Inhaltsverzeichnis

Klaiber, Christian Friedrich von - Rede am fünften Sonntag nach Epiphanias,

von
Ober-Consistorialrath Dr. v. Klaiber

in Stuttgart

Text Matth. 13, 24-30. 36-43.

24 Er legte ihnen ein anderes Gleichnis vor und sprach: Das Himmelreich ist gleich einem Menschen, der guten Samen auf seinen Acker säte. 25 Da aber die Leute schliefen, kam sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen und ging davon. 26 Da nun das Kraut wuchs und Frucht brachte, da fand sich auch das Unkraut. 27 Da traten die Knechte zu dem Hausvater und sprachen: Herr, hast du nicht guten Samen auf deinen Acker gesät? Woher hat er denn das Unkraut? 28 Er sprach zu ihnen: Das hat der Feind getan. Da sagten die Knechte: Willst du das wir hingehen und es ausjäten? 29 Er sprach: Nein! auf daß ihr nicht zugleich den Weizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausjätet. 30 Lasset beides miteinander wachsen bis zur Ernte; und um der Ernte Zeit will ich zu den Schnittern sagen: Sammelt zuvor das Unkraut und bindet es in Bündlein, daß man es verbrenne; aber den Weizen sammelt mir in meine Scheuer. 36 Da ließ Jesus das Volk von sich und kam heim. Und seine Jünger traten zu ihm und sprachen: Deute uns das Geheimnis vom Unkraut auf dem Acker. 37 Er antwortete und sprach zu ihnen: Des Menschen Sohn ist's, der da Guten Samen sät. 38 Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reiches. Das Unkraut sind die Kinder der Bosheit. 39 Der Feind, der sie sät, ist der Teufel. Die Ernte ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel. 40 Gleichwie man nun das Unkraut ausjätet und mit Feuer verbrennt, so wird's auch am Ende dieser Welt gehen: 41 des Menschen Sohn wird seine Engel senden; und sie werden sammeln aus seinem Reich alle Ärgernisse und die da unrecht tun, 42 und werden sie in den Feuerofen werfen; da wird sein Heulen und Zähneklappen. 43 Dann werden die Gerechten leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich. Wer Ohren hat zu hören, der höre!

Die, so weit die Erde reicht, allgemeine Erscheinung einer Mischung guter und böser Menschen unter einander findet namentlich auch Statt in der Christenheit. Welche Ursachen in den Menschen liegen, weßwegen das Evangelium nicht in Allen seinen Zweck der Heiligung zur Gottähnlichkeit durch Gehorsam gegen die Wahrheit erreicht, hat Jesus im vorhergehenden Gleichnisse von dem vierfachen Ackerfelde, auf welches der Saame des göttlichen Wortes falle, erklärt; das heutige enthüllt uns das Walten und die endliche Absicht des göttlichen Säemanns mit seiner aus dem himmlischen Saamen aufgegangenen, wachsenden und reifenden Saat in Mitte des Unkrauts, rechtfertigend die gegenwärtige Ordnung der Dinge und hinweisend auf eine andere zukünftige. Von jeher hat, in und ausser der Christenheit, den Geist derer, welche dem Reiche Gottes mit Ernst und Liebe anhängen, und seine Allgemeinheit mit der Sehnsucht eines dem Wahren und Guten treu ergebenen Herzens wünschen, die Frage beschäftigt, warum der heilige Gott dem Bösen so viel Raum lasse, und eine solche Mischung der Bösen und Guten gestatte auf Erden? Es sind nicht die Verwerflichsten, welche also fragen; nur diejenigen, welche selbst böse sind, freuen sich der Ungerechtigkeit; nur, wer selbst vom Guten noch nicht wahrhaftig ergriffen ist, bleibt gleichgültig bei so vielen Erscheinungen von Verdorbenheit, oder vermeint in denselben den Beweis zu erkennen, daß die Gottheit theilnahmslos das Ganze wie das Einzelne seiner eigenen Entwickelung überlasse, oder eben Gefallen habe an jeder Aeusserung der geistigen Lebenskraft, welcherlei Richtung auch dieselbe nehmen möge. Aber auch unter denjenigen, welche mit lebhafter und schmerzlicher Theilnahme das Unkraut betrachten, das auf dem Acker der Welt mitten unter dem Waizen steht, sind Viele, welche nur klagen können, zürnen und den Unfug von hinnen wünschen; Wenigen ist es gegeben, bei schmerzlicher Betrübniß die Liebe und die Geduld nicht zu verlieren, und, für sich selbst unbefleckt erhalten von der Welt, den Glauben zu bewahren, den Eifer und die Hoffnung.

Eine solche Stimmung und Ansicht über die Mischung der Guten und Bösen zu bewirken, ist die Absicht unseres Gleichnisses.

