5:1 Darnach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf gen Jerusalem.
5:2 Es ist aber zu Jerusalem bei dem Schaftor ein Teich, der heißt auf hebräisch Bethesda und hat fünf Hallen,1)
5:3 in welchem lagen viele Kranke, Blinde, Lahme, Verdorrte, die warteten, wann sich das Wasser bewegte.
5:4 (Denn ein Engel fuhr herab zu seiner Zeit in den Teich und bewegte das Wasser.) Welcher nun zuerst, nachdem das Wasser bewegt war, hineinstieg, der ward gesund, mit welcherlei Seuche er behaftet war.
5:5 Es war aber ein Mensch daselbst, achtunddreißig Jahre lang krank gelegen.
Flüchte dich nicht vor dieser Frage Jesu. Viele flüchten sich vor ihr, obwohl man denken sollte, diese Frage bekomme ohne Schwanken und Bedenken ein lautes, starkes Ja zur Antwort. Ob ich gesund werden kann, das mag fraglich sein; dass ich es will, das steht fest. Allein diese Vermutung, so stark begründet sie in der natürlichen Schätzung des Lebens ist, trifft dennoch nicht zu. Ich möchte wohl, aber ich will nicht, das ist so oft die Antwort, die die Frage Jesu von uns bekommt. Denn es gibt keine Genesung ohne Selbstüberwindung, ohne Tapferkeit, die die Ketten unserer Gewöhnung zerbricht und unsere Lust bezwingt. Ist es nicht doch bequemer, den geschwächten Zustand zu ertragen, als gesund zu werden? Dieses feige, müde Verzagen vergeht in der Nähe Jesu. Bei ihm umweht uns der Geruch des Lebens, der zum Leben weckt. Er braucht für seinen Dienst eine gesunde Schar. Wie viele muss man fragen: Willst du denn krank werden? Du ziehst in die Großstadt, du verjubelst Nächte, du zerreibst im Übermaß der Arbeit deine Kraft. In der Nähe Jesu verlieren die Mächte, die uns in die Krankheit stoßen, der lockende Gewinn, die hetzende Lust, die knechtende Ehre, ihre unheilvolle Gewalt. In seinem Licht erkennen wir, dass das Leben mehr ist als der Genuss und der Mensch mehr als der Besitz. Jesus ruft uns zu sich, damit wir gesund werden und durch ihn und für ihn leben, und macht aus den Seinen die Streiterschar, die sich unserem Siechtum tapfer widersetzt. Im Verkehr mit unserer Jugend bekommt diese Frage ihren besonderen Ernst. Unser inneres und unser leibliches Leben ist eng verwachsen. Darum ist für unsere Jungen die Frage: wollt ihr gesund werden? Eins mit der Frage: wollt ihr fromm werden? Gesund im Denken, gesund im Wollen, gesund im Herzen, wollt ihr das werden? Allein wie feige beben wir zurück. Fass Mut und traue dem Herrn. Er spricht von der Gesundheit, weil er sie geben kann, mehr noch, weil er sie gibt. Geht aber die Frage Jesu nicht schließlich über das hinaus, was die Natur uns gewährt? Ist nicht alles natürliche Leben verletzt und krank? Einst aber wird sich die Verheißung erfüllen, die in dieser Frage verborgen ist. Einst werden wir gesund.(Adolf Schlatter)
5:6 Da Jesus ihn sah liegen und vernahm, daß er so lange gelegen hatte, spricht er zu ihm: Willst du gesund werden?
5:7 Der Kranke antwortete ihm: HERR, ich habe keinen Menschen, wenn das Wasser sich bewegt, der mich in den Teich lasse; und wenn ich komme, so steigt ein anderer vor mir hinein.
Was für ein unangenehmer Charakter muß der Gichtbrüchige am Teich Bethesda gewesen sein, daß er in 38 Jahren sich unter all den vielen Menschen keinen Freund erworben hatte, der ihm geholfen hätte, rechtzeitig ins Wasser zu steigen. Wir gedenken aber jetzt an manche bittere Erfahrung, die wir durch unsere Schuld gemacht haben, daß sich jemand für immer von uns abwandte. Wenn es in einem gewissen Hauptpunkt mit uns nicht besser wird, dann geht die Vereinsamung unaufhaltsam weiter. Die Selbstsucht stößt andere zurück und ihr Gericht ist am Schluß völliges Alleinbleiben. Man hat erreicht, was man suchte - sich selbst. Aber in Ewigkeit von Gottes- und Menschenliebe abgetrennt sein, das ist Hölle! Sollten wir da nicht bei den ersten Anzeichen, daß jene Vereinsamung sich zeigt, erschrecken und umkehren? Hin zu Jesus, daß er uns mit seiner selbstlosen Liebe anstecke, mit der er uns sich erworben, daß wir hingehen lernen, um ähnlich wie er, andere Menschen zu gewinnen und zu haben. Hast du andere Menschen? Sind sie auf Grund ihrer Erfahrung von deiner Liebe dir zugeschworen auf alle Fälle? Oder willst du in Ewigkeit mit dem furchtbaren Bekenntnis alleinstehen:„Ich habe keinen Menschen?“
Herr Jesus, du hast mich, und ich habe dich! Und zum Zeichen, daß es wirklich so ist, schenke mir soviel selbstlose Liebe zu andern Menschen, daß ich sie auch habe und sie zu dir bringen kann. Amen. (Samuel Keller)
5:8 Jesus spricht zu ihm: Stehe auf, nimm dein Bett und gehe hin!2)
Gleich vielen andern hatte der achtunddreißigjährige Kranke auf ein Wunder gewartet, das geschehen sollte, auf ein Zeichen, das sich ereignen würde. Umsonst harrte er am Teiche; kein Engel kam, und wenn er kam, so war es nicht für ihn; dennoch wartete er geduldig, denn er meinte, er hätte keine andre Hoffnung mehr, und wusste nicht, dass ihm einer nahe war, dessen Wort ihn in einem einzigen Augenblick heilen konnte. Viele befinden sich in gleichem Falle; sie warten auf eine besondere Bewegung, auf einen ungewöhnlichen Eindruck, oder auf eine himmlische Erscheinung; sie warten vergebens und wachen umsonst. Angenommen auch, dass in besondern Fällen auffallende Zeichen sich ereignen, so sind diese doch selten, und niemand hat ein Recht, etwas Ähnliches für sich zu erwarten; besonders keiner, der seine Ohnmacht fühlt, sich dem bewegten Wasser anzuvertrauen, auch wenn eine solche Bewegung einträte. Es ist eine traurige Tatsache, dass viele Tausende auf den Gebrauch von Heilsmitteln, religiösen Übungen, Gelübden und Vorsätzen vertrauen, und so undenkliche Zeiten gewartet haben - umsonst, ganz umsonst. Unterdessen vergessen diese armen Seelen den Heiland an ihrer Seite, der sie heißt zu Ihm aufblicken und die Errettung empfangen. Er hätte sie auf einmal heilen können, aber sie wollen lieber auf einen Engel und auf ein Wunderzeichen warten. Ihm vertrauen, das ist der sichere Weg zu jedem Segen, und Er ist des allergrößten Vertrauens wert; aber im Unglauben ziehen sie die kalten, feuchten Hallen am Teich Bethesda dem warmen Busen seiner Liebe vor. Ach, dass doch der Herr sein Auge den großen Scharen zuwendete, die auch diesen Abend im gleichen Falle sind; Er wolle ihnen die Geringschätzung verzeihen, mit der sie auf seine göttliche Allmacht blicken, und ihnen mit seiner liebevoll dringenden Stimme zurufen, dass sie sich erheben vom Lager ihrer Verzweiflung, und in der Kraft des Glaubens ihr Bett nehmen und gehen. O Herr, erhöre in dieser stillen Abendstunde unser Gebet für sie alle, und gib, dass sie vor dem Anbruch eines neuen Tages sehen und leben. Lieber Christ, findest du hier nichts für dich? (Charles Haddon Spurgeon)
5:9 Und alsbald ward der Mensch gesund und nahm sein Bett und ging hin. Es war aber desselben Tages der Sabbat.
5:10 Da sprachen die Juden zu dem, der geheilt worden war: Es ist heute Sabbat; es ziemt dir nicht, das Bett zu tragen.
5:11 Er antwortete ihnen: Der mich gesund machte, der sprach zu mir: „Nimm dein Bett und gehe hin!“
5:12 Da fragten sie ihn: Wer ist der Mensch, der zu dir gesagt hat: „Nimm dein Bett und gehe hin!“?
5:13 Der aber geheilt worden war, wußte nicht, wer es war; denn Jesus war gewichen, da so viel Volks an dem Ort war.
