Augustinus, Aurelius – Nachtgedanken - Vierte Nacht. - Religion und Philosophie.
Wo bin ich? Ach, ich erwache … Aber wie ist die Luft ringsumher so dunkel, und der Himmel schon ganz mit Sternen besät! Als der Schlaf mich überfiel, stand die Sonne noch über dem Horizont, und jetzt ist die Nacht schon vorgerückt in ihrem stillen Laufe. Großer Gott! Es scheint mir nur ein Augenblick, dass ich noch wachte. Wie sind die Stunden so reißend in ihrem Laufe! Wie doch alles dahin eilt auf dieser niedrigen Erde! Wie weit bin ich gereist, ohne mich dem ersehnten Ziele zu nähern! Ach, alles verkündet uns, dass wir hier keine bleibende Stätte haben, dass wir bald von hier auswandern müssen. Wie kann der Mensch sein Herz an die Erde heften, wie sich anschließen an diese hinfälligen Dinge?
Wo ich immer mich hinwende, ruft mir alles zu, dass das Irdische endet, und überall erblicke ich das Bild meiner Hinfälligkeit. Ich begebe mich am frühen Morgen an ein freundliches Gestade. Die blassen Violen erheben freundlich ihr Haupt unter dem taubeperlten Grase. Die Luft ist angefüllt mit ihren Wohlgerüchen. Lieblicher Aufenthalt! Du lädst mich ein, in deinem Schoße eine unschuldige Freude zu genießen. Es kommt der Abend, und ach, ich Armer! die lieben Violen sind nicht mehr. Die Hitze eines Tages hat sie versengt. Siehe, da liegen sie welk am Boden ohne Spur der früheren Schönheit. Ich besuche zur Erholung einen anmutigen Garten. Da scheint mir der Sitz des Vergnügens zu sein. Alles lächelt mich ringsum an, alles atmet Fröhlichkeit. Neugierig eile ich den wohlriechenden Gebüschen zu; aber während ich eine Rose pflücke, siehe, da zerfallen ihrer zehn und sinken Blatt für Blatt auf die Erde und sagen mir in ihrer Sprache: Jede Schönheit ist hinfällig, jede Freude vergänglich, und flüchtig jedes Vergnügen. Siehe da in meiner Nähe einen Schäfer und seine Geliebte. Artiges Pärchen! Beide in der Blüte der Jahre, voll Anmut und Kraft, liebend und geliebt, junge Gatten, nur Liebe atmend. Keinen Augenblick können sie getrennt von einander leben. Wald und Wiese scheinen ihrer Liebe Beifall zu winken. Wohl tausendmal des Tages nennen sie sich glückselig. Ale anderen Hirten beneiden ihr los. Aber o beklagenswerte Menschen! Nach einigen Jahrzehnten suche ich sie wieder, und ich finde an ihnen nur zwei eingefallene Gesichter, zwei runzlige Stirnen, von denen aller frühere Reiz verschwunden ist, zwei welke und abgelebte Gestalten. Unter kalter Asche ist das frühere Feuer dieser Herzen begraben. Die süßen Gesänge, einst Freudenergüsse, und ihre Liebesbeteuerungen sind jetzt nur Klagen. Alles wird ihnen langweilig, alles beschwerlich. Sie sind das Gespötte der Jugend, sie sind allen zur Last. Jedermann flieht sie als verhasst. Fremdlinge, längst dem Tode geweiht. O unseliges Reich der Täuschung, des Scheines! Arme Sterbliche! Ist also dieses eure gepriesene Glückseligkeit? Ist also dieses das Land, in dem ihr euch eine beständige Glückseligkeit träumt?
Hier vernehme ich nun auf einmal ein verwirrtes Flüstern stolzer Weisen. Jeder winkt mir und verspricht mir das, wozu ich die Hoffnung aufgebe: jeder gibt mir Versicherung, mich gegen die Qualen und Leiden des menschlichen Lebens zu sichern; dort soll ich, wenn ich ihnen glaube, Zufriedenheit und sichere Ruhe wiederfinden. Aber, ihr gepriesenen Weisen, wenn ich euch folgen will, wie kann ich wählen zwischen so vielen sich entgegengesetzten Wegen, die ihr mir zeigt. Ein Jeder nennt seinen Weg den wahren, die anderen trügerisch, und indessen gibt mir keiner bessere Beweise seiner Rede. Wenn der eine zum verheißenen Ziele führt, so führen vielleicht die anderen weit davon weg! Aber ach! dass dieser Eine sich nimmer findet! Ach, dass alle falsch sind!
