Beecher, Henry Ward - Die Frucht des Geistes
Text: Gal. 5,22.23.
“Aber die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit: wider solche. [oder für solche) ist kein Gesetz.“
Paulus stand sein Leben lang im Kampf gegen das, was wir heut zu Tage den Formalismus des Hochkirchentums nennen. Ich will den Ausdruck Hochkirchentum nicht in einem verletzenden Sinn gebrauchen, sondern nur, weil er besser als andere die Wertschätzung bezeichnet, die man dem Werkzeug zollt, anstatt der Sache, die durch das Werkzeug bewirkt werden soll, - die man für die Einrichtung, die Veranstaltung hegt, statt für den Endzweck, dem die Institution dienen soll. Dieser Geist, der sich im Hochkirchentum auf religiösem Gebiet zeigt, offenbart sich auch auf anderen Gebieten. In Bezug auf den Handelsverkehr zeigt sich dieser Geist in der Hochhaltung des Kapitals und der äußeren Bildung, bei gleichzeitigem Übersehen derjenigen Elemente von wahrer Bildung und Tugend, die durch den Geldbesitz hervorgerufen oder gefördert werden sollen und können. Im gesellschaftlichen Leben hat der Geist, den wir den Geist des Hochkirchentums nennen wollen, mehr Sinn für Etikette, für konventionelle Formen und Gebräuche, als für diejenigen Gaben des Geistes, welche jene Formen verbreiten und einflößen sollen. In der Religion selbst ist er mehr auf das Dogma als auf den Geist des Lebens gerichtet, den die dogmatischen Lehren hervorzurufen und darzustellen bestimmt sind. Er interessiert sich mehr für die kirchlichen Einrichtungen als für die Menschen, um derentwillen diese kirchlichen Einrichtungen da sind. So geht durch alle Gebiete des Lebens eine Neigung, sich mehr dem Äußeren, Sinnlichen, Physischen, statt dem Innerlichen und Geistigen zuzuwenden.
Dagegen nun kämpfte Paulus an, so lange er lebte. Er ließ das Äußere gelten, wie jeder vernünftige Mensch es tun muss; er arbeitete mit den gewöhnlichen, natürlichen Mitteln; aber er behielt während seines ganzen Berufslebens höhere Ziele im Auge, als wie sie jenem formalistischen Geiste des Hochkirchentums vorschweben. Er stritt, wie gesagt, dagegen, aber nicht in der Art, dass er diesen Geist als eine Art Götzendienst bekämpfte, was er ja wirklich ist, sondern er tat es lieber so, dass er diejenigen Eigenschaften betonte, welche allen Gottesdienst und alle religiösen Einrichtungen hervorrufen sollen. So entwickelte und überlieferte er in seinen Schriften der Welt einen größeren Reichtum hoher sittlicher Begriffe, als je zuvor unter den Menschen vorhanden gewesen war. Was die Evangelisten im Sinn haben, würde, glaube ich, der Welt nie zum vollen Bewusstsein gekommen sein, wenn es nicht in den Briefen des Apostel Paulus entwickelt und ausgesprochen worden wäre. Skeptische Kritiker haben gesagt, es würde kein Christentum geben, wenn Paulus nicht gewesen wäre - das heißt so viel, als es würde keine Blume geben, wenn nicht Regen wäre, der die Keime schwellen lässt. Das ist freilich wahr. Paulus war das Werkzeug, durch welches das, was uns in den Evangelien gegeben ist, entwickelt wurde. Was Christus gepflanzt hat, blühte auf unter der Pflege seines größten Apostels. Diesem letzteren kommt es überall auf einen Hauptpunkt an. Stets kommt er schließlich auf die Hauptsache und diese ist für ihn der göttlich freie Mensch; der voll entwickelte sittliche Charakter; Jesus als das Urbild; der Geist Gottes als die Quelle der Eingebung und Hilfe von oben. Der Apostel drückt dies vielfach anders aus, denn die Ausdrucksweise und Darstellung wechselt je nach der Bildungsform der Zeit, aber für uns sind diese Ausdrücke verständlich. Seine Ermahnungen zielen stets auf die edelsten menschlichen Charaktereigenschaften; auf ihre Inspiration durch den heiligen Geist; auf ihre Entwicklung und Ausbildung zur höchsten Stufe der Kraft, durch welche sie die Herrschaft über Alles andere gewinnen sollen. Es ist die Vollkommenheit des Menschen, auf die er stets und überall hinarbeitet. „Ihr sollt vollkommen sein; ihr sollt dargestellt werden ohne Flecken und Runzel; ihr sollt wachsen zum vollkommenen Menschen in Christo Jesu; ihr sollt Behausungen Gottes im Geist werden; ihr sollt Frucht bringen, und zwar die beste Frucht. Ein Ideal lebt in dem allen, das Ideal der menschlichen Vollkommenheit.
Von dem „Geist“ redet unser Text. „Die Frucht des Geistes,“ heißt es hier. Das ist die göttliche Wirkung, welche die ganze Schöpfung füllt, die ihr Leben ist, und welche Leben schafft in allem, was ihr gemäß ist. Sie ist die Lebenswärme, wenn ich so sagen darf, die das Universum durchströmt. Sie ist die göttliche Sommerglut, die über den Menschenseelen brütet, und Früchte in ihnen zeitigt. Dass wir sie nicht begreifen, nicht definieren, nicht beschreiben können, das ist ihre Herrlichkeit. Was unser Geist fassen und umspannen kann, das kann stets nur ein beschränktes Wesen sein. Was wäre das für ein Mensch, den eine Fliege begreifen könnte? Und was wäre das für ein Gott, den ein Mensch zu fassen vermöchte? Das Wesen Gottes ist so unendlich, dass er auch dem reichsten und aufs Höchste entwickelten Menschengeist fern und unerklärlich bleibt. Er bleibt für den geschaffenen Geist ein Geheimnis, ein Rätsel.
