Schlatter, Adolf - Einleitung in die Bibel - Die Sprichwörter Salomos.

Lernt ein Volk sein Leben mit Gott verbinden, so erwacht in ihm mit Notwendigkeit ein regsames Nachdenken. Im Glauben an Gott sind wir dessen gewiß, daß alles in unserem Leben von einer vollkommenen Weisheit überdacht und geordnet ist. Darin liegt ein Antrieb für den Geist sich anzustrengen, daß er die göttliche Weisheit auch spüre und finde in dem, was ihm begegnet und vor seinen Augen geschieht. Diese Frucht der Gemeinschaft mit Gott ist auch Israel zu teil geworden. Es lernte nach der Weisheit Gottes graben. Es ward aufmerksam auf die mancherlei Gestaltungen und Wandlungen des Menschenlebens, und fragte, zu welchem Ziel und Ende Gott sie sende und ordne, und was ihre Frucht und ihr Ergebnis sei. Drei Bücher geben uns an der Weisheit Anteil, die in Israel herangewachsen ist, das Spruchbuch, Hiob und der Prediger, jedes in besonderer Art.

Die Form, in der die gewonnene Erkenntnis mitgeteilt wird, ist der Spruch. Er ist darin dem Liede ähnlich, daß auch er rhythmisch aus zwei einander ebenmäßigen Gliedern aufgebaut wird. Auch spricht er wie das Lied nicht nur zum Verstand, sondern setzt das Auge der Seele lebhaft in Bewegung. Er sucht im Thun und Treiben der Menschen den besonders bedeutsamen, typischen Augenblick, der in ihr ganzes Verhalten hineinblicken läßt, und macht ein kleines abgerundetes Gemälde daraus.1) Oder er schafft ein Gleichnis und sucht in der Natur das Spiegelbild für das, was die Menschen in ihrer Weisheit oder Thorheit thun und sind.2) Dagegen unterscheidet sich der Spruch vom Liede durch seine lehrhafte Absicht. Er regt das Nachdenken der Hörer auf, und zwar stellt er schon seiner Kürze wegen große Ansprüche an dasselbe. Der Spruch kann nicht nur flüchtig gehört oder rasch überlesen werden. Er muß erwogen und im Geist hin und her bewegt werden. Erst dann geht uns sein Inhalt auf. Er gleicht einem verschlossenen Kästchen, das der Hörer selber mit seinem eigenen Schlüssel öffnen muß, wenn er sich seinen Inhalt aneignen will. Jedes Gleichnis ist in gewissem Sinn ein Rätsel, da wir uns selber deutlich machen müssen, worin die beiden einander gleichgestellten Dinge zusammentreffen. Sodann sind oft die beiden Glieder des Spruchs absichtlich etwas auseinander gezogen. Es liegen zwischen ihnen unausgesprochene Gedankenreihen. Das zweite Glied eilt zur Wurzel oder auch zur Frucht des ersten hin.3)

Ähnlich wie im Psalmbuch mehrere Psalmbücher vereinigt sind, sind auch im Spruchbuch zur ältesten Sammlung noch andere kleinere hinzugefügt worden. Die Zusammenfügung des Buches ist leicht zu erkennen, weil die Titel teilweise noch erhalten sind. Die erste Sammlung von Sprüchen, das Hauptstück des Buches, umfaßt Sp. 10,1-22,16. Dazu sind vorn mehrere einleitende Stücke als eine Art Vorrede hinzugefügt und hinten sind noch einige kleinere Spruchsammlungen angereiht.

In der ersten großen Spruchsammlung (10, 1-22,16) bildet jeder Spruch für sich ein Ganzes und tritt mit seiner Umgebung in keinen Zusammenhang. In eine Gruppierung sind die Sprüche nicht gebracht. Ihr Gegenstand, in dessen Erkenntnis ihre Weisheit steht, ist das Menschenleben.4) Sie denken nicht über Dinge nach, bei denen der Mensch nichts zu thun und zu schaffen hat. Sie fassen die Aufgabe des Menschen, das ihm obliegende Handeln und den ihm zugeteilten Beruf ins Auge, und wollen ihm zeigen, wie er den richtigen Weg durchs Leben finden kann. Eine Weisheit, deren tiefste Wurzel der Blick auf Gott ist, kann sich nicht in anderen Bahnen bewegen. Im Verkehr mit Gott wird es uns zum großen, wichtigen Anliegen, wie wir richtig handeln möchten. Darauf Antwort zu haben, das macht den weisen Mann.

