Ahlfeld, Johann Friedrich - Beharrlicher Glaube führt zum Ziel.

(Reminiscere 1848.)

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Matthäus 15. V. 21 - 28.
Und Jesus ging aus von dannen und entwich in die Gegend Tyrus und Sidon. Und siehe, ein kananäisches Weib ging aus derselbigen Grenze und schrie ihm nach und sprach: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner; meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt! Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten zu ihm seine Jünger, baten ihn und sprachen: Lass sie doch von dir, denn sie schreiet uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israels. Sie kam aber und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir. Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht fein, dass man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde, Sie sprach: Ja, Herr; aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen. Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: O Weib, dein Glaube ist groß! dir geschehe, wie du willst. Und ihre Tochter ward gesund zu derselbigen Stunde.

In dem Herrn geliebte Gemeinde. Wenn ein scharfer Wind in das Feuer bläst, so springen die Funken umher. Fallen sie auf Etwas, da sie zünden können, so gibt es statt eines Feuers zwei oder noch mehrere. Wenn der scharfe Wind der Verfolgung in die Gemeinde der Gläubigen bläst, dann stiegen die Funken des heiligen aus Gott geborenen Lebens hierhin und dorthin und zünden die Herzen an, die schon bereitet sind, in der Liebe unseres Heilandes Jesu Christi zu brennen. Die Gläubigen zerstreuen sich dann nach vielen Orten und sammeln bald um sich neue Gemeinden der Gläubigen. Als Stephanus den langen Chor der christlichen Märtyrer eröffnet hatte, als sich zu Jerusalem die erste Verfolgung erhob, da zerstreuten sich die Gläubigen nach verschiedenen Seiten. Ihrer etliche kamen nach Samaria und predigten den Samaritern den barmherzigen Samariter, also dass derselben eine gute Zahl gläubig ward. So ist es später in der Kirche noch sehr oft gewesen. Auch in unserm Evangelio ist ein Vorspiel dazu. In dem Leben des Herrn selbst finden wir etwas Ähnliches. Der Herr hatte ein Gespräch gehabt mit den Schriftgelehrten und Pharisäern zu Jerusalem. Sie hatten ihn gefragt, warum seine Jünger die Aufsätze der Ältesten überträten. Er hatte ihnen geantwortet: „Warum übertretet ihr denn Gottes Gebot um eurer Aufsätze willen? Gott hat geboten: „Du sollst Vater und Mutter ehren. Wer aber Vater und Mutter flucht, der soll des Todes sterben.“ Und ihr lehret: „Wer zum Vater oder zur Mutter spricht: „„Wenn ich's opfere, so ist dir's viel nützer,“ der tut wohl.“ Ihre ganze Sündenreihe zieht er zusammen in die große und schwere Summe: „Dies Volk nahet sich zu mir mit seinem Munde und ehret mich mit seinen Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir.“ Er hatte die Obersten blinde Blindenleiter genannt, er hatte das Volk aufgemuntert, sie fahren zu lassen, damit sie nicht beide in die Grube fielen. - Da grollten ihm die Pharisäer. Ihre Herzen wurden Gift und Galle, ihre Augen wurden Dolche und Spieße. Der Herr fühlte das Wetter, das heranzog. Unter den Seinen hatte er keine sichere Stätte mehr, er musste eine Zuflucht unter den Heiden suchen. Er entwich in die Grenzen von Tyrus und Sidon. Er floh, weil seine Stunde noch nicht gekommen war. Noch war Ostern nicht so nahe. Er sollte aber unser Osterlamm werden, wie denn Paulus später schreibet: „Wir haben auch ein Osterlamm, für uns geschlachtet, Jesum Christum.“ Diese seine Flucht hatte gleich den Segen, dass sich zwei arme Heidinnen, Mutter und Tochter, gläubig an ihn hängen konnten. Für uns hat sie den Segen, dass wir von jenen Beiden lernen, wie man mit beharrlicher, gläubiger Bitte endlich doch sein Ziel erreicht. Wir rufen uns heute zu:

Beharrlicher Glaube führt zum Ziele.

Wir ordnen uns diese heilige Wahrheit in folgender Reihe:

Liegt auf dir ein schweres Kreuzgewicht,
Such' in Demut Jesu Angesicht,
Halt an mit Gebet und zweifle nicht.
Endlich gibt er doch, was dir gebricht.

