Augustinus, Aurelius – Nachtgedanken - Erste Nacht. - Die kindliche Liebe.
Da sind wir nun endlich auf dem Meere. Sanft spielen die Wellen, heiter ist der Himmel, günstig der Wind: alles verkündet uns eine glückliche Überfahrt. Nach wenigen Tagen, so es dem Allerhöchsten gefällt, werde ich in Afrika sein und meine Heimat wieder sehen. Immer ferner entflieht mir Italien; kaum unterscheide ich noch beim blassen Mondscheine die Küste, von der wir abgesegelt sind. Aber Italien … o Anblick . O Küste! Welche Rührung ergreift mich hier so plötzlich! Ha, wie der schlummernde Schmerz von neuem erwacht, und herber als jemals! Arme Menschheit! Vergebens also suchte der Verstand das Herz zu beschwichtigen und allen Gram aus demselben zu verbannen. Ich glaubte, sie sei verharscht die tiefe Wunde! und sie öffnet sich und blutet von neuem. Ewiger Gott, welche Erinnerung! Ach! der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch drückt uns zu Boden. Ich sträube mich, ich will nicht; und dennoch fühle ich mein Angesicht von Tränen feucht, und unwillkürliches Schluchzen erstickt meine Stimme. Doch nur gar zu gerecht ist mein Schmerz. Dich, liebe Mutter, werde ich auf dieser Erde nicht mehr wiedersehen; du wirst nicht mehr in meiner Gesellschaft dein Heimatland besuchen. Ruhet sanft ihr erstarrten Glieder, leblose Hülle derjenigen, die mir das Leben gab; ich lasse euch zurück auf Italiens Boden!
Vergib, o Gott! vergib dem Herzen eines Sohnes diesen Erguss des Schmerzes. Du weißt, welch eine Mutter ich verloren habe. Dieses sterbliche Leben ist das wenigste, was ich ihr verdanke. O mit welcher Sorgfalt war sie unablässig bemüht, mich zum himmlischen Leben zu führen! Kaum dämmerte in meiner jungen Seele die Morgenröte der Vernunft, da lenkte sie schon die keimenden Triebe zu dir, mein höchstes Gut. O wie oft des Tages lallte ich, nachahmend die mütterliche Stimme, deinen anbetungswürdigen Namen in kindlichen Tönen! Wie oft wiederholte ich, ohne dich zu kennen, was ihre Lippen mir vorsagten, und versprach in kindlicher Unbefangenheit, dich stets zu lieben, dich nimmer zu verlassen! Treuloser! wo sind diese so gerechten Gelübde? Ich wuchs heran und ward mit zunehmenden Jahren ein ganz anderer, als ich sein sollte. Sie streute ohne Unterlass den köstlichen Samen der schönen Tugend in mein Herz; aber sie streute denselben auf ein undankbares Erdreich. Jeden Kunstgriff versuchte die mütterliche Zärtlichkeit, die Liebe zu deinem heiligen Gesetz in mir zu erwecken, aber vergebens. Und wie sie mich von dir entfremdet sah und umstrickt von heilloser Irrlehre, da wurden ihre Augen zwei heiße Tränenquellen. Nie hat wohl eine Mutter so viel Tränen geweint am Grabe ihres einzigen Sohnes, als sie über den Untergang meiner Seele vergoss, die im Laster erstorben war. Die ganze Zeit und viele Jahre währte es - dass ich mich immer mehr von dir entfernte, nahm ihr Herzeleid kein Ende, wie wenn sie nicht mehr den Sohn, sondern nur seine Leiche vor Augen gehabt; dir allein sind sie bekannt die tiefen Seufzer dieses jammervollen Herzens. Kein Tag verging, an dem sie nicht zweimal aus frommem Triebe in deinem hehren Tempel erschien. Während dort das schuldlose Opfer, das der Welt das Leben gab, dargebracht wurde, opferte sie dir zugleich ihre Gebete und ihre Seufzer für meine Kettung. Sei es, dass sie begierig auf das Wort des Oberhirten horchte, der dem Volke das Brot des Lebens brach, oder, dass sie in sich gekehrt, in heiliger Stille die ewigen Wahrheiten betrachtete: immer hatte sie mich vor Augen, immer flehte sie für mich um Erbarmen, um Vergebung und Beistand. Nie erschien die Morgenröte, nie breitete die Nacht ihre schwarzen Schatten über die Erde aus, dass sie nicht stundenlang im stillen Kämmerlein vor dir auf den Knien lag. Da nannte sie meinen Namen unter Schluchzen und Tränen und rief deine Erbarmung an über meine Missetaten. Von ihren Tränen war stets der Boden angefeuchtet. Mit welcher Zudringlichkeit bat sie die heiligsten und gelehrtesten deiner Diener, sie möchten mich doch befreien von den Irrtümern jener unsinnigen Lehre, deren tödliches Gift ich im Herzen trug! Und eine solche Mutter sollte ich undankbar vergessen können? Nein, o teure Mutter! nie werde ich vergessen deine kummervolle Liebe, deine ängstlichen Sorgen, das bittere Herzeleid um meinetwillen und dein immerwährendes Streben, mich zu Gott zu führen. Immer werde ich jenes Tages gedenken, da ich dich unmenschlich an der Küste von Afrika verließ. Arme Mutter! was sie nicht versuchte, was sie nicht in diesem schmerzlichen Augenblicke alles sagte, um wenigstens so viel von mir zu erhalten, dass sie mich begleiten durfte!
