Brenz, Johannes - Auslegung des Vaterunser - Die erste Bitte
Dein Name werde geheiligt.
Bevor wir die einzelnen Bitten durchnehmen, ist zu beachten, dass diese sieben Bitten von zweifacher Art sind: die eine, wodurch wir das erbitten, was Gottes Ehre und Majestät verherrlicht. Ihrer sind drei, wovon jede uns so vorzutragen aufgegeben wird, dass, soviel wir bitten, Gottes Ehre und Majestät möge verherrlicht werden, wir eben so viel um Verdunklung und Vertilgung unseres Namens und unserer Ehre bitten. Denn der Sohn Gottes heißt uns also reden: Dein Name werde geheiligt, nicht der unsrige; dein Reich komme, nicht das unsrige; dein Wille geschehe, nicht der unsrige. Die zweite Art ist die, wodurch wir das erbitten, was sowohl zu unserem leiblichen, als zu unserem geistlichen und ewigen Heile notwendig ist. Man darf auch die Ordnung dieser Arten nicht nachlässig betrachten. Die erstere nämlich ist die, welche Gottes Ehre betrifft, und die letztere die, welche unser Heil betrifft, damit wir wissen, dass der Ehre des Namens Gottes immer der Vorrang gebühre. Es folgt nun die erste Bitte, darin man vor Allem beachten muss, dass wir nicht bitten, Gottes Name möge an sich selber geheiligt werden. Denn was hieße das anders, als zu verstehen geben, der Name Gottes sei unrein und unheilig, und bedürfe zu seiner Heiligung unseres Gebetes? Welch' eine Unverschämtheit wäre das unsererseits, also vom Namen Gottes zu denken! Denn Gottes Name ist an sich selbst heilig und herrlich von Ewigkeit her, und bedarf keiner fremden Hilfe, um geheiligt zu werden; sondern wir bitten, dass Gottes Name unter uns öffentlich, und in uns insbesondere geheiligt werde. Der Name Gottes ist also Gott selbst, und der Ruhm, die Verherrlichung, die Verkündigung oder Ehre Gottes. Geheiligt werden heißt aber: heilig gehalten, als göttlich anerkannt, geehrt und gerühmt werden. Dass also Gottes Name geheiligt werde, heißt: dass Gott als Gott anerkannt und durch Verkündigung, durch Anrufung und Verherrlichung geehrt und gepriesen werde. Und das pflegt sowohl öffentlich als insonderheit zu geschehen, und soll geschehen, nämlich in den kirchlichen Versammlungen, im Staate, im Haushalt, persönlich in eines Jeglichen Herzen, Leben und Werken.
Erstens aber bitten wir in diesem Teil vom Gebete des Herrn, dass Gottes Wort in der Kirche rein und lauter verkündigt werde, dass Gott fromme Diener der Kirche gebe, welche das Gesetz und das Evangelium Gottes, des Vaters unseres Herrn Jesu Christi, recht lehren und auslegen.
Wir bitten auch, dass Gott sowohl die fromme Lehre seines Wortes, als auch Alles, was zur Auslegung desselben beiträgt, als da sind Schulen, gute Künste, Erlernung von Sprachen und Anderes der Art, erhalte und schütze. Wir bitten desgleichen, Gott wolle ausrotten alle gottlose Lehre, alle Ketzerei, alle Abgötterei, alle götzendienerische und gottlose Gottesdienste und alle Zauberei; denn das Alles gehört zur Heiligung des Namens Gottes und zu seiner Ehre. Hier siehe nun zu, wie übel diejenigen handeln, welche zwar das Gebet des Herrn mit äußerlichen Worten herzusagen pflegen, indessen die Gottesdienste versäumen, Gottes Wort verachten, das Evangelium Christi verabscheuen, und sich nicht schämen, sowohl den Dienst, als die Diener des Evangeliums mit Lästerungen herunterzureißen. Das heißt: mit Worten gut beten, mit Werken aber schmähen und, wie man sagt, mit einer Hand Brot, mit der anderen einen Stein bieten.
Wir bitten zweitens, Gott wolle fromme bürgerliche Obrigkeit verleihen, die da Sorge trage, dass das Wort Gottes recht verkündigt werde, dass gottlose Lehre und gottlose Gottesdienste ausgerottet, dass die Lästerung wider Gott und der Missbrauch des Namens Gottes bei Schwüren und Fluchen durch gesetzliche Strafe verhindert; dass also gute Werke geehrt und die Frevel bestraft werden. Denn das Alles ist Heiligung und Ehre des Namens Gottes.
Wir bitten drittens, Gott wolle im Haushalte durch seinen Heiligen Geist die Familienväter erwecken, auf dass sie ihre Familie in der wahren Erkenntnis Gottes unterweisen, und dafür sorgen, dass von der Familie Nichts begangen werde, das da mit dem Worte Gottes streitet, sondern sie gewöhnen, Gottes Wort fleißig zu hören und das zu tun, was durch Gottes Wort geboten wird; denn das ist Ehre und Heiligung des Namens Gottes.