Herr Jesu Christe, von diesem Glauben wollest du uns auch ein Fünklein geben. Du weißt, wie sehr wir ihn brauchen in dieser schweren Zeit. Herr Jesu Christe, von der Gebetstreue dieser Heidin lass auch in unsere Seelen einen Tropfen fallen, dass wir allzumal fleißig und beharrlich vor dein Angesicht kommen in diesen betrübten Tagen. Auch heute sammle uns im Glauben um dich, wie ein guter Hirte seine Herde um sich sammelt. Amen.

I.

Liegt auf dir ein schweres Kreuzgewicht,
Such' in Demut Jesu Angesicht.

Ein kananäisches Weib ging aus aus den Grenzen von Tyrus und Sidon, um Jesum zu suchen. Das war eine rechte Seltenheit. Sie gehörte ja zu den alten Kananiterstämmen, die dem Volke Gottes seit mehr denn tausend Jahren feind, die seit den ältesten Zeiten fest eingeschmiedet waren in die Ketten der Sünde. Handel und Wandel, lustiges Leben, Götzendienst mit Wollust und Hurerei, Purpurkleider und weltliches Prangen füllten die Gedanken dieser Stämme aus. Ostwärts, wo die Stadt Gottes, Jerusalem, lag, ging ihr Sehnen selten. Nach Westen hin, nach den Inseln und Ländern, die Gold und Silber lieferten, und wieder nordwärts nach den Küsten, wo das Meer Bernstein auswarf, steuerte ihr Kiel. Aber nach dem Worte Gottes, das köstlicher ist denn reines Gold, hatten sie nie gefragt, und um den Eckstein, den die Bauleute verwerfen wollten, hatten sie sich nie gekümmert. - Was trieb nun dieses Weib heraus aus seinen Grenzen? Die Zuchtrute Gottes. Ihre Tochter ward vom Teufel übel geplagt. Sie hatte dem Fürsten dieser Welt gedient. Nun zahlte er ihr ihren Lohn aus. Mutter und Kind erkannten jetzt, was sie für einen Herrn hatten. Man erkennt ja die Güte oder Bosheit des Herrn am besten an den Lohntagen. Nun ist guter Rat teuer. Sie mag hin- und hergefragt haben. Da kommt ihr denn die Botschaft von Jesu von Nazareth zu. Wenn die Sonne aufgeht, und sie schon hell scheint im Morgenlande, dann fallen erst einzelne Strahlen auf die Spitzen der Berge im Abendlande. Auch in das nächste Abendland Kanaans waren schon etliche Strahlen von der ausgegangenen Sonne der Gerechtigkeit gefallen. Das Gerücht von diesem Heiland war in die Kanaaniternacht gedrungen. Sein Klang soll ja gehen bis an die Enden der Erde. Es musste ihr doch Jemand gesagt haben: „Geh zu ihm!“ Es musste ihr Jemand erzählt haben von den Taten, die er an den Kranken tat. Wie die Tiere der Erde, die in Höhlen wohnen, an das Licht heraus eilen, wenn die Fluten über das Land hinströmen, so eilt dieses Weib bei den Trübsalsfluten aus den alten Sündenhöhlen, aus dem alten Sündenleben heraus vor das Angesicht, zu den Füßen des Herrn. - Du Menschenkind, du hast dir auch ein kleines Tyrus oder Sidon in deinem Herzen gebaut. Du hast dir dein kleines Lebensgebiet abgerundet und eine Mauer darum gezogen. Du hast deinen Kreis von Freuden; du hast deine Interessen, denen du dienest; du hast deine Hoffnungen, an die du deine Seele gehängt hast; du hast deine Sünden, die durch jahrelange Sitte Mitbewohner dieser deiner Herzensstadt geworden sind. Sie haben Bürgerrecht darin erlangt. In dieser deiner Stadt wohnest du. Dein Denken, dein Leben hat darinnen einen festen Kreis. Wohnt Gott auch mit in dieser deiner Stadt? „Jawohl,“ sagst du. Und du sagest recht. Er hat ein Haus darinnen neben den übrigen Häusern, Er hat einen Tag darinnen neben den übrigen Tagen. Es gehören ihm etliche Gedanken in der Seele neben den übrigen Gedanken. - So soll es aber nicht sein. Am Schöpfungsmorgen schwebte der Geist Gottes über den Wassern, und alle Tage stehet die Sonne über der ganzen Stadt. So soll in dir der Herr schweben und regieren über allem deinem Thun. Er soll nicht zwischen deinen Interessen stehen, wie ein Gleicher unter Gleichen, oder allenfalls wie der Erste unter Gleichen „Du sollst keine andern Götter haben neben mir.