Ahlfeld, Johann Friedrich - Wie erlangen wir die schöne Krone eines gesegneten Alters?

Ahlfeld, Johann Friedrich - Wie erlangen wir die schöne Krone eines gesegneten Alters?

Die Gnade unseres Herrn und Heilandes Jesu Christi, die Liebe Gottes des Vaters, und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch Allen. Amen.

Text: Sprüchw. Salom, 16, V. 31:
Graue Haare sind eine Krone der Ehren, die auf dem Wege der Gerechtigkeit gefunden werden.

In Christo Jesu geliebte Gemeinde. Es klingt sonderbar, wenn man am Feste eines Jünglingsvereins mit dem Alter anfängt, wenn man Leuten im blonden Haar predigen will, und einen Text vom grauen Haar nimmt. Und doch hat diese Weise ihr wohlbegründetes Recht. Wenn sich unsere Jugend mehr um das Alter bekümmerte, sich mehr in dasselbe hineinversetzte, würde ihr Weg und Wandel ein ganz anderer sein. Schon ein alter Heide spricht es aus: „Wenn du im Alter jung sein willst, musst du in der Jugend alt sein.“ Wie kannst du aber in der Jugend alt sein, wenn du nicht in das Wesen des rechten Alters, in seinen Glauben, seine Weisheit, seinen Frieden und in seine Todesbereitschaft hinein geschauet hast? Ein altes deutsches Sprüchwort sagt: „Wer alt werden will, muss es beizeiten anfangen.“ Wiederum aber kann er es nicht anfangen, ohne sich mit dem Alter vertraut gemacht zu haben. Ein kleines Bild zeichnet den ganzen Lebensweg mit folgenden Worten:

Aus dem Kinde wird ein Mann,
Der Vieles will und Manches kann;
Aus dem Manne wird ein Kind,
Schwach und weich wie Kinder sind.
Wohl dem Kind im greisen Haar,
Wenn es Gottes Kind längst war!

Teure Gemeinde, ein gottseliges, gottgesegnetes Alter ist in der Tat etwas gar Schönes; es kann auf der Erde kaum etwas Lieblicheres und Ehrwürdigeres gefunden werden als solch Kind Gottes im greisen Haar. Denkt euch einen Alten, der in festem kindlichem Glauben an seinen Gott und Heiland steht. Dieser Glaube ist bei ihm kein angelerntes Wesen mehr, sondern aus langjähriger Erfahrung weiß er: „Ich habe einen lieben Vater im Himmel.“ Sein Vaterunser betet er als ein Kind vom Hause. Und wenn er bekennt: „Ich glaube an Gott den Vater“, dann hat sich diese Vatertreue so fest in sein Herz und Leben eingeschrieben, dass er fröhlich bekennt: „Ja ein Weib kann seines Kindleins vergessen und sich nicht erbarmen über den Sohn seines Leibes; aber der Herr hat mein nicht vergessen und kann mein nicht vergessen.“ Das große Wort: „Jesus Christus, wahrhaftiger Gott vom Vater in Ewigkeit geboren, und auch wahrhaftiger Mensch von der Jungfrau Maria geboren, hat mich verlornen und verdammten Menschen erlöst; erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tode und der Gewalt des Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen teueren Blute und mit einem unschuldigen Leiden und Sterben, auf dass ich sein eigen sei und in seinem Reiche unter ihm lebe und ihm diene in ewiger Gerechtigkeit, Unschuld und Seligkeit“ steht ihm nicht allein mehr im Catechismus, sondern mit goldenen Buchstaben in seiner innersten Erfahrung. Der Friede Gottes strahlt durch das alte Herz. Unter den Zeitgenossen ist er ein Kind des Friedens, denn der himmlische Friede verklärt das Leben. Wir nehmen hinzu, dass seine Kinder herangewachsen sind im Glauben und in der Furcht des Herrn. An ihnen freuet er sich. Und wie die dürren Blumen mit ihren weißen Häuptern im Herbste Samen ausstreuen für den künftigen Frühling, so säet der Greis aus Gottes Wort und eigner Erfahrung das Wort von der himmlischen Gnade und Wahrheit in das jüngere Geschlecht. Und über dem Allen hat er eine herzliche Sehnsucht abzuscheiden und bei seinem Heilande zu sein. Sein Alter ist ihm Abend- und Morgenröte zugleich: Abendröte für das dahinten liegende Erbenleben, Morgenröte auf das ewige Leben. Er gleicht einem Schiffer, der seine Ladung und seine Passagiere am Bord und seine Papiere geordnet hat. Zwischen ihm und der Stadt seiner Ausfahrt fährt nur noch ein kleines Boot hin und her. Er wartet nur noch auf den günstigen Wind, um die Anker aufzuwinden und die Segel zu hissen. Er gleicht einem Kinde, welches nach Hause reisen will, welches das Billet auf der Bahn schon gelöst, sein Bündlein im Arme hat und den Abgang des Zuges erwartet. Er freuet sich auf das Land, wo es keine Sünde mehr gibt, wo das Herz ganz von dem Leben aus Gott erfüllet ist, wo er seinen Herrn schauet von Angesicht zu Angesicht, und wo bei diesem Herrn Freude die Fülle und zu seiner Rechten liebliches Wesen ist immer und ewiglich. Er hat kein verlornes, sondern ein begnadigtes Leben hinter sich, und ein ewiges seliges vor sich. - Liebe Gemeinde, insonders ihr, liebe Jünglinge, ein solches Alter möchten wir Alle gern haben, ja Alle ohne Ausnahme! Wir legen uns für unsere heutige Andacht die Frage vor:

Wie erlangen wir die schöne Krone eines gesegneten Alters?

Die Antwort lautet: 1) Wenn sich die Jungen beizeiten den rechten Schatz sammeln und sparen; 2) Wenn die Alten ihnen helfen, denselben zu suchen und zu bewahren.

Aber du, lieber Herr, hilf vor Allen, dass wir uns den Schatz sammeln, den Rost und Motten nicht fressen, und dem die Diebe nicht nachgraben zu stehlen. Hilf auch heute Abend sammeln! Schließe auf deine Gnade und Wahrheit, schließe auf unsere Herzen, und lass deinen Schatz hinein fallen wie den Regen in ein durstig Land. Erhöre uns um deiner ewigen Liebe willen. Amen.

1. Die Jungen sollen sich beizeiten den rechten Schatz sammeln und sparen.

Teure Gemeinde, die Jugend ist die Zeit des Sammelns. Da soll allerlei rechtschaffene Erkenntnis und obenan die rechte Heilserkenntnis eingeprägt werden. In der Jugend sind die Tafeln des Gemüts und des Gedächtnisses weich wie Wachs. Alles drückt sich leicht ein. Da muss ein Schatz von biblischen Sprüchen, von biblischer Geschichte und evangelischen Liedern in die innere Vorratskammer eingelegt werden. Was wir da gesammelt haben, bleibt in der Regel bis in das höchste Alter; was wir im Mittelalter des Lebens gelernt haben, wird später leicht vergessen. Was wir in der Kindheit gelernt haben, bleibt auch im Alter frisch und grün und der Morgentau liegt darauf. Die Mutter, vor der wir diese Lieder und Sprüche gebetet haben, steht in unseren Alter, wenn sie längst entschlafen ist, wieder dahinter, sie gibt dieser ihrer ersten Mitgift eine unvergängliche Jugend und Frische. Die Stücke der Schrift, welche du in der Jugend gelernt hast, bekommen mit dir und du bekommst mit ihnen eine förmliche Lebensgeschichte. Ich habe Christen und christliche Familien kennen gelernt, die mit gewissen Kapiteln der Schrift eine Lebensgeschichte hatten wie mit einem Jugendfreunde. Das war etwa der 23. Psalm: „Der Herr ist mein Hirte rc.“, oder der 103.: „Lobe den Herrn, meine Seele rc.“ oder der 127.: „Wo der Herr das Haus recht bauet xc.“ oder der 130.: Aus der Tiefe rufe ich zu dir rc.„ oder das Christevangelium, oder die große Gnadenstelle aus Römer 8: „Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein?“ und wie sie weiter bis ans Ende des Kapitels lautet. Und was ist es für eine Erquickung, wenn man dann im Alter, wenn so Vieles dem Gedächtnisse entfällt, diese alten Freunde fest im Herzen hat; wenn sie mitgehen unter das Kreuz und in die schlaflosen Nächte und uns trösten auf unserm Lager! Viele, viele Alte haben es da den längst entschlafenen Ältern und Lehrern noch gedankt, dass sie ihnen das Himmelsgut frühe eingebunden und auf den Lebensweg mitgegeben hatten. -

