Johannes, Kapitel 19

19:1 Da nahm Pilatus Jesum und geißelte ihn.
Weil der Landpfleger Pilatus nur etliche matte Versuche machte, Jesum, dessen Unschuld er erkannte, loszulassen, und bei der ganzen Sache wankelmüthig war, so ist es bei dem Gericht, das er über Jesum hielt, unordentlich hergegangen. Er sagte von Jesu: ich finde keine Ursache des Todes an ihm, darum will ich ihn züchtigen und loslassen. Worin diese Züchtigung hätte bestehen sollen, wissen wir nicht, vielleicht in harten Schlägen. Weil aber dieser Vorschlag von den Juden verworfen wurde, so gab er auf ihr ungestümes Begehren Barrabam los, aber Jesum übergab er ihrem Willen, Luk. 23,25. Er übergab Jesum den Juden, daß Er gegeißelt und gekreuzigt würde. Die Geisselung auf den bloßen rücken ging nämlich gewöhnlicher Weise vor der Kreuzigung her, und geschah entweder unterwegs, alldieweil der Verurtheilte zu dem Richtplatz hinausgeführt wurde, oder auch vorher. Weil also Pilatus beschlossen hatte, Jesum kreuzigen zu lassen, so nahm er Ihn, und geißelte Ihn, oder ließ Ihn durch seine Gerichtsdiener geißeln, alldieweil Er, wie die alten Schriftsteller sagen, an eine Säule angebunden war. Hierauf trieben die Soldaten ihren Muthwillen mit Jesu als einem zur Hinrichtung bestimmten Menschen. Sie legten Ihm einen Purpurmantel an, setzten eine Krone von Dornen auf Sein Haupt, gaben Ihm ein Rohr in die Hand u.s.w. Nach diesem Allem kam den Pilatus wieder eine Reue an, daß er den letzten Versuch machte, die Juden zu bewegen, daß sie in die Loslassung Jesu, den Er ihnen in Seiner erbärmlichen Gestalt zeigte, einwilligen möchten, ja er trachtete Jesum, nachdem er Ihn wieder in’s Richthaus hineinführen lassen, auch wider der Juden Willen loszulassen und hätte solches desto füglicher thun können, weil er zwar die Geisselung befohlen, übrigens aber das Todesurtheil noch nicht förmlich auf dem Richtstuhl über Jesum ausgesprochen hatte. Er wurde aber durch die drohende Rede der Juden, die sein Vorhaben merkten, davon abgeschreckt und verdammte hernach den gegeißelten Jesum wirklich zum Kreuzestod, Joh. 19,4-16.
Der HErr Jesus ist also vor der Kreuzigung nach der Weise der Römer gegeißelt worden. Man band Ihn an eine Säule: man entblößte Seinen heiligen Rücken, man geißelte Ihn so, daß Sein Rücken dadurch wund wurde. Das römische Bürgerrecht schütze den Paulus wider das Geißeln, Ap. Gesch. 22,25., aber Jesus hatte kein solches Bürgerrecht auf Erden; und Sein Recht, welches Er als der heilige und eingeborne Sohn Gottes hatte, wurde von den Menschen nicht erkannt. Menschen haben ihren Gott und Erlöser gegeißelt, da Er als ein Mensch unter ihnen war, und Er hat’s geschehen lassen, um auch durch die geduldige Uebernahme der damit verbundenen Schmach und Schmerzen unsere Versühnung und Gerechtigkeit zu sein. Dank sei Ihm für dieses Leiden. Der Heilige Geist mache es uns zu einer Trostquelle, aber auch zu einer Arznei wider den Stolz, wider die Wollust, und wider die Ungeduld, welche oft durch die Vorstellung eines Rechts, das wir zu haben meinen, unterstützt wird.(Magnus Friedrich Roos)

19:2 Und die Kriegsknechte flochten eine Krone von Dornen und setzten sie auf sein Haupt und legten ihm ein Purpurkleid an
Als die Soldaten des Pilatus den HErrn Jesum wegen Seiner königlichen Würde verspotteten, so flochten sie eine Krone von Dornen, und setzten sie auf Sein Haupt. Diese Dornenkrone sollte die spöttische Vorstellung einer mit Gold und Edelsteinen gezierten Krone sein, dergleichen die Könige tragen. Sie gaben Ihm ferner ein Rohr, welches ein goldenes Scepter bedeuten sollte, in Seine rechte Hand, und legten Ihm ein Purpurkleid, welches Matthäus einen Mantel nennt, an; weil damals die morgenländischen Könige solche purpurne Oberkleider trugen, die wegen ihrer rothen kostbaren Farbe einen besondern Werth hatten; wiewohl auch andere reiche Leute sich solcher Kleider bedienten (Luk. 16,19.). Die Soldaten ließen es aber an diesem Allem nicht bewenden, sondern fielen spottend auf die Kniee, und sagten: sei gegrüßt, lieber König der Juden! Sie speieten Ihn auch an, und nahmen das Roh, schlugen damit Sein Haupt, und gaben Ihm auch (mit den Händen) Backenstreiche. Welch’ ein angstvolles Erstaunen muß es bei diesen muthwilligen Leuten erweckt haben, wenn sie bei Leibesleben oder nach ihrem Tod vergewissert worden sind, daß Derjenige, den sie so mißhandelten, der Sohn des hochgelobten Gottes, und der Richter der ganzen Welt sei! Was aber nun den Purpurmantel anbelangt, den man Jesu anlegte, so können wir denselben mit dem weißen Kleid vergleichen, welches Ihm Herodes anziehen ließ. Dieses letztere sollte ein Zeichen Seiner Unschuld sein, doch steckte unter demselben auch ein bitterer Spott: denn wenn Herodes Jesum für unschuldig hielt, so hätte er Ihn loslassen können, weil er Sein Landesherr war, und Pilatus ihm denselben übergeben hatte. Hat er aber je den HErrn Jesum dem Pilatus aus Gefälligkeit zurückschicken wollen, so hätte er dessen Unschuld schriftlich oder durch einen seiner Hofleute bezeugen können.
Uns soll der Anblick des dem öffentlichen Spott in Seinem Purpurmantel ausgesetzten HErrn Jesu einen tiefen Eindruck geben. Er litt diesen Spott, weil wir wegen unserer Unreinigkeit und Bosheit, welche wir mit einer falschen Weisheit und falschen Tugend zuzudecken gewohnt sind, Spott und Schmach verdient haben. Er litt es, daß man Ihn mit Kleidern verhöhnte, weil die Kleiderpracht eine meistens unerkannte, aber doch gemeine Sünde unter den Menschen ist. Der Heilige Geist hat durch den Jesaias Kap. 3,18-23. den ganzen hoffärtigen Putz des israelitischen Frauenzimmers beschrieben, und nicht undeutlich zu verstehen gegeben, daß Gott ein Mißfallen daran habe, und deßwegen in Seinem Zorn ihn wegnehmen wolle. Auch hat der HErr Jesus nicht umsonst von dem reichen Mann gesagt, daß er sich bei seinem täglichen Wohlleben in Purpur und köstliche Leinwand (byssus) gekleidet habe, weil auch diese Kleiderpracht ein Zeichen seines eiteln Sinnes war. Wenn nun ein Mensch sich dieser Sünde in einem größern oder kleinern Grad schuldig gemacht hat, so soll er vor Jesu, welcher wegen derselben aus Spott einen Purpurmantel getragen hat, sich schämen und beugen, und Vergebung suchen, und hinfort der Hoffart redlich feind werden. Der HErr Jesus trug auch, indem Er noch frei unter den Menschen wandelte, eine Zeit lang bei einer tiefen Traurigkeit einen Sack, oder ein schlechtes Trauerkleid, und wurde darüber verspottet, Ps. 69,12. Seinen Nachfolgern gebührt es nicht, in hoffärtigen Kleidern einherzugehen, und bei Andern dadurch eine Bewunderung oder fleischliche Liebe zu erwecken. O wie wird Alles so gar verändert, ja mit dem Gegentheil verwechselt! Die Widersacher Jesu müssen mit Schmach angezogen werden, und mit ihrer Schande bekleidet werden, wie mit einem Rock, Ps. 109,29. Er aber wurde verklärt und diejenigen, die durch Seine Kraft Alles, auch das hoffärtige Leben überwinden, werden mit Ihm in weißen Kleidern wandeln, und Er wird ihre Namen aus dem Buch des Lebens nicht austilgen, sondern vor Seinem Vater und vor Seinen Engeln bekennen. Off. Joh. 3,4.5.(Magnus Friedrich Roos)


