Burger, Carl Heinrich August von - Achtzehnte Predigt. Am zweiten Sonntag p. Trin. 1856.

Burger, Carl Heinrich August von - Achtzehnte Predigt. Am zweiten Sonntag p. Trin. 1856.

Text: Apost. Gesch. 5,27-42.
Und als sie sie brachten, stelleten sie sie vor den Rath. Und der Hohepriester fragte sie, und sprach: Haben wir euch nicht mit Ernst geboten, daß ihr nicht solltet lehren in diesem Namen? Und sehet, ihr habt Jerusalem erfüllet mit eurer Lehre und wollt dieses Menschen Blut über uns führen. Petrus aber antwortete und die Apostel und sprachen: Man muß Gott mehr gehorchen, denn den Menschen. Der Gott unsrer Väter hat Jesum auferwecket, welchen ihr erwürget habt und an das Holz gehänget. Den hat Gott durch seine rechte Hand erhöhet zu einem Fürsten und Heiland, zu geben Israel Buße und Vergebung der Sünden. Und wir sind seine Zeugen über diese Worte und der heilige Geist, welchen Gott gegeben hat denen, die ihm gehorchen. Da sie das höreten, ging's ihnen durch's Herz und gedachten sie zu tödten. Da stand aber auf im Rath ein Pharisäer, mit Namen Gamaliel, ein Schriftgelehrter, wohl gehalten vor allem Volk, und hieß die Apostel ein wenig hinaus thun. Und sprach zu ihnen: Ihr Männer von Israel, nehmet euer selbst wahr an diesen Menschen, was ihr thun sollt. Vor diesen Tagen stand auf Theudas und gab vor, er wäre etwas, und hingen an ihm eine Zahl Männer, bei vier hundert; der ist erschlagen, und alle, die ihm zufielen, sind zerstreuet und zu nichte geworden. Darnach stand auf Judas aus Galiläa in den Tagen der Schätzung, und machte viel Volks abfällig ihm nach; und er ist auch umgekommen, und alle, die ihm zufielen, sind zerstreuet. Und nun sage ich euch: Lasset ab von diesen Menschen und lasset sie fahren. Ist der Rath oder das Werk aus den Menschen, so wird es untergehen. Ist es aber aus Gott, so könnet ihr es nicht dämpfen, auf daß ihr nicht erfunden werdet, als die wider Gott streiten wollen. Da fielen sie ihm zu, und riefen die Apostel, stäupeten sie und geboten ihnen, sie sollten nicht reden in dem Namen Jesu und ließen sie gehen. Sie gingen aber fröhlich von des Rathes Angesicht, daß sie würdig gewesen waren um seines Namens willen Schmach zu leiden. Und höreten nicht auf, alle Tage im Tempel und hin und her in den Häusern zu lehren, und zu predigen das Evangelium von Jesu Christo.

Unser Text versetzt uns in die Zeit der ersten Kämpfe und Siege der kaum entstandenen Gemeinde Christi in Jerusalem. Nicht ohne Grund waren die Häupter und Lenker des jüdischen Volkes betroffen und erschreckt durch den Erfolg der apostolischen Predigt seit jenem großen Pfingstereigniß. Aber statt jetzt noch, in der eilften Stunde, in sich zu gehen, ihr schweres Unrecht zu bekennen und die noch ausgestreckte Gnadenhand, die sie erretten wollte, zu ergreifen, ließen sie nach wie vor sich treiben von dem finstern Geist der Herrschsucht und verbissenen Trotzes, und meinten das vergossne Blut des Heiligen nicht besser zudecken zu können, als mit neuen Strömen des Blutes Seiner Jünger. Da that ihrem heftigen Beginnen Einhalt das besonnene Wort eines klugen welterfahrenen Mannes aus ihrer Mitte, und sie begnügten sich ihre früheren Beschlüsse zu ernennen, doch mit Gewaltthat noch nicht bis zum äußersten zu schreiten. Vielfach und reich sind die Erwägungen, zu welchen ein christliches Gemüth in diesen Vorgängen Aufforderung und Anlaß findet. Die hohe Begeisterung der Apostel, dieser gebrechlichen Werkzeuge, die der Herr zu Säulen Seiner Kirche stählte, die bewahrende Hand Gottes, welcher Seine junge Pflanzung deckte und sie noch nicht versuchen ließ über ihr Vermögen, die Gnade und Wahrheit, der Ernst und die Erbarmung, mit der Er den Obersten des Volkes die Gelegenheit darreichte, den Frevel, den sie wenigstens theilweise aus Unwissenheit begangen hatten, jetzt noch zu ihrer eigenen Seelen Seligkeit zu nützen, die Freudigkeit im Leiden bei den Jüngern und die Frucht, die diesem Leiden auf dem Fuße folgte, sind eben so viel Seiten der Betrachtung, welche sich uns öffnen und mit gleicher Stärke fesseln. Doch laßt mich auf Einen Gegenstand mich heute beschränken, der so wichtig als fruchtbar ist, wenn wir im Herzen ihn getreulich fassen und bewegen wollten. Fast nicht minder als die heiligen Apostel leuchtet in unserem Text Gamaliel hervor. Wie viel ist zum Lobe seiner Klugheit schon gesprochen worden; nicht wenige haben den Inbegriff vollkommner Weisheit bei Behandlung geistlicher Dinge in seiner Rede schon gefunden. Es dürfte sich verlohnen diesem Lobe auf den Grund zu sehen; laßt es mich versuchen, indem ich heute nach Anleitung unseres Textes zu euch rede

