Bunyan, John - Pilgerreise – Die Pilgerin - Viertes Kapitel.
Aufbruch zur Weiterreise; neue Belehrungen und Erfahrungen unter dem Geleit eines treuen Führers.
So zogen denn die Pilger ihre Straßen und stimmten an
Da war der zweite Ruheplatz,
Wo wir gehört, geseh'n
Von jenem herrlichgroßen Schatz,
Den Andre nicht versteh'n.
Es gaben Schaufel, Spinn' und Henn',
Die Küchlein mir dabei
Manch' gute Lehr' — o, daß sie denn
Mir auch zum Heile sei!
Der Schlächter, Garten und das Feld,
Rothkehlchen und sein Fang,
Und was der faule Baum enthält,
Gemahn' mich lebenslang!
Zum Wachen treib's mich und Gebet,
Zum Ringen, treu zu sein,
Mein Kreuz zu tragen früh und spät,
Und Gott mich ganz zu weih'n.
In meinem Traume sah ich, wie Muthherz ihnen vorging und sie so zu der Stelle kamen, wo Christ's Last ihm vom Rücken fiel und in ein Grab rollte. 1) Hier nun machten sie einen Halt und priesen Gott. Da fällt mir ein, sagte Christin, was zu uns an der Pforte gesagt ward, nämlich daß wir sollten Vergebung erhalten durch Wort und That. Das Wort das ist die Verheißung, davon weiß ich bereits Etwas; aber was es heißt: Vergebung erlangen durch die That oder in der Art, wie sie erworben worden, das wisset ihr wohl, lieber Herr Muthherz; saget uns daher Etwas davon, wenn's euch gefällig ist.
Muthherz. Vergebung durch die That ist solche, die durch Einen erworben worden für einen Andern, der ihrer bedarf; nicht durch Den, welchem die Vergebung zu Theil wird, sondern in der Art, sagt ein Anderer zu euch, in welcher Ich sie erworben habe. Und so ward denn, um ausführlicher davon zu reden, die Vergebung, welche dir, Barmherzig und diesen Knaben widerfahren, durch einen Andern erworben, nämlich durch Den, der euch durch die Pforte einließ. Er hat sie aber in zweifacher Weise erworben: Er hat alle Gerechtigkeit erfüllet, um euch damit zu bedecken, und Er hat sein Blut vergossen, um euch damit reinzuwaschen.
Christin. Aber, wenn Er seine Gerechtigkeit mit uns theilet, fehlt es Ihm dann nicht selbst daran?
Muthherz. Er hat mehr Gerechtigkeit, als du bedarfst, oder als Er selbst bedarf (denn für sich hat Er keine nöthig. )
Christin. O, sei so gut und mache mir dies klar.
Muthherz. Das will ich von Herzen gern thun. Allein zunächst muß ich vorausschicken, daß Der, von welchem ich jetzt rede, ein Solcher ist, der, seines Gleichen nicht hat. Er hat zwei Naturen in Einer Person, die leicht unterschieden, aber unmöglich geschieden werden können. Jeder dieser beiden Naturen gehört eine Gerechtigkeit und jede Gerechtigkeit Einer Natur wesentlich an: so daß die Natur ebensowenig vertilgt, als ihre Gerechtigkeit ihr kann genommen werden. Dieser zwiefachen Gerechtigkeit sind wir aber nicht also theilhaftig geworden, daß wenn sie zusammen oder irgend eine davon über uns gebracht würde, wir dadurch Gerechtigkeit und Leben hätten. Vielmehr gibt es noch eine andere Gerechtigkeit, welche unser Mittler insofern besitzt, als die zwei Naturen mit einander vereinigt sind. Und dies ist nicht die Gerechtigkeit der Gottheit, wie sie von der Menschheit verschieden ist, noch die Gerechtigkeit der Menschheit, wie sie verschieden ist von der Gottheit, sondern es ist eine Gerechtigkeit, welche in der Vereinigung der beiden Naturen besteht, und welche man eigentlich die Gerechtigkeit nennen kann, welche Ihm wesentlich angehört, weil Er von Gott zur Führung des Mittleramtes verordnet ist, welches Ihm vertrauet ward. So Er nun theilen würde mit seiner ersten Gerechtigkeit, theilete Er mit seiner Gottheit; so Er aber theilen würde mit der andern, theilete Er mit seiner reinen Menschheit, und so Er theilen würde mit der Dritten, so theilete Er mit der Vollkommenheit, welche zum Amte des Mittlers fähig machte. Darum hat Er eine andere Gerechtigkeit erworben, welche bestehet in der Vollbringung des Gehorsams, wie der Wille Gottes solchen geoffenbaret hat, und das ist die Gerechtigkeit, welche Er den bußfertigen Sündern schenket, und wodurch ihre Sünden bedecket werden. Und hierauf gehet das Wort: Gleichwie durch Eines Menschen Ungehorsam viele Sünder geworden sind, also auch durch Eines Gehorsam werden viele Gerechte. 2)
Christin. Sind uns denn aber die andern Gerechtigkeiten zu Nichts nütze?