Wenn der Unglaube zum Muthwillen wird, so entsteht eine Spötterei daraus. Die Wahrheit scheint alsdann dem unglaubigen Menschen nicht nur falsch, sondern auch lächerlich und ungereimt zu sein, und deßwegen spottet er darüber, und solches kann sowohl durch Worte, als auch durch Werke geschehen. So ging’s im Richthaus Pilati, wo der HErr Jesus dem Muthwillen heidnischer Soldaten überlassen war. Diese hatten gehört, daß die vornehmste Anklage wider Jesum darin bestand, Er gebe Sich für einen König aus. Auch hatten sie vielleicht vernommen, daß Er vor dem Pilatus bekannt hatte, Er sei ein König. Und endlich hatten sie gehört, daß Pilatus, um der Juden zu spotten, und ihnen wehe zu thun, Ihn den König der Juden genannt habe. Ihnen kam es nun bei ihrem blinden Unglauben lächerlich vor, daß man von einem Mann, der als ein Gefangener wehrlos dastand, und der keinen bewaffneten Anhang hatte, sagen mochte, er sei ein König, und daß derselbe sich für einen König ausgebe. Sie flochten also, um Seiner zu spotten, eine Krone von Dornen, und setzten sie auf Sein Haupt. Durch die Spötterei wurde der HErr Jesus an Seiner Seele angegriffen, die Dornen aber verwundeten ohne Zweifel Sein heiliges Haupt, und verursachten Ihm an demselben empfindliche Schmerzen. Pilatus befahl seinen Soldaten nicht, diesen Muthwillen auszuüben, weil er ihn aber gestattete, so machte er sich dieser Sünde auch theilhaftig.
Diese Geschichte erinnert uns an das Wort Jesu: richtet nicht nach dem Ansehen; richtet ein rechtes Gericht. Der HErr Jesus hatte freilich im Richthause des Pilatus kein königliches Ansehen, und war doch König. So war Hiob auf allen Seiten bedrängt, Lazarus ein armer und kranker Bettler, Stephanus als ein Ketzer verdammt, und diese Alle waren doch Heilige und Geliebte Gottes. Die Griechen däuchte die Predigt von Christo dem Gekreuzigten und der Glaube an Ihn eine Thorheit zu sein, und doch lag die höchste Weisheit darin. Der Schein kommt nicht immer mit dem Wesen, und das Aeußerliche nicht immer mit dem Innerlichen überein. Eben der Jesus, dem die Soldaten des Pilatus eine Dornenkrone aufsetzten, erscheint Off. Joh. 19,12. als ein Solcher, dessen Augen wie eine Feuerflamme, und auf dessen Haupt viele Kronen sind. Und wie groß wird die Herrlichkeit sein, in welcher man Ihn zur Rechten auf dem Thron der Majestät im Himmel sehen wird!
Die Geduld, mit welcher Sich Jesus die Dornenkrone aufsetzen ließ, beschämt unsern Stolz, welcher gern Ehre von Menschen nimmt, und gegen Spott und Verachtung unlittig ist. Die Menschen meinen oft, sie seien Etwas, da sie doch Nichts sind. Sie betrügen sich selbst, sie betrügen einander, sie wollen den Schein von etwas haben, wovon sie doch das Wesen nicht besitzen. Dieses Alles ist Heuchelei, die Heuchelei aber wird zur Schande, wenn sie entdeckt wird. Deßwegen sagt die Schrift oft, daß die Unglaubigen am Tage des Gerichts werden zu Schanden werden. Dieser Schande zu entgehen gibt es kein anderes Mittel, als den Glauben an Jesum, welcher unsere Schande auf Sich genommen, und Sich, ob Er schon wahrhaftig, ja die Wahrheit selber war, gröblich schmähen und verspotten lassen, als ob Er ein Heuchler, Betrüger und Wahnsinniger gewesen wäre. Wer an Ihn glaubt, soll nicht zu Schanden werden, ja um Seinetwillen soll denen, die mit Geduld in guten Werken nach dem ewigen Leben trachten, Preis und Ehre und unvergängliches Wesen widerfahren. Röm. 2,7.(Magnus Friedrich Roos)

19:3 und sprachen: Sei gegrüßt, lieber Judenkönig! und gaben ihm Backenstreiche.

19:4 Da ging Pilatus wieder heraus und sprach zu ihnen: Sehet, ich führe ihn heraus zu euch, daß ihr erkennt, daß ich keine Schuld an ihm finde.

19:5 Also ging Jesus heraus und trug eine Dornenkrone und ein Purpurkleid. Und er spricht zu ihnen: Sehet, welch ein Mensch!
Wenn es irgendeinen Ort gibt, wo unser Herr Jesus auf das völligste als der Trost und die Freude seines Volkes dasteht, so ist es da, wo Er am tiefsten in den Abgrund der Schmerzen versenkt wurde. Kommet hierher, begnadigte Seelen, und schauet den Menschen im Garten Gethsemane; betrachtet sein Herz, das von Liebe so geschwellt wird, dass Er sie nicht mehr zurückhalten kann, das so von Schmerzen erfüllt ist, dass sie sich einen Ausweg bahnen müssen. Siehe seinen blutigen Schweiß; er dringt aus jeder Pore seines Leibes und fällt auf den Boden. Siehe den Menschen an, sie treiben Ihm die Nägel durch Hände und Füße.
Schauet empor, ihr reuevollen Sünder, und sehet das Jammerbild eures leidenden Herrn. Bemerkt ihr, wie auf seiner Dornenkrone die Rubintropfen stehen und das Diadem des Königs der Schmerzen mit unschätzbaren Juwelen schmücken?
Sehet, welch ein Mensch, wenn nun alle seine Gebeine sich zertrennet haben und Er ausgeschüttet ist wie Wasser und gelegt wird in des Todes Staub; Gott hat Ihn verlassen, und die Hölle hat Ihn umgeben. Schauet doch und sehet, ob irgendein Schmerz sei, wie sein Schmerz, der Ihn getroffen hat? Und alle, die ihr vorübergeht, kommt, und betrachtet diesen Anblick des Leidens, so einzig, so unerhört, ein Wunder vor Menschen und Engeln, ein unvergleichliches Wunderzeichen. Schauet an den Mann der Schmerzen, der seinesgleichen nicht hat noch kennt in seinen Todesleiden. Staunt Ihn an, ihr Trauernden, denn wenn in einem gekreuzigten Heiland euch kein Trost mehr erwächst, so gibt es keine Freuden mehr, weder im Himmel noch auf Erden. Wenn in dem Lösegeld seines Blutes keine Hoffnung mehr blüht, dann, ihr himmlischen Harfen, lebt keine Hoffnung mehr und keine Freude in euren Tönen, und zur Rechten Gottes wird man keine Wonne mehr finden in Ewigkeit. Wir müssen nur öfter und länger unter dem Kreuze stehen bleiben, wenn wir von unsern Zweifeln und Ängsten weniger gepeinigt sein wollen.
Wir brauchen nur in seine Wunden zu blicken, so heilen die unsern. Wenn wir fröhlich und getrost leben wollen, so können wir dies nur durch die Betrachtung seines Todes; wollen wir zur Herrlichkeit erhoben werden, so können wir dies nur, wenn wir seine Erniedrigung und sein Leiden betrachten. (Charles Haddon Spurgeon)


