Gebet ist nichts anders, denn ein Aufrichten oder Aufsehen des Gemüthes zu Gott, wie da oben auch ist angezeigt. Diese Meinung wird vielfältig aus der Schrift bewährt, nämlich: Daß Moses 2 Mos. 14, 15. nichts redete mit dem Mund, und spricht dennoch Gott zu ihm: Was schreiest du zu mir? Schrie er ohne Zweifel aus dem Herzen, indem er mit Gott redet und kämpfte. Auch daß Hanna 1 Sam. 1, 13. in ihrem Herzen redet und ruft zu Gott, und hört Eli keine Stimme. Danach ersieht man das an den Gebeten der Alten: Wo die sind, da ist entweder das Lob Gottes ausgesprochen, oder der Mensch hat mit Gott so vertraulich geredet, als mit seinem leiblichen Vater, oder beides; und wird daselbst von der Zahl nichts geredet, wie doch unsere Plapperbeter fälschlich gelehrt haben. Kurz, beten ist nicht viel plappern, sondern es ist ein Lob und Ehrentbieten Gottes zum ersten; und das trifft den Glauben an. Darnach ein vertraut Anrufen zu ihm um unsere Nothdurft. Vernimms also! So du sprichst: O unser Vater, du himmlischer, dein Nam werde geheiligt, da ist das erste ein Spott, wenn du ihn nicht für einen Vater hast und aber sprichst: O himmlischer Vater. Darum wird zum ersten der Glaub erfordert, daß du ihn festiglich glaubest deinen Vater sein. Also folgt, daß, wenn der Mensch sich übt im Glauben, daß er betet; so wenn er denkt: „Gott ist ein Schöpfer aller Dinge; er ist das höchste Gut, von dem alles Gute kommt; er hat den Menschen nie etwas verheißen, er hat es denn geleistet, o dem Gut willst du ewig anhangen: es ist gewiß untrüglich“. Sieh, das ist das höchste Lob, das wir Gott entbieten mögen, daß wir ihn für das höchste Gut sicher halten in unsern Herzen, daß wir ihn für unseren Vater haben: denn so sehen wir wohl, daß sein Name, das ist seine Ehre, seine Macht, sein Lob, zum Höchsten soll von allen Menschen geachtet werden und sprechen: Geheiliget werde dein Name! Demnach so folgt das Denken an unsre Bresten 1): Zukomme uns dein Reich. Schaff, daß dein Wille unter den Menschen erfüllet werde, wie bei dir in den Himmeln ec. Also kann kein Gebet sein, wo man nicht vom ersten an Gott für das hält, was er ist, und nicht zu ihm so sicher und vertraut läuft, als zu einem milden natürlichen Vater. So aber das geschieht, bedarf es darnach nicht vieler Worte mehr: denn er weiß, was uns gebricht, ehe denn wir zu ihm laufen; denn wir haben das höchste Gebet des Glaubens schon vollendet. Das lehrt Christus selbst Matth. 6, 7.: So ihr betet, sollet ihr nicht darauf sehen, daß ihr die Worte des Gebetes oft plappert, wie die Heiden thun, denn sie wähnen, sie werden in ihren vielen Worten erhört. Darum werdet ihnen nicht gleich! Denn euer Vater weiß, was ihr bedürfet, ehe denn ihr ihn bittet.
