Arndt, Friedrich - Das christliche Leben - Achte Predigt
Das häusliche Leben
Text: Colosser III, V. 12 - 17.
So ziehet nun an, als die Auserwählten Gottes, Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth, Sanftmuth, Geduld; und vertrage einer den andern, und vergebet euch unter einander, so jemand Klage hat wider den andern, gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Über alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit. Und der Friede Gottes regiere in euern Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in einem Leibe, und seid dankbar. Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen, in aller Weisheit; lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen, lieblichen Liedern, und singet dem Herrn in euerm Herzen. Und Alles, was ihr thut mit Worten oder mit Werken, das thut Alles in dem Namen des Herrn Jesu, und danket Gott und dem Vater durch ihn.
In unsern letzten Betrachtungen, Geliebte, hatten wir die Geschichte des innern Glaubenslebens gemeinsam durchgegangen, und uns näher seinen Ursprung, seine Durchgangspunkte, seine Hauptoffenbarungsweisen vergegenwärtigt. Der Glaube soll aber das ganze Leben des Christen, nicht allein das innere, sondern auch das äußere durchdringen, und wir haben demnach von heute an seine Einwirkung auf das häusliche, bürgerliche und kirchliche Leben zu beachten. So sei es denn das häusliche Leben, wobei wir diesmal verweilen, 1) wie es entsteht, 2) wie es geführt wird, 3) wie Gott es segnet.
I.
Das häusliche Leben beginnt mit der Ehe, mit der Verbindung zweier Menschen für die gleichen Zwecke des Gottesreichs. Denn nichts anders als das soll sie sein nach christlichen Grundsätzen. Kein bloßes äußeres Zusammenleben unter einem Dach, wo man nur nebeneinander geht und gleichsam vertragsweise sich nicht hindert, wo die Höflichkeit und Achtung die Stelle der Liebe vertritt, und jeder behutsam sich in seinen Schranken zu halten bemüht ist. Keine Verbindung zu gemeinsam erhöheteren Freuden und Genüssen sinnlicher und weltlicher Art; keine Befriedigung einer erwachten Lust und stürmischen Leidenschaft, kein gegenseitiges Zusammentreten, um auf Erden sein Glück zu machen. Wäre sie das, sie stammte von unten herauf, und trüge damit den Keim ihres Unterganges und ihres Unglücks in sich selbst. Die wahre, christliche Ehe ist kein getrimmtes Paradies, sondern ein Prüfungsstand, eine besondere, von Gott eingesetzte Ordnung, in der einer dem andern hilft und fördert und ihm Handreichung thut zum Reiche Gottes, eine Schule der Heiligung und Vervollkommnung, ein sichtbares Bild der Vereinigung Christi mit seiner Gemeinde. In ihr seid beide Theile von dem Gefühl durchdrungen: unser Wandel ist im Himmel; in ihr wird die Liebe zu einander getragen und geheiliget durch die gemeinsame Liebe zum Herrn; in ihr darf das Weib zum Manne sagen: du bist mir wie Christus der Gemeinde, und der Mann zum Weibe: du bist mir wie die Gemeinde Christo, und beide zu einander: unsere Ehe ist im Himmel geschlossen und Christus ist der Dritte, oder vielmehr der Erste, in unserm Bunde!
Wie nun, Geliebte? Wird dieser hocherhabene, heilige Zweck der Ehe da erreicht werden, wo der Leichtsinn, die Sinnlichkeit, die stürmische Leidenschaft, der äußere Zwang oder die kluge Berechnung, oder die irdische Absicht die Gemüther und die Herzen, oder laßt uns richtiger sagen, die Hände verbindet? wird da nicht die Ehe schon beim Schließen entheiligt und verunreinigt? muß da nicht nach kurzem Rausche die Ueberzeugung Raum gewinnen, daß man nicht für einander passe, und diese Ueberzeugung alsbald zur Gleichgültigkeit, zur Kälte, zur Bitterkeit, zum Mißtrauen und zur Abneigung führen, die Eintracht und der Friede allmälig verschwinden, einer dem andern zur Qual leben, und endlich die ganze Verbindung ein Ende mit Schrecken nehmen? Unglückselige Vereinigung zweier Gemüther ohne Gott und fern von ihm!