Sagt nicht: „Man darf die Kinder von diesen hohen Dingen noch nichts lehren; sie dürfen Nichts auswendig lernen, was sie nicht verstehen!“ Bedenkt doch, dass das Auswendiglernen zumeist der erste Schritt zum Verstehen ist. Das Gelernte hat der Geist immer bei sich, mit eignem Arbeiten und Forschen eignet er es sich immer mehr an. Denket doch nicht, dass wir Alten die Schrift oder auch nur die aus ihr in's Gedächtnis eingegrabenen Stellen ganz verstehen. Niemand versteht Gottes Wort ganz. Aber das lernen wir gewiss am besten verstehen, was wir täglich mit uns tragen. Wenn du dein Kind Vater und Mutter sagen lehrst, wenn du dich an seinem ersten Versuch und Lallen freuest, glaubst du, dass ein Kind dann schon wisse, was ein Vater und eine Mutter sei? Entfernt nicht. Es gehört oft das ganze Kindes- und Jünglingsleben dazu, ehe es die Tiefe dieses Wortes versteht. Soll es darum nicht Vater und Mutter sagen lernen? Und wann lernen wir ganz verstehen, was Gott in seinem heiliges Wesen und Willen ist? Sollten wir darum seinen Namen und sein Wort nicht lernen? Ja lernt, sammelt in der Jugend!

Sammelt euch aber auch einen tüchtigen Schatz rechtschaffener Kenntnisse für euer irdisches Fortkommen. In jedem Berufe gehört jetzt viel dazu, als ein tüchtiger Mann dazustehen. Da ist mir die Einbildung entgegengetreten, dass die Tüchtigkeit im Berufe durch christliche Erkenntnis und eine gewisse Christenart ersetzt werde. Ich habe manche Jünglinge kennen gelernt, welche Christen in besonderen Sinne sein wollten, aber in ihrem Berufe sehr mittelmäßige, ja unzuverlässige Arbeiter waren. Das ist arger Selbstbetrug, damit häufen wir nur Schmach auf den Namen unseres Herrn Jesu Christi. Der gefördertste Christ soll auch der tüchtigste Arbeiter in seinem Beruf sein. Paulus ragt in christlicher Erkenntnis und Thätigkeit über alle Apostel hinaus. Er ist aber zugleich der tüchtigste Mann in seinem Handwerk, der tüchtigste Teppichmacher gewesen. Ob er gleich den größesten Teil seiner Zeit auf seinen apostolischen Beruf verwandte, ernährte er sich doch mit seinem Handwerke und hatte noch Mittel übrig zu seinen Reisen und zu Werken der Barmherzigkeit. -

Sodann gehört zum Sammeln der Jugend die Bildung des Charakters. Der Charakter wächst, wie die Eiche unter Stille, Frost und Sturm, unter Gehorsam und fester täglicher Ordnung. Es ist ein köstlich Ding einem Manne, dass er sein Joch trage in seiner Jugend.

Wer nicht gehorchen gelernt hat, lernt auch nie befehlen. In dem stillen Gehorchen und in der strickten Tagesordnung setzt sich unvermerkt der Kern an, der einen guten Teil des Mannes ausmacht. Willst du aber in der Jugend gleich über Alles mit reden und weise sein über die Alten, dann wird aus dir nichts als ein Schwätzer.

