6:1 Habt acht auf eure Almosen, daß ihr die nicht gebet vor den Leuten, daß ihr von ihnen gesehen werdet; ihr habt anders keinen Lohn bei eurem Vater im Himmel.
6:2 Wenn du Almosen gibst, sollst du nicht lassen vor dir posaunen, wie die Heuchler tun in den Schulen und auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gepriesen werden. Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin.
6:3 Wenn du aber Almosen gibst, so laß deine linke Hand nicht wissen, was die rechte tut,
Wenn irgendein Gebot Jesu uns zur Einrede reizt: das ist unmöglich, ich kann das nicht! So ist es dieses Gebot. Dass wir unser Wohltun nicht auch vor den anderen ausstellen dürfen, das hat einleuchtenden Grund. Wir haben alle keine Achtung von einer Wohltätigkeit, die nicht zustande käme, wenn sie nicht Zuschauer hätte. Wir wissen alle, hier kommt etwas anderes ans Licht als Güte. Dieses Wohltun ist Eigennutz und erkauft sich mit seiner Gabe einen Gewinn, die Ehrung, die der Zuschauer ihm spenden soll. Jesus ist aber nicht damit zufrieden, dass die fremden Augen ausgesperrt bleiben; auch ich selbst soll meine Wohltat nicht beschauen. Das hat er in seiner mächtigen Sprache so gesagt, dass meine linke Hand nichts davon erfahren soll, dass meine rechte Hand den anderen die Gabe gibt. Auch wenn ich nicht Dank und Lohn von den Menschen begehre, so begehre ich doch den Lohn, dass meine Wohltat mich selbst erfreue und mir das Wohlgefühl des richtigen Handelns verschaffe. Damit hängt sich aber wieder jene Verunreinigung, die die den anderen vorgezeigte Wohltat verdirbt, in ihrer innersten und feinsten Gestalt an unsere Güte an. Ein letzter, feinster, aber auch stärkster Trieb der Eigensucht mengt sich ein. Sei nicht dein eigener Zuschauer und Lobredner, mahnt uns Jesus. Dich geht, was du Gutes tust, nichts an. Ihn geht es an, der deine Wohltat bedarf. Sieh auf ihn und sorge dafür, dass er wirklich erhält, was er bedarf. Wie kann ich zu dieser selbstlosen Güte kommen? Das Gebot Jesu wäre eine unerfüllbare Unmöglichkeit, wenn er uns nicht in den Glauben stellte. Solange ich meinen Stützpunkt in mir selber suche und mich an das klammere, was ich bei mir finde, wird sich auch meine linke Hand lebhaft an dem beteiligen, was die rechte tut. Dann zuckt das Hochgefühl des guten Werks durch meine ganze Seele und wird mir zum unentbehrlichen Genuss. Denn ich füge ja mit jeder Guttat einen Stein hinzu zu meinem stolzen Bau. Wie ich sein Erbauer bin, bin ich auch sein Beschauer und sein Bewunderer. Nun wendet aber Jesus unser Gesicht zu Gott hin, so dass wir glauben. Das gibt die Lösung nicht nur von unserem Sündigen, sondern auch von unserem Gutestun. Denn ich stehe nun vor Gott nicht auf meinem Werk, nicht auf dem, was meine Liebe opfert, sondern auf Gottes Wort und Gottes Tat. Der Segen, der daraus entsteht, wird mir sofort zuteil. Nun entsteht jenes Helfen, das ernsthaft hilft, weil unser Blick nicht an uns und unserem Vorteil hängt, sondern klar und ganz das bedenkt, was dem anderen dient.
Wenn meine Linke mit dabei ist, lieber Herr, dann hält sie meine Rechte fest, dass sie nicht ernsthaft geben kann. So wird aus meinem Wohltun Schein. Weil Du allein die Liebe bist, suche ich sie bei Dir, und ich weiß, sie ist des Geistes Frucht und des Glaubens Frucht. Amen. (Adolf Schlatter)
6:4 auf daß dein Almosen verborgen sei; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten öffentlich.1)
Keine Verheißung wird denen erteilt, die den Armen geben, um von Menschen gesehen zu werden. Sie haben ihren Lohn sogleich und können nicht erwarten, zweimal bezahlt zu werden.
Laßt uns unsre Wohlthätigkeit verbergen; - ja, sie vor uns selber verbergen. Gib als etwas, was sich von selber versteht; so oft und so viel, daß du ebensowenig darauf achtest, daß du den Armen gegeben, als daß du deine regelmäßigen Mahlzeiten genossen hast. Gib deine Almosen, ohne dir auch nur zuzuflüstern: “Wie freigebig bin ich!” Versuche nicht, dich auf diese Weise zu belohnen! Überlaß die Sache Gott, der niemals verfehlt, zu sehen, in sein Buch zu verzeichnen und zu belohnen! Gesegnet ist der Mann, dessen Freundlichkeit im Verborgenen thätig ist, er findet eine besondere Freude an seinen unbekannten Wohlthaten. Dies ist das Brot, das verstohlen gegessen, süßer ist, als Festmahle der Könige. Wie kann ich mir heute diesen köstlichen Bissen verschaffen? Laßt mich ein wirkliches Fest der Mildthätigkeit und der Herzensfreundlichkeit haben.
Hier und dort droben wird der Herr persönlich darauf sehen, daß der verborgene Geber der Almosen belohnt wird. Das wird auf Seine Weise und zu Seiner Zeit sein: und Er wird die allerbeste wählen. Wieviel diese Verheißung bedeutet, das zu enthüllen, wird es der Ewigkeit bedürfen. (Charles Haddon Spurgeon)
Unser Herr warnte uns als nächstes vor Heuchelei und vor Zurschaustellung beim Ausüben des Gottesdienstes. Was wir tun, muss aus einem inneren Einstellung heraus passieren, damit wir Gott wohlgefällig sein mögen, nicht um von Menschen gelobt zu werden. In diesen Versen werden wir vor Heuchelei beim Almosengeben gewarnt. Achten Sie darauf. Es ist eine spitzfindige Sünde; und Prahlerei kriecht in das, was wir tun, hinein, bevor es uns bewusst ist. Aber die Aufgabe ist nicht minder notwendig und ausgezeichnet dazu geeignet, von Heuchlern benutzt zu werden, um ihren Stolz zu nähren. Der Tod, den Christus durchmachte mag zuerst als ein Versprechen erscheinen, aber es ist deren Lohn; nicht die Belohnung, die Gott denen verspricht, die Gutes tun, sondern der Lohn, den die Heuchler sich selbst versprechen, und es ist ein armseliger Lohn; sie taten es, um von den Menschen gesehen zu werden und sie werden von den Menschen gesehen. Wenn wir unsere guten Taten geringschätzen, wird Gott sie wertschätzen. Er wird Dich belohnen; nicht wie der Meister, der seinem Knecht das gibt, was er verdient, aber nicht mehr, sondern als ein Vater, der überreichlich seinen Sohn, der ihm dient, beschenkt. (Matthew Henry)
6:5 Und wenn du betest, sollst du nicht sein wie die Heuchler, die da gerne stehen und beten in den Schulen und an den Ecken auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gesehen werden. Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin.
Dieses sagte der heilige und gerechte Richter von denjenigen, die bei ihrem Almosengeben und Beten Ruhm bei den Menschen suchen, und von diesen gilt der Schluß auf alle diejenigen, welche das eitle Lob, die Gunst der Menschen, und den großen Namen bei den Nachkommen zum Zweck ihrer Werke machen. Solche Menschen erlangen oft, was sie suchen. Sie werden von den Menschen als andächtige, gutthätige, kluge, gelehrte Leute, als Patrioten und Helden gerühmt; ihre Namen werden zum Theil in die Geschichtsbücher eingetragen: wenn sie aber nicht dem HErrn in aller Demuth gelebt haben, wenn ihre Tugenden nicht Früchte des Geistes gewesen sind, wenn der Ruhm das Ziel war, nach dem sie gelaufen sind, so haben sie, wenn sie diesen erlangt haben, ihren Lohn dahin, und empfangen am jüngsten Tage keinen mehr; weil alsdann der allwissende und gerechte Richter der Lebendigen und der Todten an’s Licht bringen wird, was im Finstern verborgen war, und den Rath der Herzen offenbaren. Wenn aber der Herzensrath dieser ist, daß der Mensch sich selber zum Gott machen will, der geehrt und bewundert sein soll, so ist er böse, und alle Werke, die aus demselben fließen, sind ungeachtet des guten Scheins, den sie haben, und des Nutzens, den sie vielleicht in der Kirche oder Polizei schaffen, auch böse: folglich kann kein Gnadenlohn darauf folgen. Ist’s wahr, daß der Richter der Welt es so genau nehme? Ist’s möglich, daß ein Beter, ein Wohlthäter der Armen, ein Patriot, ein Prediger u.s.w. seinen Lohn auf Erden dahin nehmen kann? Ja, denn Christus sagt’s, und bestätigt Seine Rede noch dazu mit einem Wahrlich, damit die Menschen sich desto weniger erkühnen möchten, ihre Vernünfteleien ihr entgegen zu setzen. Wer kann dann selig werden? Derjenige kann selig werden, der sich die Tücke seines bösen Herzens aufdecken, der sich über seiner Heuchelei vom Geist Gottes durch Sein Wort bestrafen läßt, der seinen eigenen Stolz kennen lernt und verabscheut, und der Gnade und die Gabe des Heiligen Geistes erlangt, Demjenigen zu leben, der für ihn gestorben und wieder auferstanden ist. Bei einem Solchen geht es durch Ehre und Schande, durch böse und gute Gerüchte. Er lebt nicht sich selbst, sondern Gott in Christo Jesu. Er thut nicht weniger Gutes, wenn er Undank, als wenn er Dank dafür bekommt. Er begehrt nicht, daß ihm Alles in dieser Welt vergolten werde. Er betet im Verborgenen, und wenn er gibt, so läßt er die linke Hand nicht wissen, was die rechte thut. Er prangt nicht mit seiner geistlichen Erkenntniß und Erfahrung, bleibt dabei auch gern unbekannt, und läßt es auf Gottes willen ankommen, wie viel dabei zu seiner Ehre vor den Menschen offenbar werden soll. Es geht auf dem geraden Weg nach dem vorgesteckten Ziel, dem Kleinod zu, welches ihm die himmlische Berufung Gottes in Christo vorhält. Der HErr Jesus schaffe und erhalte einen solchen lautern Sinn in uns, damit wir am Tage Seiner Zukunft Freudigkeit haben mögen.(Magnus Friedrich Roos)
6:6 Wenn aber du betest, so gehe in dein Kämmerlein und schließ die Tür zu und bete zu deinem Vater im Verborgenen; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten öffentlich. 2)
Zur Zeit Christi gab es viele Heuchler, welche gern standen und beteten in den Schulen, und an den Ecken auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gesehen würden; Christus aber sagte von ihnen: wahrlich Ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin, V. 5., und gab hernach einem Jeden den Rath, in sein Kämmerlein zu gehen, und da im Verborgenen zu beten. Nicht nur der eitle Ehrgeiz, den man bei dem öffentlichen Beten nähren konnte, sondern auch die Gefahr vor der Zerstreuung des Gemüths, und die Furcht, daß Andere durch das vertrauliche Ausschütten des Herzens vor Gott geärgert werden könnten, macht diesen Rath nothwendig. Christus selbst war kurz vorher, ehe Er diesen Rath gab, auf einen Berg gegangen, zu beten, und über Nacht im Gebet zu Gott geblieben, Luk. 6,12. Ein andermal ließ Er Seine Jünger und das Volk von Sich, und stieg auf einen Berg allein, daß Er betete, Matth. 14,23. Auch am Oelberg riß Er Sich bei einem Steinwurf weit von Seinen Jüngern weg, da Er beten wollte. Doch muß man aus diesem Allem kein fleischliches Gebot machen, sondern auf den Zweck sehen, welcher oft auch durch ein öffentliches Gebet erreicht werden kann, wenn nur der Ehrgeiz und die Zerstreuung des Gemüths davon abgesondert wird. Christus hat selber das unvergleichliche Gebet, das Joh. 17. steht, vor Seinen Jüngern gesprochen, und Matth. 18,19. gesagt: wo zween unter euch Eins werden auf Erden, warum es ist, das sie (gemeinschaftlich) bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von Meinem Vater in dem Himmel. Auch ist schon zu der Apostel Zeit der öffentliche Gottesdienst nicht ohne ein öffentliches Gebet gehalten worden, wie aus 1 Kor. 11,4.14,13.14.15. 1 Tim. 2,8. zuschließen ist. Die Hauptsache bei dem Gebet ist, daß man durch den Geist der Kindschaft, welcher auch ein Geist der Gnade und des Gebets ist, angetrieben werde, zu Gott als einem Vater zu beten. Wenn man nun vertrauliche Bitten vorzutragen hat, bei welchen Andere nicht mit anstehen können, oder man schwach und blöde ist, und bei einem öffentlich verrichteten Herzens-Gebet in der Gefahr stünde, durch Ehrgeiz oder Zerstreuung die Gebetskraft zu verlieren, so soll man in sein Kämmerlein gehen, die Thüre hinter sich zuschließen, und zu seinem Vater im Verborgenen beten, oder auch einen andern einsamen Ort zum Beten erwählen. Der Vater aber, der in’s Verborgene siehet, wird einem solchen Beter sein Gebet öffentlich vergelten. Er wird sein Gebet erhören und gewähren. Er wird ihm geben, was er bittet, ihn finden lassen, was er sucht, und ihm aufthun, wenn er anklopft. Er wird ihm als ein Vater gute Gaben, welche alle in der Gabe des Heiligen Geistes zusammen gefaßt sind, geben, und diese Gabe wird alsdann durch gute Werke ihren Schein vor den Leuten von sich geben, damit der Vater im Himmel darüber gepriesen werden könne. Am jüngsten Tage aber wird Er einen solchen Beter, der sich durch die Welt durchgebetet und in den Himmel hinein gebetet hat, öffentlich rühmen, und durch die Stellung zur Rechten Jesu, und durch die Mittheilung einer überschwenglichen Herrlichkeit ehren. Auch heute will ich zu dem Vater im Himmel beten. Er wird meine Bitten um Seines Sohnes willen nicht verschmähen.(Magnus Friedrich Roos)
Unser Herr und Heiland hatte von den Gebeten der Heuchler gesprochen, die sich gern von den Leuten sehen lassen mit ihrem Beten, und von den Gebeten der Heiden, die meinen sie müßten viele Worte machen, um erhört zu werden. Sie verstehen nicht, daß das Gebet nur Wert hat, wenn es an den persönlichen, allesehenden und allhörenden Gott gerichtet ist. In der oben angeführten Stelle gibt uns der Herr eine wunderbare Lektion in bezug auf den unschätzbaren Segen, den ein Gotteskind im Kämmerlein haben kann. Soll uns diese Lektion wirklich von Nutzen sein, so müssenwir erkennen, welches Licht das Kämmerlein erstens auf die wunderbare Liebe Gottes wirft. Wenn du ins Kämmerlein gehst, so denke an Gott, an seine Größe, seine Heiligkeit, seine unaussprechliche Herrlichkeit und an das herrliche Vorrecht, zu dem er seine Kinder einläd, daß sie, so wie sie sind, zu jeder Stunde des Tages zu ihm und mit ihm reden dürfen, solange sie wollen. Geht eins derselben ins Kämmerlein, so ist Gott bereit, ihm dort zu begegnen, Gemeinschaft mit ihm zu haben, ihm die Kraft und Freudigkeit zu geben, deren es bedarf, und zugleich die lebendige Zuversicht, daß er mit ihm sein und ihm in allen Stücken beistehen will. Überdies verheißt er ihm, daß er ihm sowohl für sein äußeres Leben wie für seine arbeit geben will, was es sich im Verborgenen des Kämmerleins von ihm erfleht hat. Sollten wir da nicht vor Freude jubeln! Was für eine Ehre und was für ein Heil!
Man mag in der größten Not sein oder den tiefsten Fall getan haben - man mag leiblichen oder geistlichen Segen für das Alltagsleben wünschen, man mag für sich selbst, seine Angehörigen oder seine Gemeinde oder Gemeinschaft, ja, für die Welt im großen und ganzen beten - es ist alles eingeschlossen in die dem Gebet im Kämmerlein gegebene Verheißung: „Bete zu deinem Vater im Verborgenen, und er wird es dir vergelten öffentlich.“
Man könnte demnach denken, es gäbe keinen anziehenderen Ort fürein Gotteskind als das Kämmerlein, wo ihm die Gegenwart des Vaters verheißen ist, und wo es ungestört mit dem Vater verkehren kann. Weder die Wonne eines Kindes, wenn es so recht die Liebe seines irdischen Vaters genießen darf, noch die eines Freundes, wenn er mit einem geliebten Busenfreunde zusammentrifft - weder das Glück eines Untertanen, der freien Zutritt zu seinem König hat und so lange bei ihm bleiben darf, wie er will - kommen dieser göttlichen Verheißung gleich. O der wunderbaren Liebe Gottes, die uns ein durch solche Verheißung gehieligtes Kämmerlein gibt! Danken wir doch dem Herrn Tag für Tag für diese Liebesgabe! In dieser sündigen Welt hätte er sich nichts ausdenken können, was unseren Bedürfnissen besser entsprochen hätte, was uns eine solche Quelle unaussprechlichen Segens sein könnte.
Zweitens geht vom Kämmerlein Licht aus auf die tiefe Sündhaftigkeit des Menschen. Man könnte denken, jedes Gotteskind müßte mit Freuden einer solchen Aufforderung nachkommen. Anstatt dessen kommt aus allen Ländern die Klage, daß die sogenannten Gläubigen im allgemeinen das Gebet im Kämmerlein vernachlässigen. Viele benutzen das heilige Vorrecht überhaupt nicht. Sie gehen wohl in die Kirche oder Versammlung, bekennen Christus als ihren Heiland, aber von einem persönlichen Verkehr mit ihm wissen sie wenig oder nichts. Vielebenützen es ein wenig, aber in aller Eile, und es ist entweder Gewohnheitssache bei ihnen, oder sie suchen ihr Gewissen damit zu beschwichtigen - aber Freude und Segen haben sie nicht davon. Und - was das Schlimmste ist - viele, die etwas von dem vom Kämmerlein ausgehenden Segen gespürt haben, bekennen, daß sie wenig von einem treuen, regelmäßigen, seligen Verkehrt mit dem Vater wissen als von etwas, was ihnen so nötig ist wie das tägliche Brot.
Was ist eigentlich schuld, daß so wenig Kraft vom Kämmerlein ausgeht? Ist nicht die tiefe Sündhaftigkeit des Menschen und die Abneigung seiner gefallenen Natur gegen Gott schuld daran, daß er lieber mit der Welt Gemeinschaft hat, als Auge in Auge mit seinem himmlischen Vater zu verkehren? Kommt es nicht etwa daher, daß die Christen dem Worte Gottes nicht glauben, wenn es sagt, daß das Fleisch, das in ihnen ist, Feindschaft gegen Gott ist, und daß sie zu sehr im Fleische wandeln, als daßder Geist sie zum Gebet stärken könnte? Ist es nicht, weil die Kinder Gottes sich vom Teufel die Waffe des Gebets entwinden lassen, so daß sie ihm machtlos gegenüberstanden? O der tiefen Sündhaftigkeit des Menschen. Es gibt keinen größeren Beweis für dieselbe als diese Geringschätzung der unaussprechlichen Liebe Gottes, die uns das Kämmerlein geschenkt hat.
