Anselm von Canterbury – Buch der Betrachtungen - Vierzehnte Betrachtung.
Vorwort. Weil wir uns mitten unter Fallstricken befinden, so erkaltet unsere Sehnsucht nach dem Himmel leicht. Daher bedürfen wir beständiger Anmahnung, dass wenn wir abwärts fließen, wir erwachen und zu Gott, unserem wahren und höchsten Gute, zurücklaufen. Daher bemühte ich mich nicht aus verwegener Anmaßung, sondern aus großer Liebe zu meinem Gott, bei diesem Werkchen zu seinem Lobe aus den schönsten Aussprüchen heiliger Väter stets ein kurzes Wort über meinen Gott für mich zur Hand zu bekommen; um bei dem Feuer, das aus solchem Lesen entsteht, mich zu seiner Liebe zu entflammen, so oft ich lau werde.
I. Nun stehe mir bei, mein Gott, den ich suche, den ich liebe, den ich mit Herz und Mund bekenne, und mit aller mir zu Gebot stehenden Kraft lobe und anbete. Mein Geist, dir ergeben, von Liebe zu dir entzündet, nach dir atmend, nach dir voll Gier, mit der Sehnsucht, dich allein zu sehen, hat keine andere Süßigkeit, als von dir zu reden, von dir zu hören, von dir zu schreiben, von dir zu unterhalten, deinen Ruhm fleißig im Herzen zu erwägen, damit die liebliche Erinnerung an dich für mich einige Erholung unter diesen Stürmen sei. Dich also rufe ich an, du Gegenstand meiner größten Sehnsucht, zu dir schreie ich mit großem Geschrei in meinem Herzen. Und wenn ich dich anrufe, so tue ich es freilich durch mich selbst, denn ich wäre ganz und gar nicht, wenn du nicht in mir wärst: und wäre ich nicht in dir, so wärst du nicht in mir. In mir bist du, weil du in meinem Gedächtnisse bleibst; daraus erkenne ich dich, und darin finde ich dich, wenn ich mich deiner erinnere, und mich in dir durch dich ergötze, aus dem Alles, durch den Alles, und in dem Alles ist.
Du, Herr, erfüllst Himmel und Erde, indem du Alles trägst, ohne dass es dir schwer wird, Alles erfüllst, ohne dass es dich einschließt. Immer tätig, immer in Ruhe. Sammelnd, ohne etwas zu bedürfen. Suchend, während dir nichts abgeht. Liebend, aber ohne Aufwallung; eifernd, und doch beruhigt. Es reut dich, aber macht dir keine Betrübnis. Du zürnst und bleibst ruhig. Du änderst Werke, aber den Ratschluss änderst du nicht. Du nimmst an, was du findest, und nie hast du verloren. Nie bedürftig, und vergnügt über Gewinn. Nie habsüchtig, und doch verlangst du Zinse. Wem du nichts schuldig bist, dem legst du zu, oder legt man dir stets zu, um dich zum Schuldner zu machen. Und wer hat irgend etwas, was dir nicht gehörte? Du bezahlst Schulden heim, ohne Jemandens Schuldner zu sein. Du schenkst Schulden, ohne einen Verlust dabei zu haben. Während du überall bist, bist du überall ganz. Man kann dich empfinden und nicht sehen. Du fehlst nirgends und bist doch ferne von den Gedanken der Frevler. Auch da, wo du entfernt bist, fehlst du nicht; denn wo du nicht aus Gnade bist, da bist du zur Rache. Während du überall gegenwärtig bist, lässt du dich kaum finden. Während du stehst und wir dir nachgehen, vermögen wir dich nicht zu erfassen. Der du Alles hältst, erfüllst Alles, umfasst Alles, gehst über Alles hinaus, trägst Alles. Du unterrichtest die Herzen der Gläubigen ohne das Geräusch von Worten. Orte trennen dich nicht, die Zeiten üben keinen Wechsel auf dich, du hast keinen Zuwachs und keine Abnahme. Du wohnst in einem unnahbaren Lichte, kein Mensch sah dich, noch kann er dich sehen (1. Tmth. 6,16). Während du ruhig in dir bleibst, umläufst du überall das Ganze. Denn du kannst nicht gespalten und zerteilt werden, weil du in Wahrheit Einer bist; auch lässt du dich nicht zu Teilen machen, sondern ganz hältst du das Ganze, erfüllst das Ganze, erleuchtest und besitzt das Ganze.
