Arndt, Friedrich - 23. Andachten zu Jesaja
Jes. 7,10-14.
Immanuel, deß Güte nicht zählen, ich bete Dich an als die allertheuerste Gabe des himmlischen Vaters, die Er mir uns aller Welt mit mir geschenkt hat, daß Er Dich in der Fülle der Zeit zu uns armen Sündern gesendet und von der Jungfrau Maria hat lassen geboren werden. Nun bist Du ganz unser mit Deiner Gottheit und Menschheit. Nun können wir mit Freuden sagen: Alles und in Allen Christus. Denn Du bist mein Brod, so kann meine Seele nicht hungern. Du bist mein Brunnen des Lebens, so kann meine Seele nicht dürsten. Du bist mein Licht, so kann sie nicht in Finsterniß bleiben. Du bist meine Freude, wer kann mich betrüben? Du bist mein Beistand, wer kann mir’s abgewinnen? Du bist meine Wahrheit, wer kann mich verführen? Du bist mein Weg, wie kann ich mich irren? Du bist mein Leben, wer kann mich tödten? Du bist meine Weisheit, meine Gerechtigkeit, meine Heiligung, meine Erlösung, wer kann mich betrügen, verdammen, verwerfen, gefangen halten? Du bist mein Friede, wer kann mich unruhig machen? Du bist mein Gnadenthron, wer kann mich richten? Du bist mein Bräutigam, wer kann mich entführen? Du bist meine Krone, wer kann mich verachten? Du bist mein Lehrer, wer kann mich strafen? mein Mittler, wer kann mich bei Gott in Ungnade bringen? mein Fürsprecher, wer kann mich verklagen? mein König, wer kann mich aus Deinem Reich stoßen? mein Hoherpriester, wer kann Dein Opfer verwerfen? mein Seligmacher, wer kann mich unglücklich machen? Wie könnte ich ein größer Geschenk haben? Dies Geschenk ist mehr werth, als ich nichtswürdiger Sünder, als alle Menschen, als alle Welt, als aller Welt Sünde, Jammer und Elend. Ach, schenke doch einen Strahl von Deiner Herrlichkeit aus Deiner Krippe in mein finsteres Herz, daß ich Dich so in völligem Glauben erkennen lerne, so wäre mir kein Unfall zu groß und kein Kreuz zu schwer. Laß mich denn diese großen Heils recht wahrnehmen. Heilige mich Dir selbst zum Opfer dafür. Laß mich in dieser Nacht in dieser Deiner Liebe ruhen, laß mich durch die Freude an Dir all’ meines Elendes vergessen, die Sünde hassen, die Welt verschmähen mit ihrer Lust, und in meinem letzten Stündlein nur in Dir erfunden werden, um Deines Namens willen. Amen.
Jes. 9,2-7.
Sei willkommen, Herr Jesu Christe, der Du Dich durch Deine wunderbare Zukunft uns armen verlornen Menschen so nahe thust und Deine ewige Erlösung uns anbietest. Siehe, die Tochter Zion, eine jede gedemüthigte und glaubenshungrige Seele, soll Dich mit Freuden empfangen als ihren Bräutigam, und mein Herz soll Dir auch entgegengehen. Laß mich nur gerne meines Vaters, des alten Adams, Haus und Unart vergessen und an Dir Lust gewinnen. Komm herein, Du Gesegneter Deines himmlischen Vaters, stehe nicht draußen vor meines Herzens Thür. Ach, klopfe nicht vergeblich an mit Deinem Worte, sondern thue Dir selbst auf. Wecke mich mit den klugen Jungfrauen aus aller Sicherheit, Trägheit, Fleischeslust, Weltliebe und Eitelkeit auf, daß ich Dir munter und begierig entgegengehe, und mich mit Loths Weib nicht wieder nach meinen alten Sünden umsehe. O Herr Jesu, Du kommst ja so sanftmüthig und armselig zu mir, wie sollte ich denn nicht Lust zu Dir gewinnen! Du bist von Herzen demüthig, warum sollte ich mich schämen, Dir mein Elend zu klagen und mich aller Strafen schuldig zu geben? Bist Du doch dazu erschienen, unsere Sünden wegzunehmen. O so komm und hebe auf die Feindschaft, die zwischen Gott und mir ist durch den Fall, und versöhne mich in Buße wieder bei dem Vater. Komm in mein Herz, und bringe mit den Geist der Gnaden und des Gebets, der mich vertrete. Komm und schenke mir Deine ganze Erlösung, um welcher willen Du gekommen bist. Bist Du nicht unser König? O so beherrsche auch unsern Willen, daß wir Deinem sanften Stabe gern und treulich folgen, und Dein Scepter ein gerader Scepter in und über uns werde. Kommst Du nicht zu uns als ein Lehrer von Gott, der uns den rechten Weg lehren will? O so leuchte doch in unsere Herzen als ein helles Licht, daß wir Dir nachfolgen und nicht mehr in der Finsterniß unseres blinden Herzens dahingehen, sondern da Licht des Lebens haben. Willst Du nicht, Immanuel, zu uns kommen als unser Versöhner und Vertreter? Ach, komm, es ist Zeit, daß wir loswerden vom bösen Gewissen und eine Freudigkeit empfangen, durch Dich einzugehen zum Vater mit Gebet und Glauben, und Deine ewige Erlösung in der That zu genießen. Darum komm alsbald mit aller Deiner Kraft in mich. Siehe, mein Herz ist Dir offen, nimm es ganz ein, brauche mich, wie Du willst, laß mich Dir weiter nicht widerstreben.
Komm mit Deiner Gnadengegenwart zu mir, so werde ich vor Deiner Zukunft zum Gericht nicht erschrecken, sondern mein Haupt getrost emporheben und Dir entgegenkommen. Nun, mein Geist spricht: Komm, und Du antwortest mir auch in Gnaden: Ja, ich komme bald. Amen, ja so komm, Herr Jesu, alle Augenblicke, und bleibe bei mir ewiglich unverrückt. Amen.
Jes. 11,1-10.
O allein weiser und anbetungswürdiger Gott, ich preise den Reichthum Deiner unerforschlichen Weisheit, daß Du ein Mittel erfunden, Dich des armen Sünders anzunehmen, und also auch mein Bundesgott zu werden in Jesu, dem Sohn Deiner Liebe. Ewig hätten wir arme Menschen müssen in der Hölle liegen, wenn Du uns nicht Deinen Sohn geschenkt hättest, die armen Sünder selig zu machen, unter welchen auch ich bin. Wenn die Engel bei den Hirten auf dem Felde sich über die Geburt des Heilands der Welt freuten, da Er doch nicht gekommen war, sich der Engel anzunehmen: wie vielmehr muß ich mich freuen, da Er auch um meinetwillen in die Welt gekommen ist! Ich preise Deine Wahrheit, daß Du das, was im ewigen Rath des Friedens war beschlossen, in der Fülle der Zeit erfüllet, und uns das theuerste und liebste Pfand, das der Himmel hatte, geschenkt hast, daß Du uns mit Ihm und durch Ihn möchtest Alles schenken. Ach, daß doch in Betrachtung dieser Deiner großen Liebe mein Herz vor Liebe möchte schmelzen und sich in dem unergründlichen Meere Deiner unerforschlichen Liebe heilig möchte verlieren, daß ich in mir selbst nichts und Jesus in mir möchte Alles sein!