Nichts als gute und vollkommene Gabe kommt von oben herab vom Vater der Lichter, bei welchem ist keine Veränderung noch Wechsel des Lichtes und der Finsterniß, und welcher durch freien Willen uns hat geboren durch das Wort der Wahrheit, auf daß wir wären die Erstlinge Seiner Geschöpfe (Jac. 1, 16.); und wie Niemand, wenn er versucht wird, sagen kann, daß er von Gott versucht werde: - denn Gott ist nicht ein Versucher zum Bösen, sondern ein Jeglicher wird von seiner eigenen Lust gereizt und gelockt, und seine Schuld ist es, wenn er dem Einfluß des Argen sich hingibt: - auf dieselbe Weise kommen auch die Bösen, als solche, nicht von Gott, sondern sind Kinder der Bosheit; Gott aber duldet sie hienieden mitten unter den Guten aus weisen Zwecken.

I.

Wüßten wir auch keinen andern, als den Zweck, durch solche Langmuth die Bösen zur Buße zu leiten, er müßte uns in tausend Fällen befriedigen. Der Herr hat nicht Gefallen am Tode des Sünders, sondern, daß sich der Böse bekehre von seinem Wesen und lebe. Und an diesem menschenfreundlichen Bemühen der Gottheit Theil zunehmen, mit dem Vater der Geister zu arbeiten an verbrüderten, jammervoll verirrten Wesen, dazu sind die Guten, welche Zeit und Raum mit ihnen verbindet, berufen. Des Menschen Sohn ist gekommen zu suchen und zu retten das Verlorene; also soll, wer an Ihn glaubt, und Seines Geistes, Seines Sinnes werden möchte, vor Allem anziehen herzliches Erbarmen nicht nur gegen die leibliche, sondern noch mehr gegen die geistige Noth derer, die von Einem Blute mit ihm sind, und in seinem Theile, so viel Gott Kraft und Gelegenheit darreicht, zu ihrem Heile mitwirken. Weiß doch Keiner, was in der Tiefe einer, scheinbar auch verworfenen, Seele schlummert; Keiner, ob nicht unter harter Rinde doch ein guter Keim verborgen ist. Der fromme Sinn des nahestehenden Gerechten kann diesen Keim zu Tage bringen; das Licht eines edeln Thuns und Wollens kann den Ungebesserten, dem es leuchtet, mit Sehnsucht nach gleicher Würde erfüllen, und ihn Gott und dem Heilande zuführen. Auch die Tugend hat eine ansteckende Kraft; im ungeheuchelten Glauben, in der gottergebenen Zuversicht, in der stillen anspruchslosen Treue, in der unerschütterlichen Redlichkeit, in der Sanftmuth und Geduld, in der sich aufopfernden Menschenliebe, im himmlischen Sinn und Wandel liegt ein Zauber, welcher vielmals auch denjenigen nicht ungerührt läßt, dem diese Eigenschaften fremd sind. Schon das Auge des Reinen; der Friede, der auf dem Antlitz dessen ruht, in dessen Innern keine Leidenschaften stürmen; die milde Würde, welche über eines wahren Christen ganzes Wesen mehr und mehr sich verbreitet - sie sind nicht ohne Frucht, sind mahnende Stimmen, sind ein äusseres Gewissen, das oft wunderbar erschüttert, eine Seele rettet. Und würde auch nur Eine Seele mit gerettet durch sein Daseyn, Eines Sünders Bekehrung befördert durch seine Nähe: welches Kind des Lichtes wollte nicht mit Freuden hienieden unter denen leben, welche noch im Finstern sind?

Um so mehr, da Alle ohne Unterschied, auch die Besten und Vortrefflichsten, nur vergleichungsweise Gerechte, nicht Vollkommene, Vollendete hienieden sind, sondern auch zu ihrer Seligkeit der Langmuth Gottes bedürfen, bedürfen, daß die ewige Liebe sie trage. Auch der gute Saame wird nicht mit Einem Male reif, und der Gottessohn, der ihn gepflanzt hat und pflegt, muß Geduld und Nachsicht mit ihm haben lange Zeit, ja bis an's Ende. Und wer da rühmen darf, der Herr handelt nicht mit uns nach unsern Sünden und vergilt uns nicht nach unsern Uebertretungen, sondern wie ein Vater über seine Kinder sich erbarmet, so erbarmt sich der Herr über die, so ihn fürchten (Ps. 103, 10 ff.) der sollte nicht auch preisen den Gott, welcher die Sonne seiner Gnade scheinen läßt den Ungerechten, und barmherzig, gnädig, geduldig ist und von großer Güte?

II.

