Inhaltsverzeichnis

Zeller, Samuel - Acht Betrachtungen über Bibel-Abschnitte - 4. Gethsemane und Golgatha.

I.

Da Jesus als der Weltheiland kam, uns das Heil wiederzubringen, musste zuerst beseitigt werden, was aller Welt Unheil war. Die Macht Satans, die Macht der Finsternis war in der Welt, bevor die Sünde da war. Durch Satan, den gefallenen Lichtträger (Luzifer), der die alte Schlange ist, welche die ersten Eltern betrog und verführte, kam erst die Sünde in die Welt. Einst selber in der Nähe Gottes, strebte Luzifer höher hinauf, wollte mehr sein und wurde Gott abtrünnig; eine Menge Engel fielen ihm zu. Selber unselig und unter dem Fluch, will er auch die Menschheit unselig machen, und bietet allem auf, uns von Gott wegzubringen und uns zu schaden. So geht er wie ein brüllender Löwe umher oder lauert wie eine Schlange unter Blättern, bis sie ihr Gift schießen kann. Die Sünde ist sein Kind. Diese beiden Riesen, Satan und die Sünde, stehen nun vor dem unglücklichen Menschengeschlecht; diese beiden Mächte regieren seither die Erde; sie gehen Hand in Hand und bilden einen verflochtenen Strick, die Seelen darin zu fangen; sie bedrohen die Welt und stehen zu einander wie Wind und Wellen. Die Wellen des Meeres sind die äußern, sichtbaren Folgen; die Ursache davon ist der Wind, der sie erregt. Der Urheber alles Übels ist der Teufel, die Sünde ist die Folge. Bevor das Übel konnte getilgt werden, musste der Urheber unschädlich gemacht sein. Bevor der Sieg über die Sünde auf Golgatha errungen wurde, musste Jesus in Gethsemane mit der Macht des Teufels, mit der Macht der Finsternis kämpfen. Gethsemane, o das Wort klingt einem Christen gar schauerlich; es erinnert ihn an die schwersten Augenblicke seines Lebens. O, jene Schweißtropfen hat Ihm nicht allein die Sünde ausgepresst: die ganze Macht der Finsternis drängte ihn, die ganze höllische Macht lag auf Ihm, damit wir frei würden. Golgatha ist süß dagegen; da geschahen viele Gnadenzüge; auf Golgatha sind Siege erlangt worden an unsterblichen Seelen. Der Schächer bittet: „HErr, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!“ Der Hauptmann bekennt: „Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn.“ Da hat Jesus den Sieg über die Sünde errungen und kann ausrufen: „Es ist vollbracht!“

In Gethsemane aber ist Jesus allein; nur ein Engel kommt vom Himmel und stärkt Ihn; die Menschen schlafen, keiner hilft beten. Gethsemane ist ein Wort, das macht den Christen noch heute zittern. Das Geheimnis dieser finsteren Macht ist noch von wenigen begriffen; gegen sie wird viel zu wenig gekämpft, zu wenig mit wahrer Glaubenskraft gestritten.