Die christliche Ehe ist eine Vereinigung zu Gottes Ehre und um Gottes willen, darum wird und kann sie nur geschlossen werden mit Gebet und im Aufblick zum Herrn; denn wo der Herr nicht das Haus bauet, so arbeiten umsonst, die daran bauen. (Ps. 127, 9.) Sie erkennt in dem gegenseitigen Begegnen und Kennenlernen und Liebgewinnen und allen Umständen, welche bei der Wahl zusammentrafen, die Fügung Gottes, und wagt nicht eher, den ernsten und entscheidenden Schritt für's ganze Leben zu thun, wagt nicht eher, das unwiderrufliche Ja vor dem Herrn und der Welt auszusprechen, und Hand und Herz dem Geliebten zu geben, bis sie nach reiflicher Prüfung vor Gottes Angesicht und nach inbrünstigem Gebet zum Herrn seines göttlichen Willens und Segens gewiß geworden ist, und hoffen darf, einander Werkzeug zu sein zur Heiligung auf dem Wege des Lebens, zur Stärkung des Glaubens und zur Vollendung der Gottseligkeit. Der christliche Gatte erkennt in dem andern Theile ein theures, kostbares Gut, das Gott ihm anvertraut hat, damit er es heilig halte und zum Segen gebrauche und einst mit Dank dem Herrn zurückgeben könne. Darum tritt er in den Ehestand ein, von der einen Seite mit großer Freude, daß des Herzens leisester und tiefster Wunsch endlich gestillt ist und eine neue Welt herzerhebender Hoffnungen und Freuden sich ihm eröffnet, von der andern Seite aber auch mit heiligem Ernst, im tiefen Gefühl der hohen Bedeutung des einzugehenden Verhältnisses und im Flehen zum Herrn, dem Stifter, Behüter und Segner des Ehestandes, um Gnade und Segen. Nur wo die Ehe auf solche Weise, im Herrn, geschlossen wird, wird sie eine gesegnete Ehe sein, und das Haus, was sie baut, eine Hütte Gottes bei den Menschen. Nur von ihr wird man singen können: O selig Haus, wo man Dich aufgenommen, Du wahrer Seelenfreund, Herr Jesu Christ; wo unter allen Gästen, die da kommen, Du der Gefeiertste und Liebsie bist; wo aller Herzen Dir entgegenschlagen und Aller Augen freudig auf Dich sehn, und Aller Lippen Dein Gebot erfragen und Alle Deines Winks gewärtig stehn.
II.
Natürlich wird in solch einem Hause auch ein entschieden christlicher Geist walten müssen, und da der Glaube, wie wir das letzte Mal sahen, sein Leben als Gebet, Liebe und Demuth offenbart, so wird auch in dem christlichen Ehestande und im christlichen Hause der Grundton und die Seele des Ganzen Gebet, Liebe und Demuth sein.