Die Jahre verfließen dem Glücklichen und Gesunden schnell; aber ein achtunddreißig Jahre langes Leiden muss in dem Leben des armen gichtbrüchigen Menschen einen langen, schweren Abschnitt gebildet haben. Wie ihn daher der Herr Jesus mit einem einzigen Worte heilte, als er in der Halle am Teich Bethesda lag, da war er fast außer sich vor Freude und Dankbarkeit für eine solche Veränderung. So ergeht‘s auch dem Sünder, der wochen- und monatelang von Verzweiflung niedergebeugt war und sich müde geseufzt und gesehnt hatte nach Erlösung; er wird die Veränderung gar wohl inne, wenn der Herr Jesus das Allmachtswort spricht und ihm Frieden und Freude schenkt im Glauben. Das Übel, das geheilt wird, ist zu groß, als dass seine Beseitigung sich nicht sogleich müsste bemerklich machen; das neuempfangene Leben ist zu wichtig, als dass es könnte spurlos und wirkungslos in einem Menschen wohnen; die bewirkte Umwandlung ist zu merkwürdig, als dass sie nicht in die Augen fallen müsste. Und dennoch wusste der arme Mensch nicht, wer der Urheber seiner Heilung war; er wusste nichts von der Heiligkeit seiner Person, nichts von den Werken der Liebe und des erlösenden Erbarmens, denen Er alle Zeit und Kraft widmete, nichts von seiner göttlichen Sendung unter die Menschenkinder. Es kann in den Herzen solcher, die die Macht des Blutes Jesus an sich erfahren haben, noch gar viel Unwissenheit über die Person des Heilandes vorhanden sein. Wir dürfen die Menschen ob solcher Unkenntnis nicht rasch verurteilen; sondern wo wir etwas vom seligmachenden Glauben sehen, da müssen wir auch annehmen, dass der Glaube die Erlösung gewirkt habe. Der Heilige Geist wirkt in dem Menschen Reue schon lange, bevor Er sie in einen göttlichen Wandel führt; und wer da glaubt, was er erkennt, wird bald auch klarer erkennen, was er glaubt. Dennoch ist Unwissenheit vom Übel; denn dieser arme Mensch wurde von den Pharisäern sehr in die Enge getrieben. Doch bald folgte auf die Heilung der Krankheit auch die Heilung der Unwissenheit, denn der Herr Jesus besuchte ihn im Tempel; und nach dieser gnädigen Offenbarung hörte man ihn offen bezeugen: „Es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe.“ Herr, wenn Du mich selig gemacht hast, so mache Dich mir offenbar, auf dass ich Dich verkündigen möge den Menschenkindern! (Charles Haddon Spurgeon)
5:14 Darnach fand ihn Jesus im Tempel und sprach zu ihm: Siehe zu, du bist gesund geworden; sündige hinfort nicht mehr, daß dir nicht etwas Ärgeres widerfahre.
An Gottes Gaben entstehen unsere Sünden, nicht an dem, was er uns versagt, sondern an dem, was er uns gibt, und es gibt keine göttliche Gabe, sei sie noch so groß, noch so sichtbar der Erweis seiner Gnade, die wir nicht missbrauchen und verderben können. Darum erwuchs für Jesus auch aus seinem Helfen die sorgenvolle Frage, ob er den Geheilten wohl gerettet habe, ob nicht die Hilfe, die er ihm gewährte, in tieferem Sturz und größerem Unheil ende. Erfahrene Hilfe Gottes trennt vom Sündigen. Es gibt kein Erlebnis, das uns Gott und seine allmächtige Hilfe sichtbar machte und uns nicht mit gebietendem Ernst vom Bösen schiede. Wir wissen alle: gleichzeitig ein Wunder der Gnade und ein boshafter, gottloser Mensch zu sein, das ist unmöglich. Ein solcher Mensch hat in Gottes Reich nicht Platz; er ist ein Monstrum, das verschwinden muss. Der Geheilte dachte so wie ein Jude dachte, damals, als er in Bethesda unermüdlich auf das wunderbar bewegte Wasser wartete, ebenso damals, als er nach seiner Heilung in den Tempel ging, um Gott Dank zu sagen, aber auch damals, als er vor denen, die ihn seines Bettes wegen schalten, erschrak. Weil er jüdisch dachte, war es für ihn eine große Sache, dass er am Sabbat sein Bett trug. Als es ihm Jesus befahl, machte die Autorität Jesu ihn stark. Damals stand er in seiner Heilandsmacht vor ihm. Aber nun stellten sich auch die alten Meister ihm wieder in den Weg und nun brach er zusammen. Zwischen ihn und Jesus schob sich die andere Autorität und er bekam zwei Blickrichtungen. Das ist aber ein gefährlicher Zustand, der Anfang des Falls. Wie deutlich wird an diesem Vorgang, warum Jesus seine Jünger ganz und einzig an ihn gebunden und jeden anderen Meister weggeschoben und jede andere Gemeinschaft für sie aufgehoben hat. So verhütet er, dass aus seiner Hilfe Sünde und Fall entsteht.
Dir, Herr Christus, gehören wir ganz und gar. Du bringst uns ja Gottes Gnade und Gottes sind wir mit allem, was wir sind und tun. Dir glauben wir, Dir allein; auf Dich hoffen wir, auf Dich allein; Deinen Willen tun wir und nicht den der Welt, auch nicht unseren eigenen. Vollende das gute Werk, das Du in mir begonnen hast. Amen. (Adolf Schlatter)
5:15 Der Mensch ging hin und verkündete es den Juden, es sei Jesus, der ihn gesund gemacht habe.
5:16 Darum verfolgten die Juden Jesum und suchten ihn zu töten, daß er solches getan hatte am Sabbat.
5:17 Jesus aber antwortete Ihnen: Mein Vater wirkt bisher, und ich wirke auch.
Die Juden starrten Jesus an: wie kommst du dazu, den Sabbat zu übertreten? Du weißt doch, dass niemand am Sabbat etwas tragen darf, und hast dem von dir geheilten Menschen geboten, sein Bett wegzutragen. Für sie war das Gesetz das Band, das den Menschen bei Gott festhielt; wer dieses zerriss, stürzte in den Abgrund der Gottlosigkeit hinab. Darum zeigt Jesus den Juden, was ihn mit dem Vater verband. Mein Vater wirkt, sagte er, Er gebietet nicht bloß, dass ich wirke, als wäre einzig der Mensch der Wirkende und Gott nur der Zuschauer, der die Werke des Menschen betrachtet, prüft und straft oder belohnt. Gott spricht auch nicht nur, als wäre sein Wort von der Kraft geschieden. Seine Worte sind Werke; denn sie geschehen. Daraus, dass Gott wirkt, folgt für Jesus: darum wirke ich. Das wäre nicht möglich, wenn Gott nicht der Vater wäre. Wäre er in dem Sinn der Einzige, dass er nichts neben sich ertrüge, sondern seine Macht dadurch offenbarte, dass er alles entkräftete und fesselte, so entstände aus seinem Wirken nicht das Wirken des Sohnes. Nun ist er aber der Vater, der dem Sohn Leben gab, und mit dem Leben gab er ihm das Vermögen zu wirken. Sein Beruf ist nicht Untätigkeit, auch nicht nur die anbetende Betrachtung dessen, was der Vater wirkt. Er wirkt selber; aber wie könnte er wirken, wenn nicht der Vater wirkte? Wie ihm die Untätigkeit unmöglich ist, weil der Vater wirkt, ebenso unmöglich ist ihm ein eigenmächtiges Handeln, das nicht durch das Wirken des Vaters begründet ist. Sein Verhältnis zum Vater ist Gemeinschaft, die sich in der Gemeinsamkeit des Wirkens offenbart, so dass im Wirken des Sohnes das Wirken des Vaters geschieht. Eine solche Gemeinschaft mit Gott ist aber nicht nur für die Juden, sondern für uns alle ein uns überraschender Anblick. Denn wir empfinden den Gegensatz, der zwischen Gott und uns steht, und dieser hat zur Folge, dass wir uns selbst überlassen und auf unseren eigenen Willen beschränkt sind und deshalb nur wirken, was wir begehren und vermögen. Das ist aber der Stand des unversöhnten Menschen, den Gott von sich fern hält, weil der Mensch sündigen muss. Gerade in dem, wovor die Juden in ihrem unversöhnten Stand erschraken und was sie Sünde heißen, machte Jesus die Herrlichkeit seiner Sohnschaft und die Herrlichkeit Gottes offenbar, die das weit überragt, was wir mit dem, was die Natur und das Gesetz uns geben, zu denken und von uns zu sagen imstande sind.
Gib mir, o Jesus, einen Blick in Deine Gemeinschaft mit dem Vater, damit mir Gott nicht fern und fremd bleibe, der Erhabene, den ich nicht kenne, der Heilige, von dem ich geschieden bin, der Richtende, den ich fürchten muss. Du warst bei uns als Deines Vaters Sohn und hast uns den mit ihm versöhnten Stand bereitet, damit auch wir den Vater finden, an ihn glauben und wirken, was Er durch uns wirkt. Amen. (Adolf Schlatter)
5:18 Darum trachteten ihm die Juden viel mehr nach, daß sie ihn töteten, daß er nicht allein den Sabbat brach, sondern sagte auch, Gott sei sein Vater, und machte sich selbst Gott gleich.
5:19 Da antwortete Jesus und sprach zu ihnen: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Der Sohn kann nichts von sich selber tun, sondern was er sieht den Vater tun; denn was dieser tut, das tut gleicherweise auch der Sohn.
5:20 Der Vater aber hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er tut, und wird ihm noch größere Werke zeigen, daß ihr euch verwundern werdet.
„Ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich, gleichwie mich mein Vater kennt, und ich kenne den Vater„ (Joh. 10, 14. 15). Unser Verhältnis zu Jesus ist das genaue Abbild seiner Stellung zum Vater; wenn er daher seinen Umgang mit dem Vater schildert, so bewahrheitet sich derselbe gleichermaßen auch in uns. Die Worte Jesu im 5. Kapitel des Evangeliums Johannes beschreiben das natürliche Verhältnis zwischen jedem Vater und Sohn, sei es auf Erden oder im Himmel, und finden deshalb ihre Anwendung nicht nur bei dem Eingeborenen, sondern bei einem jeden, der durch Jesus ein Kind Gottes genannt werden kann.