Wir treffen Jesum hier an einer Stätte, wo Er oft gebetet hatte. Es war sein Lieblingsplätzchen. Jesus will uns heute Abend eine Lehre ins Herz geben, es ist die Lehre von der Macht der Finsternis. Diese Macht ist fürchterlich; sie bringt den HErrn Jesum dahin, dass er zittert und bebt. Er war ihr schon oft im Leben entgegengetreten und hatte sie abgewiesen. Satan musste weichen und die Engel kamen und dienten Ihm. Aber es handelt sich hier nicht nur ums Weichen, ums Zurückdrängen, es handelt sich um ein gänzliches Besiegen und Vernichten des Feindes. Wenn er nur weicht, kommt er wieder und nimmt ein anderes Plätzchen ein. Seine Macht ihm ganz zu nehmen, das war die Aufgabe des Herrn Jesu. O, der Satan hat Gewalt, wenn man ihn nicht im Blut Jesu überwindet! Und wo er weiß, dass er wenig Zeit hat, da macht er sich am meisten auf. Er hat eine große Macht über die Kinder des Unglaubens; er hat auch noch Gewalt über die Kinder des Lichts, aber Sieg hat er über sie nicht mehr, weil Jesus ihn überwunden hat und weil die Gläubigen ihn überwinden durch das Blut des Lammes (Offenb. 12,11). Johannes schreibt an die Glieder einer Gemeine: „Ihr habt den Bösewicht überwunden“ (1 Joh. 2). So lange wir noch Fleisch und Blut haben, können wir von ihm gedrängt und gedrückt werden; aber keine Stelle der Heiligen Schrift sagt uns, dass wahre Kinder Gottes von ihm überwunden werden. Es wird in der Christenheit zu wenig gegen diese Macht gebetet; man erfährt zu wenig die Kraft des Blutes Jesu. O wie viele Seelen- Geistes- und Körperleiden haben ihren Sitz ganz allein in der satanischen Macht! Es wird einem oft schwer, zuzusehen, wie liebe Menschen für ihre Übel und ihre Leiden äußerliche Hilfe suchen, die ihnen doch nichts hilft, anstatt ihren Leiden auf den Grund zu gehen und deren Urheber zu erkennen. Jene Kranke, von der erzählt wird in Lukas 13,11-17, wird von Jesus selbst eine Gebundene des Satans genannt. Jesus spricht nur ein Wort, und sie geht aufrecht. Fangt an, um Erlösung von der satanischen Macht zu bitten! O, Wunder geschehen heutzutage noch, wenn man da recht einsteht! Die Ursache von vielem Elend finden wir in der Macht der Finsternis. Das Übel ist bald gehoben, wenn die Ursache entfernt wird. Jesus gebot dem Wind, da ward das Meer stille. Viele Menschen gebieten nur dem Meer, dem äußerlichen Übel, und nicht dem Wind, dem Grund des Übels. „Beten Sie gegen Satan und die Macht der Finsternis,“ sagte mir ein Kranker. Ich kniete nieder, und ein einziges Gebet gegen die Macht der Finsternis hob die Krankheit. Was wars, was Jesus in Gethsemane erwirkte? Welches war die Waffe, die Er dem Feind abgerungen? Ein Wörtlein wars: „Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Er ist erhört worden, weil er Gott ganz ergeben war. Satan übt seine Macht auf Erden durch den Eigenwillen; das ist der Strick, an dem er anbindet, das ist die Schleife, wo er seine Häklein einsetzt. Darum musste Jesus eines durchmachen in Gethsemane: Er musste danach ringen, mit völliger Willenlosigkeit zu sprechen: „Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ O, wenn wir gelernt haben, den Eigenwillen zu brechen und Gott ergeben zu sein, da prallt Satans Macht ab, da muss er abziehen. Wenn bange Stunden kommen, so zieht euch in die Festung der Wunden Jesu zurück mit einem gebrochenen Willen; das ist ein Kreuzgeheimnis, das einem betenden Herzen nicht unbekannt bleibt.