Man lehrt recht beten mit dem Herzen und nicht allein mit dem Mund, welches allein das wahre Gebet ist Joh. 4. 24. und das mit dem Mund ist nichts, denn Gespött und Verachtung Gottes Matth. 15, 8. Esaja 29, 3.: Das Volk ehret mich mit den Lippen, aber ihr Herz ist ferne von mir. Ich will dich recht erfündelen 2) in deinem Gebet. Wie hast du es gemacht, wenn du an den Berg kommen bist: Verzeih uns unsere Schuld, gleich wie wir unsern Schuldnern verzeihen? Ist es dir gegangen, wie es mir all meine Tage gegangen ist, so hast du müssen wiederum hinter sich ziehen. Denn so oft ich dahin kam, so mocht ich den Frieden nicht finden: Ich mußte den Vortheil haben, daß mich Gott nicht richte nach meinem Verzeihen, wiewohl ich erkannte, daß er das recht und vollkommen in seinem Wort gelehrt hat. Und nach langem Prüfen, ob ich doch recht und von Herzen verziehen hätte, fand ich von den Gnaden Gottes allweg ein fröhlich verzeihend Gemüth. Aber je zu letzten gedacht ich: Solltest du Gott nicht lieber sein, als dein Feind dir ist, so freute es dich nicht. Also befand ich, daß mir Gott nicht thun mußte, wie ich meinem Feind. Und nach viel Verklagens und Verantwortens meiner armen Conscienz zog ich überwunden und gefangen ab, daß ich mich Gott ergeben mußt: Herr! ich muß mich nicht entbieten, daß du mir nach meinem Verzeihen auch verzeihst. Herr ich bin ein gefangener Mann. Verzeih, Herr, verzeih! Ehe sich die Zeit verzog, ward ich betend so müde, daß mir darnach kein Willen blieb, mehr Worte zu plappern, sondern nichts, denn ein Eifern der Angst, daß ich so bloß stund an dem Gebet, das mir Gott vorgeschrieben hat. Ob ich denn schon mich über einen Psalmen setzte, denselben zu betrachten, so redete meine Conscienz: Sie, du Stubenfechter, hie bist du mannlich und gefällst dir selbst wohl, ja du habest den Sinn des Geistes ergriffen. Bist du also frisch, so geh an das Wort: Verzeih uns unsere Schuld, gleichwie wir vergeben. Also befand ich, daß kein Gebet auf Erden eingekommen ist, das den Menschen eigentlicher prüft im Glauben und mit Erkenntniß sein selbst, als das Vater unser. Denn ich meine, keiner sei so friedmüthig, er müsse sich an dem Wort: Verzeih uns unsere Schuld, erkennen und ergeben an die lautere Gnade Gottes. Und das ist das rechte Gebet, sich selbst erlernen und erkennen, und nach dem man sich erkannt hat, demüthigen.
Christus spricht zu dem Samaritischen Weib Joh. 4, 23. 24: Es kommt die Zeit, ja sie ist schon hie, daß die wahren Anbeter mit den Vater werden anbeten mit dem Geist und mit der Wahrheit. Denn der Vater erfordert solche, die ihn anbeten; Gott ist ein Geist; also müssen ihn auch seine Anbeter mit oder in dem Geist anbeten und in der Wahrheit. Die einigen Worte Christi lehren, was da wahrlich gebetet sei, nämlich nichts anderes als mit dem Geist, das ist mit dem Gemüth Gott anrufen, wahrlich, nicht erdichtet, mit dem Mund oder auswendigen Geberden, da man viel spricht: O Herr, Herr! sondern so wahrlich, daß unser Herz allein zu Gott seine Zuversicht habe. Daß es sich nicht schön mache, sondern wie es an ihm selbst ist, sich sündig, schnöd und ohnmächtig erkenne, und aber dabei der Gnade Gottes sicher sei in wahrem Vertrauen. Solch wahrliches Anbeten im Geist und in der Wahrheit will Gott von uns haben. Also hört man aber, daß Gebet nichts anders sei, denn ein stet Anhangen unseres Gemüthes an Gott, ein emsiger Zugang zu Gott in der Wahrheit, daß wir ihn für das wahre einige Gut haben, das uns