von der Klugheit der Gerechten, und zeige:

  1. worin sie bestehe,
  2. wie sie sich unterscheide von der Klugheit der Welt, und
  3. was sie zum Gewinne habe.

Heiliger Herr und Gott, der Du das Licht bist und das Leben Deiner Kinder, öffne uns die Augen, daß wir in Deinem Licht das Licht erkennen, und schenke uns die Klugheit, die zum Leben dienet. Erhöre uns um Deiner Gnade und Wahrheit willen, und sei mitten unter uns, die wir versammelt sind in Deinem Namen. Amen.

I.

Worin „die Klugheit der Gerechten“ bestehe, wollen wir zuvörderst fragen. Der Ausdruck ist nicht von mir erfunden worden. Er ist entnommen aus den Worten des Propheten Maleachi (4,6), wie sie der Engel anführt, als er dem greifen Zacharias einen Sohn verhieß in seinem Alter, nehmlich den Johannes, von dem er sagt (Luc. 1,17), daß er vor dem Herrn hergehen werde im Geist und Kraft Elia, zu bekehren die Herzen der Väter zu den Kindern, und die Ungläubigen zu der Klugheit der Gerechten. Da nun die Klugheit in der Geschichte unsres Textes einen Ausschlag gibt, so wollen wir betrachten, welches ihre rechte Art ist; und das ist offenbar diejenige, zu welcher der Herr Sein Volk bekehret sehen will. Worin aber wird sie bestehen? Ihr werdet mir beipflichten, wenn ich sage: vor allem darin, daß wir, und zwar Gewissens halber, der Wahrheit und dem Recht die Ehre geben. Denn Gott ist die Wahrheit, und Sein Wort der Inbegriff des Rechtes. Er ist auch der Richter, der ihm den Sieg verschaffen wird, und wird es triumphieren machen über jede zeitweilige Verdunkelung und Trübung. Mit Gott zu streiten kann nicht klug sein, wie uns Gamaliel belehrt und wir ihm gerne glauben, wenigstens nicht seinen Worten widersprechen werden. Aber bei wem in unserm Texte finden wir nun jene Klugheit? Ohne allen Zweifel bei denen, die mit großer Zuversicht betheuern konnten: Wir zeugen, das wir wissen, und mit unsern Augen gesehen, mit unsern Ohren gehört, mit unsern Händen selbst betastet haben; welche durch ihren unerschrockenen Freimuth, wie durch die ruhige gefaßte Würde ihrer ganzen Haltung zu erkennen geben, daß sie sich im Besitz der Wahrheit wissen; daß sie nicht anders reden können, als sie thun; daß sie gebunden sind in ihrem Gewissen, und zwar nicht etwa durch einen Wahn und eine selbstgemachte Täuschung, welche sie Gewissen nennen, sondern durch die offenkundigsten Beweise, welche sie darlegen können, und durch das Zeugniß des heiligen Geistes selber, der in ihren Herzen sowohl als durch ihre Hände Gottes Werk und Gottes Rath besiegelt und unumstößlich festgestellt hat. Die Form der Klugheit finden wir auch bei Gamaliel; sein Wort läßt erkennen, daß er weiß, woraus es ankommt. Ihren wirklichen Bestand und ihre volle Uebung sehen wir an den Aposteln; denn die Wahrheit hat sie in ihren Dienst genommen und sie dienen ihr auch wirklich und von ganzem Herzen; sie scheuen sich nicht bloß zu streiten wider Gott, sie geben willig Ihm die Ehre, wo, was Ihm wohl gefalle, nicht in Frage gestellt werden konnte. Die Klugheit besteht nicht bloß in einer Fertigkeit, was gut und wohlgethan sei, zu erkennen; sie ist eine Tugend des Verhaltens und der Handlungsweise, und den Preis dieser Tugend müssen wir den Aposteln zugestehen, weil sie das Rechte nicht bloß wissen, sondern es auch thun.