Um dieser Unerforschlichkeit des göttlichen Wesens willen kann ich von dem Geist Gottes wohl in der Sprache der Poesie reden, aber nicht in der des reinen Gedankens, einfach deshalb, weil das reine Denken nicht bis zu ihm heranreicht. Er ist die große Lebenskraft, die Raum und Zeit durchwallt, und die Quelle alles Lebens für die Menschen. Diese göttliche, Leben schaffende Wirkung ist es, die in der Seele Frucht bringt.
Die Frucht aber ist, wenn wir an den Garten oder den Weinberg denken, die vollkommenste Entwicklungsform, zu welcher ein Baum oder eine Pflanze gelangen kann. Die Frucht ist das, worauf der ganze Organismus von Wurzeln und Stamm und Blättern hinstrebt. Alles übrige arbeitet für sie und wartet auf sie. Die Frucht ist das schließliche Resultat, die Vollendung. Der Baum kann keinen Schritt über die Frucht hinaus kommen. Er kann stille stehen und zurückgehen und wieder von Neuem anfangen, aber über diese Grenze hinaus kommt er nicht; wenn er sie erreicht hat, hat er seine Vollendung. Die Frucht ist das Maß dessen, was dem Baum möglich ist.
Wenn wir nun vom Menschen als einem Baum oder Weinstock sprechen, und von der Frucht dieses Baumes oder Weinstockes, so müssen wir an jene göttliche Sommerglut denken, die den Menschen berührt und ihn fruchtbar macht, und die höchsten Resultate von ihm erzielt, deren er fähig ist. Wenn der Mensch zu dem kommt, was die Schrift „die Frucht des Geistes“ nennt, so erreicht er sein volles Entwicklungsstadium, das er in dieser Zeitlichkeit erreichen kann. Wenn von der Frucht des Geistes die Rede ist, so ist das Schönste, Edelste, Höchste gemeint, was er hervorbringen kann unter Einwirkung des göttlichen Geistes. Es ist das Endresultat, welches durch alle die Kräfte des Guten, die in ihm wirken, hervorgerufen werden kann. Seine Natur findet darin ihr Ziel.
Darum ist es eine sehr wichtige Sache, zu wissen, welches diese Frucht ist, welches dies Ideal, dieses vollkommene Wesen, dieses Resultat ist, zu welchem der Mensch allein durch die Einwirkung Gottes gelangen kann. Was ist das, wonach wir zu schauen haben, wenn der Sommer der göttlichen Nähe seine vollen Resultate hervorgebracht hat?
„Die Frucht des Geistes ist Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Keuschheit: wider solche ist das Gesetz nicht.“
Das heißt, manche Menschen befinden sich bereits auf einer Stufe, auf welcher sie im Stande sind mehr zu tun, als irgend ein Gesetz von ihnen fordern kann. Es reicht kein Gesetz mehr an sie heran. Die allgemeinen Gebote, durch welche die Menschen das moralische Verhalten regeln, reichen nicht bis zu der Höhe, auf welcher diese bereits leben. Sie tun das, was das Gesetz fordert, aber besser und edler, und aus unaussprechlich viel höheren Bewegründen, als das Gesetz verlangt. Für solche gibt es deshalb kein Gesetz.
Hierin liegt das Ideal des vollkommen sittlichen Charakters. Er muss diese Kennzeichen haben und diese Eigenschaften an sich tragen. Es mag jemand noch so glänzende Eigenschaften haben; er mag ein Dichter sein wie Shakespeare, er mag malen wie Rafael, er mag ein Bildhauer sein wie Michelangelo oder ein Baumeister wie Bramante, oder ein Kolorist wie Titian; er mag den ganzen Erdball sich unterworfen haben durch physische Kräfte; - alles dieses macht ihn noch nicht zum vollkommenen Menschen. Es mag jemand Gedanken denken, die so weit wie das Sternenlicht dringen; oder mit allen Menschen- und Engelzungen reden können, und alle denkbaren Geistesgaben besitzen - alles dies macht ihn noch nicht zum wahren Menschen. Das was den wahren Menschen ausmacht, ist nicht die Fähigkeit, die physischen Stoffe zu beherrschen. Es ist nicht die Kraft, die Dinge zu durchforschen und zu verwenden, die aus den irdischen Stoffen gebildet sind. Es ist keine von den niederen Kräften, nicht einmal die Kraft des bloßen Denkens, keine von diesen Dingen macht das Wesen des wahren Menschen aus. Es ist die Frucht des Geistes, für welche der Mensch den Stamm bildet, auf welchem sie erwachsen und aus welchem sie sich entwickeln soll.
Die Frucht des Geistes ist Liebe - allumfassende, dauernde Liebe, Liebe, die bis zu der Höhe hinaufsteigt, wo Gott thront, Liebe die sich herablässt bis zur tiefsten Tiefe der Erde. Liebe ist die erstgeborene Frucht des Geistes.
Und die folgende ist Freude. In dieser wirrnisvollen, kummerreichen Welt, die so voll ist von Kampf und Schmerz, voll Irrsal und Missgriffen, so voll erstaunlicher Quellen von Elend, so voll ausgesuchter Leiden, ist die Frucht des Geistes zuerst Liebe, dann Freude. Aus dem, woraus soviel Klage, soviel Jammer und Weh entspringt, soll nach dem ewigen Rat Gottes die süße Stimme der Freude kommen, und heller klingen als Silberton. Der Mensch ist dazu bestimmt, eine Orgel zu sein, die in himmlischen Weisen ertönt. Er soll ein leuchtender Kreis himmlischen Lichtes werden, der auf alles ringsum seine Strahlen ergießt. Er soll ein Mittelpunkt von Liebe werden, dessen Kennzeichen Liebe ist, der Liebe überall hinbringt, wohin er kommt, der daran allezeit erkannt wird. Gott will, dass wir erkannt werden, nicht sowohl an unserer Intelligenz oder an irgend einer Kunstfertigkeit, als vielmehr an der Liebe, an der schöpferischen Güte. Und rings um die Liebe sollen jubelnde Festglocken läuten, die Hymnen der Freude. Liebe soll wohnen auf Erden, und deshalb Freude. Draußen auf den Feldern ist alles Harmonie, in den Wäldern ist ein großer Einklang, alle Misstöne lösen sich in diesem großen Einklang der Natur auf, Wald und Feld ist eine einzige große herrliche Orgel, die unter der Hand des Meisters erklingt. Es ist Musik in den Lüften, Musik auf dem Erdboden. Das Universum, und alles was darinnen ist, ist ein Freudenbringer für die Seele, wenn Gottes Geist sich auf sie niedergesenkt und sie in Einklang mit sich gebracht hat. Leben und Tod, Sieg und Niederlage, Alles, alles wird für ihre Erfahrung ein Freudenklang. Zuerst Liebe, dann Freude, das sind die Früchte des Geistes, wenn er in dem Menschen arbeitet.