Wir können uns die in dem Gleichnis enthaltene einfache Wahrheit nicht leichter vergegenwärtigen, als wenn wir uns Jesus vorstellen, wie er in des Zimmermanns Werkstatt von seinem irdischen Pflegevater das Handwerk erlernte. Was wir dabei zuerst beachten, ist eine völlige Abhängigkeit: „Der Sohn kann nichts von ihm selbst tun, denn was er sieht den Vater tun.“ Dann fällt uns der unbedingte Gehorsam auf, der nur danach trachtet, des Vaters Vorbild nachzukommen: „denn was der Vater tut, das tut gleicherweise auch der Sohn“. Ferner sehen wir, welche Innigkeit der Liebe zwischen Vater und Sohn besteht, da der Vater ihn völlig in sein Vertrauen zieht und keins seiner Geheimnisse ihm vorenthält: „Der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er tut.“ In diesem abhängigen Gehorsam von seiten des Sohnes und diesem liebevollen Unterricht von seiten des Vaters haben wir das Pfand stets zunehmenden Fortschritts; Schritt für Schritt wird der Sohn weitergeführt, bis er alles tun kann, was der Vater tut: „Er wird ihm noch größere Werke zeigen, daß ihr euch verwundern werdet.“
In diesem Bilde haben wir den Widerschein des Verhältnisses zwischen Gott dem Vater und dem Sohne während dessen menschlichem Leben. Wenn er wahrhaftig unsere menschliche Natur an sich genommen hat und wenn wir wirklich verstehen sollen, wie Jesus in der Tat unser Vorbild ist, so müssen wir auch allem vollen Glauben schenken, was uns der Herr hier von den Geheimnissen seines inneren Lebens offenbart. Die Worte, die er redet, sind buchstäblich wahr. Es war unbedingte, tiefe Wahrheit, daß er in jedem Augenblick seines Lebens von dem Vater abhängig war: „Der Sohn kann nichts von sich selbst tun, denn was er sieht den Vater tun.“ Er betrachtete es nicht als eine Demütigung, auf des Vaters Befehle warten zu müssen; im Gegenteil, es war seine höchste Seligkeit, sich vom Vater leiten und führen zu lassen wie ein kleines Kind. Demgemäß hielt er sich auch im pünktlichsten Gehorsam dazu verpflichtet, nur das zu sagen oder zu tun, was der Vater ihm zeigte: „Was der Vater tut, das tut gleicherweise auch der Sohn.“
Den Beweis dafür haben wir in der sorgfältigen Genauigkeit, mit der Jesus stets die Heilige Schrift zu erfüllen suchte. In seinem Leiden wollte er alles erdulden, „auf daß die Schrift erfüllet würde“. Deshalb verharrte er ganze Nächte im Gebet; denn in solcher Gebetsgemeinschaft brachte er seine Gedanken vor den Vater und wartete auf dessen Antwort, damit er seinen Willen erkennen könne. Keinem unwissenden Kinde, keinem geknechteten Sklaven ist wohl je so viel daran gelegen gewesen, sich genau an das zu halten, was der Vater oder der Herr geboten hatte, als es dem Herrn Jesus darum zu tun war, der Unterweisung und Leitung seines himmlischen Vaters zu folgen. Das war der Grund, warum ihm der Vater nichts vorenthielt, die vollkommene Abhängigkeit und stete Bereitwilligkeit zu lernen, wurde damit belohnt, daß der Vater ihm all seine Geheimnisse anvertraute. „Der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er tut, und er wird ihm noch größere Werke zeigen, daß ihr euch verwundern werdet.“ Der Vater hatte einen herrlichen Lebensplan für den Sohn gemacht: in ihm sollte göttliches Leben unter den Bedingungen unseres menschlichen Wesens zutage treten: dieser Plan wurde dem Sohne Stück für Stück gezeigt, bis er zuletzt vollständig vollbracht war.
Nicht nur für den eingeborenen Sohn ist ein Lebensplan gemacht worden, sondern für ein jedes seiner Kinder. Je nach dem Grade unserer Abhängigkeit von dem Vater wird dieser Plan mehr oder weniger vollkommen in unserem Leben zustandekommen. Je näher der Gläubige die vollkommene Abhängigkeit des Sohnes kennt, „der da nichts tut, denn was er sieht den Vater tun“, je mehr auch er in pünktlichem Gehorsam „was der Vater tut, gleicherweise auch tut“, destomehr wird auch an ihm die Verheißung erfüllt werden: „Der Vater zeigt ihm alles, was er tut, und wird ihm noch größere Werke zeigen.“ Nach Jesu Bild! Dies Wort ermutigt uns zu einem Leben der Ähnlichkeit mit Jesus in seiner völligen Abhängigkeit von dem Vater; ein jeder von uns ist hierzu berufen und eingeladen.
Bei einem solchen Leben der Abhängigkeit von dem Vater ist es vor allen Dingen nötig, fest daran zu glauben, daß er uns seinen Willen klarmachen wird. Ich denke, viele lassen sich abschrecken, weil es ihnen hieran fehlt; sie können es nicht glauben, daß sich der Herr die Mühe geben werde, ihnen jeden Tag seinen Willen kundzutun, wie er ihn Jesus kund tat. Lieber Christ, du bist viel wertvoller in des Vaters Augen, als du es dir vorstellst. Du bist ihm gerade so wertvoll wie das Lösegeld, mit dem er dich erkauft hat, welches ist das Blut seines Sohnes. Deshalb ist ihm auch alles, was dich angeht, von größter Wichtigkeit, und der wird dich bei jedem, auch dem unbedeutendsten Ereignis, mit seinen Augen leiten. Ihn verlangt weit mehr, als du denken kannst, nach innigem, beständigem Umgang mit dir. Er kann dich gebrauchen zu seiner Verherrlichung und etwas aus dir machen, was dein Verständnis weit übertrifft. Der Vater liebt sein Kind und zeigt ihm, was er tut; dies hat er an Jesus bewiesen, und er wird es auch an uns beweisen. Von unserer Seite ist bloß die Übergabe nötig, die sich der Unterweisung aufschließt, welche sein Heiliger Geist uns auf die zarteste Weise gibt. Ohne uns aus unserem angewiesenen Kreise zu entfernen, kann uns der Vater dermaßen nach Jesu Bild umgestalten, daß wir allen zur Freude und zum Segen werden. Wir wollen uns doch nicht dadurch, daß wir an der barmherzigen Liebe Gottes zweifeln, daran hindern lassen, des Vaters Leitung in allen Dingen zu erwarten.
Aber ebensowenig soll ein Widerstreben gegen die völlige Unterwürfigkeit uns zurückhalten. Dies ist nämlich das zweite große Hindernis. Das Verlangen der Unabhängigkeit war die Versuchung im Paradies und ist es heute noch für jedes Menschenherz. Es scheint so schwer, nichts zu sein, nichts zu wissen, nichts zu wollen, und doch ist es so selig. Diese Abhängigkeit führt uns zu einer überaus herrlichen Gemeinschaft mit Gott: da kann es von uns heißen wie von Jesus: „Der Vater hat den Sohn lieb und zeigt ihm alles, was er tut.“ Diese Abhängigkeit befreit uns von aller Last der Verantwortlichkeit; wir brauchen bloß zu gehorchen. Wir erhalten tatsächlich dadurch neue Kraft, weil wir wissen, daß er in uns beides, das Wollen und das Vollbringen schafft; und es wird uns zur seligen Gewißheit, daß unser Werk gelingen muß, weil wir es ganz Gott übertragen haben.
Hast du vielleicht bis jetzt noch wenig erfahren von diesem Leben freiwilliger Abhängigkeit und einfachen Gehorsams, so fange heute damit an. Nimm dir auch hierin den Heiland zum Vorbild. Es ist sein heiliger Wille, in dir zu leben und in dir das zustandezubringen, was er auf Erden war. Ihn verlangt bloß nach deiner Zustimmung; für die Ausführung wird er schon sorgen. Biete dich heute dem Vater dar nach dem Vorbild des Erstgeborenen und sage ihm, du wollest nichts von dir selbst tun, sondern nur das, was er dir zeigt. Schaue auf Jesus, der auch hierin nicht nur dein Vorbild, sondern auch die Verheißung dessen ist, was in dir zustande kommen soll. Bete ihn an, der sich um deinetwillen erniedrigt und dir gezeigt hat, wie selig ein von Gott abhängiges Leben ist!
Ja, selige Abhängigkeit! Darin besteht in der Tat unserer richtige Stellung Gott gegenüber. Hier ruht die Seele in vollkommenem Frieden, weil sie alle Sorge Gott überläßt. Hier wird sie still und bereit, des Vaters Unterweisung anzunehmen und auszuüben. Und welch herrlicher Lohn wird ihr zuteil durch stets tiefere Erfahrung heiligen Verkehrs mit Gott, durch beständig fortschreitende Erkenntnis seines Wollens, womit sie gekrönt wird. (Andrew Murray)
5:21 Denn wie der Vater die Toten auferweckt und macht sie lebendig, also auch der Sohn macht lebendig, welche er will.
5:22 Denn der Vater richtet niemand; sondern alles Gericht hat er dem Sohn gegeben,
5:23 auf daß sie alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, der ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat.
