Krücke, Wilhelm - Homilie über 1. Moses 32, 9 - 12.

Von W. Krücke, Pfarrer in Langenholzhausen, im Fürstenthume Lippe-Detmold.

Text: 1. Moses 32, 9 - 12.
Jacob sprach: Gott meines Vaters Abraham und Gott meines Vaters Isaak, Herr, der du zu mir gesagt hast, ziehe wieder in dein Land und zu deiner Freundschaft, ich will dir wohlthun, ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und aller Treue, die du an deinem Knecht gethan hast, denn ich hatte nicht mehr als diesen Stab, da ich über diesen Jordan ging und nun bin ich zwei Heere worden. Errette mich von der Hand meines Bruders, von der Hand Esau, denn ich fürchte mich vor ihm, daß er nicht komme und schlage mich, die Mütter sammt den Kindern, Du hast gesagt: ich will dir wohlthun und deinen Samen machen wie den Sand am Meer, den man nicht zählen kann vor der Menge,

Der Herr, unser Gott, den uns die Heilige Schrift offenbart, ist der allmächtige Gott, dem Niemand gleich ist, und der sich dennoch in Gnade und Wahrheit menschlich zu uns herabläßt, um alle zu segnen und ein Reich Gottes für die Ewigkeit zu gründen. Darum ist auch die Heilige Schrift, die uns diesen Rathschluß Gottes offenbart, so erhaben als das Wort des Allmächtigen und doch so menschlich tröstend, einfach und herablassend, wie ein Wort des Vaters zu seinen Kindern. In diesem Geist und Inhalt trägt die Heilige Schrift schon in sich selbst das unverkennbare Zeichen ihrer Göttlichkeit. So war es ein Wort, das nur der allmächtige Gott geben und erfüllen konnte, da dem noch kinderlosen Abraham verheißen wurde: durch deinen Samen sollen alle Völker auf Erden gesegnet werden; und doch knüpfte es sich menschlich an die Hoffnung auf die Geburt eines Sohnes, eines Menschen, vom Weibe geboren, durch den einst alle gesegnet werden sollten. Diese Verheißung Gottes war nun wie ein Familien - Vermächtniß, das in Abrahams Geschlecht unter Gottes besonderer Leitung auf den Sohn erbte, den er um seines Glaubens willen erwählt hatte. So kam sie unter den Söhnen Abrahams nicht auf Ismael, sondern auf Isaak, und unter den Söhnen Isaak's nicht auf Esau, der im Unglauben seine Erstgeburt und damit die Verheißung Gottes verachtete, sondern auf Jakob, den Gott geliebt und hochgeehrt hat, weil er das Wort seiner Verheißung über alles hoch hielt.

Jacob's Glaube und Leben mit Gott spricht sich in dem Gebet aus, das er zu der Zeit betete, als er aus Mesopotamien zurückkehrte, und sich nun vor seinem Bruder Esau fürchtete, der mit vierhundert Mann ihm entgegen zog. Da sprach Jacob: Gott meines Vaters Abraham, und Gott meines Vaters Isaak, Herr, der du zu mir gesagt hast, ziehe wieder in dein Land und zu deiner Freundschaft, ich will dir wohlthun.