Dann kommt „Frieden.“ Darunter ist nicht Stumpfsinn zu verstehen. Friede ist ein Brunnen des Lebens, es ist seine Quelle. Unfrieden entsteht aus dem Widerstreit unserer Kräfte, wenn sie noch nicht zusammengefasst, noch nicht geordnet, noch nicht in Einklang gebracht sind. Aber in dem Augenblick, in welchem eine lebendige Kraft in der Menschenseele wirksam wird, die ihre Gedanken und Gefühle in eine höhere Sphäre erhebt, in demselben Augenblick weicht der Unfriede und gibt Raum der Harmonie, und der Geist ist im Frieden. Es gibt kein so tiefes Gefühl des Friedens, als es in den höheren Formen süßer und gesunder Lebensregungen liegt. Frieden, den Frieden, der höher ist denn alle Vernunft, wer beschreibt ihn? Wer hat ihn empfunden? „Die Frucht des Geistes,“ die Gott im Menschen zeitigen will, und schon jetzt hie und da hervorbringt, die Gott aber in viel größerer Fülle in den Tagen hervorbringen will, die da kommen, diese Frucht des des Geistes ist Liebe, Freude, Friede! Friede ist in vollkommener Einheit mit Freude und Lebenserregung, und ist höher als beide.
Ein anderes Stück der Früchte des Geistes ist Geduld - nicht ein krampfartiges Dulden, nicht tiefes Leiden und tiefer Kummer in dem einen Augenblick, und gutwillige Ergebung im anderen; nicht eine Abwechselung von widersprechenden Aufregungen, sondern eine stetige, stille, ruhige Kraft, allen Verhältnissen zu begegnen, und ihnen zu begegnen mit Gleichmut. Nach Liebe, Freude und Frieden kommt die Geduld, die Kraft auszuhalten und auszudauern, sei es für andere oder für sich selbst, die Kraft auszudauern, wo immer Gott uns hingestellt. Ach, wenn ein Mensch diese oder jene Kraft in besonders reichem Maß besitzt, wie despotisch kann er werden! Es hat nie einen Menschen mit großen Fähigkeiten gegeben, der nicht zuweilen despotisch sich gebärdet hätte. Der Grund, weshalb so wenige Menschen großartiger angelegt sind, liegt darin, dass die Welt nicht sicher ist, wenn die Leute zu viel Gehirn haben. Nach dieser Richtung hin übt Gott eine sehr weise Sparsamkeit!
So finden wir ein ferneres Stück, welches zu der Frucht des Geistes gehört, und welches dazu bestimmt ist, die Neigung zum Despotismus zu beseitigen, nämlich die Freundlichkeit. Aber Freundlichkeit darf nicht mit Schwäche verwechselt werden. Schwäche kann sich selbst nicht helfen, während die Freundlichkeit eine große Macht besitzt: es ist die Macht, die Gefühle auf den rechten Ton der Zartheit und Lieblichkeit zu stimmen. Wo große Kraft ist, die aber zart und freundlich mit Anderen umzugehen weiß, da zeigt sich diese Eigenschaft in ihrer vollkommensten Gestalt. Das wahre christliche Wesen wird sichtbar, wenn ein Mensch angetan ist mit allerlei Stärke und Gewalt und Weisheit und Erkenntnis, und bei allen diesen Eigenschaften in Mitten einer sündigen Welt nicht bloß höchst geduldig bleibt, sondern auch von Herzen freundlich ist. Wie ein friedlicher Sommertag, wie eine sanfte Herbstnacht, wie eine balsamische, stärkende Atmosphäre ist die Freundlichkeit eines idealen Christen.
Die nächste in dem Verzeichnis der Eigenschaften, aus denen die Frucht des Geistes sich zusammensetzt, ist die Gütigkeit. Man möchte sagen: Sind nicht alle die bereits genannten Eigenschaften gut? Ja wohl, aber hier ist unter Gütigkeit noch etwas Besondres gemeint.
Sahst Du niemals einen Menschen, dessen Eintritt wirkt, als ob eine Lampe gebracht wird? Sahst Du nie jemand, dessen bloße Gegenwart das ganze Zimmer mit hellem Licht erfüllt? Du kannst die Macht weder erklären noch begreifen, die eine solche Person über Dich ausübt. Es ist nichts rein Geistiges. Es ist ein geheimnisvoller Einfluss, der so zu sagen von ihm ausströmt. Es gibt Menschen, deren bloßer Name in Dir Gefühle weckt wie sonst Nichts. Ihr Leben ist so durchsichtig, so natürlich, so gütig, so frohherzig, dass Du unwillkürlich fühlst, ihre Gegenwart tut Dir gut. Es scheint Dir schon heilsam, dieselbe Luft mit ihnen einzuatmen. Ihr Einfluss scheint Dir wie der Blumenduft im Garten. Es gibt wirklich Menschen, die so sanft, so untadelig in Bezug auf Reinheit und Sanftmut und Liebe sind, dass Du nicht im Geringsten daran zweifelst, ob sie Christen sind. Hast Du nie einen Menschen gekannt, von dem Du sagen konntest: „Ich brauche keine andre Erklärung was ein Christ sei, als die ich an ihm sehe.“ Der ist verwaist durchs Leben gegangen, der nicht, wenigstens, wenn er vierzig Jahre alt geworden auf irgend einen in der Welt hinweisen und sagen kann: „der hat mir einen Begriff von dem gegeben, was Güte ist.“ Gott sei Dank, ich kenne genug solche Menschen!