Wir bitten viertens, Gott wolle unsre Sinne durch seine wahre Erkenntnis und Glauben erleuchten und unsere Herzen entzünden, damit wir ihn entweder in der Not anrufen oder im Glücke lobpreisen. Wir bitten auch, Gott wolle durch seinen Heiligen Geist unsere Zunge lenken, dass wir nicht seinen Namen zu Flüchen und Schwüren missbrauchen. Wir bitten auch, Gott wolle all' unsere Handlungen regieren, dass wir kein ruchloses, sondern ein frommes, ehrbares Leben führen. Sie sollen (spricht Jesus) eure guten Werke sehen und euren Vater im Himmel preisen; denn wer das Gebet des Herrn hersagt, und zumal diesen Teil von der Heiligung des Namens Gottes, und dabei ein schändliches Leben führt, liegt der nicht mit sich selbst im Streite und spottet Gottes?
Endlich, wenn wir bitten, dass Gottes Name geheiligt werde, so müssen wir wissen, dass wir eben damit bekennen, unser Name sei unrein und unheilig, und deshalb bitten, dass durch Vernichtung und Vertilgung der Ehre unseres Namens allein Gottes Name geheiligt und verherrlicht werde. Denn weil wir in Sünden empfangen und geboren sind, streitet unser Name mit dem Namen Gottes, dass, so viel die Ehre unseres Namens zunimmt, so viel die Ehre des Namens Gottes abnimmt. Deswegen muss vor Gott unser Name so verworfen werden, dass allein die Ehre des Namens Gottes wächst. So bittet Psalm 115,1: „Nicht uns, Herr, nicht uns, sondern deinem Namen gib Ehre!“ Und Dan. 9,8.9: „Ja, Herr! wir, unsere Könige, unsere Fürsten und unsere Väter müssen uns schämen, dass wir uns an dir versündigt haben; dein aber, Herr, unser Gott, ist die Barmherzigkeit und Vergebung.“
Da siehst du nun, wie weit diese erste Bitte sich erstreckt; denn sobald du deinen Mund zum Beten auftust und sprichst: Dein Name werde geheiligt! - trittst du ein mit deinem Gebete in die Kirche, in die Staaten und Reiche, in die Häuser deiner Nachbarn, in dein eigenes Herz, Gemüt, Mund, Hände und Werke, und bittest, nach Vernichtung der Unheiligkeit unseres Namens möge Alles heilig, himmlisch und göttlich sein, auf dass Gott gepriesen und geehrt werde. Die Heuchler meinen, die Gottseligkeit eines Gebetes liege im Plappern, und urteilen, derjenige bete gottselig, der da vielmals das Gebet des Herrn hersage und wiederhole. Allein du ersiehst aus der Auslegung dieser ersten Bitte, welche Aufgabe es ist, auch nur einen kleinen Teil vom Gebete des Herrn recht und fromm zu sprechen.
Die Kirchengeschichte berichtet, dass irgend ein frommer Schüler einen gelehrten Mann gebeten habe, ihm etliche Psalmen auszulegen, und es gefiel ihnen, Psalm 39,2: „Ich habe mir vorgesetzt, ich will mich hüten, dass ich nicht sündige mit meiner Zunge“, vorzunehmen und auszulegen. Als nun der Lehrer seinem Schüler diesen ersten Vers des Psalms erklärt hatte, da bewog ihn der Schüler, die Auslegung des Übrigen auf eine andere Zeit zu verschieben; er wolle inzwischen den Sinn dieses Verses erwägen. Da der Schüler jedoch nach vielen Wochen nicht wiederkam, wunderte sich sein Lehrer und fragte, weshalb er in so langer Zeit nicht wiedergekommen wäre, um das Übrige im Psalm verstehen zu lernen? Jener antwortete: „Sei zufrieden, mein Lehrer, mit diesem meinem Zögern; denn wie sollte ich zur Erlernung des Übrigen fortschreiten, da ich diesen ersten Vers noch nicht so gelernt habe, dass ich ihn durch die Tat erfülle?“
Dürften wir nicht dasselbe über diese erste Bitte im Gebete des Herrn sagen? Mit welcher Stirn wollten wir fortschreiten zu den übrigen Bitten, so wir diese erste nicht hinlänglich erwogen hätten? Das ist aber nicht so gemeint, dass wir im Gebete des Herrn gar nicht fortschreiten, sondern uns mahnen lassen, nicht schlaff und gleichsam anders beschäftigt das Gebet des Herrn in seinen [einzelnen] Teilen durchzunehmen. Denn es bedarf großer Aufmerksamkeit, um den Glauben zu erwecken und, was wir erbitten, zu erlangen.