Als Salomo um Weisheit bat, hatte er zunächst sein Richteramt im Auge, 1 $. 3. Er brauchte einen hellen Blick ins Menschenleben, weil er alle Verwicklungen und Streitigkeiten im Volk nach der Regel der Gerechtigkeit auflösen sollte. Mit dieser richterlichen Weisheit hängt die Spruchweisheit eng, zusammen. Auch der Spruch löst die Knoten des Lebens auf, mißt der Menschen Thun und Lassen und setzt fest, was hiebei die Regel der Gerechtigkeit ist. Er thuts aber nicht bloß an den Streitigkeiten, die der Richter zurechtzubringen hat, sondern er thuts an allem, was im Menschenleben Rätsel ist.

Die Sprüche wollen uns keineswegs immer eine Vorschrift geben. Das erste, was der Spruch gibt, ist vielmehr eine Beobachtung. Er spricht aus, wie es in der Welt zugeht, was als Anfang und Ende, Ursache und Wirkung nach festem Gesetz an einander gebunden ist, allerdings zu dem Zweck, damit wir uns darnach einrichten.5) Oft ist hiemit sodann ein Urteil verbunden, das auf den wahren Wert der Dinge hinzeigt, vor Scheingütern warnt und uns die Wichtigkeit und Größe der echten Güter vor Augen hält. Auch die Geschichte der Väter und des Volkes enthielt die kostbarste und reichste Belehrung über der Menschen Weg und Ziel, so daß man fragen kann, warum gerade Salomo vor allen anderen den Ruhm der Weisheit erlangte, während doch der Unterricht des Spruchbuchs über die Weisheit der Geschichtsbücher oder der Psalmen jedenfalls nicht hinausschreitet. Es ist der Gewinn von gültigen Regeln, von festen Gesetzen, der hier neu hinzutritt, und der von Israel wie von den anderen Völkern als kostbare Gabe empfunden ward. Die Beispiele zur Regel lagen längst vor jedermanns Augen, und die Regel sagt nicht mehr als die Beispiele. Diese sind in gewisser Hinsicht das reichere. Aber so lichtvoll und lehrreich die Geschichte ist, so kehrt sie doch niemals in derselben Weise wieder und paßt nie genau auf meinen eigenen Lebensweg. Die Regel aber gibt einen festen Stützpunkt für mein eigenes Handeln, nach ihr kann ich mein Verhalten einrichten. Die Geschichte erzählt von anderen; die Regel gilt mir.

Die Zahl der Lebensverhältnisse, die in den Sprüchen kurz und treffend geregelt sind, ist sehr beträchtlich, und der Schatz von Weisheit, den sie enthalten, ist sehr groß. Ihre Absicht ist vor allem auf die großen Gegensätze gerichtet, in die sich der Weg der Menschen spaltet. Wir sollen den Unterschied zwischen dem Gerechten und dem Bösen, zwischen dem Weisen und dem Thoren sehen, und wahrnehmen, wie verschieden beide handeln und wie verschieden es auch beiden geht. Die beständige Verwendung des Gegensatzes rührt nicht nur von der Form der Sprüche her, weil sie aus zwei Gliedern bestehen, sondern das hängt tief mit der Hauptabsicht der Sprüche zusammen. Damit wir uns im Leben zurechtfinden, müssen wir zuvörderst diese großen Gegensätze in ihrer Tragweite spüren, müssen begreifen, daß zwei total verschiedene Wege vor uns liegen, die nimmermehr zum gleichen Ziele führen, daß es einen fundamentalen Unterschied ergibt, ob wir gerecht oder böse handeln, weise oder thöricht urteilen, Gott fürchten oder nicht.