Herr Jesu, Du selbst bist, zur Zeit Deines irdischen Leidens und Sterbens, voller Schmerzen, Angst und Mattigkeit gewesen, und weißt also, wie einem armen, kranken, kraftlosen Menschen zu Muthe sei, daß Du Dich seiner desto leichter erbarmen kannst. Du bist in den Tagen Deines Fleisches recht liebreich mit den Kranken umgegangen, hast ihnen tröstlich zugesprochen, und sie so mit erwünschter Hülfe und Gesundheit erfreuet. Dem Elenden, der bei dem Teich Bethesda 38 Jahre krank und hülflos gelegen, redetest Du freundlich zu, und fragtest: willst du gesund werden? und als er Dir, Herr Jesu, seine Noth klagte, machtest Du ihn mit einem Wort gesund. Liebster Heiland und Erlöser, hieraus lerne ich, daß Du ein allgemeiner Aufseher und Arzt der Kranken seiest. du weißt, wo Jeder von ihnen in seinem Elend seufzt; Du weißt, wie groß die Noth ist, wie lange sie gewährt, was für Pflege und Wartung jeder hat, oder wem es daran fehlt; Du hilfst auch wohl unvermuthet; Du trittst zu, wenn alle Menschen abgetreten sind; Du schaffest Rath, wenn Niemand mehr Rath weiß. Ach laß mich das wohl in meinem Herzen erwägen und zu der Ueberzeugung führen: Du werdest auch auf mich Acht haben, all’ mein Seufzen, Sehnen und Weinen zählen, und wenn mich gleich alle Menschen verließen, so werdest Du doch mich nimmermehr verlassen. Nach langer Geduld, nach 38 Jahrn, kam endlich doch Deine Hülfe an jenen elenden, verlassenen Menschen, und zwar damals, als er sie nicht hoffte. So wirst Du denn auch, mein Heiland, wenn die rechte Stunde gekommen ist, mit Deiner Hülfe an mich kommen, vielleicht durch Wege und Mittel, worauf ich und Niemand hat denken können. – O Du forderst von mir Schwachen kein weitläuftiges Gebet, keine umständliche Erzählung meiner Noth; es ist schon genug, Dich zum Erbarmen zu bewegen, wenn ich Dich kläglich ansehe und im Stillen zu Dir seufze. Laß mich dieses denn in’s Werk richten; laß mich, wenn ich wegen meiner Schwachheit nicht mehr reden kann, nach Dir seufzen, oder wenn ich auch nicht mehr seufzen kann, nur an Dich denken: so wirst auch Du, mein Jesu, in Gnaden an mich denken, mein Elend gnädig ansehen, mir meine Sünde vergeben, und endlich mich als Dein Kind zum ewigen Leben auf- und annehmen. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
Der HErr Jesus behauptete Joh. 5,19-23., daß Er der Sohn Gottes sei, und da Er erklären wollte, in welchem Verstand Er’s sei, so that Er sehr wichtige Aussprüche von Seiner Verbindung und Gleichheit mit dem Vater. Er zeigte an, daß Er wegen der Vereinigung mit dem Vater nichts von Ihm selber thun könne, daß Er aber auf eine geheime Weise, welche etwas Höheres als der Glaube war, immer sehe, was der Vater thue, weil Ihn der Vater lieb habe, und es Ihm zeige, da Er dann eben dasjenige gleichermaßen thue, was der Vater thue. Die Werke des HErrn Jesu waren also Werke des Vaters und des Sohnes zugleich. Der Vater wirkte, und der Sohn wirkte auf eine gleiche Weise, das ist mit einer gleichen Gewalt und Kraft, und diese beiderseitige Wirksamkeit floß immer in Einem Werk zusammen. Der Vater zeigte, und der Sohn sahe; folglich war das hellste Licht dabei. Der HErr Jesus erläutert diese Wahrheit V. 21. durch die Auferweckung der Todten, und sagt: wie der Vater die Todten auferwecket und lebendig macht, welche Er nämlich auferwecken und lebendig machen will, also auch der Sohn macht Todte lebendig, welche Er will, und diese Todten sind eben diejenigen, die der Vater zugleich lebendig macht. Der Vater handelt hierin nach Seinem Willen, und der Sohn handelt auch nach Seinem Willen. Hernach sagt Er V. 22., der Vater richte Niemand, sondern habe alles Gericht dem Sohn übergeben. Ohne Zweifel muß man diese Worte so verstehen, daß die Ehre des Vaters nicht geschmälert wird. Der Vater richtet Niemand ohne den Sohn, doch richtet Er die Welt durch den Sohn, Ap. Gesch. 17,31. Er hat aber alles Gericht dem Sohn übergeben, Er hat die Seligsprechung und Verdammung der Menschen in Seine Gewalt gestellt, Er hat Ihm die Macht gegeben, den Ausspruch zu thun, wer leben oder des andern Todes sterben soll. Das Buch des Lebens ist Sein Buch (Offenb. Joh. 13,8.). Er wird in Seiner verklärten Menschheit sichtbarlich erscheinen, und das Gericht halten, Er wird das Unrecht, das Seiner Person mittelbar oder unmittelbar angethan worden, rächen, und die Gerechten Seine Brüder heißen. Wenn wir uns wunderten, daß der Heiland von dem Richten anders geredet hat, als von der Auferweckung der Todten, so dürfen wir nur bedenken, daß Ihm der Vater die Macht gegeben hat, das Gericht zu halten, weil Er des Menschen Sohn ist, V. 27. Das Verhältniß nämlich, in welchem Er als des Menschen Sohn mit den Menschen steht, fließt mehr in das Richten hinein als in die Auferweckung der Todten: wie denn bei jenem der Vater nicht sagen kann: Ich bin hungrig, Ich bin durstig gewesen u.s.w., da hingegen alle Worte, die bei der Auferweckung vorkommen, geradezu auch dem Vater geziemen. Weil aber der Vater alles Gericht dem Sohn gegeben hat, und von diesem Niemand an einen Höheren appelliren darf, so sollen alle Menschen den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Die höchste Gewalt zu richten, welche der Sohn von dem Vater empfangen hat, und der Vater durch den Sohn ausübt, soll sie dazu bewegen. Ihnen liegt daran, den Vater und Sohn durch den Glauben zu ehren, damit sie nicht in’s Gericht kommen, V. 24. Weil auch der Vater Sich bei dem Richten keine höhere Gewalt vorbehält, sondern alles Gericht dem Sohn gegeben hat, so will Er auch nicht höher geehrt werden, als der Sohn, und gebietet, daß auch diesem alle Ehre gegeben werde.(Magnus Friedrich Roos)
5:24 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hört und glaubt dem, der mich gesandt hat, der hat das ewige Leben und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.
Wir müssen zwar Alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Jesu Christi, auf daß ein Jeglicher empfahe, nachdem er gehandelt hat bei Leibesleben, es sei gut oder bös, 2 Kor. 5,10. Wer aber das Wort Jesu höret, und Dem glaubet, der Ihn gesandt und geboten hat zu reden, was Er geredet hat, der hat das ewige Leben, und kommt nicht in’s Gericht, sondern ist vom Tod zum Leben hindurch gedrungen, Joh. 5,24. Es ist also etwas Anderes: vor dem Richterstuhl Jesu Christi offenbar werden, und etwas Anderes: in’s Gericht kommen. Wer in’s Gericht kommt, wird durch einen richterlichen Ausspruch zum andern Tod verdammt. Ein solcher Mensch steht also auf zur Auferstehung des Gerichts, wie Christus Joh. 5,29. redet. Zwar ist ein solcher Mensch in gewissem Verstand auch vorher schon gerichtet, das ist, es hat bei ihm einen Ausschlag zur Verdammniß gegeben, weil er nicht an den Namen des Sohnes Gottes glaubet, Joh. 3,18. Weil er aber dabei noch immer sowohl bei Leibesleben als auch nach dem Tod eine falsche Hoffnung haben kann, so muß er noch gerichtet, das ist, sein Verdammungsurtheil muß ihm kund gethan werden, damit er gewiß wisse, daß er verdammt sei, und warum er verdammt sei; und ihm alle weitere Hoffnung abgeschnitten werde. Wer aber das Wort Jesu, welches auch des Vaters Wort ist, höret und glaubet, oder wer an Jesum glaubet, wird nicht gerichtet, Joh. 3,18., oder kommt nicht in’s Gericht. Es darf nämlich am Tag des großen Gerichts nicht erst entschieden werden, ob er leben oder sterben soll: denn er hat das ewige Leben schon vor dem Gerichtstag, und ist vor demselben vom Tod zum Leben hindurch gedrungen. Er weiß auch selber schon, daß er das ewige Leben in Christo Jesu habe: seine Auferstehung ist eine Auferstehung des Lebens, Joh. 5.29. Er steht also zur Rechten des Richters, von dem nun auch öffentlich bekannt werden soll, daß sein Name im Buch des Lebens stehe. Wer in’s Gericht kommt, dem werden alle bösen Werke, die er bei Leibesleben gethan hat, zugerechnet. Wer aber nicht in’s Gericht kommt, oder nicht gerichtet wird, bei dem wird nur zum Ruhm des Erlösers und Seiner Gnade offenbar, wie viel ihm vergeben worden sei, und wie viel Gutes der Geist Gottes in ihm und durch ihn gewirkt habe. Jener empfängt also den Lohn seiner bösen Werke nach Verdienst (und richten heißt einen Ausspruch thun nach dem Verdienst dessen, der gerichtet wird), dieser aber empfängt den Lohn seiner guten Werke aus Gnaden: wo aber Gnade den Ausschlag gibt, da ist kein Gericht. Ich denke hier billig an das Wort des Propheten Ps. 130,3.: so Du willst Sünde zurechnen, HErr, wer wird bestehen? Wenn ich also in’s Gericht kommen sollte, so würde ich zu Schanden und wäre verloren. Darum bete ich bei Leibesleben: HErr, gehe nicht in’s Gericht mit Deinem Knecht, denn vor Dir ist kein Lebendiger gerecht, Ps. 143,2. Weil Du aber nicht alle Lebendigen verdammen willst, so weiß ich, daß bei Dir Vergebung sei, und diese Vergebung hebt das Gericht auf. Ich glaube, HErr Jesu, Deine und Deines Vaters Worte, ich glaube auf Dich: hilf meinem Unglauben, der sich dabei noch regt. Laß das ewige Leben bei mir immer stärker anbrechen, damit ich am Tag des Gerichts schon als ein Lebendiger prangen könne.(Magnus Friedrich Roos)