In den letzten Jahren ists wie eine Verstärkung der Macht der Finsternis über die Welt gekommen. Man spürt nicht bloß die Sünde, man spürt einen Druck in der Luft, eine vergiftete Atmosphäre; über Städte und Länder lagern sich finstere Wolken. Gläubige Beter, denen die Augen geöffnet sind, wenn sie niederknien, merken die Macht des Feindes. Das Geistersprechen und Tischrücken hat zugenommen. Es ist ein unheimlicher Druck in der geistigen Luft, die wir einatmen. Seelen, die mit Liebe und mit Gotteskräften ausgerüstet in solche Städte kommen, fühlen sich beengt. Was ists? Es ist nicht der Steinkohlendampf, es ist nicht die Sünde allein, - es ist die Macht der Finsternis. „Es ist eure Stunde und die Macht der Finsternis,“ sprach Jesus im Garten Gethsemane. Woher kommt zu gewissen Zeiten ein Druck auf dem Herzen, ein Reiz zur Sünde? Ists der Mondwechsel? Nein. Woher kommts, dass betende Seelen Zeiten durchmachen, wo eine Flut von Gedanken sie durchzieht? Woher kommts, dass Herzen, die sonst innig mit Gott verbunden sind, oft von Ungeduld und Zweifeln beunruhigt werden, über die sie meinten längst weggekommen zu sein? Was ists? Es ist der Wind, womit Satan die Seelen anweht. O liebe Seele, geh in deine Kammer, geh ins Rüsthaus, und bete gegen die Macht der Finsternis, und siehe, wie der HErr dem Wind gebietet. Woher der Druck beim Lesen des Wortes Gottes? woher der Schlaf in den Gottesdiensten? Es ist natürlich, sagt man. Ja, aber hinter der Natur steckt der Feind und gibt den Seelen Schlafpülverchen. Müdigkeit ist oft bloß eine Wirkung Satans. Er ists, der Menschen entzweit und hinter einander bringt; das ist ein wahres Teufelsgeschäft. Es können Eheleute jahrelang im Frieden mit einander leben; auf einmal werden sie misstrauisch gegen einander, jedes sucht den Fehler beim anderen, und ohne äußere Veranlassung ist das Verhältnis gestört. Endlich sprechen sie sich aus und finden, dass es bloß Gedanken waren, die sie plagten. Wenn ein Gedanke, der nicht Liebe ist, eure Herzen durchzuckt, so denkt an Gethsemane: da hat Jesus den Feind überwunden. Nennt nur die Dinge, die euch plagen, indem ihr Jesu Blutskraft anwendet, nennt den Feind beim Namen; sobald er verraten ist, muss er sich zurückziehen. Ein Nachtwandler wird geweckt, wenn man ihm ein Licht vorhält und ihn beim Namen ruft. Wenn von einer köstlichen Zeit in der Bibel geredet wird, heißt es: Der Satan ist gebunden für tausend Jahre. Was wird es erst sein, wenn seine Zeit aus ist und ihm seine Macht genommen wird! O, denkt darüber nach, was es unseren HErrn Jesum Christum gekostet hat, diesen Feind zu überwinden! Und so geht es auch bei uns nicht ohne Kampf ab. Wenn wir anfangen, um Erlösung der Seelen zu bitten, wenn wir für sie einstehen, so regen wir den Feind auf, er will nicht zulassen, dass die Seelen erlöst werden aus allen seinen Stricken, darum regt er sich, wenn man das Blut Christi anruft. O, wenn euch bange ist und ihr wisst selbst nicht warum, so betet um die Kraft des Blutes Jesu, gedenkt daran, dass der Satan der Urheber davon ist und betet um den Segen Gethsemanes, und ihr werdet herrliche Dinge erfahren.

II.

Auf Gethsemane folgte Golgatha. Der Kampf in Gethsemane ist eine Hauptstation des Erlösungswerkes Jesu, wo Er den Urheber der Sünde, den Grund des Übels, den Teufel und seine Macht besiegte. Auf Golgatha sehen wir Ihn nun für die Sünde büßen; hier wird die Sündenschuld getilgt durch das Blut des Lammes, und so dem Erlösungswerk die Krone aufgesetzt. Nicht nur der Satan allein musste überwunden sein, auch die Macht der Sünde sollte gebrochen werden; denn sie war ja der Lockvogel, der uns aus dem Vaterhause lockte, und es musste die Seele das wiederbekommen, was ihr der Erzfeind raubte; sie musste mit Gott wieder versöhnt werden. Golgatha war eine Höhe mit Siegeswehen, Gethsemane eine Tiefe mit bangem Ringen. Auf Golgatha waren andere Gegner, andere Feinde; aber auch eine andere Sprache hörte man daselbst. In Gethsemane war eine Macht tätig, die alles zermalmen und in den Abgrund ziehen wollte; auf Golgatha richtete ein gerechter Richter, der die Sünde straft, der aber vor Liebe zu den Seelen brennt.

Die Zustände in der ganzen Welt sind ein Beweis von der Notwendigkeit Golgathas. Nennt mir ein Volk, einen Staat, eine Familie, wo ein Wort nicht vorkommt, Strafe! Das Böse muss gestraft werden.