Muthherz. Allerdings; denn obgleich sie seinen Naturen und seinem Amte wesentlich angehören, und sie einander nicht mitgetheilt werden können: so kommt es hinwiederum durch ihre Vortrefflichkeit, daß die Gerechtigkeit, welche uns gerecht macht, eben hiezu tüchtig ist. Die Gerechtigkeit seiner Gottheit gibt seinem Gehorsam Kraft; die Gerechtigkeit seiner Menschheit gibt seinem Gehorsam Fähigkeit, gerecht zu machen, und die Gerechtigkeit, welche in der Vereinigung der beiden Naturen zur Führung seines Mittleramtes besteht, gibt seiner Gerechtigkeit das Ansehen, um zu vollbringen das Werk, zu welchem Er verordnet war.
Und so finden wir denn hier eine Gerechtigkeit, deren Christus als Gott nicht benöthigt ist, denn Er ist Gott, ohne sie; ferner eine Gerechtigkeit, deren Christus als Mensch selber nicht bedarf, denn er ist ein vollkommener Mensch ohne sie; und endlich eine Gerechtigkeit, die Christus als Gottmensch nicht braucht, und eben deßhalb an Andere hingibt. Darum wird solche auch genannt die Gabe der Gerechtigkeit. 3) Diese Gerechtigkeit war es, die seit Jesus Christus, der Herr, sich unter das Gesetz gethan, mußte dargegeben werden; denn das Gesetz legt dem, welcher unter ihm stehet, nicht bloß die Verbindlichkeit auf, daß er recht thun, sondern auch daß er Liebe übe. 4) In Folge dessen mußte der auch, welcher zwei Kleider hatte, dem eins geben, der keins hatte. 5) Nun hat unser lieber Herr wirklich zwei Kleider: eins für sich selbst und eins zum Austheilen; daher verleiht Er aus freier Gnade denen eins, welche keins haben. Und nun Christin, Barmherzig und Alle, die ihr hier seid — so erlangt ihr Vergebung durch die That oder durch das Werk eines Andern. Euer Herr Christus ist es, der sie wirket, und der das, was Er erworben, jedem armen Bettler, der zu Ihm kommt, austheilet.
Es mußte jedoch hinwiederum, um die Vergebung zu bewirken durch die That, Gott Etwas als Lösegeld dargebracht und uns zugleich Etwas zubereitet werden, womit wir völlig bedecket würden. Die Sünde hat uns dem gerechten Fluche des göttlichen Gesetzes überliefert. Nun müssen wir von diesem Fluche durch den Weg der Erlösung frei werden, indem ein Lösegeld bezahlt wird für den Schaden, den wir durch unsere Sünden angerichtet, und das ist geschehen durch das Blut unseres Herrn, der an eurer Statt eingetreten ist und den Tod erduldet hat um eurer Übertretungen willen. So hat Er euch erkauft mit seinem Blut und eure befleckten Seelen bedecket mit seiner Gerechtigkeit;6) um des, seinetwillen geht Gott gnädig an euch vorüber7) und will euch nicht verderben, wenn Er kommt die Welt zu richten.
Christin. Das ist vortrefflich! Nun sehe ich, daß daran Etwas zu lernen war, wie wir Vergebung haben durch Wort und That. Theure Barmherzig, laß uns trachten darnach, daß wir dies in unsern Herzen behalten, und auch ihr, lieben Kinder, vergesset es nie! Aber, lieber Herr, war es nicht gerade das, was es machte, daß meinem lieben Christ die Last von den Schultern fiel und wodurch er dreimal vor Freuden in die Höhe sprang?
Muthherz. Ja, es war der Glaube, welcher die Bande entzweischnitt, die auf keine andere Art zerschnitten werden konnten, und er empfing dadurch einen Beweis von der Kraft dieser Vergebung, daß er seine Last tragen mußte zum Kreuze.
