Aristide - Apologie (Auszüge)
um 137
II, 6,7,8
Die Christen leiten ihre Abkunft von Jesus Christus her. Er wird der Sohn des höchsten Gottes genannt. Es wird von ihm bezeugt, daß er als Gott vom Himmel herabstieg und von einer hebräischen Jungfrau Fleisch nahm und anzog, und daß so der Sohn Gottes in einer Menschentochter Wohnung nahm. Dies wird in der Freudennachricht gelehrt, die - so wird es bei ihnen bezeugt - seit kurzem verbreitet worden ist. Ihren Sinn werdet auch ihr, wenn ihr sie lest, erfassen können. Dieser Jesus entstammt also dem Volk der Hebräer. Er hatte zwölf Schüler, durch die sein wunderbares Heilswerk vollendet werden sollte. Er selbst wurde von den Juden durchbohrt, und es wird bezeugt, daß er nach drei Tagen wieder auflebte und in den Himmel erhoben wurde. Darauf zogen diese zwölf Schüler in die bekannten Gegenden der Welt und lehrten in Güte und in sittlichem Ernst seine Majestät. So werden die, die heute an jene Verkündigung glauben, Christen genannt, wie sie allbekannt sind.
XV, XVI.
Die Christen sind es, Kaiser, die gesucht haben, und die die Wahrheit gefunden haben. Wir haben es aus ihren Schriften eingesehen: Sie stehen der Wahrheit und der richtigen Erkenntnis näher als die anderen Volksgruppen; denn sie erkennen Gott. Sie glauben an ihn, als den Schöpfer und Werkmeister des Alls, durch den alles ist und von dem alles herkommt. Sie verehren keinen anderen Gott. Sie bekamen seine Gebote in ihre Herzen eingeprägt. Sie beobachteten sie, weil sie in der Hoffnung und Erwartung des kommenden Zeitalters stehen. Sie treiben nicht Ehebruch. Sie leben in keiner Hurerei. Sie reden keine Unwahrheit. Sie behalten kein anvertrautes Gut für sich. Sie begehren keine fremden Dinge; sie ehren Vater und Mutter. Sie erweisen ihren Nächsten Gutes. Was sie aussprechen, sind Urteile der Gerechtigkeit. Götzen in Menschengestalt beten sie nicht an. Sie tun alles das keinem anderen, was sie nicht wollen, daß es ihnen widerfährt. Götzenopfer essen sie nicht. Denn sie sind rein. Sie reden denen zu, die ihnen Unrecht tun. So machen sie sich sie zu Freunden. Es ist ihnen zur Leidenschaft geworden, ihren Feinden Gutes zu tun. Ihre Frauen, Kaiser, sind rein wie Jungfrauen. Ihre Töchter leben in Zucht, in Güte und Milde. Ihre Männer enthalten sich allen gesetzlosen intimen Umgangs. Sie halten sich von aller Unreinheit frei.
Denn sie stehen in der Erwartung der zukünftigen Vergeltung in der anderen Welt. Sklaven und Sklavinnen und Schützlingen, die einzelne von ihnen haben mögen, reden sie aus Liebe zu, Christen zu werden. Und sind sie es geworden, so sind sie ihnen ohne Unterschied Brüder. Fremde Götter beten sie nicht an. Sie leben in dem Bewußtsein ihrer Kleinheit. Ihr Wesen ist Freundlichkeit. Falschheit gibt es bei ihnen nicht. Sie lieben einander. Keine Witwe übersehen sie. Die Waisen retten sie vor denen, die ihnen Gewalt antun. Wer von ihnen etwas hat, gibt dem, der nichts hat, und gönnt es ihm. Wenn sie jemanden sehen, der aus der Fremde kommt, führen sie ihn unter ihr Dach. Sie freuen sich an ihm wie an einem wirklichen Bruder. Sie nennen sich nicht Brüder dem Leibe nach; sondern sie wissen sich als Brüder im Geist und in Gott. Wenn jemand von ihnen sieht, daß einer ihrer Armen aus der Welt Abschied nehmen soll, so sorgt er nach Kräften für sein Begräbnis. Und wenn sie hören, daß einer von ihnen um des Namens ihres Christus willen gefangen gesetzt ist, oder daß er von den Gegnern bedrängt wird, so sorgen sie alles für alles, was er braucht. Wenn es möglich ist, befreien sie ihn. Wenn jemand unter ihnen arm ist oder in Not gerät, während sie selbst keine überflüssigen Mittel haben, so fasten sie zwei oder drei Tage für ihn. So können sie dem Armen geben, was er an Nahrung braucht. Sie sind bereit, für Christus ihr Leben hinzugeben. Denn die Worte ihres Christus halten sie zuverlässig inne. Denn sie leben geweiht und gerecht, wie es ihnen der Herr, ihr Gott, aufgetragen hat. Alle Morgen, ja zu allen Stunden rühmen und ehren sie Gott für alles Gute, das er ihnen schenkt. Sie danken ihm für Speise und Trank. Und wenn einer von ihnen, der gut ist, aus dieser Welt hinübergeht, so freuen sie sich und danken Gott. Sie geben seiner Leiche das Geleit, als zöge er nur von einem Ort zum andern. Und wenn jemanden unter ihnen ein Kind geboren wird, so ehren sie Gott; und sollte es kommen, daß das kleine Kind stirbt, so ehren sie Gott noch weit mehr; ist es doch ohne Sünden durch die Welt gegangen. Wenn sie es aber erleben müssen, daß einer von ihnen in Gottlosigkeit oder in Sünde stirbt, so weinen sie bitterlich über ihn. Sie seufzen über ihn, weil er in die Strafe gehen muß. Das, Kaiser, ist die Lebensregel der Christen und ihre Lebensführung.
Als solche, die Gott kennen, erbitten sie von ihm die Dinge, die Gott entsprechen, daß er sie gibt, die Dinge, die ihnen zukommen, sie zu empfangen. So erfüllen sie ihre Lebenszeit. Sie bekennen die Wohltaten Gottes, wie sie ihnen erwiesen werden. Sieh es! So strömt ihretwegen das Gute in der Welt weiter. Wahrhaftig: Sie sind es, die gesucht haben und die die Wahrheit gefunden haben! Aus dem, was wir hier eingesehen haben, müssen wir schließen, daß sie allein der Erkenntnis der Wahrheit nahe sind. Und das Gute, das sie tun, rufen sie nicht in die Ohren der Menge. Sie tragen vielmehr Sorge, daß es niemand bemerkt. Sie verbergen ihre Schenkungen, wie jemand, der ein gefundenes Wertstück geheim hält. Sie wollen gut sein, weil sie in der Erwartung stehen, ihren Christus in seinem strahlenden Glanz zu sehen und von ihm die Erfüllung seiner Versprechungen zu empfangen, weil sie ihnen gelten.
Nehmt ihre Schriften und lest darin. Seht: Ihr werdet finden, daß ich hier nichts aus mir selbst geschöpft habe, und daß ich nicht als ihr Parteigänger gesprochen habe. Ich bin vielmehr durch das Lesen in ihren Schriften zu dieser festen Überzeugung gekommen, auch für das Zukünftige, das sie bezeugen. Deshalb fühlte ich mich getrieben, denen die Wahrheit zu zeigen, die für die Wahrheit und für das Suchen der zukünftigen Welt bereit sind.