Aber ein weiterer Zug derselben ist die Einfalt und Klarheit, mit der sie alle Verhältnisse zu ordnen und richtig zu behandeln weiß. Man schätzt es als eine Eigenschaft der Klugheit, daß sie nirgends die nöthigen Rücksichten aus der Acht läßt; daß sie nicht blind und ungestüm darein fährt, um durch den Erfolg genöthigt nachher einzulenken und gut zu machen, was zuerst versehen war und dann zu spät erkannt wird. Aber gerade wo die Beziehungen am meisten sich verwickeln, da thut Einfalt des Blickes noth, um nicht verwirrt zu werden, und je einfacher die Lösung sich gestaltet, desto sicherer ist sie. Die Klugheit der Gerechten versteht sie zu finden. Sie sucht nicht viele Künste; sie weiß die Punkte, die entscheiden müssen, mit richtigem Takt herauszuspüren, und schreitet darum nicht rücksichtslos einher, sondern eben mit der rechten Rücksicht, indem sie dem folgt, dem zu folgen ist, und das hintansetzt, was untergeordnet werden muß, soll nicht die Gerechtigkeit und Wahrheit selbst verkehret werden. So haben sich die Jünger keineswegs verborgen, was sie der Obrigkeit schuldig waren, unter der sie standen; sie haben zu jeder Zeit bewiesen, daß es ihnen wohl bewußt war. Aber dem Willen ihrer Obrigkeit stand diesmal gegenüber der göttliche Befehl, und stand ihm gegenüber klar und unzweideutig. Ob sie von Jesu dem Auserstandenen Zeugniß geben sollten oder nicht, das war nicht eine Frage, die erst auf dem Wege langer, vielseitiger Ueberlegung entschieden werden konnte; sie war schon entschieden, und langes Ueberlegen konnte höchstens den klaren festen Thatbestand des göttlichen Befehls verdunkeln, aber nicht ihn erst erkennen lehren. So hatten sie auch keine Wahl. Hier war Gehorsam gegen ihre irdische Obrigkeit Auflehnung wider Gott. Deßwegen zögerten sie nicht entschlossen Alles, ja ihr Leben selbst daran zu wagen. Mit Gott im Bunde konnten sie nicht unterliegen; den Herrn zum Freund behalten kann nicht mißgethan sein. Darum gehen sie mit festem Schritt vorbei an all den Netzen und Schlingen, welche ihren Weg umgeben, und haben für jeden Einwand fleischlicher Erwägung Eine, aber auch die richtige Antwort: „Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen,“ und wo des Herren Wille offenbar ist, da tritt jede andre Rücksicht weit in den Hintergrund, nicht weil die Klugheit dem Willen Gottes gegenüber schweigen müßte, sondern weil sie darin bestehet, ihm zu folgen.