Christin. Das dachte ich mir wohl, denn obgleich in meinem Herzen zuvor Licht und Freude war, so ist Solches doch jetzt zehnmal mehr der Fall. Und ich bin gewiß, nachdem was ich erfahren — und doch habe ich erst nur wenig erfahren — daß wenn ein Mann, auf dem die größte Last in der Welt läge, hier wäre, und sähe und glaubte, wie ich jetzt, es sein Herz froh und glücklich machen würde.
Christin. Es wird uns nicht allein Trost und Erleichterung von unserer Last dadurch, daß wir dies ansehen und betrachten, gegeben, sondern auch eine herzliche Liebe in uns erzeuget. Denn wer, der nur einmal bedenkt, daß die Vergebung nicht blos durch die Verheißung, sondern auch durch wiche That ihm bewirkt wird — sollte nicht Liebe haben zu Dem, welcher solche für ihn vollbracht hat?
Christin. Wahrlich, es ist als blute mir das Herz, wenn ich daran denke, daß Er für mich geblutet hat. O, du Gnadenreicher! o, du Gebenedeiter! Dir gebührt es, mich zu eigen zu haben, denn Du hast mich erkauft. Dir gebührt es, mich ganz zu besitzen, denn Du hast für mich zehntausendmal mehr bezahlt, als ich werth bin! Kein Wunder, daß darüber Thränen standen in meines Mannes Augen und es dadurch kam, daß er seinen schweren Weg so rasch verfolgte. Ich bin gewiß, er wünschte mich bei sich zu haben; aber ich, elende Nichtswürdige, ließ ihn allein ziehen! O, Barmherzig, daß dein Vater und deine Mutter doch auch hier wären! ja, und ebenso Frau Furchtsam! Ja, ich wünschte von ganzem Herzen Frau Wollust jetzt gleichfalls dabei! Gewiß, gewiß, auch ihre Herzen wurden ergriffen werden. Es würden weder die Furcht der Einen, noch die Lüste der Andern sie bewegen, nach Hause zurück zu gehen und keine guten Pilger werden zu wollen.
Muthherz. Du redest jetzt im Feuer deiner Empfindungen. Was meinst du, sollte es wohl immer so bleiben? »Zudem wird dies nicht Allen zu Theil, auch nicht Allen, die deinen Jesus bluten sehen. Es standen ja Manche dabei und sahen das Blut aus seinem Herzen auf die Erde fließen, und waren dennoch so ferne davon, daß sie, statt ihre Wehklagen zu erheben, Ihn verlachten, und statt seine Jünger zu werden, ihre Herzen wider Ihn verhärteten. Alles, was ihr in euch erfahren, meine Töchter, rührt her von einem besondern Eindruck, den die göttliche Gnade durch die Erwägung dessen auf euch gemacht, worüber ich zu euch geredet habe. Erinnert euch daran, wie zu euch gesagt worden, daß die Henne bei ihrem gemeinen Ruf ihren Küchlein kein Futter gebe. Was ihr habt, das habt ihr daher durch eine Erweisung besonderer Gnade.
Nun sah ich in meinem Traume, daß sie weiter gingen bis zu der Stelle, wo Tropf, Träge und Dünkel lagen und schliefen,8) als Christ auf seiner Pilgerreise war. Und siehe, nun waren sie an Eisen aufgehängt, ein wenig seitwärts vom Wege.
Da fragte Barmherzig ihren Führer: wer sind diese drei? und warum sind sie gehängt worden?
Muthherz. Es waren dies schlechte Menschen; sie selber wollten keine Pilger werden und Andere hinderten sie daran, so sehr sie's vermochten. Selbst waren sie träge und thöricht, und wen sie nur dazu bringen konnten, den machten sie ebenso, und zu dem Allem suchten sie Jedem die Anmaßung beizubringen, daß es ihm am Ende wohl ergehen werde. Sie waren im Schlafe, als Christ vorbei ging, und nun ihr vorübergehet, hängen sie da.
Barmh. Aber konnten sie denn Jemanden finden, der ihrem Wahn beipflichtete.