Zuerst Gebet. Der Apostel schreibt: „Lasset das Wort Christi unter euch reichlich wohnen, in aller Weisheit, lehret und vermahnet euch selbst mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern, und singet dem Herrn in euerm Herzen. Und Alles, was ihr thut mit Worten oder mit Werken, das thut Alles in dem Namen des Herrn Jesu, und danket Gott und dem Vater durch ihn.“ Ein christliches Haus ohne Gott, ohne Kirche, ohne Bibel, ohne Hausandacht, ohne Gebet ist gar nicht gedenkbar. Seine Losung lautet vielmehr: „Ich und mein Haus, wir wollen dem Herrn dienen,“ und Alles, was die einzelnen Glieder desselben thun und leisten, ist ein Gottesdienst. Der Herr ist es, den man Morgens und Abends gemeinsam anruft, dem man dankt, zu dem man Zuflucht nimmt, in dessen Geiste und zu dessen Ehre man arbeitet und ruht, ißt und trinkt, frohlockt und leidet, lebt und stirbt. Er ist der unsichtbare Hüter in der Nacht, wenn Alles schläft und schlummert; Er ist der Begleiter auf allen Schritten und Tritten am Tage, der Förderer bei der Arbeit, der Gast bei Tische, der Hausfreund, Hausarzt, Haushelfer und Tröster; Er geht fortwährend aus und ein, und heiligt alle Bemühungen und Thätigkeiten der einzelnen Glieder. Es heißt da, wie zu Kapernaum: „Ich bin ein Mensch, dazu der Obrigkeit unterthan, und habe unter mir Kriegsknechte; noch wenn ich sage zu Einem: gehe hin, so geht er, und zum Andern: komm her, so kommt er, und zu meinem Knechte: thue das, so thut er's“ (Matth. 8, 9). Es gilt da als Richtschnur das Wort des Herrn zu Kana: „Was Er euch saget, das thut“ (Joh. 2, 5). Es spricht da der Herr täglich, wie bei Zachäus: „Heute ist diesem Hause Heil widerfahren (Luc. 19, 9). Es geht da her, wie in Bethanien, wo Martha sorgt und schafft, Maria zu den Füßen Jesu sitzt und das Eine bedenkt, was Noth ist, und Lazarus wieder von den Todten auferweckt wird. (Luc. 19, 39-42. Joh. 11.) Jesus ist da der Weinstock, und die Hausgenossen sind die Reben; Er das Haupt, sie die Glieder; Er der Hirt, sie die Heerde; Er der Meister, sie die Jünger.
Das zweite Kennzeichen des christlichen Hauses ist die Liebe. Unser Text sagt: „So ziehet nun an, als die Auserwählten Gottes, Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Sanftmuth, Geduld; und vertrage einer den andern, und vergebet euch unter einander, so jemand Klage hat wider den andern; gleichwie Christus euch vergeben hat, also auch ihr. Ueber Alles aber ziehet an die Liebe, die da ist das Band der Vollkommenheit.“ Ist schon überhaupt und im Allgemeinen die Liebe der Geist des Christenthums, so ist sie es insbesondere, die im Hause die einzelnen Glieder und Genossen unter einander verbindet und beseelt. Diese Liebe zeigt sich als Sanftmuth, Erbarmen, Freundlichkeit, Geduld, Versöhnlichkeit; einer verträgt den andern und vergiebt dem andern, und Alle sind fleißig zu halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens. Einer trägt des Andern Last und erfüllt das Gesetz Christi; wo Störungen und Mißverständnisse eintreten, da entschuldigt jeder den andern, und nimmt die Schuld auf sich selbst. Furcht, Mißtrauen, Laune, Unmuth, Selbstsucht sind verbannt; und werden Opfer gefordert und Anstrengungen für das Wohl des Ganzen: die Liebe scheut sie nicht, sie bringt sie gern, sie setzt selbst das eigne Leben in den Kauf. Ihr sehet daher im christlichen Hause die Liebe äußerlich ihres Berufes warten und pflegen, und mit emsiger Thätigkeit, mit unermüdetem Fleiße ihren Obliegenheiten nachkommen. Eine bestimmte und geordnete Arbeitsamkeit macht sich geltend vom Morgen bis zum Abend, und weist jeder Stunde ihr Geschäft, jeder Sache ihren Platz an, damit Ordnung, Pünktlichkeit und Genauigkeit im Hauswesen walte, und ein Geist der Fröhlichkeit alle Genossen desselben durchdringe, der eben nur da ist, wo jeder seine Pflicht thut. Ihr sehet aber auch die Liebe innerlich geschäftig sein zur gegenseitigen Förderung in dem Einen, was Noth thut, und mit Sanftmuth und Milde einander aufmerksam machen auf ihre Fehler, ihre Sünden sich nennen, zu allen Tugenden sich ermuntern, im Glauben sich beistehen und fördern, und sich üben mit einander in der Gottseligkeit. Man lebt bei und mit einander, nicht blos für die Zeit, sondern für die Ewigkeit, und eingedenk dieser großes Bestimmung, erbaut Einer den Andern mit Reizen zur Liebe und zu guten Werken. (Ebr. 10, 24.)
