bezeichnung den Zorn der Gottheit vom Glück und bekennt sich wider allen blinden Zufall zu einem göttlichen Gericht. Denn die Malteser betrachten es als ein handgreifliches Zeichen himmlischer Rache, dass der eben gerettete Paulus doch nicht gerettet bleiben kann.
V. 5. Er schlenkerte das Tier ins Feuer. Dass er dies vermag, ist ein Zeichen seines gesammelten Gemüts. Wissen wir doch, wie nur zu oft die Furcht den Menschen verwirrt und schwach macht. Immerhin glaube ich nicht, dass Paulus von aller Furcht frei war. Denn der Glaube macht uns nicht unempfindlich, wie Schwärmer wähnen, die fern vom Schuss im Schatten sitzen. Nimmt der Glaube das Gefühl für allerhand Übel nicht hinweg, so dämpft er es doch, so dass nicht etwa das Herz des Frommen mehr als billig erschüttert wird, sondern stets gute Zuversicht behält. So erkannte Paulus freilich die Natter als ein schädliches Tier, fürchtete sich aber im Vertrauen auf die ihm gewordene Verheißung vor dem giftigen Biss nicht bis zum Entsetzen, zumal er, wenn es nötig gewesen wäre, auch auf den Tod gerüstet war.
V. 6. Wandten sie sich und sprachen usw. Die wunderbare und unverhoffte Änderung müsste die Zuschauer tief ergreifen, so dass sie nun nicht mehr der „Rache“, sondern der göttlichen Barmherzigkeit die Ehre gaben. Wie aber der menschliche Sinn immer in Extreme umschlägt, machen sie jetzt aus Paulus statt eines frevelhaften Mörders einen Gott. Sicherlich hätte es Paulus lieber gehabt, dass man nicht nur ein Verbrechen, sondern alle Art von Schande auf ihn würfe, ja ihn in die Hölle hinab stieße, als dass er Gottes Ehre hätte rauben sollen. Alle, die inmitten der Stürme seine Ansprache vernommen hatten, kannten diese seine Gesinnung hinreichend. Darum mag es wohl sein, dass sie sich alsbald belehren ließen und Gott als den Urheber des Wunders anerkannten. Wir wollen übrigens aus dieser Geschichte lernen, bei Ereignissen, die zunächst Gottes Ehre zu schmälern scheinen, mit gesammeltem und ruhigem Gemüt auf ein glückliches Ende des traurigen Anfangs zu harren. Wer hätte sich in unserer Zeit nicht heftig erschreckt gefühlt, als gottlose Leute mit ihren Schmähungen und schnöden Machenschaften sich zum Kampfe wider die Herrlichkeit des Evangeliums rüsteten. Und doch sehen wir, wie Gott ihnen rechtzeitig Einhalt gebot. Wir sollen also nicht zweifeln, dass er die Seinen zwar eine Zeitlang in Nebel versinken lässt, im rechten Augenblick aber Hilfe schaffen und Finsternis in Licht verwandeln wird.
7An denselbigen Orten aber hatte der Oberste in der Insel mit Namen Publius ein Vorwerk; der nahm uns auf und herbergte uns drei Tage freundlich. 8Es geschah aber, dass der Vater des Publius am Fieber und an der Ruhr lag. Zu dem ging Paulus hinein und betete, und legte die Hand auf ihn, und machte ihn gesund. 9Da das geschah, kamen auch die andern in der Insel herzu, die Krankheiten hatten, und ließen sich gesund machen; 10und sie taten uns große Ehre, und da wir auszogen, luden sie auf, was uns not war. 11Nach dreien Monaten aber schifften wir aus in einem Schiffe von Alexandrien, welches bei der Insel gewintert hatte, und hatte ein Panier der Zwillinge. 12Und da wir gen Syrakus kamen, blieben wir drei Tage da. 13Und da wir umschiffeten, kamen wir gen Region, und nach einem Tage, das der Südwind sich erhob, kamen wir des andern Tages gen Puteoli. 14Da fanden wir Brüder und wurden von ihnen gebeten, dass wir sieben Tage da blieben. Und also kamen wir gen Rom.