Was im Römer edel war und das Raubtier in ihm bändigte, war Humanität, die Ehrung des Menschlichen im Menschen, auch wenn er in den Staub getreten wird. Mochte der Christusname Jesu der Traum eines Wahnsinnigen sein, mochte er, am jüdischen Gesetz gemessen, todeswürdige Schuld sein, wie die Priester es behaupteten, Mensch war Jesus. Sogar der Jude ist für den Römer noch Mensch, sogar der mit Dornen gekrönte Christus ist es. Achtet den Menschen, sagt Pilatus, entehrt ihn nicht noch mehr; er hat genug gelitten. Aber an den Juden prallt der Appell an die Menschlichkeit ab. „Gott!“, das ist der Kampfruf, der Pilatus entgegentönt. Gottes Ehre wird verteidigt, Gottes Gesetz gehandhabt. Der, der sich an Gott vergangen hat, muss sterben. Diese Spannung kehrt in der menschlichen Geschichte immer wieder, Irregelöste Menschlichkeit und unmenschliche Religiosität wechseln miteinander ab und ringen miteinander. Auf der einen Seite steht der Humanismus, der den Menschen pflegt, dem aber an Gott nichts liegt, auf der anderen Seite der Fanatismus, der um Gottes Willen den Menschen zertritt. Wer hat in diesem Streit die Einigung? Jesus hat sie. Für wen starb er, für Gott oder für uns? So darf ich nicht fragen, ich würde so zerteilen, was Er geeinigt hat. Er ehrt den Vater, eifert für seine Ehre und bleibt unerbittlich von denen geschieden, die Gott das Seine rauben und ihm den Gehorsam versagen. Er dagegen verklärt den Vater, denn er bekennt sich zu ihm als dem Allmächtigen und allein Gerechten und barmherzig Vergebenden. Zugleich aber ehrt er den Menschen, bewahrt die Gemeinschaft mit ihm und nimmt die Schande seiner Sünde weg. „Seht, welch ein Mensch!“ Dem widersprach Jesus nicht; er bekennt sich zu uns. Ist nun sein Tod ein Opfer, das Gott mit uns versöhnt, oder ist er eine Wohltat, die uns mit Gott versöhnt? Er opfert sich dem Vater und begnadet uns mit einer und derselben Tat. Der Zorn weicht und die Schuld vergeht und der Glaube entsteht. Das ist ein einheitliches gnadenvolles Gotteswerk.
Herr, Du stellst Dich ganz zu uns und trittst an den Ort, der uns Menschen gebührt, und tust dies in der Sendung des Vaters mit Seiner Gnade. Darum bist Du unser Friede mit Gott. Amen. (Adolf Schlatter)

19:6 Da ihn die Hohenpriester und die Diener sahen, schrieen sie und sprachen: Kreuzige! Kreuzige! Pilatus spricht zu ihnen: Nehmt ihr ihn hin und kreuzigt ihn; denn ich finde keine Schuld an ihm.

19:7 Die Juden antworteten ihm: Wir haben ein Gesetz, und nach dem Gesetz soll er sterben; denn er hat sich selbst zu Gottes Sohn gemacht.

19:8 Da Pilatus das Wort hörte, fürchtete er sich noch mehr

19:9 und ging wieder hinein in das Richthaus und spricht zu Jesus: Woher bist du? Aber Jesus gab ihm keine Antwort.

19:10 Da sprach Pilatus zu ihm: Redest du nicht mit mir? Weißt du nicht, daß ich Macht habe, dich zu kreuzigen, und Macht habe, dich loszugeben?

19:11 Jesus antwortete: Du hättest keine Macht über mich, wenn sie dir nicht wäre von obenherab gegeben; darum, der mich dir überantwortet hat, der hat größere Sünde.

19:12 Von da an trachtete Pilatus, wie er ihn losließe. Die Juden aber schrieen und sprachen: Läßt du diesen los, so bist du des Kaisers Freund nicht; denn wer sich zum König macht, der ist wider den Kaiser.

19:13 Da Pilatus das Wort hörte, führte er Jesum heraus und setzte sich auf den Richtstuhl an der Stätte, die da heißt Hochpflaster, auf hebräisch aber Gabbatha.

19:14 Es war aber der Rüsttag auf Ostern, um die sechste Stunde. Und er spricht zu den Juden: Sehet, das ist euer König!

19:15 Sie schrieen aber: Weg, weg mit dem! kreuzige ihn! Spricht Pilatus zu ihnen: Soll ich euren König kreuzigen? Die Hohenpriester antworteten: Wir haben keinen König denn den Kaiser.

19:16 Da überantwortete er ihn, daß er gekreuzigt würde. Sie nahmen aber Jesum und führten ihn ab.
Die ganze Nacht hatte Er Ängste und Schmerzen ausgestanden, den frühen Morgen hatte Er im Palast des Kaiphas zugebracht, man hatte Ihn von Kaiphas zu Pilatus geschleppt, von Pilatus zu Herodes, und von Herodes wieder zurück vor Pilatus; nun waren seine wenigen Kräfte fast erschöpft, und doch wurde Ihm weder Ruhe noch Erholung gegönnt. Sie lechzten nach seinem Blut, und darum führten sie Ihn hinaus zum Tode, und luden Ihm das Kreuz noch auf. O Schmerzensweg! Wohl mögen Salems Töchter weinen. Meine Seele, weine auch du. Was lernen wir hier, wenn wir unsern teuren Heiland so hinwegführen sehen? Erkennen wir darin nicht jene Wahrheit, die uns im Bilde des „ledigen Bockes“ abgeschattet wird? Brachte nicht der Hohepriester den ledigen Bock und legte die Hände auf sein Haupt, und bekannte die Sünden des Volkes, auf dass so die Sünden möchten auf den Bock gelegt und vom Volke hinweggenommen werden? Dann wurde der Bock durch einen bestellten Mann in die Wüste geführt, und Er trug hinweg die Sünden des Volkes, so dass sie nicht mehr konnten gefunden werden, wenn man sie suchte. So sehen wir den Herrn Jesum vor die Priester und Ältesten geführt werden, und sie sprachen das Schuldig über Ihn aus; Gott selbst rechnet Ihm unsre Sünden zu: „Der Herr warf unser aller Sünde auf Ihn;“ „Er ist für uns zur Sünde gemacht,“ Er vertritt uns in unsrer Schuld, Er trägt unsre Sünde unter der Gestalt des Kreuzes auf seinen Schultern; wir sehen den großen „Bock der Erledigung“ hinweggeführt durch die bestellten Diener der Gerechtigkeit. Geliebte, habt ihr die gewisse Zuversicht, dass Er eure Sünde getragen hat? Wenn ihr das Kreuz auf seinen Schultern erblickt, erkennt ihr darin eure Sünde? Es gibt einen Weg, wie ihr gewiss werden könnt, ob Er eure Sünde getragen hat oder nicht. Habt ihr Ihm die Hand aufs Haupt gelegt und Ihm eure Sünde bekannt und auf Ihn vertraut? Dann lastet eure Sünde nicht auf euch; sie ist ganz und gar durch die köstliche Zurechnung auf Christum übertragen, und Er trägt sie auf seinen Schultern. Lasst dies Bild nicht in eurer Seele erblassen, bis dass ihr euch eurer Erlösung freuet, und betet den liebenden Erlöser an, der eure Missetat getragen hat. (Charles Haddon Spurgeon)

19:17 Und er trug sein Kreuz und ging hinaus zur Stätte, die da heißt Schädelstätte, welche heißt auf hebräisch Golgatha.