Das dritte Kennzeichen des christlichen Hauses ist die Demuth. Der Apostel nennt sie auch im Texte auf seiner Haus- und Ehetafel, und sagt: „Ziehet an als die Auserwählten Gottes, Heiligen und Geliebten, herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Demuth.“ Diese Demuth zeigt sich darin, daß jeder gering von sich hält und hoch von dem Andern, daß er sich selbst verläugnet und dem Andern unterordnet, daß er Herrschaft über sich selbst, über seine Gefühle und Empfindungen, und besonders über seinen Zorn, seine Empfindlichkeit und Reizbarkeit beweiset, daß er jeden Eigensinn und jede Rechthaberei in sich so viel als möglich bekämpft, und, seiner Schwachheit und eignen Verantwortlichkeit sich wohl bewußt, den eignen Berufskreis zwar gewissenhaft ausfüllt, aber sich nicht in den Wirkungskreis des Andern auf. und eindrängt, noch einmischt. Sie zeigt sich aber auch dann, daß Keiner im Andern sucht, was er nicht hat; Keiner vom Andern fordert, was er nicht kann; und wie er gegen sich strenge ist, eben so mäßig in seinen Anforderungen und Ansprüchen an Andere.
Glückliches Haus, wo dieser Geist des Gebets, der Liebe und der Demuth waltet! Da leisten auch alle Verhältnisse, was sie sollen, und es sieht jeder an seinem Orte. Der Mann liebt das Weib, gleichwie Christus die Gemeinde geliebt hat und handelt nach der Ermahnung des Apostels: „Ihr Männer, liebet eure Weiber, gleichwie Christus auch geliebet hat die Gemeinde und hat sich selbst für sie gegeben. Die Männer sollen ihre Weiber lieben als ihre eignen Leiber, wer sein Weib liebet, der liebet sich selbst. Denn niemand hat jemals sein eigen Fleisch gehasset, sondern er nähret es und pfleget sein, gleich wie auch der Herr die Gemeinde. Um deßwillen wird ein Mensch verlassen Vater und Mutter und seinem Weibe anhangen, und werden zwei ein Fleisch sein. Das Geheimniß ist groß, ich sage aber von Christo und der Gemeinde. Doch auch ihr; ja, ein jeglicher habe lieb sein Weib, als sich selbst.“ (Eph. 5, 25-33). Er wohnt bei ihr mit Vernunft als dem schwächern Werkzeuge (1 Petr, 3, 7) und liebt sie, wie sein anderes Ich, wie sein eignes Leben. In den Anordnungen und Einrichtungen, die er schützend und versorgend trifft, in der Ruhe, Einsicht, Festigkeit und Bestimmtheit, mit der er seine Pflichten als Haupt und Vater des Hauses ausübt, spricht sich daher vorzugsweise die herrschende Liebe als Kraft und Sicherheit aus. Das Weib ist unterthan ihrem Manne um des Herrn willen in allen Dingen, (Eph. 5, 22. Col. 3, 18. 1 Petr. 3, 1.) und erkennt das Ansehn, welches er hat, als ein göttliches; sie verläugnet sich selbst und bricht ihren eignen Willen, sie umgiebt den Mann unverrückt mit dem verborgenen Menschen ihres Herzens, mit sanftem und stillem Geiste, (1 Petr. 3, 3. 