Wäre die ganze Welt voll von Büchern, dein unbeschreibliches Wissen lässt sich nicht aussprechen. Weil du aber unaussprechlich bist, kannst du auf keine Weise beschrieben, noch erschlossen werden. Du bist die Quelle des göttlichen Lichts und die Sonne ewiger Klarheit. Du bist groß ohne (bestimmte) Größe und deshalb unermesslich. Gut ohne Beschaffenheit, und deshalb wahrhaft und höchst gut, und Niemand ist gut als du allein. Was du willst, ist getan, dein Wollen ist Können. Du hast Alles aus nichts erschaffen, bloß durch deinen Willen gemacht. Du bist im Besitze aller deiner Geschöpfe, ohne irgend etwas zu bedürfen, und ohne Mühe lenkst und ohne Überdruss regierst du, und nichts vermag die Ordnung deines Reiches zu stören, sei es im Höchsten, oder im Geringsten. Du befindest dich an allen Orten ohne einen Ort, und umfasst Alles, ohne es zu umfangen, und bist überall zugegen ohne Richtung und Bewegung. Auch bist du nicht Urheber des Bösen, da du es nicht tun kannst. Alles vermagst du und nie hat dich gereut, was immer du getan hast. Aus Güte schufst du uns, und wegen deiner Gerechtigkeit haben wir sowohl Strafen zu büßen, als wir auch durch deine Milde losgesprochen werden. Deine Allmacht lenkt Alles, regiert und erfüllt, was sie erschaffen hat. Und wir sagen nicht, du erfüllst deshalb Alles, damit du darin enthalten seiest; sondern es vielmehr in dir enthalten sei. Weder erfüllst du teilweise Alles, noch darf man entfernt meinen, als ob jedes Ding nach der Größe seiner Beschaffenheit dich fasse, das heißt je größer desto mehr, je kleiner desto weniger, da du vielmehr ganz in Allem und Alles in dir ist. Deine Allmacht umschließt Alles, und Niemand wird einen Ausweg finden, um deiner Macht zu entgehen. Denn wer mit dir nicht versöhnt ist, wird deinem Zorn keineswegs entrinnen.
II. Dich also, gütigster Gott, lade ich in meine Seele ein, die du zubereitest, dass sie dich fassen mag, gemäß der Sehnsucht, die du ihr einhauchst. Gehe, ich bitte, in sie ein, und mache sie dir zurecht, um sie zu besitzen, die du gemacht und hergestellt hast; so dass ich dich wie ein Siegel auf meinem Herzen habe. Verlass doch, Mildester, den, der dich anruft, nicht; denn bevor ich dich anrief, riefst du mir und suchtest mich, dass ich, dein Knecht, dich suchen, durch Suchen finden, und den Gefundenen lieben möchte. Ich suchte und fand dich, Herr, und wünsche dich zu lieben. Verstärke meinen Wunsch, und gib, um was ich bitte; denn wenn du Alles, was du gemacht hast, mir gibst, so genügt es deinem Knechte nicht, wenn du dich selbst nicht gibst. Gib mir also dich selbst, mein Gott; gib dich mir zurück. Siehe, ich liebe dich; und ist es zu wenig, so möchte ich noch stärker lieben. Ich werde also von der Liebe zu dir festgehalten, ich brenne von Sehnsucht nach dir, die süße Erinnerung an dich ergötzt mich. Siehe während mein Geist nach dir seufzt und deiner unaussprechlichen Milde nachsinnt, drückt mich selbst die Last des Fleisches weniger, hört der Lärm der Gedanken auf, stumpft mich das Gewicht der Sterblichkeit und des Elends nicht wie sonst ab, schweigt Alles, ist Alles ruhig. Das Herz brennt, die Seele freut sich, die Erinnerung ist lebendig, der Verstand erleuchtet und der ganze Geist durch die Sehnsucht nach deiner Anschauung entzündet sieht sich von der Liebe zum Unsichtbaren fortgerissen. Mein Geist nehme sich Flügel wie die des Adlers, er fliege und höre damit nicht auf; er fliege und erreiche die Schönheit deines Hauses und den Thron deiner Herrlichkeit; und dort werde er am Tische der Erquickung der Himmelsbürger mit deinen Augen gesättigt am Orte der Waide unter den vollsten Strömen. Du sollst unser Frohlocken sein, der du unsere Hoffnung, unser Heil und unsere Erlösung bist. Du sollst unsere Freude sein, der du unser künftiger Lohn bist. Dich suche meine Seele stets und du verleihe, dass sie unaufhörlich suche.