V. 7. An denselbigen Örtern aber usw. Weil Publius ein römischer Name ist, halte ich diesen Beamten nicht für einen Insulaner, sondern für einen römischen Bürger. Es ist nun kaum anzunehmen, dass er die ganze Schar der griechischen Schifffahrer drei Tage lang gastfreundlich beherbergt habe. Vielmehr wird er, als er den Hauptmann aufnahm, auch dem Paulus und seinen Begleitern die gleiche Ehre angetan haben, weil das Wunder ihm gezeigt hatte, dass er ein Gott wohlgefälliger Mann war. In jedem Falle empfing seine Gastfreundlichkeit ihren Lohn: denn alsbald schenkte der Herr in schwerer und gefährlicher Krankheit seinem Vater durch die Hand des Paulus die Gesundheit wieder und gab damit ein Zeichen, wie sehr ihm eine menschliche Behandlung gefällt, die man armen und bedürftigen Leuten angedeihen lässt. Mögen die Menschen selbst, die wir unterstützen, oft undankbar sein und unsere Wohltat vergessen, mögen sie nicht die Mittel zur Wiedervergeltung haben, so wird Gott selbst reichlich ersetzen, was wir nach seinem Willen für Menschen aufwendeten. Ja, er sendet gütigen und freundlichen Menschen zuweilen seine Diener, die seinen Segen mitbringen. Schon dies war eine große Ehre, dass Publius in der Person des Paulus Christum beherbergen durfte. Das beste aber war, dass Paulus mit seiner Heilungsgabe kam, mit welcher er nicht nur wiedervergelten, sondern viel mehr schenken konnte, als er empfangen hatte. Außerdem weiß man nicht, ob Publius vielleicht den ersten Anstoß zum Glauben empfing, da ja Wunder unwissende und ungläubige Menschen empfänglich zu machen pflegen. Die Art der Krankheit gibt Lukas an, um Gottes Gnade in desto helleres Licht zu setzen. Die Ruhr lässt sich nur schwer und langsam heilen, besonders wenn sie unter Fieber auftritt: darum geschah es durch sichtliche Gotteswirkung, dass bloße Handauflegung und Gebet einem hinfälligen Greis so plötzlich die Gesundheit wiedergab.
V. 8. Und legte die Hand auf ihn. Durch sein Beten gibt Paulus zu verstehen, dass er nicht der Urheber, sondern nur der Vermittler des Wunders ist; er will nicht Gott um seinen Ruhm betrügen. Eben dies bekräftigt er durch ein äußeres Zeichen: denn die Handauflegung ist, wie wir schon öfter sahen, ein feierlicher Ausdruck dafür, dass man den Betreffenden Gott empfiehlt. Indem Paulus den alten Mann mit seinen Händen dem Herrn gleichsam darbietet, bekennt er, dass er ihn demütig um sein Leben bittet. Wer also eine besondere Begabung besitzt, Gottes Gnadenkräfte auszuteilen, muss sich sorgfältig hüten, nicht durch Selbstüberhebung Gottes Ruhm zu verdunkeln. Und wir insgesamt empfangen die Lehre, dass man bei aller Dankbarkeit gegen die Handlanger der Gnade Gottes doch ihm allein die Ehre lassen soll. Es wird zwar von Paulus gesagt, dass er den Kranken gesund machte; aber die Umstände zeigen, dass es Gott war, der durch des Apostels Dienst diese Wohltat schenkte. Der Bericht über weitere Heilungen (V. 9) will schwerlich besagen, dass alle Kranken auf der Insel gesund wurden, sondern nur, dass nach dem ersten deutlichen Zeichen Gott auch durch andere Beweise das apostolische Wirken des Paulus bekräftigte. Es ist auch kein Zweifel, dass der Apostel es nicht weniger darauf abgesehen hat, die Seelen zu heilen als die Leiber. Welchen Erfolg er damit erzielte, berichtet Lukas nicht, sondern deutet es nur an. Bei der Abreise haben jene Barbaren den Paulus und seine Begleiter mit Wegzehrung und allem Nötigen versehen. Übrigens wollen wir bemerken, dass der Apostel trotz reichlichen Gelegenheiten zur Flucht sich durch Gottes Willen wie durch eine selbst angelegte Fessel gebunden fühlte: hatten ihn doch Gottes Weisungen mehr als einmal vor Neros Richterstuhl zitiert. Außerdem wusste er, dass eine etwaige Flucht ihm den Weg zu weiterer Verbreitung des Evangeliums für alle Zukunft verschließen würde, so dass er während seines ganzen Lebens nutzlos in einem Winkel sitzen müsste.
V. 11. In einem Schiffe von Alexandrien. Diese Notiz deutet darauf hin, dass das frühere Schiff in dem furchtbaren Schiffbruch entweder ganz gesunken oder dermaßen zum Wrack geworden war, dass man es nicht mehr gebrauchen konnte. Ausdrücklich aber wird angemerkt, dass das alexandrinische Schiff, mit dem man nach Rom fuhr, das Zeichen der Zwillinge, d. h. des Castor und Pollux trug: wir sollen eben wissen, dass Paulus keine Wahl hatte, sondern sich gezwungen sah, ein Schiff zu besteigen, welches zwei Götzen geweiht war. Die Zwillinge, oder wie man sie griechisch nannte „Dioskuren“, sollten Kinder des Jupiter und der Leda, zugleich auch identisch mit dem Sternbilde der Zwillinge im Tierkreise sein. Auch der Aberglaube ging unter den Schiffern um, dass sie irgendwie in den feurigen Ausstrahlungen steckten, die bei stürmischem Wetter auf den Masten usw. gesehen werden. So rief man sie als Meergötter an, ähnlich wie heute die Papisten sich an die betreffenden Heiligen halten, in diesem Falle etwa Nikolaus und Clemens oder auch St. Elmo1). Man hatte also auf das alexandrinische Schiff das Panier der Dioskuren gesetzt, um diese sich günstig zu stimmen. So war das Schiff durch einen götzendienerischen Frevel befleckt. Da aber Paulus es nicht von freien Stücken erwählte, wurde er darum doch nicht verunreinigt; da der Götze ein Nichts ist, kann er Gottes Kreaturen nicht derartig infizieren, dass die Gläubigen sich ihrer nicht mehr mit reinem Gewissen bedienen dürften. Darum bestieg der Apostel unbedenklich das Schiff, ohne einen Anstoß zu fürchten, doch ohne Zweifel mit Schmerz und darüber seufzend, dass man auf hohle Gebilde die Ehre Gottes übertrug.