19:18 Allda kreuzigten sie ihn und mit ihm zwei andere zu beiden Seiten, Jesum aber mitteninne.
Auch dieses gehörte zu der Schmach, die man Jesu anthat, daß man Ihn zu dem gewöhnlichen öffentlichen Richtplatz hinausführte, und allda kreuzigte. Es hieß dieser Platz Golgatha oder Calvaria, weil er ein runder Hügel war, und die Gestalt einer menschlichen Hirnschale hatte. Er lag außer dem Lager oder außer der Stadt Jerusalem, und daraus zieht Paulus Hebr. 13,13. den Schluß, daß auch wir zu Jesu hinausgehen sollen außer dem Lager, und Seine Schmach tragen. Jesus wurde nämlich als ein Verbannter und Unreiner, oder als Einer, der nicht werth wäre, mit dem Volk Israel, mit der Stadt Jerusalem und mit dem Tempel in einer Gemeinschaft zu stehen, den Heiden übergeben, und an einen unreinen Ort zur Stadt Jerusalem hinausgeführt; die Christen aber sollten zur Zeit Pauli, da die Juden noch mächtig und trotzig waren, und Jerusalem und der Tempel noch stand, freiwillig aus Jerusalem, das ist aus dem Judenthum ausgehen, sich zu dem gekreuzigten Heiland bekennen, in Ihm, und nicht in dem irdischen Jerusalem und Tempel ihr Heil suchen, und sich bei ihrem Glauben an Jesum und bei ihrem brüderlichen Umgang mit den Glaubigen aus den Heiden, gern auch für unreine und verbannte Leute halten lassen, folglich die Schmach Jesu tragen. Sie sollten mit ihrem Herzen nicht an Jerusalem und dem Land Kanaan hangen, weil sie doch hier keine bleibende Stätte haben, sondern die zukünftige suchen, Hebr. 13,14.
Man kreuzigte mit Jesu zween Andere zu beiden Seiten. Diese zween Andere waren Missethäter, und zwar Schächer oder Mörder, die bei dem Straßenraub Mordthaten begangen hatten. Einer unter denselben sagte selber zu seinem Kameraden: wir empfangen, was unsere Thaten werth sind. Hiemit wurden denn die Weissagungen Jes. 53,12. erfüllt: Er ist den Uebelthätern (den Malefikanten) gleich gerechnet worden. Der HErr Jesus erinnerte sich dieser Weissagung selber, ehe sie erfüllt wurde, Luk. 22,37., und wußte also, daß Er wie ein Malefikant behandelt, und in der Malefikanten-Gesellschaft sterben werde. Tiefer hätte sich Jesus in der menschlichen Gesellschaft nicht erniedrigen können. Der ärmste Bettler und der ekelhafteste Kranke dünkt sich noch besser zu sein, als ein Malefikant. Jenem gönnt man noch die Verlängerung seines Lebens: diesen aber sieht man als einen Menschen an, der aus der Gemeinschaft der Lebenden ausgestoßen werden soll. Wer will nun sagen, daß der HErr Jesus sich eines Menschen schäme, oder Jemand wegen seines schlechten Standes äußere, oder einen greulichen Sünder, der sich zu Ihm wenden will, zurückstoßen werde. Ist Er doch ohne Murren einmal in der Gesellschaft der Malefikanten gewesen, und hat einen derselben noch vor Seinem Ende begnadigt und damit getröstet, daß er selbigen Tages noch mit Ihm im Paradies sein werde. Auch dieser Umstand, daß Er zwischen zween Malefikanten gekreuzigt wurde, hatte etwas zu bedeuten. Er mochte auf die rechte oder linke Seite sehen, so sahe Er einen von ihnen. Auch konnte Er ihre, und sie konnten Seine Worte in dieser Stellung leicht vernehmen. Er streckte Seine Arme am Kreuz aus, wo sie angenagelt waren, und war von der Erde erhöhet. Wenn Er uns so durch’s Evangelium vor die Augen gemalt wird, so werden wir angemahnt, daß Er die ganze Welt gleichsam mit den Armen Seiner Liebe umfassen, und diejenigen, die sich selig machen lassen, zu Sich, und zugleich von der Erde himmelwärts ziehen wolle.(Magnus Friedrich Roos)

19:19 Pilatus aber schrieb eine Überschrift und setzte sie auf das Kreuz; und war geschrieben: Jesus von Nazareth, der Juden König.
Pilatus, der die Juden in seinem Herzen haßte, und den es verdroß, daß sie ihn durch ihr ungestümes Geschrei genöthigt hatten, Jesum zum Tod zu verdammen, spottete ihrer durch die Ueberschrift, die er auf das Kreuz Jesu setzen ließ, und sie merkten auch diesen Spott, und baten den Pilatus, er solle sie ändern, und schreiben: Jesus von Nazareth, der gesagt hat: er sei der Juden König; Pilatus aber antwortete: was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben. So weit war’s also mit dem HErrn Jesu gekommen, daß Pilatus mit Seinem Namen der Juden spotten konnte. Sie hatten dem Pilatus vornämlich diese Klage wider Jesum vorgetragen, daß Jesus sage, Er sei Christus, ein König; und Pilatus hatte hierauf Jesum gefragt: bist du der Juden König, und freilich hatte die Anklage selbst diesen Sinn, wiewohl die Juden ihren eigenen Namen dabei zu nennen sich schämten. Als auch Pilatus sie fragte: soll ich euren König kreuzigen? so protestirten sie wider diese Worte: euren König und sagten: wir haben keinen König, denn den Kaiser, gleichwie sie hernach wider die Ueberschrift, die auf das Kreuz Jesu gesetzt wurde, protestirten. Die Juden schämten sich also des HErrn Jesu, und wollten nicht, daß Er ihr König heiße. Wie sieht /es nicht jetzt unter den Christen aus? Schämen sich nicht Viele des HErrn Jesu? Ist es nicht so weit gekommen, daß man sich lieber zu diesem oder jenem großen oder gelehrten Mann bekennt, als zu dem HErrn Jesu? Nach einem Menschen, der ein Sünder ist, will man sich bilden, ihm will man folgen, von seiner Partei will man sein, nach ihm will man genennet werden; aber des HErrn Jesu schämt man sich. An Ihn von Herzen glauben, Ihm dienen und Sein Bild an sich tragen, däucht Manche eine große Schande zu sein. Es müssen auch Alle, die Jesum lieben, ihren Namen an das Kreuz Jesu heften lassen, wenn sie Ehre bei Gott haben wollen. Wenn die Menschen Ehre von einander nehmen, wenn Jeder nach eitler Ehre geizig ist und über seinem eigenen Namen eifert, so ist’s ein thörichter Stolz. Lasset uns vor das Lager der Welt hinausgehen und Seine Schmach tragen. Der Name eines frommen Christen, der auf Erden an’s Kreuz Jesu geheftet worden, ist im Himmel in’s Buch des Lebens geschrieben, und der HErr Jesus wird ihn am jüngsten Tag bekennen vor Seinem Vater und vor Seinen Engeln.
Die Ueberschrift, welche Pilatus auf das Kreuz Jesu setzen ließ, war auch ein Zeugniß von Seiner Unschuld. Auf die Kreuze, an welchen die zwei Uebelthäter aufgehängt wurden, waren auch Ueberschriften gesetzt, welche nebst ihren Namen anzeigten, daß sie Mörder oder Straßenräuber seien. Von Jesu wußte aber Pilatus nichts zu schreiben, als daß Er der Juden König sei; aber in demjenigen Verstand, in welchem Pilatus es schrieb, war es von den Juden nicht bewiesen, und von Jesu nie eingestanden worden. Diese Ueberschrift zeigte also an, daß Pilatus keine Schuld an Jesu gefunden habe. Viele Juden lassen dieselbe, und konnten dadurch gerührt und zum Nachdenken gebracht werden; denn sie wußten besser als Pilatus, daß das Wort König hier den Messias bedeute, gleichwie sie auch in ihrer Anklage die Namen Christus und König zusammengesetzt hatten. Nun bist Du der Gesalbte, HErr Jesu, Du bist der König aller Könige. Dich bete ich an, Dir will ich auch heute gehorsam sein.(Magnus Friedrich Roos)