Was sagst du mir doch, lachender Epikur, in deinem scherzenden Stile? „Freue dich,“ rufst du, „befriedige deine Begierden. Dein Herz ist hungrig, die Wollust ist seine Speise, die einzige, die es befriedigen kann. Das Leben ist kurz; pflücke dir erst von jedem Gewächse die Blume, ehe sie verwelkt.“ Pflücke von jedem Gewächse die Blume? Freue dich? Aber eine gebietende Stimme in meinem Innern verbietet mir dieses drohend. Allein ein trauriger und heftiger Abscheu verwehrt mir den Zutritt zu einem Teile dieser Vergnügen, die du mir anrätst; und wenn ich mich kühn daran wage, so geißeln mich Scham und Gewissensbisse um die Wette und rächen sich an dem Unrechte, was ihnen geschah. Ich fühle unter deinen Blumen die stechenden Dornen, ich fühle, wie sie das Herz mir zerreißen. Nach deinem süßen Genusse finde ich mich ganz versenkt in Bitterkeit. Epikur! deine Speise ist eine eitle Speise, oder sie ist Gift. Freue dich? Aber wie, wenn mir das harte Geschick die Freude versagt? Wenn es grausam mich verdammt, immer zu kämpfen mit kummervoller Armut? Wenn es mich zur Zielschiebe der Schläge und der Schmerzen macht? Freue dich? Aber welche ist die Zeit meiner Freude? Solange diese Glieder rüstig sind und voll von jugendlicher Kraft? Aber ach! ich sehe das frostige Alter mit seiner ekelhaften Schar von Krankheiten herannahen, und hinter ihnen den unerbittlichen Tod, der schon seine schwarze Sense schärft. Du führst mich, es ist wahr, in ein blumenreiches Land; aber hinter den seligen Gebüschen entdecke ich den Räuber, der mich plündert. Schon sehe ich hinter dem Gesträuche den Dolch blinken, durch den ich entseelt hinstürzen soll. Bei diesem Anblicke fliehen ferne von mir mit Bestürzung Freude und Frohsinn. Keine Rettung ist möglich aus diesen grausamen Händen. Es bleibt mir nur Furcht und Angst. Und du willst, dass ich mich in diesem Zustande glücklich preisen soll? Wohl kann ich mich einschläfern und mich glücklich träumen, aber mein Schicksal ist jammervoll.
Du hast's gut getroffen, wird hier der strenge Zeno mit seiner Schule behaupten. Epikur ist ein Schwärmer. Jedes Vergnügen befleckt entweder die Unschuld, oder gibt doch der Seele keinen höheren Wert. Das eine lässt sie in ihrem angeborenen Elende, das andere macht sie noch tausendmal schlimmer. Die Tugend allein kann uns vollkommen glücklich machen, und ein seliges Los kann nur die Frucht heiliger Sitte sein. Diese erhebt mich über den Wechsel der menschlichen Dinge, und wie der Olymp unerschüttert unter Stürmen und Platzregen steht, so verachte ich kühn das blinde, wandelbare Schicksal. Gegen den tugendhaften Mann, der allein der wahre Weise ist, sind die Schläge desselben vergebens. Er verachtet auf gleiche Weise die Gunst desselben und lacht seiner Missgunst. Rings umgeben von dem unüberwindlichen Felsen seiner Starkmut, trotzt er ruhig den stürmischen Wechseln der Welt, den Unfällen, dem Schicksale. Hier genügt er sich selber. Gold, Zepter, Krone und alles Sterbliche sind in seinen Augen nur niedrige Dinge.
Hohe Ideen, herrliche Versprechungen; aber, wenn nichts anderes dazu kommt, mehr Schein als Wahrheit. Schön ist die Tugend, glänzend die Wohlanständigkeit. Ihr göttliches Bild reißt mich hin und entzückt mich. Ihnen gebührt als Huldigung die Treue, die Zuneigung, die Unterwürfigkeit aller Herzen, in denen das Licht der Vernunft leuchtet; aber wenn du glaubst, dass sie aus sich allein mich beglücken könne, so irrst du dich, o Zeno.
Nur zu oft sehe ich sie in ärmlicher Hütte, verachtet, geplagt, weinend, mit Jammer umgeben, ohne dass sie nur etwas anderes darbieten könnte, als die traurige Ehre: mich zum Genossen des Leidens zu haben. Freilich flößt sie mir eine edle Starkmut ein; aber sie verwandelt darum mein Fleisch nicht in Erz und mein Herz nicht in Stein. Unschuldig eingeschlossen in einen schauerlichen Kerker bleibt mir doch die Erinnerung, nie die heiligen Gesetz der schönen Sittlichkeit übertreten zu haben, ein süßer Trost.
Aber wenn ich mit unheilbaren Wunden mich bedeckt fühle und schweratmend bald die zarten Kinder, bald die geliebte Gattin und den Vater vergebens um Hilfe anflehe, sollt ich da nicht die Härte meines Geschickes empfinden? Tugend und Unschuld sind doch auf meiner Seite; allein sage mir, wo ist die Glückseligkeit? Bringe dich um, ruft mir der stolze Stoiker zu, der Tod macht deinem Schmerze ein Ende. Wenn also ein Strick, ein Dolch, ein Gifttrank…. Aber o Gott! ich zittere, das Herz wird mir beklommen es überläuft mich kalt. Ach! zu groß ist der natürliche Abscheu vor dem Tode, als dass ich ihn besiegen könnte. Der schauerliche, schwarze Anblick drückt mich nieder. Die Erde verlassen? aus diesem Leben scheiden? … und wohin? … und wann und wie? … Ha, welch ein schauerlicher, tiefer, dunkler Abgrund! Der Fuß wagt nicht, den gefahrvollen Rand zu berühren, das Auge hält den Anblick nicht aus, und du willst, dass ich mich hineinstürze? Aber töte dich! Der Tod macht deinen Schmerzen ein Ende? Wo ist also die Stärke, die die Tugend mir einflößt, jene Stärke, die du mir immer erhaben über alle Leiden rühmtest, und in jeder Prüfung bewährt? Also gibst du mich gefangen und nötigst mich, das Feld zu räumen. Allein wo ist nun jene Glückseligkeit, die du mir verheißt, die neidische Gefährtin der Tugend? Wenn ich glücklich bin, warum meine Tage verkürzen, und wenn ich sie verkürzen soll, warum täuscht du mich? Grausamer Stoiker! Mein Elend ist grenzenlos. Das gewaltsame Heilmittel gibt die Größe des Übels zu erkennen? Stolzer Stoiker! du machst dich selbst zum Lügner.