Du hast, Herr Jesu, den Thron Deines himmlischen Vaters verlassen und bist zu uns armen Sündern in diese elende Welt gekommen: sollte ich denn nicht in wahrer Selbstverläugnung der eitlen Welt vergessen und im glauben zu Dir nahen? Herr Jesu, der Du meiner Seele einziger Trost bist, womit soll ich Dir doch vergelten, o Sohn der Liebe, die große Liebe, die Du mir bewiesen hast? Obgleich Du der Herr der ganzen Welt warst, dem man nichts schenken konnte, was Er nicht hatte, so waren Dir doch lieb die Geschenke der Weisen aus dem Morgenlande: siehe, ich will Dir auch ein Geschenk bringen, holdseliger Jesu, das ist mein Herz. Dies sündliche Herz wasche mit Deinem theuern Blut, und reinige es von allen Sünden. Meine Bußthränen sind die Myrrhen. Die Opfer, die Dir gefallen, sind ein geängsteter Geist, ein geängstetes und zerschlagenes Herz wirst Du nicht verachten. Ach, mache es doch so glücklich, daß es Deine Wohnung möge sein. Ich umfasse Dich, liebster Heiland, mit den Armen des Glaubens, und drücke Dich an mein Herz, Du meiner Seele einzige Ruhe und mein bester Trost im Leben und im Sterben. Die Liebe meiner Seele soll das Band sein, das Dich mit mir und mich mit Dir verbindet, daß mich nichts in der ganzen Welt von Deiner Liebe scheide. Herr, ich lasse Dich nicht, Du segnest mich denn. Erneu’re mich durch Deinen Geist, stärke mich durch Deine Kraft, und ziehe mich Dir nach, daß ich laufe die Wege Deiner Gebote, und in und mit Dir wachse an Alter und Weisheit und Gnade bei Gott und den Menschen. Und wenn ich auch manchen sauern Tritt noch in der Welt thun, meinem Kreuz entgegengehen und durch viel Trübsal sollte müssen hindurchgehen: so laß mich Dich, Herr Jesu, beständig in meinem Herzen haben, von Kraft zu Kraft, von Macht zu Macht, bis ich endlich, mein Herr und mein Gott, zu Dir nach Zion kommen und das schöne Kindestheil erwerben werde, das Du mir, mein Heiland, erworben hast, und mich in Dir ewig erfreuen in der unvergleichlichen Herrlichkeit des Himmels. Amen, Herr Jesu, Amen.
Jes. 12.
O ewiger Vater unsers Herrn Jesu Christi, wir danken Dir für die heilige Erscheinung Deiner Leutseligkeit und Freundlichkeit, und bitten Dich, schenke uns nun Deinen allerliebsten Sohn zum rechten Christgeschenk in unsere Herzen, damit Du auch an uns in Ihm Wohlgefallen habest. Schleuß auf Dein Vaterherz, und gib uns diesen Schatz geistlich, wie Du ihn vormals leiblich gabest und auf Erden sandtest. Mache uns nun seiner heiligen Menschwerdung in der That theilhaftig, daß wir alle die Seligkeit fassen und genießen, die Du uns bereitet und Er gebracht hat. O Du liebster Jesu, reiche uns doch Deine heilige Hand, denn Du bist gekommen, uns zu Dir zu holen aus diesem Jammerthal. Zeuch uns nach Dir, so laufen wir mit den Hirten. Erquicke uns, so freuen wir uns mit allen Engeln.. Tröste uns, so danken wir Dir mit Maria, Simeon und Hanna. Du holdester Schatz, Du keusches Lamm, Du edle Paradiesblume, unsere Hoffnung, unser Heil, unser Alles! Ach, entzünde die Herzen mit der Flamme Deiner Huld, die Dich aus der Herrlichkeit ins Elend trieb. Diese müsse uns brünstig und durstig machen, Dich im Geist zu küssen, Dich an unsere Brust mit Maria zu drücken und zu bewahren, daß uns nichts von Dir scheide. Gewinne doch Deine Gestalt in uns in Sanftmuth und Demuth, in Geduld, in Verläugnung und Armuth des Geistes, in Gehorsam und Treue der Wahrheit, in kindlichem lautern Sinn nach Deinem Bilde. Gnade und Wahrheit ist durch Dich geworden: so werde sie auch in uns. Den Frieden hast Du gemacht: der sei auch unser eigen. Die Sünder willst Du uns selig machen: daher mache auch uns selig. Und weil Du auf’s Niedrige siehst, so laß uns doch willig in Mangel, in Verachtung und Schmach, in Verfolgung und Trübsal zufrieden sein, Dir im Kreuz nachfolgen und mit Deinem Leiden Gemeinschaft haben, welches von Deiner Geburt anfing, auf daß wir auch mit Dir herrschen in Ewigkeit. Hochgelobt seist Du, o Heiland. Amen.
Jes. 40,1-5.
Lieber himmlischer Vater, wir preisen Deine große Barmherzigkeit, die uns auch heute wieder gnädiglich bewahret und mit dem Brode des ewigen Lebens gespeiset hat. Du thust überschwänglich über all’ unser Bitten und Verstehen. Wir haben durch so viele Sünden Deinen Zorn und Ungnade verdient. Du aber hast Dich bisher herzlich unserer angenommen. Ja, in Deinem lieben Sohne schenkst Du uns die Verheißung, daß unsere Missethat vergeben sein und die Herrlichkeit des Herrn offenbart werden soll allem Fleisch. O laß doch diese seligmachende Wahrheit uns allezeit in Gedanken sein, mache dieses Dein göttliches Gnadenlicht recht helle in unserer Finsterniß. Jesus allein ist das Licht und das Leben der Welt, o so laß uns keine Ruhe, wir seien denn festgewurzelt im rechten Glauben an Ihn; gib, daß unser ganzes Leben uns ausführe aus uns selbst und einführe in Jesum Christum; wirke durch Deinen heiligen Geist, daß alle unsere Freuden und Leiden, alle Demüthigungen, Sünden und Verirrungen uns zum Sohne treiben; ja, laß all’ unser Arbeiten und Nachdenken, Hören und Lesen, Sehen und Empfinden, Dichten und Trachten nur dazu gesegnet sein, daß uns Jesus Christus werde Alles in Allem. Du hast ihn ja gesetzt zum Haupt und König der ganzen Welt und es ist Dein Wohlgefallen gewesen, daß in Ihm alle Fülle wohnen sollte, und Alles durch Ihn versöhnt würde zu Dir selbst, damit daß Er Frieden machte an seinem Kreuze durch sich selbst. Solchen Frieden in Ihm schenke auch uns, daß wir nicht länger uns vergeblich abmühen in dieser verkehrten Welt, auch nicht löchrichte Brunnen graben, die kein Wasser geben. Gib uns einen rechten Durst nach Dir als der lebendigen Quelle, und schenke uns in Deinem geliebten Sohne das Wasser, das in das ewige Leben quillt. Laß uns jetzt schon aus aller Noth dieser Zeit hinausscheuen auf die große Siegeszeit, da Dein eingeborner Sohn seine Herrlichkeit auch denen mittheilen wird, die Ihm hier nachgefolgt sind. Auch in dieser Nacht umgib uns mit Deinem Gnadenschein, bedecke uns mit Deinem Schutze und segne unsere Ruhe, daß wir morgen zu Deinem Preise erwachen. Amen.
Jes. 40,6-8.