19:20 Diese Überschrift lasen viele Juden; denn die Stätte war nahe bei der Stadt, da Jesus gekreuzigt ward. Und es war geschrieben in hebräischer, griechischer und lateinischer Sprache.
Unter den vielen Sprachen, welche auf Erden sind, sind die drei wichtigsten, die ebräische, griechische und lateinische, weil sie durch das Kreuz Christi geheiligt und gesegnet worden. Unter diesen drei Sprachen ist zwar die lateinische die dritte und letzte, doch behält sie eben dadurch vor den übrigen Sprachen den Vorzug. Weil wir in einer solchen Zeit und in einer solchen Gegend leben, da vieles zwar weit besser sein könnte, gleichwohl aber da noch manches Gute zu finden ist, so darf man sich nicht verwundern, daß man bei jungen Leuten so sehr auf die lateinische Sprache drückt, ja, daß die beiden Hauptsprachen, nämlich die hebräische und die griechische vermittelst der lateinischen erlernt werden. Es ist keine Sache, darinnen man sich so viel Mühe gegeben, sie junge Leuten zu lehren, als die lateinische Sprache, indem sehr viele Bücher davon geschrieben, und viele Anweisungen und Anstalten darüber vorhanden sind. Es würde deßwegen Einem schwer sein, anstatt der lateinischen Sprache etwas Anderes bei jungen Leuten an deren Stelle zu setzen, wodurch sie in einen Fleiß gebracht und darinnen erhalten, wodurch ihre Memorie, Ingenium und Iudicium ausgebildet, und wodurch sie zu Wissenschaften und Aemtern vorbereitet werden, auch die Muttersprache recht erlernt und vervollkommnet werden möchte. Ungeachtet man nun sich schon vielfältig und lang darüber beschwert, daß junge Leute durch die Erlernung der lateinischen Sprache als einer heidnischen und stummen Sprache unnöthig geplagt werden, so geht es doch noch immer fort und wird die lateinische Sprache vor der hebräischen und griechischen auch wohl den Vorzug bis auf den Untergang Roms behalten. (Johann Friedrich Flattich)

19:21 Da sprachen die Hohenpriester der Juden zu Pilatus: Schreibe nicht: „Der Juden König “, sondern daß er gesagt habe: Ich bin der Juden König.

19:22 Pilatus antwortete: Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben.

19:23 Die Kriegsknechte aber, da sie Jesus gekreuzigt hatten, nahmen sie seine Kleider und machten vier Teile, einem jeglichen Kriegsknecht ein Teil, dazu auch den Rock. Der Rock aber war ungenäht, von obenan gewirkt durch und durch.

19:24 Da sprachen sie untereinander: Laßt uns den nicht zerteilen, sondern darum losen, wes er sein soll. (Auf daß erfüllet würde die Schrift, die da sagt: „Sie haben meine Kleider unter sich geteilt und haben über meinen Rock das Los geworfen.“) Solches taten die Kriegsknechte.

19:25 Es stand aber bei dem Kreuze Jesu seine Mutter und seiner Mutter Schwester, Maria, des Kleophas Weib, und Maria Magdalena.

19:26 Da nun Jesus seine Mutter sah und den Jünger dabeistehen, den er liebhatte, spricht er zu seiner Mutter: Weib, siehe, das ist dein Sohn!
Wir verwundern uns billig, daß Maria, die Mutter Jesu, als eine arme und nunmehr betagte Wittwe es gewagt habe, auf den Richtplatz Golgatha hinaus zu gehen, und daselbst vor das Kreuz Jesu hin zu stehen. Wäre sie von einem der spottenden und tobenden Juden erkannt worden, so wäre ihr ohne Zweifel übel begegnet worden, und der Apostel Johannes, der bei ihr stand, hätte sie so gar nicht schützen können, daß er vielmehr ein Mitgenossen ihrer Leiden worden wäre. Ueberdieß mußte sie hier den Anblick des entblößten, verwundeten und an’s Kreuz genagelten Leibes Jesu ertragen, und die greulichsten Schmachreden hören, womit man Ihn beleidigte. Warum hat sich nicht die heilige Maria, durch deren Seele damals ein Schwert drang, in einem Winkel verborgen, in welchem sie wenigstens nichts Kränkendes gesehen und gehört hätte? Warum hat sich nicht auch der Apostel Johannes so zurückgezogen und verborgen? Ohne Zweifel war es diesen zwei heiligen Personen darum zu thun, daß sie das Verhalten Jesu in Seiner tiefsten Noth beobachten, Seine letzten Worte hören, und den Ausgang Seiner unbegreiflichen Leiden, deren Ursache und Frucht ihnen noch nicht ganz klar war, sehen möchten. Was können aber auch wir Besseres thun, als daß wir im Geist bei dem Kreuz Jesu stehen, und Ihn ansehen, wie Er als ein Marterbild, als verwundet und bluttriefend, und als versunken in die tiefste Traurigkeit daran hing? Denn Christus wird uns deßwegen in dieser Gestalt von den vier Evangelisten vor die Augen gemalt, damit wir Ihn so ansehen können. Freilich würde dieser Anblick uns nichts nützen, wenn nicht der Heilige Geist uns durch das Evangelium belehrte, daß dieser Gekreuzigte der Sohn Gottes und der Mittler zwischen Gott und Menschen sei, und daß Er Sich an diesem Kreuz selber für unsere Sünden geopfert habe. Die Kreuzesgestalt Jesu lehrt uns, daß unsere Sünden groß und greulich seien, und daß kein Mensch durch irgend ein Werk oder Leiden dieselben büßen und tilgen könne. Vor dem heiligen und gerechten Gott wäre das ganze menschliche Geschlecht immer verwerflich geblieben, wenn Christus nicht für dasselbe gekreuzigt worden wäre. Aber welche Liebe, welche Liebe des Vaters, welche Liebe des Sohnes leuchtet aus diesem Kreuzestod heraus! Hier findet eine Menschenseele, die sich als sündig und verdorben fühlt, durch den Glauben Gnade und Frieden. Hier kann sie durch die Liebe des Vaters und Christi gedrungen werden, nicht mehr sich selbst, sondern Demjenigen zu leben, der für sie gestorben und wieder auferstanden ist. Unter dem Kreuz Jesu geschieht also die Rechtfertigung eines Sünders, und entsteht zugleich seine wahre Heiligung. Oeffne mir die Augen, o Gott, der Du das wesentliche Licht bist, daß ich in Deinem Licht meinen gekreuzigten Heiland immer deutlicher erblicken und immer völliger kennen könne, wie Er mir zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung gemacht ist. (Magnus Friedrich Roos)

19:27 Darnach spricht er zu dem Jünger: Siehe, das ist deine Mutter! Und von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich. 1) 2); 3); 4): 5)
Frauen waren die Letzten am Kreuz und die Ersten am Grabe. Kein Frauenmund verleugnete den Herrn. Keine Frauenhand schlug ihn. Aber-Frauen vergossen bittere Tränen um ihn. Sie blickten zu ihm empor, mitleidig, erschrocken, liebevoll. Gott segne die Marias! Wenn wir so viele von ihnen unter dem Kreuz sehen, dann drängt es uns, den Namen Maria zu ehren.
Was für ein trauriger Anblick! Nun erfüllte sich das Wort des Simeon: »Siehe, dieser wird gesetzt zum Fall und Auferstehen vieler in Israel und zu einem Zeichen, dem widersprochen wird-und auch durch deine Seele wird ein Schwert dringen-auf dass vieler Herzen Gedanken offenbar werden« (Luk 2,34 f.). Dachte der Heiland, mit einem Seitenblick auf Johannes: Mutter, du verlierst zwar einen Sohn, aber da drüben steht schon ein anderer, der statt meiner dein Sohn sein soll? Jedenfalls sprach er: »Weib, siehe, das ist dein Sohn!«
Und zu dem Jünger Johannes gewandt: »Siehe, das ist deine Mutter!« Heißt das nicht: Nimm sie als deine Mutter an; sei du an meiner Stelle ihr Sohn; sorge für sie, wie ich gesorgt habe? Wer Christus mehr als andere liebt, erhält den ehrenvollen Auftrag, für die Gemeinde und für die Armen zu sorgen. Denke nie von einem bedürftigen Verwandten oder Freund, von einer Witwe oder einem Waisenkind: Sie belasten mich zu sehr. Nein! Sage: »Es ist mir eine Ehre; der Herr hat sie meiner Fürsorge anvertraut.«
So dachte Johannes. Laßt uns auch so denken! Jesus erwählte sich den Jünger, den er am meisten liebte, damit er für Jesu Mutter sorgte. Heute noch erwählt er sich Menschen, die ihn mehr als andere lieben, und bringt die Armen unter den Schutz ihrer Flügel. Nimm sie mit Freuden auf! Behandle sie gut!
»Von der Stunde an nahm sie der Jünger zu sich.« Hast du etwas anderes erwartet? Nein! Johannes liebte seinen Herrn von ganzem Herzen. (Charles Haddon Spurgeon)