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Sprüche vorwiegend von der äußeren Einrichtung unseres Lebens handeln, vom Verkehr mit den Menschen und der Arbeit für den Lebensunterhalt und den äußeren Besitz. Das sind ja auch höchst wichtige Bestandteile unserer Existenz. Daneben fehlen aber die Sprüche nicht, die mit feinem Blick die inwendige Gestalt des Herzens treffen. Es liegt ferner im Wesen der Spruchweisheit, daß sie uns den Menschen in seiner Kraft, Freiheit und Thätigkeit vorführt, als den, der sich selbst sein Glück schmiedet. Sie wollen uns ja zum Schutz gegen Leichtsinn und Thorheit an die Wichtigkeit unseres Handelns erinnern, daß wir für uns selbst wie für unsere Nächsten eine Quelle reicher Segnungen oder auch unsagbarer Bitterkeiten werden können. Darum wird uns hier der Mensch als der freie, starke Bildner seines Lebensglücks vorgestellt, oder als der schuldbeladene Unheilstifter, der sich und andern selbst die Grube gräbt. Aber darin liegt keine Verdunkelung Gottes. Die Selbständigkeit und Macht des Menschen wird nicht auch gegen Gott gekehrt. Die Sprüche sind vielmehr zahlreich und sehr bestimmt, welche, sowie Gottes Walten vor's Auge tritt, alles Gute des Menschen ihm zu Füßen legen als seine Gabe. Der demütige Dank vor Gott ist die reine, schöne Spitze, in der das Selbstbewußtsein und die Thatkraft des weisen Mannes endigt, welchen uns die Sprüche beschreiben. Denn das sehende Auge und das hörende Ohr, beides macht Gott.

Nach 1 Kön. 4, 32 zählte man 3000 Salomonische Sprüche. Aus dieser Menge entstunden mehrere kleinere Sammlungen, die zugleich auch andere Erzeugnisse der Spruchdichtung in sich aufgenommen haben. Auf die große Sammlung folgen zunächst zwei kleinere Reihen von Regeln der Weisheit und Vorsicht, von denen die erste (22,17-24,22) mit einer neuen mahnenden Vorrede beginnt und die Form des Einzelspruchs weniger geschlossen bewahrt. Die zweite (24,23-34) trägt die Überschrift: „Auch diese stammen von Weisen“.

Mit dem Titel: auch dies sind Sprüche Salomos, welche die Männer Hiskijas, des Königs von Juda, zusammengestellt haben, beginnt wieder eine größere Sammlung (25-29), die der ersten nach Form und Inhalt sehr gleichartig ist. Es erscheinen auch einige Sprüche aus der ersten Reihe hier zum zweitenmal. Als Anhang sind die Sprüche Ugurs (30) beigegeben, die eine mehr liederähnliche Weise haben. Sie bestehen aus einem Wort über Gottes Unerforschlichkeit, aus dem schönen Gebet, das nicht Armut und nicht Reichtum von Gott begehrt, aus einem harten Strafwort an sein Geschlecht, und aus der rätselartigen Zusammenstellung der 4. unersättlichen, unbegreiflichen und unerträglichen Dinge, der 4 kleinen Weisen und der 4 mächtig Einherschreitenden. Darauf folgen (31) Worte Lemuels, des Königs von Massa, die ihn seine Mutter lehrte. Zuerst sind es Regeln einer Mutter an ihren königlichen Sohn, eine Warnung vor den Weibern und dem Wein, und die Mahnung zur treuen Rechtsverwaltung. Darauf folgt der alphabetisch geordnete Preis der wackeren Frau, die mit ihrem Fleiß das Haus zu Wohlstand und Ehren bringt.

Die Vorrede zu der Spruchsammlung (1-9) besteht nicht selbst schon aus Sprüchen, wenngleich einzelne spruchartig geformte Sätze eingestreut sind, sondern sie ist eine zusammenhängende, herzliche Mahnrede, der Einleitung zu den Gesetzen des 5. Buchs Mose in der Form nicht unähnlich. Letztere hat wohl diesen Abschnitten als Muster vorgeschwebt. Der Dienst, den diese Vorrede dem Leser leisten will, gleicht auch demjenigen, welchen die Mahnrede vor dem Gesetz anstrebt. Wie das Gesetz, so spricht auch der Spruch eine ruhige sachliche Sprache. Er bittet und beschwört uns nicht, fromm und gerecht zu sein; er legt es uns vor: handelst du so oder so, so geht es dir so, und macht unseren Verstand hell und unsere Überlegung richtig. Daß nun auch das Herz sich bewege und die Regel der Weisheit ergreife, das macht der Spruch zu unserer eigenen Sache. Da greift die Vorrede unterstützend ein und sucht den Weg zum Herzen und möchte ihm den Wert und Segen der Weisheit recht eindrücklich machen, damit wir nicht aus derselben bloß eine kluge Berechnung und Pfiffigkeit machen, sondern der innerliche Grundtrieb des Geistes von der Furcht und Wahrheit Gottes erfüllt und geleitet sei. Dazu denkt die Vorrede auch an die Gefahren, die namentlich dem jugendlichen Sinne nahe stehen und ihn leicht unversehens verderben; und möchte denselben an diesen Klippen warnend vorbeileiten.