V. 12. Lukas beschreibt nun den weiteren Verlauf der Schifffahrt: man kam zuerst nach Sizilien, um wegen der Strömung des Meeres schräg nach Italien überzusetzen. Das hier genannte Syrakus hat den berühmtesten Hafen Siziliens, ist aber viel weiter vom italischen Ufer entfernt als der Hafen von Messina, welcher dem alsbald (V. 13) genannten Region gegenüberliegt. Dieses ist eine Stadt im Gebiet von Bruttium; Puteoli liegt in Campanien. Dass die Brüder den Paulus dort (V. 14) sieben Tage bei sich behalten durften, lässt ersehen, wie gütig und entgegenkommend der Hauptmann ihn behandelte. Ohne Zweifel hatte sich der heilige Mann ihm gegenüber verpflichtet, stets zur bestimmten Zeit zurückzukehren; und jener baute dermaßen auf seine Zuverlässigkeit, dass er keinen Betrug fürchtete. Übrigens ersehen wir aus der Existenz einer Gemeinde in Puteoli, wie weit der Same des Evangeliums damals schon verstreut war.
15Und von dannen, da die Brüder von uns höreten, gingen sie aus uns entgegen bis gen Appifor und Tretabern. Da die Paulus sah, dankte er Gott und gewann eine Zuversicht. 16Da wir aber gen Rom kamen, überantwortete der Unterhauptmann die Gefangenen dem obersten Hauptmann. Aber Paulus ward erlaubet zu bleiben, wo er wollte, mit einem Kriegsknechte, der sein hütete. 17Es geschah aber nach dreien Tagen, dass Paulus zusammenrief die Vornehmsten der Juden. Da dieselbigen zusammenkamen, sprach er zu ihnen: Ihr Männer, lieben Brüder, ich habe nichts getan wider unser Volk noch wider väterliche Sitten, und bin doch gefangen aus Jerusalem übergeben in der Römer Hände. 18Diese, da sie mich verhöret hatten, wollten sie mich los geben, dieweil keine Ursache des Todes an mir war. 19Da aber die Juden dawider redeten, ward ich genötiget, mich auf den Kaiser zu berufen; nicht als hätte ich mein Volk um etwas zu verklagen. 20Um der Ursache willen habe ich euch gebeten, dass ich euch sehen und ansprechen möchte; denn um der Hoffnung willen Israels bin ich mit dieser Kette umgeben.
V. 15. Da die Brüder von uns höreten usw. Dass die Brüder nach der Ankunft des Paulus forschen und ihm entgegengehen, ist ein Beweis ihres Eifers und frommer Fürsorge. Konnte doch das Bekenntnis zum christlichen Glauben nicht nur Hass, sondern sogar Lebensgefahr herbeiführen. Zudem begaben sich diese wenigen Männer nicht nur in persönliche Gefahr, sondern die gegen sie sich regende Missgunst traf auch die ganze Gemeinde. Aber die Liebespflicht ging ihnen über alles: sie wollten nicht durch Verleugnung sich den Makel schmählicher Feigheit und Undankbarkeit zuziehen. Es wäre eine Rohheit gewesen, sich um einen so großen, noch dazu für das gemeinsame Wohl leidenden Apostel nicht zu kümmern. Vollends unwürdig wäre es gewesen, wenn die römischen Brüder, denen er früher schon einen Brief und freiwillige Bemühung gewidmet hatte, ihm nicht Gegenliebe bewiesen hätten. Mit dieser Liebestat bewähren sie also ihre fromme Treue gegen Christus, und für Paulus bedeutete es eine weitere Belebung seines Eifers, da er sah, dass seine Standhaftigkeit ihre Furcht trug. Beseelte ihn auch unbesiegliche Tapferkeit, die ihn nach menschlicher Hilfe nicht ausschauen ließ, so erweckte doch Gott, der die Seinen auch durch menschliche Mittel zu stärken pflegt, ihm auf diese Weise einen neuen Schwung. Als er sich später in seinen Banden verlassen sah, wie er einmal klagt (2. Tim. 4, 16), verlor er doch keineswegs den Mut, sondern kämpfte unter Christi alleiniger Führung nicht weniger tapfer und unerschrocken, als wenn er ungeheure Scharen mit sich in die Schlacht geführt hätte. Aber auch in diesem Augenblick konnte ihn die Erinnerung an dieses Begegnis stärken und anfeuern, indem er sich vorstellte, wie viele fromme und doch schwache Brüder es in Rom gab, als deren Stütze er gesandt war. Aber auch für den gegenwärtigen Augenblick brauchen wir uns nicht zu wundern, dass Paulus beim Anblick der Brüder eine Zuversicht gewann; durfte er doch hoffen, dass sein gläubiges Bekenntnis nicht geringe Frucht schaffen werde. Denn so oft Gott seinen Knechten einen Erfolg ihrer Arbeit zeigt, gibt er ihnen gleichsam einen Stachel, in ihrem Werk desto eifriger fortzufahren.