“ Wir aber haben Alle noch Götter neben ihm und sogar über ihm. Aus dieser Todesstadt, aus diesem Sündentyrus will er uns heraushaben. Wie fängt er's an? Auf gute Worte hören wir so selten, er braucht das Kreuz. Damit gelingt es ihm bei den Meisten am ersten. Als Hiskias krank lag, lernte er beten. Als Manasse gefangen saß in Babel, fand er die Himmelsstraße. Als dieses Weibes Tochter unter harten Plagen seufzte, da findet die Mutter den Weg zu Jesu, da kann sie ihre Knie beugen, da lernt sie rufen: „Jesu, du Sohn Davids, erbarme dich meiner!“ Drüben in Amerika hatte sich unter den Indianern eine Zahl Auswanderer angebaut Aber sie handelten an ihren roten Nachbarn nicht, wie es vor Gott recht ist. Betrug und Misshandlung übten sie an ihnen. Nur eine Familie war darunter, die diesen Heiden mit christlicher Liebe und Lindigkeit begegnete. An sie gewöhnte sich ein Indianer so fest, dass er sie fast täglich besuchte, ob er gleich ihre Sprache nicht reden konnte. Und ebensowenig verstanden die Glieder der Familie die seine. - Eines Tages erschien er vor der Tür dieser Leute und winkte, dass sie heraus- und mitkommen sollten. Aber man verstand nicht, was er wollte, und achtete seiner nicht. Da trat er herein ins Zimmer, und ehe ihn Jemand hindern konnte, nahm er das Kind aus der Wiege, eilte zur Tür hinaus und über das Feld hin. Vater und Mutter und was laufen konnte, jagten ihm nach. Wenn er eine Strecke voraus war, stand er still. Die Familie glaubte, er wolle nun warten, und eilte auf ihn zu. Aber sobald sie nahe kam. floh er wieder vorwärts. So lockte er sie wohl eine Stunde weit von ihrem Hause weg. Da stand er stille. Da ließ er die Eltern herankommen. Da gab er ihnen ihr Kind. Zugleich bedeutete er sie, dass sie nach ihrer Wohnung zurückschauen möchten. Als sie die Augen aufhoben, sahen sie die ganze Niederlassung in Rauch und Flammen. - Die Indianer, gereizt durch die Härte der Europäer, hatten einen Bund gemacht, sämtliche Europäer zu ermorden und ihre Häuser niederzubrennen. Der Eine aber hatte seine Freunde retten wollen. Reden konnte er nicht mit ihnen, und seine Winke verstanden sie nicht. Da nahm er ihnen das Kind. Er rechnete darauf, dass sie ihm nacheilen würden. Sie hatten es getan. Es war ihm gelungen. So macht es unser Herr und Gott mit uns auch. Wenn wir Gefahr laufen, unterzugehen in unsern Sünden, nimmt er uns oft unser Liebstes. Er nimmt es. Er nimmt es zu sich. Wir laufen ihm nach mit dem Herzen, Wir kommen zu ihm. Das hat er eben gewollt. Aus sein Winken wollten wir nicht hören. Oder er drohet bloß, uns unser Teuerstes zu nehmen. Achten wir schon auf die Drohung, suchen wir da schon sein Angesicht, so lässt er es uns wohl. Er hat ja ausgerichtet, was er wollte, - Wie steht es bei uns, geliebte Gemeinde? Die Trübsal ist da. Über die Herzen aller treuen Bürger, aller wahrhaftigen Christen ist sie hereingebrochen. Das Vaterland ist ja unser. Was in ihm geschieht, und wenn es an seinen fernsten Grenzen ist, geschieht uns mit. Wie sollten wir nicht trauern, wenn seine Bürger hin und wieder in Aufruhr und Empörung sich versündigen! Hat uns nun Gott durch diese Trübsal aus unserm Kreise der Sicherheit herausgerissen? Sind wir denn fleißiger die Straße gezogen, wo wir den Herrn finden? Haben wir mit eifrigerem Gebet an der Himmelspforte gestanden? Haben wir unsere eigenen Sünden bekannt und ihn angerufen, dass er uns davon heilen wolle? Haben wir ihn brünstig gebeten, dass wir unter unserer Obrigkeit ein stilles und ruhiges Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit? So lange wir in solchen Drangsalen unsere Knie nicht beugen lernen, so lange lässt auch sein Zorn nicht ab, und seine Hand bleibt ausgereckt. Jede Nachricht, die uns zukommt, jedes Zeitungsblatt, das wir in die Hände nehmen, ist uns jetzt eine Bußpredigt: „Tut Buße und bekehret euch, dass eure Sünden getilgt werden. Suchet das Angesicht des Herrn!“ Und wie sollen wir es suchen? Geh in die Schule bei dem kananäischen Weibe und lerne da:

