Zeller, Samuel - Acht Betrachtungen über Bibel-Abschnitte - 1. Gottes Gerichte

Gottes Gerichte. Bei Anlass des eidgenössischen Buß- und Bettages, zur Zeit der Cholera-Epidemie gehalten und auf die jetzige Zeit angewandt.

1 Chron. 22 und Sach. 1,8-17.

Er schlägt und heilt;
Er verwundet und verbindet;
Er kann töten und lebendig machen;
Er führt in die Hölle und wieder heraus.

Nicht gedruckte Zettel und nur ein im Kalender verzeichneter Tag mahnen uns am heutigen Bettag an die Buße; kein bloßes Exerzieren auf dem Paradeplatz ruft jetzt die Männer zusammen; nicht bloß eine gemütliche fröhliche Übung begeht das Rettungskorps; nein, gewaltige Sprache Gottes und sein aufgehobener Finger in unserer Nähe verkünden laut, dass es Zeit ist, Buße zu tun; nahe ist ein Gefecht, und bald kann es auch auf unsern Boden kommen, und unsere Häuser könnten geleert werden. Der Brand ist wirklich ausgebrochen, und es gilt löschen und retten. So verschieden wird jetzt die Heimsuchung besprochen: mit Augen des Unglaubens schaut man die Rute an und lacht darüber, will sie zertreten und unterdrücken.

Mit Mikroskopen, mit Gläsern der Wissenschaft entdeckt man die Pilze in den Gedärmen und hascht nach einem Mittel, als Gegengift zu gebrauchen. Bald will man den Grund in den ungesunden Wassern und Sodbrunnen gefunden haben, und verschließt sie. Ist es die Luft, ist es das Wasser, die Erde, oder sind es die Herzen, die einer Reinigung bedürfen? Laut erheben sich jetzt Stimmen, die als Urheber des gegenwärtigen Unglücks, der schauerlichen Geißel des Krieges, der herzzerreißenden Szenen des Jammers, des namenlosen Blutvergießens und der schauerlichen Racheseufzer der Verwitweten und Waisen, verhasste Monarchen bezeichnen, die, obgleich einander bekriegend, unter einer Decke stecken sollen und die Untertanen zertreten. Andere grollen über verräterische Heerführer, die ihr Interesse suchend, Tausende der Schmach und dem Tod unnütz preisgeben. Die Dritten suchen die Schuld in veralteten Formen und hoffen Wunderbares von republikanischen Verfassungen und fleischlichen Freiheitsbestrebungen. Auch fehlen die nicht, welche sich wider den Gesalbten auflehnen und seine Bande zerreißen wollen, als ob wahre Religion und Gottesfurcht den Menschen ins Unglück bringe. Doch ist es einer nur, oder sind es alle? Lasst uns die Plage mit den Augen des Glaubens und vom Standpunkt der heiligen Schrift anschauen. Das Wort des lebendigen Gottes zeigt uns den Urheber der Sünde, aber auch den der Gnade; den Abfall Israels, aber auch den Weg der Umkehr und Heilung; das Schwert, aber auch die Scheide.

Vers 1. Der Satan stand wider Israel und gab David ein, dass er Israel zählen ließ, und 2 Sam. 24,1: „Der Zorn des HErrn ergrimmte über Israel“.

Welch ein kleiner verborgener Anlass zu einem großen Unglück. Verborgen sind die Pilze, ungekannt die ungesunden Wasser, aber geheimer noch der eigentliche Unglücksstoff und Pestilenzverbreiter. Der Satan, dies unsichtbare Wesen, geleugnet in seiner Existenz sogar, stand wider Israel, veranlasst durch Sünde des Volkes.