Noch in anderer Hinsicht erläutert die Vorrede die Lehre der Sprüche. Die Sprüche teilen die Menschen in Gerechte und Böse, in Weise und Thoren. Und der Weise steht dicht neben dem Gerechten, der Thor dicht neben dem Bösen. Und der Weise und der Gerechte sind wieder eins mit dem Frommen, und der Thor und Böse eins mit dem Gottlosen. Hier läßt das Spruchbuch keine Trennung zu. Den hellen erleuchteten Geist und den geraden richtigen Willen nimmt es untrennbar zusammen, nicht minder den verworrenen verkehrten Geist und das böse verdorbene Trachten. Böse handeln, sagt das Spruchbuch, heißt immer auch thöricht handeln, denn du verblendest und betrügst dich dabei selbst. Thöricht handeln heißt immer auch schlecht handeln; denn bei solcher Verwirrung deines Urteils sind immer auch deine bösen verdorbenen Begehrungen mit im Spiel. Gerecht handeln ergibt ein weises Handeln, denn so bist du von der Wahrheit geleitet. Weise handeln kannst du nur durch Gerechtigkeit und Frömmigkeit, denn nur dann ist dein Blick unverwirrt und dein Auge hell. Diesen religiösen Begriff von Weisheit, daß sie mit Gottes Gedanken und Gebot in Übereinstimmung sei, hat auch die Vorrede und sie entwickelt und erläutert ihn ausdrücklich. Auch ihr bedeutet die Weisheit die ganze Tugend und Frömmigkeit. Deshalb zeigt sie, daß die Weisheit nicht ein Produkt und Gemächte des Menschen, sondern eine Gabe von oben ist, daß Gott allein die Weisheit hat, sie aber auch allen denen gibt, die sie suchen. Weise sein bedeutet an Gottes Weisheit Anteil haben. Dann ist aber deutlich, daß natürliche Begabung und menschlicher Fleiß nicht zureichen, um sie zu finden, sondern daß es vor allem auf die Art und das Ziel unseres Trachtens und Begehrens ankommen muß. Weil Gott der Duell und Geber aller Weisheit ist, darum beginnt die Vorrede des Buches mit der vielsagenden Erklärung, daß die Furcht Gottes ihr Anfang sei.

Zuerst wird der Einladung zur Weisheit der Rat der Sünder entgegengesetzt, die zu böser Gewaltthat locken. Das ist der Weg zum Tode und den, der die Weisheit so verschmäht, läßt sie auch hilflos untergehen. Wer sie aber sucht, der wird sie finden und den bewahrt sie vor den bösen Menschen und ihren Ränken und vor dem ehebrecherischen Weib. 1 und 2.

Darauf wird die rechte Herzensstellung beschrieben, welche die Thüre zu aller Weisheit ist: Güte und Treue, Vertrauen zum Herrn, Demut, und williges Geben zu seiner Ehre, und die Annahme der von ihm verhängten Zucht. Wer solche Weisheit hat, der hat den höchsten Schatz und sein Leben ist von Sicherheit umgeben. 3.

Sie verlangt eine Liebe und Wertschätzung, die alles andere ihr nachsetzt und mit ungeteiltem Sinne, mit geraden Schritten ihr nachstrebt. 4.

Nun werden einige Klippen beleuchtet, an denen das Leben scheitern kann. Bürgschaften und Trägheit werden mehr im Vorbeigehen berührt; aber eindringlich und wiederholt wird vor der Dirne gewarnt. Das ist die Grube, die vielen Verderben bringt. 5-7.