Aber zu dieser Klugheit gehört noch ein Drittes, nehmlich nicht weiter zu gehen und nicht weiter zu fragen und zu blicken, als Gott uns gehen und blicken heißt, und mit Vertrauen, was Er uns nicht anbefohlen hat, auch Ihm zu überlassen und anheim zu geben. Nach etwa möglichen Erfolgen fragt die rechte Klugheit nicht. Sie schöpft die Mittel der Entscheidung aus der klaren Gegenwart, die wirklich vorliegt. Was noch der Zorn des hohen Rathes über sie verhängen werde; ob man versuchen werde ihnen mit Gewalt den Mund zu schließen; wie es für solchen Fall mit dem Bestand und Fortgang des Evangeliums ergehen könnte: das war nicht Sache der Apostel hier in die Berechnung ihrer Schritte auszunehmen, das mußte der Herr versehen, der ihnen ausgetragen hatte: „Ihr werdet meine Zeugen sein zu Jerusalem und in ganz Judäa und Samaria und bis an das Ende der Erde“ (Apost. Gesch. 1, 8). In der weisen Selbstbeschränkung liegt eine große Kraft der wahren Klugheit; sie kannten die Grenzen ihrer Ausgabe und versuchten nicht sie zu überschreiten. Es war genug in dem Fall, in dem die Apostel waren, zu sagen, wie sie thaten: „Der Gott unserer Väter hat Jesum auferwecket, welchen ihr erwürget habt und an ein Holz gehänget. Den hat Gott durch Seine rechte Hand erhöhet zu einem Fürsten und Heiland, zu geben Israel Buße und Vergebung der Sünden; und wir sind Seine Zeugen über diese Worte, und der heilige Geist, welchen Gott gegeben hat denen, die Ihm gehorchen.“ So war es und so ist es; daß es so ist, hat Gott erwiesen und wird es ferner thun. Sie haben den Streit Gottes gegen Sein widerspenstiges Volk nicht auszufechten, nur dem Volk zu sagen, was ihm zum Frieden dienen konnte, wenn es hören wollte. Daß sie das thaten mit kräftigen und ungeschminkten Worten und Gott Alles weitere befahlen, das war nicht bloß das klügste unter Allem, was sie thun konnten, nein, es war das einzig Rechte und darum das einzig Kluge. In ihrer Entschiedenheit, mit der sie der erkannten Wahrheit unbedingt die Ehre gaben, in ihrer Einfalt und Klarheit, mit der sie alle Verhältnisse behandelten nach dem Maßstabe der gewissen Wahrheit, in deren Dienst sie selber standen, in der Beschränkung, mit der sie nicht dem Herrn Vorgriffen, noch durch zweifelhafte Rücksicht aus den möglichen Erfolg und Ausgang sich ihren Weg unsicher machen ließen, sondern schlecht und recht nichts weiter als das Ihre thaten: darin erzeigte sich die Klugheit, an der wir uns ein Muster nehmen können für alle entscheidenden Verhältnisse und Fragen unseres Lebens; es wird sich jederzeit, im Großen wie im Kleinen, wiederholen, daß der der wahrhaft Kluge ist, welcher thut, was recht vor Gott ist, ohne Scheu, in Einfalt und Bescheidenheit, in Demuth und Vertrauen, und mit der vollen Hingebung eines ungetheilten Herzens.

II.