II.

Halt an mit Gebet und zweifle nicht.

Angerufen hatte ihn das Weib: „Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt.“ „Ach“ war der Anfang ihrer Bitte. Mit diesem „Ach“ tat sie ihr Herz auf und ließ ihn hinein schauen. Finster war es darinnen. Wo im Sturm ein Baum bricht, bricht er mit diesem Laut. Und wo ein Herz bricht oder brechen will, da hat es diesen Ton. Und an das „Ach“ da reihet sich das „Herr“. O Mensch, das ist die rechte Verbindung. An das „Ach“ deiner Sünde soll sich das „Herr“ reihen, denn er ist dein Erlöser. An das Ach deiner Angst soll sich das Herr reihen, denn er ist dein Friede. An das Ach deines Schmerzes soll sich das Herr reihen, denn er ist dein Heiland. An das Ach deines Todes soll sich das Herr reihen, denn er ist dein Leben. Der Schmerz ist da, der Schmerzensstiller ist da, nun kommt die Bitte: „Erbarme dich meiner!“ Ja wohl ist Alles ein Erbarmen, denn wir haben Nichts verdienet als eitel Strafe. Und dass er ein Erlöser, Heiland, Friede und Lebensfürst für uns ist, das ist eitel Erbarmen. - Nachdem sie nun ihr Herz und ihren Helfer und den Grund seiner Hilfe ausgesprochen hat, da kommt die Darlegung der Not: „Meine Tochter wird vom Teufel übel geplagt.“ Wie wunderbar nimmt sich Christus da. Er geht seine Straße, als ob er Nichts gehört hätte. Er antwortet ihr kein Wort.

„Der sonst so schnell sich zu den Armen wendet
und ihnen eilig Trost und Gnade spendet,
geht schweigend fort
und spricht kein Wort.“