Am allertraurigsten aber ist es, daß sogar Diener Jesu Christi sich der Gebetsversäumnis schuldig bekennen müssen. Die Heilige Schrift sagt ihnen in allen Tonarten, daß das Gebet ihre einzige Kraft ist und daß sie durch dasselbe mit Kraft aus der Höhe für ihre Arbeit ausgerüstet werden können. Dennoch scheint es, als habe die Macht der Welt und des Fleisches sie bezaubert. während sie ihrer arbeit viel Zeit opfern und großen Eifer für dieselbe an den Tag legen, vernachlässigen sie die Hauptsache und haben weder Lust noch Kraft zu dem für Erlangung der Gabe des Heiligen Geistesunumgänglich nötigen Gebet. Ohne den Heiligen Geist aber kann ihre Arbeit unmöglich fruchtbringend sein. Gott schenke uns in Gnaden, daß wir im Licht des Kämmerleins unsere tiefe Sündhaftigkeit erkennen!
Drittens wirft das Kämmerlein Licht auf die herrliche Gnade Jesu Christi. Ist demnach keine Hoffnung, daß es anders werden wird? Muß es immer so bleiben? Oder gibt es ein Mittel zur Abhilfe? Ja, Gott sei Dank!
Der Mann, durch den Gott die Aufforderung ins Kämmerlein an uns ergehen ließ, ist kein anderer als unser Herr und Heiland, der uns von unseren Sünden erretten kann und will und uns auch von dieser Sünde erretten wird. Er hat nicht unternommen, uns von allen anderen Sünden zu erretten, und es uns überlassen, mit der Sünde der Gebetslosigkeit in eigener Kraft selig zu werden. Nein - auch mit dieserr Sünde dürfen wir zu ihm kommen und zu ihm schreien: „Herr, so du willst, kannst du mich wohl reinigen.“ „Herr, ich glaube, hilf meinem Unglauben.“
Willst du wissen, wie du diese Errettung erfahren kannst? Auf keinem anderen Weg als dem, auf dem jeder Sünder zu Christus kommen muß. Fange damit an, daß du ihm kindlich und einfältig bekennst, wie sehr du das Kämmerlein vernachlässigt und entheiligt hast! Sinke in tiefer Scham und Reue vor ihm nieder! Sage ihm, dein Herz habe dich betrogen, indem es dich glauben machte, du könntest beten, wie sichs gebührt. Sage ihm, daß dich die Schwachheit des Fleisches, die Macht der Welt und das Selbstvertrauen irregeführt haben, und daß du nicht die Kraft hast, es in Zukunft besser zu machen. Tu das von ganzem Herzen. Du kannst die Sache nicht durch gute Vorsätze oder eigene Anstrengungen zurechtbringen.
Komm in deiner ganzen Sündhaftigkeit und Ohnmacht ins Kämmeerlein und danke Gott in erster Linie, wie du ihm noch nie gedankt hast, daß die Gnade des Herrn Jesu es gewiß auch dir möglich machen wird, mit dem Vater so zu verkehren, wie es sich für ein Kind geziemt. Übergib dem Herrn Jesu aufs neue dein ganzes Sündenelend sowie dein ganzes Leben und deinen Willen, damit er dich reinige als sein teuer erkauftes Eigentum.
So kalt und tot dein Herz auch sein mag, übe dich beharrlich in dem Glauben, daß Christus ein allmächtiger treuer Erlöser ist - die Errettung wird dann sicherlich nicht ausbleiben. Erwarte sie mit Bestimmtheit, so wirst du sie allmählich verstehen lernen, daß das Kämmerlein die Offenbarungsstätte der wunderbaren Gnade Jesu Christi ist, die uns instand setzt, zu tun, was wir nicht aus uns selbst tun könnten - nämlich die Gemeinschaft mit Gott zu pflegen und Lust und Kraft zu einem Wandel mit ihm zu bekommen. (Andrew Murray)
Der Betsaal, den die jüdischen Gemeinden an allen Orten herstellten, war eine wunderschöne Einrichtung. Weil sie sich die Betsäle bauten, erhielten sich die jüdischen in allen Ländern und jedes ihrer Glieder fand im Betsaal immer wieder die Nahrung, die ihm für sein inwendiges Leben unentbehrlich war. Auch wir können uns keine Mission denken ohne Kirchenbau und keine Christenheit ohne Räume, die für ihren Gottesdienst ausgesondert sind. Dennoch führt Jesus die Seinen, wenn sie beten, aus dem Betsaal hinaus. Wohin? Welchen Ort zeigt er ihnen, der heiliger wäre als der Betsaal? Gibt er seinen Jüngern auf, statt der jüdischen christliche Betsäle herzustellen? Die Vorratskammer, voll von irdischen Dingen, von Öl- und Weinkrügen und Getreidehaufen, beschreibt er den Seinen als den richtigen Ort für ihr Gebet. Das ist sie deshalb, weil man sie verschließen kann. Dort beten sie im Verborgenen zu dem, der im Verborgenen gegenwärtig ist und die im Verborgenen Betenden erhört. Wie jedes Wort Jesu, so beschenkt uns auch dieses mit seiner königlichen Freiheit. Der, der in seinem Vorratsraum beten kann, ist frei gemacht, frei vom verwirrenden Eindruck, den die natürlichen Dinge auf uns machen, frei auch von jeder religiösen Stütze, die seine Erinnerung an Gott beleben soll. Er braucht keinen geweihten Raum, keine ihn feierlich stimmende Umgebung, keine Hallen und Orgeln, nicht einmal die Gemeinde. Er muss nicht erst durch irgendeine Vermittlung zu Gott emporgetragen werden; er hat Gott bei sich auch an dem dem irdischen Leben dienenden Ort. Diese Freiheit ist aber eine erhabene und heilige Sache; denn sie ist der Besitz der Glaubenden, die am verborgenen Gott nicht zweifeln, obschon kein sicheres Zeichen sie an ihn erinnert. Hier in der Stille sind sie gegen das geschützt, was im jüdischen Betsaal das Gebet verdirbt. Dort vergisst der Beter nie, dass er bei den anderen ist; denn jedes Auge schaut auf den Beter und jeder beurteilt die anderen und misst ihnen die Ehre und die Schande zu nach dem Maß ihrer Frömmigkeit. Mit wem spricht der Beter? Fragt uns Jesus, und bei wem sucht er den Erfolg seines Gebets? Bei den Menschen oder bei Gott? Du willst als Beter zu Gott reden; dann geh von den Menschen weg, geh in die Verborgenheit.
Wenn ich nicht Dich, gegenwärtiger und heiliger Gott, allein vor Augen habe, gibt es für mich keine heilsame Gemeinschaft mit den Menschen, kein Wort, das Kraft hätte, keine Liebe, die wirklich hilft, keine Gemeinschaft des Gebets, bei der ich Dich anbetete. Dich suche ich und bete zu Dir, damit ich Deinen Willen erkenne und Deine Gaben empfange und mein Leben auf Dich gegründet sei, allein auf Dich. Amen. (Adolf Schlatter)
6:7 Und wenn ihr betet, sollt ihr nicht viel plappern wie die Heiden; denn sie meinen, sie werden erhört, wenn sie viel Worte machen.
6:8 Darum sollt ihr euch ihnen nicht gleichstellen. Euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe ihr ihn bittet.3)
Der liebe Heiland sagt in der Bergpredigt obige Worte; und Er will mit ihnen sagen, daß es unsererseits nicht so vieler Worte bedürfe, um den Vater im Himmel zu bewegen, daß Er uns helfe. Wir meinen oft, wir müßten es in die Länge und Breite wie ein Advokat vor dem lieben Gott darlegen, bis Er endlich überzeugt werde, es sei an der Zeit, daß Er uns helfe. Aber solche Advokatengebete gefallen Ihm nicht. Freilich kommt darauf viel an, daß man sich selbst alles dessen, was zur Sache gehört, bewußt werde; und so weit es zu unserer eigenen Verständigung, insbesondere Demütigung, nötig ist, darf und soll man' s überdenken, kann mans auch etwa betend vor dem HErrn aussprechen. Aber meinen, Gott bedürfe es, daß man Ihm die Sache klar auseinandersetze, damit Er dann Seinen Spruch tun könne, wie ein Oberrichter, das ist verkehrt und hemmt die Kraft des Gebets. Denn jedenfalls weiß Gott alles ein wenig besser als wir; und auch das, was uns besonders angeht, versteht Er besser als wir. „Er weiß, was wir bedürfen, ehe wir Ihn bitten.“
Wir freilich wissen nicht immer recht, was wir bedürfen, und was uns Not tut; und da verlangt wohl Gott je und je einen bessern Ernst, ein besseres Nachdenken von uns bezüglich dessen, was wir bitten. Wenn man da etwa denkt: „Ich lasse eben Gott walten, der wirds schon recht machen; ich hab's Ihm übergeben, und brauche weiter nicht zu sorgen und zu denken,“ so wäre das eine Leichtfertigkeit, bei welcher eine schnell und kurz vor Gott hingeworfene Bitte sicher keine Erhörung finden würde. Das hieße dumm in den Tag hineinleben; und so einfältig, wie die Tiere im Stall, will denn doch Gott uns nicht haben. Willst du's also recht machen, und wie es deiner und Gottes würdig ist, so mußt du, was du bitten willst, beständig, wie man sagt, auf dem Herzen tragen, damit dir alles einfällt, was dir einfallen sollte. Wenn wir nur immer zu unsrem Gebet den vollen Glaubenssinn mitbrächten!
Zusatz: Bedacht haben und wissen sollen wir freilich allerlei, wenn wir bitten. So solltest du wissen, ob das auch wirklich so ganz das Rechte ist, was du bittest, und ob's nicht am Ende umgekehrt oder anders viel besser für dich wäre, als du dir's denkst; du solltest ferner wissen, was etwa deiner Bitte entgegensteht, und was Gott an dir heimsuchen wollte oder könnte; du solltest einen Begriff davon bekommen, wie groß das ist, was du bittest, und da so ohne Weiteres von Gott verlangst; du solltest wissen deine Fehltritte, Versäumnisse, Unachtsamkeiten, mit denen du etwas übel gemacht hast, das nun Gott soll wieder gut machen; du solltest auch begreifen, wie ein geduldiges Warten nötig ist, weil sich Eins ums Andere erst machen muß, daß du nicht gleich denkst, Gott erhöre dich eben nicht; du solltest auch aufmerken, ob nicht schon da ist, was du willst, und du es nur vor Ungeduld und Aufgeregtheit nicht siehst. Das alles sollst du wissen, kannst du auch mit Gleichgesinnten besprechen, ferner durch das Wort Gottes, welches zur Hand nehmen du nicht versäumen sollst, dir aufdecken und deutlich machen lassen. Tust du aber das alles in der Gegenwart Gottes als vor Ihm, so hat es alles auch den Werth des Gebets vor Ihm. Kommst du aber dann schließlich an das eigentliche Gebet, die wirkliche Bitte, so mußt du ja nicht meinen, - das ist's, was der HErr in unsrem Spruch andeutet, - als ob es nötig wäre, jetzt alle deine Gedanken betend vor Ihm zu wiederholen, als wenn Er' s nicht wüßte, und du es Ihm nun sagen müßtest, damit Er's auch wisse. Dabei meint man oft auch, man müßte seine Stimme recht laut und beweglich machen, müßte gar aus allen Leibeskräften kämpfen und ringen mit Gott, bis Er erweicht werde, - und ach! wie verkehrt und Gottes unwürdig ist doch das alles! Lernen wir doch da kindlicher sein, wie es der HErr in unsrem Spruch fordert. Lernen wir es Ihm zutrauen, daß Er alles, auch jeden unserer Gedanken weiß, und daß Ihm die innerste Herzensrichtung genügt, um alles zu tun, was wir bedürfen, wenn wirs nur einfach vor Ihm aussprechen. Denn die bittenden Kinder sind Ihm ja ohnehin immer die liebsten. (Christoph Blumhardt)
Es ist sicher, dass all diejenigen, die Nachfolger Jesu sind, beten. So schnell wie Du einen Lebenden finden wirst, der nicht atmet, wirst Du einen lebenden Christen finden, der nicht betet. Wenn ohne Gebet, dann ohne Gnade. Die Schriftgelehrten und Pharisäer hatten in zweifacher Hinsicht Schuld beim Beten auf sich geladen: Prahlerei und vergebliche Wiederholungen. „Wahrlich, sie werden ihren Lohn empfangen;“ wenn in einer so wichtigen Angelegenheit, wie sie es zwischen uns und Gott ist, während wir im Gebet sind, wir auf solch eine geringe Sache achten können, wie es das Lob der Menschen ist, so soll es so sein, dass es unser ganzer Lohn sein soll. Es gibt zwar kein geheimes, plötzliches Atemholen hinter Gott her, aber er bemerkt es. Es wird Lohn genannt, aber aus Gnade, nicht wegen Schuld; denn welchen Verdienst kann es beim Bitten geben? Wenn Er seinen Kindern nicht das gibt, worum sie ihn bitten, ist es, weil er weiss, dass sie es nicht brauchen, und dass es ihnen nicht gut tut. Gott ist so weit entfernt davon, sich an der Länge oder den Worten unserer Gebete zu ärgern, dass die wirkungsvollsten Fürbitten die sind, die mit Seufzern getan werden, die nicht ausgesprochen werden können. Lasst uns gut erforschen, was aus dem Gemütszustand zu erkennen ist, in dem unsere Gebete dargeboten werden sollen und täglich von Christus lernen, wie man beten soll. (Matthew Henry)
6:9 Darum sollt ihr also beten: Unser Vater in dem Himmel! Dein Name werde geheiligt.4); 5); 6)
Dies Gebet fängt damit an, womit jedes wahre Gebet anfangen muss, mit dem Geist der Kindschaft: „Unser Vater.“ Es ist kein Gebet wohlgefällig vor Gott, wenn wir nicht sagen können: „Ich will mich aufmachen und zu meinem Vater gehen.“ Dieser kindliche Geist erfasst schnell die Größe des Vaters „in dem Himmel,“ und erhebt sich zu demütiger Anbetung: „Geheiliget werde Dein Name.“ Das Kind, das lispelt: „Abba, lieber Vater,“ wird zum gewaltigen Cherub, der da ruft: „Heilig, heilig, heilig!“ Es ist nur ein einziger Schritt von der entzückten Gottesanbetung zu dem feurigen Geist der bekehrenden Liebe, welcher stets unfehlbar aus der kindlichen Liebe und der ehrfurchtsvollen Anbetung hervorwächst! „Dein Reich komme, Dein Wille geschehe auf Erden, wie im Himmel.“ Darauf folgt der herzliche Ausdruck der Abhängigkeit von Gott und des Vertrauens auf Ihn: „Gib uns heute unser tägliches Brot.“ Werden wir weiter vom Heiligen Geist erleuchtet, so entdecken wir, dass wir nicht allein abhängig sind, sondern auch sündhaft; darum flehen wir um Gnade: „Vergib uns unsre Schulden, wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.“ Und wenn wir Vergebung empfangen haben, wenn uns die Gerechtigkeit Christi zugerechnet ist, wenn wir wissen, dass wir angenehm gemacht sind in dem Geliebten, dann bitten wir demütig um heilige Bewahrung: „Führe uns nicht in Versuchung.“ Ein Mensch, dem in Wahrheit Vergebung zuteil geworden ist, lässt sich‘s angelegen sein, dass er nicht abermals sündige; der Besitz der Rechtfertigung führt zu einem ernstlichen Verlangen nach Heiligung. „Vergib uns unsre Schulden,“ das ist Rechtfertigung; „Führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel,“ das ist Heiligung, Förderung im Guten, wie Bewahrung vor dem Bösen. Als Endergebnis von dem allen folgt eine herrliche siegreiche Lobpreisung: „Dein ist das Reich, und die Kraft, und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Wir freuen uns, dass unser König regiert in dem Reich der Vorsehung, und dass Er herrschen wird in Gnade von einem Meer bis an das andere, und vom Wasser bis an der Welt Ende, und seine Herrschaft wird kein Ende haben. So führt dieses kurze Vorbild des Gebets unsre Seele hinauf zur Gemeinschaft mit unserem königlichen Herrn. Herr, lehre uns beten! (Charles Haddon Spurgeon)
Kann ich noch weiter fahren und zu dieser Bitte noch andere hinzufügen? Spricht sie nicht alles aus, was ich begehre? Wenn ich Gott nennen kann und dies so, dass er mir als der Heilige erkennbar ist, so ist mir seine Erkenntnis gegeben. Damit bin ich in das Licht versetzt, das mein ganzes Leben bestrahlt. wenn ich diese Bitte bei allem, was ich tue, festhalte, ist meine Person, mein Wollen und mein Wirken geheiligt. Nun ist alles Gott untertan und meine ganze Arbeit, was immer sie sei, zum Gottesdienst gemacht. Aber Jesus fährt weiter und sammelt unser Verlangen nicht nur in diese eine Bitte. Denn der Name Gottes, der von uns geheiligt werden soll, soll für uns einen reichen, hellen Inhalt haben und nicht der Name eines unbekannten Gottes für uns bleiben. Ein unbekannter Gott wäre ein unwirksamer Gott. Was Gott an uns tut, das gibt ihm seinen Namen. An seinem Willen wird er uns offenbar und darnach, dass Gottes Werk an uns geschehe, soll ich verlangen und darum bitten. Je deutlicher sein Werk ihn offenbart und je reicher es uns begnadet, um so mehr leuchtet sein Name in herrlicher Heiligkeit. Er wird herrschen, indem er alles, was seinem Willen widersteht, beiseite tut und uns den Reichtum seiner allmächtigen Gnade zeigt. So macht er uns seinen Namen deutlich und zeigt uns seine Heiligkeit.
Nicht nur die Himmlischen wird er mit sich und miteinander vereinen, so dass bei ihnen nichts als sein Wille geschieht. Das tut er auch unserer armen erde und dann ist die dunkle Nacht unserer Unwissenheit, die uns Gottes Namen verhüllt, vergangen und alle Entheiligung, die sich gegen Ihn auflehnt, verschwunden. Gott schafft sich aber seine Anbeter nicht erst in der künftigen Welt; Jesus hat ihn uns, seiner Schar, geoffenbart. An uns handelt Gott als der, der uns das Leben gibt und was zum Leben gehört, als der, der uns die Schulden verzeiht, auch die, die die Unzulänglichkeit unseres Dienstes auf uns legt, als der, der uns schonlich führt und uns nicht über unser Vermögen belastet und die Klagen des Verklägers, des Feindes seiner Gnade, zunichte macht. Nun hat sein Name seinen reichen Inhalt bekommen. Unser Vater ist der König, der in allem herrscht, der Vollender, der alles verklärt, unser Ernährer, Versöhner und Erlöser. Geheiligt sei sein Name.