Glaube. Ach, wie weit ist die heutige Generation davon entfernt! Es scheint der herrschende Gedanke, dass die Kunst, ein Mensch zu sein, darin besteht, nichts zu glauben, und dass die Kunst, in der Welt zu leben, darin besteht, Niemandem zu trauen. Man meint die Hauptaufgabe des Mensch sei, es dahin zu bringen, dass man einem rollenden Eisball gleiche, der so glatt ist, dass er nichts mit sich fortreißt, und so kalt, dass ihn nichts schmelzt. Und viele sind so stolz auf ihren Unglauben wie der Teufel auf seine Bosheit. Aber wahre Menschlichkeit zeigt sich darin, dass der Mensch willig und geneigt ist, Gutes von seinem Mitmenschen zu glauben. Ein wahrer Mensch hat das Bedürfnis, zu glauben, was die Menschen sagen und tun. Glaube ist ein Zug zum Menschen, der, obgleich er weiß, dass man dem Menschen nicht immer trauen kann, und obgleich er nicht Alles annehmen kann, - doch alle Enttäuschungen überdauert. Er freut sich nicht der Ungerechtigkeit, er freut sich aber der Wahrheit. Er wünscht, überall Wahrheit zu finden. Er nimmt Personen und Dinge als ob sie so wären wie sie scheinen. Es ist eins der königlichen Vorrechte des wahren Menschentums.
Sanftmut oder Milde. Du weißt nicht, was das ist, nicht wahr? Ich fürchte, Du lerntest sie nicht kennen, wenn ich sie auch schilderte. Milde ist eine der seltensten Tugenden. Sie ist seltener als Perlen, als Opale oder Diamanten. Sie ist dem Gold von Ophir nicht zu vergleichen. Milde, - das ist die unaussprechliche Süßigkeit all der vorhergehenden Eigenschaften zusammengefasst. Sie ist wie die Summe aller Lichtstrahlen, die auf die Erde niederscheinen und den Dingen die Eigenschaften verleihen, die sie in unseren Augen besitzen. Sie ist das Wesentliche von allen Fähigkeiten eines Menschen, der sich erhebt in Freundlichkeit, und Kraft, und sein Licht leuchten lässt, wie die Sonne am Sommertag, mit jenem liebreichen Wesen, das auch die zarteste Blume pflegt und nicht vernichtet. Was kann wohl größer und edler sein, als eine hohe Seele, die voll ist der mannigfaltigsten Kräfte, beweglicher Einbildungskraft, reicher Begabung, die gehoben ist durch innere Freude, voll sprudelnden Lebens, voll tiefen, innerlichen Friedens und voll Milde d. h. voll von jener Seelentemperatur, die aus den vereinten Strahlen der höheren Elemente der Seele entspringt?
Man sagt wohl, Milde oder Sanftmut bestehe darin, dass man nicht aufgeregt werde bei einem Schlag, oder wenn man gefasst bleibe inmitten augenblicklichen Widerspruchs. Ja, das ist eine Seite davon; aber Du könntest mir ebensowohl ein wenig von der Borke einer Eiche bringen und mir sagen, das sei eine Eiche, als mir sagen, dass die Herrschaft über das Temperament Sanftmut sei. Es ist eben ein Teil des Eichbaums; es ist etwas das zum Baum gehört; aber es ist nicht der Baum selbst. So ist ein ruhiges Temperament noch lange nicht das, was wir unter Milde zu verstehen haben.
Keuschheit oder Mäßigkeit. Damit ist Selbst-Zucht gemeint. Es ist dies die letzte Eigenschaft, die als Frucht des Geistes im Menschen genannt wird.
Und der Apostel, als er sie Alle erwähnt hat, sagt: „Wider Solche ist das Gesetz nicht!“
Es gibt keine Solche in der Welt und daher konnte er das ruhig sagen. Was er meinte war, dass wenn es Solche gäbe, oder soweit als Solche vorhanden sein könnten, verliere das Gesetz seine Kraft. Das Gesetz ist nötig bis auf einen gewissen Punkt; aber wenn ein Mensch darüber hinaus kommt, so braucht er kein Gesetz mehr. Ich würde Flügel brauchen können, um mich in die Luft schwingen; aber Engel brauchen keine obgleich Maler sie damit darstellen. Ein Engel ist, nach unserer Vorstellung ein Wesen, das sich selbst erheben und da und dorthin bewegen kann nach seiner eigenen Willkür.
In dem Maß, wie die Menschen diesen Sinn haben, in soweit sie in der Kraft dieses Geistes leben, haben sie allerdings die Flügel, die Füße, die Stützen, Gehilfen, Lehr- und Zuchtmeister nötig, die sich ihnen im Gesetz darbieten. Gesetze sind einfach Hilfen für schwache Leute, um ihnen zu sagen, wohin sie gehen sollen, ihnen gehen zu helfen und sie das nächste Mal zu erinnern, wenn sie nicht gehen. Gesetze sind Diener des Menschen; und zwar Diener, die ihm in dieser Hinsicht helfen. Hat aber ein Mensch eine unmittelbare Eingebung von Gott; oder ist seine Veredlung so weit gediehen, dass er diese äußeren Reizmittel nicht gebraucht; oder steht er unter Einflüssen aus einer anderen Sphäre, welche ihn von einem höheren Gesichtspunkt aus zu denselben Dingen leiten: so fallen die niedrigeren Hilfsmittel weg, nicht weil sie falsch sind, sondern weil der Mensch dasselbe besser mit anderen Werkzeugen ausführt. Daher kommt es, dass für Manche kein Gesetz da ist. Ein Mensch, der ein Gesetz braucht, ist noch ein Kind.