Beten heißt reden mit Gott und ist die Sprache des Glaubens, der sich zu dem unsichtbaren Gott wendet, als sähe er ihn. Wollen wir aber mit Vertrauen zu Gott reden, so müssen wir gewiß geworden sein, daß der in seinem Wesen Unendliche und Unerreichbare uns nahe, daß er unser Gott sei, und darum liegt viel in dem Namen, mit dem wir Gott anreden, und der das Verhältniß ausdrückt, in dem wir zu Gott stehen. Jacob nennt ihn den Gott seines Vaters Abraham, den Gott seines Vaters Isaak, den Herrn, der auch als sein Gott mit ihm geredet, und ihm befohlen habe, zurückzukehren in das Land der Verheißung, wo er ihm wohlthun wolle. Wie Jacob hier Gott nennt, so konnte kein anderer auf Erden zu ihm reden, denn zu niemand war Gott so nahe getreten, als zu Abraham, Isaak und Jacob, denen er seinen Rathschluß kund gethan hatte, die in dem Bunde seiner Verheißung standen, und die ihn durch ihren Glauben so ehrten, daß Gott in ihnen den Grund legte zum Werke seiner ewigen Errettung. Darum schämt sich auch Gott nicht, zu heißen ihr Gott und nennt sich selbst nach dem Namen dieser Bürger seiner Gottesstadt, den Gott Abrahams, Isaaks und Jacobs. Da kann ein Mensch nur recht beten zu dem lebendigen Gott, wenn er ihn so erkennt, wie er uns in Wahrheit nahe und unser Gott geworden ist. So betete Jacob zu dem Gott seiner Väter, zu dem Herrn, seinem Gott, und wir im neuen Bunde dürfen beten im Namen Jesu, in der Gewißheit der Gnade Gottes durch Christum, der uns im Glauben gerecht macht, und dürfen zu ihm sprechen, als zu dem Vater unsers Herrn Jesu Christi, als zu unserm Vater, und in diesem Namen liegt die ganze Fülle seiner Gnade und Verheißung. Darum ist ein Leben mit Christo ein Leben in Gott unserm Vater, in seiner Liebe und Gemeinschaft, die im Glauben durch die Erkenntniß der Gnade Gottes gefunden wird; und weil alle wahre Verbindung mit Gott nicht von uns ausgeht, sondern von Gott kommt, so war es von je her der Glaube, oder die Annahme der Verheißung und Gnade Gottes, wodurch Menschen mit Gott verbunden waren und ihm wohlgefällig wurden. So spricht sich auch in diesem Gebete Jacob's Glaube aus, der auf die Gnade Gottes hofft. Ich bin zu gering, sprach er, aller Barmherzigkeit und Treue, die du an deinem Knecht gethan hast, denn ich hatte nicht mehr als diesen Stab, da ich über diesen Jordan ging, und nun bin ich zwei Heere worden. Als Jacob vor seinem Bruder Esau floh, so hatte Gott sich ihm gerade da offenbart als sein Gott, wo er als ein verlassener Wanderer nur mit seinem Stabe auf der Erde da lag. Nun zurückkehrend nahte er wieder dem Jordan, diesem Grenzfluß des verheißenen Landes und hatte den Reichthum seiner Heerden in zwei große Heere getheilt. - Da gedenket Jacob aller Hülfe Gottes und alles Segens, den er ihm gegeben hat, und spricht: Ich bin zu gering aller Barmherzigkeit und Treue, die du deinem Knecht gethan hast. Diese Worte Jacobs sprachen das Verhältniß, in dem der gläubige, demüthige Mensch zu Gott, dem Geber alles Guten, steht, so einfach und wahr aus, daß sie eine Lehre aller Zeiten geworden sind. Ein solcher demüthiger Sinn, der alles, was wir sind und haben, als eine unverdiente Gabe Gottes anerkennt, und alles von seiner Güte hofft, macht uns fähig, die Gnade Gottes, seine Barmherzigkeit, die sich in Liebe unserer annimmt und seine Treue, die seine Verheißung an uns erfüllt, reichlich zu erfahren; und nur bei einem solchen demüthigen Sinn des Glaubens kann man aufrichtig und kindlich zu Gott beten. Ein solches Gebet im demüthigen Vertrauen, wie Jacob betete, kommt vor den Herrn, unsern Gott, und ist ihm wohlgefällig, denn Er, der seinen Thron so hoch gesetzet hat, stehet auf das Niedrige im Himmel und auf Erden.

Wo solcher demüthiger Glaube ist, wobei man als ein Knecht und Diener Gottes auf seinen Willen sieht, da ist nichts, was uns von Gott und seiner Gnade scheidet. Aber das Hochhalten von sich selbst, das Trachten nach eigener Größe und eigenem Verdienst macht, daß auch im Reden mit dem allwissenden Gott das Herz nicht aufrichtig ist. Da wird das Gebet zu einer wahren Andachtsübung, womit man in sich selbst gerecht und fromm sein und Gott einen Dienst thun will; oder es kommt in unser Bitten ein fremdes, unheiliges Feuer selbst gemachter Empfindungen, die in gesuchten Worten und heuchlerischen Demuthreden, womit man sich vor Gott schmücken will und dem Geist der Gnade und des Gebets widersteht, der in einfachen und aufrichtigen Worten beten lehrt.

Die ganze Kraft des Gebets liegt nicht in den Worten, sondern in dem Glauben, der sich zu dem allmächtigen und lebendigen Gott wendet, welcher seine Barmherzigkeit und Treue an jedem beweist, der in Demuth auf ihn hoffet. Darum wird sich auch das Gebet da am kräftigsten beweisen, wo der Glaube am schwersten geprüft wird. So war es auch im Leben des vielgeprüften Jacob zur Zeit großer Angst und Gefahr, daß dies Gebet von ihm erzählt wird, worin er sprach: Errette mich von der Hand meines Bruders, von der Hand Esau, denn ich fürchte mich vor ihm, daß er nicht komme und schlage mich, die Mütter sammt den Kindern.