Aber nun wollen wir uns wenden zu dem weisen Manne, der in der Mitte des hohen Rathes seine Stimme erhob, zu Gamaliel, und laßt es euch nicht von vorn herein befremden, wenn ich mir vornehme euch an ihm zu zeigen, wie sich die Klugheit der Gerechten unterscheidet von der Klugheit der Welt. Er hat ein Wort gesagt, das hoch und weit gerühmt worden ist mit vielem Rechte, aus welches auch unser Dr. Luther sich einst berufen hat, als man ihn drang zu sagen, was man denn mit seinem Untersangen machen sollte, nämlich das Wort: „Lasset ab von diesen Menschen und lasset sie fahren. Ist der Rath oder das Werk aus den Menschen, so wird es untergehen; ist es aber aus Gott, so könnet ihr es nicht dämpfen, auf daß ihr nicht erfunden werdet als die wider Gott streiten.“ Es möchte schwer sein, treffender zu bezeichnen, nach welchen Erwägungen die Sache der Apostel zweckmäßig zu behandeln sei, wenn man vom Standpunkt der Welt aus sie betrachtet; aber, Geliebte in dem Herrn, das wollen wir doch ja nicht unterlassen beizusetzen: eben wenn man vom Standpunkt der Welt aus sie betrachtet. Denn eine andre Stellung als diese nimmt Gamaliel nicht ein. Er selbst steht völlig außerhalb der Sache, um die es sich handelt. In ihre Eigenthümlichkeit mit gewissenhaftem Ernste einzudringen, die Gründe zu erwägen, welche für sie sprechen, Partei zu nehmen, wenn sie nach genau erwogener Prüfung sich wirklich als aus Gott erweisen sollte, das kommt ihm nicht in den Sinn. Er spricht wie einer, welcher unbetheiligt zusieht und ferner zuzusehen beschlossen hat. Er läßt es darauf ankommen, daß der Ausgang schon die Antwort noch einmal geben werde, die man jetzt nicht wisse, und gleicht damit nur zu sehr einer Art von klugen Leuten, an denen auch heutzutage kein Mangel ist, die nicht mit Gott, aber auch nicht mit der Welt zu brechen wünschen, und darum in der Unentschiedenheit den Triumph der Weisheit, in farbloser Unparteilichkeit den Gipfel einsichtvollen Urtheils finden wollen. Wahrlich der Rath Gamaliels war brauchbar für die Welt, und konnte ihre offne Niederlage noch verzögern; aber mir selber möchte ich ihn nicht geben in einer Sache, wo meine Seligkeit betheiligt ist. Auf den Ausgang mag warten, wer von ihm nichts zu hoffen noch zu fürchten hat. Wer aber weiß, daß in dem Ausgang auch das Endurtheil über seinen eignen Standpunkt mit inbegriffen sein wird, der handelt thöricht, wenn er es darauf ankommen läßt, wie er ausfallen möge, und nicht vielmehr bemüht ist, das Urtheil über sich selbst sich zu sichern, das ihn aufrichte und losspreche, nicht etwa über ihn selbst als ein Urtheil der Verwerfung sich gestalten müsse. Wenn wir ein Wort von einer später noch erfolgten Bekehrung des Gamaliel erführen irgend wo, so könnten wir annehmen, und müßten es, er habe als ein kluger Mann sich auf den Standpunkt der Glieder des hohen Rathes hier gestellt, um ihnen guten Rath zu geben für die gegenwärtige Stunde, sich aber wohl gehütet, es für sich dabei bewenden zu lassen, sondern eifrig gerungen nach der Erkenntniß, wohin er sich zu schlagen habe. So aber wissen wir wohl von dem Schüler Gamaliels, dem eifrigen, durch und durch und überall entschiedenen Paulus, daß er erst ein Verfolger war, und dann ein Jünger Jesu wurde. Gamaliel war jenes nicht, aber blieb auch ferne davon, dieß zu werden. Er diente der Sache Christi, aber nicht sich selbst; er bewährte die Wahrheit des Wortes Christi: „Wer nicht wider uns ist, der ist für uns“ (Mare. 9, 40.); denn seine Unparteilichkeit war förderlich für die fortgesetzte Predigt der Apostel. Aber das andre Wort aus demselben Munde: „Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich“ (Luc. 11, 23.), spricht sein Urtheil. Denn wer da selig werden will, der kann nicht hinken auf zwei Seiten oder in der Mitte stehen bleiben; er muß zu Christo treten ganz mit Leib und Seele und Alles für Ihn wagen, Ihm ergeben, damit er Alles in Ihm gewinne, und zunächst das eigne Leben, der eignen Seele Seligkeit. Nun aber treffen wir bei dem Gamaliel die wesentlichen Züge alle, die wir als unterscheidend für die Klugheit dieser Welt bezeichnen müssen. Ihr vornehmstes Wahrzeichen ist, daß sie viel seltener zu fragen Pflegt, was recht, als was von Vortheil, was dienlich oder nützlich ist. Es ist unmöglich zu verkennen, Gamaliel mißt ganz nach diesem Maaße, mit großer Besonnenheit und Mäßigung, mit edler Ruhe, mit der Ueberlegenheit eines sichern und gewandten Geistes, der viel erlebt, richtig beobachtet, reiche Erfahrung sich gesammelt hat.

