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Zeller, Johannes - Von den drei verschiedenen Arten, wie sich der Mensch zum Heiligen Geiste verhalten kann

Text: Röm. VIII, 15. 16.
Denn ihr habt nicht einen knechtischen Geist empfangen, dass ihr euch abermals fürchten müsstet; sondern ihr habt einen kindlichen Geist empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater! Derselbige Geist gibt Zeugnis unserem Geiste, dass wir Gottes Kinder sind.

Geliebte in dem Herrn!

Wir sind versammelt, um Pfingstfest zu feiern, das Fest der Ausgießung des Heiligen Geistes, und um an demselben das Abendmahl zu genießen. Jenes Heiligen Geistes, der den Aposteln und, wie wir aus vielen Erzählungen in der Apostelgeschichte und auch aus unserem Texte wissen, ebenso den ersten Gemeinden gegeben wurde, jenes Heiligen Geistes können, sollen wir auch teilhaftig werden. O dass er unser aller Herz, unsern Geist samt Seel' und Leib durchdrungen hätte! O, dass das Texteswort uns gelte, unsern Zustand beschriebe: „Ihr habt nicht den Geist der Knechtschaft empfangen, wiederum zur Furcht; sondern ihr habt den Geist der Kindschaft empfangen, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater!“ - Nun, habt ihr ihn empfangen oder nicht? Ausgegossen will er auch über euch werden; seit dem der Herr verklärt ist, ist er auch für euch da; er ist auch euch verheißen, zugesagt; ihr müsst nur annehmen; habt ihr schon ein Verlangen, so müsst ihr sehnlicher streben; habt ihr schon empfangen, so müsst ihr nicht satt sein, sondern um mehr bitten! Doch in allem geistlichen Leben ist jeder Schritt vorwärts, jede höhere Stufe, die man erreicht, bedingt durch den Grad. der Selbsterkenntnis, der Einsicht über unsern Seelenstand vor Gott, an das Maß des Selbstgerichtes, welchem wir uns unterwerfen; deswegen gehen meine Predigten, soll auch die heutige gehen auf das Ziel los, euch die Augen über euch selbst zu öffnen, weil dadurch das Auge gestärkt wird, Gott zu schauen, wenigstens zu begreifen und Jesum zu erkennen!

Zweierlei Geist ist hier erwähnt: Geist der Knechtschaft, in dem Furcht ist; und Geist der Kindschaft, in welchem vertrauensvolles Gebet ist. Aber auf beide bezieht sich das Wort „empfangen“; es geht also wohl dem Zustand, wann wir den einen oder den andern Geist, den der Furcht oder der Liebe empfangen haben, ein anderer noch voraus, ein Leben ohne Geist, ohne Furcht, ohne Liebe; ein Zustand, in dem der Mensch nicht Knecht und nicht Kind Gottes ist? Gibt es solche Menschen? gibt es im Leben des Einzelnen einen solchen Abschnitt und Zeit. raum, in dem er weder fürchtet, noch liebt, nämlich Gott, den Herrn? Auf jenes antworte ich: Viele, sehr viele Menschen, und was noch schmerzlicher ist, viele Christen, die auch heute Pfingsten zu feiern wagen; auf dieses vom einzelnen Menschen antworte ich: Wir alle haben solche Zeit des Lebens gehabt, wenigstens fast alle; und sollten wir nicht sagen können: wir haben gehabt, ach, so prüft, ob ihr nicht sagen müsst: wir haben noch; und dann lernt wenigstens heute euch fürchten; fürchtet ihr euch aber, dann lernt beten und vertrauen! Doch wir dürfen nicht vorgreifen: wir müssen zuerst Einsicht geben, dann können wir ermahnen.

Wir reden, von den drei Arten der Menschen, wie sie sich zum Heiligen Geist verhalten- ob sie ihn noch nicht wollen, oder suchen, oder schon haben; oder wir reden von den drei Zuständen, in denen dasselbe menschliche Herz zu verschiedenen Zeiten sich befinden kann.

Der Mensch, unter dem Gesetze; der mit dem Geiste des Gebetes ist ein Begnadigter oder wir reden vom fleischlichen Sinn, vom knechtischen Geiste, von dem Geist der Kindschaft Gottes.

I.