Die Seele, bedeckt mit tausend hässlichen Wunden, das Herz gefesselt von den harten Banden meiner vieljährigen Sünden, den Geist geblendet durch die todbringenden Irrlehren der manichäischen Gottlosigkeit, und fern von Gott, nahm ich die Richtung nach Rom, wohin meine Ehrsucht mich lockte. Mit meiner Krankheit war es 10 weit gekommen, dass ich sie nicht mehr fühlte.
Aber wohl fühlte sie die Mutter, welche bei meiner Entfernung trostlos alle Hoffnung zu meiner Besserung aufgab. Von der Liebe beflügelt, begleitete sie mich bis ans Meer; und wie sie nun alle Hoffnung verschwinden sah, dass ich meinen Sinn ändern würde, da bat und beschwur sie mich jammernd und trostlos, ich möchte sie doch auf die Reise mitnehmen. Es war Abend und da benützte ich eben ihre Frömmigkeit, sie zu täuschen, indem ich mich anstellte, als wollte ich ihrer Bitte willfahren. Ich versprach ihr, bei Tagesanbruch würden wir absegeln, sie möchte indes die Nacht in frommen Gebeten bei dem Grabmal des großen Cyprian durchwachen. Sie glaubte mir, und mittlerweile segle ich ab und stehle mich von ihr weg. Wie ihr zu Mute war, als sie bei anbrechendem Morgen den Hafen erreichte und mein Schiff nicht mehr erblickte, das weißt du allein, ewiger Gott! der du ihre zärtlichen Klagen und ihr Flehen, wovon das Gestade ertönte, gehört hast. Mir ist, als sähe ich sie bleich, verlassen, das Haupt zur Erde gesenkt und ganz verloren in traurige Gedanken, langsamen Schrittes nach Tagaste zurückkehren und dort trübe Tage und bittere Nächte in Kummer verleben, immer neue Gelübde weihend für das Heil des unglücklichen Sohnes.
Noch ist mir, als säh' ich sie, wie sie endlich voll männlichen Mutes ihr Vaterland verließ, und auf mühsamen Wegen mich bis an die äußerste Grenze Italiens aufzusuchen kam. Man denke sich ihre Freude, als sie, angekommen in der bischöflichen Stadt des großen Ambrosius, mich von der manichäischen Raserei geheilt fand, wiewohl ich noch kein Christ war. Und welch ein Tag war es für sie, da sie mich, bekehrt zu dir, du Urquell des Lebens, mit meinem Sohne Adeodatus wiedergeboren sah durch die heilige Taufe! O da waren alle ihre Wünsche hienieden erfüllt. Wohl hast du mir dieses später gesagt, du teure Mutter! und immer noch denke ich an die Umstände jenes Gespräches. Wir waren auf unserer Reise nach Afrika zu Ostia angekommen. Dort, an einen Balkon gelehnt, der uns die Aussicht auf einen Garten gewährte, unterhielten wir uns und das Gespräch fiel auf die ewigen Güter, die uns im Himmel erwarten. Stets werde ich sie im Herzen bewahren diese letzten Worte, womit unser Gespräch sich endete. „Mein Sohn“ so sprachst du damals mit einem Angesichte voll himmlischer Hoheit - „was mich betrifft, so hat nichts mehr Reiz für mich in diesem Leben. Alle meine Hoffnungen in dieser Welt sind erfüllt, und ich weiß nicht, warum ich noch hier bin und was ich hier machen soll. Ehe ich in das dunkle Grab hinabsteige, verlangte ich dich noch als Christ zu sehen. Aber über meine Hoffnung hat mir Gott dieses gewährt. Ich sehe dich nicht nur als Christ, sondern auch als einen solchen, der mit gänzlicher Verachtung der irdischen Güter nach der höchsten Vollkommenheit christlicher Tugend strebt. Nun bleibt mir nichts mehr übrig, als im Frieden die Augen zuzuschließen.“