Es wird in der heiligen Schrift gesagt, daß der Mensch in Uebertretungen und Sünden todt sein könne, Eph. 2,1. und dieses wird insgemein der geistliche Tod genannt; die heilige Schrift redet auch oft vom leiblichen Tod als einer Folge der Sünden, und endlich auch von dem zweiten Tod, welcher darin besteht, daß die auferweckten Gottlosen in den feurigen Pfuhl geworfen werden. Wenn diese Verwerfung in den feurigen Pfuhl der zweite Tod genannt wird, so ist der leibliche Tod der erste, denn dieser wird durch die Auferweckung des Leibes auch bei den Gottlosen so aufgehoben, daß sie hernach das zweite Mal sterben können; da hingegen der geistliche Tod bei ihnen nur fortwährt. Auch ist dieser keine Strafe, wie der zweite Tod, sondern wird eine Ursache der Strafe, wenn man darin beharrt; da hingegen der leibliche Tod nach dem Sündenfall durch einen ausdrücklichen Ausspruch Gottes als eine Strafe, oder wenigstens als eine Züchtigung den Menschen zuerkannt worden ist. Derjenige nun, der an den HErrn Jesum glaubt, ist vom Tod zum Leben hindurchgedrungen, und kommt eben deßwegen nicht in’s Gericht. Freilich ist hiebei zuerst an den geistlichen Tod zu gedenken, von welchem man zum geistlichen Leben übergehen kann, das aus der Gemeinschaft mit der Auferstehung Jesu entsteht; denn wenn dieser Uebergang bei dem Glaubigen nicht geschähe, so käme er noch in’s Gericht, und würde alsdann auch zum zweiten Tod verdammt. Wer also an den HErrn Jesum glaubt, empfängt ein geistliches Leben aus Jesu durch den Glauben, und es wird ihm etwas von dem unzerstörlichen Leben des auferstandenen Jesu mitgetheilt; weßwegen auch Eph. 2. gesagt wird, daß er mit dem HErrn Jesu lebendig gemacht, und mit Ihm auferweckt sei, Röm. 6. aber, daß er Seiner Auferstehung gleich sei. Ist aber dieser Uebergang geschehen, und wird von da an das geistliche Leben, welches sich in Wirkungen und Empfindungen äußert, bis zum Tod des Leibes erhalten, so berührt dieser leibliche Tod die Seele nicht mehr. Die wiedergeborne Seele, welche ein unzerstörliches, geistliches Leben in sich hat, leidet von dem Tod des Leibes keinen Nachtheil. Sie siehet den Tod nicht, sie stirbt nicht so, wie ein Geist auch ohne seine Zernichtung sterben kann, das ist, sie verliert nichts von ihrer Kraft, Fröhlichkeit, Weisheit, sondern gewinnt Vieles. Was aber den andern Tod anbelangt, so wird dem Gerechten von demselben kein Leid geschehen; denn die Rechtfertigung, welche er bei dem Uebergang vom geistlichen Tod in’s geistliche Leben erlangt hat, ist dem Urtheil, welchs zum andern Tod verdammt, entgegen gesetzt, und trägt schon so viel aus, daß er sich nach Röm. 5,2. der Hoffnung der Herrlichkeit, welche das ewige Leben ist, rühmen kann, und deßwegen wird sie auch Röm. 5,18. eine Rechtfertigung des Lebens genannt. Zu diesem Uebergang vom Tod zum Leben hilft aber nicht das Gesetz, ob es schon sonst seinen Nutzen hat, und noch weniger die Weltweisheit, sondern der Glaube an Jesum, der uns durch das Evangelium vor die Augen gemalt wird. Wer an Ihn glaubt, wird von Gott gerechtfertigt, und wer gerechtfertigt wird, empfängt zugleich ein geistliches Leben. Eines solchen Menschen Schicksal wird also am jüngsten Tag nicht erst gerichtlich entschieden, sondern nur bestätigt, und zu einer größern Herrlichkeit erhoben. So sei dann mein Bestreben: im Glauben an den HErrn Jesum zu leben, und in eben diesem Glauben auch zu sterben. (Magnus Friedrich Roos)
5:25 Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Es kommt die Stunde und ist schon jetzt, daß die Toten werden die Stimme des Sohnes Gottes hören; und die sie hören werden, die werden leben.
Wenn Gott eine Seele ruft, so hat dieser Ruf stets seine Wirkung. Satan kann mit zehntausend Vorurteilen sein Reich in ihr befestigt haben, so müssen sie sich zerstreuen, wenn Gott redet. Und obwohl in der allgemeinen Verkündigung des Evangeliums Gott ruft, und der Mensch sich weigert, zu folgen, so wird doch, wenn er zum Herzen des Sünders redet, die Antwort sein: „Herr, was willst du, daß ich tun soll?“ (Apg. 9,6). In solchem Moment ist der Wille des Sünders umgewandelt; seine Augen sind geöffnet, und „er ist berufen von der Finsternis zu seinem wunderbaren Lichte“ (1.Pet. 2,9). Wie groß dann auch der Widerstand sei, den er in der Welt, in seiner Familie und in der eigenen Verderbtheit des Herzens finden mag: er kann dem göttlichen Ruf nicht widerstehen; die Macht, wovon derselbe begleitet ist, wirft alle Hindernisse über den Haufen; weder Verfolgung, noch Entsagungen, noch der Tod können die wunderbare Veränderung verhindern, die bei dem stattfindet, den der Herr zum ewigen Leben beruft.
Möchtest du, lieber Leser, gerne wissen, welches in dieser Beziehung deine Stellung vor Gott ist, so sagen wir dir mit dem Apostel Paulus: „Versuchet euch selbst, ob ihr im Glauben stehet; prüfet euch selbst.“ (2.Kor. 13,5). Der Herr beruft sein Volk zu Streitern; bist du nun auch mit der Waffenrüstung Gottes bekleidet (Eph. 6), und kämpfst du den guten Kampf, indem du unausgesetzt den Streit führst gegen die Sünde, namentlich gegen das eigene Herz, so ist das ein Beweis deiner göttlichen Berufung. Und wenn du im Blick darauf, daß „Gott uns nicht berufen hat zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung“ (1.Th. 4,7), die Heiligkeit begehrst, die unreinen Lüste fliehst und der Welt den Abschied gibst, so ist kein Zweifel mehr, daß Gott dich berufen hat. Mit einem Wort, wenn Christus dir wertvoll ist; wenn sein Kreuz dein Ruhm ist; wenn seine Liebe dich drängt, seine Gemeinschaft zu suchen: dann kannst du deine Stimme mit der des Apostels vereinigen, um den zu preisen, „der uns selig gemacht hat, und berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unsern Werken, sondern nach seinem Vorsatz und Gnade die uns gegeben ist in Christo Jesu vor ewigen Zeiten“ (2.Tim. 1,9).
Gib nicht zu, daß der Unglaube dich des Trostes beraube, der denen gehört, die von Gott berufen sind, indem du über die Realität dieser Berufung an deiner Seele dich in Disputationen einläßt. Welcher andere Trieb als der des Geistes Gottes könnte in dir diese Sorge, diesen brünstigen Wunsch nach Vergebung, nach Frieden und göttlichem Leben hervorbringen? Wahrlich, hier ist, sagen wir, Gottes Werk, und es beweist, daß du Teil hast an jener herrlichen Verheißung, die der Herr den Seinen zuruft: „Fürchte dich nicht; denn ich habe dich erlöset; ich habe dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein.“ (Jes. 43,1) (Hermann Heinrich Grafe)
5:26 Denn wie der Vater hat das Leben in ihm selber, also hat er dem Sohn gegeben, das Leben zu haben in ihm selber,
5:27 und hat ihm Macht gegeben, auch das Gericht zu halten, darum daß er des Menschen Sohn ist.
Jesus hat sich oft einen Menschensohn genannt, weil Er Seine menschliche Natur nicht vom Himmel gebracht, sondern durch eine Geburt von einem Menschen, nämlich von der Maria, bekommen hat, und dadurch dem menschlichen Geschlecht einverleibt und ein Blutsverwandter aller Menschen worden ist. Der HErr Jesus redete Joh. 5,19-26. von Gott als Seinem Vater, und von Sich selbst als dem Sohn Gottes. Hernach redete Er auch von Sich selbst als einem Menschensohn V. 27-32., und bezeugte insonderheit V. 27., daß der Vater dem Sohn Macht gegeben habe, auch das Gericht zu halten, weil Er ein Menschensohn sei, und Er deßwegen als ein solcher alle Todten auferwecken werde. Als ein verklärter Menschensohn wird Er mit großer Kraft und Herrlichkeit kommen, und als sichtbar auf einem großen weißen Thron sitzen. Als ein solcher wird Er alle diejenigen, die in den Gräbern sind, Seine Stimme hören lassen, damit sie hervorgehen, und zwar diejenigen, die Gutes gethan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Uebels gethan haben, zur Auferstehung des Gerichts. Als ein Menschensohn wird Er am Tag des Gerichts von Menschen als Seinen Brüdern reden, und das Gute, das man ihnen gethan oder nicht gethan hat, so rühmen können, als ob’s Ihm widerfahren oder nicht widerfahren wäre. Als ein solcher ist Er der Erstgeborne unter vielen Brüdern, und wird diese zu Seinen Miterben machen, indem Er sagen wird: kommet her, ihr Gesegneten Meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt. Alle diese Verhältnisse und alle daraus fließenden Worte und Werke würden nicht sein, wenn der Sohn Gottes nicht auch ein Menschensohn wäre; und wer will alle Geziemlichkeit übersehen, welche dieser Name bei der Uebergabe und bei der wirklichen Haltung des Gerichts mit sich führt?