Wenn irgend eine Zeit in der Natur die Wahrheit dieser Worte predigt, so ist es die gegenwärtige Winterzeit. Die Bäume sind längst entlaubt und ihres Schmuckes beraubt. Die Sonne hat nur noch einen kurzen Gang am Himmel. Schon sind die kürzesten Tage angebrochen, welche fast nur aus Morgen und Abend bestehen. Der Frost faßt schon hin und wieder das Leben in seine kalten Todesarme. Die ganze Natur redet von den letzten Dingen, alles Fleisch ist wie Heu und alle seine Herrlichkeit wie des Grases Blume. – Gibt es denn nichts Bleibendes unter diesem Hauch der Vergänglichkeit? nichts Festes unter dem unaufhörlichen Wechsel? nichts Warmes und Erwärmendes mitten im Winterfrost? nichts ewig Lebendiges, diesem allgemeinen Sterben gegenüber? Der Prophet sagt: „Das Wort unseres Gottes bleibet ewiglich.“ Gottlob, was auch vergangen ist in der Welt und seine Sterbestunde hat kommen sehen, Gottes Wort ist nicht vergangen, es ist nicht einmal alt geworden, es ist geblieben und hat in seiner Wahrheit und Göttlichkeit sich unaufhörlich kund gemacht. Wohin es gekommen ist, hat es seine Triumpfe gefeiert, und seine glorreiche Vergangenheit ist das beste Unterpfand für seine noch glorreichere Zukunft. Wie es bisher unter uns geblieben, so wird es auch bleiben ewiglich, und weder kurze Tage noch Frost kennen, sondern, wo es erscheint, den hellen Tag bringen mit seiner fruchtbaren Wärme. O wir wollen es ergreifen, das theure Wort, mit beiden Händen; wir wollen es ans Herz drücken und täglich lesen und anwenden zu unserm Seelenheil, daß es uns nähre und labe auf unserer Pilgrimschaft durchs Erdenthal. Die Winterabende sind lang, wir sollen sie durch dies Lesen verkürzen. Die Wintertage sind kalt, wir wollen sie durch dies Lesen erwärmen. Das Jahr eilt seinem Ende zu: dies Gnadenwort segne unsern Ausgang und Eingang durch die Nachricht der großen Freude, daß uns der Heiland geboren ist. Amen.
Jes. 40,9-31.
Der Zustand der Gläubigen im alten Testament war gewiß der besondersten Erbarmung, Treue und Stärkung Gottes benöthigt. Es ist nichts Geringes, etliche Tausend Jahre auf die Erfüllung einer einzigen, und zwar der unentbehrlichsten Verheißung, daß ein Erretter und Heiland kommen solle, zu hoffen. Die zunehmende Gottlosigkeit, die häufigen Gefangenschaften und schweren Gerichte, der immer längere Verzug der Ankunft Jesu mußten wohl manche in eine dem Verzagen nahe Verlegenheit versetzen. Eben darum aber häufte auch der Herr in den Propheten seine köstlichen Verheißungen. Er stärkt sie, Er bittet sie gleichsam von einer Zeit zur andern, noch ein wenig zu harren und sich indessen auf Ihn zu verlassen. Das ist der Inhalt der obigen Worte. Auf die Klage: mein Weg ist dem Herrn verborgen, mein Recht geht vor Ihm über, spricht der Herr: „Ich werde nicht müde und matt! Ich will die Müden stärken.“ – Ach, oft geht es auch mir so in meinem Unglauben, daß ich denke: „Vielleicht bin ich Ihm zu gering, daß Er meiner achten sollte? Habe ich Ihm doch schon Mühe genug mit allen meinen Sachen gemacht,“ oder: „Dieses Kreuz, diese Versuchung muß dem Herrn verborgen sein. Könnte Er sie schicken, warum werde ich denn müde und matt? Oder wenn Er es weiß, warum läßt Er mich denn in solchem Zustande?“ Gottlob, daß Er sich selbst den unerforschlichen Verstand nennt, dem nichts verborgen ist, und den unermüdeten Gott, der stark genug ist, die Müden zu stärken, und uns vorhält, daß, da die Schöpfung der ganzen Welt seine Kräfte nicht erschöpft habe, die Stärkung eines armen, dürftigen Menschen sie gewiß nicht erschöpfen werde. Wir können niemals sagen: Dies oder jenes ist Gott zu viel. Er braucht nie Stillstand und Ruhe. Er ist immer thätig und wirksam. Er gibt aus seiner ewigen Fülle uns armen Sündern Kraft so viel wir bedürfen, die eine, daß wir wie die Adler uns im Gebet und Glauben zu Gott emporschwingen dürfen, die andere, daß wir in der Heiligung laufen und wandeln, ohne müde zu werden. Goldnes Sprüchlein! Bin ich denn müde, Gott gibt Kraft den Müden; bin ich unvermögend, Er gibt Stärke genug den Unvermögenden; meine Ohnmacht ist so klein, wie ich selbst bin, aber Seine Kraft ist so groß, wie Er ist. Wohl mir, aus dem Müden soll zuletzt noch ein Laufender, aus dem Klagenden ein Jauchzender werden! Amen.
Jes. 42, 1-4
Sei willkommen, Jesu Christ,
Weil Du Gott und Heiland bist,
Weil die neue Gnadenzeit
Allen Christen ist bereit.
Komm, ach komm, und säume nicht,
Segne Herz und Angesicht,
Daß wir Deine Süßigkeit
Mögen schmecken allezeit.
Laß mein Herze sein bereit
Aufzunehmen alle Zeit
Dich, o Jesu, Gottes Sohn,
Aus dem hohen Himmelsthron.
Dein Advent, der lehre mich,
Daß ich lebe würdiglich
In Gebet und Heiligkeit
Auf die schöne Weihnachtszeit.
Jes. 42, 1-4
Siehe, das ist mein Knecht, ich erhalte ihn; und mein Auserwählter, an welchem meine Seele Wohlgefallen hat. Ich habe Ihm meinen Geist gegeben, Er wird das Recht unter die Heiden bringen. Er wird nicht schreien noch rufen, und seinen Stimme wird man nicht hören auf den Gassen. Das zerstoßene Rohr wird Er nicht zerbrechen, und das glimmende Docht wird Er nicht auslöschen. Er wird das Recht wahrhaftiglich halten lehren. Er wird nicht mürrisch noch gräulich sein, auf daß Er auf Erden das Recht anrichte; und die Inseln werden auf sein Gesetz warten.