III. Wehe der elenden Seele, die Christum nicht sucht, noch liebt, dürr und elend bleibt sie. Sein Leben büßt der ein, der dich Gott nicht liebt. Wer um das Leben nicht um deiner willen, Herr, besorgt ist, ist nichts, und für nichts. Wer für dich nicht leben mag, ist tot. Wer für dich keinen Sinn hat, ist sinnlos. Barmherzigster, dir empfehle ich, übergebe und überlasse ich mich, durch den ich bin, lebe und Einsicht habe. Auf dich vertraue, hoffe und sehe ich meine ganze Hoffnung, durch den ich auferstehen, leben und ruhen werde.
Dich wünsche, liebe und bete ich an, bei dem ich bleiben, mit dem ich herrschen und selig sein werde. Die Seele, die dich nicht sucht noch liebt, liebt die Welt, dient den Sünden, ist den Lastern unterworfen, nie ruht sie, nie ist sie beruhigt. Dir, Mildester, diene mein Geist stets. Nach dir seufze stets meine Wanderschaft, von Liebe zu dir brenne mein Herz. In dir, mein Gott, ruhe meine Seele, schaue auf dich, wenn der Geist auszieht, singe mit Jubel dein Lob, und darin bestehe mein Trost in dieser meiner Verbannung. Mein Geist flüchte sich unter den Schatten deiner Flügel vor der Hitze der Gedanken dieser Welt. In dir finde Ruhe mein Herz, das Herz ein großes Meer, gärend von Wogen. O Gott, reicher Spender jeden guten Mahles, reichlichster Spender himmlischer Sättigung, gib Speise dem Müden, sammle den Zerstreuten, befreie den Gefangenen und stelle den Zerrissenen wieder her. Siehe er steht an der Türe und klopft. Ich beschwöre dich bei deinem mitleidsvollen Innern, womit du uns heimgesucht hast, ein Aufgang aus der Höhe (Luk. 1,78.), befiehl, dass man dem armen Anklopfer auftue, dass er freien Schrittes zu dir treten, und in dir ruhen und von dir dem himmlischen Brot sich erquicken mag, denn du bist das Brot und die Quelle des Lebens, du das Licht ewiger Klarheit, du Alles, wovon die Rechtschaffenen, die dich lieben, leben.
IV. Gott, Licht der Herzen, die dich sehen, und Leben der Seelen, die dich lieben, und Kraft der Gedanken, die dich suchen, gib, dass ich deiner heiligen Liebe anhänge. Komm, ich bitte, in mein Herz, und mache es trunken von dem Reichtum deiner Lust, damit ich dieses Zeitliche vergesse. Ich schäme mich und es verdrießt mich, Dinge zu leiden, wie sie diese Welt treibt. Betrübt macht mich, was ich sehe, Beschwerde macht mir Alles, was ich von Vergänglichem höre. Hilf mir, Herr mein Gott, und gib Freude in mein Herz, komm zu mir, damit ich dich sehe. Aber das Haus meiner Seele ist mir enge, bis du zu ihm kommst und es sich durch dich erweitert. Schadhaft ist es, stelle Schadhaft ist es, stelle es her. Es hat sehr Vieles, was deine Augen beleidigen möchte, ich bekenne und weiß es; aber wer wird es reinigen, oder zu wem sollte ich sonst schreien, als zu dir? Von meinen geheimen reinige mich, Herr, und mit den fremden verschone deinen Knecht (Ps. 18,13.14.). Lass mich, süßer Christus, guter Jesus, lass mich, ich bitte, aus Liebe und Verlangen nach dir die Last fleischlicher Lüste und irdischer Begierden ablehnen. Die Seele herrsche über das Fleisch, die Vernunft über die Seele, deine Gnade über die Vernunft und deinem Willen unterwirf mein Inneres und Äußeres. Verleihe mir, dass mein Herz dich lobe, und meine Zunge und alle meine Gebeine. Erweitere meinen Geist, und erhebe meinen Herzensblick, damit mein Geist nur im raschen Gedankenfluge dich, die ewige, Alles überdauernde Weisheit erreiche. Löse mich, ich flehe, von den Banden, von denen ich gebunden gehalten werde, damit ich Alles das verlasse, zu dir eile, dir allein anhänge, nach dir allein trachte.