Doch genug vom Sammeln, wir kommen an das Sparen. Es ist schön, wenn sich ein Jüngling einen Taler zu seiner weiteren Ausbildung oder zum Anfange eines eigenen Geschäfts abdarbt und zurücklegt. Es ist noch schöner, wenn er, anstatt seinen Verdienst in jetzt beliebter Weise zu vergeuden, den Ältern oder einer verwitweten Mutter zur Seite steht und seinen jüngeren Geschwistern den Vater ersetzen hilft. Doch wollen wir auf dieses Sparen uns jetzt nicht weiter einlassen. Es gibt noch ein ganz anderes. Mit Nichts geht der Mensch verschwenderischer und lüderlicher um, als mit seiner eigenen Person. Die dir von Gott gegebenen Kräfte Leibes und der Seelen sind dein kostbarstes Capital. Sie sind das Capital, welches dir dein Vater im Himmel geschenkt hat. Sie sollen ausreichen bis in das Alter und sollen bei ihm in die volle Herrlichkeit verklärt werden. Und wie geht unsere Jugend großen Teils mit diesem Schatze um? Unzählige zerrütten denselben durch Wollust und Völlerei, sie verzehren ihr Alter in der Jugend. Was wirst du zu einem Landwirt sagen, der schon im Monat Mai, wenn das Korn erst spannenhoch draußen steht, dasselbe auf dem Stiele verkauft und seine Ernte schon vor der Ernte verzehrt? Du sagst: „Das ist ein schlechter Ökonom!“ – Du hast Recht; aber du bist ein viel schlechterer, wenn du die Kräfte, welche nicht für ein Jahr oder etliche Jahre sondern für ein langes Leben reichen sollen, in der Jugend vergeudest. Wie würdest du einen Menschen nennen, der diesen Dom, diesen geschichtlichen und örtlichen und erbaulichen Mittelpunkt der Stadt Magdeburg, ansteckte und niederbrennte? Du nähmest die Namen, so schwarz und schwer du sie finden könntest. Er hieße bei dir Mordbrenner, Frevler am Heiligtum, Auswurf der Menschheit und noch anders. Es gibt aber noch ärgere Frevler am Heiligtum.

Wenn du die Flamme der Wollust in deinem Leibe nährst, dann brennest du einen ganz anderen Dom nieder. Dieser Dom hier wird trotz seines Alters, trotz seiner mächtigen Säulen und Mauern auch einmal ein Schuttaufen, auch einmal Staub werden. Dein Leib ist ein viel edlerer Dom. Er ist ein lebendiger Tempel Gettes. Der Herr hat deinen Geist als Priester hineingesetzt, und er selbst will in dir wohnen. Der Herr will diesen deinen nichtigen Leib einst verklären, dass er ähnlich werde seinem verklärten himmlischen Leibe, nach der Wirkung, damit er kann alle Dinge ihm unterthänig machen. Und diesen ewigen Dom verwüstest du mit den Sünden der Wollust und Pöblerei. Kann er auch nie vernichtet werden, so kann er doch aus einem schönen Gottestempel in eine wüste und schmutzige Hütte des Argen verkehrt werden. Da heißt es sparen und heiligen, sparen und heiligen für das Alter und für die Ewigkeit. Doch ist dies Sparen und Heiligen nicht allein jenen häßlichen Verderbern gegenüber zu betonen; es gibt auch anständigere, in der Welt oft hoch gepriesene Verderber. Ich habe Jünglinge gesehen, welche der Ehrgeiz und Stolz, der eigene oder der der Ältern oder auch beider zusammen, durch die Schule, durch die Universität und durch die Examina hindurch peitschte. Sie gönnten sich Tag und Nacht, Woche und Sonntag keine Ruhe. Und nicht allein im Gebiete der Wissenschaft sind uns solche Beispiele begegnet, sondern auch in der Kunst, im Handel, im Handwerk und anderem Betrieb. Wenn die jungen Leute dann mit den Vorbereitungen fertig waren, war die Kraft gebrochen, das Öl war verzehrt auf der Lampe. Anstatt nun rüstig in den erwählten Beruf einzutreten, gingen sie in's Grab, oder sie schleppten sich mit gebrochener Kraft noch ein Weilchen hin. Liebe Gemeinde, Alles, was wir Gott durch Wollust, Völlerei, Ehrgeiz oder Geiz stehlen, alle diesen Sünden geopferten Tage, Nächte und Sonntage, die zieht uns Gott von einem gesunden und fröhlichen Alter ab. Viele von denen, die schon in der Mitte des Lebens kraftlos und untätig dasitzen müssen, oder denen in schlaflosen Nechten der Schmerz in Mark und Beinen nagt, können dabei sagen: „Jetzt kassiert der gerechte Gott ein, was ich ihm in jüngeren Jahren gestohlen habe. Er hat eine genaue Buchführung“. Ich lege euch ein Beispiel solches verwüsteten Lebens vor; weil wir heute ein Haus für den Jünglingsverein eingeweiht haben, nehme ich es aus dem Jünglingsleben.