Es gibt nicht einen Menschen unter Hundert, der in all seinem Tun sich stets von der Rücksicht auf die Gesetze seines Landes leiten lässt. Du kennst nicht ein Viertel der Gesetze, die in der Gesetzsammlung stehen. Ein tugendhafter und ehrlicher Mann braucht gar nicht zu wissen, was sie fordern. Der größte Teil der Menschen lebt und stirbt ohne auch nur den zehnten oder hundertsten Teil der Gesetze gehört zu haben, die die bürgerliche Rechtschaffenheit betreffen. Sie tun recht aus eigenem Antrieb; das Gesetz hat kein Bedeutung für sie.
Dies gilt nun für das wahrhaft menschliche Leben überhaupt. Ein rechter Mann geht seinen Weg nach freier Wahl. Er tut freiwillig, was niedere Menschen aus Zwang und aus Furcht vor Strafe tun. Daraus ergibt sich, dass der Mensch soweit in Freiheit lebt, wie er im wahren Glauben lebt. Das ist der Grund, warum Diejenigen, die Mönchskutte und Büßergewand tragen, oder die in Lumpen gehen, und in Kellern und Höhlen leben, in Wahrheit unfromm sind. Die leben ein unseliges Leben. Satan freut sich über diese Selbstpeinigungen. Sie sind die Saat des Teufels. Freude ist ein göttliches Element. Sie führt zur Freiheit. Die ist eine von den Eigenschaften echter Menschlichkeit, wahrhaften Menschentums. Sie ist ein Zeichen, dass die Frucht des Geistes im Menschen reift.
Was der Apostel in unserem Text von dem Wesen der wahren durch den Geist Gottes hervorgebrachten Sittlichkeit ausspricht, gewinnt um so tiefere Bedeutung, als unser Ausspruch unmittelbar auf die Erörterungen folgt, welche Paulus an die Gemeinde zu Galatien über das Opfer- und Rechtfertigungswesen des mosaischen Zeremonialgesetzes richtet. Wir können diesen Ausdruck deshalb erst ganz verstehen, wenn wir ihn in seinem Gegensatz zu dem gesamten Wesen des Hochkirchentums und des Pharisäismus auffassen.
Vor Allem bemerke ich, dass diese ganze sittliche Entwicklung in keiner Weise aus den natürlichen Kräften des Menschen sich ergibt. Die menschliche Natur, gleichviel wie wir sie beschreiben oder definieren wollen, kann diese Früchte des Geistes unter allen Umständen nur vermöge der göttlichen Hilfe hervorbringen. Ist aber die menschliche Natur einmal zu ihrer voller Entwicklung gekommen, dann trägt sie diese Kennzeichen an sich.
Diese Eigenschaften, welche wir die Frucht des Geistes nennen, können ferner ebensowohl von gewöhnlichen wie von höherbegabten Menschen gewonnen werden. Ich habe nicht ein Ideal zeichnen wollen, welches nur von einzelnen, seltenen Geistern verwirklicht werden kann. Je reicher freilich ein Mensch von Geburt an veranlagt ist, desto eifriger wird er die Frucht des Geistes hervorzubringen trachten, desto vollkommener wird sie bei ihm erscheinen können. Aber etwas von diesen Eigenschaften will Gott in allen Menschen, auch in den gewöhnlichsten Durchschnittsmenschen hervorrufen. Ich habe nicht heroische Züge beschrieben, die alle hundert Jahre einmal, oder unter Millionen Menschen in Einem zum Vorschein kommen. Sie sind das Geburtsrecht jedes Menschen. In diesen inneren Eigenschaften, nicht in irgend welchen äußeren Werken, muss sich unsere Gemeinschaft mit Gott, und unsere Kindschaft bei Gott offenbaren.
Nun sind wir vorbereitet, die Unsinnigkeit kirchlicher Ansprüche zu betrachten, die sich auf irgend etwas Anderes gründen, als auf die sittlichen Eigenschaften ihrer Glieder. Die einzige Beglaubigung einer kirchlichen Gemeinschaft ist die Frucht, die sie schafft. Unser Meister sagte: „An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!“ Er sagte es von Individuen. Ich sage es ebenso von ganzen Gemeinschaften: „An ihren Früchten sollt Ihr sie erkennen.“ Hochtönende Namen sind von sehr geringem Wert. Viele Kirchen sind wie die Kataloge von Obstzüchtern. Sie enthalten eine ungeheure Anzahl von Namen, und Namen von anscheinend wundervollem Klang; aber die Früchte, die sie aufweisen, wenn Ihr sie erhaltet und sie kostet, sind leider oft von sehr geringem Wert. Obgleich sie Dies und Jenes als das non plus ultra von Frucht anpreisen, so stellen sich die Sorten doch oft als sehr wenig anlockend heraus. Jedermann weiß, wie viel man aus dem Verzeichnis eines Kunstgärtners ausmerzen muss.