Ich kann mich nicht mehr besinnen, was ich dir hierauf geantwortet; doch weiß ich, dass du gerade nach fünf Tagen an jenem Fieber erkranktest, welches in Zeit von neun Tagen dich mir entriss. Und damals, als du, schon ganz erliegend der heftigen Krankheit, und dem Tode nahe, mühsam dich umkehrtest, um mich unter den Umstehenden zu suchen, bedeckt mit Todesblässe, mit mattem Blicke, mit sterbenden Augen, die Stimme heiser, schwach, gebrochen … ach, das Herz schwillt mir, der Schmerz beklemmt mir die Brust … Weine Augustin, denn du hast Ursache zu weinen! Eine Mutter hab' ich verloren, wie es wenige gibt, und zu einer Zeit, da ich kaum angefangen, sie zu kennen, und ihr dankbar zu sein. Vergib, o du teure Mutter! ach, der Tod hat uns getrennt, und nur der Tod soll mich dir wiedergeben. Du wohnst, als ein reiner Geist, in den unermesslichen Regionen der Ewigkeit; und ich verwaist und trostlos in diesem elenden Verbannungsorte. Teure Mutter! wiewohl fern von mir, bist du dennoch stets mir gegenwärtig. Ich sehe, ich betrachte dich im Geiste und im Innern vernehme ich deine liebliche Stimme und vor allem jene letzten Worte, die du gesprochen. Doch was beginn' ich Unbesonnener! mit diesen Worten errege ich nur noch mehr diesen Schmerz, den ich besänftigen sollte.
Vater im Himmel, von dem allein jeder wahre Trost herabkommt, du meine Liebe, du Liebe meiner Mutter! Womit kann ich ihr anders denn vergelten, als mit nutzlosen Klagen? Du allein kannst ihr helfen, du allein, in dessen Händen die Seelen der Lebendigen und Abgestorbenen sind! Gib Ruhe ihrer Seele, gib Frieden deiner Dienerin! Für sie flehe ich um Erbarmen bei dem allversöhnenden Blute deines geliebten Sohnes. Du weißt, dass auf ihm ihre ganze Hoffnung beruhte; du weißt, wie dringend sie wenige Tage vor ihrem Hinscheiden mir anempfohlen, bei dem heiligen Opfer ihrer stets zu gedenken. Ich weiß, dass sie, solange sie hienieden weilte, deine unschätzbare Liebe beständig im Herzen trug; ich weiß, dass dein tadelloses Gesetz ihre stete Wonne war. Aber sie war ein Kind Adams, mit Fleische bekleidet und in Sünden empfangen; und dieser Gedanke allein erfüllt mich mit Schrecken, und ich bebe vor deinen ewigen Gerichten. Behaupten darf ich es nicht, dass sie seit ihrer Taufe kein Wort geredet, das dir missfällig gewesen. Vor deinem Blicke sind die Himmel nicht rein; und dieser unreine Schlamm sollte sich einbilden, ohne Makel zu sein? Ach! wenn uns deine Barmherzigkeit nicht schützte vor deinen Strafgerichten, o Gott, was würde aus uns werden!
Ohne zu erwähnen der heiligen Werke deiner Dienerin, wofür ich dir danke, indem es deine Gaben sind, flehe ich um Erbarmen über ihre Sünden. Hat sie dich jemals beleidigt, o Herr, so vergib, verzeih' ihr, die du von dieser Erde abgerufen hast! Auch sie hat immer von Herzen ihren Beleidigern vergeben! Wenn sie dennoch eine Schuldnerin deiner Gerechtigkeit ist, so möge deine Milde, deiner Verheißung gemäß, sie erledigen. Nimm an das unermessliche Lösegeld, das unser göttlicher Mittler schon für sie bezahlt hat, und welches sie durch den Glauben sich zugeeignet.