Aber die Summe seines Rathes ist doch nur die: Sehet zu, daß ihr nichts thut, was euch Verlegenheit bereiten könnte! Ob die Apostel Recht haben oder nicht, ob die Thatsachen, aus welche sie sich berufen, begründet sind, oder ob sie aus gleicher Linie stehen mit dem Vorgeben der von ihm erwähnten Schwärmer und Gaukler, welche in seinen Tagen mit kecker Behauptung und hinreißender Zuversichtlichkeit ausgetreten waren, und deren Werk die Feit gerichtet hatte, das läßt er ganz dahin gestellt, trägt auch nicht darauf an, es ernstlich und genau zu untersuchen; nur das sagt er: Bedenket, daß ihr nicht in eine schiefe Stellung kommt, und wartet die weiteren Erfolge ab, ehe ihr das letzte Wort sprecht. Damit ist aber schon ein weiteres viel gepriesenes und manche täuschendes Zeichen weltlicher Klugheit mit gegeben: die Zurückhaltung des Urtheils, die sich oft unverdienter Weise mit den Namen von Verstand und Weisheit schmücken läßt, auch wenn sie den klarsten Ueberführungsmitteln gegenüber beharrlich fortgesetzt wird. Der Apostel Paulus spricht von Leuten, die immer lernen und doch nie zur Erkenntniß der Wahrheit kommen (2. Tim. 3). Wozu dient dem Gamaliel all seine tiefe, mannigfache Weisheit und Erfahrung, wenn sie ihn nicht zu einem Entschluß bringt, das Eine, was gewiß ist, mit Entschiedenheit auch endlich zu ergreifen und dabei zu bleiben? Was hilft das Warten, wo man die Seligkeit Gefahr läuft zu verwarten? Was nützt die Unparteilichkeit, die immer offen bleiben will nach beiden Seiten, wenn unterdeß der eine Theil von einem Siege zum andern vorwärts schreitet, und läßt den kühlen Beobachter dahinten, bis er mit Beschämung sich getäuscht sieht um die höchsten Güter, und weil er hat mit keiner Seite brechen wollen, beiden unwerth geworden ist? Aber so stellt sich zu der wichtigsten und höchsten Frage des Lebens leider häufig gerade der beste Theil der Welt, zu dem Gamaliel gerechnet werden muß ohne allen Zweifel. Gott will, daß man Partei ergreife da, wo Er auf der Einen Seite steht und auf der andern Seine Widersacher, und wessen Klugheit zwischen Ihm und Seinen Gegnern die Wahl sich offen halten will, bis es zu spät ist, den hat sie betrogen. Begreiflich wird ein solcher auch nicht wagen für seine Sache etwas einzusetzen; denn er hat im Grunde nichts zu der seinigen gemacht. Er wird bestimmt von beiden Theilen; er bringt es zu nichts als halben Maßregeln, halben Schritten, die doch ganzen gleich kommen in der verderblichen Wirkung, welche sie für seinen Seelenzustand haben. Denn wo die sittliche Kraft fehlt, die auch bereit ist für das erkannte Recht und Gut zu leiden, weil sie dennoch siegsgewiß ist, da ist die Klugheit eine seile Kunst, ihr Ende wohlverdiente Schmach von allen Seiten.

Geliebte in dem Herren, wollet diesen Spiegel, in dem ich des Gamaliel so viel gepriesenen Rath euch zeigen mußte, nicht verachten. Es ist ein Rath, gut für die Welt, schlecht für den Christen. Uns ziemt es nicht erst auf den Ausgang und Erfolg zu warten, wo Gott vor uns legt Leben oder Tod, Verdammniß oder Seligkeit. Denn der erwartete Erfolg wird uns die Freiheit rauben noch zu wählen; und weil noch heute der Apostel Wort lebendig ist in unsrer Kirche und bezeugt wird, so zögert nicht ihm ganz und völlig beizufallen. Der Ausgang hat überdieß bereits entschieden hundertfältig, wo Recht und Wahrheit ist. Wer heute noch nichts Besseres zu thun weiß, als unparteiisch zuzusehen, wohin sich das Zünglein der Wage Gottes neigen werde, der ist noch weniger zu entschuldigen als jener weltweise, aber nicht zum ewigen Leben weise Mann, und wird mit Schrecken aus seinem Weisheitsdünkel einst aufwachen, wenn es für ihn selbst zu spät ist.

III.

Aber was hat die Klugheit der Gerechten für Gewinn?