4.) sie will nicht mehr sein als die milde und verständige Gehülfinn, die durch ihren stillen Einfluß das Glück und die Ordnung des Hauses begründet, und in rastloser Geschäftigkeit sinnt und ordnet, daß den Hausgenossen werde, was jedem zukommt, und sich Alle wohl befinden. In allem, was sie thut und leistet, spricht sich daher vorzugsweise die Liebe als Demuth und Hingebung aus. Und darum ist sie im Stande, Großes zu thun, Bürden zu tragen, Schmerzen zu leiden, Entbehrungen sich gefallen zu lassen, den Schlaf ihrer Nächte zu opfern, Geduld zu haben, Engelsgeduld, bald mit Schwachen, bald mit Bösen, bald mit“ Gesunden, bald mit Kranken, bald mit Kleinen, bald mit Großen, und allezeit ungetrübt zu erhalten die Heiterkeit ihres Herzens; damit, wer traurig ist, durch sie getröstet werde, und wen etwas drückt, bei ihr und durch sie Erleichterung fühle. Darum bereitet sie Freuden und segnet, wen sie umgiebt, theilt mit dem Erkorenen ihres Herzens Leid und Freude, gute und böse Tage, und sprüht zu ihm: „Wo du hingehest, da will ich auch hingehen; wo du bleibest, da bleibe ich auch; dein Volk ist mein Volk, und dein Gott ist mein Gott. Wo du stirbst, da sterbe ich auch, da will ich auch begraben werden. Der Herr thue mir dies und das, der Tod muß mich und dich scheiden“ (Ruth. 2, Ib. 17).- Die kräftige Liebe des Mannes aber und die demüthige Liebe des Weibes, wie würden sie bestehen können, wenn sich nicht Beide in etwas Höherem vereinten, im Gebete? wenn nicht Mann und Weib nicht nur ein Fleisch, sondern auch Ein Geist würden, indem der Geist Jesu Christi sie regiert, und eine Seelengemeinschaft mit der äußern Gemeinschaft begründeten, die in ihrem Einfluß bis in die Ewigkeit hinüber reicht? Wahrlich, da ist der Mann eine feste Säule, und das Weib, nach Sirachs Worten, wie die helle Lampe auf dem heiligen Leuchter, und da gilt mit Recht der schöne Preisgesang: „O selig Haus, wo Mann und Weib in einer, in deiner Liebe eines Geistes sind als Beide eines Heils gewürdigt, Keiner im Glaubensgrunde anders ist gesinnt; wo Beide unzertrennbar an Dir hangen, in Lieb und Leid, Gemach und Ungemach, und nur bei Dir zu bleiben stets verlangen, an jedem guten, wie am bösen Tag.“ Nicht minder lieblich gestaltet sich in solchem Hause das Verhältniß der Eltern zu den Kindern und der Kinder zu den Eltern. Die Eltern nämlich erziehen ihre Kinder in der Zucht und Vermahnung zum Herrn, und die Kinder sind gehorsam ihren Eltern in dem Herrn. (Col. 3, 20. 21. Eph. 6, 1-4.) Die Eltern wenden alle ihre Sorgen, Befürchtungen, Wünsche, Hoffnungen darauf, daß ihre Kinder frühe den Herrn kennen und lieben lernen, und für diese, wie für jene Welt, reif und tüchtig werden; und die Kinder ehren und lieben in Vater und Mutter ihren unsichtbaren Vater im Himmel, und wachsen auf zur Freude und Erheiterung der Menschen, und nehmen zu, wie an Alter, so an Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen. Die Brüder und die Schwestern wohnen einträchtig bei einander. Die Jünglinge erstarken immer mehr an Allem, was ehrbar, gerecht, keusch und lieblich ist, halten sich unsträflich nach Gottes Wort, und jagen nach Allem, was irgend ein Lob oder eine Tugend heißt, alle Kräfte und Gaben ausbildend und anwendend, daß sie einst als Bürger und Christen ihre hohe Bestimmung vollkommen ausfüllen. Die Jungfrauen, mehr bewandert in den häuslichen Pflichten, als in den Künsten der Welt, mehr geschmückt durch christliche Tugend, als durch eitle Pracht, unbekannt den Menschen, aber bekannt schon von jetzt an im Reiche Gottes und unter seinen heiligen Engeln, wachsen auf als weise Jungfrauen, deren stets