allein helfen mag, daß wir auch sicher gewährt werden von ihm. Dabei fällt aber zum ersten alles das Plappern hin, das man in den Tempeln murmelt. Denn wenn sich das menschliche Gemüth in Wahrheit mit Gott berichten will, so ist es gern allein, wie Christus wohl gewußt hat, und darum einen heimlichen Ort angezeigt, darin man in der Stille mit dem himmlischen Vater reden könnte, indem er sprach: Geh in dein Kämmerlein, so du beten willst, und bitte da deinen Vater im Geheimen, und dein himmlischer Vater, der dich in dem Geheimen wohl sieht, der wird dich erhören Matth. 6, 6. Darum aber das Plappern vor den Menschen als lauter Gleisnerei erkannt wird. Zum andern erlernt man, daß was Luc. 8, 1. steht, nicht von dem Gebet der Worte soll verstanden werden, da er spricht: Auch hat Christus im Gleichniß gesagt, dazu daß man zu aller Zeit beten solle, und nicht nachlassen oder verdrüßig werden. Ein Richter ist gewesen, kurz, der weder Gott noch die Menschen fürchtete; den hat eine Witwe, die eine Sache vor ihm zu thun hatte, so oft angerennt und gemahnet, daß er sie rächen wolle an ihrem Widersacher, bis daß er sprach: Ob ich gleich weder Gott noch die Menschen fürchte, muß ich doch diesem Weib richten, daß sie mich nicht so viel mühe. Und hat Jesus darüber gesprochen: Ihr habt gehört, was der Unbillige geredet hat; und sollte Gott nicht rächen, oder erlösen seine Erwählten, die zu ihm schreien Tag und Nacht; ob er gleich das mit Rath verzieht? Ich sage euch, er wird sie bald rächen ec. Ja diese Lehre Christi soll gar nicht auf die Menge der Worte gezogen werden, sondern dahin, daß man um alles Anliegen ohn Unterlaß zu Gott laufe; und ob das Verleihen einmal verzöge, solle man nichts desto weniger zu ihm laufen, nicht mit viel Worten, sondern mit vertrautem Herzen; wie er selbst darnach bedeutet sprechend: So aber der Sohn des Menschen kommen wird, meinst du, wird er Glauben auf Erden finden? Indem er mit diesem Wort anzeigt, daß nicht aller Menschen Glaube so stark ist, daß sie ungezweifelt zu ihm ohn Unterlaß laufen. Ob aber die Worte mit der Begierde des Herzens laufen ist kein Fehler; aber die Worte sind ohne das Herz eitel. Magst du lang mit Herz und Mund beten, sag Gott Dank; denn es ist nicht gemein, daß man lange Andacht hab mit den Worten; aber in der Wahrheit des Geistes mag der Mensch lang andächtig sein. Nämlich, so er die Ehre Gottes bedenkt, seiner Gnade Dank sagt, seinen Bresten des Leibs und der Seele recht ermißt,, und sich verwirft und ergibt der Barmherzigkeit Gottes, täglich sich von Neuem aufrichtet, christlich zu leben und dergleichen. So mag sich der Mensch Betens lang befleißen; denn das ist das rechte Gebet, das wahrlich in dem Geist geschieht; aber mit wieder geplapperten Worten währet die Andacht nicht lange. Also soll man andere Worte von emsigem Beten auch verstehen in Paulo anders wo, daß man stets soll Gott ansehen mit einem wahren Glauben, zu ihm allein ohn Unterlaß um Hilfe laufen. Also mag der Bauer am Pflug beten, so er seine Arbeit im Namen Gottes geduldig trägt, Gott um das Mehren des Samens anruft und vertraut, und oft bedenkt, daß unser hiesig Leben nur ein Jammer und Elend sei, aber dort werde uns der gnädige Gott Ruhe und Frieden und Freude geben. So betet er, ob er gleich den Mund nicht bewegt, Also auch der Schmid am Ambos, sieht er bei allem seinem Thun und Lassen Gott an, so betet er ohn Unterlaß.
Quelle: Die vier Reformatoren Luther, Melanchthon, Zwingli und Calvin