Es ist eitle Prahlerei, spricht hier mit triumphierender Miene eine andere Schar, die sich auch rühmt, der Weisheit zu folgen. Es ist eitle Prahlerei, in der Tugend allein sein Glück zu suchen und das Vergnügen von ihr zu trennen. Die Tugend erzeugt in uns eine edle Freude; die Unschuld verbannt die lästigen Gewissensbisse, die die Schuld begleiten; aber sie verschließt denn doch nicht die anderen Tore, durch die das Leiden eintritt, und der Mensch, der da leidet, ist offenbar unglücklich. Willst du glücklich sein, so hege in deiner Brust die schöne Sittsamkeit; aber mache, dass das Vergnügen sie begleite. Jene Feinde verbanne, die die Tugend verbannt; aber alle anderen nimm freundlich auf.
Ihr Lehrer der Weisheit versprecht mir große Dinge, aber die Glückseligkeit, die ihr mir verheißet, ist das Urteil meines Unglücks. Ihr wisst es schon, dass die Tugend allein nicht hinreicht, mich glücklich zu machen. Auch wisst ihr, dass das. Vergnügen allein mich unglücklich lässt. Sind sie doch vereint noch nicht imstande, meine Lage zu ändern. Unersättlich sind des Herzens Begierden, wenig sind der Güter und fast alle fern von mir. Wenn die Bosheit eines anderen mir den Weg versperrt, wenn meine dürftige Lage mich zum Hunger verdammt, wenn drückende Krankheit mich foltert, dann lebe wohl, du süße Glückseligkeit! Aber besitze ich auch des Krösus Schätze und was die Erde Gutes hat; mag auch jedes Missgeschick auf immer von meiner Tür fern bleiben und alles mir nach Wunsch gelingen: so sehe ich dennoch, ich wiederhole es, in der Nähe das kühle Grab, die unvermeidliche Grenze aller menschlichen Freude. Ebenderselbe freundliche Spiegel, der mir so viel Freude gewährt, erinnert mich treu, dass ich mit jedem Tage mich ihm nähere. Ach! sollte wohl, was ich draußen auf der Straße finde, mich freudig meinem Ziele entgegenführen können? Die Vergnügen sind nur süße Getränke, die mich einschläfern. Sie können zuweilen das Gefühl meiner Übel betäuben und mich in einen frohen Wahnsinn versetzen; aber mein Los können sie nicht ändern. Wer da lebt, und wie glücklich er auch sei, geht täglich seinem Tode entgegen. Wo ist nun, o Weiser, seine Glückseligkeit?
Ich höre ferner aufmerksam der Reihe nach die übrigen großen Orakel der menschlichen Weisheit, und ich finde, dass sie mich alle auf gleiche Weise zu glänzenden Chimären führen. Nach so vielen Lehren finde ich mich am Ende noch ebenso weit entfernt von dem, was ich suche.
Verzweifelt ist also das Los des Menschen, o ihr gepriesenen Weisen, wenn er keinen besseren Führer als euch findet, und ungeachtet euerer glänzenden Verheißungen ist die Glückseligkeit für ihn ein unbekanntes, unerreichbares Land. Gehabt euch denn wohl, ihr Weisen dieser Welt! mir leuchtet ein besseres Licht.
Zu dir wende ich mich, hehre Gebieterin, heilige Religion, die du mit königlichem Fuße die Erde berührst und dein Haupt über die Sterne erhebst. Gleich der Taube, die der zweite Vater des Menschengeschlechtes nach der verheerenden Überschwemmung aussandte, überschaue ich die Erde und finde da keinen Platz, wo ich sicher ruhen könnte. Alles ist Verwesung, die mich tötet, ist Sumpf, der unter meinen Füßen weicht und worin ich versinke. Nur dein triumphierendes Schifflein schwimmt sicher über der sumpfigen Erde und kann mir eine sichere Zuflucht gewähren. Ich sehe, wie Paläste und Länder der Glücklichen dieser Welt früher oder später zu ihrem Grabe werden: die höchsten Gebäude des menschlichen Glückes, auch sie gehen unter. Die höchsten Gipfel irdischer Macht türmen sich einige Augenblicke, und dann werden sie auf gleiche Weise von der alles bedeckenden Flut überschwemmt. Und du erhebst dich immer mehr, je mehr die Wasser schwellen, und trägst deinen Schützling in den Himmel.