19:28 Darnach, da Jesus wußte, daß schon alles vollbracht war, daß die Schrift erfüllt würde, spricht er: Mich dürstet! 6); 7); 8); 9)
Aus tiefster Leibes- und Seelennot heraus ruft der heilige Dulder: Mich dürstet! Gott klagt Er Seinen brennenden Durst. Eine schwere Arbeit hatte Er getan, heiße Kämpfe waren bestanden, nun schwanden Seine Kräfte. Was lag nicht alles hinter Ihm! Die Gefangennahme, der furchtbare Kampf in Gethsemane, die unerhörten Qualen am Kreuz, der große Blutverlust; das Verlassensein von Gott, die Leiden und Schmerzen alle, die Er nach Leib und Seele ausgestanden, mussten alle Säfte verzehren. Nach Gottes vorbedachtem Rat und Willen sollte unser Erlöser auch dieses Opfer bringen. Zu Seinem Versöhnungsleiden gehörte auch dieser quälende Durst. Tretet her, alle Aufrichtigen! Sühnt nicht Jesus mit Seinem Dürsten die Sünden unseres Leibes? Gaumensünden, Magensünden - wieviel Unheil richten sie an! Jeder einzelne Zug im Leiden unseres Herrn ist eine gewaltige Predigt an unser Herz. Nackt hängt Er an unserer Statt am Kreuz. Leg ab deine Kleiderpracht, deine Eitelkeit, deine Wollust. Mich dürstet! klagt unser Erlöser. Schäme dich deines Triebes zur Üppigkeit, zum Wohlleben, zum Übermaß im Essen und Trinken. Alle unordentlichen Begierden finden ihr Gericht. Denke an den reichen Mann am Orte der Pein! Der Durst gehört zu den größten Qualen. Jetzt kannst du noch Erlösung finden; o, dass du einst nicht unaufhörlich schmachten und dürsten müssest! An deiner Statt mußte Christus diesen Durst erleiden; deine Strafe liegt auf Ihm. Da darfst du wohl ausharren unter dem Kreuze. Hier gibt's für dich viel zu lernen. (Markus Hauser)

19:29 Da stand ein Gefäß voll Essig. Sie aber füllten einen Schwamm mit Essig und legten ihn um einen Isop und hielten es ihm dar zum Munde. 10)
Als der HErr Jesus bei Seiner Hinausführung zur Kreuzigung auf den Richtplatz Golgatha gekommen war, gaben sie Ihm, wie Matthäus Kap. 27,34. erzählt, Essig zu trinken mit Gallen vermischt. Allein Er nahm’s nicht an. Er schmeckte den Essig, oder nahm etwas davon in den Mund, wollte aber, ungeachtet Ihn sehr dürstete, nichts davon trinken, oder hinunterschlucken, weil Sein Leib keine Labsal durch diesen Trunk bekommen hätte, und Er Seine Sinnen durch die Myrrhen nicht betäuben wollte.
Der HErr Jesus hatte also schon damals einen großen Durst, und die Bosheit Seiner Feinde verstattete Ihm nicht, vor der Kreuzigung denselben zu löschen. O wie angenehm wäre Ihm damals ein Trunk kalten Wassers gewesen! Aber Er bekam Keinen. Sein Durst währte fort, als Er am Kreuze hing, und es wurde erfüllt, was Ps. 22,16. geweissagt war: meine Kräfte sind vertrocknet, wie eine Scherbe, und meine Zunge klebet an meinem Gaumen. Er litt diesen Durst stillschweigend. Endlich, als Er wußte, daß schon Alles vollbracht war, daß die Schrift erfüllt würde, sprach Er: Mich dürstet. Er wußte also, daß Er aus der Tiefe Seines Leidens, wodurch Er Alle davon handelnde Weissagungen der Propheten erfüllt hatte, nunmehr allmälig heraufsteigen dürfe, und begehrte also durch das Wort: Mich dürstet, etwas zu trinken. Da stund nun, wie Johannes ferner erzählt, ein Gefäß voll Essig, dergleichen die Soldaten in den heißen Ländern zu trinken pflegten. Einer aber, der sah, daß man Seinen Mund mit einem Krug nicht erreichen konnte, füllte einen Schwamm mit Essig, und legte ihn um einen Ysopen, dessen Stängel hohl, und also ein Rohr war, und hielt es ihm dar zum Munde. Hier war also weder Myrrhe noch Galle. Es war Essig, vermuthlich mit Wasser vermengt, wodurch ein Durstiger, der nicht zärtlich ist, gelabt werden kann. Ein gewisser Mann, vermuthlich ein Soldat, wendete auch Fleiß und Mühe an, Ihm diese Labsal beizubringen: wiewohl Er und Andere hiebei die Spotrede: halt, laß sehen, ob Elias komme, und Ihm herabhelfe, vorbrachten. Jesus nahm den Essig, und saugte zur Anfeuchtung Seines Mundes etwas aus dem Schwamm heraus; weil Er aber bei der Einsetzung des heil. Abendmahls gesagt hatte, Er werde von dem Gewächs des Weinstocks nicht mehr trinken u.s.w., so ist gewiß, daß dieser Essig seinen Ursprung nicht vom Weinstock, sondern von einer andern Pflanze gehabt habe. Dank sei unserem HErrn für Seine geduldige Ertragung Seines großen Dursts, wodurch Er unsere Lüsternheit und Uebermaaße im Essen und Trinken gebüßt hat. Der Heiland hat, als Er noch unter den Menschen wandelte, auch gefastet (Ps. 69,11.) und zwar nicht nur an den allgemeinen jüdischen Fasttagen (denn darüber wäre er nicht verspottet worden), sondern außerordentlich und nach Seinem eigenen Belieben. Seinen heiligen Casteiungen, Seinem erlittenen Hunger und Durst haben wir’s nun zu danken, daß wir mit Danksagung essen und trinken dürfen, ja, daß wir in der seligen Ewigkeit mit dem verborgenen Manna gespeiset, und mit Wasser des Lebens getränkt werden. (Magnus Friedrich Roos)