Wie Jesus hier vom Propheten verheißen ist, so ist er auch gekommen, so haben Ihn die Augen der Menschen gesehen und die Herzen erkannt, freilich nicht alle Augen und Herzen, sondern nur die, die in gläubigem Verlangen auf Ihn gerichtet waren. Darum siehe du auch auf Ihn, meine Seele, und erkenne, welch einen herrlichen Heiland Gott der Welt in seinem Sohne gegeben hat; denn Er kommt zu uns als der Gesalbte des Herrn, der, um unser Erlöser zu werden, zum Knecht wird und in eine freiwillige Niedrigkeit und Abhängigkeit herabsteigt, der an dem, daß Er leidet, Gehorsam lernt, und das Gericht Gottes unter den Völkern aufrichtet, nicht strafend, sondern errettend für uns, unsere Sache vertretend und uns entsündigend. Er kommt zu uns als der sanftmütige und demütige Sünderfreund, dem keine Hütte zu niedrig, kein Kranker zu elend, kein Zöllner und Sünder zu gering ist, des Er nicht den großen Dienst seiner Liebe an ihn gewandt hätte, der insbesondere die verwundeten Gewissen, die über den Anblick ihrer Sünden Erschrockenen, die Schwachen im Glauben wartet und pflegt, gesund macht und liebreich umfaßt, und durch dessen Schelten und Strafen, wenn Er es gegen den Unglauben und die Heuchelei erhob, immer die Liebe hindurchblickte, die lieber segnen und trösten mochte. Er kommt endlich zu uns als der starke und treue Vollender seines Werkes, der in den einzelnen Herzen eben sowohl wie im großen Ganzen seines Reiches sein begonnenes Erlösungswerk hinausführt, und sich nicht irre machen läßt durch den Widerstand der Welt, bis Er auf der ganzen Erde dies Recht der Erlösung aufgerichtet hat. Wie herrlich ist daher für uns und für die ganze Welt durch diesen Erlöser gesorgt! Wie reich sind wir bedacht! Welch ein großes Werk der Liebe ist für uns geschehen, und wie wird es durch Ihn in uns begonnen, fortgesetzt und vollendet! Ihn verachten, heißt, ein zerstoßenes Rohr und glimmendes Docht bleiben wollen sein Lebenlang, und niemals wieder aufgerichtet und angezündet werden. Die Ihn aber suchen, denen soll das Herz leben.
Willkommen, Heiland, Trost und Hort!
Sieh meines Herzens Ehrenpfort'
Ist Dir zu Diensten aufgericht't;
Ich hoff', Herr, Du verschmähst mich nicht.
Wohlan, o Herr, so zeuch herein,
Du sollst mir recht willkommen sein!
Du Friedefürst, erfüll' doch ganz
Mein Herz mit Deiner Gnade Glanz.
Jes. 43,24. 25.
Herr Jesu Christe, da diese Worte Wahrheit sind, so sind Deine heiligen Wunden meine Zuflucht in allen meinen Anfechtungen. So oft böse Gedanken aufsteigen in meinem Herzen, so gedenke ich an Deine Wunden, bis die bösen Gedanken aufhören. So oft mich mein Fleisch und Blut ängstet, so betrachte ich Dein heiliges Leiden, bis mein Fleisch und Blut wieder stille wird. So oft mir der Satan zusetzt mit seinen Anfechtungen, so halte ich ihm vor die herzliche Barmherzigkeit meines Gottes, bis er von mir fleucht. So oft mich die Welt zu ihrem sündlichen Wesen verlocken will, so stelle ich mir Deine große Marter vor, und wie ich Dir Arbeit gemacht habe mit meinen Sünden und Mühe mit meinen Missethaten, Du aber meine Uebertretungen getilget hast um Deinetwillen und nun meiner Sünden nicht mehr gedenkest, - bis ich sie überwunden. Ja, mein Heiland, es sei meine Noth so groß sie wolle, so habe ich keine bessere Arznei, als Deine heiligen Wunden. wenn ich nur dieselbigen erreiche und mich hineinsenke, so bin ich genesen. Herr Jesu Christe, der Du für mich gestorben und des Todes Angst für mich gekostet hast, stehe mir auch bei an meinem letzten Ende, und vertreibe die Bitterkeit des Todes durch Deines Trostes Süßigkeit. Du weißt, daß ich auf das Verdienst Deines Todes allein traue und alle meine Zuversicht darauf setze. Ich habe sonst keinen Werth, ich weiß sonst keine Zuflucht und kein Heil, als dieses Dein Verdienst. Durch Deine Güte jedoch habe ich die Auferstehung und das Leben. Wenn ich nur Dich habe, o Herr von großer Gnade und Barmherzigkeit, so bin ich auch reich an Verdienst; denn aus Gnaden hast Du mir Dein Verdienst geschenkt. Herr Jesu Christe, der Du allmächtig bist zu helfen und selig zu machen, hilf, daß ich mich allezeit in Dir zufrieden gebe, und in dem süßen Trost Deiner heiligen Wunden bis an mein Ende verharre. Amen.
Jes. 50, 6.
Herr Jesu, mein theuerster Bürge, laß mich Dir nachfolgen aus dem Leidensgarten in die Stadt Jerusalem und in den Palast des Hohenpriesters; aber nicht von ferne, wie Petrus, der damals freilich keinen Beruf von Dir hatte, um Dich zu sein; vielmehr hattest Du ihm gesagt: „Wo ich hingehe, kannst du mir diesmal nicht folgen;“ denn Du sahest die Gefahr voraus, die ihm bevorstand. Ich aber, mein Heiland, soll und muß im Geist und Glauben mich durch alles Getümmel Deiner Feinde hindurchdrängen und so nahe zu Dir kommen, als ich kann, damit Du mich sogleich auf der Stelle mit dem Segen beschenken könnest, den Du mir erwarbest, und ich fein Dein weisheitsvolles, sanftmüthiges Verhalten von Dir lernen möge. - Du ewiger Hoherpriester fandest nicht für gut, auf die Frage der irdischen Hohenpriester um Deiner Jünger und Lehre stille zu schweigen, sondern weislich zu antworten. Mein Heiland, lehre auch mich zu rechter Zeit reden, und weislich reden, und laß mich allezeit mein Thun und Lassen nach Deinem Willen und Wort einrichten, damit ich auch freimüthig und getrost reden kann, wie Du hier gethan. – So unschuldig aber Deine Reden waren, so erhieltest Du doch von einem Sclaven des Satans einen Backenstreich, und botest Dein Angesicht dar wie einen Kieselstein, standhaft und geduldig wie einen Felsen! Damit hast Du meine Schande und meine Erröthung getragen, die man an mir erblicken würde, wenn ich am Tage des Gerichts um mein Thun und Lassen sollte befragt werden, und ich allein ohne Dich im Gerichte stehen müßte. Du aber trittst auch in meine Stelle, nimmst die Schmach und Erröthung an, die mir gebühret, und fängst den Streich auf, den ich mit einem jeden unnützen und unweisen Worte verdient hatte. Nun werde ich nicht zu Schanden im Gericht um Deinetwillen. O tausend Dank sei Dir gesagt für die Schmach, die Du auch hier erduldet. Du hast recht geredet und recht gethan, und mußtest doch unrecht haben und Streiche leiden; ich habe unrecht gethan und geredet, und darf nicht erröten, und soll unschuldig sein, und mein Angesicht soll glänzen. O das laß bei Tag und bei Nacht mir eine süße Glaubensweide sein. Amen.
Jes. 53.