Der Mensch vernimmt die Stimme der Glückseligkeit, die ihn rief. Seine Weisheit bestrebt sich, dieselbe aufzusuchen; aber sein schwacher Blick schaut sie im Dunkeln, und kann sie nicht erreichen. Epikur erkannte sie, als er sie mitten unter den Freuden suchte; allein er verlor den Weg, sobald
er den Menschen einlud, sie hienieden zu genießen. Es ist wahr, sie wohnt mitten unter den wahren Vergnügen und hat ihren Wohnsitz bei der höchsten Freude; aber das wahre Vergnügen und die höchste Freude finden sich nicht auf Erden. Der Epikureer bleibt bei seinem Freudengenusse im Elende. Auch derjenige, welcher sie in der Weisheit sucht, schaut einen Strahl der Glückseligkeit; aber dann verliert er den Pfad, wenn er sie sucht in irdischer Weisheit. Der Geist des Menschen, mit Vernunft begabt, ist ohne Zweifel geschaffen, um sich zu himmlischen Dingen zu erheben, und er kann nicht glücklich sein, wenn es ihm nicht gelingt, aus der herrlichen Quelle der Wahrheit zu trinken. Aber weder die Weisheit allein kann uns vollkommen beglücken, da unser Herz andere Wünsche zu befriedigen hat, noch sind die wenigen Quellen, die wir hienieden entdecken, imstande, diesen edlen Durst zu stillen. Ein anderer nennt den Menschen glücklich, wenn er ihn frei sieht von aller Mühseligkeit. Auch dieses ist ein Preis der Glückseligkeit; aber nicht in ihrer ganzen Ausdehnung. Die vollkommene Glückseligkeit schließt nicht nur alles Unangenehme aus, sondern begreift in sich den unendlichen Schatz aller wahren Güter. ist also eitle Täuschung, wenn man hofft, hienieden von jedem Kummer frei zu sein. Das ist der menschlichen Natur nicht gegönnt. Und du, stolzer Stoiker, warst sehr nahe daran, als du sie die Tochter der Tugend nanntest. Nur noch einen Schritt, und die Glückseligkeit kam dir entgegen. Aber dein wahnsinniger Stolz hielt sich ab von diesem Schritte und du bliebst noch fern vom Ziele. Nur die Tugend kann uns glückselig machen. So weit hast du wahr geredet. Aber darin hast du dich geirrt, dass du diesen glückseligen Zustand auf die Erde verlegst. Du glaubtest, die Tugend genüge sich selber, und die Glückseligkeit sei ihr Werk. Auch darin hast du dich geirrt. Die Tugend, obwohl sie die Königin ist, der sich die Menschen unterwerfen müssen, hat unter allen ihren Reichtümern keinen solchen Schatz. Die Glückseligkeit ist der Lohn, den der Himmel der Tugend erteilte. Kurz, der betrogene Mensch findet seine Glückseligkeit nicht, weil er sie nicht da sucht, wo sie zu finden ist. Er sucht sie auf der Erde, wo sie nicht wohnt, und findet anstatt derselben Schatten und verräterische Trugbilder.
Die Religion, verborgen der Weisheit des Menschen, kam vom Himmel, uns dieselbe zu entdecken. Erhebe, o Mensch, deine Gedanken und betrachte den Abstand zwischen den elenden Werken eines schwachen Sterblichen und eines allmächtigen Wesens, zwischen der Glückseligkeit, die der Mensch sich selber bildet und derjenigen, die ein Gott ihm schafft. Verschmähe das Leben, das sich nur auf wenige Tage beschränkt, vergiss die irdische Hoheit, die nichts anderes als Erniedrigung ist, denke nicht mehr an die Freuden, die mit diesem Leben enden und dich nicht sättigen können; denke nicht ferner an jene Weisheit, die sich der Mensch hienieden sammelt und die nur ein Tropfen der wahren Weisheit ist, oder ein trügerisches Schattenbild, das dieselbe nachäfft. Ein ewiges Leben, frei von allem Leiden, ein ewiger Freudengenuss im Schoße des höchsten Gutes, die unendliche Weisheit des höchsten Wesens, die mir mitgeteilt wird, und seine grenzenlose Liebe, die du besitzt, und seine Schätze, die dir geöffnet sind, dir, dem Herrscher der ganzen Natur und dem Erben des Himmels: das, o Sterblicher, ist dein seliges Los, für welches du erschaffen bist, das Los, zu dem dich dein Schöpfer berief durch die Stimme der Natur und die Einladung der Religion, das los, welches der Mensch so lange suchte und nicht finden konnte.
Wohl sagt es dir dein Herz, dass der Tugendhafte verdient, glückselig zu sein, wenn es Einer verdient. Der Tugend allein ist dieses glückliche Los beschieden; aber nicht der Tugend, die die Welt so nennt und dafür ansieht. Die Welt ist eine blinde Richterin, die oft dem geschmückten Laster Beifall winkt und oft die Scheintugend ehrt, unter welcher ein schlechtes Herz verborgen liegt; nicht aber der Tugend, die der Mensch in seiner eitlen Weisheit sich selber schafft; denn er ist ein törichter Beurteiler, Sklave seines eigenen Sinnes! Oft nennt er so die Götzen seiner Eitelkeit und Leidenschaft. Allein die Weisheit, die Gott keinem Irrtum unterwarf, findet eine feste und wahre Tugend, die sich nach den unveränderlichen Gesetzen bildet.