V. 16. Überantwortete der Unterhauptmann die Gefangenen. Die Schilderung lässt ersehen, dass dem Paulus mehr verstattet ward als den andern: man schafft für ihn eine ganz eigentümliche Lage. Mit nur einem Wächter darf er ein Privatquartier beziehen, während die andern in das öffentliche Gefängnis kommen. Denn aus dem Bericht des Festus ersah der oberste Hauptmann, d. h. der mit der Aufsicht über die Staatsgefangenen betraute Kommandant der kaiserlichen Leibwache, dass Paulus kein ehrenrühriges Verbrechen begangen hatte; auch wird der Unterhauptmann treulich berichtet haben, was eine freundlichere Behandlung dieses Gefangenen rechtfertigen konnte. Wir sollen nur wissen, dass es Gott war, der vom Himmel her die Bande seines Knechtes erleichterte, nicht nur, um es ihm bequemer zu machen, sondern auch um den Gläubigen einen freieren Zugang zu ihm zu schaffen. Der Schatz seines Glaubens sollte nicht hinter Kerkermauern verschlossen, sondern öffentlich ausgestellt werden, damit er weit und breit viele reich mache. Übrigens hatte die Erleichterung auch ihre Schranken: eine Kette musste Paulus immer tragen.
V. 17. Es geschah aber usw. Der Apostel beweist eine wunderbare Sanftmut, indem er nach so schwerem Unrecht, mit welchem ihn sein Volk gequält hatte, die römischen Juden zu beruhigen strebt und sich vor ihnen entschuldigt, damit sie nicht einen Hass auf seine Sache würfen, weil sie hörten, dass die Priester sich wider ihn stellten. Er hätte vor Menschen eine gerechte Entschuldigung gehabt, wenn er die Juden beiseite geschoben und sich zu den Heiden gewendet hätte. Jahrelang hatte er in Asien, Griechenland und endlich in Jerusalem alles versucht, sie zu Christus zu führen; aber ihre Wut entbrannte immer heftiger und ließ sich nicht mäßigen. Weil er wusste, dass sein Herr den Juden zum Diener gegeben war (Röm. 15, 8), womit der Vater dem auserwählten Samen Abrahams seine Verheißungen erfüllen wollte, wirkt der Apostel unermüdlich in der Richtung dieser göttlichen Berufung Israels. Er sah, dass er in Rom bleiben müsse und Freiheit zu lehren besaß: darum wollte er seinem Volk die Frucht seiner Arbeit nicht entziehen. Auch lag ihm an, dass nicht etwa der Hass gegen seine Sache die Juden zu einem Angriff auf die Christengemeinde treiben möchte; denn der geringste Anlass konnte einen bösen Brand entfesseln.
Ich habe nichts getan wider unser Volk. Zwei Stücke konnten ihm bei den Juden Missgunst erregen: dass er dem allgemeinen Wohl des Volks Abbruch täte, wie denn gewisse Überläufer dessen ohnedies schlimme Knechtschaft durch ihre Treulosigkeit noch härter machten, - und dass er die Verehrung Gottes befleckt hätte. Trotz ihrer Entartung und religiösen Verderbnis hielten ja die Juden den Namen des Gesetzes und den Tempelkultus in hohen Ehren. Paulus leugnet nun nicht, dass er die Zeremonien, an die sich die Juden abergläubisch banden, frei behandelt und unterlassen habe, aber er wehrt sich gegen den Vorwurf des Abfalls, dessen Verdacht ihn treffen konnte. Unter den väterlichen Sitten sind also diejenigen Einrichtungen zu verstehen, durch welche Abrahams Kinder und Moses Jünger entsprechend ihrem Glauben von den übrigen Völkern unterschieden werden sollten. In der Tat hat er den väterlichen Ordnungen nichts abgebrochen, indem er treulich sich an Christus hängte, der ja die Seele und der Vollender des Gesetzes ist: er kam sogar auf diese Weise erst zu ihrer recht verstandenen Beobachtung.
V. 19. Ward ich genötiget, mich auf den Kaiser zu berufen. Diese Berufung konnte leicht einen Zug von Gehässigkeit gewinnen, weil sie das Recht und die Freiheit des jüdischen Volks zu verleugnen schien, welches doch nach seinen eigenen Gesetzen zu leben wünschte. Diesem Vorwurf begegnet nun Paulus durch den Hinweis auf die Hartnäckigkeit der Feinde, sie ihn zum Betreten dieses Auswegs zwang; konnte er doch nur auf diese Weise dem Tod entgehen. Mit der Entschuldigung für das Vergangene verbindet er die Zusage für die Zukunft, dass er seine Sache führen werde, ohne sein Volk um etwas zu verklagen.