geschmückte und brennende Lampe die väterliche Wohnung mit stillem und frohem Lichte durchstrahlt. Gewiß, da setzt sich von selbst weiter fort das herrliche Lied: „O selig Haus, wo man die lieben Kleinen mit Händen des Gebets an's Herz Dir legt, Du Freund der Kinder, der sie als die Seinen mit mehr als Mutterliebe hegt und pflegt; wo sie zu Deinen Füßen gern sich sammeln und horchen Deiner süßen Rede zu, und lernen früh Dein Lob mit Freuden stammeln, sich Deiner freun, Du lieber Heiland, Du!“
Bei solchem Geiste kann es nicht fehlen, daß endlich auch das letzte Verhältniß, das der Herrschaften zu den Dienstboten, auf christlichem Grunde ruht und in christlichem Geiste sich gestaltet. Die Herrschasten nämlich beweisen ihren Knechten, was recht und gleich ist, und wissen, daß sie auch einen Herrn im Himmel haben, und daß bei diesem Herrn kein Ansehn der Person gilt. (Col. 3, 25. 4, 9.) und die Knechte befolgen die apostolische Ermahnung: „Ihr Knechte, seid gehorsam euern leiblichen Herren, mit Furcht und Zittern, in Einfältigkeit euers Herzens, als Christo; nicht mit Dienst allein vor Augen, als den Menschen zu gefallen, sondern als die Knechte Christi. Alles, was ihr thut, das thut von Herzen, als dem Herrn, und nicht den Menschen, und wisset, daß ihr von dem Herrn empfahen werdet die Vergeltung des Erbes; die ihr dienet dem Herrn Christo.“ (Col.3, 22 - 25. Eph 6,5-8.) Wir hören so oft Klagen über die Schlechtigkeit und das Verderben des Gesindes zu unserer Zeit, und die Klagen haben allerdings leider ihren Grund; aber sind nicht meistentheils die Herrschaften selbst daran schuld? Wüßten Hausherr und Hausfrau allezeit mit Verstand und Liebe ihr Haus zu regieren, vergäßen beide Theile nie die Gerechtigkeit und Billigkeit, die Geduld und Treue gegen einander, und daß sie beide keine Engel, sondern schwache, fehlervolle, von Irthümern und Vorurtheilen, Launen und Lüsten und schlechten Gewohnheiten nicht freie Menschen sind, ließen die Herrschaften ihre Dienstboten gleich nach den Kindern folgen, wie sie im Textcapitel auch gleich nach den Kindern folgen, und nähmen letztere innigen Theil an dem wichtigsten Vereinigungsbande der Herzen, der Andacht und dem Gebete: wahrlich, es würde das gegenseitige Verhältniß ein mehr elterliches und kindliches werden, die Dienenden wurden sich wohl fühlen, unter einer christlichen Dienstherrschaft zu sein, und gern ihre Kräfte aufbieten, mit Hochachtung und Liebe das Beste der Familie zu suchen; und lange Jahre noch nach der Trennung des einen und des andern Theils würden die Herrschaften ihren ehemaligen Knechten und Mägden die schuldige Freundschaft nicht versagen, und die Knechte tiefgerührt ihnen nachrufen und nachwünschen: Gott lohne euch und euern Kindern, hier zeitlich und dort ewiglich, alles Gute, was ihr mir erwiesen habt. Fürwahr, dahat der Herrliche Vers seine volle Anwendung: „O selig Haus, wo Knecht und Magd Dich kennen, und wissend, wessen Augen auf sie sehn, bei allem Werk in einem Eifer brennen, daß es nach Deinem Willen mag geschehn; als treue Diener, Deine Hausgenossen, in Demuth willig und in Liebe frei, das Ihre schaffen froh und unverdrossen, in kleinen Dingen zeigen große Treu.“
III.