Aber welcher süße Gedanke steigt mir da in der Seele auf und verscheucht auf einmal alle düsteren Wolken? Ein ungewohntes Licht erfüllt meine Seele, erheitert den Geist und verbannt die Furcht. Auf jenen Sturm beunruhigender Gefühle zeigt sich der Regenbogen des Friedens, die süße Hoffnung. Gütiger Gott! nur ein milder Blick von dir kann diese Umänderung bewirkt haben! Wohl kenn' ich sie, die anbetungswürdige Stimme, die mir sagt, dass meine Mutter aufgenommen sei in die ewige Ruhe. Dich, du Gott der Liebe, der du unsere Schwachheit kennst und so gern die Schätze Deiner unendlichen Erbarmung über uns ausschüttest, dich erkenne ich, dir danke ich, dich bete ich an! Wer kann zählen deine Erbarmungen? Wer ist dir gleich im Verzeihen? Wohl erfährt dieses, wer immer demütig und zerknirscht vor dir erscheint. So erhebt euch denn weit über die Erde, ihr meine Gefühle der Dankbarkeit, der Liebe, der Reue, des Schmerzes: ein würdigerer Gegenstand zieht euch an! Es ist nicht mehr die irdische, die verblichene Mutter, es sind nicht mehr diese aufgelösten Glieder, die euch an diese Erde fesseln. Zum Himmel erhebt euch, zum Himmel, dem alles angehört.
O du, der du, selbst unwandelbar, alles lenkst, du nach Zeit und Raum unbegrenztes Wesen, du, den ich vor mir habe, und doch nicht sehe, den ich bewundere, und doch nicht erblicke, den ich liebe und nicht begreife, den ich als den Unsichtbaren, Unerschaffenen, Unendlichen, Unermesslichen, Ewigen anbete! zu dir wende ich mich, o mein Wohltäter, mein Vater! mein Gott! Du bist der Urquell, dem ich entquollen, und das Meer, in welches ich wiederkehre. hast in deiner Weisheit alles erschaffen, und mich hast du gebildet einzig für dich. Und O mit wie vielen Stimmen rufst du mich zu dir! Das unermessliche Schauspiel deiner Geschöpfe, die du meinem Blicke darstellst; so viele Schönheiten, die mich von allen Seiten umgeben, verkünden mir deine Größe, deine unendliche Schönheit. So viele Geschenke, womit du mein Leben kröntest, waren mir eben so viele Versicherungen deiner Huld und Liebe. Die Anlagen meines Geistes, die Gefühle meines Herzens sind eben so viele Flügel, auf denen ich mich zu dir erschwingen sollte. Dieser ganze große Schauplatz deiner Herrlichkeit flößte mir Liebe, Anbetung, Ehrfurcht, Gehorsam und Glauben ein. Ich aber zollte dir nicht diesen Tribut und machte mich dem Tiere gleich blind und taub. Seit meinem sechzehnten Jahre (ich übergehe meine früheren Verirrungen), seit meinem sechzehnten Jahre lebte ich nicht mehr mit dir, sondern der Lüge, der Sünde, der Schuld, die ich zu meinem Götzen machte, und zu deren Dienst ich mich erniedrigte. Vergebens rief dein ewiges Gesetz, welches du mir ins Herz geschrieben, vergebens dein heiliges Wort; umsonst waren die Drohungen, mit welchen du durch deine innerliche Stimme mich zu erschüttern suchtest. Die niedrige Lust hatte mich ganz eingenommen. O Gott! ich kann daran denken und noch leben!