Der natürliche Mensch ist es, von dem die Schrift sagt, „dass er nichts vom Geiste Gottes vernehme; es ist ihm eine Torheit,“ und das ist buchstäblich wahr. Dem Menschen, den wir zuerst beschreiben sollen, fehlen die Ohren um zu hören, die Augen um zu sehen, ja in seinem Stolze geht er so weit, das, was er nicht versteht, und was vor Gott Weisheit ist, zurechtzuweisen und zu belächeln und es Torheit zu nennen. Der natürliche Mensch ist auch der fleischlich-gesinnte und dies ist der Tod und die Feindschaft wider Gott, weil er dem Gesetze Gottes nicht untertan ist. So bezeichnete die Schrift diesen Zustand; auch mit Finsternis, weil kein Licht von oben, keine heiligen Gedanken, reinen Wünsche in einem solchen Herzen sind; auch Blindheit, weil dieser Mensch nicht erkennt, was gut und böse ist, und sicher dahin geht, nicht merkend, welchem schrecklichen Abgrunde des ewigen Verderbens er nahe ist. Alles täuscht ihn und er merkt es nicht; er begehrt Dinge, in denen Gift ist, und verwirft das, was heilsam und köstlich ist. Ja tot nennt die Schrift einen solchen, weil er nichts fühlt für Gott, nichts denkt über Gott und göttliche Dinge, nicht will, was Gott will, nicht tut, was zu Gottes Ehre dient; kurz er hat sich losgerissen von Gott, der Quelle des Lebens und ist darum tot, innerlich erstorben, nur der Welt und dem Vergänglichen Preis gegeben. Er betet nicht, wenigstens nicht aus dem Herzen, er liebt nicht, wenigstens nicht heilig und uneigennützig, er tröstet. Andere nicht, hilft ihnen nicht, wenigstens nicht ohne dass er sein Werk selbstgefällig ansieht.

Der natürliche Mensch spricht entweder in wilder Frechheit, oft laut, oft nur im Herzen: es ist kein Gott! oder er denkt sich Gott als einen schwachen, kurzsichtigen, leicht befriedigten Gott, der, wie es heißt, barmherzig sei! er denkt sich eine Barmherzigkeit, die durchaus nicht mit der Heiligkeit Gottes bestehen kann. Er nennt die Sünde nur Irrtum, Fehler, Schwachheit, natürliche Folge unsers Wesens, und spielt mit ihr. In die Gedanken der Wollust, der Rache, des Neides, des Betruges geht er ungehindert ein und sättigt sich mit ihnen; dann ist die Gelegenheit zur Tat bald da und man freut sich ihrer. Ja in diesem Zustande ist viele Freude, eine Freude zwar, um deren willen es den Menschenfreund, den Heiland jammert, weil sie in Jammer enden wird. Die Freude des natürlichen Menschen ist eben die, dass er, was die Welt anbietet, genießt mit ganzem Herzen und sich nichts versagt; sei es nun, dass er sich vielen oder nur einer Leidenschaft vorzugsweise ergibt.

Kurz diese befriedigt er und das nennt er dann Freude, so kurz der Genuss, so schmerzlich oft die Folgen sein mögen. Er lebt nur in der Gegenwart und denkt nur an die Zukunft, indem er Hoffnungen auf neue Freude nährt. - Aber denkt er nie ans Sterben, an die Zukunft jenseits des Grabes? Selten, und wenn er daran denkt, so hat er auch da seine Lügen. Er beredet sich, einst wolle er dann Buße tun und sich bekehren; jetzt noch genießen, aber kurz vor der letzten Krankheit, vor dem Tode noch alles, was böse ist, bereuen und um Vergebung bitten. Der Tor! als ob der Mensch. nur so schnell könnte, wenn er wollte, Buße tun, als ob die Sünden, die er so sehr liebt, ihm dann hassenswert vorkommen, als ob seine an die Welt verkaufte, mit Lügen umstrickte, mit einer Decke des Weltgeistes verhüllte Seele so schnell es wagte, vor Gott hinzutreten und sich in seine Arme zu legen. Gott ist für dich ein verzehrendes Feuer, in dessen Hände es schrecklich ist zu fallen; deine Seele kann ihn nicht lieben, nicht fürchten, sie wird ihn auch dann Lästern; den Schmerz der Buße wirst du auch dann scheuen, und dich an dem falschen Troste halten, bis er bricht und du dann. verzweifelst. Gott lässt seiner nicht spotten; wer nicht wider die Sünde kämpft, ruhig in ihr ist, sie befriedigt, innerlich und äußerlich unheilig ist, der ist der Knecht der Sünde, und sein Ende ist, dass, wer solches tut, das Reich Gottes nicht ererben wird.