19:30 Da nun Jesus den Essig genommen hatte, sprach er: Es ist vollbracht! und neigte das Haupt und verschied. 11); 12); 13); 14); 15)
So beschreibt Johannes den Ausgang des Leidens und Lebens Jesu am Kreuz; Lukas aber meldet Kap. 23,46., Er habe nach dem Wort: es ist vollbracht, auch noch laut ausgerufen: Vater, Ich befehle Meinen Geist in deine Hände, und sei alsdann verschieden. Das Wort: es ist vollbracht, war kurz, aber von einer sehr großen Bedeutung. Vorher sagte Johannes V. 28., Jesus habe gewußt, daß schon Alles vollbracht sei, daß die Schrift erfüllet würde, oder was zur Erfüllung der Schrift nöthig sei. Indem Er also sagte: es ist vollbracht, gab Er Seinem himmlischen Vater Rechenschaft wegen Seines Lebens und Leidens, daß es zur Erfüllung der Schrift hinreichend, folglich die Wahrheit Gottes dadurch bestätigt, und Sein Rath ausgeführt worden sei. Schon bei Seiner Taufe hatte Er gesagt, es gebühre Ihm, alle Gerechtigkeit zu erfüllen, und Joh. 4,34.: Meine Speise ist die, daß Ich thue den Willen deß, der Mich gesandt hat, und vollende Sein Werk. Es war also immer bei Ihm auf etwas Ganzes, auf eine Vollendung angesehen. Nun hatte Er schon Joh. 17,4. in der Rücksicht auf Seinen Wandel unter den Menschen und auf Sein geführtes Lehramt zu Seinem himmlischen Vater gesagt: Ich habe Dich verklärt auf Erden und vollendet das Werk, das Ich thun sollte. Es war damals noch Sein letztes wichtiges Leiden übrig; da aber auch dieses vorbei war, sagte Er: es ist vollbracht, da Er denn freilich Sein ganz nahes Sterben auch mit einrechnete, und die wenigen Augenblicke, die bis dahin noch verfloßen, für keine Zeit mehr achtete. Er sprach aber das Wort: es ist vollbracht, mit einem Herzen aus, das aus der vorigen Beklemmung und Finsterniß empor stieg, und nun der nahen Ruhe zueilte. Das Werk, das Er hatte vollbringen sollen, war freilich ein sehr schweres Werk gewesen, sonderlich nach dem letzten Theil desselben; Er hatte es auch im lautersten Gehorsam gegen Seinen himmlischen Vater und in großer Treue gegen uns, deren Erlösung es betraf, vollendet, folglich nicht voreilig abgebrochen, nichts dabei übereilt und übergangen; doch war Er nun froh, daß Er nun sagen konnte: es ist vollbracht. Aber auch für uns ist dieses Wort des Heilands sehr tröstlich; denn wir wissen nun, daß Er mit einem Opfer vollendet, das ist vollkommen erlöset und mit Gott versöhnt habe alle, die geheiligt werden, so daß man zu diesem Seinem Werk nichts hinzu zu thun hat, und es für Alle, die selig werden wollen, ein genugsamer und fester Grund des Glaubens und der Hoffnung ist.
Zwischen der Schöpfung, welche vollendet worden, und zwischen der Verherrlichung, welche geschehen wird, steht die Erlösung mitten inne, welche von Christo vollbracht worden ist. Nach der Vollendung der Schöpfung folgte die Ruhe Gottes. Auch Christus ruhete, da Er Seine Arbeit vollbracht hatte; und wenn von dem Werk der Verherrlichung wird gesagt werden können: es ist geschehen, Off. 21,6., so werden alle verherrlichten Geschöpfe zu ihrer völligen Ruhe kommen, Hebr. 4,10.11. Gott treibt Alles bis zum Ziel.
Als Jesus gesagt hatte: es ist vollbracht, neigte Er das Haupt, wie ein Sterbender zu thun pflegt, und verschied. Er starb also wahrhaftig, und da Er uns in Allem, außer der Sünde, gleich werden wollte, so nahm Er auch die gewöhnliche Geberde eines Sterbenden, hernach aber auch die Gestalt eines Todten an sich. Wir sollen uns nicht weigern, Ihm auch hierin ähnlich zu werden.(Magnus Friedrich Roos)


Das war ein wunderbarer Augenblick, da Jesus Sein Haupt neigt, und nun sein Geist entweicht, wie hinausgescheucht von der Menschheit. Aber Er läßt sich doch nicht wegscheuchen. Sie jagen Ihn fort, und Er läßt sich nicht verjagen. Er bleibt doch der Ihrige. Wer Ihn ruft, dem ist Er zur Hand. Denn es ist, als sagte Er: „Ich bin dennoch euer Bruder (Joh.20,17); ihr könnet mir mein Brudersein nicht nehmen; denn Ich bin's.“ Wer Ihn nun seinen Bruder seyn läßt, und sich zu das zu Nutze machen will, der hat Ihn, und kommt durch Ihn hinauf zur Herrlichkeit des Vaters. Wer aber fortfährt, Ihn wegzuscheuchen, Ihm gleichsam den Odem zu nehmen trachtet, wie Seine Feinde es getan, - natürlich, zuletzt, zuletzt muß er von dem auch wegbleiben. Dann wehe solchem! O, daß wir's ergreifen möchten und festhalten, was der heutige Tag uns geben soll, und daß wir auch durch das heilige Mahl, das wir empfangen, möchten eine neue Lebenskraft bekommen, einen neuen Zug zu Ihm, daß wir nicht von Ihm lassen können, auch wenn wir wollten. (Christoph Blumhardt)


Wir haben dem heiligen Dulder viel Arbeit gemacht mit unseren Sünden, wir haben Ihm viel Mühe bereitet mit unseren Missetaten. Als das Lamm Gottes hat Er dort in Gethsemane den ganzen Gräuel unserer Schuld und Sünde, die ganze Last unserer Missetaten auf sich genommen. Jesu reine Seele trank den überaus bitteren Kelch, den Ihm der Vater reichte. Immer näher rollten die schwarzen Leidenswogen heran, immer entfesselter und furchtbarer gebärdete sich die Macht der Finsternis. Der Herr sah alles kommen, Er wusste, was Seiner wartete; und doch durfte Er dieser Höllenflut nicht ausweichen, Er wollte und mußte in diesen Feuerstrom hinein, ja, Er wollte und mußte mitten hindurchgehen! Da bebte und zitterte Er. Um und um war seine Seele bekümmert bis an den Tod, Angst und Grauen befiel Ihn, es schien, als müsste sich Seine Person in diesem schrecklichen Feuer auflösen Aber Sein Wille ruhte ganz in dem Willen Seines Vaters, diesen Willen wollte Er um jeden Preis tun. Wieviel Ihn dies aber gekostet hat, das ersehen wir aus Seinem tiefen Seelenleiden. Alles, was nach Gottes Ratschluss zu der Menschheit Errettung erforderlich wäre, wollte Er durchkämpfen, tragen, dulden, über sich ergehen lassen. Aber dieser Kelch war so bitter, diese Last so schwer, die Pfeile der finsteren Macht waren so giftig und scharf, dass Er darunter zusammenzubrechen drohte. Was kein Mensch und kein Engel hätte vollbringen können, das hat der leidende Sohn Gottes für uns vollbracht. Gelobt sei Er! Was Er vollbracht hat, das müssen wir nicht vollbringen. Keiner kann sich selbst, keiner seinen Bruder erlösen. (Markus Hauser)