Mein Heiland, Du hast gezittert und gezagt um meiner Sünden willen in Gethsemane: darf ich mich wundern, wenn auch ich Angst haben muß in dieser Welt? Habe ich das Leiden, das mich trifft, nicht verdient? und kann ich es verantworten, wenn ich mich sträube, den Kelch zu trinken, den Gott mir eingeschenkt hat, und mein Kreuz Dir nachzutragen? Ich weiß, es sind nur Liebesschläge Deines himmlischen Vaters, die zu meiner Besserung dienen. Sie sollen meinen glauben, meine Geduld und Standhaftigkeit prüfen, sie sollen mich von der Eitelkeit entwöhnen und mir die Welt bitter machen, daß mir der Himmel desto süßer und angenehmer sei. Zwar ich muß Dir meine Schwachheit bekenne, daß sich mein armes Herz nicht allemal finden kann, wenn Kreuz und Trübsale kommen, und daß es zuweilen in allzugroße Traurigkeit versinken will. Ach Herr, Dein freudiger Geist erhalte mich, Deine mächtige Hand unterstütze mich, Dein inwendiger Trost stärke mich. Es ist ja kein Heiliger im Himmel, der nicht auch das Seine gelitten auf Erden. Hast Du, mein Jesu, um meinetwillen so viel gelitten, und bist um meiner Missethat willen verwundet und um meiner Sünde willen zerschlagen worden, sollte ich nicht auch etwas leiden um Deinetwillen? zumal das Leiden dieser kurzen Zeit nicht werth ist der Herrlichkeit, die auch an mir soll offenbaret werden. Kommt dann Deine Hülfe nicht am Abend, so will ich harren bis in die Nacht; erscheint sie dann auch nicht, so will ich darauf warten von einer Morgenwache bis zur andern. Kommt die neue Sonne, so kann auch kommen neue Wonne. Deine Allmacht soll meine Stütze sein, darauf ich mich verlasse; Deine Güte mein Trost, der mich erquicke; und Deine Wahrheit mein Leiststern, wonach ich sehe. Den Anker meiner Hoffnung will ich in den Himmel werfen. Dein gütiges Vaterherz, mein Gott, soll mich getrost machen; ich werde Dir noch danken, daß Du meines Angesichts Hülfe und mein Gott bist. Amen.
Jes. 55,8-9
Kein Geist erreicht Dein hohes Denken:
Wie tief muß denn ich Wurm mich senken!
So viel der Himmel höher ist als die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege, und meine Gedanken denn eure Gedanken.
Jes. 55, 8.9
Alle Werke Gottes tragen das Siegel der Weisheit und Macht, welches sie von den schwachen Nachahmungen der Menschen deutlich unterscheidet. Der kleine leuchtende Funke des Johanneswurms verkündigt die Herrlichkeit des Schöpfers so laut, wie der Feuerglanz der Mittagssonne. Das kleinste Blatt des Grases ist ein Werk eben der Allmacht, welche den Himmel und die Erde gemacht hat. Wie in seinen Werken, eben so unerreichbar ist Er in seinen Worten und Wegen; sie sind stets über, sie sind oft wider unsere Begriffe. Bald bringt Er die größten Dinge durch Mittel hervor, die uns klein und unwirksam erscheinen. Bald gefällt es Ihm, durch große feierliche Zurüstungen der Welt zu zeigen, daß das Werk, welches der unerleuchteten Vernunft klein und leicht scheint, durch keinen Andern als durch Ihn gewirkt werden kann. So im eigentlichen und höchsten Sinne das Werk der Erlösung der Menschen. Unsere Vorstellung von der Heiligkeit Gottes ist viel zu schwach; und darum auch unsere Erkenntnis von der Häßlichkeit der Sünde viel zu mangelhaft. Er allein, der Heilige und Barmherzige, konnte das Mittel finden, seiner Gerechtigkeit und Wahrheit unbeschadet, Gnade gegen die Sünder zu üben. Aber dieses Mittel selbst ist über alle unsere Gedanken. Gott und Fleisch, die Ewigkeit und die Geburt, die Unendlichkeit und die Krippe, das sind für unsern natürlichen Verstand Gegensätze, die sich ausschließen und nicht reimen wollen. Und kämen wir auch über diese Gegensätze weg, könnten wir uns auch darein finden, daß der Liebe, zumal der göttlichen, ewigen Liebe nichts unmöglich ist; das wenigstens bleibt auch dann noch fest stehen: so ärmlich, so stille hätten wir die Menschwerdung des Sohnes Gottes gewiß nicht erwartet. In aller Weise ist die Überschrift über dem Leben des Herrn und vor Allem seiner Geburtsgeschichte jenes Wort: „Meine Gedanken sind nicht eure Gedanken; aber so viel höher der Himmel ist, als die Erde, so viel höher sind meine Gedanken und Wege als die eurigen.“ - Es steht diese Wahrheit indes auch über unserm Leben geschrieben: mögen wir sie nur allezeit lesen und beherzigen, es würde Vieles leichter und reiner sein um uns her und in uns.
Gedanke, der uns Leben gibt:
Wer kann dich ganz durchdenken?
Also hat Gott die Welt geliebt,
uns seinen Sohn zu schenken!
Hoch über die Vernunft erhöht,
umringt mit Finsternissen,
füllst Du mein Herz mit Majestät
und stillest mein Gewissen.
Ich kann der Sonne Wunder nicht
noch ihren Bau ergründen;
und doch kann ich der Sonne Licht
und ihre Wärm' empfinden.
So kann ich auch nicht Gottes Rat
von Jesu Tod ergründen;
allein das Göttliche der Tat,
das kann mein Herz empfinden.
Nimm mir den Trost, daß Jesus Christ
all' meine Schuld getragen,
mein Gott und mein Erlöser ist,
so werd' ich angstvoll zagen.
Ist Christi Wort nicht Gottes Sinn,
so werd' ich irren müssen,
und, wer Gott ist, und was ich bin
und werden soll, nicht wissen.
Nein, diesen Trost der Christenheit
soll mir kein Spötter rauben:
ich fühle seine Göttlichkeit
und halte fest im Glauben.
Des Sohnes Gottes Eigentum,
durch Ihn des Himmels Erbe,
dies bin ich, und das ist mein Ruhm,
auf den ich leb' und sterbe.
Hat Gott uns seinen Sohn geschenkt,
(laß mich noch sterbend denken);
wie sollt' uns der, der Ihn geschenkt,
mit Ihm nicht alles schenken?
Jes. 59,17-21.
O Du gnadenreicher Herr Jesu, der Du bist gekommen zu suchen und selig zu machen, was verloren ist: ich danke Dir, daß Du mich diese heilige Advents-Zeit unter Deinem Schutz und Gnade abermal hast erleben lassen. Du ewiger Sohn Gottes, der Du bist gewesen, ehe noch der Welt Grund gelegt war, bist in’s Fleisch gekommen, ein wahrer Mensch geworden, daß Du uns möchtest selig machen. Wir konnten wegen des schweren Sündenfalls nicht zu Dir in den Himmel kommen, darum kommst Du zu uns auf Erden, auf daß Du uns Alle mögest zur Seligkeit hinführen. Wir waren durch die Sünde Fremde, ja Gefangene und Gottesfeinde geworden; aber durch Deine allerheiligste Ankunft soll Alles wieder gut gemacht werden.
O große Gnade, o unaussprechliche Liebe! Um Deinetwillen, o Jesu, sollen die Fremden Bürger und Hausgenossen Gottes, die Gefangenen Erlöste, und die Feinde Gottes Geliebte, die Sünder Kinder, und die Gefallenen wieder aufgerichtet werden. O heilige Ankunft, dadurch wir zum Tode Verdammte das Leben erlangen sollen, und die wir vorher aus der Gnade gefallen waren, durch Dich mit Schmuck und Ehren sollen angethan werden! Denn das ist je gewißlich wahr und ein theuer werthes Wort, daß Christus Jesus gekommen ist in die Welt, die Sünder selig zu machen.