Der HErr Jesus hat Sich als Menschensohn nichts selber angemaßt, sondern der Vater hat Ihm Alles gegeben. Hinwiederum hat Ihm der Vater Alles gegeben, was Er hat begehren können, und die Macht, die Er von dem Vater empfangen hat, übt Er nicht anders als nach dem Willen Seines Vaters aus, mit dessen Willen Sein eigener Wille auf das Vollkommenste übereinkommt. Joh. 5,30. So liebt und ehrt der Vater den Sohn und der Sohn den Vater auf eine unermeßliche Weise, und in diese gegenseitige Ehre und Liebe ist unser Schicksal eingeschlossen.
Die Macht, das Gericht zu halten, ist freilich etwas unbegreiflich Großes und Hohes. Eine ausgebreitete Kenntniß aller Menschen, und eine Wissenschaft von Allem, was in der ganzen Weltwährung in allen Augenblicken geschehen ist, und eine Einsicht in den verborgenen Rath aller Herzen, und eine reine und unbewegliche Gerechtigkeit, und endlich das allerhöchste Recht, ein Urtheil zu sprechen, von dem man nicht weiter appelliren kann, wie auch die Kraft, dieses Urtheil alsbald zu vollziehen – dieses Alles ist zu Haltung des Gerichts nöthig, wozu der Vater dem Sohn die Macht gegeben hat.(Magnus Friedrich Roos)
5:28 Verwundert euch des nicht, denn es kommt die Stunde, in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden seine Stimme hören,
5:29 und werden hervorgehen, die da Gutes getan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Übles getan haben, zur Auferstehung des Gerichts.
5:30 Ich kann nichts von mir selber tun. Wie ich höre, so richte ich, und mein Gericht ist recht; denn ich suche nicht meinen Willen, sondern des Vaters Willen, der mich gesandt hat.
5:31 So ich von mir selbst zeuge, so ist mein Zeugnis nicht wahr.
5:32 Ein anderer ist's, der von mir zeugt; und ich weiß, daß das Zeugnis wahr ist, das er von mir zeugt.
5:33 Ihr schicktet zu Johannes, und er zeugte von der Wahrheit.
5:34 Ich aber nehme nicht Zeugnis von Menschen; sondern solches sage ich, auf daß ihr selig werdet.
5:35 Er war ein brennend und scheinend Licht; ihr aber wolltet eine kleine Weile fröhlich sein in seinem Lichte.
5:36 Ich aber habe ein größeres Zeugnis; denn des Johannes Zeugnis; denn die Werke, die mir der Vater gegeben hat, daß ich sie vollende, eben diese Werke, die ich tue, zeugen von mir, daß mich der Vater gesandt habe.
5:37 Und der Vater, der mich gesandt hat, derselbe hat von mir gezeugt. Ihr habt nie weder seine Stimme gehört noch seine Gestalt gesehen,
5:38 und sein Wort habt ihr nicht in euch wohnend; denn ihr glaubt dem nicht, den er gesandt hat.
5:39 Suchet in der Schrift; denn ihr meinet, ihr habet das ewige Leben darin; und sie ist's, die von mir zeuget;
Der HErr Jesus bewies Joh. 5. die Wahrheit Seines Evangelii, nach welchem man an Ihn glauben, und Ihn als den Sohn Gottes wie den Vater ehren solle, aus Seinen Werken, aus Seinem eigenen höchst glaubwürdigen Zeugniß, aus dem Zeugniß Johannis des Täufers, aus dem unmittelbaren Zeugniß Seines Vaters, welches bei Seiner Taufe gehört worden war, und endlich aus dem Zeugniß der Schrift, welche die Juden mit Recht für Gottes Wort hielten, und worin sie so forschten, daß sie meinten, sie könnten ohne den Glauben an Jesum das ewige Leben durch sie erlangen. Der liebe Heiland bestätigte zwar diese Meinung der Juden nicht, sondern bestrafte sie vielmehr V. 40., daß sie nicht zu Ihm kommen wollen, damit sie das ewige Leben haben möchten: hingegen gab Er ihnen zu verstehen, daß eben dieselbe Schrift, worin sie bei ihrem Unglauben forschen, ihnen zu diesem Kommen oder Glauben verhelfen könne, weil sie von Ihm zeuge. Moses, sagte Er V. 46., hat von Mir geschrieben; gleichwie auch Petrus Ap. Gesch. 10,43. spricht: von Jesu Christo zeugen alle Propheten, daß durch Seinen Namen Alle, die an Ihn glauben, Vergebung der Sünden empfahen sollten. Sie zeugen aber von Jesu durch eigentliche Weissagungen von Ihm, aber auch durch Beschreibung vieler Vorbilder, die Ihn abgebildet haben, wie der Schatten einen Körper, und endlich durch die ganze Beschreibung der Weise, nach welcher Gott bei den Patriarchen und hernach bei dem Volk Israel gehandelt hat, und welche überall anstößig wäre, wenn Gott nicht dabei auf den künftigen Erlöser der Menschen Seine Absicht gehabt hätte. Noch vollständiger und deutlich ist das Zeugniß von Christo, das in den Schriften des Neuen Testaments enthalten ist. Wer nun die heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments zur Erlangung des ewigen Lebens recht gebrauchen will, muß wahrnehmen, daß sie von Christo zeuge, und dieses Zeugniß in seinem Herzen so gültig und kräftig sein lassen, daß ein Kommen zu Christo, oder ein Glaube an Christum daraus entstehe. Wer in der Bibel forscht, oder wer sie auslegen hört, ist wegen seiner begangenen Uebelthaten ein todeswürdiger Sünder, und, so lange er im Unglauben steht, ein Sklave der Sünde. Was nützte es nun einen solchen, wenn er alle Geschichten, die in der Bibel stehen, oder auch das Gesetz Gottes, die Sittenlehre Salomo’s und Anderes, als abgerissen von Christo, ohne den Glauben an Ihn sich bekannt machte, und darin auf eine gelehrte oder ungelehrte Art sich umsähe? Ein Sünder muß einen Erlöser haben. Hat er aber einen solchen, so muß er zu ihm kommen oder an ihn glauben. Und dazu muß ihm das göttliche Zeugniß der heiligen Schrift verhelfen. Die von Gott eingegebene Schrift muß ihn zur Seligkeit weise machen durch den Glauben an Christum Jesum. Dieser Glaube erlangt alsdann die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, durch Christum, er erlangt aber auch die Befreiung von der Knechtschaft oder Sklaverei, worin man vorher unter der Sünde gestanden ist. Wen der Sohn Gottes gerecht macht, der ist wahrhaftig gerecht, und wen Er frei macht, der ist recht frei. Daraus folgt aber auch das ewige Leben in Christo Jesu. So leite uns denn das Zeugniß der Schrift täglich zu Christo, damit wir auch in der Stunde des Todes in Ihm erfunden werden.(Magnus Friedrich Roos)
Das griechische Wort, das hier durch „suchen“ wiedergegeben ist, bezeichnet ein aufmerksames, eifriges, begieriges, angestrengtes Suchen, wie wenn Menschen Gold suchen, oder Jäger dem Wild nachspüren. Wir dürfen uns nicht damit begnügen, dass wir ein oder mehrere Kapitel mit flüchtiger Aufmerksamkeit durchlesen, sondern wir müssen mit dem Leuchter des Heiligen Geistes den verborgenen Sinn des Wortes mit allem Fleiß erforschen. Die Heilige Schrift will erforscht sein; vieles in derselben lernt man nur durch sorgfältige Betrachtung verstehen. Sie enthält Milch für die jetzt gebornen Kindlein, aber auch starke Speise für die Vollkommenen. Die jüdischen Schriftgelehrten sagen, dass jedes Wort, ja, jeder Buchstabe einen Berg von Inhalt umfasst. Der Kirchenvater Tertullian ruft aus: „Ich erstaune über die Fülle des Inhaltes der Schrift!“ Niemand, der im Buch der Bücher bloß blättert, kann daraus Belehrung empfangen; wir müssen graben und bohren, bis wir die verborgenen Schätze finden. Die Tür des Worts öffnet sich nur dem Schlüssel des Fleißes. Die Heiligen Schriften verlangen ernstes Forschen. Sie sind die Schriften Gottes und tragen das göttliche Siegel der Echtheit, wer darf sie mit Geringschätzung behandeln? Wer sie verachtet, verachtet Gott, der sie geschrieben hat. Gott verhüte, dass einer von uns sich von dem teuren göttlichen Wort abwende und es gegen sich Zeugnis ablegen lasse am großen Tag der Rechenschaft. Aber das Wort Gottes belohnt ein fleißiges Suchen. Gott heißt uns nicht einen Berg von Spreu sichten, um hier und da ein Körnchen Weizen darin zu finden, sondern die Heilige Schrift ist geworfeltes Korn; wir brauchen nur die Vorratskammer aufzutun, so finden wir‘s. Die Heilige Schrift wächst unter der Betrachtung. Sie ist voll Überraschungen. Unter des Heiligen Geistes Belehrung leuchtet sie dem suchenden Auge mit dem Glanz der Offenbarung entgegen, wie ein weiter Tempel, der mit gewirktem Golde bekleidet, mit Rubinen Smaragden und allerlei Edelsteinen geschmückt ist. Keine Kaufmannsgüter gleichen an Wert der Schriftwahrheit. Endlich offenbart uns die Schrift den Heiland. „Sie ist‘s, die von mir zeuget.“ Wer Jesum findet, findet das Leben, den Himmel, alles. Selig, wer in der Schrift den Heiland findet. (Charles Haddon Spurgeon)