Es war ein junger Kaufmann, wir wollen ihn Anton nennen. Sein Vater war früh gestorben, seine Mutter hatte ihn mit Liebe, Gebet und Ermahnung in der Furcht des Herrn zu erziehen gesucht. Er hatte schöne Gaben und ein weiches Herz; es gab in seinen Knabenjahren auch Zeiten, wo er sich seines Gottes und Heilandes freuete. Mit Beginn des 16. Jahres trat er in die Lehre. Anfangs hing er noch fest an der Mutter, ihre Bitten und Tränen waren den Lockungen der Welt gegen über noch eine Macht. Aber Schritt für Schritt riß er sich los, sie hatte für den verirrten Sohn nur noch das Gebet, und das brachte sie vor Gottes Thron bis zu ihrem letzten Stündlein. Sie starb, als der Sohn 22 Jahr alt war. Als er 24 Jahr alt war, hatte er das Capital der ihm von Gott geschenkten Lebenskraft verbraucht. Ihr erlaßt mir die Beschreibung der Art, in welcher er sich zu Grunde gerichtet hatte. Genug, der 24jährige Jüngling lag da in völlig ausgebildeter Schwindsucht. Seine sogenannten Freunde kümmerten sich nicht um ihn. Wer sieht denn gern das Elend, das er selbst mit hat anrichten helfen! Sie hätten ihm auch nur sagen können, was die Obersten Israels dem verzweifelnden Judas sagten: „Was gehet uns das an? Nun siehe du zu!“ Er erkannte übrigens, was bei dieser Art von Krankheit selten der Fall ist, die Nähe seines Totes. Da gedachte er an einen Freund aus der besten Tagen seiner Knabenjahre, der ihm später zu ernst und streng erschienen und dem er geflissentlich aus dem Wege gegangen war. Ich nenne ihn Ernst. Diesen bat er zu sich. Er kam, er setzte sich an sein Lager, und die ganze alte Liebe, noch bedrückt mit dem Stempel des herzlichen Mitleides, sprach aus seinem Angesichte. Da hub der Kranke an: „Ernst, hast du den einmal einen Menschen gesehen, der sein eigener Totengräber geworden ist? Ich meine keinen von den Trappistenmönchen, die alle Tage etliche Stiche an ihrem Grabe graben müssen. Ich meine auch keinen von den alten Einsiedlern in der Wüste, die ihr Grab bei Lebzeiten längst fertig hatten. – Ich meine mich selbst, hier liegt ein solcher Totengräber vor dir. Sieben Jahre habe ich an meinem Grabe gegraben. ist fast fertig. Das Wenige, was noch fehlt, gräbt sich von selbst; es fällt von selbst zu!“ - Damit schwieg er, aber die heißen Tränen liefen ihm über das hohle Angesicht. Und Ernst antwortete ihm: „Lieber Freund, liebes Herz, mag das Grab vor der Tür sein, du hast noch einen Freund, der dich nicht vergessen hat, wenn du ihn auch lange vergessen hast, der Leben in den Tod und das Grab tragen kann. Du kennst ihn ja doch noch! Willst du ihn denn haben?“ „Ja,“ rief der Kranke, „von ganzer Seele, mit in das lange betrogene Herz, mit auf mein Lager, mit in's Grab, wenn er nur noch kommen will, wenn er mich nur nicht von sich stößt!“ Und Ernst redete zu ihm von dem Lamm Gottes, das der Welt Sünde trägt, von der Freude bei den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut, und von den Gebeten seiner Mutter, die auch heute noch an Gottes Herz schlügen und die in diesen Tagen ihre Erhörung finden sollten.