Warum tut er das? Er schweigt, damit sie rede. Und wenn du rufest, schweiget er, damit du redest. Er verbirgt sich eine Weile, damit ihr und dein Herz offenbar werde. Er schließt seine Liebe zu, damit ihr und dein Glaube sich aufschließe. Was mag dabei in ihm vorgegangen sein? Ein Vater mag noch so finster aussehen, er behält doch sein Vaterherz. Seine Liebe redete in ihm; aber sie wollte warten, bis sie ihr das volle Gnadenwort sagen könnte. Auch in diesem Schweigen redete seine Liebe. - Die Jünger reden ihm zu: „Lass sie doch von dir, denn sie schreiet uns nach.“ Es war ihnen lästig, dass diese Heidin Abrahams Söhnen mit ihren Schreien und Bitten nachzog. Jesus antwortet ihnen: „Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israels.“ Ja, nur zu diesen war er gesandt. Israel war das Gefäß, in das der Most der neuen Gnade ausgegossen werden sollte. Dies Gefäß sollte aber überfluten, und die Erde sollte überdeckt werden mit den Strömen der neuen Gerechtigkeit. Gesandt war er nur zu Israel; aber wo dies Volk ihn von sich stieß, da traten die Heiden in das Kindesrecht ein. Hier flieht er aus Israel, und das kananäische Weib wird seiner Gnade teilhaftig. Am Kreuz stirbt er durch Israel, und der römische Hauptmann bekennt ihn als Gottes Sohn. Auch das Wort: „Ich bin nicht gesandt, denn nur zu den verlorenen Schafen von dem Hause Israels.“ höret das Weib. Doch sinkt ihr Mut nicht, doch wird sie nicht irre, sie lässt nicht nach mit Bitten. Merke du dir daraus: Der Glaube soll nicht sein wie Glas. Er soll nicht gleich zerbrechen, wenn du einmal umsonst damit an die Gnadentür stößt. Der Glaube wird einem Schwert verglichen. Aber seine Schneide soll sich nicht gleich umbiegen, wenn du einen Streich damit getan hast. Der Glaube muss auch etwas vertragen können. Wer in der Nacht am Fluss steht und will den Fährmann herüber rufen, der am andern Ufer wohnt, der schreit einmal, und wenn er nicht höret, zweimal und dreimal und immer weiter. Du kennst den Fährmann, der uns über die Trübsalsfluten fährt. Er heißt Jesus Christus. Wenn er auf den ersten Ruf nicht höret, rufe wieder und immer wieder. Endlich hört er doch. Die Echtheit des Glaubens weiset sich aus in der Beharrlichkeit des Gebets. Der Christ bitte aber im Glauben und zweifle nicht; denn wer zweifelt, ist gleich der Meereswoge, die vom Winde gewebt und getrieben wird. Als dem Weibe das Nachschreien Nichts half, kam sie und fiel vor ihm nieder und sprach: „Herr, hilf mir!“ Hier erhält ihr Glaube den härtesten Stoß. Er antwortete ihr: „Es ist nicht fein, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ Sagt, wer wäre von uns da noch dageblieben? Hätten wir nicht zumeist gesagt: „Nein, nun bin ich fertig, an den Mann verliere ich kein Wort mehr. Das ist zu arg. Lieber mag das Kind sterben, als dass ich mir noch ein solch Wort sagen lasse.“ Woher wäre aber dieses Aufbrausen gekommen? Aus unserer tiefsten Schoßsünde, aus dem Hochmute. Er ist so eigentlich das Mark unseres natürlichen Menschen. Einen Verlust an unsern Gütern um unserer Sünde willen lassen wir uns gefallen. Einen Vorwurf, dass wir aus der Liebe Gottes gewichen sind, dass wir sein Gebot übertreten haben, ertragen wir auch. Aber wenn es, auch verdienter Weise, herankommt an die Ehre, an den alten Stolz, dann denken Tausende, sie können nicht mehr leben. Nichts hat den Strick öfter zum Selbstmord geschürzt, als der Hochmut, Nichts öfter die Wege zum Wasser gewiesen. Wenn wir es doch bedächten, dass Gott den Sünder erst ganz klein machen muss, ehe er ihn groß macht! Siehst du nicht, wo ein neues Haus gebaut werden soll, da müssen nicht allein die Dornen und Disteln weggehauen werden. Auch die Hügel, darauf sie standen, werden geebnet. Auch eine Tiefe wird gegraben, da der Füllmund hinein soll. Wo ein Christ in dem Herrn erbauet werden soll, da muss auch erst alles Hohe geniedert werden. Auch ein Graben wird ausgegraben, da die Ecksteine hinein müssen. Der Eckstein ist Jesus Christus, die Tiefe ist die Demut. - Jenes Weib antwortet: „Ja Herr, aber doch essen die Hündlein von den Brosamlein, die von ihrer Herren Tische fallen.