Jesus Christus ist das A und das O, der Anfang und das Ende der Heiligen Schrift. Er ist der immer wiederkehrende Gegenstand ihrer heiligen Blätter; von der ersten bis zur letzten Seite zeugt sie von Ihm. Bei der Schöpfungsgeschichte begegnen wir Ihm sogleich als einer der heiligen Personen der Dreieinigkeit; wir sehen einen Strahl von Ihm in der Verheißung des Weibessamens, wir sehen sein Vorbild in der Arche Noah; wir wandeln mit Abraham, wenn er den Tag des Messias erblickt; wir wohnen in den Hütten Isaaks und Jakobs und sättigen uns an der gnädigen Verheißung; wir hören den ehrwürdigen Israel von Ihm reden; und in den vielen Vorbildern des Gesetzes finden wir den Erlöser reichlich und mannigfaltig abgeschattet. Propheten und Könige, Priester und Prediger, alle sehen nach einem Punkt, sie alle wenden wie die Cherubim ihren Blick dem Gnadenstuhl zu und wünschen, hineinzuschauen und das Geheimnis von der großen Versöhnung Gottes zu lesen. Aber noch weit mehr tritt uns im Neuen Testament unser Herr als der Hauptgegenstand vor die Augen. Hier findet ihr nicht da und dort ein Stückchen edles Metall, oder stellenweise dünne Vergoldung, sondern hier steht ihr auf einem Boden von gediegenem Golde; denn der ganze Inhalt des Neuen Testaments ist der gekreuzigte Jesus, und selbst der letzte, herrliche Schlusssatz ist mit dem Kleinod des Jesusnamens geschmückt. Wir sollten die Heilige Schrift immer in diesem Sinne lesen; wir sollten das Wort betrachten als einen Spiegel, in welchen Christus vom Himmel herab blickt; und dann sehen wir sein Antlitz aus diesem Spiegel zurückgestrahlt in unser betrachtendes Auge; dunkel zwar, aber doch noch deutlich genug, um uns damit vorzubereiten auf das selige Schauen von Angesicht zu Angesicht. Dieser zweite Teil der Heiligen enthält die Worte Jesu Christi an uns, die von seiner Liebe durchduftet sind. Diese Seiten sind die Kleider unsers Königs, und ihr Geruch ist wie der Geruch von Myrrhen, Aloe und Kezia. Das Wort Gottes ist die königliche Sänfte, in welcher Jesus getragen wird, ihr Boden mitten inne ist lieblich gepflastert um der Töchter willen zu Jerusalem. Die Heilige Schrift ist das Wickelband des Heiligen Kindes Jesus; löse es auf, so findest du deinen Heiland. (Charles Haddon Spurgeon)
Suchet in der Schrifft, denn ihr meinet ihr habet das ewige Leben drinnen, und sie ists die von mir zeuget. Daß ist: Weil wir selbist halten, daß die h. Schrifft sei Gottes heilsames wort, welches uns kan ewiglich seelig machen, So sollen wir also drinnen lesen und studiren, daß wir Christum drinnen finden bezeuget, wie S. Paulus auch saget Rom. 10: Christus ist des gesetzes ende, Ps. 40. Und im buch stehet geschrieben von mir, daß ich soll Gott deinen willen thun. Wer nun nicht studiret in der Schrifft, wie uns hier Christus heißet, der kann nicht wißen vom ewigen Leben; denn er lebt ohne Gottes wort ohn welches die Vernunfft nichts kann vom ewigen leben rechts denken noch reden. Wer aber also drinnen studiret, daß er Christum nicht drinnen findet der kann das ewige leben nicht erlangen, ob er gleich lernet viel davon reden, oder auch hoffet, wie die Juden thun, als S. Paulus saget Actor. 29. Desgleichen die Münche, und alle die, so durch werke wollen selig werden. Denn die Schrifft zeuget von Christo, daß alleine der, so an ihn glaubet, seelig wird. Esa. 53. Gott hat aller unser sünde auff ihn geleget. Et notitia sua justificabit plurimos. (Martin Luther)
Die Juden hatten darin recht, das sie ynn der schrifft das ewige leben Zu haben meineten, denn dasselbige ist war, Es ist das wort des Lebens. Aber, das Christus solts sein solche lebe vnd die schrifft von yhm Zuuerstehen sey das wolten sie nicht, vnd wollens noch heutiges tages nicht. Suchen ein anders Drinnen, das sie sol lebendig vnd selig machen, Da wird nicht aus Es Heißt Sie ists die von, MIR, zeuget Ich bin dasselbige ewige leben das man ynn der schrifft hat vnd findet Außr mir findet man das leben nicht drinnen sondern den ewigen tod. (Martin Luther)
5:40 und ihr wollt nicht zu mir kommen, daß ihr das Leben haben möchtet.
5:41 Ich nehme nicht Ehre von Menschen;
Jesus kannte und durchschaute sie alle. Er ließ sich nicht einnehmen, mitreißen, hinunterziehen, aber auch nicht einschüchtern! In allen Lagen, unter allen Umständen blieb Er Gott treu. Sie konnten Ihn schmähen, hassen, verfolgen, ans Kreuz schlagen; aber sie vermochten nicht, Ihn zu überwinden. Jesus hat einen völligen Sieg davongetragen. Ohne Wanken blieb Er das Licht der Welt. Sein Leben war wie aus einem Guß, ein göttliches Leben mitten unter gemeinen und vornehmen Sündern. Mit dem himmlischen Vater blieb Er bei aller Arbeit in trautestem Umgang, ohne Ihn konnte und wollte Er nichts tun. Diese wohlgepflegte Verbindung gibt uns den Schlüssel zum Geheimnis Seiner Macht über die Menschen. Gott konnte in Ihm vollkommen wohnen und durch Ihn die Werke tun. Er selbst bezeugt es uns. Stark war Satan durch die Sünder, stark war der Weltgeist auch in und durch die Lehrer und Hirten des Volkes. Aber stärker war in Jesus Gott! Um dieser Verbindung willen fürchteten Ihn die Angesehenen und Großen. Er war ihnen zu stark, und darum drohten sie Ihm. Wer aber aus der Wahrheit war, hörte Seine Stimme, hörte Gott und freute sich des erschienenen Lebens. Diese glaubten an Jesum und folgten Ihm willig nach. Wie die Sonne sich die ganze Natur Untertan macht, also mussten die Menschen erkennen und bezeugen, dass Jesus Herr ist über alle. Seine Geistes- und Liebesmacht trug den Sieg davon. Jesus hat Menschen besiegt. Er hat den Feind besiegt, aber Er nahm keine Ehre von den Menschen. In Seiner Nachfolge wirst auch du siegen. (Markus Hauser)
5:42 aber ich kenne euch, daß ihr nicht Gottes Liebe in euch habt.
5:43 Ich bin gekommen in meines Vaters Namen, und ihr nehmet mich nicht an. So ein anderer wird in seinem eigenen Namen kommen, den werdet ihr annehmen.
5:44 Wie könnet ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmet? und die Ehre, die von Gott allein ist, suchet ihr nicht.3)
Wo hast du deine Ehre? Fragt mich Jesus. Wer soll sie mir geben, wenn nicht die anderen? In der Gesellschaft entsteht die Ehre. Der eine reicht sie dem anderen dar, und ihr Wert besteht darin, dass sie mir in der Gesellschaft meinen Platz sichert. Je größer meine Ehre wird, um so größer sind die Gewinne, die mir die Gemeinschaft verschafft. Geht sie mir verloren, so bin ich aus ihr ausgestoßen und all der unentbehrlichen Hilfen beraubt, die mir einzig die Gemeinschaft geben kann. Wie soll ich also anderswo die Ehre suchen, da sie im Verkehr mit den Menschen ihren Grund und ihren Wert besitzt? So kannst du nicht glauben, sagt mir der Herr. Da, wo du deine Ehre suchst, liegt das Ziel deines Lebens. Suchst du sie bei den Menschen, so lebst du für die Menschen, machst ihre Meinung zu deinem Gesetz und ihren Willen zu deinem Herrn, und das wird nicht anders, auch wenn du die Menschen verachtest und ihre Meinungen als Narrheit schiltst. Solange du ihre Ehrung nicht entbehren kannst, bist du ihnen untertan. Du kannst aber nur dann für die Menschen leben, wenn du für dich selber lebst. Wo ist nun dein Gott? Du hast ihn vergessen und verloren. Trätest du zu ihm, wie könntest du dann noch nach der Ehre bei den Menschen greifen? Dann gäbe es für dich ein anderes Anliegen, ein höheres Ziel, nämlich Gottes Ehre, die Ehre, die Gott dir gibt und die du ihm darbringen darfst, indem du ihm dienst. Das ist klar, dass ich nicht glauben kann, wenn ich Gott verachte. Das Wort Jesu geht nur dann in mich hinein und wird nur dann mein Eigentum, wenn es die Gewissheit Gottes in mir erweckt und mich zu ihm hin wendet. Ich kann nur Gott ein Ja darbringen, das keinen Riss in sich hat, das über allen Dunkelheiten als Gewissheit steht und mein ganzes Denken und Tun durchdringt. Wenn die Ehre der Menschen mein Maßstab ist, ist nie Gott der, an den ich mich halte, ist es nicht die Wahrheit, mit der ich mich einige, weil sie wahr ist, ist es nicht die Gerechtigkeit, die ich liebe, weil sie gerecht ist. Dies alles hat ja nur so weit für mich Wert, als es mir bei den Menschen Ehrung erwirbt. Denn ich habe mein Leben auf das gestellt, was ihre Gemeinschaft mir gibt. Wenn mir aber Gottes Gabe in ihrer Herrlichkeit und Fülle sichtbar geworden ist, dann habe ich einen Besitz und eine Ehre empfangen, die alles Menschliche weit überragt. Bin ich nun einsam geworden und aus der Gemeinschaft mit den anderen herausgerissen? Nein; ich bleibe in sie hineingestellt, nun aber als ein freier Mann. Immer hat das Wort Jesu dieselbe Entschiedenheit, die auf die letzte alles erfassende Entschließung drängt. Ihr könnt nicht zwei Herren dienen, sagt er uns. Ihr dient entweder eurem Besitz oder ihr dient Gott; ihr sucht entweder die Ehre der Menschen oder die Gottes. Begehre das, was Gottes ist, sagt er mir, nicht mit halbem Herzen, sondern ganz.