Was soll ein Mensch machen, der nirgends ein Plätzlein findet, das ihn nicht an seine Sünden erinnert, der, wo er hingeht, Nachklänge seiner Sünden findet, der nirgends ruhig ist, er mag sich winden und wenden, wie er will? Oft trifft nur ein Ton sein Ohr - und sein Herz ist wie ein stürmisches Meer. Was muss eine Seele machen, die von der Sünde stets geplagt wird? Nur eines hilft dem bedrängten Herzen: Versöhnung mit dem Vater, Tilgung seiner Schuld. Darum sagt David: „da ich dirs bekannte, da vergabst und halfst du mir.“ Manches meint, den Ort wechseln zu müssen, um Ruhe zu bekommen; aber es wird nirgends Ruhe und Frieden für sein Herz finden. „Wo soll ich hingehen vor deinem Geist, und wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Führe ich gen Himmel, so bist du da; nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde mich doch deine Hand daselbst finden und deine Rechte mich halten. Spräche ich: Finsternis möge mich bedecken, so muss auch die Nacht Licht um mich sein; denn auch Finsternis ist nicht finster bei dir, und die Nacht leuchtet wie der Tag, Finsternis ist wie das Licht“ (Ps. 139). Alle menschlichen Mittel, um zur Seelenruhe zu gelangen, helfen nichts, und gar manches fröhliche Gesicht verdeckt namenloses Elend. Was ist zu tun, um Ruhe zu bekommen? Die Sünde scheidet uns von Gott und kann nicht anders getilgt werden, als durch einen Mann, der sich selbst zum Opfer gibt. „Ohne Blutvergießen geschieht keine Vergebung der Sünden.“ O, auf Golgatha muss die ganze Sündenschuld und Sündenlast hingetragen werden; da ist die Kraft des Opfertodes Jesu offenbar geworden! Paulus war ein Mörder von lieben Gotteskindern, von Augäpfeln Gottes; es scheint, ein solcher Mensch sollte keine fröhliche Stunde mehr haben; aber nach all den Blutschulden konnte er sagen: „Freut euch allezeit!“ Wie hat er alle die Blutschulden weggebracht? Wo sind sie hingekommen? Vergessen hat er sie nicht und verdecken wollte er sie nicht; denn er sagt selbst Apstg. 26,11, er sei überaus unsinnig gewesen in der Verfolgung der Heiligen.

Was muss ich denn tun, dass die Seele still und das Herz ruhig wird? fragst du. Paulus antwortet dir: „Glaube an den HErrn Jesum Christum, so wirst du und dein Haus selig“ (Apost. 16,30). Jesus hat alles bezahlt, Jesus hat die Strafe der Sünde auf sich genommen und deren ganzes Gewicht getragen, so dass Er ausrief: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Jesus hat meinen Fluch auf sich genommen, darum trifft er mich nicht mehr; Jesus trug meine Strafe, darum muss ich sie nicht mehr tragen. Es ist ein furchtbarer, aber ein fruchtbarer Gedanke; wer ihn erfasst, dem wird geholfen. Des ist köstlich, was dort auf Golgatha geschah.

Wir haben Ursache, an diesem Tag uns unaussprechlich zu freuen; es ist der Hochzeittag der Seele, da sie mit ihrem HErrn vereinigt wird; es ist der Tag der Wiederkehr des Kindes in die Heimat. Was ich verbrochen, hat Jesus wieder gut gemacht. Er hat mich mit dem Vater wieder verbunden, indem er die Sünde hinwegnahm, die mich von Ihm schied.

Wie steht es heute mit deiner Vereinigung mit dem himmlischen Vater? Bist du durch Jesum zum Vater gekommen? O meine Lieben, weil das Ziel unseres Lebens fort auf Golgatha erreicht wurde, als Jesus gerufen: „Es ist vollbracht!“ so lasst uns auch vom Vater zum Sohn ziehen, und mit Christo ein verborgenes Leben in Gott führen.

III.

Wir sind in der Stunde angekommen, da der HErr sein großes Wert der Geisterpredigt unternahm (1 Petri 3,19). Mit dem Scheiden aus dem Leib unternahm der Geist den Siegeszug in die Gefängnisse der unseligen Geister. Als König, der frei machen kann wen Er will, fuhr Er hinunter, zu predigen den Geistern. Nachdem Er dreißig Jahre lang lebenden Seelen gedient hatte bei Schmerzen und Krankheiten, durch Heilung und Vergebung der Sünden, so fuhr Er fort seine Liebe zu beweisen, indem er sich zu den Gefangenen der Geisterwelt wandte und herausführte, welche Er wollte (Röm. 6).

