Apstg. 9,10-16. und 8,26-39.
Wir finden in der heiligen Geschichte vier Männer, die gleich dem Erzvater Jakob mit Gott und Menschen gekämpft, und obgelegen sind. An Josua haben wir gesehen die unerkannte und wenig geübte Macht des gläubigen Gehorsams; von ihr heißt es Jes. 10,14: „Es war kein Tag diesem gleich, da der HErr der Stimme eines Mannes gehorchte.“ Die übernatürliche Kraft liegt darin, dass unser Wille mit Gottes Willen eins wird, und ob auch die Natur dagegen ist - die Gnade siegt. Bei der Geschichte von Zachäus (Luk. 19,1-10), die wir früher betrachteten, haben wir sehen, welche Gewalt des Sünders Herz über Jesum hat. Es ist das ein Herz, das um jeden Preis selig werden will und seinen ernstlichen Willen darin zeigt, dass es alle Hindernisse überwindet und dahin geht, wo Gott sich offenbart. Es sind aber noch zwei Repräsentanten dieser wunderbaren Macht auf Gottes Herz da: der Apostel Paulus und der Kämmerer aus Mohrenland. Wir lesen Apstg. 9,11: „Der HErr sprach zu Ananias: Stehe auf und gehe hin in die Gasse, die da heißt die richtige, und frage in dem Hause Judas nach Saul, mit Namen von Tarsen; denn siehe, er betet.“ Vorhin haben wir gesungen:
O der unerkannten Macht Von der Heil'gen Beten!
Ohne das wird nichts vollbracht. So in Freud und Nöten.
Schritt vor Schritt Wirkt es mit,
Wie zum Sieg der Freunde, So zum Sturz der Feinde.
Ich will nun heute reden: Von der großen Macht des Gebets. Ich freue mich, dass wir gerade heute aus dem vorhin vorgelesenen Briefe erfuhren, wie in weiter Ferne der HErr die Gebete erhört; wie der da erwähnte Trunkenbold, seitdem hier ohne sein Wissen für ihn gebetet wurde, keinen Tropfen Branntwein mehr getrunken hat, und nun so frei ist, dass, als er Durst bekam, er nach Milch suchte. Da ist die Macht des Gebets recht offenbar geworden.
Es bleiben uns noch die beiden lieben Männer zu betrachten übrig: Paulus ein Beter und der Kämmerer ein stiller Forscher nach Wahrheit, und diese beide üben eine solche Macht aus, dass zu dem einen der widerstrebende Ananias gesendet wird und zu dem andern Philippus kommen muss.
Der HErr sagt: „Mein Haus soll ein Bethaus sein.“ Aber wenn wir in unser Herz, in viele Familien, in die Christenheit hineinblicken, so finden wir, dass nichts so versäumt wird und so selten ist, wie das freie, anhaltende, freudige Gebetsleben, dieses selige Tun eines Christen, diese verborgene Seelenarbeit. AIS Elias im Namen seines Gottes das Wunder auf dem Karmel tun sollte, da heißt es: „Er heilte zuerst den Altar des HErrn.“. Wenn wir Großes vom HErrn erwarten wollen, so geht's nicht anders, als dass in den Herzen, Familien und Völkern der zerbrochene Gebetsaltar wieder aufgerichtet wird. Stilles, anhaltendes Gebetsleben und ernstes Forschen in der Schrift, das sind zwei Lücken, die jetzt noch in den Mauern Jerusalems sind, und es tut not, die Lücken zu bessern und die Mauern auszubauen. Sobald wir auf unser vergangenes Leben zurückblicken, müssen wir bekennen: wir haben nichts so versäumt, als das ernste, anhaltende Gebet. Ich möchte euch heute recht zeigen, wie das Gebet der rechte Stern und Stern im wahren Christenleben ist. Die Priester des alten Bundes hatten Schellen an ihren Kleidern, und wenn es schellte, so wusste das Volk, dass nun der Priester aus dem Heiligtum komme. Schellen braucht man nun keine mehr; aber etwas anderes sollte vorhanden sein. Man spürt es, wenn eins aus frischer Luft kommt. Apotheker, die fleißig in ihrer Apotheke sind, können nirgends hinkommen, ohne dass man merkt, woher sie sind. Als Moses 40 Tage und Nächte bei Gott auf dem Berge war, glänzte sein Angesicht, dass er musste eine Decke darüber hängen. Ist es unmöglich, in frischer Luft gewesen zu sein, ohne dass man es merkt, o meine Lieben, so ist es auch unmöglich, dass man im Beten sei, ohne dass eine Spur und Kraft davon empfunden werde. Es ist eine große Macht das einzelne und gemeinsame Gebet.