Mit vielen kirchlichen Gemeinschaften steht es ganz ebenso. Sie machen die außerordentlichsten Ansprüche auf Autorität, Ursprünglichkeit, Echtheit, und dergleichen. Um diese Ansprüche kümmere ich mich aber sehr wenig, ich behaupte von unserer Kirche, dass sie die Macht besitzt, und besessen hat, menschliche Charaktere zu bilden, welche die in jeder anderen Kirche überflügeln. Eine Kirche ist im Grunde nur eine Zuchtschule für Religion, und wenn man in irgend einer Denomination eine höhere Art von Charakteren, eine edlere Sittlichkeit, einen besseren Bürgersinn hervorgerufen hat, als in anderen, so hat diese Denomination den Anspruch auf das Vorrecht vor den Übrigen. Derjenige Obstgarten hat Anspruch auf den Preis vor allen Übrigen, der die besten Äpfel auf den Markt schickt, sie mögen einen Namen haben, wie sie wollen. Äpfel sind Äpfel, gute Äpfel sind gute, die besten sind die besten, ohne Rücksicht auf irgendwen, er sei gelehrt oder ungelehrt. Der Mittelpunkt des Weltalls ist Gott, und das edelste Geschöpf, welches Er geschaffen hat, ist der Mensch; und das Höchste was ein Mensch erreicht hat, ist Menschlichkeit; und der, welcher darin am weitesten ist, hat überall und in allen Dingen den Vorrang. Und wenn eine Kirche noch so viel Genie, oder Kunst oder Beredsamkeit besitzt, wenn sie so alt ist wie der Erdball, aber schließlich arm ist an sittlichen Charakteren, dann ist sie Hokus Pokus. Eine Kirche dagegen, die keinen großen Stammbaum hat, wie z. B. die Mährische Kirche, wenn sie noch so verborgen ist, und wenn ihre Ansprüche noch so bescheiden sind, hat sie den Ruf erworben, die besten und edelsten Menschen in ihrer Mitte zu bilden, dann hat sie den Vorrang vor jeder anderen. Und darum sollten wir vorsichtig damit sein, Superiorität zu beanspruchen aus dem abstrakten Grund, dass unsere Überlieferungen bis auf die Apostel hinabreichen. Welche Schande wäre es für eine Kirche, alle Verbindungen zu besitzen und die armseligsten Glieder hervorzubringen! Welche Schande ist es, wenn solch eine Kirche nicht ebenso gute Glieder ausbildet, so gut wie eine neue Kirche, die nicht weiß, wer ihr Kirchen-Vater oder ihr Kirchen-Großvater war. Eine Kirche, die große erleuchtete Naturen in sich hat; eine Kirche, in der Männer bereit sind, sich für Andere aufzuopfern; eine Kirche, deren Glieder reicher und reicher werden an Werken der Barmherzigkeit; eine Kirche, angefüllt von großen edlen Seelen; eine Kirche, wie die erste Methodisten-Kirche und auch wie einige der modernen; eine Kirche, die in ihrer Gemeinschaft gute Menschen hat und gute Menschen macht - was verlangst Du mehr als das? Welche andere Beweiskraft brauchst Du als diese?
Ich nehme ein Messer, und sehe den Namen „Russel“ darauf; ich sage: das ist ein gutes Messer; es kommt aus der Werkstätte zu Greenfield; es ist Arbeit erster Güte. Aber wenn ich eine Portion Fleisch damit schneiden will, und es biegt sich dabei wie Blei, macht dann der Name „Russel“ es irgend besser? Wenn die Klinge nicht von gutem Stahl ist, so macht kein Stempel sie gut; aber wenn der Stahl gut ist, wird es nicht besser durch die Bezeichnung „Russel“.
Und so ist es auch in Bezug auf die Kirchen. Ich würde eine Art künstlerischer Freude darin finden, wenn ich in einer Kirche sein könnte, wo Paulus gepredigt hat. Ich ging in Genf in eine Kirche, wo der alte Johann Calvin gepredigt hat. Ich sah den Stuhl, wo er saß, und stieg auf die Kanzel, wo er einst stand; und ich war damals näher daran, Calvinist zu werden, als zu irgend einer andern Zeit meines Lebens. Ich fühlte, dass ich da sei, wo eine große Natur gewesen, (denn das war er, und, daran zweifle ich nicht, jetzt ist er eine noch größere Natur, als er in seinem irdischen Leben war, wie auch viele von uns nach dem Tod größere Naturen sein werden, als jetzt). Ich fühlte ein tiefes Interesse an ihm. Ich verehrte seinen Namen. Und ich wäre noch bewegter gewesen, wenn ich gedacht hätte, Paulus wäre dort gewesen. Es würde meine Glieder erzittern gemacht haben, zu sitzen wo er saß. Aber das ist pure Romantik. Es ist einfach ein Spiel der Phantasie. Man kann sich daran ergötzen, aber die Sache selbst ist unwesentlich. Die Tatsache, dass Paulus eine Kirche gründete, und dass sie sich in ununterbrochenem Lauf von seiner Zeit bis auf diesen Tag ausgebreitet hat, mag anziehend sein; aber wenn eine anspruchsvolle moderne Kirche, die nur erbärmliche Glieder hervorbringt, ihren Stammbaum auf Paulus zurückführt, dabei aber ihren Gottesdienst nur als ein äußerliches Werk treibt und nicht als innerliche Herzenssache, so hat es gar keinen Wert, dieser Kirche anzugehören. Der Apostel sollte mir leid tun, wenn ich denken müsste, er hätte eine Kirche gegründet von der Art, wie wir sie zuweilen heut zu Tage zu sehen bekommen.
Einige Kirchen rühmen sich ihrer Abstammung von den Aposteln. Es ist eine lange Kette, die sie von ihren Stiftern trennt, dennoch gründen sie darauf Ansprüche. Einige sind zu äußeren Formen und Zeremonien herabgesunken, und andere zu Glaubenssätzen. Einige machen das System zur Hauptsache. Aber ich sage Euch, „in Jesus Christus gilt weder Vorhaut noch Beschneidung etwas; sondern der Glaube, der in der Liebe tätig ist.“ Es ist der vollkommene Mann, es ist die geistliche Mannhaftigkeit, das ist die große Sache, und die Kirche, welche das Streben danach hat, ist, wenn sie die einzige in ihrer Art ist, die wahre Kirche, oder wenn es hundert solcher Kirchen gibt, so ist sie eine von den hundert wahren.
Das ists aber nicht allein, was ich behaupte. Ich behaupte ferner, wenn jemand in irgend einer kirchlichen Gemeinschaft unter dem Einfluss des göttlichen Geistes den Weg aufwärts gefunden hat zur geistlichen Vollkommenheit, gleichviel durch welche Mittel, so ist er ein echtgeborenes Kind Gottes. Wenn sich jemand auf diese oder jene Weise, zu jener Frucht des Geistes erhoben hat, so dass sie an ihm wahrnehmbar ist, so ist er ein Christ. Man mag sagen: „Oh, er ist nichts weiter als ein elender Ketzer!“ Allein, Gott gebe, dass solche Ketzer recht viele werden mögen. Ist ein Mensch großsinnig, sanftmütig, geduldig, langmütig, und voller Liebe, Freude, Freundlichkeit, Keuschheit, so ist mirs ganz gleich, wo, oder unter welchem System er erzogen ist. Ein vollkommener Mann, das ist die Sache.