Was ist der Mensch, Herr, heiliger Gott, dass Du ihn heimsuchst? Was bin ich, dass Du mir Deinen Namen in die Seele legst und Deine Werke sichtbar machst? Wir Menschenkinder können nur staunen, nur danken und anbeten. Du windest das Band um unsere Seele, das sie mit eigenem Glauben und eigener Liebe mit Dir vereint. Geheiligt werde Dein Name. Amen. (Adolf Schlatter)
„Gott will uns damit locken, daß wir glauben sollen, er sei unser rechter Vater und wir seine rechten Kinder, auf daß wir getrost und mit aller Zuversicht ihn bitten sollen, wie die lieben Kinder ihren lieben Vater bitten.“ So unser frommer, glaubensstarker Luther; und so ohne Furcht und Zittern nahen wir uns im Gebete des Herrn dem Vater im Himmel, damit wir zu ihm beten können herzlich, zutraulich, gläubig. „Ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, ruft uns der Apostel zu (Röm. 8, 15), daß ihr euch abermal fürchten müßtet, sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!“ Und daran wollen wir festhalten! Mögen uns Menschen ihr Herz verschließen und von uns sich abwenden, von oben her öffnet sich uns das große, treue Vaterherz und neiget sich unsern Bitten. Mag uns bange werden in dieser Welt der Trübsal und Unruhe, von oben her kommt uns die ewige Liebe entgegen mit ihrem Segen und Frieden. Mag die Sünde uns locken, das Gewissen uns verklagen, der Tod uns schrecken, der gnadenreiche Vater kommt zu uns, seinen Kindern, nach seiner großen Barmherzigkeit und richtet das zerschlagene Herz und den geängsteten Geist wieder aus. „Kann auch ein Weib ihres Kindleins vergessen, daß sie sich nicht erbarme über den Sohn ihres Leibes? Und ob sie desselbigen vergäße, so will ich doch nicht deiner vergessen. Siehe, in meine Hände habe ich dich gezeichnet.“ (Jes. 49, 15 und 16.) Dieser Verheißung aus des Vaters Munde will ich sicher vertrauen: denn sie ist erfüllt in Jesu Christo, meinem Heiland. In Ihm, dem Geliebten, hat uns der Vater Alles gegeben. Durch ihn erkennen wir den Schöpfer Himmels und der Erde, um dessen herrlichen Thron die heiligen Engel stehen, als den Gnädigen und Barmherzigen, als den rechten Vater über Alles, was Kinder heißt. Mit ihm, dem eingebornen Sohne, haben wir Kindesstätte in des Vaters Schooße. Darum gelangt nur das Gebet wahrhaftig in Gottes Ohr und Herz, das da geschieht im Namen Jesu, der uns vertritt bei dem Vater, der durch seinen Geist uns beten lehret, und dessen Reich und Ehre uns am Herzen liegt. Ach, daß ich nur immer so freudig, so kindlich, so ergeben, so erhörungsgewiß beten möchte, wie mein Herr und Heiland; dann würde ich gestärkt, getröstet und voll heiligen Friedens von dem Angesichte Gottes gehen. Was will mich denn noch schrecken und ängstigen aus Erden? Des Vaters Hand leitet mich, des Vaters Liebe bedecket mich, des Vaters Herz schlägt für mich. Nun, lieber himmlischer Vater, der du uns freien Zugang zu dir durch Jesum Christum verstattest, gieb mir, daß ich in allem Anliegen die Zuflucht zu dir nehme. Und wenn ich zu dir komme, so verschmähe du mich nicht, sondern erhöre mein Gebet um Jesu Christi willen. Amen!(Christian Wilhelm Spieker)
Was liegt dem betenden Kinde Gottes zuerst am Herzen? Des Vaters Name. Gottes Name ist aber Gott selbst mit seiner Heiligkeit und Herrlichkeit, mit seiner Treue und Liebe, mit seiner Gerechtigkeit und seinem Gericht. Daß er als unser höchster Schatz von uns erkannt, daß sein heiliger Name auch bei uns heilig werde, darnach verlanget uns. Und er wird bei uns heilig, wo das Wort Gottes lauter und rein gelehret wird, wo man nichts davon und nichts dazu thut, aber vor Allem, wo wir heilig als die Kinder Gottes darnach leben. Ja, das Leben in Gott ist erst das rechte Loblied seines herrlichen Namens. „Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig, der Herr euer Gott.“ (3 Mos. 19, 2.) Dies Wort muß uns durch's Herz gehen und uns treiben zu einem Leben in demüthigem Glauben, da man spricht: „Unsere Hilfe steht im Namen des Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat“ (Ps. 124, 8); zu einem Leben in rechtschaffener Buße, da man bittet: „Um deines Namens willen, Herr, sei gnädig meiner Missethat“ (Ps. 25, 11); zu einem Leben in freudigem Bekenntniß, da man ausruft: „Ich will deinen Namen predigen meinen Brüdern“ (Ps. 22, 23); zu einem Leben in feurigem Lobpreis, da man weiß: „Es ist ein köstlich Ding dem Herrn danken und lobsingen deinem Namen, du Höchster!“ (Ps. 92, 2.) Und solch ein Leben nach Gottes Willen und zu Gottes Ehre dürfen wir ja täglich anschauen, das Leben Jesu Christi, des Heiligen und Gerechten, der nie eine Sünde gethan hat, der liebend und segnend über die Erde ging, der der Weg und die Wahrheit und das Leben ist, in dem wir den Abglanz der ewigen Herrlichkeit, die Fülle der Gottheit sehen, und der uns aushelfen will zu seinem himmlischen Reiche. Durch seinen Geist erleuchtet er uns, daß wir sollen ablegen nach dem vorigen Wandel den alten Menschen, der durch Irrthum und Lüste sich verderbet, daß, wir uns sollen erneuern „im Geiste unseres Gemüthes und anziehen den neuen Menschen, der nach Gott geschaffen ist in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit.“ Eph. 4, 22-24. Der Heilige wohnt nur in einem reinen Herzen, und wenn er zu uns kommt und Wohnung bei uns macht, wenn er Gestalt in uns gewinnt, unser Herz erneuert, unser Leben verklärt, so nähern wir uns dem Wahrhaftigen, dessen Werke unsträflich sind, dessen Treue unwandelbar ist. Selig sind, die reines Herzens sind, denn sie werden Gott schauen. „Preis und Ehre und unvergängliches Wesen denen, die mit Geduld in guten Werken trachten nach dem ewigen Leben.“ Richte denn meinen Geist hinauf zu deinem Lichte, du wahrhaftiger, heiliger Gott; wehre der Sünde, daß sie mich nicht überwältige in der Stunde der Versuchung; gib mir Muth und Kraft im Kampfe mit der argen Welt und führe mich endlich nach dieses Leibes Leben in dein ewiges Himmelreich, wo Freude die Fülle und liebliches Wesen zu deiner Rechten ist ewiglich. Amen!(Christian Wilhelm Spieker)
6:10 Dein Reich komme. Dein Wille geschehe auf Erden wie im Himmel.7); 8)
Wen uns GOtt die drey ersten Bitten erhöret, seinen NAmen in uns heiliget, so setzt er uns in sein Reich, und geußt seine Gnade in uns, die uns fromm zu machen anhebt. Dieselbe Gnade hebt bald an GOttes Willen zu thun, alsdenn windet sie einen widerspenstigen Adam, so schreyet denn zu GOtt die Gnade im Hertzen wider denselben Adam, und spricht, dein Wille geschehe, den der Mensch findet sich mit ihm selbst schwerlich beladen. Wann denn GOtt das Geschrey höret, so will er seiner lieben Gnaden zu Hülffe kommen, und sein angefangenes Reich mehren, und leget sich mit ERnst und Gewalt an den Haupt-SChalck, den alten Adam, füget ihm all Unglück zu, bricht ihm alle sein Fürnehmen, blendet und schändet ihn rings rum, das geschicht, wenn er uns allerley Leiden und Widerwärtigkeit zusendet. Und dazu müssen dienen böse Zungen, böse untreue Menschen, und wo die Menschen nicht gnug seyn, auch die Teuffel, auf daß ja unser Wille erwürget werde mit allen seinen bösen Neigungen, und der Wille GOttes also geschehe, daß die Gnade das Reich besitze, und nur GOttes Lob und Ehre da bleibe. (Martin Luther)
Das Reich Gottes ist ein dreifaches: ein Reich der Macht, der Gnade und der Herrlichkeit. Das Reich der Macht braucht nicht erst zu kommen, denn es ist überall, und umfaßt Himmel und Erde und alle Kreaturen. Es verkündet sich in der Pracht des gestirnten Himmels, in dem Glanze der Sonne, in der Anmuth des Frühlings, in der Segensfülle des Herbstes. Das Reich der Gnade ist's, um dessen Kommen wir bitten. Wohl ist es ohne unser Zuthun in Christo Jesu erschienen, wohl kommt es seitdem mit sicherem, unaufhaltsamem Gange auch ohne unser Gebet von ihm selbst und wird sich vollenden als ein Reich der Herrlichkeit; aber daß es zu uns, die bereits durch die heilige Taufe darin aufgenommen sind, in Kraft komme und gewaltig weiter durch die Welt gehe, darum will der Herr von uns angerufen werden. Er ist der König dieses Reiches, sein Thron der Himmel, sein Wappen das Kreuz, sein Heer die Schaar der Bekenner, seine Waffen das Wort. Wo ist nun dieses Reich? Da, wo man in Buße sich beuget vor dem Heiligen und Gerechten, wo man im Glauben die Hand des barmherzigen Heilandes ergreift, wo Gerechtigkeit und Friede und Freude im heiligen Geist herrschet. Aber es kommt nicht mit äußerlichen Geberden. Nicht die heilige Taufe, die wir empfingen, nicht das heilige Abendmahl, das wir genießen, nicht der Kirchenbesuch, dessen wir uns befleißigen, sind untrügliche Zeichen, daß das Reich Gottes in uns ist, sondern nur, daß wir in das Reich Gottes gekommen sind. Auch das „Herr, Herr sagen“ thut es nicht, denn das Reich Gottes stehet nicht in Worten, sondern in Kraft, das will sagen: wir müssen unsre Herzen, Muth und Sinn mit allen Kräften dem Herrn zum Dienste begeben und von ihm allein uns regieren lassen. So lange die Sünde uns knechtet, sind wir fern vom Reiche Gottes. So lange wir Lug und Trug lieben, sind wir fern vom Reiche des Herrn, dem die Lügner ein Greuel sind. So lange wir in Hochmuth einhergehen, sind wir fern vom Reiche des Herrn, der den Hoffärtigen widerstehet, den Demüthigen über Gnade giebt. So lange wir der Fleischeslust und Augenlust dienen, sind wir fern vom Reiche des Herrn, der da will, daß wir unser Fleisch kreuzigen sammt den Lüsten und Begierden. Darum gehe in dein Kämmerlein und schließe die Thür hinter dir zu, und bete zu deinem Vater im Verborgenen, daß er dir den rechten Glauben an Christum Jesum schenke, die Sünde aus deinem Herzen vertreibe, dich fromm und treu mache, in dir regiere, sein Reich täglich in dir zunehme und wachse und dich aus Gnaden um Christi willen einst aufnehme in das Reich der Herrlichkeit. Diese Bitten wird er erhören nach seiner Verheißung.(Christian Wilhelm Spieker)
6:11 Unser täglich Brot gib uns heute.9)
Anderen mag es scheinen, dass ihr Leben wertlos sei, wert, weggeworfen zu werden. In der Christenheit hat diese Beurteilung des Lebens keinen Raum. Jesus sagte seinen Jüngern: euer Leben hat vor Gott Wert; darum dürft und sollt ihr bitten, dass er es euch erhalte, indem er euch das Brot verschafft. Ihr bedürft zum Leben das Lebensmittel. Ohne Brot könnt ihr nicht leben. Darum ist es ein Teil eures Gebets. Ihr sollt den Vater anrufen, dass er es euch darreiche. Auf das Leben zielt die Bitte Jesu, nicht auf die Zugaben zum Leben, nicht auf das, was es mit Genuss füllt und mit allerlei Lieblichem umkränzt. Braucht denn unser Leben noch eine Verschönerung durch von außen herumgelegten Schmuck, wenn wir den Weg Jesu gehen? Dann hat unser Leben seine Schönheit, seine reizvolle Spannkraft, seine nie verblassende Wonne in sich selbst, eben darin, dass wir nicht für uns selber leben, sondern für ihn, und nicht das Unsere suchen, sondern das Seine. Wer Pflicht empfangen hat, und welche Pflicht! - Pflicht in der Herrlichkeit, wie Jesus sie uns gewährt, Pflicht, Gott in allem zu preisen, seinen Willen zu tun und stets zu seinem Dienst bereit zu sein, den Namen Jesu zu bekennen und die in den Frieden Gottes zu führen, die an ihren Sünden sterben, - der hat ein Leben, das nicht von außen durch irgendeinen Schmuck erträglich gemacht werden muss Für ihn hat die Frage nach dem Sinn seines Lebens die helle Antwort erhalten; denn was von Gott kommt und zu Gott strebt, hat Sinn. Darum gehört auch unser Lebensmittel in unser Gebet hinein, und dies um so mehr, je mehr unser Leben zur Jüngerschaft wird. Denn um so höher steigt sein Wert. Seid ihr nicht mehr als mancher Vogel? hat Jesus zu seinen Jüngern gesagt.
Meine Arbeit dient, Vater, der Erhaltung meines Lebens; sie gibt mir mein Brot. Darum gehört auch meine Arbeit in mein Gebet. Ich tue sie nach Deiner Ordnung und bitte Dich nach Deinem Befehl und Deiner Verheißung: gib zu meiner Arbeit deinen Segen, dass sie uns das gewähre, was unser Leben erhält. Amen. (Adolf Schlatter)
Was der Vater will, muß den Kindern gefallen. Er will aber nur Eins von Ewigkeit zu Ewigkeit. Seine unaussprechliche Seligkeit, sein heiliger Friede soll durch die ganze Schöpfung gehen, soll Himmel und Erde erfüllen. Je näher nun seinem Lichte und seiner Herrlichkeit, desto mehr Theilnahme an dieser Seligkeit, desto mehr Friede und Freude und gottseliges Wesen. Wo dagegen Noth und Ungemach ist, wie ans dieser Erde, da ist Abfall von Gott, und Ungehorsam gegen seinen heiligen Willen. Dieser sein guter und gnädiger Wille waltet nur droben im Himmel ganz allein, und wie er von den Engeln, den dienstbaren Geistern, aufs Vollkommenste: völlig, willig und beständig vollbracht wird, so soll er auch bei uns, das ist, von uns und an uns geschehen und soll uns Alles gelten.
Wir dürfen der väterlichen Hand und gnädigen Leitung unseres Gottes nicht widerstreben, sondern müssen allzeit still und ergeben sprechen: Wie Gott mich führt, so will ich gehn ohn' alles Eigenwählen. Sein Rath unser Rath, sein Wille unser Wille! Wohl führt er uns oft ganz anders, als wir gehen möchten. Er meint es aber gut mit uns, und sind auch Anfangs seine Wege dunkel, das Ende ist eitel Licht. Sucht er uns heim mit Armuth und Krankheit, nimmt er uns das Liebste vom Herzen: wir wollen uns gläubig schicken in das, was er will. Legt er uns Lasten auf: wir wollen sie willig und demüthig tragen als seine Lasten, und den Kelch der Leiden Annehmen im Aufblick zu dem, der gebetet hat: „Vater, nicht mein, sondern dein Wille geschehe!“ Deiner Führung folg' ich still, wie du willst, nicht wie ich will. - Wie aber an uns, so soll Gottes Wille auch von uns geschehen. „Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, so will ich ihr Gott sein.“ Jer. 31, 33.
Die Kinder sollen gehen in des Vaters Fußtapfen und sollen vollkommen sein wie er vollkommen ist. Sein Wille ist unsere Heiligung; wir sollen geschmücket sein mit allen christlichen Tugenden: Liebe, Freude, Friede. Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, Sanftmuth, Keuschheit. Freilich solch' ein Leben im Dienste des Herrn und nach dem Willen des Herrn ist nicht leicht, sondern kostet Opfer; darum hat Mancher die Hand vom Pfluge wieder zurückgezogen. Uns aber soll es die höchste Freude sein, Gottes Willen zu thun, in seinen Wegen zu wandeln. Bei uns soll es heißen: „Deinen Willen, mein Gott, thu' ich gern, und dein Gesetz habe ich in meinem Herzen.“ Ps. 40, 9. Täglich wollen wir daran gedenken, daß Gehorsam besser ist, denn Opfer. 1 Sam. 15, 22. Täglich wollen wir in unserem Amt und Beruf, im Großen, wie im Kleinen, vor Hoch und Niedrig, bei der Arbeit, wie bei der Ruhe, den vor Augen und im Herzen haben, der gesagt hat: „Meine Speise ist die, daß ich thue den Willen deß, der mich gesandt hat und vollende sein Werk.“ Joh. 4, 34.
Wie Gott will, sag' ich stets mit Freuden,
Wie Gott will, glaub' ich auf sein Wort,
Wie Gott will, trag' ich alles Leiden,
Wie Gott will, hoff' ich immerfort,
Wie Gott will, wart' und leb' ich still,
Und sterb' auch endlich, wie Gott will.
(Christian Wilhelm Spieker)
Ist nicht Alles, was ich bin und habe, das Geschenk deiner ewigen Liebe, du treuer Gott und Vater? Sehe ich nicht überall, in mir und um mich, die Spuren und Zeugnisse deiner allwallenden Güte? Füllet sich nicht die Erde mit deinem Segen und das Meer mit den Gaben deiner Huld? Du thust deine milde Hand auf und sättigest Alles, was da lebet, mit Wohlgefallen. Du lässest Brunnen quellen und Bäche und sendest von oben herab den milden, erquickenden Regen. Du hauchest die Erde an, und überall regt sich Leben und Freude, daß sie hervordringen aus der Tiefe und jauchzen in dem Lichte deiner Herrlichkeit. Und ich wollte bangen und sorgen bei so vielen Zeugnissen deiner Huld? Ich wollte kleinmüthig verzagen bei dem Anblick deiner Weisheit, Macht und Güte? Ich wollte mich ängstigen in meinem Herzen, wenn Mangel und Noth hereinzubrechen drohen? „Sehet die Vögel unter dem Himmel an,“ ruft mir der Heiland zu, den du uns zum Troste gesandt hast, „sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen, und euer himmlischer Vater ernähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie? Schauet die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen, sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht, ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist, als derselben eins.“ Matth. 6, 26 f. Die Vögel unter dem Himmel, die Blumen auf dem Felde sind mir als Prediger hingestellt; sie rufen mir zu: laß dein Sorgen und Grämen, wirf all deine Sorge auf den, der für dich sorget, der immer hält, was er zusagt, und dessen Hand noch lang genug ist, wo Menschenhand zu kurz ist. Er kann helfen, er will helfen. Ihm kommt das Sorgen zu; mit unserm Sorgen richten wir nichts aus und rauben dem die Ehre, an dessen Segen Alles gelegen ist. Darum will ich mein Tagewerk thun treu und gewissenhaft und alles Andere dem überlassen, der die Vögel speiset und die Lilien kleidet.