V. 20. Dass Paulus um der Hoffnung willen Israels gefangen sei, ist ein zusammenfassender Ausdruck aus einer größeren Rede, die Lukas nicht vollständig mitteilt. Die Antwort der Juden (V. 22) lässt ersehen, dass er auch von der Christensekte und dann selbstverständlich von Christus gesprochen hat. Er musste deutlich machen, dass ohne ihn den Juden weder Tempel noch Gesetz helfen könne, weil ja auf Christus der Bund der Kindschaft und die Heilsverheißung allein fest gegründet war. Es war ihnen auch kein Zweifel, dass die Wiedererrichtung des Reiches am Erscheinen des Messias hing, und der gegenwärtige Zustand des Zusammenbruchs und der Verderbnis steigerte die Hoffnung auf Sehnsucht nach ihm. In diesem Sinne sagt Paulus mit Recht, dass er seine Kette wegen der Hoffnung Israels trage. Und wir lernen daraus, dass nur die Hoffnung recht ist, welche das Auge auf Christus und sein geistliches Königreich richtet. Denn sicherlich erscheint jede andere Hoffnung ausgeschlossen, wenn die Hoffnung der Frommen sich auf Christus stützen soll.
21Sie aber sprachen zu ihm: Wir haben weder Schrift empfangen aus Judäa deinethalben, noch ist ein Bruder gekommen, der von dir etwas Arges verkündiget oder gesaget habe. 22Doch wollen wir von dir hören, was du hältst; denn von dieser Sekte ist uns kund, dass ihr wird an allen Enden widersprochen. 23Und da sie ihm einen Tag bestimmt hatten, kamen viele zu ihm in die Herberge, welchen er auslegte und bezeugte das Reich Gottes, und predigte ihnen von Jesu aus dem Gesetz Moses und aus den Propheten von frühmorgens an bis an den Abend. 24Und etliche fielen dem zu, das er sagte; etliche aber glaubten nicht.
V. 21. Wir haben weder Schrift empfangen usw. Die Priester und Schriftgelehrten haben nicht etwa geschwiegen, weil sie milderen Sinnes gegen Paulus geworden wären und ihn zu schonen gedachten; sie ließen die Sache einfach gehen, weil sie daran verzweifelten, ihm auf so weite Entfernung hin etwas antun zu können, zumal seine Überführung nach Italien ihn wie in einem Grabe verschwinden ließ. Die römischen Juden waren nun gewiss nicht wahrhaft lernbegierig, doch immerhin geneigt, etwas Weiteres von der Lehre zu erfahren, der an allen Enden widersprochen wird. Doch zeigt dieser Ausdruck, dass sie schon ein übles Misstrauen hegen. Sie sind viel eher bereit, noch vor genauer Kenntnisnahme in das allgemeine Verdammungsurteil einzustimmen, als an die Weissagung des Jesaja (8, 14) zu denken, dass Gott für das ganze Volk zum Stein des Anstoßes werden solle.
V. 23. Da sie ihm einen Tag bestimmt hatten usw. Da die Verhandlung von frühmorgens an bis an den Abend währt, hat Paulus schwerlich ununterbrochen geredet, sondern nach kurzer Darlegung des Hauptinhalts des Evangeliums die Fragen und Einwürfe der Zuhörer beantwortet. Die Besprechung bewegt sich um zwei Hauptgesichtspunkte. Erstlich bezeugt der Apostel das Reich Gottes, d. h. er erörterte dessen Art und Wesen, sowie die Glückseligkeit und Herrlichkeit, welche die Propheten so oft für Israel verheißen hatten. Da die meisten Juden von einem Gottesreiche in dieser Welt, von müßigen Freuden und irdischem Reichtum träumten, musste die richtige Beschreibung gegeben und ihnen eingeprägt werden, dass Gottes Reich geistlicher Art ist: sein Anfang die Erneuerung des Lebens, sein Ziel selige Unsterblichkeit und himmlische Herrlichkeit. Zum andern predigte Paulus von Jesus: er forderte auf, dass man Christus als den Urheber der verheißenen Glückseligkeit annehme. Dabei wird wiederum ein Doppeltes zur Sprache gekommen sein, nämlich zuerst das Amt des verheißenen Erlösers, zum andern, dass er bereits erschienen und dass es der Sohn der Maria sei, auf welchen die Väter gehofft hatten. Dass ein Messias kommen solle, der alles zurechtbringen werde, war allgemein feststehendes jüdisches Dogma. Paulus aber wird besonders betont haben, was weniger bekannt war, dass der verheißene Messias durch sein Todesopfer die Sünden der Welt sühnen, Gott mit den Menschen versöhnen, ewige Gerechtigkeit erwerben, die Menschen durch seinen Geist erneuern und zum Bilde Gottes gestalten, endlich seine Gläubigen mit sich zu Erben des ewigen Lebens machen solle, - und dass dies alles in der Person des gekreuzigten Christus erfüllt sei. Darüber aber konnte er nicht sprechen, ohne die Juden von ihren rohen und irdischen Gedanken zum Himmel zu weisen und zugleich den Anstoß des Kreuzes zu heben, indem er lehrte, dass es keine andere Weise unserer Versöhnung mit Gott gab. Wir wollen uns aber merken, dass nach dem Zeugnis des Lukas der Apostel seine ganze Lehre von Christus aus dem Gesetze Moses und aus den Propheten entnahm. Denn dadurch unterscheidet sich die wahre Religion von allen Menschengedichten, dass sie allein Gottes Wort zur Regel nimmt. Darin unterscheidet sich die Gemeinde Gottes von allen weltlichen Sekten, dass sie allein die Stimme ihres Herrn hört und durch seinen Wink sich regieren lässt. Hier sieht man übrigens, wie das Alte Testament in der Bezeugung des Glaubens an Christus mit dem Evangelium übereinstimmt. Weiter erkennen wir den doppelten Nutzen der heiligen Schrift, den Paulus rühmt, dass sie nämlich reichlich imstande ist, die Empfänglichen zu lehren, und anderseits zu strafen, die der Wahrheit hartnäckig widersprechen (2. Tim. 3, 16; Tit. 1, 9). Wer also besonnen und richtig andere lehren will, möge sich an die Schranke halten, dass er seine Lehre allein aus dem reinen Quell der Schrift schöpft.