Was am Karfreitag geschah, das steht auf der einen Seite eines offenen Buches mit den Worten: „Seele, das tat ich für dich!“ Aber obschon mancher Karfreitag über uns ergangen, steht auf der anderen Seite des Lebensbuches immer noch keine Antwort auf die Frage: „Seele, was tust du für mich?“ Ich kann nicht den Karfreitag schließen, ohne dass ich das zweite Blatt wieder in die Hand nehme und mich frage: „Wie steht es mit dem Echo, mit der Antwort auf die Frage Gottes? Bewegt uns seine Liebe also, dass wir auch unserem eigenen alten Wesen sterben wollen?“ O, der Tod Jesu steht in enger Beziehung zu unserem täglichen Sterben; darum sagt Paulus: Ich sterbe täglich (1 Kor. 15,31). Wir tragen an unserem sterblichen Leib allezeit das Sterben unsers Herrn Jesu, dass auch das Leben Jesu an uns offenbar werde. Die Welt sieht zu wenig das Leben des Herrn Jesu an diesen sterblichen Leibern. O wie viel Kreuzesflucht, wie wenig Aufopferung, wie wenig Hingebung von unserer Seite!

Blicken wir in die Christenheit, so sehen wir, dass beide Reiche, das Reich des Lichts und das Reich der Finsternis, tätiger sind als je. Im Reich der Finsternis bringt die Zauberei große, gewaltige Dinge hervor, und es wird nicht lange dauern, dass Jannes und Jambres wieder unter uns auftreten. Aber auch im Reich des Lichts gibt es schöne Eben-Ezer des Lebens Jesu.

Es ist etwas geschehen, wenn wir unseren HErrn in der lieben, seligen Stunde anschauen beim Verscheiden; aber wenn der Schmerzensschrei Jesu uns nicht begleitet in unsre Häuser, und uns nicht lehrt der Sünde absterben, so war der Karfreitag nur ein Erinnerungstag für uns. Jesus will, dass wir sein Sterben durchmachen. Sein Kreuz bezieht sich auf unser Kreuz, sein Tod auf unseren Tod. Wir stehen jetzt auf Golgatha; aber wir müssen wieder hinuntersteigen in unser praktisches Leben, in unser furchtbar praktisches Herz. Wir Lesen von den Jüngern, dass sie oben auf Tabor, wo die Klarheit sie überraschte, hätten Hütten bauen wollen; aber Tabor ist keine Ruhestätte, Tabor ist nicht ein Ruheplatz; sie mussten wieder hinunter. Wie groß war der Wechsel und der Abstand! Oben die Klarheit, das Sehen der wunderbaren Dinge, das Hören der Stimme Gottes, das Anschauen der freien Knechte Gottes, die Verklärung Jesu, unten ein schäumender Knabe, gebunden von der Sünde. Das sind Gegensätze! Meine Lieben, auch wir, wenn wir Jesum gesehen auf Golgatha, müssen wieder hinab. Der Herr Jesus geht in die unterirdischen Gefängnisse, um die nach Freiheit schmachtenden, armen Gebundenen zu erlösen. Auch in uns ist noch viel Gebundenheit des eigenen Lebens bei allen Harren nach Erlösung, darum will Christus auch heute noch bei uns einkehren.