Mäßig will ich sein in meinen Wünschen, bescheiden in meinen Bitten und zufrieden mit Wenigem. Ich will schmecken und fühlen, wie freundlich der Herr ist, und mit Danksagung empfangen mein täglich Brod. Gieb mir nur dein Wort, Herr, und deines Geistes Kraft für meine Pilgerreise nach der himmlischen Heimath, damit ich nicht verschmachte in des Lebens dürrer Wüste. „Aller Augen warten auf dich, Herr! und du giebst ihnen ihre Speise zu seiner Zeit. Du thust deine milde Hand auf und sättigest Alles, was lebt, mit Wohlgefallen.“ Ps. 145, 15 u. 16. Auch heute warte ich auf dich, daß du mir Kraft verleihest, die Arbeit segnest, unser Werk förderst und den Tag über bei uns seiest.
Ich bitte nicht um Ueberfluß, - noch Schätze dieser Erden,
Laß mir, so viel ich haben muß, nach deiner Güte werden.
Gieb mir nur Weisheit und Verstand,
daß ich dich, und den du gesandt,
Recht liebe und erkenne.
(Christian Wilhelm Spieker)
6:12 Und vergib uns unsere Schuld, wie wir unseren Schuldigern vergeben.10)\\
Jesus hat seinen Jüngern ein großes Vertrauen erwiesen, als er ihnen das Wort in den Mund legte: „wir haben unseren Schuldnern vergeben“. Denn die Schulden, die ihr Volk ihnen gegenüber anhäufte, wurden riesengroß. Verdächtigung, Hohn, Gewalttaten begleiteten sie bei jedem Schritt. Es war wahrhaftig nichts Geringes, dass die Jünger als die, die vergeben haben, aus jenem Synedrium weggingen, das ihnen die vierzig Streiche gab und ihnen damit das Schandmal anhängte, das sie als die Ungehorsamen kennzeichnete. Jesus war aber seiner Jünger Gewiss; sie können vergeben. Könnten sie es nicht, so wären sie nicht sein. Wie stimmt nun aber dazu die Bitte: Vergib uns unsere Schulden? Wenn sie vergeben können und zum Hassen unfähig geworden sind, sind sie dann nicht, wie Johannes sagt, aus dem Tod ins Leben hinübergeschritten und nicht mehr imstande, zu sündigen? Wie aber die Notwendigkeit und Fähigkeit, zu vergeben, aus der Lage der Jünger entstand, so sieht auch die Bitte um die Aufhebung ihrer Schulden auf das, was ihnen ihre Jüngerschaft bringen wird. Weil sie sonderlich begnadigt und zu Großem berufen sind, entstehen auch innerhalb ihrer Wirksamkeit die großen Schulden, da sie hinter dem zurückbleiben, was ihr Dienst von ihnen fordert, und von Unverstand und Eigenliebe gehindert werden, jedem das zu geben, was sie ihm schulden, weil er es von ihnen als den Jüngern Jesu empfangen soll. Jesus hat nicht erwartet, dass sie seinem Befehl vollständig genügen, ohne Versäumnisse und ohne Fehltritte, in immer wacher Liebe, die jedem dient. Er will, dass ihr Versagen als Schuld von ihnen erkannt und anerkannt werde, hat ihnen aber zugleich die Zusage gegeben, dass ihre Schulden nicht von ihnen eingetrieben und nicht unter die göttliche Rechtsverwaltung gestellt werden, die an ihrem Schwanken und Fallen Vergeltung übte. Sie sind von Gott gesandt, weil er verzeiht, um Israel seine Vergebung anzubieten, und werden sie auch selbst für alles empfangen, was der Vergeltung bedarf. Ohne diese Bitte gäbe es keine Möglichkeit, im Dienst Jesu zu arbeiten. Wir können nur deshalb zu ihm willig sein, weil wir bitten dürfen: vergib uns unsere Schulden, und diese Bitte ist uns vollends unentbehrlich, wenn wir hochbegabt und reich begnadet sind.
Mein Verkehr mit den anderen, Vater, bringt mir nicht nur das Gelingen, sondern auch das Versagen, nicht nur das fruchtbare, sondern auch das strauchelnde Wort, nicht nur den wachen, sondern auch den müden, stumpfen Blick. Ich bedarf wie die Deinen alle der von dir uns gegebenen Ermächtigung, die uns die Bitte schenkt: Vergib mir meine Schulden, und will Deines Worts gedenken, das uns sagt, dass wir im Glauben bitten sollen. Amen. (Adolf Schlatter)
Auf das „Gieb“ folgt sogleich das „Vergieb“, denn es muß uns, wenn wir die vierte Bitte gebetet haben, alsbald auf's Herz fallen, daß wir nicht werth sind noch verdient haben, auch nur das tägliche Brod von Gott zu empfangen. Auf uns lastet die Schuld der Sünden, indem wir täglich mit Gedanken, Worten und Werken, mit Thun und Lassen wider den Herrn sündigen und eitel Strafe verdienen. Er leuchtet mit dem Glanze seiner Herrlichkeit herab auf die Menschenkinder, die im Schatten des Todes sitzen - und sie erheben ihr Haupt nicht nach oben, wo die Heimath der ewigen Liebe ist, und verschließen ihr Herz gegen das Licht der gnadenreichen Wahrheit. Der Herr füllet den Schooß der Erde mit seinem Segen, sendet Regen und Sonnenschein, krönet das Jahr mit seinem Gute und verbreitet Leben und Freude durch die ganze Schöpfung - und der Mensch ist kalt und undankbar, nimmt Alles ohne Danksagung hin, ist unzufrieden mit dem ihm verliehenen Gute, mißbraucht den Reichthum und trotzet auf seine Klugheit. Noch mehr. Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingebornen Sohn gab, auf daß Alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben (Joh. 3, 16) - und die Menschen nehmen den Gottgesandten nicht auf, verachten seine Lehre, verschmähen seine Liebe und rufen das „Kreuzige“ über ihn aus. Gott hat den Menschen den Himmel aufgethan, hat ihnen den Weg zur Seligkeit gezeigt, kommt immer wieder, wie oft sie auch zurückgestoßen wird, mit seiner Vaterhuld und Gnade - und sie wählen den eigenen Weg, verscherzen leichtsinnig ihr ewiges Heil, weisen alle Einladung zur Buße zurück und versenken ihr Herz in die Lüste dieser Welt. Und selbst die Ernsteren und Besseren, welche dankbar die ihnen dargebotene Gnade annehmen, die ihrer hohen Bestimmung eingedenk sind und in Christo den Weg, die Wahrheit und das Leben gefunden haben: wie viel Fehltritte, Irrthum und Sünde werden auch bei ihnen gefunden! Ach, wollte der Vater im Himmel ansehen unsre Schuld, zurechnen und strafen unsre Sünde, so wären wir längst vergangen in unserem Elende! Vor ihm ist Niemand rein, und wenn wir Alles gethan haben, was uns vorgeschrieben, so sind wir doch unnütze Knechte gewesen. Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den wir vor Gott haben sollten. Unser Dichten und Trachten war böse von Jugend aus. Darum müssen wir Alle demüthig an unsre Brust schlagen und beten: „Gott sei mir Sünder gnädig!“ Jedes Gebet muß durchdrungen sein von dem demüthigen Verlangen: „vergieb uns unsre Schuld!“ - Aber die erlangte Gnade muß uns auch versöhnlich machen gegen unsern Nächsten, der sich an uns versündigt. Kein Haß und Groll, kein Neid und keine Rache dürfen in einem Herzen wohnen, welches Gottes Gnade gefunden und empfunden hat. „Darum wenn du deine Gabe auf dem Altar opferst,“ ruft uns der Erlöser zu, „und wirst allda eingedenk, daß dein Bruder etwas wider dich habe: so laß vor dem Altar deine Gabe und gehe zuvor hin, und versöhne dich mit deinem Bruder, und alsdann komm und opfere deine Gabe.“ Matth. 5, 23 u. 24. Herr, siehe nicht an unsere Sünde um Jesu willen und gieb uns ein versöhnliches Herz. Amen.(Christian Wilhelm Spieker)
6:13 Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.11); 12); 13); 14); 15); 16); 17); 18); 19); 20); 21); 22); 23)
Zur Zeit Christi gab es viele Heuchler, welche gern standen und beteten in den Schulen, und an den Ecken auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gesehen würden; Christus aber sagte von ihnen: wahrlich Ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin, V. 5., und gab hernach einem Jeden den Rath, in sein Kämmerlein zu gehen, und da im Verborgenen zu beten. Nicht nur der eitle Ehrgeiz, den man bei dem öffentlichen Beten nähren konnte, sondern auch die Gefahr vor der Zerstreuung des Gemüths, und die Furcht, daß Andere durch das vertrauliche Ausschütten des Herzens vor Gott geärgert werden könnten, macht diesen Rath nothwendig. Christus selbst war kurz vorher, ehe Er diesen Rath gab, auf einen Berg gegangen, zu beten, und über Nacht im Gebet zu Gott geblieben, Luk. 6,12. Ein andermal ließ Er Seine Jünger und das Volk von Sich, und stieg auf einen Berg allein, daß Er betete, Matth. 14,23. Auch am Oelberg riß Er Sich bei einem Steinwurf weit von Seinen Jüngern weg, da Er beten wollte. Doch muß man aus diesem Allem kein fleischliches Gebot machen, sondern auf den Zweck sehen, welcher oft auch durch ein öffentliches Gebet erreicht werden kann, wenn nur der Ehrgeiz und die Zerstreuung des Gemüths davon abgesondert wird. Christus hat selber das unvergleichliche Gebet, das Joh. 17. steht, vor Seinen Jüngern gesprochen, und Matth. 18,19. gesagt: wo zween unter euch Eins werden auf Erden, warum es ist, das sie (gemeinschaftlich) bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von Meinem Vater in dem Himmel. Auch ist schon zu der Apostel Zeit der öffentliche Gottesdienst nicht ohne ein öffentliches Gebet gehalten worden, wie aus 1 Kor. 11,4.14,13.14.15. 1 Tim. 2,8. zuschließen ist. Die Hauptsache bei dem Gebet ist, daß man durch den Geist der Kindschaft, welcher auch ein Geist der Gnade und des Gebets ist, angetrieben werde, zu Gott als einem Vater zu beten. Wenn man nun vertrauliche Bitten vorzutragen hat, bei welchen Andere nicht mit anstehen können, oder man schwach und blöde ist, und bei einem öffentlich verrichteten Herzens-Gebet in der Gefahr stünde, durch Ehrgeiz oder Zerstreuung die Gebetskraft zu verlieren, so soll man in sein Kämmerlein gehen, die Thüre hinter sich zuschließen, und zu seinem Vater im Verborgenen beten, oder auch einen andern einsamen Ort zum Beten erwählen. Der Vater aber, der in’s Verborgene siehet, wird einem solchen Beter sein Gebet öffentlich vergelten. Er wird sein Gebet erhören und gewähren. Er wird ihm geben, was er bittet, ihn finden lassen, was er sucht, und ihm aufthun, wenn er anklopft. Er wird ihm als ein Vater gute Gaben, welche alle in der Gabe des Heiligen Geistes zusammen gefaßt sind, geben, und diese Gabe wird alsdann durch gute Werke ihren Schein vor den Leuten von sich geben, damit der Vater im Himmel darüber gepriesen werden könne. Am jüngsten Tage aber wird Er einen solchen Beter, der sich durch die Welt durchgebetet und in den Himmel hinein gebetet hat, öffentlich rühmen, und durch die Stellung zur Rechten Jesu, und durch die Mittheilung einer überschwenglichen Herrlichkeit ehren. Auch heute will ich zu dem Vater im Himmel beten. Er wird meine Bitten um Seines Sohnes willen nicht verschmähen.(Magnus Friedrich Roos)
Zur Zeit Christi gab es viele Heuchler, welche gern standen und beteten in den Schulen, und an den Ecken auf den Gassen, auf daß sie von den Leuten gesehen würden; Christus aber sagte von ihnen: wahrlich Ich sage euch, sie haben ihren Lohn dahin, V. 5., und gab hernach einem Jeden den Rath, in sein Kämmerlein zu gehen, und da im Verborgenen zu beten. Nicht nur der eitle Ehrgeiz, den man bei dem öffentlichen Beten nähren konnte, sondern auch die Gefahr vor der Zerstreuung des Gemüths, und die Furcht, daß Andere durch das vertrauliche Ausschütten des Herzens vor Gott geärgert werden könnten, macht diesen Rath nothwendig. Christus selbst war kurz vorher, ehe Er diesen Rath gab, auf einen Berg gegangen, zu beten, und über Nacht im Gebet zu Gott geblieben, Luk. 6,12. Ein andermal ließ Er Seine Jünger und das Volk von Sich, und stieg auf einen Berg allein, daß Er betete, Matth. 14,23. Auch am Oelberg riß Er Sich bei einem Steinwurf weit von Seinen Jüngern weg, da Er beten wollte. Doch muß man aus diesem Allem kein fleischliches Gebot machen, sondern auf den Zweck sehen, welcher oft auch durch ein öffentliches Gebet erreicht werden kann, wenn nur der Ehrgeiz und die Zerstreuung des Gemüths davon abgesondert wird. Christus hat selber das unvergleichliche Gebet, das Joh. 17. steht, vor Seinen Jüngern gesprochen, und Matth. 18,19. gesagt: wo zween unter euch Eins werden auf Erden, warum es ist, das sie (gemeinschaftlich) bitten wollen, das soll ihnen widerfahren von Meinem Vater in dem Himmel. Auch ist schon zu der Apostel Zeit der öffentliche Gottesdienst nicht ohne ein öffentliches Gebet gehalten worden, wie aus 1 Kor. 11,4.14,13.14.15. 1 Tim. 2,8. zuschließen ist. Die Hauptsache bei dem Gebet ist, daß man durch den Geist der Kindschaft, welcher auch ein Geist der Gnade und des Gebets ist, angetrieben werde, zu Gott als einem Vater zu beten. Wenn man nun vertrauliche Bitten vorzutragen hat, bei welchen Andere nicht mit anstehen können, oder man schwach und blöde ist, und bei einem öffentlich verrichteten Herzens-Gebet in der Gefahr stünde, durch Ehrgeiz oder Zerstreuung die Gebetskraft zu verlieren, so soll man in sein Kämmerlein gehen, die Thüre hinter sich zuschließen, und zu seinem Vater im Verborgenen beten, oder auch einen andern einsamen Ort zum Beten erwählen. Der Vater aber, der in’s Verborgene siehet, wird einem solchen Beter sein Gebet öffentlich vergelten. Er wird sein Gebet erhören und gewähren. Er wird ihm geben, was er bittet, ihn finden lassen, was er sucht, und ihm aufthun, wenn er anklopft. Er wird ihm als ein Vater gute Gaben, welche alle in der Gabe des Heiligen Geistes zusammen gefaßt sind, geben, und diese Gabe wird alsdann durch gute Werke ihren Schein vor den Leuten von sich geben, damit der Vater im Himmel darüber gepriesen werden könne. Am jüngsten Tage aber wird Er einen solchen Beter, der sich durch die Welt durchgebetet und in den Himmel hinein gebetet hat, öffentlich rühmen, und durch die Stellung zur Rechten Jesu, und durch die Mittheilung einer überschwenglichen Herrlichkeit ehren. Auch heute will ich zu dem Vater im Himmel beten. Er wird meine Bitten um Seines Sohnes willen nicht verschmähen.(Magnus Friedrich Roos)
Gemeint sind hier nicht jene Erprobungen unseres Glaubens, die notwendig zur christlichen Charakterbildung gehören, sondern die aus besonders ernsten Gründen zugelassene satanische Versuchung. Hier zielt alles auf Fallen und Verzweiflung ab. Das setzt voraus eine Vorgeschichte der Untreue von seiten des Menschen, in der er auf Gottes Wort und Führung schon nicht mehr geachtet hatte, so daß kein anderes Mittel blieb als solche Operation auf Leben und Tod. Dann bedeutet diese Bitte: wir fürchten uns vor solchen gefährlichen Stunden und versprechen, treuer zu achten auf dein Wort. Wir wollen uns durch kleinere Mittel schon ziehen lassen und nicht ungehorsam sein gegen das Wirken des Heiligen Geistes. - Wenn aber doch jene dunklen Stunden kommen, dann bitten wir: Herr, laß unsern Glauben nicht aufhören! Erhalte du die Lebensader unserer Beziehungen mit dir unversehrt, wie uns sonst auch geschehen mag! Daß wir nur dann nicht irre werden an der Treue und Liebe Gottes, der uns auch in solchen Augenblicken nicht verworfen hat, sondern nur auf den Sieg des Glaubens über den Augenschein wartet, um der Versuchung ein Ende zu machen!
Vater im Himmel, wir bitten dich, erbarme dich über unsere Schwachheit und halte du uns fest in deinen treuen Händen, daß wir in dir geborgen seien und der Arge uns nicht antasten kann um deiner Liebe willen! Amen. (Samuel Keller)
Sprachlich hat die Fassung: erlöse uns von dem Bösen! - bekanntlich mehr für sich. Sieht man im Übel ein Erziehungsmittel Gottes, wird man in vielen Fällen gar nicht so ohne weiteres den Mut haben, es wegbeten zu dürfen. Von dem Bösen, dem Teufel, erlöst zu werden, ist immer richtig; denn sein Eingreifen wird ja nur im äußersten Falle zugelassen, wenn wir sonst auf Gott hören wollen. Das Übel kann aber oft eine unerläßliche Stufe unserer Erdenschule sein. Was würde auf vielen Irrwegen aus uns werden, wenn es kein natürliches Übel gäbe, das uns zur Vernunft brächte! Oder sollen wir den Gedankenumweg einschlagen, daß wir durch Gottes Hilfe Meister des widrigen Schicksals werden sollen? Oder ist es ein Rechnen mit unserer Schwachheit, daß wir im Übel uns der schließlichen Abnahme des Schmerzes trösten sollen? Merkwürdig: Jesus stellt das Übel, das die meisten Menschen am ehesten zum Notschrei zwingt, an die letzte Stelle der Bitten!
Herr Jesu, hier irren wir und fehlen; selbst im Gebet! Bring uns nach Hause, wo wir keine Briefe mehr ins Vaterhaus schreiben, sondern dich sehen von Angesicht zu Angesicht. Amen. (Samuel Keller)
Wer viel empfangen hat, von dem wird viel gefordert. Überreich waren die Jünger beschenkt, sie, die Träger des Evangeliums, das aus ihnen das Licht der Welt gemacht hat. Darum stehen sie auch unter dem mächtigen Anspruch, den ihr Amt an sie stellt und der ihnen gewährte Vorzug auf sie legt. Der Dienst Gottes gebührt denen, die die Versuchung bestehen. Nicht dadurch rüstete sie Jesus für ihren Dienst, dass er sie jubelnd auf den Kampfplatz stellt, nicht dadurch, dass er sie als die Helden beschreibt, denen er den Kampfpreis schon jetzt zusagt, weil sie ohne Gefährdung immer siegend durch die Versuchung gehen. Vielmehr gibt er ihnen die gebeugte Haltung: „führe uns nicht in Versuchung“. So rüstet er sie zum Sieg. Die Versuchung kommt; sie kommt um der Gnade willen, die ihnen gegeben ist, weil ihnen das Herrlichste anvertraut ist, was ein Mensch empfangen kann, Gottes Dienst. Sie bringt sie aber in die Nähe des Falls. Sie lernen in der Versuchung nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihre Schwachheit kennen. Sie wüssten nicht, was ihre Kraft ist, würden sie nicht auch ihre Schwachheit sehen. Daraus beschenkt sie Jesus mit der Frucht vor Gott. Das gehört zur Wunderbarkeit Jesu, dass er uns beides schenkt, den Glauben und die Frucht, ohne dass ein innerer Riss uns lähmt. Ohne Glauben sind sie nicht seine Jünger; eben deshalb, weil sie glauben und damit sie glauben, ordnet ihnen Gottes Liebe die Versuchung zu. Mit dem Glauben geht aber die Furcht Gottes Hand in Hand. Denn die Versuchung öffnet ihnen das Auge für ihr Sündigen und enthüllt ihnen den Abgrund, dessen Rand ihr Weg begleitet. Neben ihrem Fall steht der Verkläger, der nach ihrem Sturz begehrt und ihn für seinen Zweck benützt, und über ihrem Fell steht der richtende Gott, bei dem es kein Ansehen der Person gibt, weil er jeder Gottlosigkeit widersteht. Allein entzweien können sich die Frucht und der Glaube nicht; denn ihr Ursprung verbindet sie. Beide entstehen dadurch, dass sich unser Blick zu Gott wendet. Aus seiner Gnade entsteht unser Glaube und aus Gottes Widerstand gegen alle Gottlosigkeit entsteht unsere Frucht. Sehen wir auf zu Ihm, so sehen wir im einen und selben Gott stets beides, seine strafende und seine rettende Tat.