Ich halte euch nicht lange auf. Der Kranke fand seinen Kinderglauben wieder, er fand Frieden, die Gnadensonne schien auf das bleiche Angesicht. Wohl kamen an andern Tagen wieder Wolken. Das Herzeleid, das er der Mutter bereitet, stellte sich zwischen ihn und seinen Frieden. Zu andern Zeiten rief er: „Da liegt mein verlorenes Leben hinter mir wie eine Wüste. Ich kann daran Nichts ändern. Wie die Wüste ist, so bleibt sie; ich kann auf die öden Strecken hinter mir keine Palme und keinen Weinstock, keine Lilien, keine Rosen pflanzen!“ Aber die Gnadenbotschaft aus dem Herzen des treuen Freundes blies die Wolken weg. Nach wenigen Tagen ging seine Sonne hell unter, er entschlief in fröhlichem Glauben. Auf einen hellen Sonnenuntergang folgt in der Regel ein schöner Tag. Er war, so viel ein Mensch versteht, gerettet, aber gerettet wie ein Brand aus dem Feuer. Wie hatte es in ihm selbst gebrannt! Welcher Schmerz war durch dies junge Herz gegangen! Und dazu bedenkt, was er mit seinen schönen Kräften hätte leisten, was er in reiferen Jahren für Samen auf die Zukunft hätte ausstreuen können! Das war alles vergeudet in den Sündenjahren. -

Und wie viele solche jungen Totengräber gibt es, die ein gesundes Mannesleben, ein gesegnetes Greisenalter und auch wohl noch eine selige Ewigkeit in fünf oder sechs Jugendjahren begraben! Ach, wie viel könnte da gespart werben zum eigenen Segen und zum Segen für die Mit- und Nachwelt! O liebe Jünglinge, lernt sparen, euch selbst sparen, damit ihr die schöne Krone des gesegneten Alters und die des ewigen Lebens findet.

Was liegt aber uns Allen ob? Graue Haare sind eine Krone der Ehren, die auf dem Wege der Gerechtigkeit gefunden wird. Wo gefunden werden soll, da muss man suchen. Die meisten Jungen aber verstehen das Suchen noch nicht, da sollen ihnen denn die Alten suchen helfen. Die Jungen finden die schöne Krone des gesegneten Alters:

II. Wenn die Alten ihnen helfen, dieselbe zu suchen und zu bewahren.

Es gibt Viele, die in der Tat einem jungen Manne gern unter die Arme greifen, wenn es sich um sein irdisches Fortkommen handelt, die in der Tat mit suchen helfen, wenn er seine irdische Existenz begründen will. Aber um so säumiger und lässiger sind die Meisten in der Hilfe für das ewige Fortkommen. Ich wende mich zunächst an die Ältern, namentlich an die Väter. Nur wenige kümmern sich eingehend um ihre Kinder. Sie überlassen die Sorge für dieselben der Schule oder den Lehrherren und Meistern. Die Einen wollen nach des Tages Mühe genießen, sie haben nach vollendeter Arbeit keine Ruhe im Hause, und kommen darum nicht zu einem tiefern Mitleben mit ihren heranwachsenden Kindern. Die Andern sagen: „Mein Amt lässt mir dazu keine Zeit.“ Das ist falsch, es darf kein Amt geben, dessen Inhaber sich nicht mit Ernst um seine Familie bekümmern könnte. Es soll kein Vater und keine Mutter klagen dürfen: „Man hat mich zum Hüter, zur Hüterin der Weinberge gesetzt; aber meinen Weinberg, den ich hatte, habe ich nicht behütet. (Hohelied Sal. 1. V. 6.)“ Und so Viele von den Geschäftsleuten, Künstlern und Gewerbtreibenden hört man sagen: „Mein Beruf erfordert jetzt die Anspannung aller Kräfte, ich muss mit der Zeit fortschreiten, mir bleibt in der Tat zu einem rechten Mitleben mit meinen Kindern keine Zeit übrig“. Es muss Zeit übrig bleiben! Die Väter müssen wissen, wie es im Herzen und Wandel ihrer Kinder steht. Was hilft dir denn alles Fortschreiten? Und wenn du auf einer Ausstellung eine Preismedaille und jetzt auf der Pariser die große goldene erhalten hättest, kann sie denn oder können ihrer zehn und zwanzig das Loch und die wunde Stelle im Herzen ausfüllen, welche in dem einen Worte ruhet: „Ich habe einen verlorenen Sohn oder eine verlorene Tochter; und ich habe mit meiner Säumigkeit und mit meinem Leben nach außen wenigstens einen Teil dieses Elends selbst verschuldet?“ Und wenn wir denn solchen Sohn nach Amerika, nach dem Lande der verlorenen Söhne hinübergeschickt haben, dann geht er uns allerdings nicht mehr als wandelndes Gewissen, als täglicher Mahner an unsere Schuld vor den Augen umher, aber geholfen ist in der Regel weder ihm noch uns. Darum, ihr Väter und Mütter, kümmert euch um eure heranwachsenden Kinder, haltet sie im Hause, sammlet sie um Gottes Wort, ziehet sie weiter auf in der Zucht und Vermahnung zum Herrn, bauet für euch und für sie an einem gesegneten Alter. Laßt euch die Mühe nicht verdrießen. Laßt euren Lebensabend und euer Ende nicht sein, wie das des Eli, der am Todestage seiner verlorenen Söhne vom Stuhl fiel und den Hals brach. Der alte Christian Scriver, weiland Prediger in dieser eurer Stadt, der lange gestorben ist und doch noch in großem Segen fortlebet, erzählt Folgendes: „Es war in einer Stadt“ - vielleicht in Magdeburg, „eine Witwe, welcher ihr Mann ein Häuflein unerzogener Kinder hinterlassen hatte. Die Erziehung der Kinder machte ihr manche schwere Stunde und manche Träne rann ihr über die Wangen. Da träumte ihr eines Nachts, sie wäre in einem mit etlichen jungen Bäumen bepflanzten Garten. Aber unter den Bäumen stand viel Unkraut. Knieend raufte sie dasselbe aus, es ward ihr blutsauer und sie weinte bitterlich dabei. Darüber wachte sie auf, schlief aber bald wieder ein und befand sich wieder in dem Garten unter ihren Bäumen. Doch nahm sie bald mit Verwunderung wahr, wie dieselben indessen hoch gewachsen waren, ihre Zweige weit ausbreiteten, mit reichem Laube prangten und voller Früchte hinge. Nachdem sie sich in Schatten der Bäume niedergesetzt, erhob sich ein leiser Wind, schüttelte die Wipfel, und die Früchte fielen zahlreich in ihren Schoß und neben sie. Sie kostete etliche und fand sie so wohlschmeckend, dass sie in die Worte ausbrach: „Nun gereuet es mich nicht, dass ich mit diesen Bäumen Mühe gehabt und sie mit Tränen befeuchtet habe; denn ich kann jetzt in ihrem Schatten sitzen und ihre Früchte genießen.“ Darauf erwachte sie. Der Traum bewegte sie. Weil sie selbst keine Deutung finden konnte, erzählte sie ihn einem bewährten Geistlichen. Dieser gab ihr folgende Auslegung: „Deine Kinder sind die jungen Bäume im Garten. Durch gute Erziehung und göttlichen Unterricht sollst du sie vor dem Unkraut der Bosheit bewahren, und mit seinen Tränengebet täglich befeuchten. Dadurch werden dieselben glücklich wachsen, zu gesegneten fruchtbaren Bäumen im Garten des Herrn werden, und du wirst im Alter noch große Freude an ihnen erleben.“ – Wie er gesagt, so ist es geschehen; und so kann und soll es noch geschehen. -

Von den Eltern komme ich herüber auf euch Lehrherren und Principale. Laßt euch von euren Lehrlingen und Gehilfen nicht einmal nachsagen: „Die Kunst, das Handwerk, den Handel und die Buchführung habe ich von ihnen gelernt; aber von der himmlischen Weisheit, von dem: „Christum lieb haben ist besser denn alles Wissen,“ habe ich Nichts gelernt. Da bin ich ärmer aus der Lehre oder aus dem Geschäft ausgeschieden als eingetreten.“ -