V. Glücklich die Seele, die los vom irdischen Gefängnisse frei nach dem Himmel strebt, die dich den süßesten Herrn von Angesicht zu Angesicht sieht, die keine Todesfurcht hat, sondern über die Unvergänglichkeit beständiger Herrlichkeit sich freut. Ruhig und beruhigt ist sie, sie fürchtet nun keinen Feind mehr, noch den Tod. Sie hat dich zum milden Herrn, den sie lange gesucht und immer geliebt hat, sie singt auf ewig im Vereine mit den Chören des Lobpreises von Honig träufelnde Lieder beständiger Festfreude zum Lobe deiner Herrlichkeit, Christus König, guter Jesus. Denn sie wird trunken von deines Hauses Reichtum und mit dem Strome deiner Wonne tränkst du sie (Ps. 35, 9). Glückliche Genossenschaft der Himmelsbürger, und herrliches Fest aller derer, die zu dir heimkehren von der traurigen Mühsal dieser unserer Pilgerschaft zur lieblichen Schönheit, zum prächtigen Glanze und zu deiner ganzen ausgesuchten Würde, wo dich, Herr, deine Bürger unausgesetzt sehen. Da gibt es durchaus nichts mit Ohren zu hören, was den Geist beunruhigen möchte. Welche Lieder! Welche Instrumente! Welche Gesänge! Dort tönen immer die honigfließenden Instrumente der Lobgesänge, die lieblichste Engelmelodie, wunderbare hohe Lieder, die zu deinem Lobe und Ruhme von den Himmels, bürgern abgesungen werden. Keine Bitterkeit und Gallenwidrigkeit hat Raum in deinem Lande. Denn dort gibt es keinen Bösen und keine Bosheit. Keinen Gegner und Angreifer, noch gibt es irgend eine Verlockung zur Sünde. Dort gibt es kein Bedürfnis, nichts Unziemliches, keinen Streit, keinen Vorwurf, keine Anklage, keine Furcht, keine Unruhe, keine Strafe, keinen Zweifel, keine Gewalttätigkeit, keine Zwietracht, sondern dort ist höchster Friede, volle Liebe, ewiger Jubel und Lob Gottes, endlose und sichere Ruhe, und stets Freude im heiligen Geiste. O wie beglückt werde ich sein, wenn ich die lieblichsten Gesänge deiner Bürger vernehme, die honigfließenden Lieder, die mit schuldiger Ehre der höchsten Dreieinigkeit Lob spenden. Aber auch über die Maßen glücklich, wenn ich selber es verdiene, ein Lied von den süßen Liedern Sions dem Herrn Jesus Christus zu singen.
VI. Leben voll Leben, ewiges und ewigseliges Leben, wo Freude ohne Trauer, Ruhe ohne Mühsal, Würde ohne Bangigkeit, Reichtum ohne Verlust, Gesundheit ohne Krankheit, Überfluss ohne Mangel, Leben ohne Tod, Beständigkeit ohne Hinfälligkeit, Seligkeit ohne Unglücksfall, wo man alles Gute in vollkommener Liebe, wo man Gestalt und Anblick von Angesicht zu Angesicht, wo man volles Wissen von Allem und durch Alles, wo man Gottes höchste Güte schaut und das erleuchtende Licht von den Heiligen verherrlicht wird, wo man die Anwesenheit der Majestät Gottes anschaut, und der Geist der Anschauenden mit dieser Lebensspeise ohne Aufhören gesättigt wird; man sieht stets und hat Sehnsucht nach dem Sehen, man sehnt sich ohne Ängstlichkeit, und sättigt sich ohne Überdruss, wo die wahre Sonne der Gerechtigkeit durch die wunderbare Erscheinung ihrer Schönheit Jedermann erquickt, und sämtliche Bürger des himmlischen Vaterlands so erleuchtet, dass sie selber leuchten, ein Licht nämlich, das durch Gott leuchtet mehr als aller Glanz unserer Sonne und als aller Sterne Klarheit, die an der unsterblichen Gottheit hängen, und dadurch unsterblich und unvergänglich gemacht, nach der Verheißung des Herrn Erlösers! Vater, ich will, dass die, die du mir gegeben hast, auch bei mir seien, wo ich bin, damit sie meine Herrlichkeit sehen, damit Alle Eines seien, wie du Vater in mir und ich in dir, und sie in uns Eines seien (Joh. 17,22-24).