Vor Dir, Vater, verstummt jeder Ruhm und jeder Mund wird verschlossen vor Deinem Gericht. Deiner Kinderschar geziemt es, Dich so zu fürchten, dass sie dir glaubt und Dir so zu glauben, dass sie Dich fürchtet. Du ordnest meine Last, dass ich sie tragen kann, und führst mich so durch das dunkle Tal, dass ich Deinen Stecken und Stab höre und weiß, dass du bei mir bist. Ich bitte dich um deinen Frieden, der unser Herz bewacht. Amen. (Adolf Schlatter)
Oft wissen wir selbst nicht, was wir können, und unser Inneres ist mit mancher Zuthat umgeben, von der zweifelhaft ist, ob sie uns wirklich eignet, oder nur etwas äußerlich Angenommenes ist, wie denn wohl Mancher zuweilen einen hohen und stolzen Muth an den Tag legt und sich mit Petrus vermisset: „Ich will mein Leben für dich lassen“ (Joh. 13, 37), und doch, wenn es gilt, zu Schanden wird, so daß die selbstbewußte Kraft in offenbare Verleugnung umschlägt. Die Versuchung offenbart, was wir aus uns selbst wollen, ob wir zu stehen vermögen, wenn Gott die Stützen unseres Lebens, wie den Zuspruch der Freunde, den Beistand der irdischen Mittel und selbst seine umschirmende Gnade hinweg nimmt und uns der uns anerschaffenen Freiheit und Selbstentscheidung anheim giebt. Die Versuchungen, die Gottes Kinder erfahren, gleichen dem Kampfe, in welchem sich die Kräfte des Lichts und der Finsterniß messen, und aus welchem die bewahrten Kämpfer neugekräftigt und zu noch schwererem Streite geschickt hervorgehen. Anfechtung macht gute Christen. Die leidigen und freudigen Lagen, in die der Herr uns versetzt, dienen zur Prüfung und Bewährung unsers Glaubens und Gehorsams, unsrer Liebe und Treue. Darum können wir eben so wenig flehen: Führe uns in gar keine Versuchung, als der Krieger nicht bitten darf: Führe mich nicht in die Schlacht, und der Schiffsmann nicht: Führe mich nicht auf die offene See. Es wird niemand gekrönt, er kämpfe denn recht. Der Teufel, die Welt und unser Fleisch legen es unter göttlicher Zulassung vor Allem darauf an, daß sie uns betrügen, indem sie sich uns nicht zu erkennen geben und die Sünde als süß, Gottes Willen als bitter, Weltgenuß als Ehre und Christi Kreuz als Schande uns vorspiegeln. Sie verführen uns in Mißglauben und Verzweiflung, daß wir hoffärthig und sicher werden, oder an Gottes Macht und Gnade verzagen. Darum müssen wir, so lange wir hier wallen, täglich bitten: Schwach und krank sind wir, o Vater, und die Versuchung ist so groß und mannichfaltig, die uns von innen und außen zusetzt und unsere Seele so leicht bethört und verführt. Behüte und bewahre deine Kinder nach deiner Treue durch deines Wortes und Geistes Kraft, daß sie nicht zu Falle kommen und wieder sündigen. Gieb uns Gnade, daß, wie lange und hart wir angefochten werden, wir auf dem Grunde des Glaubens beständig bleiben und ritterlich kämpfen bis an unser Ende; denn ohne deine Gnade und Hülfe vermögen wir nichts.
Führ' uns, Herr, in Versuchung nicht,
Wenn uns der böse Feind anficht.
Zur linken und zur rechten Hand
Hilf uns thun starken Widerstand,
Im Glauben fest und wohl gerüst't
Und durch des heil'gen Geistes Trost.
(Christian Wilhelm Spieker)
Du bist der Herr und König des Reichs, um dessen Fortgang und Verherrlichung wir bitten, unsere Sache ist deine eigene Sache: Du mußt erhören! Du kannst Alles thun, was du willst, im Himmel und auf Erden, im Meer und allen Tiefen, kein Feind ist dir zu stark, keine Noth zu groß und keine Last zu schwer: Du kannst erhören! Du hast bisher den Ruhm in aller Welt erhalten, daß du das Gebet deiner Kinder nicht verschmähest: Du wirst auch ferner solche Ehre deines Namens bewahren, du wirst erhören. Dein Reich, deine Kraft, deine Herrlichkeit dauert und währet ohn' alles Ende und Aufhören, darum ruhet die Erhörung unserer Bitten auf einem unvergänglichen Grunde, und wir können uns derselben allezeit getrösten. Und mit dem Amen eines ungezweifelten Glaubens, im Namen dessen, der uns beten lehrte und uns die Verheißung der Erhörung gab, in dem hochgelobten Namen, worin wir Tag an Tag, und Gebet an Gebet, und Werk an Werk knüpfen sollen, schließen wir unser Gebet: Amen, in Jesu Namen Amen. (Christian Wilhelm Spieker)
6:14 Denn so ihr den Menschen ihre Fehler vergebet, so wird euch euer himmlischer Vater auch vergeben,
6:15 Wo ihr aber den Menschen ihre Fehler nicht vergebet, so wird euch euer Vater eure Fehler auch nicht vergeben.24)
Der Spruch ist ein Anhang zum Vaterunser, oder eine Erklärung, warum in dem Letzteren bei der Bitte: „Vergib uns unsre Schulden“ der Beisatz gemacht wird: „wie wir vergeben unsern Schuldigern“. Bei allem Nichtvergeben setzen wir uns also der Gefahr aus, daß Gott uns nicht vergebe. Deswegen giebt uns der HErr aus wichtigem Grunde die Weisung, doch ja jedem seine Fehle zu vergeben, und keinen es fühlen zu lassen, daß wir's gegen ihn haben, wenn es nicht zu seiner Besserung, also aus Liebe, geschehen kann und oft muß. Was man nicht vergibt, legt man schon an und für sich gleichsam auf die Waagschale des Gerichts. Daher, daß mit dem Nichtvergeben in der Regel die Anwünschung eines göttlichen Gerichts, oder wenn Letzteres scheinbar erfolgt, eine Befriedigung und Schadenfreude verbunden ist. Man will's zwar damit oft ein wenig besser machen, daß man sagt: „Gott soll's dir verzeihen; aber ich kann dir's nicht verzeihen.“ So sagt der Mund, aber was denkt das Herz? Andere sagen: „Vergeben will ich's, aber vergessen kann ich's nicht.“ Merkst du denn, du harter Mensch, da nicht den Schalk in dir? - Genau genommen ist das Nichtvergeben das, bei dem auch von Gott nicht vergeben werden soll. Stärker ist's freilich, wenn man's ausdrücklich vor Gottes Gerichtsstuhl bringen will, oder wenn man an den gerechten Gott appelliert, der es heimsuchen, und nicht etwa nur die Unschuld dartun soll, wie Paulus es meint (1.Kor.4,4.5), wenn er von Gott redet, der ihn, - nicht seine Ankläger richten und alles offenbar machen werde. Da sagen sie oft: „Drüben wollen wir's mit einander ausmachen.“ Aber merke: Wer dort andere gestraft wissen will, wird selbst am Kopf genommen.
Es greift da überhaupt alles wunderbar ineinander. Mit deinem Nichtvergeben hältst du auch, je nachdem sich's um etwas handelt, die Vergebung auf, die dein Beleidiger für sich von Gott erwartet. Denn es gilt in gewissem Sinne bei jedem Christen, wie bei denen, die das Amt haben, was der HErr sagt: „Welchen ihr die Sünden behaltet, denen sind sie behalten,„ oder: „Was ihr auf Erden bindet, soll auch im Himmel gebunden sein“. Dein Beleidiger kann also unter Umständen wirklich durch dein Nichtvergeben im Gericht Gottes hangen bleiben, gleichwie ihm viel leichter Gnade und Vergebung von Gott zukommen kann, wenn du vergeben hast nach dem Wort : „Welchen ihr die Sünden erlasset, denen sind sie erlassen“ (Joh.20,23). So lange wir innerlich uns so beleidigt und gekränkt fühlen, kann Gott dem Beleidiger nicht in gewünschter Weise seine Schuld vergeben; und so kannst du Ursache werden zu schweren Züchtigungen, die über deinen Beleidiger kommen, wenigstens vorübergehend. Wird dir's wohl dabei sein? Überleget's ! Wie viel hängt nicht dran, daß wir vergeben lernen! Gott helfe uns dazu und beuge unsre harte Herzen! (Christoph Blumhardt)
Nu wollen wir sehen den allerkräftigsten Ablaßbrief, der noch nie auf Erden kam; und darzu nicht umb Geld verkauft, sondern idermann umbsonst geben. Andere Lehrer setzen die Genugthuung in den Beute und Druhen; aber Christus setzet sie in das Herz, daß sie nicht näher gesetzt mag werden: also, daß du nicht darfst gen Rom, noch gen Jerusalem, noch zu St. Jacob, noch hieher oder dorthin laufen umb Ablaß; und kann denselben sowohl lösen der Arm als der Reich, der Krank als der Gesund, der Laie als der Priester, der Knecht als der Herr.
Und der Ablaßbrief lautet auf Deutsch also:
Wenn ihr vergebt euren Schüldigern: so wird euch mein Vater auch vergeben. Werdet ihr aber nicht vergeben: so wird euch mein Vater auch nicht vergeben.
Dieser Brief mit den Wunden Christi selbs versiegelt, und durch seinen Tod bestätiget, ist gar nahend verblichen und verwesen, durch die großen Platzregen des Römischen Ablasses. Da kann sich niemand entschüldigen, daß ihm seine Sünde nicht vergeben werden, oder bös Gewissen behält; denn Christus spricht nicht: Du sollst für deine Sünde so viel fasten, so viel beten, so viel geben, dieß oder das thun; sondern: willt du genug thun, und deine Schüld bezahlen, deine Sünde ablöschen, höre meinen Rath, ja Gebot: thue nicht mehr, denn laß alles nach, und wandel dein Herz, da dich niemand hindern kann; und bis hold dem, der dich beleidiget. Vergib nur du, so ist es alles schlicht. Warumb prediget man solch Ablaß nicht auch? Gilt Christus Rath und Verheißen nicht so viel, als ein Traum eines Predigers? Ja solch Ablaß wird nicht St. Peters Kirchen, (die der Teufel wohl leiden mag,) bauen; denn Holz und Stein ficht ihn nicht fast an, aber fromme, einhellige Herzen, die thun ihm das Herzleid an.
Darumb mag man dieß Ablaß nicht umbsonst. Jenes wird man nicht satt und allen Kosten. Nich, daß ich Römisch' Ablaß verwerfe; sondern, daß ich wollt, ein iglich Ding in seinen Würden gehalten werde; und wo man gut Gold umbsonst haben kann, daß man Kupfer nicht theurer, denn das Gold werth ist, achtet. Hüte dich nur für der Farb und dem Gleißen. Am zehenten Tage des Brachm. Anno 1523 (Martin Luther)
Christus sah es als notwendig an, seinen Jüngern zu zeigen, was das allgemeine Anliegen ihrer Gebete sein soll und auf welche Art sie beten sollen. Nicht dass wir daran gebunden wären, nur diese anzuwenden, oder immer nur diese; aber es ist ohne Zweifel gut, diese zu beten. Dieses Gebet sagt mit wenigen Worten viel aus; und es wird ebenso gerne benutzt wie es mit Verständnis genutzt wird, und das ohne sinnlos wiederholt zu werden. Es sind sechs Anliegen; die ersten drei beziehen sich ausdrücklich auf Gott und seine Ehre, die letzten drei auf unsere eigenen Belange, sowohl zeitliche als auch geistliche.
Dieses Gebet lehrt uns zuerst nach dem Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit zu trachten und alles Andere wird uns zufallen. Nach den Dingen von Gottes Herrlichkeit, Königtum und Wille bitten wir um die Unterstützung, die wir brauchen und um Trost für das momentane Leben. Jedes Wort beinhaltet eine Lektion darin.
Wir bitten um Brot; dies lehrt uns Mäßigkeit und Enthaltsamkeit; und wir bitten nur um Brot; nicht um das, was wir nicht brauchen. Wir bitten um unser Brot; dies lehrt uns Ehrlichkeit und Fleiss: wir bitten weder um das Brot der anderen noch um Brot des Betruges (Sprüche 31,27), sondern um ehrlich erworbenes Brot. Wir bitten um unser tägliches Brot, was uns lehrt, dass wir immer von der göttlichen Versorgung abhängen. Wir bitten Gott, es uns zu geben; nicht, es uns zu verkaufen oder es uns auszuleihen, sondern es uns zu geben. Die mächtigsten Menschen müssen für die Gnade Gottes wegen des täglichen Brot dankbar sein. Wir beten, gib es uns. Dies lehrt uns, Erbarmen mit den Armen zu haben. Auch, dass wir mit unseren Familien beten sollten. Wir beten, dass Gott es uns heute geben möge; was uns lehrt, die Bedürfnisse unserer Seelen gegenüber Gott zu erneuern, so wie er unsere Leiber erneuern möchte. Wenn der Tag kommt, müssen wir zu unserem himmlischen Vater beten und der Meinung sein, dass wir ebenso einen Tag lang ohne Essen auskommen könnten, so wie man ohne Gebet auskommt. Wir werden gelehrt, die Sünde zu hassen und uns davor zu fürchten, wohingegen wir auf die Gnade hoffen, uns selbst misstrauen, auf die Voraussicht und Gnade Gottes vertrauen, um uns davor zu bewahren, vorbereitet zu sein, der Versuchung zu widerstehen, und niemandem zur Versuchung zu werden. Hierin liegt ein Versprechen, wenn Du vergibst, wird Dein himmlischer Vater Dir auch vergeben. Wir müssen vergeben, so wie wir hoffen, dass uns vergeben worden ist. Diejenigen, die sich wünschen, Gnade bei Gott zu finden, müssen ihren Geschwistern gegenüber Erbarmen zeigen. Christus kam als der große Friedensstifter, nicht nur um uns mit Gott sondern uns untereinander zu versöhnen. (Matthew Henry)
6:16 Wenn ihr fastet, sollt ihr nicht sauer sehen wie die Heuchler; denn sie verstellen ihr Angesicht, auf daß sie vor den Leuten scheinen mit ihrem Fasten. Wahrlich ich sage euch: Sie haben ihren Lohn dahin.
6:17 Wenn du aber fastest, so salbe dein Haupt und wasche dein Angesicht,
Was eine Wirkung auf Gott oder deinen eigenen inneren Menschen haben soll, ist dein Geheimnis; das gehört nicht ins Schaufenster der Seele, oder vor ein großes Publikum. Wer seine erschütterndste Beichte vor vielen Zeugen auskramt, wer seine zartesten religiösen Geheimnisse sofort in der nächsten Versammlung zum besten gibt, will mit seinen Gefühlen oder Erfahrungen prahlen; dann ist der Schmelz fort; als hätten schmutzige Hände einen weißen Lilienkelch angefaßt; als wären viele harte Fußtritte über dein blühendes Blumenbeet gegangen. Der bitterste Schmerz, das schwerste Opfer, die schmerzlichste Selbstverleugnung, der einschneidenste Verzicht auf Erdenglück - das sind Dinge für die Sakristei deines Lebens - nicht für die Öffentlichkeit. Zwei Wirkungen solcher Sachen soll es nur geben: entweder segnen sie dich in der Stille vor Gott, oder sie schmücken dich in der Zeitung und dem Gerede der Menschen. Die eine Wirkung kann anhaltend sein, wie die Ewigkeit, die andere ist kurzlebig wie eine Eintagsfliege. Deshalb schließe solche Erlebnisse in dein Herz hinein, damit sie dich segnen können.
Du sollst mein Beichtvater sein, Herr Jesus! Vor dir darf ich all mein geheimes Entbehren und Selbstverleugnen aussprechen. Laß an deinem Herzen mich ausweinen, daß du mich tröstest, wie einen seine Mutter tröstet. Die draußen brauchen nichts von dem zu wissen. Da mach mich stark! Amen. (Samuel Keller)
6:18 auf daß du nicht scheinest vor den Leuten mit deinem Fasten, sondern vor deinem Vater, welcher verborgen ist; und dein Vater, der in das Verborgene sieht, wird dir's vergelten öffentlich.
25)
Religiöses Fasten ist eine Pflicht, die von den Jüngern des Herrn verlangt wird, aber es ist nicht so sehr eine Pflicht an sich, als ein Mittel, um uns für andere Aufgaben zur Verfügung zu stellen. Fasten ist die Erniedrigung der Seele (Psalm 35,13). Dies ist das Eigentliche der Aufgabe. Lass dies daher zuerst dein Hauptanliegen sein, und trachte nach außen hin nicht danach, dass es gesehen wird. Gott sieht in ein Geheimnis hinein und wird reichlich belohnen. (Matthew Henry)
Kunstfertig sind wir Menschen, dass wir sogar aus dem, was unsere Trauer und unsere Busse sichtbar macht, uns einen Ruhm bereiten. Das ist ein seltsames Kunststück. Ist nicht für den, der sich als schuldig richtet, die Öffentlichkeit verschärfte Pein? Sucht nicht die echte Träne die Verborgenheit? Allein das Kunststück, von dem Jesus spricht, ist uns sehr geläufig und findet sich bei allen, die nichts anderes sind als das, was die Gesellschaft aus ihnen macht. Sie stellen nicht nur ihre Kraft, sondern auch ihre Schwachheit aus, lassen sich ihre Tüchtigkeit und ihre Busse von den anderen bestätigen und bedürfen auch für ihre Trauer die Zuschauer. Da uns Jesus von der Knechtschaft unter die Menschen frei macht, stellt er auch den Fastenden allein vor Gott. Dadurch erhält unsere Busse Wahrheit und wird wirklich zur Beugung unter Gottes Gericht und unsere Trauer bekommt Heilsamkeit; nun reinigt sie unsere Seele. Ist es aber nicht gegen die Wahrhaftigkeit, wenn der Fastende sich jene Haltung gibt, die der annimmt, der sich zum frohen Fest begibt? Nur dann würde daraus eine Vorstellung, wenn es möglich wäre, dass uns ein Schmerz widerführe, der jede Freude in uns erstickt. Wir treten aber nach der Vorschrift Jesu mit dem gewaschenen Angesicht und dem geordneten Haar in die Gemeinschaft hinein und diese ist Gottes reiches Geschenk. Wenn wir die anderen mit dem belasten, was uns peinigt, verkennen wir den von der Gemeinschaft uns gegebenen Beruf. Wenn das Auge des Bruders deine Tränen sieht, so lass ihn mit dir weinen, wie er sich mit dir freuen soll, wenn er deine Freude sieht; aber um das Mitweinen der anderen zu werben, ist nicht brüderlich. Was aber unsere Gemeinschaft als ihr gemeinsames Gut besitzt und verwaltet, das ist Gottes Gnadengabe, an der ich auch im tiefsten Leid und bittersten Fasten Anteil habe. Auch dann gehöre ich zu den Hochzeitsleuten, die der Bräutigam deshalb zu sich geladen hat, damit sie mit ihm feiern. Wir waschen darum unser Gesicht nicht für die Menschen, sondern wenden uns mit aufgedecktem Angesicht dem zu, der uns die Herrlichkeit Gottes zeigt.