Liebster Jesu, mache mich auch selig, führe mich auch in Dein Freudenreich! Gib mir zu dieser heiligen Zeit ein aufmerksames und gehorsames Herz, daß ich möge Dein heiliges Wort mit Fleiß und Andacht anhören, im Herzen behalten und annehmen, im Glauben, in Deiner Erkenntniß und Liebe in diesen heiligen Tagen wachsen, und die Glaubensfrüchte in meinem Leben zeigen, als da sind: Keuschheit, Demuth, Sanftmuth, Gehorsam, Frömmigkeit; damit Deine Ankunft auch mir möge eine selige und heilsame Ankunft sein. Ach bewahre mich, daß es nicht von mir heißen möge: „Er kam in sein Eigenthum, aber die Seinen nahmen Ihn nicht auf.“ O Herr Jesu, ich nehme Dich auf im Glauben, ich liebe Dich, ich ehre dich, ich folge Dir. Komm herein, Du Gesegneter des Herrn! Warum stehest Du draußen? Ich habe mein Herz Dir durch Deine Gnade bereitet. Komm in mein Herz, ich will aus Liebe zu Dir alle weltlichen Eitelkeiten und Lustbarkeiten, alle Sünden und Bosheiten gern meiden, damit Du allein meiner Seele Inhaber und meines Herzens Beherrscher seiest. Ach, wohne in mir, heilige mich Dir, erhalte mich in Deiner Gnade. O Jesu, Du kamst als ein König: ach, regiere hinfort in meinem Herzen, daß die Sünde nicht mehr darin herrschen könne. Du kamst als ein Gerechter: ach, mache mich gerecht, und schenke mir das Kleid Deiner Gerechtigkeit. Du kamst arm: daß Du mich mögest reich machen an meiner Seele, reich im Glauben und an himmlischen Gütern. Du kamst demüthig; ach, mache mich demüthig, daß ich von Dir lerne Demuth und Sanftmuth, und dieselbe in meinem Leben bei allen Gelegenheiten ausübe. O Du König der Ehren, ziehe denn ein in die Thore meines Herzens! Siehe, ich thue durch Deine Kraft sie Dir weit auf. Regiere mich hinfort mit Deinem heiligen Geiste, daß ich Deine Wohnung und Dein Tempel beständig bleiben möge bis an mein seliges Ende! Amen.
Jes. 60.
Du ewiger, wahrhaftiger Sohn Gottes, Du hast Dich heute den Heiden offenbaret, als einen Heiland aller Menschen. Locke auch uns durch den Stern Deines lebendigen Wortes, daß es ein Licht werde auf unsern Wegen, und wir in Deinem Licht wandeln und im Glanz, der über, ja in unserm Herzen aufgehet. Hast Du doch die Weisen treulich bewahret und zurecht gewiesen: ach, so laß auch heute durch Dein Wort unser Herz gezüchtiget werden, damit wir nicht irre gehen. Gehe selbst vor uns her, als die rechte Weisheit, und laß unsern Gang gewiß sein auf Deinen Fußsteigen. Ja, führe uns wie die Jugend, bei unserer Unwissenheit und ungeübten Sinnen, da wir oft das Böse vom Guten nicht wohl unterscheiden mögen. O laß uns gerne in das niedrige Bethlehem der Demuth aus unsern stolzen Höhen herunter, damit Du durch Dein Licht und Wahrheit uns bringen könntest zu Deiner heiligen Wohnung. Denn Du hast dich in das Thal der tiefsten Niedrigkeit herabgelassen, und willst dich denen zeigen und schenken, welche bei Dir also Ruhe suchen und von Dir Sanftmuth und Demuth lernen. Also wollest Du allein unsere Freude und Wonne werden, daß wir ja um Deinetwillen uns selbst und alles, was wir haben, gering halten und auf Dein Erfordern gern fahren lassen, nur daß wir Dich gewinnen. Siehe, wir übergeben uns Dir ganz zu eigen; hast Du wahren Glauben in uns können wirken, so nimm ihn hin als Dein Geschenk, laß ihn helle leuchten, beständig dauern, und durch Deine Gnade bewahret werden. Gibst Du uns wahre Brünstigkeit und Treue, so laß es vor Dir werden ein Rauchopfer zum süßen Geruch dem Herrn. Ja, unser ganzes Leben müsse Deinem Vater also angenehm werden in Dir, dem Geliebten, zu Deinem Preis und Ehre. Und wenn wir auch der Gemeinschaft Deiner Leiden sollen würdig werden, so seien sie uns wie eine köstliche Myrrhe, die uns vor aller Fäulniß der Eitelkeit und Weltliebe bewahre und bis auf Deinen Tag unsträflich behalte. Alsdann werden wir Dich recht anbeten, und in Dir volles Genüge, Friede und Freude im heiligen Geist finden, bis wir wieder in unser erstes Vaterland einziehen, und durch den neuen Weg der Wiedergeburt aller Nachstellung der Feinde entgangen sind. Allda wollen wir Dich ohne Ende anbeten und loben. Amen. Dir sei Ehre und ewiges Reich, Du König der Ehren. Amen.
Jes. 61.
Als Jesus gleich nach dem Antritt seines Lehramts nach Nazareth kam, ging Er nach seiner Gewohnheit in die Schule am Sabbathtage, und da Ihm das Buch des Propheten Jesaias gereicht wurde, las Er die obigen Worte und sprach: „Heute ist diese Schrift erfüllt vor Euren Ohren.“ (Luc. 4,16-21.). Da Er es selber sagt, so haben wir hier gewiß eine klare und deutliche Weissagung auf Ihn, und welch eine liebliche und tröstliche! Wie hat nun jeder düstere Name, den wir von Natur an uns tragen, seine Schrecken verloren! Der Name: Gottlose; denn Gott spricht uns gerecht. Der Name: Verlorne; denn Jesus sucht sie. Der Name: Elende; denn Er leitet sie recht. Der Name: Betrübte; denn Er tröstet sie. Der Name: Gefangene; denn Er macht sie frei. Kurz, wir brauchen nur Jesum bei seinem Verdienste zu fassen, so wandeln wir alle jene Namen in lauter muthige und hoffnungsreiche um. Fragt Jesus uns also: wie heißest du? – und wir können in Einfalt mit gründlicher Zustimmung antworten: Sünder, so wird’s uns wie dem Jacob ergehen, dem bei Nennung seines Namens ein liebliches Licht aufging. – Wahre Christen können demnach keine niedergeschlagenen und melancholischen Leute sein; sie haben vielmehr lauter Ursache, sich zu freuen wie Bräute, denn sie dürfen sich rühmen eines Kleides der Gerechtigkeit, mit welchem sie angekleidet sind und ihre nackte Seele bedeckt ist. Es ist dies die vollkommene Gerechtigkeit Jesu Christi, welche allein vor Gott gilt, und die ihren größten und herrlichsten Schatz und Schmuck ausmacht. Fehlt uns diese Gerechtigkeit, so fehlt uns Alles. Haben wir sie aber, so sind wir herrlicher als die Engel Gottes; aller Verlust des Sündenfalles ist uns in Jesu ersetzt. O beflecke dies dein Kleid nicht, meine Seele! Durch jede muthwillige Sünde beweisest Du eine Geringschätzung desselben, und verwundest auf’s neue das rein gemachte Gewissen. O Jesu, erhalte mir Dein Kleid, in welchem ich mich allein für geschmückt ansehe. Ich weiß oft nicht, wo ich vor Wehmuth und Angst hin soll, wenn ich einen Augenblick auf mich allein sehe; aber da Du mir einmal die süße Erkenntniß gegeben hast: Dein Schmuck sei mein Schmuck, so halte ich mich daran durch alle Zeit bis in die Ewigkeit. Erhalte Du mich Dir selbst rein durch Deine allmächtige Gnade. Amen.