Törichter! Sollte sich denn nicht wohl eine ewige Freude um den niedrigen Preis eines kurzen Leidens erkaufen lassen? Doch nein, Sterblicher! erhebe dein tiefgebeugtes Herz, das dich zum Sklaven der Sinne macht und zu allem geneigt, was dem tierischen Wesen schmeichelt. Befähige dich für die wahre Weisheit und gib acht auf meine Worte. Die Religion verheißt dir eine unaussprechliche Glückseligkeit in einem anderen, besseren Lande. Aber willst du glücklich sein, Sterblicher, auf Erden, wo keine vollkommene Glückseligkeit wohnt? Die Religion allein kann deine Wünsche befriedigen. Jedes andere Gut, das du hienieden außer der Tugend und Glückseligkeit suchst, ist ein Scheingut, ein Schatten, ein Trugkelch, der deine Lefzen mit Süßigkeit anfeuchtet und dann wieder in Bitterkeit verwandelt wird. Die Religion allein kann uns unsere Übel erleichtern, sie allein kann uns dauerhafte Freude verschaffen in diesem Reiche der Eitelkeit, wo alles Lüge ist.
Aber sie sammelt dieselbe hienieden aus einem fremden Lande und führt sie in den Himmel. Diese Glückseligkeit, die sie uns in ihrem ewigen Wohnsitze enthüllt und durch die wir einst im Vaterlande ruhen werden, erquickt uns schon auf dein Wege. Von da verbreitet sie, wiewohl in der Entfernung, ihr wohltätiges Licht über uns, von da sendet sie uns zur Hilfe Hoffnung und Liebe, und bei ihrer Ankunft ändert alles seine Gestalt.
Dann wälzt dunkle Nacht ihre Finsternisse über diese Erde, alles hüllt sich in Schreckgestalten. Die lieblichsten Gegenstände, umhüllt und bedeckt mit schwarzem Gewölk, liefern dem Auge nur furchtbare Bilder. Öde, Stille und Dunkel bedecken alles, und der Mensch, in diesem verworrenen Chaos umherirrend, findet überall Nahrung seiner Furcht, wankende Schatten, Phantasiegebilde und Irrlichter. Wie schön auch immer der Wohnsitz des Menschen ist, welche dunkle Nacht von Furcht und Ungewissheit bedeckt ihn ohne das wohltätige Licht der Religion! Die Zukunft ist ihm mit einem undurchdringlichen Schleier verhüllt. Hinter demselben, und wer weiß, in welcher Entfernung, liegen die traurigen und bitteren Ereignisse verborgen. Alles, was er Gutes besitzt, ist den Einflüssen dieser unbeständigen Atmosphäre unterworfen. Jeder Augenblick kann ihn berauben, jeder Windzug kann sein Glück umstürzen, jeder Sturm kann seine hinfälligen Schätze in den Wellen vergraben, kann zerstören und rauben die Götzen, die er anbetet. Und wenn er auch das wenige Gute, das er in seiner Armut noch besitzt, verliert, welcher Trost bleibt ihm dann noch? Und wenn er mitten unter den Fluten untersinkt, und in der Tiefe des Meeres begraben wird, wohin und an welches Gestade, an welche Klippe wird ihn der Schiffbruch schleudern?
Die Religion leitet den Menschen, seine Wohnung dort aufzuschlagen, wo die traurigen Ereignisse der Erde keinen Zutritt haben, die die Hütte des blinden Menschen, der seine Wohnung auf diese Erde beschränkt, mit Jammer erfüllen. Der fromme Mensch vereinigt damit die unvergänglichen Schätze, die keine Diebe rauben können. Dahin zieht er sich zurück, wenn hienieden der Sturm ihn bedroht, da bleibt er sicher. Nachdem er alles verloren, was man auf Erden schätzt, bleibt ihm doch noch eine Träne übrig für die Glücklichen dieser Welt. Ein Bettler verzweifelt wegen des Verlustes eines Pfennigs; ein König verliert Talente Soldes mit lachendem Munde: aber der eine klagt, weil ihm nichts mehr bleibt, den Hunger zu stillen, der andere besitzt noch unermessliche Schätze. Der ohne Religion ist ein Bettler. Der fromme Mann ist König und sein Reich unterliegt nicht dem Wechsel, dem die Throne dieser Erde ausgesetzt sind, und ist nicht eingeschränkt auf den kurzen Kreislauf dieser Zeit. Er allein kann mitten im Mangel an allen irdischen Dingen lachen, er allein kann mit fester und heiterer Stirn das Schifflein seines sterblichen Lebens versinken sehen.