Ihr unschuldigen Tiere, seht hier ein Ungeheuer, wie unter euch keines zu finden ist! Ihr munteren Vögel, die ihr beim Anbruche der Morgenröte die betauten Flügel schwingt und den jungen Tag mit Gesang begrüßt; sanfte Lämmlein, die ihr auf grünender Au hüpfend eure Nahrung sucht; und ihr Bewohner des Meeres, das ich durchschiffe: ihr lobt Gott in euerer Sprache, ihr gehorcht euerem Schöpfer. Und ihr, Wirbelwinde, Sturm und Regen, Schauer, Hagel, Blitze und Ungewitter, stets vollbringt ihr den Willen eueres Schöpfers, den ihr nicht kennt. Und ich, der ich ebenso wohl, wie ihr, sein Geschöpf bin, der ich seine höhere Majestät erkenne, der ich durch tausend euch unbekannte Geschenke von ihm abhänge und berufen bin, einst an seiner Glückseligkeit teilzunehmen, er schaudert vor mir, ich habe ihn verachtet. Und dies war nicht etwa ein vorübergehender Wahnsinn von wenigen Augenblicken. Zwölfmal bekleidete der Zephyr mit neuem Laub die Bäume, zwölfmal verwüstete der raue Nordwind die Gefilde, während ich immerfort mit neuer Schmach meinen Schöpfer reizte. Ewiger Gott; wie kann ich anders diese Schuld tilgen, als indem ich seufzend deine Wohltaten und mein Unrecht vergleiche und dir soll Betrübnis und Zerknirschung den bitteren Schmerz zum Opfer bringe, der jetzt meine Seele foltert! Im dritten Jahre, seitdem ich, hingegeben dem Verderben der Wollust, immer weiter von dir mich entfernt hatte, ging das ansteckende Gift aus dem Herzen in den Verstand über. Es umwölkte, es verdunkelte sich in mir das heilige Licht der Vernunft und des Glaubens; allmählich verlor ich die übersinnlichen Dinge aus den Augen. Und nun erblindet, weiß ich mir nichts anderes mehr vorzustellen, als die Erde. Der fleischlich gewordene Geist erhebt sich nicht mehr über die niedrigen Dinge. Während ich so im Finstern aus einem Abgrunde in den anderen stürzte, sättigte ich in den stehenden Lachen, in die ich mich vertiefte, meinen Durst mit jenem Wissen, das aufbläht und zum Toren macht. Während der tierische Mensch, auf den Gesichtskreis seiner Sinne beschränkt, sich übermütig erdreistet, mit seinem kurzen Maßstabe die göttlichen Dinge zu messen, erniedrigt er sie, indem er auf seinen engen Kreis sie beschränkt. So fiel ich Unglückseliger in die Lästerungen der Manichäer. Gleichwie ein Mensch, von der Fieberhitze befallen, die sonderbarsten Traumgebilde verfolgt und im Wahnsinn sich für gesund hält: so freute ich mich meiner eigenen Torheit, als wäre sie hohe Weisheit, und wie von Wahnsinn befallen, führte ich offenen Krieg gegen meinen Gott. Ich leugnete und bekämpfte seine unendliche Macht, seine Oberherrschaft über das Weltall: betrogen und wieder betrügend werfe ich mich zum Lehrer und Verteidiger der ruchlosen Torheit auf. Dir, o Herr! bekenne ich diese meine Schandtaten, nicht um dir zu sagen, was du schon weißt, sondern um meine Schwachheit zu zwingen, dass sie anerkenne, wer ich bin und wer du bist.
Und was tatst du, O Gott der Güte! während ich in meinen Sünden alterte, von Tag zu Tag schlimmer wurde und größere Schulden anhäufte? Wuchs etwa mit jedem Tage auch dein gerechter Zorn, mir Strafe und Rache bereitend? Überließt du etwa, aufgebracht über meinen niedrigen Verrat, mich deinem Zorne, um mich als ein unglückseliges Schlachtopfer der ewigen Strafe preiszugeben? Es stand in deiner Macht und du hättest gerecht gehandelt, und Himmel und Erde hätten dir Beifall gejauchzt, wenn deine Hand mich niedergestürzt hätte. Aber deine Güte, o Gott! ließ das nicht geschehen. Wie kann ich dir genug danken für diese Erbarmung? Eine vieljährige Undankbarkeit konnte dich nicht ermüden. Da ich schuldbeladen, treulos und unbekümmert um deine väterliche Zärtlichkeit dir entlaufen war, da gingst du mir sorgfältig nach und hörtest nicht auf, mich zu lieben. Wohin ich mich wende, da wacht über mich deine milde Barmherzigkeit und bedeckt mich stets mit ihren Flügeln und geleitet mich voll Langmut und Liebe auf demselben Pfade, der mich in den Tod geführt, zu meinem Heile.