Als Moses die Schöpfung der Welt beschrieben hatte, so setzte er 1 Mos. 2,2. hinzu: also vollendete Gott am siebenten Tage Seine Werke, die Er machte, und ruhete am siebenten Tag von allen Seinen Werken, die Er machte; und als Johannes die Erscheinung eines neuen Himmels und einer neuen Erde und des neuen Jerusalems beschrieben hatte, so setzte er Offenb. 21,5.6. hinzu: der auf dem Stuhl saß, sprach: siehe, ich mache Alles neu; und Er spricht zu mir: schreibe, denn diese Worte sind wahrhaftig und gewiß. Und Er sprach zu mir: es ist geschehen. Ich bin das A und das O, der Anfang und das Ende. Gott hat also bei der Schöpfung Seine Werke vollendet, und am Ende der Welt macht Er Alles neu, und spricht: wie man am Ende eines großen Werkes zu sagen pflegt: es ist geschehen. Nach der Schöpfung war wegen der Sünde, die in die Welt eingedrungen war, eine Erlösung nöthig, und dieser Erlösung ist der Grund der großen Erneuerung und Verherrlichung, von welcher Offenb. 21. die Rede ist, und in welche die Vollendung des guten Werkes, welches Gott in einem jeden Auserwählten einmal anfängt und hernach fortführt, eingeschlossen ist, Phil. 1,6. Die Erlösung kostete den HErrn Jesum ein unbeschreiblich schweres Leiden. Welch‘ eine Liebe und Treue und welch‘ eine große Geisteskraft wendete Er also an, um darin so lange auszuharren, bis Er rechtmäßig sagen konnte: es ist vollbracht! Er sagte aber dieses, da Er wußte, daß schon Alles zur Erfüllung der Schrift völlig geschehen sei, Joh. 19,28. Was dieses Vollbringen , oder diese völlige Erfüllung der Schrift, die das verdienstliche Leiden Jesu vorher verkündigt hatte, nütze und nach sich ziehe, wird am Ende der Welt völlig offenbar werden; jetzt aber können wir erkennen, daß das Erlösungswerk Christi keiner Ergänzung durch unsere Werke oder Leiden bedürfe, weil es etwas Ganzes oder Vollkommenes war. Niemand der selig werden will, hat nun nöthig, ein Verdienst der Werke aufzubringen, und dadurch seine Sündenschulden zu bezahlen, und sich und Andere mit Gott zu versöhnen: Christus Jesus hat dieses Alles völlig geleistet. In Sein Mittleramt soll Niemand greifen. Niemand soll etwas von demjenigen leisten wollen, was nur er für die Sünder hat leisten können. Unsere Reue, unser Glaube, unser Gebet, unsere Leiden, und unser Halten der Gebote Gottes gehören zu einem andern Werk, nämlich zu dem Werk der Heiligung; denn weil wir durch das Leiden und den Tod Jesu erlöst und versöhnt sind, so sollen wir nun nach der Vorsehung Gottes des Vaters durch die Heiligung des Geistes zum Gehorsam und zur Besprengung des Blutes Jesu Christi gelangen, 1 Petr. 1,2., und so tüchtig werden, dem HErrn Jesu zu leben, und solche Werke unter dem Kreuz zu thun, für die Er uns große Gnadengeschenke, welche Er auch Lohn und Vergeltung nennt, geben könne. Dank sei Dir, HErr Jesu, daß Du Alles, was Dir als dem Mittler zwischen Gott und Menschen obgelegen ist, vollbracht hast. Deine Erlösung ist ein völliges Werk. Gib mir nun auch einen völligen Glauben und ein vollendetes oder völlig beruhigtes Gewissen, und vollführe um Deines Namens willen auch das gute Werk der Heiligung in mir. (Magnus Friedrich Roos)

19:31 Die Juden aber, dieweil es der Rüsttag war, daß nicht die Leichname am Kreuze blieben den Sabbat über (denn desselben Sabbats Tag war groß), baten sie Pilatus, daß ihre Beine gebrochen und sie abgenommen würden.

19:32 Da kamen die Kriegsknechte und brachen dem ersten die Beine und dem andern, der mit ihm gekreuzigt war.

19:33 Als sie aber zu Jesus kamen und sahen, daß er schon gestorben war, brachen sie ihm die Beine nicht;

19:34 sondern der Kriegsknechte einer öffnete seine Seite mit einem Speer, und alsbald ging Blut und Wasser heraus.
Johannes sah diese Begebenheit als sehr wichtig an, und setzte deßwegen hinzu: der das gesehen hat, der hat es bezeuget, und sein Zeugniß ist wahr, und derselbe weiß, daß er die Wahrheit saget, auf daß auch ihr glaubet; denn solches ist geschehen, daß die Schrift erfüllet würde: ihr sollt Ihm kein Bein zerbrechen; und abermal spricht eine andere Schrift: sie werden sehen, in welchen sie gestochen haben, V. 35.36.37. Nachdem also Johannes die Wahrheit dieser Begebenheit durch sein, als eines Zuschauers, Zeugniß bestätigt, und dem Glauben der Leser seines Buches empfohlen hatte, so führt er zwei Sprüche an, welche dadurch erfüllt worden seien. Der erste, 2 Mos. 12,46., handelt nach dem buchstäblichen Verstand von dem Osterlamm, und befiehlt: es soll ihm kein Bein zerbrochen werden. Nun wäre bei dem Osterlamm nichts an der Zerbrechung eines Beines gelegen gewesen; weil es aber ein Vorbild auf Christum war, so mußte es Christum auch dadurch vorbilden, daß ihm kein Bein zerbrochen werden durfte, und schon zur zeit Moses zielte Gott mit diesem Verbot auf Christum, an dem solches vornämlich erfüllt werden sollte. Es war nahe dabei, daß dem HErrn Jesu wie den zween Schächern die Beine zerbrochen würden, und Er auf diese Weise getödtet würde; Er übergab aber Seinen Geist vorher in die Hände Seines Vaters, und da Er nun todt war, lenkte Gott das Herz eines Kriegsknechts dahin, daß er nur die Wahrheit Seines Todes durch den Stich in seiner Seite erforschte, dabei aber Seine Gebeine unverletzt ließ. Auf eben diesen Stich aber deutete der andere Spruch, der Zachariä 12,10. von bußfertigen Juden steht: sie werden denjenigen (im Geist) ansehen, welchen jene gestochen haben. Nur Ein Kriegsknecht öffnete die Seite Jesu mit einem Speer: es halfen aber mehrere mit Rath und That dazu, und nahmen auch mit ihrem Beifall daran einen Antheil; weßwegen diese That Mehreren zugeschrieben wird. Aus der geöffneten Seite Jesu ging Blut und Wasser heraus; und dieses war bei einem todten Leichnam ein Wunder. Das Blut Jesu wurde hiebei vollends ganz vergossen, und neben demselben auch die wässerichte Feuchtigkeit, die in Seinem Leibe war, und sich an den Ort, wo die Wunde gemacht wurde, versammelt hatte. Weder jenes noch dieses ist verweset, ob schon eines wie das andere damals auf die Erde floß. Ohne Zweifel hat ein jedes derselben zu dem Heil der Menschen seine besondere Wirkung. Durch das Blut Jesu sind wir erkauft. Es ist zur Vergebung der Sünden vergossen worden. Durch dasselbe ging Jesus in das himmlische Heiligthum ein, und fand eine ewige Erlösung. Durch dasselbe werden wir besprengt und von Sünden gewaschen. Es sind aber Geist und Wasser und Blut beisammen, 1 Joh. 5,8. Wo also das Blut Jesu ist, da ist auch das Wasser, welches aus Seiner Seite floß, und der Geist, das geistliche und verklärte Wesen Seines Leibes und Seiner Seele. Der ganze Christus verwendet Sich gleichsam, uns zu entsündigen, zu reinigen, und zu dem Bild Gottes zu erneuern. Wer böse ist, sei auf seine Gefahr immerhin böse, wer unrein ist, sei auf seine Gefahr immerhin unrein, Off. Joh. 22,11. Wer aber gerechtfertigt und geheiligt werden will, wende sich zu Jesu, welcher unsere Gerechtigkeit und die Heiligungsquelle ist. Er hat Sich selbst für uns gegeben; Er gibt Sich aber auch uns, wenn wir’s begehren, als Speise und Trank, als Licht und Leben, als Arznei und Kleid. Ihm sei Dank für Seine Liebe. (Magnus Friedrich Roos)

19:35 Und der das gesehen hat, der hat es bezeugt, und sein Zeugnis ist wahr; und dieser weiß, daß er die Wahrheit sagt, auf daß auch ihr glaubet.

19:36 Denn solches ist geschehen, daß die Schrift erfüllet würde: „Ihr sollt ihm kein Bein zerbrechen.“

19:37 Und abermals spricht eine andere Schrift: „Sie werden sehen, in welchen sie gestochen haben.“

19:38 Darnach bat den Pilatus Joseph von Arimathia, der ein Jünger Jesu war, doch heimlich aus Furcht vor den Juden, daß er möchte abnehmen den Leichnam Jesu. Und Pilatus erlaubte es. Da kam er und nahm den Leichnam Jesu herab.

19:39 Es kam aber auch Nikodemus, der vormals in der Nacht zu Jesus gekommen war, und brachte Myrrhe und Aloe untereinander bei hundert Pfunden.

19:40 Da nahmen sie den Leichnam Jesu und banden ihn in leinene Tücher mit den Spezereien, wie die Juden pflegen zu begraben.

19:41 Es war aber an der Stätte, da er gekreuzigt ward, ein Garten, und im Garten ein neues Grab, in welches niemand je gelegt war.

19:42 Dahin legten sie Jesum um des Rüsttages willen der Juden, dieweil das Grab nahe war.