Was meinet ihr nun, Geliebte, wird der Segen, den solch häusliches Leben entwickelt und nach sich zieht, und den Gott darauf legt, nicht überschwänglich groß sein müssen? Der Apostel deutet ihn an in den Worten: „Der Friede Gottes regiere in euern Herzen, zu welchem ihr auch berufen seid in einem Leibe, und seid dankbar.“ Der Friede Gottes regiert in allen Herzen, und kaum kann das Grundgefühl, welches Alle beseelt und Jeden beim Eintritt in solch gesegnetes und segnendes Haus umfängt, besser bezeichnet werden als mit dem Ausdruck: „Friede!“ Es ist das nicht blos Friede oder Eintracht unter einander, sondern der Friede Gottes, welcher höher ist, denn alle Vernunft; der Friede, von welchem Jesus seinen Jüngern sagte: „Wo ihr in ein Haus gehet, so grüßet dasselbige; und so es dasselbige Haus werth ist, wird euer Friede auf sie kommen; ist es aber nicht werth, so wird sich euer Friede wieder zu euch wenden“ (Matth. 10, 12. 13.); der Friede, mit welchem er selbst am Auferstehungsabende die Seinigen grüßte in ihrer Versammlung: „Friede sei mit euch.“ Dieser höhere Gottesfriede, dieses selige Gefühl der Nähe des Herrn, dieses Bewußtsein seiner Gnade und seines Segens ruhet auf solchem Hause, und stille, heitere Ruhe umfängt alle seine Glieder. Kann's denn auch anders sein, Geliebte? Muß der Friede nicht da walten, wo der Friedensfürst regiert, wo Alle, als die lebendigen Steine, sich bauen zum geistlichen Hause und zum heiligen Priesterthum, wo herzliches Erbarmen, Freundlichkeit, Geduld, Demuth, Sanftmuth, Versöhnlichkeit die Gemüther verbindet, wo das Wort Christi reichlich wohnet in den Herzen mit Psalmen und Lobgesängen und geistlichen lieblichen Liedern, wo man höret die Stimme des Dankes, und alle gute und vollkommene Gabe mit Danksagung genossen wird, wo Psalme ertönen selbst unter Leiden und Schmerzen, wo der Greis seine zitternden Hände faltet und vor seinem Heilande das Haupt entblößt, und wo die Kindlein schon die kleinen Hände nach oben strecken, ihr Hosianna vereinend mit dem von Vater und Mutter - muß da nicht Friede sein in solchem Hause? müssen die Engel nicht singen: Dies Haus soll unverletzet sein? muß man da mit Petrus nicht ausrufen: „Herr, hier ist gut sein, willst du, so wollen wir hier Hütten machen“? Wahrlich, da ist der Vorhof des Himmels auf der Erde, da ist die Hütte Gottes bei den Menschen, und es ist kein Wunder, wenn den Genossen des Hauses in ihrer Stille wohler ist als draußen im Geräusch der Welt, und sie, sobald von Labung und Erquickung die Rede ist, zuerst und zu allermeist an ihre Hütte und ihre Hausgemeinschaft denken. Und dieser Friede im Hause wird durch nichts gestört; durch keine Meinungsverschiedenheit, denn Alle sind ja einig über die Hauptsache, über ihre eignen Mängel und über die alleinige Seligkeit im Glauben an Christum; durch keinen Eigennutz, denn ihrer Aller Schatz ist im Himmel, Keiner sucht, was sein, Alle nur, was Jesu Christi ist, und an Opfern der Selbstverläugnung und Nachgiebigkeit weiß Einer den Andern zu übertreffen; durch keine Schwächen und Gebrechen der Einzelnen, denn jeder kennt die Last, welche die eigenen ihm auferlegen, und trägt darum die der Andern in Milde und Nachsicht und läßt sich durch beide nur um so mehr zu dem Blute Jesu Christi führen, das da rein macht von aller Sünde.