Menschendienst, lieber Gott, ist ein harter Dienst und Menschenehre eine schwere Kette. Gepriesen sei Deine Gnade, die uns in die Freiheit führt. Sammle meine Seele in ein einziges Verlangen, das nach dem begehrt, was Deine Herrlichkeit offenbart. Amen. (Adolf Schlatter)
5:45 Ihr sollt nicht meinen, daß ich euch vor dem Vater verklagen werde; es ist einer, der euch verklagt, der Mose, auf welchen ihr hofft.
5:46 Wenn ihr Mose glaubtet, so glaubtet ihr auch mir; denn er hat von mir geschrieben.
5:47 So ihr aber seinen Schriften nicht glaubt, wie werdet ihr meinen Worten glauben?
Wenn in irgend einem Kapitel Jesus die Beweise für seine Gottheit wahrhaft häuft, so ist es dieses. Er schreibt sich in demselben zu die Auferweckung der Todten und das Gericht, und verlangt von den Menschen die gleiche Anbetung mit dem Vater. Als Zeugnisse dafür beruft Er sich auf sein eignes, auf Johannis des Täufers, auf seiner Wunder Zeugniß, auf die Stimmen des Vaters und auf die Weissagungen des alten Testaments. Wer diesen Zeugnissen nicht glauben will, von dem gilt noch immer die Anklage des Herrn, daß es ihm nicht um sein eignes ewiges und seliges Leben, sondern um Jesu Tod zu thun ist, daß er nur seine Ehre vor der Welt sucht und nicht die Verherrlichung Christi, daß er lieber falschen Propheten und Irrlehrern glaubt, die ihm schmeicheln, als dem wahren Propheten Gottes, der ihm die Wahrheit sagt, und darum auch nicht zu retten ist, sondern der Anklage und Verdammniß vor Gottes Thron entgegengeht. Furchtbarer Widerspruch! Man hält Jesum für einen guten, tugendhaften Menschen, und doch will man seinen Worten über seine Gottheit nicht glauben? Wo bleibt da noch der Glaube an die Tugend, wenn der Glaube an die Wahrhaftigkeit aufhört? Entweder ich glaube an Jesu Gottheit, dann kann ich auch an seine Tugend glauben, oder ich glaube an Seine Gottheit nicht, dann muß ich auch seine Tugend verwerfen. Es geht mit der Tugend und mit der Gottheit Christi, wie mit den Schriften Mosis und den Aussagen Christi. Wer Mosi glaubt, muß auch an Christum glauben, und wer an Christum nicht glaubt, muß auch Mosen verwerfen und ist weder Jude noch Christ, sondern ein unseliges Mittelding. Wie theuer bekräftigt Jesus mit dieser Erklärung die Wahrheit der Schriften Mosis! Wie bezeugt Er damit so deutlich die Uebereinstimmung des alten und neuen Testaments! Wie schließt Er, was Er in Bethesda begonnen mit der That, im Tempel fortgesetzt mit der außerordentlichen Rede, mit einem ernsten und erschütternden Fragezeichen an Alle! Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
Der erste Theil dieses Kapitels hält in sich die Geschichte von dem elenden Menschen, welcher achtunddreißig Jahre an dem Teich zu Bethesda krank gelegen - und doch in einer solchen langen Zeit keine Hilfe gefunden, bis endlich der rechte Meister zu helfen, Jesus, dahin gekommen und ihn gesund gemacht hat. Nachdem sich nämlich dieser Kranke hatte vernehmen lassen, er habe keinen Menschen, der sich seiner annehme, so hat er an dem Gottmenschen, Jesu Christo, denjenigen gefunden, der die Barmherzigkeit an ihm gethan.
Um deswillen soll denn auch heutzutage niemand, ob er gleich von aller Menschen Hilfe verlassen wäre, ganz und gar verzagen, sondern auf Gott und auf Jesum sein Vertrauen stellen - und glauben, die Hilfe, ob sie schon sey aufgeschoben, sey darum nicht aufgehoben.
Diejenigen aber, welchen Gott aus ihrem Kreuz und Jammer herausgeholfen hat, darein sie wegen ihrer Sünden gekommen sind, mögen an die Vermahnung gedenken, welche der Heiland jenem Kranken, da Er ihn in dem Tempel gefunden, in diesen Worten ertheilet: „Siehe zu, du bist gesund worden; sündige hinfort nicht mehr, daß dir nicht etwas Aergeres widerfahre.“ Denn da die Sünde uns in alles Unglück stürzet, müssen wir sie fliehen und meiden, wenn nicht Gott unsern Undank auf's neue strafen und heimsuchen soll.
Hierauf erzählet der Evangelist in dem andern Theil des Kapitels, wie Christus der HErr das vorbeschriebene Wunderwerk, an welchem sich die gottlosen Juden ärgerten, weil es eben am Sabbath geschehen war, vertheidigt und unter andern: ihnen verkündigt habe, daß Ihm von Seinem himmlischen Vater Gewalt und Macht gegeben sey, noch viel größere Wunder und Werke zu thun, nämlich Todte aufzuwecken - und dermaleinst das Gericht über die ganze Welt zu halten.
Hier finden wir sonderlich die wichtigen Glaubensartikel von der Auferstehung der Todten und dem jüngsten Gericht festgestellet. Denn der Sohn Gottes zeigt mit hellen, klaren Worten an, „es komme die Stunde, (verstehe: ganz gewiß und unfehlbar,) in welcher alle, die in den Gräbern sind, werden Seine, des HErrn Jesu, Stimme hören - und werden hervorgehen, die da Gutes gethan haben, zur Auferstehung des Lebens, die aber Nebels gethan haben, zur Auferstehung des Gerichts.“
Von dieser Wahrheit nun, daß Gott dermaleinst „richten werde den Kreis des Erdbodens mit Gerechtigkeit durch einen Mann, in welchem Er's beschlossen hat - und jedermann vorhält den Glauben, nachdem Er Ihn hat von den Todten auferweckt,“ nimmt der heilige Apostel zu Athen (im 17. Kap. der Apostelgesch.) Gelegenheit, alle Menschen zur Buße zu vermahnen, damit sie nicht zur Auferstehung des Gerichts erwachen mögen. Ebenso aber gereicht das billig allen gläubigen und frommen Christen zu großem Trost und mächtiger Versicherung ihrer zaghaften Gewissen, (da sie sich wegen ihrer begangenen und noch anklebenden, aber doch in einer göttlichen Traurigkeit bereueten und beseufzten Sünden auf das jüngste Gericht und vor dem Tod fürchten,) das also gereicht den gläubigen und frommen Christen zum Tröste und zur Gewissensversicherung, was Christus in den Worten meldet: „Wahrlich, wahrlich, Ich sage euch, wer Mein Wort höret - und glaubet dem, der Mich gesandt hat, der hat das ewige Leben - und kommt nicht in das Gericht, sondern er ist vom Tode zum Leben hindurchgedrungen.“
Darum sollen wir denn das Wort des HErrn Jesu, welches uns im heiligen Bibelbuch vorgetragen wird, hoch halten, weil wir allein aus demselben lernen können, wie wir der Verdammniß entrinnen - und durch Ihn, unsern Heiland, die Seligkeit erlangen müssen. „Suchet in der Schrift,“ spricht Er am Ende dieses Kapitels; „denn ihr meinet, ihr habt das ewige Leben darinnen, und sie ist's, die von Mir zeuget; und ihr wollt nicht zu Mir kommen, daß ihr das Leben haben möchtet.“ Es ist nämlich nicht genug, Gottes Wort äußerlich vor sich - oder nur im Gedächtniß bei sich zu haben. Man muß innerlich in seinem Herzen die Kraft desselben empfinden - und dadurch zu Christo, zu dessen lebendiger Erkenntniß und Nachfolge, in einem heiligen, gottseligen Leben und Wandel geführet werden. Wo das nicht geschiehet, so wird uns Moses sammt den Propheten, Evangelisten und Aposteln dermaleinst anklagen, daß wir ihr Zeugniß nicht, wie es seyn soll, angenommen und demselben gefolget haben.
Gott erleuchte uns je mehr und mehr, daß wir, durch die Kraft des heiligen Geistes von der Welt Sinn abgezogen, auf das Wort des Lebens Acht haben - und dadurch im Glauben, Leben und Sterben seliglich geleitet werden mögen. Amen. (Veit Dieterich)