Darüber noch ein kurzes Wort zum Schlusse. Die nächste Frucht war, daß die Apostel gestäupt, d. h. mit Ruthen gestrichen, und nach wiederholter schwerer Bedrohung wiederum entlassen wurden, während dem Gamaliel die Genugthuung zu Theil ward, daß sein Wort den ganzen hohen Rath geleitet hatte. Indeß das war noch nicht der Ausgang, der entscheiden konnte. Denn die Apostel gingen fröhlich von des Rathes Angesicht, daß sie würdig gewesen waren um des Namens Jesu willen Schmach zu leiden. Ob eine gleiche innre Freudigkeit und Zuversicht auch den Gamaliel erfüllen konnte, ist mehr als zweifelhaft, es ist geradezu unmöglich. Denn die Begeisterung ist eine sittliche Erregung und unzertrennlich von sittlichen Thaten und sittlicher Kraft. Dergleichen lesen wir von den Jüngern, die nicht aufhörten alle Tage im Tempel und hin und her in den Häusern zu lehren und zu predigen das Evangelium von Jesu Christo, und immer neue Siege der Wahrheit gewannen, immer neue Schaaren selig Besiegter sammelten zu der Gemeinde Christi. Aber Gamaliels Stern erblich. Sein Schüler Paulus ist die einzige Frucht, die nicht er zur Zeitigung gebracht hat, die nur dadurch gewonnen wurde, weil ihn der Herr von seinem ersten Meister abgelöst und in den Weinstock Christum eingesenkt hat, welcher ihn mit Sieg und Ehren schmückte. Und als der Herr saß zum Gerichte über Sein abgefallenes Volk, und die Tage kamen, von denen der Herr geweissagt hatte, daß sie kommen müßten über Jerusalem und Juda, darum daß sie nicht erkannten die Zeit der gnädigen Heimsuchung, welche ihnen Gott gegeben hatte; da konnte Gamaliel nicht vor den Herrn treten und sagen als Sein treuer Knecht: „Siehe hier bin ich und die Kinder, die du mir gegeben hast“ (Jes. 8,18). Die besten seiner Kinder hatten ihn verlassen, und ihr Heil gesucht, so lange es noch Zeit war. Er blieb allein, und nahm ein Ende unter denen, die den Herrn nicht bekannt hatten, zu denen darum auch der Herr Sich nicht bekennen konnte. Er hatte Seinen Lohn dahin am Beifall dieser Welt. Die Gläubigen des Herren konnten ihn beweinen und sein Loos beklagen, aber nicht es ändern; denn er hat selbst dies nicht gewollt, da die Entscheidung noch in seiner Hand lag. Darum, Geliebte, laßt uns nach dem guten Theil und Erbe trachten. Das Urtheil dieser Welt ist nicht das letzte. Es wird ein Anderer die ewig gültige Entscheidung sprechen, der über Gamaliel und seines Gleichen das scharfe Wort geredet hat: „Ihr seid es, die ihr euch selbst rechtfertigt vor den Menschen; aber Gott kennt eure Herzen; denn was hoch ist unter den Menschen, das ist ein Greuel vor Gott“ (Luc. 16,15). Das ist nicht gesagt in Bezug auf den äußern Unterschied der Stellung und des Standes und Berufes hier auf Erden; das ist gesagt über den Dünkel selbstgefälliger Weisheit und Gerechtigkeit und Tugend, die sich nicht demüthigen und beugen will vor dem Kreuz Christi und will nicht vor Ihm zu Schanden werden, damit Er eine bessere Gerechtigkeit und Weisheit dafür schenke. Die Apostel waren im Kerker und in Banden Knechte Gottes, ja Seine lieben Kinder, reich an Gnaden; dagegen ihre Dränger waren auf Thronen und auf Richterstühlen Feinde Gottes und Empörer wider die höchste Majestät im Himmel und auf Erden. Die Apostel konnten sagen: „Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängsten uns nicht; uns ist bange, aber wir verzagen nicht; wir leiden Verfolgung, aber werden nicht verlassen; wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um.“ „Denn wir wissen, daß der den Herrn Jesum hat auferwecket, wird uns auch auferwecken durch Jesum und wird uns darstellen sammt euch,“ „und wie wir jetzt mit Ihm leiden, werden wir auch mit Ihm zur Herrlichkeit erhoben werden“ (2 Cor. 4,8.9.14. Röm. 8,17). Was hatten ihre Widersacher dagegen aufzuweisen als Ingrimm im Herzen, Geringschätzung der Güter, die sie nicht erkannten, und endlich ein Untergehen in Nacht und Todesgrauen ohne Hoffnung. Darum ergreift das Heil, weil es zu finden ist. Nehmet euch nicht vor zu warten, bis der Ausgang euch gewiß macht; ihr könntet zu spät es werden euch zum ewigen Schaden. Nehmet das Zeugnis; an, das Gott gezeuget hat von Seinem Sohne, das Zeugniß, daß uns Gott das ewige Leben gegeben hat, und solches Leben ist in Semem Sohne. Wer Ihn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht (1 Joh. 5,10-12). So laßt das unsre Weisheit sein, daß wir vom Tode uns zum Leben erwecken lassen jetzt, und in freudiger Entschiedenheit das Heil umfassen, das ewig uns erquicken soll. Gott macht die Klugheit dieser Welt zu Schanden. Wer auf Ihn baut einfältig ohne Rückhalt, und Alles setzt in Seinen Dienst, der gewinnt Alles. Amen.

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