In dem gläubigen Gebet war Jacob's Stärke, da er seinem Bruder Esau, der als ein wohlgerüsteter Krieger gegen ihn heranzog und ihn, den wehrlosen Hirten mit den Müttern und Kindern leicht niedermachte, mit nichts begegnen konnte, als mit seinem Gott. Auf Gott stand auch sein Vertrauen bei allem, was er selbst that, um seinen Bruder zu gewinnen, wobei er wohl erkannte, daß alles umsonst sein würde, wenn Gott ihm nicht helfe. Da aber in dem Leben der Patriarchen die Keime und Anfänge des Erlösungswerkes sind, so ist deswegen nach der Schrift ihr Leben bedeutungsvoll für die Geschichte des Reiches Gottes. So ist Abraham der Vater aller Gläubigen, Isaak, der Sohn der freigebornen Sarah, der Geopferte, der wie von den Todten wieder genommen wird und in Jacob und Esau zeigt sich der große Unterschied des Glaubens, den Gott erwählet hat, und des Unglaubens, der von Gott verworfen wird. Dieser Unterschied zeigt sich auch in dieser Geschichte, Esau verließ sich auf seine Kriegsmacht, womit er seinen Bruder bald überwältigen konnte, Jacob vertraute auf seinen Gott. Und was Jacobs Stärke war, das war und ist auch zu jeder Zeit die Zuversicht derer, die nach der Verheißung und dem Reiche Gottes trachten. In der Welt sind sie ein geringer Haufen, der Macht und Gewalt ihrer Widersacher hingegeben, und doch nie überwunden, weil Gott mit ihnen ist, der rettet, wo Menschen keine Rettung sehen, und der, wenn es sein Wille ist, auch das Herz der erbitterten Feinde bald umzuändern weiß. Hier müssen sie durch Furcht und Gefahr, durch Noth und Trübsal gehen, damit ihr Glaube geprüft und bewährt erfunden werde, und gerade solche Zeiten der schwersten Prüfungen werden dann für sie die seligsten Zeiten der Erfahrung der Nähe und Hülfe ihres Gottes, der hört, wenn man ihn anruft. Das erfuhr auch Jacob, denn eben in diese Zeit fällt sein geheimnißvoller Kampf, wobei er von Gott nicht abläßt, bis daß er ihn segne, und Gott ihm dem neuen Namen Israel oder Gotteskämpfer gibt. Der Allmächtige läßt sich überwinden durch Glauben und anhaltendes Bitten, denn er ist der lebendige Gott voll Gnade und Erbarmen, der es hört, wenn man ihn anruft. Darum ist es auch so bedeutungsvoll, wenn die Schrift von dem unwandelbaren Gott, den sein Wort niemals gereuet, dennoch sagt: es reuet Gott, denn er ist nicht der Unerbittliche, bei dem keine Aenderung und kein Erbarmen ist, sondern mit versöhnender Gnade nimmt er sich des Menschen an, der im Glauben zu ihm zurückkehrt und hört, wenn man ihn anruft.

Der Gott der Bibel ist ein anderer Gott als der Götze menschlicher Gedanken, der ohne Liebe und ohne Leben kein Gebet erhören kann. Wenn man vor dem betete, wollte man sich nur selbst üben in seiner Andacht, aber so ist unser Gott nicht, der starke Gott Israels, er höret, wenn wir ihn anrufen; und hat Erhörung des Gebets verheißen. Darum baut auch Jacob die Hoffnung der Erhörung seines Gebets auf Gottes Wort und Verheißung, indem er spricht: Du hast gesagt: ich will dir wohlthun, und deinen Samen machen wie den Sand am Meer, den man nicht zählen kann vor der Menge. Gott hat's gesagt, dessen Wort wahrhaftig ist, und der gewiß hält, was er zusagt, das ist Jacob's Zuversicht, und er weiß, daß ihn Gott nicht in die Gewalt seines Bruders geben werde, weil er verheißen hat: ich will dir wohlthun. Mit dem Gedanken an Gott ist bei ihm auch die Zuversicht auf die verheißene Gnade und Hülfe Gottes so verbunden, daß es auch in der Anrede an Gott hieß: der du zu mir gesagt hast: ich will dir wohlthun, und hier heißt es wiederum: du hast gesagt: ich will dir wohlthun!

In diesen Worten des Vertrauens liegt der gewisse Trost unserer ewigen Errettung. Es ist aber nicht nur eine allgemeine und unbestimmte Verheißung, die uns Gott gegeben hat, sondern von Anfang ist ein bestimmtes Heil Gottes zugesagt in Einem, den Gott senden werde zum Heil seines Volks. So beruft sich auch Jacob, da er um seine und seiner Kinder Errettung bittet, auf die bestimmte Verheißung Gottes, daß sein Geschlecht zu einem unzählbaren Volke werden, so daß Gott um der Ehre seines Namens, und seines Wortes willen nicht zugeben konnte, daß Israel mit seinen Kindern in Esau's Hände fiel. Wie aber in dem Einen im Glauben und Gebet nach Gottes Verheißung und Hülfe ringenden Israel der Ursprung eines ganzen Volkes war, das von ihm genannt werden sollte, so ist auch nach Gottes Rath in Einem, der Gebet und Thränen im Kampf des Glaubens Gott geopfert hat, das Heil aller, das Heil seiner ganzen Gemeine, des Israels des neuen Bundes, das zu Einem Volk des Herrn vereint in ihm Gerechtigkeit und Leben hat, und auf dem Wege des Glaubens und des Gebets, den Jacob schon betrat, nach der verheißenen Gnade ringet. Wie aber ein Leben ohne Glauben ein Leben ohne Gemeinschaft mit Gott ist, so ist auch ein Leben ohne Gebet ein Leben ohne Gott. Darum betet ohne Unterlaß. Amen.

Quelle: http://glaubensstimme.de/doku.php?id=verzeichnisse:quellen:karlshuld