Was soll ich mehr begehren, als dass Du, Vater, weißt, was mir fehlt, und siehst, was mich beugt? Bist Du auch der verborgene Gott, so bist Du doch in Deiner Verborgenheit gegenwärtig. Dir bringe ich mein Geständnis und erfasse Deine Verheißung, dass Du dem verzeihst, der vor Dir seine Schuld bekennt. Amen. (Adolf Schlatter)
6:19 Ihr sollt euch nicht Schätze sammeln auf Erden, da sie die Motten und der Rost fressen und da die Diebe nachgraben und stehlen.
6:20 Sammelt euch aber Schätze im Himmel, da sie weder Motten noch Rost fressen und da die Diebe nicht nachgraben noch stehlen.
Lukas hat diese Worte Kap. 12,32.33.34. ausführlicher geschrieben, denn nach seinem Zeugniß hat Christus zu Seinen Jüngern gesagt: fürchte dich nicht, du kleine Heerde; denn es ist eures Vaters Wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Verkaufet, was ihr habt, und gebet Almosen. Machet euch Sekel, die nicht veralten, einen Schatz, der nimmer abnimmt, im Himmel, da kein Dieb zukommt, und den keine Motten fressen; denn wo euer Schatz ist, da ist euer Herz. Man sammelt auf Erden Schätze, wenn man Gold, Silber, Kleinodien, Hausrath, Kleider, liegende Güter, und überhaupt allerhand kostbare und angenehme Dinge sammelt, und das Gesammelte für sein höchstes Gut und für seinen besten Trost hält, folglich, wie David Ps. 62,11. redet, sein Herz daran hängt, welches man aus der unmäßigen Begierde und Freude, aus dem Leichtsinn, womit man wegen dieser Dinge wider Gott und den Nächsten sündiget, und aus dem trostlosen Zustand der Seele bei dem Verlust derselben erkennet, gesetzt, daß man auch das Anhangen des Herzens in der Heuchelei vor sich selbst und vor Andern verberge. Wer aber dergleichen etwas erbt, oder kauft, oder geschenkt bekommt, und dabei ein so freies Herz behält, als besäße er’s nicht, und wer diese Dinge braucht, daß er sie nicht mißbraucht, wie Paulus 1 Kor. 7,30.31. sagt, hält diese Dinge nicht für seinen Schatz: sein Herz ist nicht dabei. Die Schätze im Himmel, die Sekel, die nicht veralten, und der Schatz, der nicht abnimmt, sind das Reich, das der himmlische Vater den Glaubigen geben will, und alle Herrlichkeit, welche dasselbe in sich faßt, und die ewiges Leben, ewige Freude, ewige Hütten, Lohn, Krone, Macht u. dergl. genannt wird. Diese Schätze frißt keine Motte und kein Rost, das ist, sie sind keiner innerlichen Abnahme und keinem Verderben unterworfen, auch gräbt kein Dieb darnach, um sie zu stehlen, das ist, sie können dem, der sie hat, durch keine List noch Gewalt entrissen werden. Die irdischen Schätze hingegen vergehen von innen heraus, wenn sie alt werden, auch werden sie dem Menschen durch eine äußerliche Gewalt und List, wovon der Diebstahl nur als ein Beispiel angeführt wird, wozu man aber auch Brand, Ueberschwemmung, Plünderung, Zerstreuung durch verthunerische Erben, und Anderes rechnen kann, zernichtet. Wer sie hat, kann sie verlieren, und verliert sie gewißlich im Tode, und wer hofft, er werde seinen Nachkommen dadurch ein dauerhaftes Glück verschaffen, betrügt sich, wie die Erfahrung lehrt, sehr. Der HErr Jesus gab damals Seinen Jüngern auch den Befehl: verkaufet, was ihr habt, und gebet Almosen, und sahe dabei auf ihren besonderen Beruf, nach welchem sie von der Zeit der Bergpredigt an mit Ihm reisen, und hernach ausgehen sollten, das Evangelium zu predigen, folglich kein ordentliches Hauswesen mehr führten durften. Es war also rathsam für sie, daß sie ihre liegenden Güter, welche sie nicht mehr verwalten und benutzen konnten, verkauften, und davon Almosen gaben; wogegen sie sich in der folgenden Zeit von dem Evangelio nähren durften, 1 Kor. 9,7-14. Luk. 10,7. Zu allen Zeiten ist das Almosengeben, woraus es auch bei jenem Verkaufen vornehmlich ankam, das Mittel, im Himmel Schätze zu sammeln, 2 Kor. 9,6.7.(Magnus Friedrich Roos)
6:21 Denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz.
So muss es sein, weil es keine ertragreiche Arbeit gibt, wenn ich sie nicht mit ganzem Herzen tue. Mit halbem Herzen getan trägt sie mir keine Schätze ein. Soll sie gelingen, so muss ich meine ganze Kraft an sie wenden in beständiger Aufmerksamkeit und entschlossener Anstrengung. Weil das Herz am Entstehen des Schatzes einen bedeutsamen Anteil hat, darum zieht auch der Schatz das Herz zu sich und es ist nun bei seinem Schatz. Nun spricht Jesus von zweierlei Schätzen, weil wir den Ertrag unseres Lebens an zwei verschiedenen Stellen suchen können. Ich kann mein Ziel im greifbaren Ertrag meiner Arbeit finden, in den natürlichen Gütern, die sie mir verschafft. Nun verweilen meine Gedanken bei ihnen; mit ihnen beschäftigen sich die Pläne, die Sogen, die Hoffnungen. Das ist der irdische Schatz und das auf der Erde heimische Herz. Es gibt aber auch einen Schatz im Himmel, einen Arbeitsertrag, der sich bei Gott befindet, weil er in Gottes Wohlgefallen und seinem Segen besteht. Stehe ich in meinem Geschäft und Beruf als Gottes Knecht, dann liegt auch der von mir begehrte Ertrag meiner Arbeit in Gottes Hand. Nutzlose Arbeit tut niemand. Tue ich sie als Christ, so besteht ihr Ertrag in dem, was Gott von mir denkt und Gott für mich tut, und dieser himmlische Schatz kann mir ebenso teuer werden wie den anderen ihr natürlicher Besitz am Herzen liegt. Aber die Kinder dieser Welt sind, wie Jesus sagte, klüger als die Kinder des Lichts; denn sie wenden an ihren Schatz größere Sorgfalt, hüten ihn wachsamer und mehren ihn eifriger als die Kinder des Lichts ihren himmlischen Schatz.
Großer Gott, Deine Kinder suchen ihren Lohn bei Dir und empfangen ihn von Deiner Güte. Lass Dir auch mein irdisches Tagewerk wohlgefallen. Auf Deinen Segen ist meine Arbeit gegründet. Ohne ihn muss und soll sie eitel sein. Amen. (Adolf Schlatter)
Ps. 49,12. wird von gewissen Gottlosen gesagt: das ist ihr Herz, ihr innerstes und größtes Verlangen, daß ihre Häuser währen immerdar, ihre Wohnungen bleiben für und für, und haben große Ehre auf Erden. Ueberhaupt wird des Herzens in der heiligen Schrift gedacht, wenn von des Menschen innerlicher Liebe, Verlangen und Vertrauen die Rede ist, da dann immer zu merken ist, daß nicht dasjenige, was der Mensch weiß und heuchlerisch redet, sondern dasjenige, was sein Herz, das ist sein Innerstes, in sich faßt, seine eigentliche Seelengestalt ausmacht, und ihm zugerechnet wird. Der HErr Jesus sagte Matth. 6,21.: wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz. Vorher hatte Er Seine Zuhörer ermahnt, sie sollen sich nicht auf Erden, sondern im Himmel Schätze sammeln. Diese Seine Ermahnung bekräftiget Er mit dem wichtigen Ausspruch: denn wo euer Schatz ist, da ist auch euer Herz. Mein Schatz ist also, wo mein Herz ist, das ist, wohin meine Liebe, Verlangen und Vertrauen geht, und mein Herz ist, wo mein Schatz ist. Wenn ich etwas auf der Erde besitze, als besäße ich’s nicht, wenn ich diese Welt gebrauche, und derselben nicht mißbrauche, wenn mir Reichthum zufiele, und ich hängte mein Herz nicht daran, so hätte ich zwar eine zeitliche Habe, aber keinen Schatz auf Erden. Mein Schatz, mein Liebstes, mein Bestes, durch das ich glücklich werden will, soll im Himmel sein. Da gibt es ein unvergängliches, unbeflecktes und unverwelkliches Erbe, das den Auserwählten behalten ist, da sind Kronen beigelegt, welche den Ueberwindern bestimmt sind, da gibt es ein himmlisches und unbewegliches Reich, welches die Gerechten empfangen sollen, da sind Schätze, welche der gerechte Richter denen, die mit Geduld in guten Werken nach dem ewigen Leben getrachtet haben, als einen Gnadenlohn geben will. Diese Schätze kann man sammeln, ob man sie schon noch nicht siehet und empfängt. Man sammelt sie aber, wenn man reich in Gott wird (Luk. 12,21.), wenn man nach dem Reich Gottes trachtet (Luk. 12,31.), wenn man diejenigen, welche der HErr Jesus an jenem Tage Seine geringsten Brüder nennen wird, speiset, tränket, beherberget, bekleidet, und in ihren Krankheiten und Gefängnissen besucht (Matth. 25,35.36.), und wenn man überhaupt Gutes thut und nicht müde wird (Gal. 6,9.). Wo nun der Schatz ist, den man bei Leibesleben sammelt, da ist auch das Herz, dahin geht das innerste Verlangen, und die Hoffnung der Seele, und dahin ist das einfältige Auge derselben gerichtet, von dem Christus Matth. 6,22. redet. Eines Christen einiges Bestreben ist also dieses, daß er seinen Schatz im Himmel vermehren, und endlich wirklich empfangen und genießen möge: eines eiteln Weltmenschen Bestreben aber ist, daß er sich auf Erden vergängliche Güter und Ehre erwerbe, und sie auch mit Gemächlichkeit genieße. Wer im Himmel Schätze sammeln will, und es an einer redlichen Bekehrung und am Fleiß in guten Werken nicht fehlen läßt, kann seines Wunsches froh werden; da hingegen diejenigen, die auf Erden Schätze sammeln wollen, gemeiniglich ihren Zweck nicht erreichen, und auch des Gesammelten wegen des täglichen Mißvergnügens nicht froh werden, wie sie wünschen; zu geschweigen, daß endlich der HErr zu einem jeden solchen Sammler sagt: du Narr, diese Nacht (oder diesen Tag) wird man deine Seele von dir fordern, und weß wird sein, das du bereitet hast? (Luk. 12,20.)(Magnus Friedrich Roos)
6:22 Das Auge ist des Leibes Licht. Wenn dein Auge einfältig ist, so wird dein ganzer Leib licht sein;
6:23 ist aber dein Auge ein Schalk, so wird dein ganzer Leib finster sein. Wenn nun das Licht, das in dir ist, Finsternis ist, wie groß wird dann die Finsternis sein!
6:24 Niemand kann zwei Herren dienen: entweder er wird den einen hassen und den andern lieben, oder er wird dem einen anhangen und den andern verachten. Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon.
26)
Der HErr Jesus sagte diese Worte, da Er Seine Zuhörer belehren wollte, daß sie nicht Gott und dem Mammon zugleich dienen können. Wenn zwei Herren einander feind sing, oder einander entgegen arbeiten, wie Christus und Belial, so ist’s klar genug, daß man nicht beiden zugleich dienen könne: allein der Mammon, das ist zeitliche Habe, ist eigentlich nichts Böses. Er ist sogar ein Geschöpf und eine Gabe Gottes, und doch kann man ihm nicht neben Gott dienen. Gott fordert nämlich, daß man Ihm allein dienen, und seinen Leib und seine Seele Ihm allein aufopfere. Man soll keine anderen Götter neben Ihm haben, folglich auch keinen Herrn, dem man sich ganz widme. Wer den Mammon so liebt, wie man Gott lieben soll, haßt den großen Gott, dessen Zorn man ohnehin alsdann heimlich fühlt, und wer dem Mammon so anhangt, wie man Gott anhangen soll, verachtet den großen Gott, weil er Ihn nicht für würdig hält, daß er Ihm anhange. Hinwiederum wer Gott über Alles liebt, haßt den Mammon mit demjenigen Haß, den Christus Luk. 14,26. befiehlt, weil er etwas Lästiges und Versuchendes ist, und wer Gott anhangt, verachtet den Mammon als etwas Eitles.
Wir sind dem großen Gott einen beständigen Dienst als Seien Kinder und leibeigenen Knechte schuldig: weil Ihm aber kein erzwungener und heuchlerischer Dienst angenehm ist, so will er von uns geliebt sein, und diese Liebe macht den Dienst auch auf des Menschen Seite angenehm und leicht. Das ist die Liebe zu Gott, daß wir Seine Gebote halten, und Seine Gebote sind nicht schwer, 1 Joh. 5,3. Ihm sollen wir anhangen, wie David Ps. 63,9. gesagt hat: meine Seele hanget Dir an, Deine rechte Hand erhält mich, und Paulus 1 Kor. 6,17.: wer dem HErrn anhanget, der ist Ein Geist mit Ihm. Anhangen ist etwas, das aus der Liebe folgt, denn Paulus braucht dieses Wort 1 Kor. 6. von zwei Personen, die Ein Leib werden. Also, sagt er, wird derjenige, der dem HErrn anhangt, Ein Geist mit Ihm. Er wird mit Ihm vereinigt, und will ohne Ihn nicht mehr sein. Den Zuhörern Christi waren diese Pflichten wohl bekannt, denn Moses hatte schon 5 Mos. 10,12. gesagt: nun Israel, was fordert der HErr dein Gott von dir, denn daß du den HErrn deinen Gott fürchtest, daß du in allen Seinen Wegen wandelst, und liebest Ihn, und dienest dem HErrn deinem Gott von ganzem Herzen, und von ganzer Seele, und 5 Mos. 13,4.: ihr sollt dem HErrn eurem Gott folgen, und Ihn fürchten, und Seine Gebote halten, und Seiner Stimme gehorchen, und Ihm dienen, und Ihm anhangen. Wer dem Mammon dient, setzt immer alle seine Leibes- und Seelenkräfte in Bewegung, um ihn zu erhalten und zu vermehren: wer ihn so liebt, wie man Gott lieben soll, preiset ihn über Alles, und ergötzt sich an ihm mehr als an allem Andern, und wer ihm anhangt, ist von ihm gleichsam gefangen, und über seinen Verlust untröstlich. Gott mache mich von Allem, was irdisch und eitel ist, los, und erwecke mich immer mehr zu Seinem Dienst, zur Liebe gegen Ihn, und zum Anhangen an Ihn.(Magnus Friedrich Roos)
Weltliche Gesinnung ist ein allgemeines und fatales Symptom der Heuchelei, denn durch keine andere Sünde kann Satan sicherer und schneller die Seele gewinnen, als unter dem Deckmantel eines religiösen Bekenntnisses. Etwas, das die Seele besitzt, das sie als beste Sache ansieht, worin sie ihre Freude und Vertrauen hat, mehr als in anderen Dingen.
Christus gibt den Rat, unsere liebsten Dinge in der Freude und des Herrlichkeiten der anderen Welt zu sehen, in den unsichtbaren Dingen, die ewig bestehen, und unsere Glückseligkeit darin zu sehen. Es gibt Schätze im Himmel. Darin besteht unsere Weisheit, all unseren Fleiss anzuwenden, um unsere Stellung im ewigen Leben durch Jesus Christus fest zu machen und all diese Dinge hier unten als nicht wert zu sehen, damit verglichen zu werden und zufrieden zu sein, in allem die Fülle zu haben. Es ist Freude über und nach den Veränderungen und Gelegenheiten der Zeit, eine unvergängliche Erbschaft. Der weltlich gesinnte Mensch liegt mit seinem hauptsächlichen Trachten falsch; deshalb müssen alle seine Argumentationen und alles daraus resultierende Handeln falsch sein. Dies gilt auch für falsche Religion; die, die man für hell erachtet, ist totale Finsternis. Dies ist ein schrecklicher, aber weit verbreiteter Fall; wir sollten daher sorgfältig unser hauptsächliches Trachten durch das Wort Gottes prüfen, mit ernstem Flehen um die Führung des Heiligen Geistes. Ein Mensch kann vielleicht zwei Herren ein bisschen dienen, aber er kann sich niemals mehr als einem völlig hingeben. Gott will das ganze Herz und wird es nicht mit der Welt teilen. Wenn zwei Herren sich entgegenstehen, kann niemand beiden dienen. Der, der sich an die Welt hält und sie liebt, muss Gott verachten; der, der Gott liebt, muss die Freundschaft mit der Welt aufgeben. (Matthew Henry)
Besitz haben und Gott haben, das stimmt fein zusammen. Denn der Besitz ist uns von Gott gegeben und wird uns als sein Segen zuteil. Weil er uns nötig ist, dienen wir der göttlichen Ordnung, wenn wir ihn erwerben und verwalten. Gott haben bedeutet aber, ihm dienen. Ich kann ihn nur dadurch für mich haben, dass ich mit allem, was ich bin und tue, sein eigen bin und seinen Willen tue. Dieser Dienst ergreift mich aber ganz. Somit ist es unmöglich, dass ich dem Besitz diene, an ihn gebunden sei und mich ihm zum Knecht mache, wenn ich Gott habe und darum auch Gott diene. Es ist also meine Christenpflicht, zu prüfen, wann aus meinem Erwerben, das mir mein Besitz verschafft, der Dienst des Besitzes wird. Ernsthaft und erfolgreich kann ich nur dann arbeiten, wenn ich mein Herz in meine Arbeit lege. Ich muss mit gesammeltem Nachdenken und entschlossenem Willen meine Arbeit tun. Das ist aber das, was sie gefährlich macht. Deshalb, weil ich nicht mit halbem Herzen arbeiten und erwerben darf, dreht sich leicht das Verhältnis um, so dass aus dem Besitz der Besitzer, aus dem Mittel der Zweck, aus dem Herrn der Knecht wird. Ich spüre, dass das Verhältnis sich umgedreht hat, wenn ich nicht mehr entbehren kann, unfähig zum Geben bin, wenn ich im Ertrag meiner Arbeit deshalb, weil sie meinen Besitz mehrt, meine Ehre und Größe suchte. Damit bin ich aber dem Dienst Gottes entflohen und habe aus allem, was ich meine Religion oder mein Christentum heiße, Schein und Einbildung gemacht. Wachsamkeit ist hier von mir gefordert, unablässige, stets gewaffnete. Der Kampf ist heiß, und je verwickelter unsere Wirtschaft wird, desto künstlicher die Wege sind, auf denen wir die Lebensmittel suchen müssen, um so härter, an Wunden und Niederlagen reicher wird der Kampf. Uns allen ist aber auch die uns schützende Hilfe gezeigt. Du kannst, sagt mir Jesus, Gott dienen und damit endet deine Verknechtung an deinen Besitz. Dass du ihm dienen kannst, ist sein gnädiges Geschenk, seine herrliche Gnadentat. Nahe dich zu Gott, so naht er sich dir. Nun habe ich den Standort, der mich über alle Fragen und Sorgen der Wirtschaft erhebt, kann erwerben, ohne zu verderben, kann besitzen, ohne an meinem Besitz zu sterben. Denn jetzt kann ich nicht nur erwerben, sondern auch gebrauchen, nicht nur gewinnen, sondern auch geben, und bereite mir mit der Mehrung meines Besitzes die verstärkte Pflicht und das erhöhte Vermögen zu meinem Gottesdienst.