“ Ja Herr. Mit diesen Worten nimmt sie die ganze Schuld auf sich, die der Herr ausgesprochen hat; die ganze Schmach, die er über sie gebracht hat. Mit diesem Ja Herr bekennt sie: „Wir Heiden sind keine Kinder. Wir haben Gott nicht geliebt und geehrt, wie die Kinder ihren Vater lieben und ehren. Wir haben das Geschöpf mehr geehrt, denn den Schöpfer. Wie Hunde haben wir die alte Kirche Gottes zerfleischet. Wir sind es nicht wert, dass du uns eine Antwort gebest oder einen Finger aufhebest.“ Aber doch. O was ruhet in diesem Worte! Das gedemütigte Herz erhebet sich aus dem Abgrunde der Sünde zur Höhe der Gnade. Die Augen waren niedergeschlagen, sie richtet sie auf zu ihm. Jenes war ein Sündenbekenntnis, dieses ist eine Appellation an die ewige Erbarmung. Jenes Wort zeigt sie in der Todesflut, in diesem reckt sie die Hand aus nach dem Fürsten des Lebens. In jenem hat sie Alles verloren, mit diesem greift sie nach Allem. In jenem wirft sie die Welt weg, mit diesem ergreift sie den Himmel und tut ihm Gewalt. Christ, dein ganzes Heil hängt an den zwei Worten: Ja Herr, aber doch. Wer nicht hinab gestiegen ist in die Tiefe seiner Sünde, wer die Finsternis und Todesnacht des eigenen Herzens nicht geschaut hat, der kann nimmer die Wimpern der Morgenröte sehen, dem geht keine Sonne auf. Durch Wehmut und Demut und Christi Blut geht die enge Straße zum ewigen Gut. - Drei köstliche Juwelen finden wir in dem Herzen des kananäischen Weibes: festen Glauben, unüberwindliche Beharrlichkeit und kindliche Demut. Lerne du mit ihr glauben. Sie selbst hatte noch nicht erfahren, wie der Herr die Leute so lieb hat. Sie selbst wusste noch nicht aus eigner Erfahrung, wie er die Seinen mit starken Armen aus der Trübsal trägt. Und du stehest auf der achtzehnhundertjährigen Geschichte seiner Kirche, du kannst, wenn du willst, tausend und aber tausend Beispiele seiner gnädigen Durchhilfe und Bewahrung finden. - Lerne mit ihr bitten. Ihr war noch keine Bitte erhöret worden. Sie kam zum ersten Male zu ihm. Und du stehest auf einer Reihe von Gebetserhörungen, die anhebt von jenem Tage, wo er sprach: „Was ihr den Vater bitten werdet in meinem Namen, das wird euch gegeben,“ und ununterbrochen fortläuft bis auf den heutigen Tag. Du hast es selbst schon erfahren, wie er dein Schreien hört, wie er endlich drein sieht. Sei fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, halte an am Gebet. - Lerne von diesem Weibe die Demut, die uns Allen so hochnötig ist. Wohl sind Gottes Gerichte auch durch die Heidenwelt gegangen. Die hohen Bäume fielen auch bei ihnen im Sturme zuerst, und das Kräutlein, das an der Wand wuchs, stand sicher. Die Stolzen wurden gebeugt, und die Demütigen wurden alt in Frieden. Sie wussten aber nicht, von wannen das kam. „Das Schicksal tut es,“ hieß es bei ihnen. Du weißt, von wannen es kommt. Der Herr dein Gott ist es, dem allein Preis, Ehre und Anbetung gebührt. Wer sich aber selbst Opfer bringt, da zerschlägt er den Altar samt dem Opferer; und wer Gott seinen Ruhm nimmt, da begräbt er den Ruhm samt dem Rühmer in Elend und Erde; sein Mund muss in Elend und im Grabe verstummen. Weil alle Gabe seine Güte und Gnade ist, gebührt auch ihm allein Ehre. Darum erkenne. dass du wider den Herrn deinen Gott gesündigt hast. - Bitte in Glauben, Beharrlichkeit und Demut. so wird er dich hören, denn er lässt seine Verheißungen nicht zu Schanden werden.