Dem Phantasiegebilde irdischen Ruhmes von Stadt zu Stadt nachjagend, verkaufte ich meine unnützen und leeren Wortklaubereien unter dem schönen Namen Beredsamkeit. Unnütze Kunst, wenn sie nicht Dienerin der Wahrheit ist! Aber du, der du meine Schritte von Tagaste nach Karthago, von Karthago nach Rom, und von da ins Herz Italiens lenktest, führst mich dahin, wo das Werk deiner Liebe soll vollendet werden. Wie weise und sorgfältig ordnest du dazu alles, entfernest alles, was deiner Absicht im Wege stand. Ich gehe zur See, um nach Italien zu kommen; und du zügelst gütig die Winde, beschwichtigst die Wogen, lenkst das Schiff, und führst mich ans Ufer. Zu Rom erkrankt, flehe ich weder deine Gnade an, noch verlange ich nach dem heilsamen Bade, um abzulegen die Schandflecken meines abscheulichen Lebens. Dennoch hieltest du von mir ab die Sichel des Todes, verscheuchtest die Krankheit, gabst mir meine vorige Gesundheit wieder. Wo, ach, wo wäre ich jetzt, wenn ich damals dieses Leben verlassen hätte; einzig trachtete ich, das Ziel meiner Wünsche zu erreichen; aber du wendetest mit verborgener Kunst selbst dieses mein Streben zu deinen Zwecken. So führtest du mich durch mancherlei Ereignisse, in denen ich nichts sah, als was der Kurzsichtige Zufall nennt, zum Seelenhirten Ambrosius. Schon war mir sein Name - dir sei es gedankt! - durch das Gerücht bekannt. Du erregtest in mir den Wunsch, ihn zu hören, wie er in der Versammlung deines Volkes dein heiliges Wort erklärt. Und während ich, angezogen von dem hohen Rufe seiner Beredsamkeit, aufmerksam die Einkleidung seiner Worte aufnehme, bewirkst du, dass ich auch den Sinn deiner Wahrheit einsauge. Der katholische Glaube fängt schon an, mir zu gefallen, schon leuchtet mir zum Teil seine Wahrheit ein; sein hohes Ansehen nimmt mich ein, ich gewinne ihn lieb. Aber mein Herz ist noch in Banden, mein Wille gefesselt. Vergebens strenge ich mich an, ihm entgegenzukommen; die mich beherrschende Lust und eingewurzelte Gewohnheiten halten mich gefesselt, und ich weiß nicht, wie ich mich dagegen sträuben, wie ich mich losreißen und mich in Freiheit setzen soll. Zu stark sind meine Bande, und zu sehr liebe ich sie. Doch du bereitetest mir inzwischen meine Freiheit. Du riefst mir ins Andenken deinen Diener Simplician und gabst mir den Gedanken ein, zu ihm zu gehen. Dem Simplician gabst du es ins Herz, dass er mir die Geschichte des Victorinus mitteilte. Er erzählte mir, wie dieser große Philosoph deiner Stimme gehorchte und sich zu dir bekehrte. Schon beginn' ich zu erwachen, schon fühle ich deine Hand, die mich berührt; aber ich schüttle meinen Schlaf noch nicht ab. Da sandtest du mir den guten Pontitian. Dieser Hofmann, dir so teuer und treu, hatte bloß die Absicht, mich zu besuchen; doch kam er als Diener deiner Erbarmung. Zufall schien es, dass ich eben das heilige Buch deines Apostels Paulus vor mir hatte; aber es war nicht Zufall, es war deine Vorsehung. Daraus entnahm dein treuer Diener den Inhalt seines frommen Gespräches. Hierauf leitetest du ihn auf die Erzählung der Taten deines heiligen Antonius, des Vaters und Meisters so vieler anderer Heiligen in den ägyptischen Wüsten. So stelltest du mir vor Augen den leuchtenden Wandel, die erhabenen Tugenden dieser großen Seelen, die aus Liebe zu dir sich von der menschlichen Gesellschaft trennten, um dir allein zu dienen. Zuerst erwachte in mir Bewunderung, dann Scham. Beim hellen Glanze dieser so schönen Beispiele erkenne ich meine Hässlichkeit. Ich erschaudere, aber ich vermag es noch nicht, sie abzustreifen; ich habe noch nicht den Mut, diesen Helden nachzuahmen. Nach dem Ratschlusse deiner Weisheit, die seine Rede lenkte, ging der gute Pontitian zu einer anderen Erzählung über und trug mir eine Begebenheit vor, wovon er selbst Zeuge war, als er den Kaiser