„Siehe, er betet.“ Wie selten kann der HErr das jetzt sagen! So viel Sehnsucht nach etwas anderem, so viele tätige Menschen; aber so wenige, die recht beten! Man kann zu unserer Zeit sich besuchen, ja Tage lang zusammen sein, ohne zusammen zu beten. Konferenzen werden viele gehalten; aber nur einmal im Jahre ist eine Gebetswoche. Feste und Reden lösen sich ab; aber selten Gebet auf Gebet. wenn wir recht erkennten, wie sehr diese stille Kraft ist verloren gegangen, wir würden mehr Buße tun! Gott gebe, dass manches wieder mehr Kraft und Trieb zum Gebet bekommt, wie Simson im Gefängnis, der sterbend mit neuer wiedererlangter Kraft noch die Feinde mit in den Tod nimmt. Wenn der HErr oft unerwartet ins Zimmer träte, wie fände Er es? Fände Er bei Besuchen wohl immer Christen, die sich freuen, sich zu sehen? Vielleicht fände Er ein trauriges Herz, dem nur das Eine fehlt: „Siehe, er betet.“ Wenn unser Herz in diese betende Richtung versetzt wird, so bringt es in Gottes Herz. Wie manches brütet im Stillen vor sich hin, sieht da vielleicht solche, die weit vor ihm sind, und wird mutlos, oder solche, die noch sehr zurück sind, und will nun ruhen mit dem, was es schon hat, statt der Heiligung nachzujagen. Wie oft wird stundenlang gebrütet, gesorgt, statt gebetet. Ratschläge und Pläne werden ausgedacht; mit großem Zeugenmut, aber oft fleischlichem Eifer wird aufgetreten gegen den Unglauben. Dieses alles kommt in unsern Tagen vor; aber eins sollte mehr geübt werden: das Gebet wie es in jener Gemeinde war, wo der Geistliche durch das Dorf ging und fragte: Wer denn immer in diesem Hause zusammenkomme? Ein Holzhacker antwortete ihm: Herr Pfarrer, wir beten da für Ihre Bekehrung. Der Pfarrer ging nach Haus, innerlich geschlagen, und den Abend, während die Versammlung wieder für ihn betete, kam es bei ihm zum völligen Durchbruch. Das Gebet ersetzt so viel, es hat an einem so kleinen Orte Platz, man kann es überall mitnehmen. O diese Sammlung göttlicher Kraft aus allem, was Gott uns bietet, wie sollten es sich viele schenken lassen fürs Leben und Sterben! Denn beim Sterben, wo der Mund schweigt, ist dies noch möglich: „Siehe er betet.“ Das Gebet ist auch in der Erziehung das Beste. Es gibt eine Regel, die heißt: „Sage zehnmal mehr dem HErrn vom Kinde, als dem Kinde von dem HErrn.“. Es wäre gut, wenn mehr danach gehandelt würde. Die größte Kraft der Eltern liegt nicht im Ermahnen, sondern im Beten. Du musst gehen, sagt der HErr zu Ananias, der sich zuerst sträubte; „denn siehe er betet.“ Das ist Gott genug, dass Er die Schleusen des Himmels auftut. Man kann Leute hören, die einem ihr Herz ausschütten; das Elend und die Not ist oft herzzerreißend, doch wenn man fragt: „Hast du mit deiner Familie schon Gott gemeinsam auf den Knien angerufen?“ so fehlt es gewöhnlich daran. Saulus steht oft und viel allein da. Es gibt viele, die beklagen sich, dass sich niemand ihrer annehme; ich traue keinem, der diese Klage ausspricht. Ein betend Herz wird Jesus nicht im Stiche lassen, und wäre es, dass erst nachts 9 Uhr der verlassene Christ besucht würde (Beispiel aus Jänikes Leben). Wo ein Saulus auf den Knien liegt, da muss ein Ananias kommen, und wäre es auch erst nach drei Tagen. Klagen und Richten ist nicht so schwer, wie still im Gebet verharren. Du, der du denkst, es nehme sich niemand deiner an, vergleiche dich mit Saulus, ob du, wie er, drei Tage vor dem HErrn im Gebet gelegen hast? Kommt niemand, so suche die Schuld nicht bei den Christen, sondern bei dir. Es fehlt heutzutage an Christen, die beten und den Ananias herbeiziehen. Es ist leichter zur Kreatur hinzugehen, als auszuharren im Gebet. Tritt ins Heiligtum, gehe und sage es Jesu! Er hat alle Herzen in seiner Hand und Gewalt über alles. O wie oft dürften wir die Gnade des HErrn preisen, seinen Namen rühmen, wenn wir im Kämmerlein die Knie beugten, und zur Stunde spürte es weit von uns ein Krankes. Ach, ihr Lieben, nehmt da nicht, wie Naeman, einen Sack voll Erde, sondern ein Herz voll Gebetsgeist mit; das ist es, was in Gottes Herz dringt.
O der unerkannten Macht
Von der Heilgen Beten!