Doch die Schonung, welche Gott den Bösen angedeihen läßt, und ihre Vermischung mit den Guten, hat nicht nur diese Bösen selbst zum Zwecke, sondern die Worte unsers Gleichnisses: „auf daß ihr nicht zugleich den Waizen mit ausraufet, so ihr das Unkraut ausjätet,“ deuten offenbar aus einen Vortheil hin, welchen dieses Zusammenleben auf der Erde den Guten selbst gewähren solle.

Freilich wer wollte läugnen, daß auch viel Gefahr damit verbunden ist; daß tausend Sünden durch Verführung Anderer entstehen? Nennt doch Jesus selbst diejenigen, welche Unrecht thun, Aergernisse, oder Solche, welche auch Andere zu Falle bringen, in ihren Ueberzeugungen und Grundsätzen sie irre machen, sie zur Sünde verleiten! Aber bleibt es dennoch nicht die eigene Schuld derer, welche sich verführen lassen? kann auf irgend einen Menschen wider seinen Willen ein Anderer also einwirken, daß er nothwendig schlecht werden müßte? Sind nicht sogar aus den Höhlen des Lasters Gute hervorgegangen, und Kinder verworfener Eltern rechtschaffen und fromm geworden? Nein, das Böse hat nicht blos eine reizende, es hat auch eine häßliche Gestalt, eine das Gemüth empörende, Eckel und Abscheu erregende Seite. Und darum ist es uns nahe gestellt, damit auch durch seinen grellen Gegensatz das Gute in seiner Herrlichkeit um so mächtiger uns anziehe. Diese Verwüstung, welche der Dienst der Sünde in einem Gemüthe anrichtet; diese Leerheit und Oede des Wesens; dieser Unfriede, welcher Ruhe sucht und keine findet; diese Flucht vor sich selbst; dieses eitle, nutz- und rathlose Thun; diese Zerstörung des eigenen und fremden Glückes - sollte uns die Sünde nicht abscheulich machen, und das Gute als das allein wahre Leben hinstellen? Eine große Geistes- und Willenskraft auf verwerfliche Zwecke verwendet, verkündet sie nicht fast lauter noch und fühlbarer als die dem Edeln gewidmete, daß nur Derjenige Werth hat in sich selbst und für die Menschheit, der das Wahre und das Gute will? Predigt nicht jedes Laster in seiner wilden Ausartung auch die ihm entgegenstehende Tugend? Was mahnt stärker als der Geiz an die Häßlichkeit des irdischen Sinnes und an die Gefahr des Aeussersten für Jeden, der nicht über den auch in seinem Herzen schlummernden Keim zur Habsucht wacht? Oeffne nur dein Auge und siehe, wohin es mit demjenigen kommt, der irgend einer Lust sich hingibt; erschrick vor dem Bilde, das sich ungesucht im Sclaven irgend einer Sünde dir darstellt! Das zu werden droht auch dir, wofern du die Versuchung nicht besiegst! Dieser Rohe, Neidische, Feindselige, Bestechliche und Ungerechte, dieser Schweiger und Wollüstige war es nicht von Anfang an in diesem Grade, er sank allmählig immer tiefer, weil er vor den ersten Schritten nicht erzitterte, nicht wachte über seine Seele, sein Gewissen übertäubte.

So sind zum Schrecken die Kinder der Bosheit neben uns gestellt, und zum Kampfe mit uns selbst und mit der Welt. Denn da ist Geduld und Glaube der Heiligen, wo Andere verschiedene Wege gehen, und herüberlocken auf den breiten, welcher dem Fleische so wohl gefällt. Da kann der Wille erstarken, und mit Festigkeit nach seinem guten Ziele streben, wo die Richtung nicht die allgemeine ist. Wie ein Thätiger der Hindernisse bedarf, um seine Thatkraft zu entwickeln, und der Krieger einen Feind verlangt, an dem er seine Tapferkeit erprobe, also muß der Christ, um seinen Glauben, seine Treue zu bewähren und zu wachsen in allen Stücken, in Anfechtung gerathen, mit Versuchungen zu kämpfen haben. Und wie viele edle Eigenschaften, wie viele Tugenden thätiger sowohl als leidender Art entsprießen, wachsen nur im Kampfe mit den Bösen! Wie könntest du gerecht seyn ohne Ungerechte? wie versöhnlich ohne Beleidiger? wie mit Gutem vergelten, ohne Böses erlitten zu haben? wie Feindesliebe zeigen ohne einen Feind? Selbst der Gründe deines Thuns und Lassens, so wie deines Glaubens wirst du dann am sichersten gewiß, wenn sie angefochten werden, und alle guten Dinge erhalten ihren vollen Werth hienieden erst durch die Gefahr, sie zu verlieren. Waren nicht die Zeiten der Verfolgungen die geistig herrlichsten der Christenheit? wer kann sie wegwünschen aus der Geschichte, wenn er sieht, welche Früchte sie getragen? welchen Glauben, welche Liebe, welche Treue sie zur Reife brachten? Ist nicht das Evangelium selbst aus jedem Angriffe noch immer siegreich hervorgegangen, und im erhöhten Glanze seiner Göttlichkeit erschienen? sind nicht gerade durch seine Feinde und Verächter die edelsten Kräfte für dasselbe angeregt, und die denkendsten Geister veranlaßt worden in seine Tiefen hinabzusteigen, und in feinen Gründen es zu erfassen.