Nur um eines kann ich bitten, nicht um Reichtum und nicht um Armut, sondern darum: Mache Deine Gnade mir so groß und in mir so wirksam, dass ich Dein eigen bin und Dir diene in allem, was ich tue. Ich bedarf in allem Deines Vergebens, denn was natürlich ist, zieht mich an sich mit Allgewalt; aber Dein Vergeben ist stark und überwindet das Böse und führt uns in die Freiheit ein. Amen. (Adolf Schlatter)
6:25 Darum sage ich euch: Sorget nicht für euer Leben, was ihr essen und trinken werdet, auch nicht für euren Leib, was ihr anziehen werdet. Ist nicht das Leben mehr denn Speise? und der Leib mehr denn die Kleidung?
Quält euch nicht mit dem, was ihr zur Erhaltung des Leibes braucht; ist das die Meinung Jesu? Ja. Aber sein Wort sagt uns noch mehr. Die Qual, mit der wir uns ängsten, bis wir die Lebensmittel haben, nimmt uns Jesus ab. Er kann uns aber von der Qual nicht befreien, wenn er nicht unser Begehren stillt. Spricht er von den Sorgen, so sind das nicht nur die bekümmerten Gedanken, die dann entstehen, wenn wir kein Brot und keinen Rock haben oder doch sie nicht so haben, wie wir sie uns wünschen, sondern das sind auch die begehrlichen Gedanken, die gierig nach dem fragen, was wohl auf den Tisch kommen wird und was wir als Schmuck und Ehrenzeichen um uns legen wollen. Die Sorge, von der Jesus spricht, nimmt mit dem Besitz nicht ab, sondern zu; denn sie erfaßt den Menschen mit Gewalt, wenn er in der gottlosen Nacht verweilt. Dass wir die Nahrung und Kleidung bedürfen, das hat Jesus nicht vergessen. Wir bedürfen sie wie die Tiere, die nicht vergeblich nach der Nahrung suchen, weil sie dazu gerüstet sind, sie zu finden wie die Lilien, die mit ihrem herrlichen Gewand das salomonische Prachtkleid verdunkeln. Erwogen werden muss die Frage: was werden wir essen und anziehen? Mit jedem neuen Tag. Sie ist aber nicht mehr der heiße Funke, der unsere Begehrlichkeit in hellen Brand versetzt. Alle unsere Krankheiten heilt Jesus durch dasselbe Mittel. Unsere wilde, nach vielerlei greifende Begehrlichkeit löscht er dadurch aus, dass er uns den Vater zeigt, den gebenden Gott. Mit dem Glauben an ihn versetzt er uns in die Freiheit von der Sorge, sowohl von der, die sich bekümmert und ängstigt, als von der, die lüstern genießt. Mit dem Glauben endet nicht unsere Natürlichkeit und ihr Bedürfnis, endet auch nicht die Arbeit, die unserem Bedürfnis gehorcht; aber die Zerrüttung der Seele endet im Aufblick zum gebenden Gott. Denn nun erscheint, wenn ich mich glaubend an ihn wende, vor meinem Blick sein Reich und seine Gerechtigkeit und gibt meinem Leben das neue, hohe Ziel.
Es ist, Vater, Deine Schöpferhand, die mich des Brot und Kleids bedürftig macht, und ich ehre auch diesen Deinen Willen in froher Dankbarkeit. Du gabst mir, was ich bedarf. Aber alle, die Dich kennen, sollen Dich von Herzen preisen, dass Du uns mehr gibst als nur das, was auch die Vögel und Lilien haben. Jetzt erst in dem, was uns zu Deinen Kindern macht, sehen wir ohne Hüllen Deine Herrlichkeit. Amen.(Adolf Schlatter)
6:26 Sehet die Vögel unter dem Himmel an: sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammeln nicht in die Scheunen; und euer himmlischer Vater nährt sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie?
Gottes Kinder sind doppelt seine Kinder, sie sind seine Kinder durch ihre Erschaffung, und sie sind seine Söhne durch ihr Kindesrecht in Christo. Darum haben sie das herrliche Vorrecht, zu Ihm beten zu dürfen: „Unser Vater, der Du bist in dem Himmel.“ Vater! Welch ein lieblicher Laut ist das! Es liegt darin Würde: „Bin ich nun Vater, wo ist meine Ehre?“ Seid ihr Söhne, wo ist euer Gehorsam? Es liegt darin Liebe, verbunden mit Würde; eine Würde, die nicht zum Widerstand reizt; eine Erwartung des Gehorsams, der freudig erfüllt wird. Der Gehorsam, den Gottes Kinder Gott leisten, muss ein Gehorsam der Liebe sein. Wandelt nicht zum Hause Gottes wie Sklaven, die sich mit Widerstreben ihrer Arbeit unterziehen, sondern gehet in den Wegen seiner Gebote, denn es ist eures Vaters Weg. Begebet eure Glieder zum Dienst der Gerechtigkeit, weil Gerechtigkeit eures Vaters Wille ist, und sein Wille auch seines Kindes Wille sein soll. Vater! Darin liegt königliches Ansehen, aber so zart in Liebe verhüllt, dass man in des Königs Miene der Königskrone vergisst, und sein Herrscherstab zu einem silbernen Gnadenzepter wird; dies Zepter ist wahrlich keine eiserne Rute, sondern wird in der liebenden Hand Dessen, der es hält, kaum wahrgenommen. Vater! hierin liegt Ehre und Liebe. Wie groß ist doch eines Vaters Liebe gegen seine Kinder! Was keine Freundschaft vermag, was kein Wohlwollen unternimmt, das leistet eines Vaters Herz und Hand für seine Söhne. Sie sind sein Fleisch und Blut; er muss sie segnen; sie sind seine Kinder, mit starkem Arm nimmt er sich ihrer an. Wenn ein irdischer Vater mit unermüdlicher Liebe und Sorgfalt seine Kinder überwacht, wie viel mehr wird das nicht unser himmlischer Vater tun? Abba, lieber Vater! Wer das sagen kann, hat ein herrlicheres Loblied gesungen, als alle Cherubim und Seraphim. Es liegt ein ganzer Himmel auf dem Grunde des Wortes: Vater! Es birgt alles, was ich begehren kann; alle meine Bedürfnisse dürfen nur fordern, alle meine Wünsche dürfen nur verlangen. Ich besitze alles in allem auf ewige Zeiten, wenn ich nur lallen kann: „Vater!“ (Charles Haddon Spurgeon)
6:27 Wer ist aber unter euch, der seiner Länge eine Elle zusetzen möge, ob er gleich darum sorget?
6:28 Und warum sorget ihr für die Kleidung? Schaut die Lilien auf dem Felde, wie sie wachsen: sie arbeiten nicht, auch spinnen sie nicht.
6:29 Ich sage euch, daß auch Salomo in aller seiner Herrlichkeit nicht bekleidet gewesen ist wie derselben eins.
6:30 So denn Gott das Gras auf dem Felde also kleidet, das doch heute steht und morgen in den Ofen geworfen wird: sollte er das nicht viel mehr euch tun, o ihr Kleingläubigen?
Kleider sind kostspielig, und arme Gläubige mögen in Sorgen sein, woher ihr nächster Anzug kommen soll. Die Sohlen sind dünn; wie sollen wir neue Schuhe erhalten? Seht, wie unser vorsorgender Herr dieser Sorge vorgebeugt hat. Unser himmlischer Vater kleidet das Gras auf dem Felde mit einer Pracht, der Salomo nicht gleichkommen konnte: wird Er nicht seine eignen Kinder kleiden? Wir sind gewiß, daß Er es will. Es mag manchen Flicken und manche Stopfstelle geben, aber Kleidung sollen wir haben.
Ein armer Prediger fand, daß seine Kleider fadenscheinig und so abgetragen waren, daß sie kaum noch zusammen hielten; indes als ein Diener des Herrn erwartete er, daß sein Herr ihm die Livree geben würde. Es traf sich so, daß dem Schreiber dieses, als er einen Freund besuchte, die Kanzel dieses guten Mannes geliehen ward, und es kam ihm in den Sinn, eine Kollekte für ihn zu halten, und seine Livree war da. Viele andre Fälle haben wir gesehen, wo die, welche dem Herrn dienten, fanden, daß Er an ihre Kleidung dachte. Der, welcher den Menschen so machte, daß er, nachdem er gesündigt, der Kleider bedurfte, versah ihn auch in Barmherzigkeit mit denselben; und die, welche der Herr unsren ersten Eltern gab, waren viel besser, als die, welche sie selber für sich machten. (Charles Haddon Spurgeon)
6:31 Darum sollt ihr nicht sorgen und sagen: Was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden?
Salomo hat in seinen Sprüchwörtern oft die Faulen bestraft, und diejenigen, die in ihrem Geschäfte redlich oder fleißig sind, gelobt, Sprüchw. 31. aber eine fleißige und kluge Hausmutter, welche den HErrn fürchtet, mit vielen Worten gepriesen. Christus selbst hat zu Nazareth als ein Zimmermann gearbeitet, und als Er hernach 5000 Mann auf eine wunderthätige Weise gespeist hatte, Seinen Jüngern Joh. 6,12. befohlen: sammlet die übrigen Brocken, daß nichts umkomme; Paulus aber hat mit Arbeit und Mühe Tag und Nacht neben dem Predigtamt als ein Zeltentuchmacher gearbeitet, damit er Niemand mit seinem Unterhalt beschwerlich würde, und deßwegen diejenigen, die unordentlich wandeln, nicht arbeiten und unnöthige Dinge treiben, desto freimüthiger bestrafen könnte, und dabei den Ausspruch gethan: so Jemand nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen, 2 Thess. 3,10. Da also Christus sagte: ihr sollt nicht sorgen, so hat Er den Fleiß und die Sparsamkeit und Klugheit, welche zur guten Einrichtung einer Haushaltung und zur Erwerbung des täglichen Brodes angewendet werden, nicht verboten. Indem Er sprach: ihr sollt nicht sorgen, so gebot Er Christen die einen Vater im Himmel haben, sie sollen nicht mit einer unglaubigen Angst und Bekümmerniß sagen: was werden wir essen, was werden wir trinken, womit werden wir uns kleiden? Er setzt hier voraus, daß Leute, die so ängstlich fragen, heute Etwas zu essen und zu trinken haben und bekleidet seien, auf’s Künftige aber in Ansehung der Nahrung und Kleider keine gewisse und deutliche Aussicht haben. Freilich sorgt derjenige, der heute etwas hat, immer für den andern Morgen. Er hat heute Brod, indem er’s aber ißt, so ißt er’s mit Sorgen Ps. 127,2., weil er sich darüber ängstet, er werde morgen, oder im nächsten Jahr oder Vierteljahr keines mehr zu essen haben. Wenn aber der morgende Tag, oder das nächste Jahr oder Vierteljahr kommt, so beschert Gott wieder das Nöthige, und hilft durch. Wenn aber der Mensch die Vorsorge Gottes nicht erkennen lernt, und nicht glaubiger wird, so sorgt er alsdann wieder für den andern Morgen, oder für die künftige Zeit, und so bringt er sein Leben unter kümmerlichen Gedanken zu, und wird der Güte Gottes, die alle Morgen neu ist, nie froh.
Da Christus das Sorgen in der Bergpredigt verbot, so hatte Er viele arme Zuhörer vor sich, wie dann zur Zeit Seines Wandels auf Erden die Armuth in dem Land Israels, welches allzustark bevölkert war, und von einer ungerechten Obrigkeit regiert wurde, sehr groß war. Weil Er aber selber arm war, und zu Seinem eigenen Unterhalt nie ein Wunder that, so konnte Er den armen Leuten desto geziemender zurufen: sorget nicht, vertrauet dem himmlischen Vater über eurer Nahrung. Unterscheidet euch durch dieses euer Vertrauen von den Heiden. Sehet die Vögel unter dem Himmel an, sie säen nicht, sie ernten nicht, sie sammlen auch nicht in die Scheuren, wie ihr Arme dieses auch nicht thun könnet: und euer himmlischer Vater nähret sie doch. Seid ihr denn nicht viel mehr denn sie? Schauet die Lilien auf dem Feld, wie sie wachsen, wie sie so schön bekleidet sind: sollte Gott das nicht vielmehr euch thun? O ihr Kleingläubigen! Nun Gott erfüllt die Worte Seines eingebornen Sohnes. Er thut und hat bisher gethan, was dieser gesagt hat. Nun sollen wir glauben, daß er’s auch in’s Künftige thun werde.(Magnus Friedrich Roos)
6:32 Nach solchem allem trachten die Heiden. Denn euer himmlischer Vater weiß, daß ihr des alles bedürfet.
Wir ermuntern uns wechselseitig so oft zum Vertrauen auf Gott; wir erkennen auch, daß so vielfache Beweggründe vorhanden sind, Gott zu vertrauen, und es will uns manchmal bedünken, als ob das Vertrauen eine Tugend wäre, wozu es einer besondern Aufforderung nicht bedarf; da wir häufig Gelegenheit haben, selbst aus dem Munde solcher Menschen, welche eben keine besondere Frömmigkeit zeigen, doch Aeußerungen zu vernehmen, die uns vermuthen lassen, es finde ein Vertrauen auf Gott statt. Allein wenn wir das Treiben und Thun der Menschen genauer beobachten, so bemerken wir leicht, daß die meisten zwar in großer Gefahr, bei ausserordentlichen, räthselhaften Begebenheiten, besonders bei furchtbaren Ereignissen, den Namen Gottes so im Munde führen, daß sie deutlich zu erkennen geben, sie betrachten Gott als denjenigen, der der letzte Grund solcher Erscheinungen ist, und der allenfalls auch Unglück bringende Ereignisse zum Heile der Menschen leiten kann. Aber weit seltner finden wir Menschen, die alles, was ihnen im Leben begegnet, als von Gott veranstaltet betrachten, die die kleinste Freude als das Geschenk seiner Liebe, das geringste Mißgeschick als eine Folge seiner weisen Erziehung, als einen Wink, als eine Anleitung, das zu unternehmen, jenes zu fliehen, betrachten, und die darum fest glauben, daß sie unter der besondersten Führung Gottes stehen und deßhalt immer im Kleinen und Großen, es gehe ihnen wohl oder übel, zu Gott aufschauen, ihn bald für seine Güte preisend, bald von ihm Trost erflehend, und welche so selbst die ihnen unbegreiflichen Fügungen in Demuth anbeten. Und doch ist nun diese Gesinnung eine wahrhaft vertrauensvolle, und nur sie kann einen Frieden in das Herz senken, den kein Sturm zu zerstören vermag. Und zu dieser Gesinnung wollte der Herr durch seine Worte in unserm Texte führen. Sie sagen uns ja deutlich: auch das Kleinste im Weltall geschieht nicht ohne Gottes Willen, Leitung und Zulassung, und der unvernünftigen Geschöpfen sein Liebe zeigt, ja sogar an dem kleinsten Theil der leblosen Schöpfung sich verherrlicht; wie sollte der den Menschen, der eine eigne Welt ist, der Gott denken und zu Gott sich erheben kann, dem er den Sohn sandte und mit diesem alles schenken will, verlassen und versäumen?
Wer Trübes noch nicht erfahren hat, bezweifelt vielleicht kaum, wie wichtig es ist, Gott zu vertrauen, und die die Aufforderung dazu verhallt. Aber es kommen in jedes Menschen Leben die Tage, von denen er spricht: sie gefallen mir nicht. Laßt uns daher fest an Gott halten in den Tagen ungestörten Glückes, um den einzig wahren Zufluchtsort zu kennen in den Tagen der Noth. Amen. (Christoph Wilhelm Goetz)
Es ist freilich etwas Schweres, in Armuth und Dürftigkeit, namentlich in schwereren Zeiten, wie in der Kriegs- und der Hungersnot, von aller peinlichen Sorge sich frei zu erhalten. Um so wichtiger aber ist es auch, eben da durch Geduld, durch Ergebung, durch ruhiges Harren, durch Vertrauen, es zu bewähren, daß man kein Heide sei, d. h. daß man einen Gott habe, auf den man hoffen dürfe. Mit vielem Klagen und Jammern, mit Herumtappen nach allem Möglichen, mit mancherlei ungeschickten Versuchen, sich irgendwie zu helfen, da es nach dem Grundsatz geht: „Helfe, was mag!“ - oder: „Was tut man nicht, wenn man in der Not ist?“ - mit dem allem zeigt man, daß man in keiner Gemeinschaft mit Gott stehe, von Ihm ferne, und also im Grund ein Heide sei. Denn hat uns Gott einmal gewürdigt, uns zu begegnen, sich uns kund zu tun, uns den Weg zum Leben zu weisen, uns zur Herrlichkeit zu bestimmen, uns Seine rechten Kinder zu heißen, so sollten wir's uns denken können, daß Gott solche Kinder nicht so schnell im Elend verderben, oder gar verhungern lasse. Es ist auch wunderbar, welche große Erfahrungen der machen darf, der den wirklichen Glauben und das feste Vertragen behält, Gott lasse ihn nicht in der Not. Der Glaube zieht ganz von selbst wie mit Gewalt den lebendigen Gott zu sich her, daß es nie eigentlich fehlen darf.
Wenn dagegen Zaghaftigkeit kommt, Murren gegen Gott, oder gar Verzweiflung, da kann es wohl geschehen, daß der liebe Gott einen solchen Menschen fallen läßt. Deswegen haben oft auch gläubige Christen, wie man sie nennt, ohne daß sie's im Grunde sind, wenn Mangel oder Sorge kommt, des Jammers und Leids kein Ende; denn es ist mehr Klagen als Beten, mehr Verzagen als Glauben da, - und da stellt sich Gott ferne. Ihnen gehts wie einem Petrus, der auf dem Meer gehen kann, so lange er glaubt, aber alsbald untersinkt, wenn sein Glaube nachläßt. Doch ist es gut, wenn der Verzagte beim Untersinken die Hand des HErrn noch zu ergreifen weiß, sofern er nemlich, wenn's auf's Äußerste kommen will, sich zusammennimmt, und mit gläubigem Ernst Gott wieder anrufen lernt. Denn so errettet Gott auch zaghafte Lente oft und viel, weil Er nicht so schnell gar fallen läßt, und Sein Mitleiden bald wieder angeregt ist, zu helfen und als einen Versorger Sich zu zeigen. Wenn aber das störrische, mürrische, unzufriedene Wesen unverändert fortdauert, so mag's wohl geschehen, daß Gott endlich in die Tiefe sinken läßt, wie man's zum Schrecken oft erfahren kann.