Jes. 62,6-12.
Du kehrest wieder, wunderbare Zeit,
Und willst der Welt von neuem Jesum bringen,
Ach, könnt’ ich doch dem Herrn der Herrlichkeit
Ein triumphierend Hosianna singen!
Ach, könnt’ ich Ihm mein schönstes Loblied weihn,
Und wie ein Kind mich seiner kindlich freun!
Von Zion her ertönet Feierklang –
Könnt’ ich mit ihm auch meinen Sang vereinen!
Doch, ach! Es wird zur Klage mein Gesang,
Ich will Dir jauchzen, und ich möchte weinen,
Verhüllen möchte’ ich Dir mein Angesicht,
Du Heiliger! – Doch jauchzen kann ich nicht! –
Und dennoch kann ich’s, bebet auch mein Herz:
Soll eigne Freud’ doch nicht den Herrn erheben,
Und trägt doch eigne Kraft nicht himmelwärts:
Er will den Seinen seine Freude geben.
Drum freut mein Herz sich, ob mein Auge weint;
Denn Jesus kommt, es kommt der Sünder Freund.
Es kommt der Held, der Schmerz und Tod bezwang,
Durch seinen Tod bezwang und seine Schmerzen;
Drum tönet Ihm der Weinenden Gesang,
Drum jauchzen Ihm die tiefbetrübten Herzen,
Drum freut sich das betrübte Zion sein,
Drum kann auch ich Ihm Freudenpsalmen weihn.
Mein Heiland kommt! So komm denn, Jesu, komm
In mein Herz auch, das Finsterniß umnachtet;
Komm in mein Herz, und mach’ es selig, fromm,
Und gib Du ihm, wonach es dürstend schmachtet.
Mach’ es von Sünd’ und Sündenschmerzen rein,
Zeuch’ in mein Herz, o lieber Heiland, ein!
Triumph! Du kommst, Du läßt Dein Heil mich sehn,
Drum will ich Dir mein Hosianna singen.
Ach, hätt’ ich Flügel, zu des Himmels Höhn,
In Deinem Throne mich emporzuschwingen!
Zu wem Du kommst, dem ist die Welt zu klein,
Er möchte’ schon heut’ in Deinem Himmel sein.
Sei denn gegrüßt, du wunderbare Zeit,
Seid mir willkommen, ihr geweihten Tage!
In Freude wandelt ihr der Seele Leid,
In Hosianna meines Herzens Klage.
Es zieht mein Heiland in sein Zion ein:
O freu’ dich, Herz, du sollst sein Zion sein!
Jes. 63.
Das also ist Dir nicht genug gewesen, o Herr, vom Himmel herab unsre Schicksale zu leiten, uns Sonnenschein und Regen zu senden, und unser Leben mit manchen Gütern und Freuden zu schmücken: Du hast auch das Bitterste in unserm Loose, das wir allein verschuldet hatten, die Schmerzen des leiblichen und des geistigen Todes theilen wollen, um uns ewig von dem letzteren zu befreien, und hast die Kelter, verlassen von Gott und Menschen, allein getreten in Gethsemane und auf Golgatha, um unserer Sünde willen. Und Deinen Leib, der am Kreuze starb, Dein Blut, das für uns vergossen ward, das hast Du uns im Sakrament des Altars hinterlassen; so daß auch der Geringste unter den Christen Dich, den ganzen Jesus Christus, empfangen kann, und höher denn die heiligsten Engel begnadigt wird. – Diese Liebe, welche nicht nur den Geliebten mit Wohlthaten überhäufen, sondern auch in die Gemeinschaft seiner schrecklichen und schmachvollen Leiden treten wollte; diese Liebe, die Du, ewiger Sohn Gottes, Schöpfer und Regierer der Welt, für die elenden Sünder im Staube der Erde empfindest, - diese Liebe, wenn ich sie betrachten will, steigt vor mir empor, wie ein Gebild, dessen Höhe und dessen Tiefe meine blicke nicht erreichen; und wenn Deine Macht keine Schranken, Deine Weisheit keine Grenzen hat, so will es mir scheinen, daß Deine Liebe noch unergründlicher und unermeßlicher ist.
„Simon Johanna, hast Du mich lieb?“ Also da ich Deine Liebe gepriesen habe, so fragst Du nach meiner Liebe zu Dir, o Herr? Von Dir soll ich zu mir übergehen, von dem Unendlichen zu dem Endlichen, von dem Herrn des Himmels zu dem armen sündigen Menschen? Warum verlangst Du es? Wenn ich an Dich denken kann, dann mag ich nicht an etwas anderes, und am wenigsten an mich selber denken.
„Simon Johanna, hast Du mich lieb?“ Du fragst es noch einmal, o Herr? Warum soll ich Dir denn eine entscheidende Antwort geben? Warum kann nicht die Frage unentschieden bleiben? Das Kind ruht auf dem Schoß seiner Mutter, es schläft ein an ihrer Brust, es wirft sich, wenn es fürchtet, in ihre geöffneten Arme. Ob es aber die Mutter liebt, darüber hat es sich keine Rechenschaft abgelegt, darüber ist keine von ihm verlangt worden. Laß mich solch ein Kind sein, und frage mich nicht.
„Simon Johanna, hast Du mich lieb?“ Herr, Du weißt alle Dinge, so antworte ich, wie Dein Petrus. Du fragst mich etwas, das ich besser Dich fragen sollte. Ich sollte Dich fragen, ob ich Dich liebe; denn Du mußt wissen, ob Du Dich in mir liebst. Ich selber kann es nicht wissen.
Doch das, was ich weiß, das will ich Dir sagen. Ich weiß, daß es für mich das höchste Ziel meiner Wünsche ist, daß ich es als eine jedes Maaß übersteigende Seligkeit betrachte, Dich, so wie Du es würdig bist, zu lieben; ich weiß, daß ich diejenigen beneide, die schon hier den Brand dieser Liebe fühlten, für welche sie das Leben des Lebens ward, die nur nach ihrem Antriebe handelten, und in ihrem heiligen Feuer sich verzehrten. Ich weiß, daß ich den Wunsch und den Willen habe, Dich zu lieben. – Ich weiß auch, daß es im Himmel und auf Erden, daß es in dieser weiten, unermeßlichen Welt nur ein Ziel gibt, wonach ich streben, nur einen Einzigen, den ich suchen will – und dieser Einzige bist Du. Du bist es, Jesus von Nazareth, geboren in Bethlehem, der gelitten hat unter Pontio Pilato, der gekreuzigt ward, und der am Kreuze in die Worte ausbrach: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun, - das gilt doch von Dir allein, und dadurch bist Du doch wohl deutlich genug bezeichnet. Dich will ich suchen, wenn Du mir dazu Gnade gibst, und sonst keinen Andern. Wenn ein neues Ereigniß mir entgegentritt, so will ich es immer fragen: Was hast Du im Sinne; wohin gelange ich, wenn ich mich Deiner Einwirkung überlasse? Wenn Menschen mit mir in neue Verbindungen treten, so will ich fragen: Sucht ihr den Herrn? Sonst kann ich nicht mit euch gehen. Wenn der Tod mich abrufen wird, so will ich sprechen: Ich folge dir gern, denn du führst mich zu Christo.