nach Trier begleitete. Zwei seiner Gefährten, die in der Zelle eines deiner Einsiedler das Leben des Antonius gelesen hatten, entschlossen sich augenblicklich, den Hof zu verlassen, ihre jugendlichen Bräute und alles, was die Welt ihnen gegeben hatte, oder noch versprach, und an diesem nämlichen Orte in Niedrigkeit und Dunkelheit nur dir allein zu leben. Ihre heldenmütigen Bräute, die so willig diese hohe Tugend nachahmten, dass sie sogleich das Gelübde taten, nie einen anderen Bräutigam zu haben, als dich, und festhielt. In diesem Spiegel des hohen Wertes anderer sehe ich immer deutlicher meine Hässlichkeit, die schwarzen Flecken, die ekelhaften Wunden, die mich ganz bedecken. Ich erschaudere, werde mir selbst unerträglich, entzweie mich mit mir selber, schäme mich, entbrenne, klage mich an, verdamme mich, und schleudere tausend quälende Vorwürfe gegen mich und meine frühere Ruchlosigkeit. Es erwachte in meinem Innern ein wildes Gefühl widerstreitender Begierden, es entzündet sich ein Kampf zweier entgegengesetzten Willen. Ich will das Gute, schon will, schon gebiete ich mir selbst, ihm mutig zu folgen; aber mein träger Wille, an das Böse gewohnt, widerstrebt hartnäckig und reißt mich rückwärts zu dem verhassten Bösen. Schon erhebe ich mich und mit angestrengter Kraft und hohem Mute eile ich jenen nach, die ich bewundere. Aber von neuem sinken meine Kräfte, meine eigene Schwäche und die schwere Last der gewohnten Bande drückt mich zu Boden, hält mich gefangen, ohnmächtig und kraftlos sinke ich zurück in meinen vorigen Zustand. Und dennoch knirsche ich mit den Zähnen, reiße mir die Haare aus, schlage wütend mich vor die Stirn und umfasse mit beiden Händen meine Kniee, als wollte ich jeden Augenblick das alte Joch abschütteln.
Da trat mitten in diesem Kampfe von der einen Seite der Schwarm niedriger Lüste, die mir einst so teuer waren, entgegen; von der anderen Seite aber im leuchtenden Gewande, in Himmelsschöne die hehre Keuschheit. Mit gewohnter Schlauheit begannen jene ihre alten Schmeicheleien und Liebkosungen und riefen im kläglichen Tone mir zu: Also willst du uns verlassen? Also auf immer von uns scheiden? Wirst du leben können ohne uns? - Diese hingegen, umgeben von der Schar edler Freundinnen, reichte mir in majestätischer Haltung und doch freundlich die keusche Hand und lud mich liebevoll ein, ihr zu folgen.
Während so der heftige Kampf unentschieden tobte und ich bittere Tränen vergoss, gefiel es dir, einen neuen Beistand mir zu senden durch jene Stimme, von der ich bis auf diese Stunde nicht recht weiß, woher sie kam. Es war wie der Gesang eines spielenden Kindes, welches die Worte wiederholte: „Nimm und lies! Nimm und lies!“ Während diese Worte mein Ohr berührten, vernahm ich in meinem Innern eine andere Stimme, die mich belehrte, dass dieses ein Wink sei von dir. Ich halte nun meine Tränen zurück und gehorche. Ich eile an jenen Ort, wo ich das Buch deines Apostels Paulus zurückgelassen hatte. Ich nehme es auf, öffne dasselbe, und lese, was mir zuerst vorkommt, und da finde ich die Worte: Anständig, wie es am Tage sich geziemt, lasst uns leben, nicht in Nachtschwärmen und Trinkgelagen, nicht in Unzucht und Hurerei, nicht in Zank und Neid! Sondern zieht den Herrn Jesum an und pflegt den Leib nicht zu Gelüsten.
Weiter las ich nicht, und wollte auch nicht weiter. Diese deine Aussprüche verscheuchten, gleich einem himmlischen Lichte, auf einmal alle meine Zweifel. Zerstreut und zerstoben wurden meine Feinde, zur Erde fielen die schweren Ketten meines sklavischen Willens, und frei und ungehindert im Gebrauche meiner Kraft finde ich mich mitten auf dem Schlachtfelde und ergebe mich ganz an dich. So endete der Kampf, den du erregt hattest zu meiner Befreiung; so der Krieg, den ich so lange Zeit gegen deine Barmherzigkeit geführt.