Wollen wir uns denn nicht bei etwaigem Mangel als Heiden geberden, die keine Erfahrung der Liebe Gottes gemacht haben, sondern als Seine Auserwählten, die dessen gewiß sind, daß Er sie zu sich führen und Seiner Zeit zu Erben aller Seiner himmlischen Herrlichkeit machen will, und daß Er darum es ihnen hienieden unmöglich je an Speise und Kleidung fehlen lassen kann, wenn's auch aufs Äußerste zu kommen scheint. (Christoph Blumhardt)
6:33 Trachtet am ersten nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit, so wird euch solches alles zufallen.
Seht, wie die Bibel beginnt: „Am Anfang Gott“. Laßt euer Leben in derselben Weise beginnen. Trachtet mit eurer ganzen Seele zuerst und zuvörderst nach dem Reiche Gottes als dem Orte eures Bügerrechtes, und nach seiner Gerechtigkeit als dem Stempel eures ganzen Lebens. Und das übrige wird von dem Herrn selber kommen, ohne daß ihr ängstlich darum sorget. Alles, was zum Leben und göttlichen Wandel nötig ist, „soll uns zufallen“.
Was für eine Verheißung ist dies! Nahrung, Kleidung, Haus usw. will Gott euch zufallen lassen, während ihr Ihn suchet. Ihr sorgt für seine Sache, und Er wird für die eure sorgen. Wenn ihr Papier und Bindfaden braucht, so bekommt ihr die dazu, wenn ihr wichtigere Güter kauft; und ebenso soll uns alles, was wir an irdischen Dingen nötig haben, zugleich mit dem Reich Gottes in den Kauf gegeben werden. Wer ein Erbe des Reiches ist, soll nicht Hungers sterben; und wer seine Seele mit der Gerechtigkeit Gottes bekleidet, kann nicht von dem Herrn mit einem nackten Körper gelassen werden. Hinweg mit der nagenden Sorge, und richtet eure ganze Seele darauf, den Herrn zu suchen. Geldgier ist Armut und Ängstlichkeit ist Elend! Vertrauen auf Gott ist ein Besitztum, und Ähnlichkeit mit Gott ist ein himmlisches Erbe. Herr, ich suche Dich, laß Dich von mir finden. (Charles Haddon Spurgeon)
Gründlich reinigt Jesus unsere Seele dadurch, dass er das begehrliche Verlangen nach Speise und Kleidung aus ihr vertreibt. Entsteht nun daraus in ihr eine Leere, etwa ein zielloses Brüten, wie es ein buddhistischer Mönch betreibt? Das volle Gegenteil hat statt. Jetzt ist Patz geschaffen für ein Trachten und Wirken von unvergleichlicher Größe. Ist das die Meinung Jesu; statt für deinen Leib zu sorgen, sorgst du nun für deine Seele und strebst nicht mehr nach dem irdischen, sondern nach dem himmlischen Glück? Nein. Er vergleicht nicht zweierlei Glück und zweierlei Eigensucht miteinander, irdisches und himmlisches Glück, sinnliche und fromme Eigensucht, sondern er stellt neben das, was ich bedarf, das, was Gottes Ziel ist, neben das, was ich für mich erstrebe, das, was ich für Gott begehre. Dass Gottes Reich zu uns komme und sich Gottes Gerechtigkeit an uns offenbare, das ist nun das Ziel meines Trachtens. Ist dieses Ziel für uns nicht zu hoch, so dass die doch recht haben, die auch jetzt bei sich selbst stehen bleiben und an ihre himmlische Seligkeit und ihr ewiges Leben denken? Habe ich denn etwas bei Gottes Reich und Gerechtigkeit zu tun? Bin ich nicht nur ihr Empfänger? Gewiss kommt das, was Gottes ist, nicht in meine Hände, so dass ich es zu verwalten hätte wie einen Besitz, der mir gehört. Gottes Reich besteht aber aus Menschen, die Gott lebendig macht, und seine Gerechtigkeit offenbart sich an denen, die die Gerechtigkeit tun.
Dabei kann keiner für sich allein in Gottes Reich leben, keiner für sich allein nach Gottes Gerechtigkeit handeln. Sein Reich führt uns zusammen und seine Gerechtigkeit einigt uns. Nun hat das, was Jesus zum Inhalt meines Trachtens und meiner Arbeit macht, die unerschöpfliche Fülle und den leuchtenden Glanz bekommen. Alles Wirken nach Gottes Willen hat seine Wurzel in unserem Gebet. Nach Gottes Reich trachten heißt um sein Reich bitten, nach Gottes Gerechtigkeit verlangen bedeutet zuerst um sie bitten. Das gibt dem Gebet die nie zu erschöpfende Weite. Ist die Schuld des Menschen um mich her nicht groß? Habe ich nicht Anlass, für sie um Vergebung zu bitten? Geschieht nicht viel Unrecht? Habe ich nicht Anlass, um die Gerechtigkeit zu bitten? Ist der Mensch nicht voll von sich selbst und in seiner Größe ertrunken? Will er nicht regieren und sein eigenes Reich wirken? Habe ich nicht Grund, um Gottes Reich zu bitten? Aber das Gebet des Trägen ist nichtig; ich empfange im Gebet den Willen und das Vermögen zur Tat. Nun sei darauf bedacht, dass wirklich Gottes Reich an dir auch für die anderen sichtbar werde und Gottes Gerechtigkeit, die dem Bösen sieghaft das Ende bereitet, an dir offenbar sei. So wird mein Leben gefüllt, während es unser Sorgen nur mit leerem Tand vollstopft.
Wenn ich auf meine Sorgen lausche, so werden meine Tage leer und mein Leben wird zu Dunst und Rauch. Weil Du Dich aber als den Herrn offenbarst, der uns regiert, und uns Deine Gerechtigkeit zeigst, jubelt meine Seele, singt Dir ein neues Lied und spricht mit dem Psalmisten: Bei Dir ist Freude die Fülle und liebliches Wesen in Deiner Rechten ewiglich. Amen.(Adolf Schlatter)
6:34 Darum sorgt nicht für den andern Morgen; denn der morgende Tag wird für das Seine sorgen. Es ist genug, daß ein jeglicher Tag seine eigene Plage habe.27); 28); 29); 30)
Getreuester Jesu, Du hast mich jetzt gelehrt, wie ich am ersten nach dem Reiche Gottes und Seiner Gerechtigkeit, nämlich nach Deiner Gerechtigkeit, trachten solle. Unzähligen ist das Reich Gottes ihr Letztes, sie haben für dasselbe weder Sinn noch Zeit. Viele haben wohl eine Gerechtigkeit vor Augen, doch es ist ihre, nicht Christi Gerechtigkeit, es ist die bürgerliche, nicht die göttliche; so Mancher will Mammonsdienst und Gottesdienst verbinden und hält es mit einem halbherzigen Wesen. Diese alle haben darum keine Verheißung, und müssen darum ängstlich sorgen, wenn sie in die Zukunft blicken. – Leider kann ich vor Dir, dem Herzenskündiger, nicht läugnen, daß auch mein Herz manchmal mit ängstlichen Sorgen beladen gewesen ist, wenn mein Glaube schwach war und ich nicht recht bedachte, was für einen liebreichen Vater ich durch Deine Versöhnung im Himmel habe. Ach, vergieb mir diese schwere Missethat aus Gnade und Barmherzigkeit, und vermehre mein kindliches Vertrauen, damit ich in den Armen meines himmlischen Vaters sanft und sicher ruhe, wie ein Kind in seiner Mutter Schooß. Du hast meine Seele zum ewigen Leben berufen, so wirst du auch meinem dürftigen Leibe in dem zeitlichen Leben nichts mangeln lassen. Jeder schwache Glaube an Gottes Fürsorge ist doch zuletzt eine Verunehrung Gottes und ein Zweifel, ob Er unsere Noth wisse oder ob Er ihr abhelfen könne und wolle, und stirbt, je mehr der Mensch ernstlich trachtet nach der Seligkeit, nach dem Reiche und der Gerechtigkeit seines Gottes. Hilf mir denn, daß mich künftig nichts mehr bewege, mich wegen der vergänglichen Dinge dieser Welt zu ängstigen und zu quälen, wodurch ich nur mir selbst zur Marter werden würde, da Du mich doch dazu verordnet hast, daß ich die Seligkeit und die Ruhe in Dir, schon in dem gegenwärtigen Leben, genießen soll. Ich weiß ja. „Gott trachtet auch am ersten nach dem Reiche Gottes.“ Ueberlasse ich mich daher Ihm, so kommt es, und mit ihm Gerechtigkeit, Friede und Freude in dem heiligen Geiste. Amen. (Johann Friedrich Wilhelm Arndt)
Es gibt kaum eine Sünde, vor der unser Herr Jesus seine Jünger mehr warnt, als sorgenvolles, unruhiges, misstrauisches Sorgen um die Dinge der Welt. Dadurch wird sowohl der Arme als auch der Reiche umstrickt, der an der Liebe zum Wohlstand hängt. Aber es gibt Sorgfalt um zeitliche Dinge, welche eine Pflicht ist, obwohl wir dieses Befolgen des Gesetzes nicht zu weit betreiben sollen.
Mach Dir keine Sorgen um Dein Leben. Nicht um die Lebenslänge, sondern befiehl es Gott an, damit der es verlängert oder verkürzt nach seinem Wohlgefallen; unsere Zeit liegt in seiner Hand und sie ist in einer guten Hand. Nicht wegen der Annehmlichkeiten dieses Lebens, sondern überlass es Gott, damit er es bitter oder süß macht, wie es ihm gefällt.
Essen und Kleidung hat Gott zugesagt, deshalb dürfen wir diese Dinge erwarten. Sorge nicht um morgen, oder um das was kommt. Hab keine Angst vor der Zukunft, wie Du nächstes Jahr leben sollst oder wenn Du alt bist, oder was Du zurücklassen wirst. Da wir nicht mit morgen prahlen dürfen, dürfen wir uns auch nicht um morgen oder seinen Ereignissen Sorgen machen. Gott hat uns das Leben und den Körper gegeben. Und was soll er nicht für uns tun können, der dies getan hat? Wenn wir auf unsere Seelen aufpassen und nach der Ewigkeit trachten, welche mehr sind als Leib und das Leben, werden wir es Gott überlassen, uns mit Essen und Kleidung zu versorgen, welche geringer sind. Nimm dies als eine Ermutigung, Gott zu vertrauen.
Wir müssen uns mit unserem irdischen Dasein abfinden, wie wir es mit unserem Körperbau machen. Wir können die Fügungen Gottes nicht ändern, daher müssen wir uns diesen unterwerfen und uns mit ihnen abfinden. Achtsamkeit auf unsere Seelen ist das beste Mittel zu Achtsamkeit gegenüber der Welt. Trachte zuerst nach dem Reich Gottes und mache den Glauben zu Deinem Anliegen; sage nicht, dass dies der Weg zum Verhungern ist; nein, es ist der Weg, gut versorgt zu werden, sogar auf dieser Erde. Das Resümee des Ganzen ist, dass es der Wille und der Befehl des Herrn Jesus ist, dass durch tägliches Gebet wir Kraft gewinnen, unsere täglichen Sorgen zu tragen, uns gegen die Versuchungen, die damit verbunden sind, zu rüsten und schließlich keines dieser Dinge uns erschüttern zu lassen. Glücklich sind die, die den Herrn ihren Gott heißen und die dies beweisen, indem sie sich ganz seiner weisen Anordnung anvertrauen. Überführe uns durch Deinen Geist von der Sünde da Du den Wunsch hast, dass wir uns Dir zur Verfügung stellen und nimm die Weltliebe in unseren Herzen weg. (Matthew Henry)
Es hilft uns nichts, die geraden Wege Gottes zu verkehren. Hunderte trommeln jahraus, jahrein Geld zusammen für Weinbergsarbeit. Diese Arbeit nehmen sie Gott aus den Händen, die wollen sie tun. Um den Geist aber bemühen sie sich nicht halb soviel. Das erscheint ihnen unnüchtern, Gott müsse das geben, wann Seine Stunde komme. O, wie unbiblisch handeln auch eifrige Christen! Bemühe dich um das Reich Gottes und um seine Gerechtigkeit, bitte um das Pfand des Erbes, um den Heiligen Geist. Alles Übrige wird der himmlische Vater ohne eindringliches Flehen - und ohne dein Betteln bei den Menschen - hinzutun. Wann willst du in Gottes Hände kommen, wenn nicht heute? Wann willst du wie ein Kind sein, für das der himmlische Vater sorgen kann, wenn du jetzt das Irdische selbst verwalten willst? O flehe um des Erbes Pfand. Alles ist gewonnen, wenn dir der Heilige Geist gegeben ist. Und Er kehrt gerne bei dir ein, sei nur allezeit betend, richte deine Gedanken hin auf das Reich Gottes, hungere und dürste nach des Reiches Gerechtigkeit. Der Heilige Geist lehrt und leitet dich, lass Ihm nur Raum, und wenn du ganz auf die himmlischen Dinge bedacht bist, gibt dir der Herr täglich über Bitten und Verstehen, was zu des Leibes und was zu des Lebens Notdurft gehört. Wir dürfen besitzen, was Jesus besitzt. Seine Herrlichkeit ist auch unsere Herrlichkeit; Er will nichts für sich allein haben. Seine Güter sind auch die Güter Seiner Glieder. Wer im Lichte wandelt, geht ein in das Reich des Lichtes. (Markus Hauser)
In diesem Kapitel, welches eine Fortsetzung der lehrreichen Bergpredigt in sich faßt, handelt der liebste Heiland von einigen der vornehmsten Uebungen des wahren Christenthums, nämlich vom Almosengeben, Beten und Fasten; in welchen Dingen sich dazumal unter den Juden viel Mißbrauch und Heuchelei eingeschlichen hatte, auf deren Abstellung hier der HErr Jesus dringet.
Was das Almosen anbetrifft, so befiehlt Er, daß man ohne Gepränge und ohne Absicht auf eiteln Ruhm vor den Leuten den Armen und Nothdürftigen gutes erzeigen - und die Gnadenvergeltung dafür allermeist nach diesem Leben bei Gott erwarten solle. Dies heißet Er gar bedenklich sich Schätze im Himmel sammeln, da sie weder Motten noch Rost fressen, und da die Diebe nicht nachgraben - noch stehlen.“
Die Welt hingegen will das noch immer nicht glauben, sondern lasset oft lieber ihren Reichthum die Motten und den Rost fressen - oder wohl gar von Dieben sich entwenden, als daß sie davon den dürftigen Gliedmaßen Jesu Christi - auf künftige Wiedervergeltung bei Gott - etwas mittheilen sollte; woraus man gewahr wird, wie der lebendige Glaube leider in so vielen Herzen erkaltet ist.
Das Gebet war weiland schon im alten Testament den Juden treulich befohlen, aber die rechte Art zu beten in den Tagen Jesu bei den wenigsten zu finden. Die Juden bildeten sich nämlich fast auf heidnische Weise ein, es wäre genug, wenn sie nur daheim und in ihren öffentlichen Betstunden mit dem Munde viele Worte macheten, mochte auch die Andacht und Beschaffenheit des Herzens noch so schlecht seyn. Darum lehret Christus, wie man recht und Gott wohlgefällig beten soll, indem Er an dem heiligen Vater unser ein kurzes, dabei aber vollkommenes Gebetsformular stellt, darinnen Er zeiget, um welche Dinge und in welcher Ordnung man beten solle, sonderlich aber vorstellt, wie die Unversöhnlichen, deren Herz mit Zorn, Haß und Feindschaft gegen ihren Nächsten erfüllet sey, keiner Erhörung ihres Gebets, folglich auch keines Nutzens ihrer Beicht und Communion-Andacht sich zu getrösten haben.
Das ist denn wieder eine wichtige Lection, welche zu treiben wir hoch vonnöthen haben bei diesen unsern Zeiten, da so wenig Liebe und Versöhnlichkeit, dagegen so viel Bitterkeit und Rachgier unter fälschlich so genannten Christen sich findet.
Wiewohl das Fasten außer den gewöhnlichen Fast- und Bettagen den Juden von Gott nicht befohlen war, (der hat vielmehr Jes. am 58. ein ganz anderes Fasten vorgeschrieben, welches in Enthaltung von allerlei bösen Gewohnheiten und sündlichen Lüsten bestehet, auch den Menschen antreibet, seinen Glauben durch die Liebe gegen den Nächsten thätig werden zu lassen,) - so war doch auch bei dem Fasten viel unordentliches Wesen unter den Juden aufgekommen, und es geschah alles nur zum Schein vor den Leuten, nicht aber zur Ehre Gottes - und etwa dazu, um sich für das Gebet und für die andern Stücke des Gottesdienstes desto geschickter zu machen.
Also verwirft zwar Christus das Fasten an sich selber keineswegs, zumal wenn darunter ein nüchtern mäßiges Leben verstanden wird. Vielmehr warnet Er anderswo, man solle sich hüten, daß das Herz nicht beschweret werde mit Fressen und Saufen. Jedoch will Er, daß das Fasten nicht geschehe zum Schein - und noch viel weniger in der Meinung, als ob man dadurch die Vergebung seiner Sünden erlangen - oder dafür büßen könne.
Der Christen Auge - oder, was ebenso viel ist, ihr Absehen und Gedanke, den sie bei den Werken der Gottseligkeit haben, muß einfältig und kein Schalk seyn, das ist, es muß Gott allein, dessen Gebot, Ehre und Verherrlichung, wie auch des Nächsten Besserung und Erbauung zum Endzweck vor sich haben.
Im letzten Theil des Kapitels handelt Christus von der den Kindern Gottes und Erben des Himmelreichs ganz unanständigen, auch unnöthigen Kümmerniß um das Zeitliche. An deren Statt sollen sie vielmehr auf Gott, ihren himmlischen Vater, der die Blumen und das Gras auf dem Felde kleidet, die Vögel aber unter dem Himmel ernähret, ihr beständiges Vertrauen stellen - und glauben: wenn sie am ersten trachten nach dem Reich Gottes - und nach Seiner Gerechtigkeit, ohne sich des Irdischen halber mit herznagender Sorge abzumatten, so werde ihnen das andere alles, wie eine kleine Zugabe, nicht vorenthalten, sondern an Speise, Trank und Kleidung so viel von Gott beschehret werden, als ihnen nöthig, nützlich und ersprießlich sey.
Nun - der HErr Jesus lasse uns in allen diesen Stücken Seiner getreuen Unterweisung folgen. Er segne unser Almosen, Er heilige unsere Gebetsandacht, Er führe uns zu einem nüchternen und mäßigen Leben - und stärke uns an Leib und Seele - um Seiner ewigen Liebe willen. Amen. (Veit Dieterich)