Hier nun ist uns klar, dass der Weisheit Anfang Furcht Gottes ist, dass diese Knechtschaft der Sünde überwunden wird, wenn der Geist der Furcht, der Geist der Knechtschaft von Gott in den Menschen dringt. Nicht zittern vor Gott, ohne zu ihm beten, ihn lieben zu können, ist schrecklicher als sich fürchten, zittern vor ihm. - dass wir alle nur einmal recht erbebten vor der Heiligkeit und Herrlichkeit des allgegenwärtigen Gottes.

II.

Wer wirkt diesen Geist der Furcht? dem Menschen ist es nicht möglich, aber Gott. Durch eine schwere Lebensfügung, durch ein hartes Leiden, oder durch eine Predigt, durch ein Bibelwort kann er den im Todesschlaf des Geistes Versunkenen wecken, den Verstockten erschüttern, den Harten erweichen. Er tut Wunder jetzt noch, besonders das Pfingstwunder, so dass hie und da einer, oft viele zusammen spüren, wie es ihnen durchs Herz geht und voller Angst fragen: Was sollen wir tun?

Der Geist erwacht aus seiner Trunkenheit, er sammelt sich aus seiner, Zerstreuung, eine Täuschung nach der andern, ein Trug nach dem andern muss weichen und sieht sich enthüllt. Die Sünde ist nun wirklich Sünde, ein Gräuel vor Gott, die Seele, die ihr dient, ist der Verdammnis würdig! Das Irdische ist nun wirklich vergänglich, nur bittere Schmerzen folgen aus dem Genuss desselben, es ist ihm nun Eckel und Angst, was er früher allein liebte, der Scheinfriede ist weg, er sieht nun: es war Wermut, was er für Süßigkeit hielt, Finsternis was ihm Licht schien, Jammer war es, wobei er jubelte. Ach, dass ich euch nun den Geist der Knechtschaft beschreiben könnte, den so schweren und doch selig zu preisenden Übergang aus der Sicherheit in die Angst, aus der Blindheit in das Sehen, wenigstens in das Schauen des eigenen Elendes. Sei es, dass die Allmacht Gottes plötzlich oder allmählich wirkt, kurz jetzt fühlt der Mensch zu seinem Entsetzen, dass Gott nicht ein stummer, kraftloser, schwächlich gutmütiger Gott ist, der mit sich und seinem Gesetze machen lässt, was man will; nein, er ist ein eifriger Gott, der einem jeglichen vergilt nach seinen Werken, ein Herzenskündiger, vor dem wir uns nicht verbergen können; ein starker Gott, der die Donner des Sinai, wo Israel rief: „ich zittere und bin sehr erschrocken“ noch kann in der Menschen Seele ertönen lassen. Auf einmal ist nun der innere Verstand des Gesetzes dem Menschen geoffenbart. Wenn er früher den wilden Zorn zu entschuldigen wusste, so erschreckt ihn jetzt das Wort: „Wer seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichtes schuldig!“ wenn er früher Begierde, Blick, Tat der Wollust ohne Scheu stark werden ließ, so brennt ihm jetzt das: „Wer ein Weib ansieht, ihrer zu begehren, der hat schon mit ihr die Ehe gebrochen in seinem Herzen“ auf der Seele; und wenn er früher auf seine Werke und Tugenden stolz war, so kann er jetzt auch in diesen nichts als Unreinheit erkennen; ihn ängstigt das erste und letzte, das größte Gebot: Du sollst Gott den Herrn von ganzem Herzen lieben; denn das hat er noch nie getan, kann es nicht, Furcht überfällt ihn; denn in seinem Innersten, im Hauche seiner Seele, in allen seinen Wünschen, Gedanken, Taten sieht er sich befleckt und des Gerichtes schuldig Einmal sterben, danach das Gericht! und verflucht ist, wer nicht bleibt in allem dem, was geschrieben steht im Buche des Gesetzes! ruft ihm nun sein Gewissen unablässig zu. Er fürchtet sich nur vor dem Tode, über den er früher so sicher war, auf den er trotzte, denn nun sieht er, dieser ist der König der Schrecken und führt an den Entscheidungsort; er fürchtet sich vor den Menschen, denn sie sind seine Ankläger, oder sie spotten seiner, und das zu tragen, hat er keine Kraft. Er will beten, aber er kann es nicht, denn er fürchtet Gott, Gott ist zu heilig, zu fern und doch so nahe, zu erhaben, als dass der Sünder ihn mit seinem Gebete verunreinigen dürfte. Er fürchtet nun die Sünde, hasst sie, bekämpft sie, und doch übt-er sie wieder aus; er rafft sich von neuem auf, kämpft wieder, und siegt abermals nicht, sondern fällt tiefer. Er ermattet und doch ist er rastlos; er ist zerschlagen und doch noch lebendig, um unselig zu sein. Das ist der Mensch mit dem knechtischen Geist, in dem Furcht ist; das ist der Mensch unter dem Gesetze und doch an die Sünde verkauft. Ja zittert, aber doch verzagt nicht. Paulus war auch in diesem Zustande, und in ihm, in uns, in euch ruft endlich die geängstete Seele, der alle Freude, alle Hoffnung für diese Erde und für den Himmel dahin ist: „Ich elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?“