Mögen die Freigeister, die nur das Sichtbare glauben und nur das Begreifliche annehmen wollen, leugnen und sagen, es sei diese Lehre veraltet und unpassend für unser kultiviertes Geschlecht, obschon die Praxis der Telegraphie sie lehrt, dass ungesehene Kräfte existieren und gewaltig wirken; mögen andere meinen, dass nach dem Opfer- und Sühnungstag unseres HErrn die Gewalt Satans verschwunden und er nun in ewigen Banden schmachte oder vollends vernichtet sei, so steht gleichwohl im neuen, wie im alten Bund: Satan widerstand. Töricht ists, den leugnen wollen, der noch immer so reiche Beute hat, und unerklärlich bliebe manches Ereignis, ewig ein Geheimnis, wenn nicht der Satan widerstände. Schon in der ersten Geschichte der Menschheit, beim Sündenfall im Paradies, spielt die Schlange, die listige, eine Hauptrolle; im Anfang der aufblühenden Christengemeinde macht derselbe sich geltend und der Apostel Johannes zeigt uns, dass Jünglinge im Christentum den Bösewicht überwinden können, sollen, und überwunden haben.

Wohl sucht nun ein Teil der gefallenen Menschheit alles beim Satan, der andere alles bei sich; gib deinem allverkehrten Herzen in den meisten Fällen die Schuld, aber leugne bei einzelnen Anlässen den Feind nicht.

Wenn Balak das Volk Gottes zum Götzenfest einlädt, um es zu schlagen und zu besiegen, so steht dahinten ein Bileam, der das Volk des heiligen Gottes nicht verfluchen konnte. Nicht Freude bereiten ist des Balaks Absicht, sondern verderben. Verderben will Satan auch uns, und er steht hinter vielem. Wenn Balak verderben will, muss er verführen; wenn Satan wider uns ist, so sucht er zur Sünde zu reizen, weil Sünde die Handhabe ist an uns Töpfen; das Obligo auf uns Schuldner, das Rechtsboot an die Armen.

Vers 2. Der Zorn des HErrn ging gegen das Volk um seiner Sünde willen, daher Satans Absicht auf ein ganzes Volk, und vom Volk wirft er sich auf einen Einzigen. O wie hängt der Einzelne und das Volk zusammen. Wenn Gott über des Volks Sünde zürnt und Satan böse Absichten über ein Volk, eine Gemeinde, ein Haus hat, so reizt er von einem Volk eine Gemeinde, in einer Gemeinde ein Haus, von dem Haus einen Mann zur Sünde. Die erste Veranlassung war „die Sünde des Volks,“ die sich im Einzelnen spiegelt, daher: Einer für alle, alle für Einen. Die Absicht ist groß, der Anlass sehr klein: „Zähle das Volk.“

Nachdem der vorsichtige David Sauls Leben mehrmals verschont in Augenblicken, da Selbsthilfe ein Leichtes wäre gewesen einem rachesüchtigen Herzen, geht er dieser Tat, ungeachtet der ängstlichen Bitte Joabs, seine Schuld auf Israel kommen zu lassen, durch des Feindes Eingabe wie berauscht, entgegen. Es gibt einen Rausch ohne Wein und geistiges Getränk, es gibt einen Zauber ohne Jannes und Jambres. Sprichst du: „Ich bin weder Mörder noch Ehebrecher,“ so schau hierher, wie wenig es braucht, um Gott zu missfallen.

„Dass ich wisse, wie viel ihrer ist.“ Hat sich unser Christenvolt nicht ebenfalls mit dieser Sünde versündigt? Statt wissen wollen, sollte man sich einfältig mit dem Haben begnügen. Ein jedes schlage an seine Brust, ob Hochmut nicht auch seine Sünde sei. Ist nicht die Sünde des Christenvolkes der falsch hohe Geist, der nicht einfältig nach dem Worte Gottes handelt, dem es wohl tut, die Zahl der Untertanen zu wissen? Es ist das ich, das sich will geschmeichelt, geehrt und geliebt sehen; es ist der feine Hochmut in fleischlichen und geistlichen Dingen, die Ehrsucht unserer Zeit, die sich hier in David repräsentiert. Welch ein Götze unserer Zeit ist doch das Wissen, die falsch berühmte Kunst, das Forschenwollen in den heiligsten Dingen, ohne die heiligende Kraft derselben an sich wirken zu lassen oder zu begehren; welch eine Sünde unserer Zeit der Hochmut in der Gestalt der Ruhmsucht und des Nationalstolzes, die babelsche Idee, sich zu vereinigen und sich einen Namen zu machen und sich auszuzeichnen.