Wo solch ein Friede nun waltet in den Herzen, da bleibt auch der Segen nach außen nicht aus. Gott offenbart in solchem Hause seine Herrlichkeit, wie einst zu Cana in Galiläa; es geschehen unaufhörlich Wunder und Gottesthaten, Gebete werden erhört, Schwierigkeiten beseitigt, Wasser in Wein verwandelt, Engel Gottes lagern sich unsichtbar um das Haus her und halten Huth vor seiner Thür, und wer vorübergeht oder eintritt, muß die Bewohner segnen und mit Dank im Herzen von ihnen scheiden. Mit den Jahren werden die einzelnen Genossen einander immer unentbehrlicher und schätzbarer, und mit jedem wiederkehrenden Geburtstag und Tauftag, mit jeder neuen Erinnerung an den Verlobungs- und Hochzeitstag wird die Liebe reiner und geistiger, der Bund der Herzen fester und enger, die Gewißheit der empfangenen göttlichen Gnade fühlbarer und seliger. - Freilich kommen auch trübe Stunden, Ehestand ist Wehestand, und Luther sagt: „die Ehe muß wohl von Gott eingesetzt sein, weil sie so viel Kreuz und Trübsal mit sich führt.“ Es kommen Nahrungssorgen, schlaflose Nächte, schwere Krankheiten, herzzerreißende Verluste, bittere Erfahrungen, in denen thränend das Auge gen Himmel schaut oder leise Seufzer sich aus der gepreßten Brust winden. Aber gerade in diesen Leiden offenbart der Herr noch mehr seine Herrlichkeit, denn wunderbar verwandelt sich jedes Leiden in Gebet und wächst mit jedem Schmerz der Glaube und das Vertrauen, wunderbar wird das Unglück selbst Glück und der Verlust Gewinn. Man erkennet, daß Gott nur die züchtigt, die er lieb hat, und auch dann wohl thut, wenn er scheinbar wehe thut; man erkennt, daß es nur Ein dauerndes Glück giebt, nur Ein sicheres Gut, nämlich das, ein Glied des Reiches Gottes zu sein; und man erfährt, daß der Herr die Seinen nie verläßt, daß er die Mühseligen immer erquickt und den Beladene n Ruhe giebt für ihre Seele. Wie auch der Sturm brause und dunkle, gewitterschwere Wolken sich über sie lagern, in ihrem Herzen wohnt Ruhe und Friede und scheinet unveränderlich die Sonne der Gerechtigkeit. - Endlich kommt der Augenblick, wo der allmächtige Gebieter über Leben und Tod winkt und der König des Schreckens, der Tod, ein theures Haupt aus dem lieben Kreise herausreißt. Die Hinterbleibenden umgeben das Sterbebette, und der heimgehende Jünger segnet sie mit Gottes Segen, dankt ihnen für alle genossene Liebe und Treue, tröstet sie mit der Hoffnung des baldigen Wiedersehens, und fährt dann heim zu seinem Herrn. „Der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt“ sprechen die Zurückgebliebenen, und lindern den Schmerz durch die Erinnerung an die vielfachen Proben und Beweise seines Glaubens und seiner Liebe, schauen sein Ende an und folgen seinem Glauben nach. O seliges Haus, das Loos ist dir gefallen aufs lieblichste! Du erfährst die Wahrheit des bekannten Verses: „Wenn Dein Herz, Herr, mit uns ist, fehlt's an keinem Segen, und wir gehn mit Dir, Herr Christ, Fried und Freud entgegen“; und wer bei dir aus- und einkehrt, kommt und geht mit dem Wonnegefühl im Herzen: „O selig Haus, wo Du die Freude theilest, wo man bei keiner Freude Dein vergißt; o selig Haus, wo Du die Wunden heilest, und Allen Arzt und Allen Tröster bist; bis Jeder einst sein Tagewerk vollendet, und bis sie endlich Alle ziehen aus dahin, woher der Vater Dich gesendet, ins große, freie, schöne Vaterhaus!“ O Herr, baue unter uns viele solche Häuser und mache sie alle zu Tempeln Deines heiligen Geistes. Amen.