Ich will auch, daß alle, die ich liebe, zu Dir gelangen. Daß ich Dich liebte, wagte ich nicht zu sagen; aber ich darf vielleicht sagen, daß ich sie liebe, denn ich wünsche ihnen Dein Heil. O Du theures Herz meines Erlösers! Die eiserne Spitze der Lanze hat Dich durchbohrt, und Du hast Dich ihr so milde geöffnet. Oeffne Dich auch meinen Bitten, und bewirke durch Deine allmächtige Gnade, daß Alle, deren Namen ich Dir jetzt nenne, Dich mit rastlosem Eifer und unverbrüchlicher Treue suchen mögen. Und dann – laß Dich finden von mir und von ihnen. Laß uns alle dereinst das Angesicht unseres Erlösers schauen, und die Füße küssen, die für uns an das Kreuz genagelt wurden. Dies ist jetzt meine einzige Bitte, ich habe keine andere. Sonst hegte ich so manche Wünsche in meinem Herzen; sie sind verschwunden; möchten sie niemals wiederkehren! Auch fromme Menschen können hier auf Erden so Vielerlei begehren; sie wollen wenigstens recht viel für Dich und für Deine Ehre wirken; wie ist es denn nicht genug, daß man von Dir geliebt wird, und daß man strebe zu Dir zu gelangen? Laß mich mit Hohn und Schmach vor der Welt bestehn; aber es sei nur Dein Rathschluß, und nicht meine Schuld; ich will es ertragen.
Ich will zu Dir gelangen, und ich werde es, ich Glücklicher! Der Schiffer lenket mit Arbeit und Mühe sein Schiff nach einem Ziele, das er oft verfehlt. Ich schiffe mich ein auf dem Schiff des Glaubens; und nun sage ich nur: Ich will zu dem Herrn! so fliegt das Fahrzeug nach der Richtung meiner bitte; der Hauch der Gnade schwellt die Segel; ich gelange zu Dem, welchen ich suche, zu dem einzigen Ort, wo ich sein will; ich gelange zu Dir! „Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Leben. Niemand kommt zum Vater, denn durch mich.“ Wohl, Du bist das Ziel, und Du bist auch der Weg. So ist im Strom Ziel und Weg zugleich. Dahin, wo der Strom sich in das Meer ergießt, dahin, wo der Sohn zur Rechten des Vaters sitzt, dahin will ich gelangen. Und um dahin zu gelangen, schiffe ich mich ein auf dem Strome, der mein Weg wird, und nicht nur ein Weg, der mich führt, sondern auch ein Weg, der mich trägt. So komme ich zu Dir durch Dich, Du führest und Du trägst mich zugleich. Amen.
Jes. 64.
In dieser heiligen Adventszeit, wo das Gebet auf den Lippen aller Betenden liegt: „Ach, daß Du den Himmel zerrissest und führest herab!“ will ich in mich gehen und mich vor Dir, o Du mein Gott, sammeln, um im Stillschweigen das Geheimniß Deines Sohnes anzubeten und zu erwarten, daß Er im Grunde meines Herzens geboren werde.
Ich harre Dein, o göttlicher Jesus, wie die Propheten und Patriarchen Dein geharret haben. Von Herzen sage ich mit ihnen: „Träufelt, ihr Himmel, von oben, und die Wolken regnen die Gerechtigkeit, die Erde thue sich auf und bringe Heil.“ Du bist schon einmal gekommen, und die Deinen haben Dich nicht erkannt. Komme wieder, Herr, die undankbare Erde zu schlagen und die verblendeten Menschen zu richten. Wann wird es doch von oben über uns herab kommen, das Reich der Gerechtigkeit, des Friedens und der Wahrheit? Wann wird Dein Gericht über die verhärtete Welt hereinbrechen und der Tag Deines Triumphs? Erhebe Dich, Gott, richte Deine eigne Sache, rechtfertige Dich vor den Augen aller Völker: Deine Ehre suchen wir und nicht die unsere.
Ja, ich liebe Dich um Deinet-, und nicht um meinetwillen. Mein Herz grämt sich, daß ich die Ungerechtigkeit auf Erden überhand nehmen sehe und Dein Evangelium mit Füßen treten. Es grämt sich, daß ich mich wider meinen Willen der Eitelkeit unterworfen sehe. Wie lange, Herr, willst Du Dein Erbtheil trostlos lassen? Kehre doch wieder, Herr Jesus, wende das Licht Deines Antlitzes wieder zu uns. Ich will nichts von den Dingen, die mich hienieden umgeben: sie werden bald nicht mehr sein. Die unermeßlichen Vesten des Himmels werden zusammenstürzen, diese mit Sünden bedeckte Erde wird durch das rächende Feuer verzehrt und erneuert werden. Die Sterne werden herabfallen, ihr Licht wird verlöschen; die Elemente werden zerschmelzen und die ganze Natur zu Grunde gehen. Der Gottlose zittre, wenn das geschieht! Ich aber rufe mit Liebe und Vertrauen: schlage, Herr; verherrliche Dich, und rotte aus Alles, was Deiner Heiligkeit zuwider ist. Schlage auch mich und schone mein nicht, um mich zu reinigen und Deiner würdig zu machen. Ach, diese unverständige Welt ist nur mit dem gegenwärtigen Augenblick beschäftigt, der flugs dahin ist. Alles hier vergehet, und man will sein genießen, als würde es ewig bleiben; der Himmel und die Erde vergehen wie ein Rauch; Dein Wort allein bleibet in Ewigkeit! O Wahrheit, man kennet Dich nicht! Die Lüge wird angebetet und erfüllt des Menschen ganzes Herz. Alles ist falsch, Alles betrügt. Alles, was gesehen, Alles, was berührt werden kann, Alles, was sinnlich ist, Alles, worüber die Zeit Gewalt hat, ist Nichts. Muß denn dieser flüchtige Traum sich Wahrheit dünken und Deine unbewegliche Wahrheit für einen Traum gehalten werden? Ach, Herr, warum duldest Du ein solches Wesen? Die ganze Werde ist in Todesschlummer gefallen: wecke sie auf durch Dein Licht. Ich, Herr, ich will nur Dich; ich warte nur auf Dich; ich fürchte den Tod nicht, er ist die Befreiung Deiner Kinder. Ja, Herr, wir werden sterben, und der unglückliche Zauber wird sich plötzlich zerstreuen. Ich will Dich lieben, Herr, ich will Dich allein lieben, und mich nur in Dir und um Deinetwillen. O wie habe ich Deine Zukunft so lieb! Schon hebe ich nach Deinem Befehl die Augen und das Haupt auf, um Dir entgegen zu gehen. Ich bin schwach, elend, zerbrechlich; ich habe, wenn Du mich nach der Strenge Deiner Gerechtigkeit richtest, Alles zu fürchten; allerdings! aber eben meine Zerbrechlichkeit lehrt mich, daß das Leben Gefahr, und der Tod eine Gnade ist.
O Herr, nimm hinweg die Sünde; komm, und regiere in mir; entreiße mich mir selbst, und ich werde allein Dein sein und keines Andern. Was habe ich auf der Erde zu thun? Was kann ich hoffen in diesem Thränenthal, wo das Böse alle Gewalt zu haben scheint und das Gute unvollkommen ist? Nur Dein Wille kann mich darin zurückhalten. Ich habe nichts lieb von allem dem, was ich sehe; ich will nichts lieb haben als Deine Zukunft, und mich selbst nur in Dir und Deinem Wohlgefallen. Amen.