„So wir sterben mit Ihm, so werden wir auch mit leben.“ Wenn heute jemand käme und uns einen Tausch anböte mit einem prachtvollen Landgut statt unsers kleinen baufälligen Häusleins, das über uns zusammenzubrechen droht, würden wir zögern und zagen? Und was bietet Gott uns an der Stelle eines so hinfälligen Gebäudes, wie unser Leib ist, der Risse hat und der alle Tage zusammenbrechen kann? O, Er weist uns ein Plätzchen an, da wir mit Ihm leben können, eine Behausung, die ewig ist im Himmel. Woher kommt es, dass so wenig Sterbensfreudigkeit unter den Christen ist? Wir müssen diesem trüben Wässerlein nachspüren. Warum stirbt man nicht gerne? Weil man nicht weiß, dass man mit Jesu leben wird. „Sterben wir mit Ihm, so werden wir mit Ihm leben,“ sagt uns heute Gottes Wort. Aber in uns tönt eine Stimme: Du bist noch nicht mit Christo gestorben. Es ist ein köstliches Gnadengeschenk Gottes, dass, weil Christus gestorben ist, es auch uns möglich gemacht wurde, uns selber abzusterben. „Ein Beispiel habe Ich euch gegeben, wie ihr wandeln sollt“, sagt Jesus. Wenn Gott einen Vertrag macht und ihn mit seinem Blut unterschreibt, sollte Er es nicht wünschen, dass wir unsere Unterschrift auch dazu geben? Es kommt darauf an, meine Lieben! ob und wie wir hinschreiben. „Könnt ihr auch den Kelch trinken, den ich trinke?“ - „Ja, HErr.“ - Ihr werdet ihn trinken. O, mit der Unterschrift ist viel übergeben, mit dem Beschreiben des zweiten Blattes im Lebensbuch nehmen wir viel auf uns! Wir müssen in den Tod, meine Lieben. Es ist leichter, Jesum auf den Stationen seines Leidensweges im Geist zu begleiten, als auch selbst in den Tod zu gehen. Es ist traurig, dass es ein seltenes Ding in der Christenheit geworden ist, der Sünde abzusterben. Sollen wir uns an der Betrachtung des Leidens und Sterbens Jesu genügen lassen? Sollen wir uns vor Ihn hinstellen wie vor ein Ölgemälde, und seine schönen Züge betrachten, aber dabei unsere hässlichen Züge behalten? Sollten wir die reine Stirn, das helle Auge, den sanften Mund des Bildes bewundern, aber selber mit finsterem Auge nach anderen Dingen schauen und mit unserem Munde noch spitzige, lieblose Reden führen? Sollten wir Jesum am Kreuze ansehen und Ihm nicht die Hand geben, damit auch unser Fleisch angenagelt werde? Sollten unsere Glieder laufen können, wie sie wollen, und Jesu Glieder ausgespannt sein? O, der Karfreitag ist ein ernster Tag, denn er erheischt unseren Tod!

Wenn aber eine Seele sich selber und der Sünde absterben will, da werden gewaltige Dinge in Bewegung gesetzt. Da ist ein Wehren des Satans, wenn man ihm entgehen will. Er ist zornig und tut Einsprache, wenn die Seelen Ernst machen mit dem Sterben des alten Menschen. So lange man nur beten will und in die Versammlung gehen, da lässt ers ruhig zu. Gebräuche und Formen will er wohl lassen; aber Eins kann er nicht leiden: das Absterben von Sünden, das Wandeln im neuen Leben. Da macht er sich auf und sucht zu zerstreuen, oder matt zu machen, oder irgend eine Sünde in dem Herzen zu erhalten, und wenn es ihm gelingt, so ist sie der Ring, an dem er immer wieder anhängt. Von Sünden aufhören ist der Todesstreich für Satan, der seine Macht dadurch verliert. Dein Beten allein genügt nicht, davor erschrickt der Feind nicht; du musst in den Tod. Vor dem Doppelhelden, der nicht nur betet, sondern auch kämpft und tötet, weicht der Satan, wie die Amalekiter vor dem Beten Moses und den Streichen Josuas weichen mussten. Was hätte Josuas Schwert genützt, wenn Moses nicht gebetet hätte? Was hätte Moses Gebet und Händeaufheben genützt ohne Josuas Schwert? Warum sehen wir so wenige die durchgedrungen sind? Warum ist so wenig Frucht für die Ewigkeit da? In manchem Herzen brennt ein Feuerlein, aber es brennt nicht genug; es ist kein völliges Absterben Jesu nach. Nur seine Liebe kann unsre Liebe erwecken. Eine schwarze Kohle kann nicht glühend werden, wenn nicht eine brennende sie anzündet. O, die brennende Kohle ist das Sterben Jesu! Sein Sterben riss mich aus meinem Tod, seine Liebe bewog mich, auch sterben zu wollen und mit dem Apostel zu sagen: „Ich sterbe täglich.“