Wenn man mich fragt, ob nicht in einigen Methoden mehr Bürgschaft sei für die Bildung solcher Menschen, als in anderen, so sage ich: „Ja, so ist es,“ Ich meine, es ist wahrscheinlicher, dass ein Mensch gebildet wird, wenn er zuerst in die Schule geht, dann auf die Akademie und Universität, als wenn er in keine gelehrte Anstalt geht; aber wenn ein Grobschmied sich sein Wissen bei Nacht in der Schmiede aneignet, wenn er durch anhaltendes Lesen und Studieren nach und nach fähig wird, zehn Sprachen zu sprechen, so ist er gebildet, obgleich er nicht zur Schule ging; und ich frage nichts nach der Akademie so weit es ihn betrifft. Nun ich sage, dass manche Denominationen besser geeignet sind, als andere, Menschen zur wahren geistigen Mannhaftigkeit zu erziehen (obgleich ich nicht unternehmen möchte, eine Liste dieser Denominationen aufzustellen); aber ich behaupte andererseits, dass jeder, der durch die göttliche Macht, und unter Gottes treibendem Einfluss zu dem gelangt, was die „Frucht des Geistes“ genannt wird, ein Christ ist, aller Welt zum Trotz, gleichviel, ob er inmitten des verdummten Aberglaubens einer verderbten christlichen Kirche steht; gleichviel, ob er außerhalb jeder kirchlichen Gemeinschaft steht; gleichviel, ob er unter den Mohren ist. Wenn ein Mensch in seiner höheren Natur so entwickelt ist, dass er von Liebe und allen anderen Früchten des Geistes erfüllt ist, so bin ich verpflichtet, ihn als einen Nachfolger Christi anzuerkennen, wo ich ihn auch immer finden mag. Und wer bin ich, dass ich sagen sollte, Gottes Geist kann nicht anders wirken, als durch die Formen, die ich als die rechten erkenne? Wer bin ich, dass ich leugnen sollte, dass er ein Kind Gottes ist, dessen Leben den Beweis liefert, dass er die göttliche Frucht des Geistes hat? Ich möchte nicht missverstanden werden, entweder als ob ich geringschätzig von irgend einer Sekte, Kirche oder Verbindung spreche, oder als ob ich irgend einer Verbindung das Recht zu ihrem eigenen Glauben abspräche. Ich gestehe der bischöflichen Kirche das Recht zu, an ihre Formen der Gottesverehrung zu glauben, wenn sie will. Ich gestehe der Methodisten-Kirche das Recht zu, eine veränderte Form der bischöflichen anzuerkennen. Ebenso, dass der Quäker seinen ruhigen anspruchslosen Ritus beibehalte. Ich glaube an das Recht der Independenten und Presbyterianer ihre besonderen Formen aufrecht zu erhalten. Und ich sage von diesen großen Familien, ich habe kein Wort wider Euch, außer dies: „Ihr seid nicht das Volk und Erkenntnis wird nicht mit Euch aussterben. Ihr seid nicht Gottes einzige Kinder. Ihr habt das Recht, zu verehren wie es Euch gefällt, aber Ihr habt kein Recht, Autorität über mich in Anspruch zu nehmen, und zu sprechen: Wir sind die allein wahre Kirche, Du musst in unseren Schoß kommen oder wirst verdammt.“ Keine Kirche hat das Recht, das zu sagen. Jede Kirche hat ein Recht, ihre Türen zu öffnen und zu sagen: „Kommt hier herein, wir wollen Euch Gutes tun;“ aber in dem Augenblick, wo Ihr Euch unterfangt, die Oberherrschaft über Andere Euch anzumaßen, in dem Augenblick werdet Ihr despotisch. Und es ist das Recht und Privilegium und die Pflicht jedes Mannes, den Despotismus niederzuschlagen. Ihr habt das Recht, für Euch zu forschen und das anzunehmen, was Euch das Beste scheint; und wenn Ihr wollt, wo anders hinzugehen. Wenn Ihr glaubt, dass Eure Bedürfnisse in einer anderen Kirche besser befriedigt werden, so sage ich nicht, dass Ihr die Kirche Eurer Väter verlasst. Die Kirche Eurer Väter ist die Kirche, wo Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmut, Geduld, Keuschheit gedeihen. Das ist die Kirche, der alle guten Menschen angehören, und die sie auf Erden überall zu verbreiten suchen.