Vergebens täuscht man sich mit lustigen Chimären. Wer da sagt, dass er die übel nicht finden könne, wovon die Erde voll ist, der ist ein Elender, welcher faselt; er heuchelt Glückseligkeit. Reiner würde es wagen, diese Worte auszusprechen, wenn der schwache Blick der Sterblichen in sein Herz dringen könnte. Beim Eintreten in diese Welt begrüßen wir mit Tränen und Wimmern das Tageslicht, mögen wir in ländlicher Hütte oder in einem königlichen Palaste die Augen öffnen. Dieses ist der Laut, den die weise Mutter, die nimmer lügt, allen auf die Zunge legt, dieses ist die Sprache der Natur. Es ist wahr, dass wir sie allmählich wieder vergessen. Es scheint, dass, sowie der Mensch wächst, seine Tränen immer abnehmen. Aber darum ist sein Los noch nicht glücklicher. Er gewöhnt sich, töricht zu scherzen mit dem trügerischen Scheine des falschen Gutes. Und dann sind auch nicht selten die tiefsten Wunden die, welche am wenigsten bluten. Ein gar zu schwacher Trost für die Leiden des Menschen ist oft die Klage, wenn er die blühendsten Jahre zurückgelegt hat und die Täuschung gleich einem Nebel verschwinden sieht, die ihm am Morgen des Lebens Glückseligkeit in einem noch unbekannten Lande verhieß. Gleich einem Pilger, der die Wüste, die er durchwandert, immer weiter vor sich ausgedehnt erblickt, sieht er mit jedem Schritte die Gegenstände des Leidens sich vervielfältigen, raue und steile Felsen, die kaum zu ersteigen sind, dürre und unwirtliche Sandwüsten, dornige Pfade, unwegsame, verwundene Gebüsche, tiefe Flüsse und gefährliche Untiefen, wilde und auflauernde Räuber. Er wendet sich hierhin und dorthin; aber wer erquickt ihn, wer reicht ihm Hilfe, wer schützt ihn? Er sieht seinesgleichen auf demselben Wege wandeln; aber welchen Vorteil kann ihm das gewähren? Ach! die Menschen sind großenteils die Urheber ihrer eigenen Leiden. Und dann sind auch sie elend, auch sie wandeln beschwerliche Wege und leiden Mangel an allem, jeder ist beschäftigt mit seinem eigenen Unglück, das ihn taub macht gegen fremdes.
Wo es nicht am Wollen fehlt, da fehlt es oft am Können. Kaum erhält er in seinen Unglücksfällen von den Gefährten seiner Pilgerschaft einen kargen und seltenen Tribut fruchtlosen Mitleids. Ach! wie viele unserer Übel sind eben so unvermeidliche als unheilbare Wunden! Du allein, o Religion, gießt mir einen heilenden Balsam über alle. Durch dich erhebe ich aus dem schauerlichen Dunkel meiner irdischen Wohnung den Blick zu den Sternen, ich schaue den Himmel an und ich finde mich nicht mehr allein, nicht mehr hilflos. Ich sehe den Allmächtigen, der meine Schritte zählt, der mit liebender Sorgfalt über alle Augenblicke meines Lebens wacht. Für ihn bin ich bestimmt, er erwartet mich am Ende der mühevollen Reise und lenket indessen sowohl die angenehmen als traurigen Ereignisse zu meinem Besten. Er begleitet mich stets auf meinem Wege. Er hört meine Stimme, sammelt meine Seufzer, sieht mitleidsvoll herab auf den Summer meines Herzens. Armut umgibt mich und ich schleppe mühsam unter der Last der Dürftigkeit die langen Tage. Der reiche Geizhals schaut mich trotzigen Blickes an und geht schnell an mir vorüber. Der Große der Erde sieht stolz auf meine zerrissene Kleidung herab und fürchtet, seinen vornehmen Blick zu entehren. Mein Elend hält die übrigen Menschen von mir fern. Der Allmächtige wohnt in meiner Hütte und beehrt mich mit dem Namen Freund und Sohn. Er hat Mitleid mit meinem Elende, und mit liebendem Herzen redet er mir zu, tröstet und stärkt mich. Der Fromme, auf das Schmerzenbett hingestreckt, ist dennoch nicht trostlos, während die Erde für ihn nur Schierling hat und die Natur bloß Wermuttrank seinen Lippen reicht. Der Himmel reicht ihm denselben und der Glaube führt ihn dorthin, wo sich jetzt die glücklichen Scharen befinden, die einst eine Zeit lang hienieden in Drangsal gelebt. Er sieht sie jetzt mit himmlischem Glanze umgeben. Der Glaube zeigt ihm, wie der Fromme, der auf dieser niedrigen Erde duldet, in jenem seligen Lande ewige Palmen und unsterbliche Lorbeeren pflückt; zeigt ihm, wie die Ketten, die Dornen, die Pfeile tief eingedrungen und das Blut derjenigen, die ihrem Herrn getreu dienten, nun zu Siegestrophäen geworden sind. Er zeigt ihm dieses schöne Reich und spricht zu ihm: Siehe da den Lohn desjenigen, der hienieden der Frömmigkeit treu bleibt. Auf diese Worte steigen von oben herab in seine bescheidene Wohnung Hoffnung, Stärke und Mut, und trocknen die Tränen und heilen die Wunden desselben und teilen seinem Herzen den himmlisch-süßen Nektar von jenen glücklichen Blumen mit, die nie verwelken.
Wie, wenn der erzürnte Nord das Felsengebirge des Atlas bekämpft und seine rasenden Stürme entfesselt, vergebens umher der brausende Sturm tobt, und es, während die untersten Gründe von Platzregen und 'Hagel getroffen werden, seinen hohen Scheitel stolz über das dunkle Gewölk erhebt und unter einem heiteren Himmel der wütenden Stürme spottet: so genießt der Fromme harmlos eine süße Ruhe und wohnt mit seinem Geiste in höheren Regionen, während der gebrechliche Leib unter den Einflüssen des Klimas leidet.