III.

Endlich gibt er doch was dir gebricht.

Der heutige Sonntag heißt Reminiscere. Das Wort heißt: Gedenke. Diese Sonntage haben zum Teil noch ihren Namen von den Schriftabschnitten, die in der alten Kirche an jedem derselben in lateinischer Sprache vorgelesen wurden. Der heutige hat seine Benennung aus Psalm 25,6.7 „Gedenke, Herr, an deine Güte, die von der Welt her gewesen ist.“ Er gedenkt ihrer und wird ihrer ewiglich gedenken. Da das Weib fest stand, da sie unverwandten Herzens auf ihn schaute und hoffte, offenbarte er sich ihr in seiner reichen Gnade. Ein Tropfen höhlet endlich den Stein aus, und dein Gebet, das nicht müde wird, dringet ein in die göttliche Barmherzigkeit. Dein Gott ist nicht hart wie Stein. Christus mahnet selbst mit einem Beispiel daran, wie man allezeit beten und nicht lass werden solle. Er sprach: „Es war ein Richter in einer Stadt, der fürchtete sich nicht vor Gott und scheute sich vor keinem Menschen. Es war aber eine Witwe in derselbigen Stadt, die kam und sprach: „Rette mich von meinem Widersacher!“ Und er wollte lange nicht. Darnach sprach er bei sich selbst: „Ob ich mich schon vor Gott nicht fürchte, noch vor keinem Menschen scheue; dieweil mir aber diese Witwe so viel Mühe macht, will ich sie erretten, dass sie nicht zuletzt komme und übertäube mich.“ Und der Herr sprach: „Höret hier, was der ungerechte Richter sagt! Sollte aber Gott nicht auch retten seine Auserwählten, die zu ihm Tag und Nacht rufen, und sollte Geduld darüber haben? Ich sage euch: Er wird sie erretten in einer Kürze.“ - Ja, wenn der ungerechte Richter höret, dem weder Gottesfurcht noch Menschenscheu das Ohr öffnet und offen erhält, so wird doch auch der Herr dein Gebet hören, der dich höret, ehe du bittest, und der deine Not zu Herzen nimmt, ehe dein erster Seufzer sich zu ihm auf den Weg macht. Als der Herr den Glauben der Kanaanäerin durch sein Warten zur Reife gebracht und an das Licht gezogen hatte, da folgte eine Antwort, wie sie sie erbeten hatte, wie er sie gern gab. Dreifach hatte er ihren Glauben erprobt, erst mit Schweigen, dann mit dem Worte, dass er nur gesandt sei für die verlorenen Schafe von dem Hause Israels, dann mit der harten Anrede: „Es ist nicht fein, dass man den Kindern das Brot nehme und werfe es vor die Hunde.“ Dreifach ist nun auch seine Gnadenantwort. Zuerst heißt es: „O Weib, dein Glaube ist groß.“ Das ist die beste Anerkennung, die einem Menschen werden kann. Heißt es: .Deine Güter sind groß“ - die werden Staub. Heißt es: „Dein Name ist groß“ - der wird der Vergessenheit Raub. Wenn du nach großen Dingen trachten willst, trachte nach großer Demut und nach großem Glauben. Der Glaube ist ein arm Pflänzlein, verachtet von der Welt, und er wird doch so hoch, er rankt bis in den Himmel hinein. Er ist eine Hand, die in die göttlichen Güter hineingreift. Wenn der Herr saget: „Dein Glaube ist groß,“ dann muss er auch mehr sagen, denn im Glauben sind wir Erben Gottes. Weil sie Christi geworden ist, ist sie in diesem Stück Herrin ihres Schicksals geworden. Ja er sagt auch mehr: „Dir geschehe, wie du willst.“ Das ist Viel gesagt, aber nicht mehr, als der Herr wirklich den Gläubigen gibt. Durch den Glauben ging Israel durchs rote Meer, durch den Glauben fielen die Mauern von Jericho. Wo ihr Glauben habt wie ein Senfkorn, so könnt ihr Berge versetzen. Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt überwindet. Nun so kann er auch solche Plage und Krankheit überwinden. Und er hat sie überwunden. „Ihre Tochter ward gesund zu derselbigen Stunde.“ Das ist die dritte, die lebendige Antwort. Und wir, wir allzumal, wollen die Last, die uns drückt, die Sorge, die uns wie der Alp auf dem Herzen liegt, mit derselben Waffe angreifen. Die Zukunft liegt vor uns wie ein hoher steiler Berg, von dem Viele in ihrer Kleingläubigkeit schon die Lawinen stürzen oder die wilden Wasser herunterrauschen hören. Und Alles, was wir gebaut, und Alles, worauf wir vertraut, das sehen wir begraben in dem Getriebe und in der Flut. Das ist nicht wahr. Das ist ein Nachtbild vom Kleinglauben aus schwarzen Grund gemalt. „Dir geschehe, wie du willst,“ spricht der Herr zu der Kanaanäerin, die im Glauben in seine Gnade hineingedrungen war, die sich seine Hilfe zum Eigentum erglaubt hatte. Das können wir auch. Wir wollen uns an ihn anhängen wie sie, wir wollen zu ihm rufen wie sie, wir wollen uns vor ihm demütigen wie sie. Wir sind seiner Gnade nicht wert. Aber was er in uns erneuet hat, das ist er; und was in uns lebet im rechten Leben, das ist er. Und er lässt sich selbst nicht, darum lässt er auch uns nicht. Der Glaube wird auch den Berg versetzen, der vor uns liegt. Und wenn er ganz Europa zu bedecken scheint, er ist nicht zu groß für ihn. Darum glaubet, betet und zweifelt nicht. Wer glaubet der fleucht nicht. Amen.

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