III.

Freilich, wenn wir nie ein Ende dieses Zustandes sähen, und einen ewigen Kampf mit immer neuen Feinden uns beschieden wüßten ohne Ruhe nach dem Streit und ohne Frieden je in Ewigkeit, dann möchten wir seufzen über unser Loos und mit bangen Ahnungen der zukünftigen Welt entgegenblicken, nach welcher doch eine Sehnsucht in uns zu wecken und zu mehren die gegenwärtige Ordnung der Dinge auch geeignet und gefüget ist. Denn auch diese Mischung Guter und Böser in diesem Leben soll, obgleich zu unserm Heile geduldet, doch dazu beitragen, daß die Erde, über welche wir als Fremdlinge und Pilger schnellen Laufes hingehen, uns nicht genüge, und wir immer weniger uns heimisch fühlen auf derselben. Aber getrost, es kommt für Jeden, der ein Kind des Lichts hienieden war, ein Tag des Uebergangs in eine Welt wo Friede wohnt, und nur beisammen sind, die Gott und ihren Heiland lieben. Nicht immer dauert das Miteinanderseyn des Weizens und des Unkrauts, den Glauben prüfend und erschwerend, fort, der Augenblick des Schauens kommt im Vaterhause, der Augenblick der seligen Gemeinschaft mit vollendeten Gerechten. Ja noch mehr, der große Erndtetag der ganzen Menschheit kommt, wo das gesammte menschliche Geschlecht in eine andere Periode tritt, und eine neue Ordnung mit demselbigen beginnt. Hienieden auf der Erde steht dem Reiche des Lichtes dem Reich der Finsterniß entgegen, und zwischen beiden waltet immerfort der Kampf; aber einst, wenn das Heilige und Göttliche in Millionen Seelen, die es liebten, in Freude und Leiden, im Leben und Tod sich bewährt und ausgeprägt, und das Arge sich erschöpft und in sich selbst verzehret hat; wenn die Fülle der Heiden eingegangen und die Menschheit im Ganzen zu der Reife gekommen ist, welcher sie, ob auch unter bald scheinbaren bald wirklichen Rückschritten, doch sichtbar entgegengeht, an dem Tage, den Niemand weiß, als der Ewige, der Alles sieht und Alles weiß, dann tritt eine neue Ordnung der Dinge ein und das Ende der jetzigen Welt. Wie die Erde ihr eigenes Leben vor Jahrtausenden aus des Schöpfers Händen empfangen hat und einst wieder zurückgeben muß, also ist auch der Menschheit auf der Erde eine gewisse Lebensdauer beschieden, und diese irdische Lebensdauer des menschlichen Geschlechtes wird aufhören mit der Erde. Die Menschheit und die Erde sind mit und für einander hervorgegangen; beide haben seit Jahrtausenden aufeinander gewirkt; beider Zustand wird verwandelt zu gleicher Zeit, das Alte vergeht, ein Neues beginnt. Dann tritt die große Scheidung ein, und die Gerechten werden leuchten wie die Sonne in ihres Vaters Reich, die Kinder des Argen aber - ach! wie wird die Rede des Herrn, sonst voll Freundlichkeit und Huld, so scharf und schreitet daher in Nacht und Grauen, so oft Er von dem Wurme redet, der nicht stirbt, vom Feuer, das nicht erlischt! - sie werden hingehen in die ewige Verdammniß. In die ewige? nie aufhörende? Wer darf wagen zu antworten, wo die Offenbarung schweigt. Gott bleibt die Liebe und erbarmt sich aller Seiner Geschöpfe: aber wo die Liebe nichts hilft, mißbraucht, zurückgestoßen wird, da muß die Liebe selbst einen andern Weg einschlagen, den Weg der Liebe durch Nacht und Flammen. Uns aber ist gesagt, was gut ist, und was der Herr, unser Gott, von uns fordert. Heute, so ihr Seine Stimme höret, verstocket eure Herzen nicht; wer noch ernsten Sinnes ist, eile, rette seine Seele! Amen.

Quelle: Dr. Christian Friedrich Schmid/ Wilhelm Hofacker - Zeugnisse evangelischer Wahrheit, Bd. 3