Und ihr, liebe Mitarbeiter im geistlichen Amte, ihr müsst wissen, wo eine unserer schwersten Sünden ruhet. Hier ruhet sie in der Versäumnis der konfirmierten Jugend. Gerade in den Übergangsjahren, wo sie der Versuchung am meisten ausgesetzt sind, gehen die Kinder ohne Hirten und Führer dahin. Sammelt sie um euch, richtet eine Stunde am Sonntag Abend ein, wo von den Konfirmierten kommen kann, wer da will. Verlangt keine Befehle, keine Verordnungen der Obrigkeit; die sind für unsern Zweck in dieser Zeit namentlich in den Städten untunlich. Fangt nur an, fahrt, wenn auch nur wenige kommen, mit ungebrochener Treue fort, bittet und nöthiget immer wieder, und sie werden kommen. Es wird nach und nach, gute Sitte werden, und die Sitte ist eine Macht. Und wie gern werden auch viele Eltern ihre Kinder schicken!

Und endlich ihr Väter der Stadt, ob ihr nun Rat oder Magistrat heißt, ihr sorgt treulich für alle Arten von Schulen, für Gymnasien, Realschulen, höhere Bürgerschulen und Elementarschulen. Das ist ja recht und löblich und dankenswert. Hört denn aber euer väterlich Amt mit der Confirmation der Kinder auf? Habt ihr denn für die Jünglinge in den Übergangsjahren, wo sie den meisten Versuchungen ausgesetzt sind, kein Herz mehr? - Da antwortet ihr: „Wir haben auch Fortbildungsanstalten für Konfirmierte!“ Auch das ist gut, dass sie wissenschaftlich und gewerblich weiter gefördert werden. Sind aber auch für die Heranwachsenden Jünglinge Anstalten da, wo sie neben der weiteren Entwicklung im irdischen Wissen auch tiefer gegründet werden in der himmlischen Weisheit, wo der Mensch Gottes zum Manne in Jesu Christo herangebildet wird? - Daran fehlt es in den meisten Städten. Die Diener am Worte Gottes können es allein nicht tun, und die Predigt an den Sonntagen reicht nicht aus, dem Strom der Zeit einen Damm entgegen zu stellen und die Jugend unter die Fahne des Herrn zu sammeln. - Zu diesem Zwecke sind seit etwa 25 Jahren die christlichen Jünglingsvereine gebildet. Sie wollen den Eltern, den Lehrherren, den Principalen, den Geistlichen und den städtischen Obrigkeiten zu Hilfe kommen; ihnen allen wollen sie dienen, indem sie die Jünglinge auf dem Heilswege und in anderer heilsamer Erkenntnis fördern und stärken. Darum sollen diese Vereine and in gleicher Weise die Pfleglinge von Haus und Kirche und Stadt sein. –

So möge denn auch dieser Verein, der heute die Einweihung seines Hauses gefeiert hat, ein lebendiger Zweig aus der Wurzel Jesse sein und bleiben! Mögen viele Jünglinge in ihm ihre Freude und Förderung finden! Mag er der Stadt zum Segen werden und viele wackere Bürger erziehen! Mögen viele Fremdlinge, die hier weder Vater, noch Mutter, noch Freund haben, in dem Vereine, so weit dies möglich, einen Ersatz für dieselben finden und gestärkt werden im Kampfe gegen die Sünde, die in der Fremde, wo keine treuen Augen über den Jüngling wachen, nur um so kühner und frecher ist mit ihren Anläufen! Und mögen ebenso Viele, Einheimische wie Fremdlinge, im hohen Alter noch rühmen: Der Verein in Magdeburg hat mir den Schatz für ein gottseliges Alter sammeln, sparen und bewahren helfen. Gott lohne es denen, die ihn gründeten und pflegten, in Ewigkeit!“ - O Herr Jesu, segne du den Verein aus seiner Kraft und Grabe. Als Jüngling fing Johannes an zu glauben, als Greis stand er in der seligsten Vereinigung mit dir. Sein Leben war mit dir verborgen in Gott. Es ist dein Wert. Ziehe auch hier aus vielen Jünglingen solche Greise. Amen.

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