V. 24. Und etliche usw. Als Ergebnis der Aussprache teilt Lukas mit, dass keineswegs alle einen Nutzen von der Belehrung davontrugen. Es steht uns fest, dass der Apostel mit einer Geisteskraft begabt war, die auch Steine hätte beugen können. Und doch gelang es seiner langen Rede und kräftigem Zeugnis nicht, alle für Christus zu gewinnen. Darum sollen wir uns nicht wundern, wenn heutzutage der Unglaube der Massen der klaren Lehre des Evangeliums sich widersetzt und viele verstockt bleiben, welchen doch Christi Wahrheit ebenso deutlich kundgetan ward, wie die Sonne am Mittag leuchtet. Hier gehen sogar Leute, die aus freien Stücken mit einer gewissen Lernbegier gekommen waren, blind und stumpf von Paulus weg. Wollen wir uns nun wundern, wenn andere, die in hochmütigem Überdruss geflissentlich das Licht fliehen, den Herrn Christus mit verbittertem Gemüte von sich stoßen?
25Da sie aber untereinander misshellig waren, gingen sie weg, als Paulus ein Wort redete: Wohl hat der heilige Geist gesagt durch den Propheten Jesaja zu unsern Vätern 26und gesprochen: „Gehe hin zu diesem Volk und sprich: Mit den Ohren werdet ihr´s hören und nicht verstehen, und mit den Augen werdet ihr´s sehen und nicht erkennen. 27Denn das Herz dieses Volks ist verstocket, und sie hören schwer mit den Ohren, und schlummern mit ihren Augen, auf dass sie nicht dermaleins sehen mit den Augen und hören mit den Ohren, und verständig werden im Herzen, und sich bekehren, dass ich ihnen hülfe.“ 28So sei es euch kundgetan, dass den Heiden gesandt ist dies Heil Gottes; und sie werden´s hören. 29Und da er solches redete, gingen die Juden hin, und hatten viel Fragens unter ihnen selbst. 30Paulus aber blieb zwei Jahre in seinem eignen Gedinge, und nahm auf alle, die zu ihm einkamen, 31predigte das Reich Gottes, und lehrete von dem Herrn Jesu mit aller Freudigkeit unverboten.
V. 25. Da sie aber untereinander misshellig waren. Die Bosheit und Verkehrtheit der Ungläubigen bringt es zustande, dass der Christus, der unser Friede und das einzige Band heiliger Einigkeit ist, zum Anlass des Zwiespalts wird und Menschen zu gegenseitiger Bekämpfung reizt, die bis dahin Freundschaft pflegten. Als die Juden zusammenkamen, Paulus zu hören, hatten sie alle einerlei Sinn und Sprache: sie bekannten sich als Anhänger des Gesetzes Moses. Nachdem sie die Lehre von der Versöhnung vernommen, entsteht ein Zwiespalt unter ihnen und sie gehen in verschiedene Parteien auseinander. Man soll indessen nicht glauben, dass die Zwietracht mit der Predigt des Evangeliums anhebe: sie ist vielmehr längst in böswilligen Herzen verborgen und wird jetzt offenbar, - gleichwie der Glanz der Sonne den Dingen nicht neue Farben schenkt, sondern die Unterschiede, die sich in der Finsternis verloren hatten, heraustreten lässt. So erfüllt sich in Christus, was Simeon weissagte (Luk. 2, 34 f.), dass er zum Fall und Auferstehen vieler werden solle, auf dass vieler Herzen Gedanken offenbar würden. Der Vater des Zwiespalts ist also der Unglaube, der sich wider Gott empört.