Muthherz. Ja, sie haben Mehrere vom rechten Wege abgebracht. Da war ein gewisser Faulnuß, den sie zu sich hinüberzogen. Auch brachten sie einen Kurzathem, einen Unbeherzt, so wie einen Lüstler und Schlafkopf nebst einem jungen Weibe, Namens Stumpfsinnig, vom Wege ab, daß sie waren wie sie. Außerdem brachten sie ein übles Gerücht auf von euerm Herrn, indem sie den Leuten einredeten, daß er ein harter Zuchtmeister sei. Gleicherweise sprengten sie ein böses Gerücht über das gelobte Land aus, da sie behaupteten, es wäre nicht halb so gut, wie man vorgäbe, und eben so fingen sie an, seine Diener zu schmähen und hießen die besten von ihnen naseweise Menschen und unruhige Köpfe, die sich in fremde Dinge einmischten. Ferner nannten sie das Brot Gottes leere Hülsen, den Trost seiner Kinder leere Einbildungen und die Reise und Mühseligkeiten der Pilger unnützes Zeug.
Christin. Nun, wenn es solche Leute waren, werde ich sie niemals bedauern. Sie haben dann nur empfangen, was sie werth sind. Auch halte ich's für gut, daß sie so nahe an der Landstraße hangen, daß sie nämlich von Andern gesehen und diese dadurch möchten gewarnt werden. Allein würde es nicht gut gewesen sein, wenn ihre Verbrechen auf eine eherne Tafel eingegraben und hier, wo sie ihre Missethaten begingen, andern schlechten Menschen zur Warnung wären hingestellt worden.
Muthherz. Das ist bereits geschehen, wie du sehen kannst, wenn du nur ein wenig näher zu der Mauer hingehen willst.
Barmh. Nein! Nein! laß sie hängen und ihre Namen vergehen und ihre Verbrechen ewig gegen sie zeugen. Ich achte es für eine große Gnade, daß sie aufgehängt worden, ehe wir hierher gekommen sind. Wer weiß es, was sie so armen Frauen, wie wir sind, sonst angethan hätten? Darauf wandelte sie ihre Worte in ein Lied und sang:
Nun denn, ihr Drei, hängt hier als Schreckenszeichen
Für alle, die im Wahrheitshaß Euch gleichen.
Es möge fürchten sich, wie Ihr zu enden,
Der Pilger wagt vom Wege abzuwenden!
Und du, o Seele, hüte dich vor Allen,
Die von der Wahrheit Heiligthum gefallen!
Hierauf gingen sie weiter, bis sie an den Fuß des Hügels Beschwerde kamen, wo der treue Muthherz abermals die Gelegenheit ergriff, ihnen zu erzählen, was sich hier zugetragen, als Christ die Straße gekommen war. Zuerst führte er sie zu der Quelle. Sehet, sprach er, das ist die Quelle, aus der Christ trank, ehe er diesen Hügel hinaufging. 9) Damals war sie klar und gut, aber jetzt ist sie unrein gemacht durch die Füße derer, die nicht wollen, daß die Pilger hier ihren Durst löschen. 10)
Hierauf sagte Barmherzig: warum sind sie denn so neidisch? Nun, sagte der Führer, es wird schon gehen, wenn man es vorher in ein sauberes, gutes Gefäß thut; der Schmutz wird dann auf den Boden sinken, und das Wasser von selbst um so klarer hervorkommen. So geschah es denn von Christin und ihren Begleitern: sie schöpften das Wasser in einen irdenen Topf und ließen es stille stehen, bis der Schmutz sich auf den Boden gesenkt hatte, darauf tranken sie es.
Hiernach zeigte er ihnen die beiden Nebenwege, die am Fuße des Hügels waren, wo Formhohl und Heuchler sich verloren; dies sind gefährliche Wege, sprach er, zwei Menschen gingen hier zu Grunde, als Christ vorbeizog; und obgleich diese Wege, wie ihr sehet, jetzt mit Ketten, Pfählen und einem Graben abgesperrt sind, so giebt es doch noch Leute, die sich lieber selbst hier auf's Spiel setzen, als den beschwerlichen Weg über den Hügel einschlagen.
Christ. Der Weg der Verächter bringt Wehe,11) und es nimmt mich Wunder, wie sie sich auf diese Wege begeben, ohne den Hals zu brechen.