Doch es gibt noch eine Macht, die in Gottes Herz dringt. Der Kämmerer hatte angebetet in Jerusalem, aber er zieht leer wieder nach Haus. Doch der HErr sieht seinen Hunger, sieht, wie er liest im Propheten Jesaias, wie er forscht in der Schrift. O, wie manches geht unbefriedigt, ruhelos wieder fort, muss wieder heim; die Erkenntnis von Gott und seinem Wort ist oft noch sehr gering, die Erfahrung seiner Liebe noch auf niedriger Stufe, und doch können solche Seelen gewissen Zwang ausüben auf Gott, dass ihnen geholfen werden muss (Apstg. 8,27.28). Dies ist alles, was uns von dem Kämmerer erzählt wird. Es ist ein seliger Zustand des Herzens - dieser Zug und Trieb nach Wahrheit, nach Licht. Wie steht's bei dir mit diesem Zug? O wie wenig bekannt sind oft die Christen mit dieser Speise der Seele! Jes. 1,3 lesen wir: „Ein Ochse kennt seinen Herrn, und ein Esel die Krippe seines Herrn; aber Israel kennt es nicht, und mein Volk vernimmt es nicht.“ Ein Esel weiß, wo er seine Speise bekommt, aber die gefallenen Gotteskinder wissen nicht mehr recht, was sie haben an Gottes Wort, an dieser Gottesspeise; so wenige sind, die mit dem Kämmerer lesen und forschen. Leer magst du von Jerusalem wegziehen, wenn nur eins in deinem Herzen ist: das Suchen und Forschen nach Wahrheit. Es gibt zweierlei Forschen: das eine führt in die furchtbarste Tiefe des Elends, in die Loslösung von HErrn; das andre führt gewiss zum seligen Erkennen des HErrn.
„Er las den Propheten Jesaias.“ Es liegt etwas so seliges darin, die Schrift zu haben, allein die Schrift. Ja, ruft da aber eins, es sind doch darin so viele dunkle Stellen, so viele, die missverstanden werden. Was tut es auch? Lass es deinen ganzen Ernst werden, dass die Wahrheit im Himmel mit dir eins werde, du lauter und durchsichtig werdest. Freilich sind Stellen darin, jetzt noch dunkel für manchen Kämmerer; aber wie selig, dass Gott der suchenden Seele aus ihrer Verlegenheit hilft. Der Kämmerer legt die Schrift nicht bei Seite; er forscht und sucht, und es heißt immer noch: „Sucht in der Schrift.“ Eins hat der HErr angefangen zu wirken, wie Er zu aller Zeit in seiner Kirche Werkzeuge aller Art erweckt hat. Es stehen Zeugen des HErrn auch jetzt nah und fern und zeugen von Ihm, und Freude ist es, zu sehen, wie doch noch Hunger und Durst da ist; keine Kirche ist so voll wie die, wo Wahrheit gepredigt wird, Salz und Kraft da ist. Das Volk spürt noch in sich den Trieb nach Kraft und Wahrheit: das ist erfreulich. Aber um eins lasst uns recht bitten: dass der HErr nicht nur Arbeiter sende, sondern dass auch unter allen Christen das „Forschen in der Schrift“ mehr aufkomme. O, es tut wehe, zu sehen, wie manche Christen so schnell umgeworfen werden; die Erkenntnis fehlt ihnen. Woher kommt es, dass das Volk die Weise seines Gottes nicht mehr kennt? ES ist jetzt nicht schwer, einen Irrtum in der Stadt zu machen (Neh. 4,8), weil das Wort Gottes so wenig durchgearbeitet und durchlebt wird. Wenn eins über dunkle Stellen in der Schrift klagt, dem führt der HErr oft jemand zu, der sie ihm erklärt. „Von ungefähr,“ sagt die Welt; „von Gottes Gnaden,“ sagt der Christ. Der HErr wird dir sein Wort offenbaren, wenn dein Herz lauter und aufrichtig ist und du nur die Wahrheit willst. Wie rüstet der HErr jetzt manchen mit Kraft, und daran, dass da und dort ein Prediger das Schwert in die Hand bekommt, ist mancher Kämmerer Schuld, der vielleicht schon zehn Jahre ein Christ war, aber fühlt, ich habe noch keinen Grund. Auf einmal kommt ein Philippus, der sagt, was fehlt und not tut. O ein treuer, lieber Gott, der keine Seele vergeblich suchen und forschen und seinen Kämmerer leer heimziehen lässt! Das Licht kommt endlich dem aufrichtigen Herzen, das anhält mit Beten und Forschen in der Schrift. Lasst nur nie fahren das Sehnen nach Wahrheit und Licht; denn der HErr wird das Seine tun, um Licht in die dunkle Seele zu bringen. Der HErr gebe Gnade, dass wir mit Josua im Glaubensgehorsam befehlen, mit Zachäus ernstlich wollen, mit Saulus anhalten am Gebet und mit dem Kämmerer fleißig in der Schrift forschen.
Diese vier Stücke dringen in Gottes Herz. Der HErr schenke allen und besonders denen, die hierher kommen und sehen, wie Gott Gebete hört und erhört, ein reiches Maß der Gnade und des Gebets, dass sie auch zu Haus davon haben, stille sein können und immer mehr erfahren:
Mit Sorgen und mit Grämen und mit selbsteig'ner Pein
Lässt Gott sich gar nichts nehmen, Es muss erbeten sein.