Darauf steigt die Rede zu dem höchsten Gedanken empor, den sie uns ans Herz legen will: die Weisheit ist uns nah, bemüht sich mannigfach um den Eingang in unseren Sinn und sie teilt uns alle Güter des Lebens aus; denn sie kommt von Gott. Sie ist sein uranfänglicher Besitz. Sie geht seinem Schaffen voran und war die Bildnerin, die das erdachte, was Gottes Macht ins Dasein rief. Und sie läßt sich zu den Menschen herab, daß wir etwas von Gottes Gedanken fassen können und zum ersten vermögen, was sein Sinn ist. 8.

So gleicht denn ihre Mahnung der Einladung zu einem köstlichen Mahl, das sie uns bereitet. Freilich lädt auf der anderen Seite auch die Thorheit zu ihrem Gastmahl ein. Daß wir zwischen beiden wählen müssen, macht den Ernst und die Verantwortlichkeit unseres Lebens aus. 9.

1)
Wird z. B. 19, 24 gesagt: es taucht der Träge seine Hand in die Schüssel; nicht einmal zu seinem Munde bringt er sie mehr zurück: nun, wenn wir sehen, wie die Schüssel zwar wohl für einen Augenblick als Reiz auf ihn wirkt, wie aber auch dieser Reiz die Trägheit nicht zu überwinden vermag, sondern alsbald wieder erlöscht, nun wissen wir, was Trägheit ist und wie hoffnungslos und gründlich sie den Menschen ruiniert.
2)
z. B. 27, 19: Wie im Wasser Gesicht zum Gesicht sich kehrt, so das Herz des Menschen zum Menschen. Die Art des Spiegelbilds, das uns das Wasser entgegenhält, wird zum Gleichnis für die unwillkürliche Bewegung, durch die sich der Mensch zum Menschen hingezogen fühlt, die ja im Guten und Schlimmen unermeßliche Folgen nach sich zieht. Oder 11, 22: ein goldner Ring in der Nase des Schweins - ein schönes Weib, das die Vernunft verwirft. Nun wissen wir, wie wertlos und entstellt die bloß sinnliche Schönheit ist. Solche Gleichnissprüche sind in der ersten Sammlung seltener und charakterisieren besonders die zweite Sammlung, K. 25-29.
3)
Wird 10,6 gesagt: Segnungen kommen auf das Haupt des Gerechten, so wäre der einfachste Gegensatz: und Fluch auf das Haupt des Gottlosen. Dann wäre einfach ausgesprochen, was der Gerechte und der Gottlose bei Gott und den Menschen ernten. Aber der Spruch fährt fort: und der Mund der Gottlosen verheimlicht Missethat. Er gibt hiedurch den Grund an, weshalb ihm kein Segen zu teil wird. Mag er noch so freundlich reden, all sein Wohlreden und Wohlthun ist doch nur die Decke über seine Missethat und trägt ihm deshalb keinen Segen ein. Oder 10,9 heißt es: wer redlich wandelt, wandelt in Ruh und wer seine Wege krümmt, - man könnte erwarten, der wandelt in Furcht. Doch der Spruch geht sofort einen Schritt weiter: der wird offenbar. Er spricht aus, daß der Verschlagne die Sicherheit und Ruhe, die der Gerechte hat, mit aller Schlauheit nicht erreicht, sondern im Gegenteil gerade so sie verscherzt, weil jeder Schlauheit die Entdeckung kommt.
4)
Mit dem Weltbau und der Einrichtung der Natur beschäftigen sich die Sprüche gar nicht. Nur 30,18.24.29 wird die merkwürdige, Verwunderung erregende Art einiger Tiere hervorgehoben.
5)
Wird z. B. 10,15 gesagt: Das Gut des Reichen ist eine feste Burg; der Geringen Armut„ ist ihr Untergang - so heißt das nicht: also mache ja daß du reich wirst, und trotze auf deinen Reichtum und nütze ihn ohne Rücksicht aus als deine Burg, sondern es wird die Rolle und Wirkung beschrieben, die der Reichtum thatsächlich unter den Menschen übt, und die wir allerdings niemals übersehen dürfen, wenn nicht aus unserm Handeln eine Thorheit werden soll.