Muthh. Und dennoch wagen sie es. Ja, wenn sie gerade einmal von des Königs Dienern Einer sieht, und ihnen zuruft, daß sie auf dem unrechten Wege seien, und sie bittet, sich vor der Gefahr zu hüten: so erwidern sie spöttischerweise: Nach dem Worte, das du im Namen des Herrn uns sagest, wollen wir nicht gehorchen, sondern wir wollen thun nach allem dem Wort, das aus unserm Munde gehet. 12) Und wenn ihr nun noch ein wenig genauer zusehen wollt, werdet ihr finden, daß diese Wege nicht nur mit Pfosten, Graben und Ketten zur Vorsicht abgesperrt, sondern daß sie noch dazu völlig eingehegt sind — und nichts desto weniger erwählen sie dieselben.
Christ. Es sind träge Menschen; sie wollen sich nicht gern Mühe geben; bergauf zu gehen, ist ihnen unangenehm. So wird an ihnen erfüllt, was geschrieben steht: Der Weg des Faulen ist dornig. 13) Ja, sie gehen lieber in eine Schlinge, als daß sie diesen Hügel hinaufsteigen und den übrigen Weg zur himmlischen Stadt wandeln.
Sie gingen nun vorwärts und begannen den Hügel zu ersteigen, aber ehe sie noch oben waren, fing Christin an zu keuchen und sprach: ich kann sagen, das ist ein Hügel, wo Einem der Athem ausgeht; kein Wunder, wenn die, welche ihre Bequemlichkeit mehr lieben, als das Heil ihrer Seelen, sich einen bequemern Weg aussuchen. Darauf sprach Barmherzig: Ich muß mich hinsetzen — auch fing das kleinste von den Kindern an zu schreien. Kommt, kommt! sagte Muthherz, setzet euch hier nicht hin; denn etwas weiter oben finden wir die Laube des Fürsten. Hierauf faßte er den kleinen Knaben bei der Hand und führte ihn mit sich hinan.
Als sie zu der Laube gelangt waren, da war es ihnen Allen sehr angenehm, daß sie sich hinsetzen konnten, denn die Hitze hatte sie ganz erschöpft. Nun sprach Barmherzig: Wie ist den Mühseligen die Ruhe so erquickend, und wie gütig ist der Fürst gegen die Pilger, daß er ihnen solche Ruheplätze bereitet hat! O, von dieser Laube habe ich viel gehört, aber ich habe sie früher nie gesehen. Lasset uns aber hier uns hüten vor dem Einschlafen, denn das ist, wie ich vernommen, dem armen Christ theuer zu stehen gekommen. 14)
Darauf sagte Muthherz zu den Kleinen: Wie geht es euch, liebe Knaben? Was meint ihr nun davon, daß ihr euch auf die Pilgerreise begeben habt? Herr, antwortete der Jüngste, ich war beinahe hinter Athem, aber ich danke euch, daß ihr mir in meiner Noth die Hand gegeben habt. Und nun erinnere ich mich, was mir meine Mutter gesagt hat, nämlich, daß der Weg zum Himmel so steil wie eine Leiter sei und der Weg zur Hölle bergunter gehe. Ich will aber lieber die Leiter hinauf zum Leben, als bergab zum Tode gehen.
Da sagte Barmherzig: aber das Sprüchwort sagt: Es ist leicht bergunter gehen. Indessen sagte Jakob — so hieß nämlich der Knabe — der Tag wird kommen, wie ich glaube, wo bergunter das Schwerste unter Allem sein wird. 15) Du bist ein guter Knabe, sagte der Führer, du hast ihr eine richtige Antwort gegeben. Da lächelte Barmherzig, der Knabe aber erröthete.
Kommt, sprach Christin, wollt ihr einen Bissen nehmen, um euch ein wenig zu erfrischen, während ihr hier ausruhet? Ich habe hier ein Stück Granatapfel, welches mir der Ausleger in die Hand gab, wie ich aus der Pforte trat; er gab mir auch ein Stück von einer Honigscheibe und einen kleinen Labetrunk in dieser Flasche.
Ich dachte wohl, daß er dir Etwas gäbe, sagte Barmherzig, weil er dich bei Seite rief.
Ja, das that er, sagte die Andere. Allein, wie ich dir gleich anfangs gesagt habe, so soll es auch sein: du sollst alles Gute, was ich habe, mit mir theilen, weil du so bereitwillig meine Gefährtin worden bist. Und so gab sie ihnen denn und sie aßen, sowohl Barmherzig wie auch die Knaben.
Nun, sprach Christin zu Muthherz, wollt ihr nicht gemeinschaftliche Sache mit uns machen? Er aber antwortete: ihr geht auf Reise, und ich werde sogleich zurückkehren. Möge es euch wohl bekommen! Ich genieße täglich davon.