VII. Himmelreich, glücklichstes Reich, Reich ohne Tod, und ohne Ende, das in Ewigkeit keine Zeit mehr nach sich hat, wo ein beständiger Tag ohne Nacht von keiner Zeit etwas weiß, wo der siegreiche Streiter nach der Mühsal mit unaussprechlichen Geschenken überhäuft wird.
Wo das edle Haupt umfängt die ewige Krone. Dass doch nach dem Erlasse der Sündenlast die göttliche Milde mich den letzten der Knechte Christi diese Fleischesbürde ablegen ließe, um in die ewigen Freuden seiner Stadt zur Ruhe überzugehen, unter die heiligsten Chöre der Himmlischen mich zu mischen, mich mit den seligsten Geistern vor die Herrlichkeit des Schöpfers zu stellen, dem gegenwärtigen Gott ins Angesicht zu sehen, von keiner Todesfurcht berührt zu werden, über eine beständige unzerstörliche Unsterblichkeit beruhigt mich zu freuen, und in Verbindung mit dem, der Alles weiß, alle Blindheit der Unwissenheit abzulegen, alles Irdische gering zu schätzen, gewürdigt zu werden, jenes Tränental nicht länger anzusehen oder daran erinnert zu werden, wo ein Leben voll Mühsal, ein hinfälliges Leben, ein Leben voll von jeder Bitterkeit, ein Leben herrschend über Böses, dienend der Hölle, von Wassern aufgedunsen, von Schmerzen schwindend, von Hitze ausgetrocknet, von trocknen Lüften heimgesucht, von Speisen aufgeblasen, vom Fasten abgemagert, von Scherzen ausgelassen, von Traurigkeit verzehrt, von Bekümmernis beengt, von Sicherheit untätig gemacht, prahlend mit Reichtum, Armut verachtend, durch die Jugend erhoben, durch das Alter gebeugt, durch Krankheit geschwächt, durch Traurigkeit herabgestimmt, vom Teufel mit Nachstellungen bedroht, von der Welt geschmeichelt, vom Fleische ergötzt, an der Seele blind, der ganze Mensch in Verwirrung. Und hinter diesen so vielen und so großen Übeln kommt der wutschnaubende Tod und macht den eitlen Freuden so ein Ende, dass man bei ihrem Aufhören meint, sie seien gar nicht gewesen.
Aber welchen Lobpreis, oder welche Danksagungen möchten wir dir zu erstatten vermögen, unser Gott, der du uns auch unter diesen so großen Kümmernissen der Sterblichkeit mit wunderbarer Heimsuchung deiner Gnade zu trösten nicht aufhörst. Siehe während ich Elender voll Trauer bin, während ich das Ende meines Lebens fürchte, während ich meine Sünden betrachte, während ich Angst vor deinem Gerichte habe, während ich an die Todesstunde denke, während ich vor den Strafen der Hölle schaudere, während ich nicht weiß, wie streng und genau du es mit meinen Werken nehmest, während ich ganz und gar nicht weiß, mit welchem Ende ich sie beschließen werde, und während ich dieses und vieles Andere bei mir im Herzen verhandle, bist du zu trösten da, Herr Gott, mit gewohnter Milde und unter diesem Klagen und Weinen über die Maßen und tiefen Herzensseufzern nimmst du den trauernden und bekümmerten Geist über hohe Gebirgsrücken hinweg zu würzigen Gartenbetten auf, und setzest mich auf einen Weideplatz neben Bächlein süßen Wassers, wo du vor mir einen Tisch mit mannigfacher Zurüstung bereitest, dass der ermüdete Geist zu Ruhe komme, und das traurige Herz erfreut werde, erquickt endlich von diesen Köstlichkeiten und in Vergessenheit meines vielen Elendes, erhoben über die Höhe der Erde, ruhe ich mit wahrem Frieden in dir.