Sie gingen weg, als Paulus ein Wort redete. Anfangs suchte der Apostel die Juden sanft und freundlich zu locken; nachdem er ihre Widerspenstigkeit gesehen, greift er schärfer zu und verkündet ihnen in Strenge Gottes Gericht. So muss man ja Aufrührer behandeln, deren Hochmut sich durch einfache Belehrung nicht bändigen lässt. Die Glaubwürdigkeit des Prophetenworts aus Jesaja (6, 9 f.) soll nachdrücklich herausgehoben werden, wenn der Apostel betont, dass der heilige Geist so gesprochen habe. Sein Inhalt ist also nicht im Kopf eines Menschen entsprungen, sondern stammt aus Gott. Zugleich gibt Paulus zu verstehen, dass nicht nur der Prophet Jesaja die Widerspenstigkeit des Volks in einem bestimmten Zeitpunkt strafte, sondern dass dieser Spruch des heiligen Geistes für alle Zukunft gelte.
V. 26. Gehe hin zu diesem Volk usw. Diese berühmte Stelle von der Verstockung Israels wird im Neuen Testament sechsmal zitiert. Wir sollen wissen, dass sich eine Weissagung erfüllt, so dass weder die Verworfenen sich selbstgefällig gebärden dürfen, noch die Gläubigen zu erschrecken brauchen, als wäre das Ereignis neu und unerhört. Die Verstockung Israels, die zu des Propheten Zeit anhob, vollendete sich nun beim Anbruch des Reiches Christi. Darum berufen sich die Evangelisten (Mt. 13, 14; Mk. 4, 12; Lk. 8, 10; Joh. 12, 37) auf das Jesajawort, wenn sich zeigt, dass weder die Gleichnisreden noch die zahlreichen Wunder Jesu die Juden zum Glauben bewegen können. Darin enthüllt sich eben jetzt Gottes gerechtes Gericht, dass die Verworfenen mit den Augen nicht sehen noch hören mit den Ohren. Jetzt erinnert Paulus an dieses Zeugnis des Propheten über die Juden, damit niemand sich über ihre Blindheit wundere. Im Römerbrief (11, 5. 7. 8) dringt er darüber hinaus in die Tiefe und gibt als Ursache ihrer Verblendung dies an, dass der Herr nur dem kleinen Rest, den er aus Gnaden erwählt hat, das Licht des Glaubens schenke. Ohne Zweifel liegt es an der Bosheit der Verworfenen, dass sie die Lehre des Heils von sich stoßen, und die Schuld dafür fällt durchaus auf sie. Aber durch diese nächste Ursache wird nicht ausgeschlossen, dass Gottes verborgene Erwählung den Unterschied zwischen den Menschen setzt, dass die zum ewigen Leben bestimmten zum Glauben kommen, während die übrigen stumpf und unempfindlich bleiben. An unserer Stelle hält sich übrigens Paulus nicht peinlich an den Wortlaut beim Propheten, sondern passt denselben seinem Zwecke an. Die Blindheit, welche der Prophet aus dem verborgenen Urteil Gottes ableitet, setzt er auf Rechnung menschlicher Bosheit. Dem Propheten wurde anbefohlen, die Augen seiner Zuhörer zu verblenden; Paulus klagt dagegen ihren Unglauben an: sie schlummern mit ihren Augen, buchstäblich: sie schließen die Augen zu. Zugleich drückt er doch die andere Wahrheit aus, dass das Herz dieses Volks durch Gottes Wirkung verstocket ward. Dass beides recht wohl zusammenstimmt und sie auch selbst durch Schließung der Augen sich mutwillig blind machen, haben wir früher mehrfach dargelegt. Die Wendungen des letzten Satzgliedes: dass sie nicht sehen mit den Augen usw., - legen den Schluss nahe, dass die göttliche Lehre an sich klar und durchaus fähig ist, alle Sinne zu erleuchten. Aber die Menschen umhüllen sich in eigener Böswilligkeit mit Finsternis, wie Paulus auch anderwärts sagt (2. Kor. 4, 3 f.), dass sein Evangelium unverdeckt sei und niemand im Lichte desselben blind zu sein brauche, außer den Verworfenen, deren Augen Satan verblendet hat.
Und sich bekehren, dass ich ihnen hülfe. Aus diesen Worten schließen wir, dass das Angebot des göttlichen Worts nicht bei allen dazu dienen soll, sie zur Besinnung zu bringen, sondern dass die äußere Predigt ohne Wirkung des Geistes vieler Ohren nur trifft, um ihnen jede Entschuldigung zu nehmen. Da erhebt sich freilich der freche Hochmut des Fleisches wider Gott, und viele disputieren, dass die Berufung der Menschen vergeblich und sogar ein Spott sei, wenn sie nicht die Fähigkeit hätten, ihr Gehorsam zu leisten. Aber wenn wir auch nicht durchschauen, warum Gott vor Blinden sich sehen lässt und zu Tauben redet, muss doch allein sein Wille, welcher der Maßstab aller Gerechtigkeit ist, uns soviel gelten wie tausend Gründe. Übrigens zeigt unser Ausdruck in Kürze, dass Gottes Wort einen heilsamen Erfolg nur erzielt, wenn es die Bekehrung des Menschen zustande bringt, die nicht nur der Ausgangspunkt neuer Gesundheit, sondern gleichsam eine Erweckung aus dem Tode zum Leben ist.