Noch Eins möchte ich über diesen Gegenstand aussprechen. Ich wünsche Denen ein Wort zu sagen, die gewöhnt sind, die Religion als etwas Mechanisches zu betrachten. Ich meine nicht Ungläubige. Dem Ausdruck „Unglauben“ haftet ein Brandmal an, und ich brauche es nur im Notfall. Aber es gibt Viele, die nicht an die Religion glauben, weil sie dieselbe für Formenwesen halten; und weil sie sich von ihr nicht angesprochen fühlen. Sie sagen, dass, wenn Religionsfragen in ihrer Gegenwart verhandelt werden, so erscheinen vor ihnen fünfhundert Kirchen, mit ihren verschiedenen Systemen und Lehren. Aber das ist nicht Religion, so wenig eine Kelter Wein ist. Gesetzt, Jemand lädt Dich zum Abendbrot ein, und hätte nichts Dich zu bewirten als Fässer und andre Apparate, die zum Weinmachen gebraucht werden? Die Dinge mögen sehr gut sein zur Weinfabrikation, aber es ist kein Wein. So sind auch die äußeren Formen und Gebräuche, die zur Ordnung gehören, nicht Christentum, obgleich sie wichtige Hilfsmittel sein mögen, das Christentum zu verbreiten. Bücher und Unterricht ist nicht Erziehung, obgleich sie unumgängliche Mittel dazu sind. Schulen sind nicht erzogene Menschen, obgleich die Menschen in Schulen erzogen werden und obgleich sie das beste Mittel sind, Intelligenz zu verbreiten. Kirchen sind einfach Werkzeuge, durch welche Gott, in der Weisheit seiner Vorsehung die Menschen in jenen hohen Zustand zu erheben sucht, von dem ich gesprochen habe. Lehren sind nicht Religion. Und wenn ich Dich frage, „Glaubst Du an die Religion?“ so beabsichtige ich nicht, Dich zu fragen, ob Du an die Glaubenssätze glaubst, an Zeremonien und Riten. Wenn ich wissen will, ob ein Mensch an die Religion glaubt oder nicht, so frage ich nicht, „Glaubst Du an den Sonntag und an Pastoren und die Bibel?“ denn ein Mensch mag alles Dies glauben, und doch nicht an die Religion glauben. Und ein Mensch braucht an keines derselben zu glauben und hat doch Religion. Wenn ich mich vergewissern wollte, ob Du ein Christ bist, so würde ich sagen, „Glaubst Du an die Liebe, als an das vorzüglichste Element der Menschlichkeit?“ Wo ist der Mensch, der Nein hierzu sagen würde? Wo im ganzen All der Schöpfung mag ein Mann gefunden werden, der auf die Frage „Glaubst Du an die Stärke und Macht und Göttlichkeit der Liebe?“ nicht sagen würde: „Ich glaube!“ Das ist die erste Frage des Katechismus. Die zweite ist: „Glaubst Du an Freude, himmlische, unendliche, göttliche Freude, in der Seele des thronend, als in dem höchsten Königreich? Glaubst Du, dass alle Fähigkeiten des Menschen, wie die Pfeifen einer Orgel, dazu da sind, süße Symphonien ertönen zu lassen?“ Wenn die Frage getan würde „Glaubst Du an die Freude?“ Wo ist der Mann, der nicht sagen würde, ich glaube? „Glaubst Du an Frieden?“ Ich glaube daran. „Glaubst Du an Geduld?“ Ich glaube. „Glaubst Du an Freundlichkeit?“ Ich glaube. „Glaubst Du an Gütigkeit?“ Ich glaube. Glaubst Du an den Glauben? Ich glaube. „Glaubst Du an Sanftmut und Keuschheit?“ Ich glaube. Antworte mir hungriges Herz, das Du gewandert bist von Kirche zu Kirche, und keine Genüge gefunden hast; dass Du Vergnügen und Streben und Ehrgeiz versucht hast, ohne Befriedigung zu finden, und bist nun ermüdet und entmutigt; das Du Rede und Widerrede und Rätsel auf Rätsel hörtest, und Begriffe aufstelltest von dem, was Religion sein sollte; und sie zerfließen und sagst: „Ach es ist keine Religion in diesen Dingen!“ Gibt es wirklich nicht Religion? Glaubst Du wirklich nicht an sie? Wenn Du einen Mann sähst, erfüllt von der Frucht des Geistes, würdest Du nicht an diesen Mann glauben? „Ja,“ sagst Du, „aber es gibt keinen solchen Mann.“ Aber ist dies nicht ein Ziel, wie es kein Mensch sich würdiger stecken kann, um aus allen Kräften danach zu streben? Ist es nicht eine Sache, wert, dafür zu leben? Und wenn Menschen zusammenkommen und sagen, „Wir wollen uns gegenseitig tragen, einander aufrecht erhalten, wir wollen gemeinsam trachten nach jenem hohen Begriff des Menschentums“ nicht ein würdiger Zweck, zusammenzukommen? Gibt es irgend ein Vergnügen oder ein Geschäft oder eine Staatsangelegenheit, um derentwillen man zusammenkommt, die an Wert und Würde vergleichbar wäre mit der Aufgabe, nach der Frucht des Geistes, wie sie uns hier vorgeführt wird, zu streben?
Ihr Männer und lieben Brüder, es gibt wirklich ein ideales Leben. Es gibt Religion, was uns hier vom Apostel als Frucht des Geistes vorgeführt wird. Wir folgen darin nicht klugen Fabeln. Wir folgen einer Realität. Wir schauen nach Idealen durch das, was das Edelste in uns ist. Wir streben hinweg von dem, was grob, gemein, tierisch und sündlich ist, und was im Grab untergeht, und streben nach dem, was unaussprechlich und voll göttlichen Lichtes ist. Und ich rufe jeden Jüngling, der seinen Charakter zu bilden hat; ich rufe jede Jungfrau, die ihr Leben vor sich hat; ich rufe jeden Wanderer, dessen Seele in einer oder der anderen Weise das, was alles Sehnen stillt, vergeblich gesucht hat, Ich rufe sie Alle zu der Einfalt der Wahrheit, wie sie in Jesus Christus ist, der sich den Menschen offenbarte, um ihnen zu zeigen, was sie sein könnten, und ihnen zu helfen, ihm ähnlich zu werden.
Ich breite vor Euch aus dieses Leben in Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Sanftmut, Glaube, Geduld, und sage: „das ist, was Du sein und tun sollst. Und Ihr könnt einander helfen, das zu werden und zu tun. Reicht Euch die Hände. Braucht die Hilfsmittel, die in der Gemeinschaft liegen. Wenn Ihr heimatlos und entmutigt seid, verbindet Euch mit einander, dass Ihr Euch gegenseitig Hoffnung einflößt und Ruhe findet. Das ist der Zweck der religiösen Gemeinschaft; das die ganze Idee der Kirche. Die Kirche ist nichts als eine soziale Einrichtung, durch welche die Menschen sich im Zusammenleben bestreben, einander höhere Lebensideale zu geben.
Gott gebe, dass die Schuppen Einigen von den Augen fallen mögen, dass Ihr sehen mögt, dass die Kirche nicht in einem Mechanismus bestehe, durch welchen Christenmenschen inspiriert werden sollen, sondern in Menschenherzen. Das Königreich Gottes ist innerlich in Euch. Es ist Liebe und Freude und Frieden. Es ist Gerechtigkeit!