Du hast gesiegt, o Herr! Dir gebührt der Triumph! Sieh, von diesem Augenblicke an bin ich deine Beute, deine Eroberung. Aber welche Eroberung, o mein Gott! welche Beute! Was hast du in diesem langwierigen Kampfe, mit diesem deinem Siege endlich bezwungen? Einen Wurm - und einen Gott habe ich bekriegt! Für mein Heil hast du also gekämpft; einzig, um mich zu beglücken, hast du so viele Jahre hindurch mit allen Künsten deiner göttlichen Liebe mit umlagert! Also hattest du bei diesem Kampfe keine andere Absicht, als mich in deinen Schoß zu führen, mir deine Liebe zu schenken, deine Güter, dein Reich, und mich ewig bei dir zu haben in dem Genusse einer Seligkeit ohne Ende! Also um einen solchen Kranken zu heilen, duldetest du meine Widerspenstigkeit und die boshaften Beschimpfungen! Und warst so besorgt, mich glücklich zu machen! Und wolltest nichts, als Liebe und verlangtest nichts, als mein Herz und dieses alles zu meinem Besten, und verlangtest dasselbe von mir, wie ein Dürftiger - du Gott, und ich ein Wurm! Und ich Erdwurm konnte dir's versagen, dir, meinem Gott! Und du vergaßt diese meine großen Missetaten gänzlich und nahmst mich auf in deinen Schoß mit zärtlichen Liebkosungen und fandest die so große Langmut durch eine solche Eroberung hinreichend vergolten, und nimmst meine Liebe an, wie spät ich auch dieselbe dir reiche, und löschst in dem Augenblicke, da ich mich dir ergebe, alle meine Vergehen aus. O mein Wohltäter! O mein abscheuliches Herz! Welche Vergehen! o Gott … Langmut!
O Liebe! Herr, du hast gesiegt! siehe, da bin ich, dein bin ich auf ewig. Nichts anderes will ich, als was ich früher nicht wollte; kein anderes Verlangen habe ich, als dich zu lieben. O Herr, du hast gesiegt! Hier liege ich zu deinen Füßen als ein Gefangener, der demütig um Gnade fleht. Nur um diese Gnade flehe ich, dass ich dich lieben möge, dich, mein Leben! dass ich dich allein, dich immer lieben möge, und mit einer Liebe, die wenigstens dein nicht unwürdig sei. Ach, zu spät erkenne ich dich, du unendliche Schönheit, du höchstes Gut! Jetzt sehe ich es ein, dass es in der Welt kein Elend gibt, als dich nicht zu lieben, der du allein unserer ganzen Liebe würdig bist, du teurer Schatz, du Kleinod meines Herzens; alles außer dir ist mir nichts mehr. Als ein armes Geschöpf, für dich erschaffen, werfe ich keinen Blick, keinen Gedanken mehr auf mich. Ganz bin ich dein; nichts behalte ich mir als Eigentum zurück. Ich verabscheue die Ruchlosigkeit, womit ich dir bisher meine Liebe entzogen habe. Du allein bist für mich, und ich bin einzig für dich.
Herr! aus Liebe hast du so vieles von mir erduldet, und verzeihest mir jetzt so viel, und bewahrst mir so große Güter im Himmel auf: und ich sollte dich nicht lieben? ich sollte … Doch nein, o mein Gott! deine Gaben sind nicht der Grund meiner Liebe. Ich liebe dich in deinen Gaben, denn in diesen erkenne ich meinen Gott. O höchstes Gut, ich liebe dich, weil du in dir selbst liebenswürdig bist, weil du die höchste Liebe verdienst; ich liebe dich, weil du bist, der du bist. Ich liebe dich um deiner selbst willen; ich liebe dich auch ohne deine Geschenke. Ich liebe dich um deiner Liebe willen, und dieser möchte ich alles, das Höchste und Beste, was ich besitze, hingeben. Herr! du siehst es, meine Sprache verstummt, ich finde keinen Ausdruck mehr; aber mein Herz verstummt nicht. Du weißt, was ich empfinde, und was ich nicht auszusprechen vermag. Ich liebe dich, o mein Gott! aber das Herz ist mir zu enge für eine solche Liebe und mein ganzes Wesen ist zu schwach, dieselbe in ihrer ganzen Größe zu umfassen. Darum verlasse ich diese engen Schranken und versenke mich ganz in dich und verwandle und verliere mich in dein Wesen, du mein Schöpfer, alles Guten Urquell! Du meine Liebe, mein Gott!