V. 28. So sei es euch kundgetan usw. Das Heil Gottes ward in zweiter Linie den Heiden angeboten, nachdem die Juden es verschmäht hatten (vgl. zu 13, 46). Paulus will also den Juden einprägen, dass sie sich nicht beklagen dürfen, wenn die Heiden den Zutritt zu dem von ihnen preisgegebenen Besitz bekommen. Natürlich ist die Meinung nicht, dass alle Heiden ohne Ausnahme zum Glauben kommen werden. Hatte doch der Apostel genugsam erfahren, wie viele auch von ihnen gottlos dem Herrn widerstanden. Er stellt aber alle Gläubigen aus den Heiden den ungläubigen Juden gegenüber, um diese, wie es im Liede Moses heißt (5. Mos. 32, 21; vgl. Röm. 10, 19), zur Eifersucht zu reizen. Jedenfalls soll die Lehre, welche die Juden verschmähen, anderwärts ihre Frucht bringen.
V. 29. Hatten viel Fragens unter ihnen selbst. Ohne Zweifel hat Paulus die Ungläubigen vollends vor den Kopf gestoßen, als er die Weissagung des Jesaja auf sie bezog: heftiges Schelten macht sie nicht milder, sondern nur wütender. Darum streiten sie, als sie vom Apostel herausgehen: der größere Teil wollte sich nicht zufrieden geben. Dies Disputieren zeigt doch, dass einige den Worten des Paulus auch zustimmten und ohne Bedenken tapfer für den neu gewonnenen Glauben eintraten. Übrigens wäre die Behauptung verkehrt, die man hier wohl hören kann, dass das Evangelium Christi ein Same von Streitigkeiten sei: denn dass diese allein aus der Hartnäckigkeit der Menschen entspringen, steht fest; und es wird immer nötig sein, wollen wir anders den Frieden mit Gott genießen, wider seine Verächter zu kämpfen.
V. 30. Und nahm auf alle, die zu ihm einkamen. Der heilige Apostel gibt ein ausgezeichnetes Beispiel von Standhaftigkeit, indem er sich allen, die ihn zu hören wünschen, ohne weiteres zur Verfügung stellt. Gewiss war ihm nicht verborgen, wie viel Missgunst er gegen sich erregte, und dass es das einfachste Mittel sei, durch Schweigen den Hass der Gegenpartei zu besänftigen. Damit hätte er vorsichtig für seine persönliche Ruhe sorgen können. Aber er bedachte, dass er als Gefangener nicht minder Christi Apostel und ein Herold des Evangeliums war, als wenn er frei und ledig dagestanden hätte. Darum hielt er es nicht für recht, sich irgendjemandem zu entziehen, der zum Lernen bereit war; er wollte keine von Gott gegebene Gelegenheit versäumen. Sein heiliger göttlicher Beruf stand ihm eben höher als die Sorge für sein eigenes Leben. Dass aber der Apostel sich freiwillig in Gefahr begab, deutet Lukas damit an, dass er (V. 31) von seiner Freudigkeit spricht; keine Schwierigkeiten schreckten ihn ab, seinen Eifer auch in Zukunft jedem zu widmen, der ihm in den Weg kam.
Dass Paulus das Reich Gottes predigte und von dem Herrn Jesus lehrte, bezeichnet nicht zwei voneinander unabhängige Stücke; vielmehr fügt Lukas das zweite als eine Erläuterung hinzu, um uns wissen zu lassen, dass das Reich Gottes in der Erkenntnis der durch Christus erworbenen Erlösung gegründet und beschlossen liegt. Paulus lehrt also, dass die Menschen dem Reich Gottes fremd und fern sind, bis sie durch Sühnung ihrer Sünden mit Gott ausgesöhnt und durch seinen Geist zu einem heiligen Leben erneuert werden. Dann erst wird unter ihnen Gottes Reich errichtet und kommt zur Blüte, wenn Christus als Mittler Menschen, die er mit unverdienter Vergebung der Sünden beschenkte und zur neuen Geburt führte, in Gerechtigkeit mit dem Vater verbindet, damit sie ein himmlisches Leben schon auf Erden anfangen und stets zum Himmel trachten, wo ihnen der volle und wahre Genuss der Herrlichkeit sich erschließen wird. Endlich berichtet Lukas als eine besondere Wohltat Gottes, dass Paulus frei und unverboten lehren durfte. Das geschah nicht infolge freundlichen und absichtlichen Entgegenkommens derer, die es hätten hindern können, denen ja der Glaube des Paulus verhasst war; vielmehr verschloss ihnen der Herr die Augen. Darum rühmt Paulus selbst an einer andern Stelle mit gutem Grunde, dass Gottes Wort nicht gebunden gewesen sei (2. Tim. 2, 9).