Wer wehrt dem Hochmut des Volkes, des Einzelnen? Wie Joabs Stimme der Warnung verklingt und Davids Herz nicht erreicht, wenn David gereizt ist vom Satan zur Strafe fürs hochmütige Volk, so mag ein Vater sein Kind beweinen, beschwören, die Bahn des Lasters zu verlassen, so mag ein Hofprediger die Königs- und Kaiser-Sünden rügen und ungescheut strafen, so mag Rocheforts Laterne zünden, mit Satire und Ironie geißeln, - das Kind wird lachen zu des Vaters Tränen, der König des Amtes entsetzen und seinen Willen üben, Napoleon auf neue Lorbeeren sinnen, um im Erhaschen für immer zu stürzen, denn ein um des Volkes Sünde willen Gereizter wird nicht hören wollen.

Vers 8. Ich habe gesündigt; nimm weg die Missetat.
Vers 10. Dreierlei lege ich dir vor; wähle dir eins.

Kein Wort von Vergebung; ein reumütiges Bekenntnis und doch keine Wegnahme? fragst du erschreckt. Ein Weinen, kein Trocknen, ein Blitz ohne Donner, ein Schuss und nicht getroffen, Wehen und keine Geburt? Ja, dieser Art muss sich der HErr bedienen bei einem so wehleidigen, empfindlichen Geschlecht; damit unter uns nicht zu viele Pharao, Saul und Ahab gefunden werden, damit die echte von der unechten Reue erkannt werde, muss der HErr, trotz Sündenbekenntnissen und Reue, Strafgerichte kommen lassen. Damit wir Gnade und Seligkeit nicht mit Wohlergehen und Glück im Äußern verwechseln, lässt Er seine Hand schwer, trotz Gnade, auf Manchem liegen. Nicht immer ist Vergebung und Huld mit dem Zollstab des äußern Glückes und der Hilfe, der Wegnahme des Kreuzes zu messen.

Ein David sündigt und spricht über sich selbst das Todesurteil, der HErr vergibt nach Psalm 103 alle seine Missetaten, lässt aber zur Strafe Feindschaft in seinem Haus bis an sein Ende.

Sein Todesurteil ist in eine lebenslängliche Kettenstrafe verwandelt; ist das nicht auch Begnadigung? Dein Begriff von Begnadigung geht so weit, dass du am liebsten. gar nichts leiden möchtest. Hast du einst im Leichtsinn „Ja“ gesagt, so fliehe nun nicht deine Bande; im Kreuz, ia im Familienkreuz ist auch Gnade.

Vers 13. Mir ist sehr angst; doch will ich in die Hand des HErrn fallen, denn seine Barmherzigkeit ist groß.

Wo Satan sich mächtig offenbart, wird dem Herzen bange. Nicht das ist Heldenmut, sich aus der Plage nichts machen, ihr wie Agag entgegentreten: „Also muss man des Todes Bitterkeit vertreiben;“ nicht das lügenhafte Großreden und Prahlen mit dem Mund, während das Herz doch oft zagt und zittert, ist eines Helden würdig; tiefe Wasser brausen nicht stark. Der Held scheut sich nicht zu sagen: Mir ist angst. So groß die Angst, so groß auch die Ergebung, so tief, so hoch, so still, so voll. Davids Präservativ ist Gottes Barmherzigkeit, sie ist auch des Christen ewiger Trost, weil sie ewig ist.

Was hilft?