Tierischer Mensch, das Innere des Frommen bleibt dir immer ein Geheimnis, das dein schwacher Blick nicht zu enthüllen vermag; aber willst du die Wunder desselben sehen, inwiefern sie dein irdisches Auge sehen kann, so schaue auf jenen Idumäer, der auf dürrem Grase daliegt, mit tausend Wunden bedeckt, wimmelnd von Würmern. Siehe, wie er hager, kaum einem lebenden Menschen gleich, aller Kräfte beraubt, vom Fieber verzehrt, vom Schmerze aufgerieben wird. Noch sind nicht zwei Monate verflossen, da er unter stolzem Dache lebte und hundert Sklaven seinen Winken gehorchten. Gesundheit und Kraft blühten auf seinen Wangen; kaum konnte er seine fetten Schaf- und Rinderherden zählen. Hundert ergiebige Felder, hundert fruchtbare Weinberge zollten ihm ihren Tribut für seinen reichen Tisch. Diesen umringte eine Schar von Kindern, die seine höchste Freude ausmachten. Nun sind alle seine Schätze eine Beute der Feinde. Eingestürzt sind die Wohnungen oder ein Raub der gierigen Flamme geworden, zerstört die Paläste und die Kinder an Einem Tage vom bitteren Tode dahingerafft. Nichts mehr bleibt ihm übrig, als die traurige Erinnerung an sein voriges Glück und das böse Weib und einige falsche Freunde, die in seinem Unglücke ihn noch verspotten. Eine solche Flut von Unglücksfällen war wohl geeignet, die schwache Menschheit ganz zu Boden zu schlagen. Und dennoch bleibt dieses Herz mitten im schauerlichen Sturm unerschüttert und beherrscht alle seine Bewegungen, wie wenn Wind, Himmel und Meere schwiegen, und beugt sich nicht klagend beim Andrange der Fluten und weicht nicht dem Ungestüme der Wogen. Unter den unschuldigen Klagen, die der Schmerz so gewaltsam jenen sterbenden Lippen erpresste, vernimmt man hochherzige Gesinnungen von Standhaftigkeit und unbeugsamem Mute, und unter der Todesblässe glänzt noch auf diesem Schmerzensantlitz liebliche Heiterkeit. Wer gab doch diesem Herzen so edlen und festen Mut? Wer erhielt in diesen schon längst aufgelösten Gliedern eine solche Stärke? Nicht die Erde, o Mensch, nicht die Natur. Der Himmel allein und jene heilige Frömmigkeit, die Königin aller wahren Tugend, die der Himmel einflößt. Diese erhebt den Geist von der Erde, wo alles Bitterkeit ist, in die Wohnung des Trostes. Sie zeigt ihm dort unter dem Glanze des ewigen Lichtes jenen unendlichen Geist, der alles lenkt. Diese versichert ihn, dass alle Ratschlüsse Gottes Ausflüsse seiner Weisheit, Gerechtigkeit und Liebe sind. Sie zeigt ihm jenseits des Grabes jenes andere Leben, wo man den Lohn für irdische Leiden davonträgt; zeigt ihm den Erlöser des Menschengeschlechtes, der seiner dort harrt mit der hohen Belohnung der demütigen Hingebung in seinen Willen. Bei diesem Anblicke fällt er zu den Füßen des Allgütigen und überlässt sich ganz seinen Anordnungen und betet ihn an mit Ergebung. Liebevoll umfasst er die Hand des Ewigen, und küsst sie auf gleiche Weise, sei es, dass sie ihn erhöht oder niederdrückt, dass sie ihm schmeichelt oder ihn geißelt. Solange es dir gefiel, habe ich mit Dank und Erkenntlichkeit das Gute empfangen; von dir, Allmächtiger, nehme ich auch voll Erkenntlichkeit und Dank das Böse an. Stets sei dein heiliger Name gepriesen! So spricht der Gottselige, und bei so großem Schauspiele schweigt die erstaunte Erde und es jauchzet der Himmel: irdischer Mensch, hast du es gesehen? Komm' und durchwandere mit mir die römischen Provinzen von den wilden Zeiten des grausamen Nero bis auf den glücklichen Besieger des Maxentius und Licinius. Sieh', welche Grausamkeit die heidnische Wut überall verbreitet! Lass uns eindringen in die Wüsten und in die stillen Höhlen, vorher Aufenthalt der wilden Tiere und nun bevölkert von Verbannten, deren ganzes Verbrechen die reine Unschuld ist. Alles, was die Härte dieses Lebens mildert, ist ihnen geraubt. Sie sind von der Welt gehasst und Schlachtopfer des Kummers und endlosen Leidens; aber sieh', ob ich in ihnen eine Spur finde von Missmut oder von Unruhe, sieh, ob du je auf dem Antlitze eines glücklichen Weltmannes den süßen Frieden so heiter lächeln sahst? Folge mir in die Marmorgruben und in die tiefen Schachte der Bergwerke. Dort arbeitet ein Volk, lebenslänglich zu dieser Strafe verdammt. Dort ist kein Unterschied zwischen Stand, Ehrenstelle und Alter; keine Schonung gegen Hoheit, oder Adel oder Hilflosigkeit. Der eine grausam verstümmelt und gelähmt am Fuße, der andere durch glühendes Eisen geblendet, preisgegeben der Rohheit unbarmherziger Aufseher, kärglich genährt mit Brot und Wasser, schmachten sie alle an diesem langwierigen Straforte, ohne Hoffnung, je befreit zu werden, bis der Tod sich ihrer erbarmt. Dennoch möchte man es ein Volk nennen, das in Freude lebt. Anmut und Heiterkeit schmückt ihre Stirn, Frohsinn begleitet sie zur harten Arbeit, und so oft sie den Mund öffnen, trieft Honig von ihren Lippen. Schau' die Gefängnisse des römischen Reiches ganz angefüllt mit Menschen, die zum Tode verurteilt sind, gleich den grässlichsten Verbrechern. Der eine schmachtet, ausgespannt in dem harten Blocke, der andere liegt halb entseelt durch die tief geöffneten Wunden, der dritte ist ohnmächtig und stirbt hin vor Mangel. Man sollte glauben, nur Verbrecher zu sehen, zitternd vor Furcht und die Gewissensbisse auf der Stirne gezeichnet; und man sieht nichts als Helden. Ihr bloßer Anblick verkündet schon ihren übermenschlichen Mut. Zuversicht begleitet sie, und eine unbekannte Majestät, die sie umgibt, macht sogar ihre Bande ehrwürdig.