Vers 15. Und im Verderben reute ihn das Übel und sprach: Es ist genug, lass deine Hand ab!

Nicht Davids Anstrengung und Bußgebet seiner Ältesten, noch sein Altar ist der erste Stein in der Wagschale der Hilfe, sondern es reute Gott; sein Erbarmen ists das allein und zuerst rettet; alles andere ohne das ist nichts. Das Erbarmen Gottes ist die Zahl; unser Tun sind die Nullen; ohne die Zahl am Anfang sind und bleiben sie nichtssagend und unbedeutend; sie werden nur wichtig durch die Zahl des göttlichen Erbarmens. Geht Er voran und folgen wir nach, so macht der Einer uns zu Hunderten: 100.

Vers 16 und 17. David fiel mit seinen Ältesten auf das Antlitz und sprach: Ich bin es, lass deine Hand wider mich gehen.

Es gibt eine Sprache des Hochmuts von oben, die predigt: Ihr, sie. Saul spricht „sie,“ da er von Gott abgefallen.

Es gibt eine Sprache der Beugung eben hinaus, da man sich zu anderen rechnet und predigt: Wir.

Es ist dies die Sprache des Selbstgerechten, der gerne spricht: „Wir sind allzumal Sünder und mangeln des Ruhms, den wir haben sollten.“

Es gibt aber auch eine Sprache der Zernichtung von unten, da man ruft: Ich bin es.

Jesus schlägt fort, bis ich die Sünde bei mir finde.

Bin ich nicht auch schuld, wenn ein ungläubiger Prediger Jahre lang im Unsegen in der Gemeinde wirkt? Habe ich ernstlich gebetet? Das wahre Schuldbewusstsein macht weder verzagt noch verzweifelnd, nur klein, und treu.

Herz, suche alle Herz-, Familien-, Ehe-, Regierungs-, Untertans-Sünden bei dir! Gehe hin, mein Volk, in deine Kammer und schließe zu, bis der Zorn vorüber ist. Es erfüllt unser Herz immer ein wenig mit Bitterkeit, wenn wir den Fehler an anderen finden, und es beugt und bringt in die Niedrigkeit, in die Tiefe und Demut, wenn wir alles Ungesunde und Widerwärtige unseres Sünde zuschreiben.

Vers 26. David baute daselbst dem HErrn einen Altar und opferte Brandopfer und Dankopfer. Und da er den HErrn anrief, erhörte Er ihn, und sprach zum Engel: Stecke dein Schwert in die Scheide.

Das letzte ist ein Opfer. Es ist ein Bild davon, dass unser Herz samt Leib und Geist Ihm ein ganzes Brand- und Dankopfer sei.

Wo ist unser Brandopfer? Wir suchen ess, wie Isaak: er sieht das Feuer, trägt das Holz, sein Vater hat das Messer; wo ist das Opfer? Ein Opfer, das Gott gefällt, ist ein geängstigter Geist; ein zerschlagenes Herz wird Er nicht verachten. Wir sind das Opfer selbst; denn uns, ja mich will Er haben. Ein Herz, das vor der Sünde sich scheut und Angst hat, Ihn zu betrüben, wie wohlgefällig ist es Ihm!

Vers 24. Um volles Geld will ich es kaufen.

Ein Blindes opfert man dem HErrn sonst gerne; das Kranke wirft man hin, Er soll es haben; vom ganzen Geben ist man noch so fern; was taugt, will ich, das Andere mag Er haben. Am Ende will man Ihm Opfer bringen, aber sobald es etwas kostet, sobald es ans Leben, an die Kraft, an Beweise unseres Ernstes geht, tritt man zurück; das ewige Leben will man ererben, aber ja nicht vollkommen sein durch die ganze Dahingabe unsers Ich.

Ihn kostete die Liebe ja sein Leben,
Mich kostet sie doch nur den Tod;
Sollt ich nicht ganz mich Ihm ergeben?
O nimm mich an, mein HErr und Gott!