Horch, von welchen Gesängen diese Gefängnisse, vorher Wohnungen des Schreckens und jetzt der Freude, ertönen! Nun folge mir anderswohin, dringe durch die Menge der Zuschauer, geh' in die Gerichtssäle, begib dich auf die öffentlichen Plätze und in die ungeheuren Amphitheater. Ach! da ist alles befleckt von Menschenblut und angefüllt von zerfleischten Leichnamen und verstümmelten Gliedern. Wild schaut der Tod in tausend schrecklichen, schauerlichen Gestalten. Die Grausamkeit, seine Dienerin, ist überall geschäftig, Strafen zu erfinden. Hier ächzt die Folter, dort krachen die Räder, hier brüllen die wilden Tiere, dort zischen die Peitschen, am einen Orte blitzen die Schwerter, am anderen droht das Beil, hier brennt langsames Feuer, dort erfüllen große Scheiterhaufen die Luft mit dem schwarzen, unerträglichen Qualm verbrannter Menschen. Du hast die Schlachtopfer vor dir. Schau' nun, ob du je so entschlossene Herzen und unerschrockene Gestalten sahst!
Du rühmst mir einen Cato. Sieh', ich zeige dir auf dem Kampfplatze mehrere Millionen, die mit gleichem Mute dem Tode entgegengehen. Du rühmst mir einen Krieger, der unter den Waffen aufgewachsen ist. Ich zeige dir zarte Jungfrauen, aufgewachsen in dem Schatten des väterlichen Hauses, zarte Kinder und schüchterne Mädchen und hinwelkende Greise. Dein Held entzieht sich auf einmal einem Schicksale, das er nicht ertragen kann. Ihnen droht kein bitteres Geschick; ihre Tage stehen in ihrer Gewalt und dazu noch lädt sie lächelnd das schmeichelnde Glück ein, ihr Leben zu schonen. Der Weg steht ihnen offen zu allem, was der Mensch hienieden Erfreuliches genießen kann. Dennoch wählen sie mit solcher Standhaftigkeit den Tod, bekämpfen die Tormente, und ehe sie das Feld der harten Versuchung verlassen, fallen sie kraftlos als ein Opfer, aber als siegreiche Kämpfer desjenigen, der die Natur erschüttern und den kühnsten Mut des Mannes niederbeugen kann.
Gegen sie erhebt sich schwarze Verleumdung und befleckt mit dem schändlichen Makel erdichteter Verbrechen ihre Namen, wofern sie sich nicht den Winken der gebietenden Gottlosigkeit fügen. Hier lerne die wahre Ehre kennen, blinder Bewunderer der stolzen Roma. Lieber wollen sie für ehrlos gelten, als ihrem Gott untreu werden, und vor dem stolzen Prunke einer scheinbaren Gerechtigkeit leben sie als Schuldige, um unschuldig zu sterben. Sollen sie eines schnellen Todes sterben, siehe, sie stehen bereit. Und nötigt man sie, unter langwierigen Qualen zu schmachten, so ermüden eher die Schergen, die sie foltern, als sie, die Leidenden. Verurteilt man sie, jahrelang nach der Willkür eines Wüterichs zu leiden, so besiegt ihre Standhaftigkeit alles. Sie wollen nicht niederträchtig auf einmal ihre Leiden abkürzen. Sie tragen die Last derselben, so lange das mühbeladene Leben währt.
Aber wodurch werden denn doch diese Felsen-Herzen so unüberwindlich? Komm', Irdischgesinnter, und erkenne doch einmal den Unterschied zwischen dem Stolzen und dem Frommen, zwischen dem Verzweifelten und Starken, zwischen dem Stoiker und dem Christen. Die Religion leitet sie in diesen harten Bedrängnissen, die Religion benimmt ihnen den natürlichen Abscheu vor den schrecklichsten Übeln, mildert ihre Tormente1), entwaffnet jedes Menschenelend und raubt sogar dem Tode seine Bitterkeit. Der irdische Mensch hat im Leiden nur so viel Kraft, als die Natur ihm gibt. Er trägt nur die Last, die sie tragen kann; dann aber wankt er und sinkt. Der Fromme erhebt sich unermesslich weit über die Kräfte der Natur. Die Religion verleiht ihm übermenschlichen Beistand, himmlische Kraft, englische Stärke. Der irdisch gesinnte Held im Leiden ist nur ein Mensch. Der Fromme ist ein Mensch, mit göttlicher Stärke ausgerüstet. Sein Kraftmaß ist die Macht des Unendlichen. Die Religion stiftet zwischen dem Menschen und Gott einen heiligen Bund, und so wird der Mensch allmächtig durch Gottes Macht.