III.

Und da träufelt der Himmelstrost ins Herz: Danke Gott durch Jesum Christum, unsern Herrn! Das Gesetz ist der Zuchtmeister auf Jesum Christum, den Erlöser. Der Geist Der Furcht, Knechtschaft muss die stolze Seele demütigen, die sichere knicken, die sündige vor der Sünde erbeben machen, dass sie endlich Gnade, und nichts als Gnade bei Gott sucht, und diese ist ihm nun gegeben, zubereitet, angeboten im Sohne Gottes, der auf Erden kam, und für uns, als das reine Opfer, als das Lamm Gottes, das der Welt Sünde, auch unsere Sünde trägt, starb; in Jesu, der von keiner Sünde wusste und doch von Gott uns zur Sünde gemacht wurde, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit sind, die vor Gott gilt. Hier nun in Christo, im Heiland hat die Seele Ruhe denn er gibt den Heiligen Geist, den Tröster. Jene Angst hat ein Ende, wenn nicht plötzlich, so doch allmählich, sobald der Glaube an Jesum gewirkt worden in der Seele, so ist der heiße Schmerz über die Sünde nicht mehr so verzehrend, sondern wohltuender, die Angst vor dem Gerichte geht unter in der Zuversicht, dass, wer an Jesum glaubt, nicht ins Gericht komme, sondern das ewige Leben habe; im Seelenleiden hält er sich an Jesum, und bekennt: du bist mein Herr und mein Gott! Er weiß nun: mir sind meine Sünden vergeben um Jesu Leiden und Tod willen; er weiß nun: ich bin der Welt gekreuzigt mit Christo, ich lebe nun nicht mehr, sondern Christus lebt in mir. Du bist nun meine Gerechtigkeit! und wenn wieder Dunkelheit sich über ihn sammelt, betet er: Herr ich glaube, hilf' meinem Unglauben. Er fürchtet den Tod nicht mehr, denn er ist ihm ja Erlösung, und führt ihn durch Christum in die himmlischen Wohnungen, wo Friede und Freude wohnt; die Hoffnung auf das himmlische Erbe ist ihm ins Herz gelegt durch die Auferstehung Jesu; seine Trauer hat sich verwandelt in Freude; er ist getröstet, sein Hunger und Durst nach Gerechtigkeit ist befriedigt, er hat getrunken von dem Wasser, welches nicht mehr dürsten lässt, wenn man davon einmal getrunken hat. Er kämpft nun auch wider die Sünde, aber jetzt siegt er, denn die Liebe zu Jesus gibt ihm Kraft; der Herr selbst kämpft für ihn, in ihm, und heiligt ihn. Er ist frei durch den Sohn Gottes von der finstern Macht, von der Herrschaft der Welt über ihn. Der Geist der Knechtschaft ist verdrängt durch den der Kindschaft. Jetzt kann er beten, er hat durch Jesum, den Hohenpriester Zutritt zum himmlischen Vater, und allezeit ist dieser Zutritt ihm offen; er kann beten ohne Unterlass; er kann nun stammeln, beten: Abba, lieber Vater! Alles Anliegen kann er ihm aussprechen. Derselbige Geist gibt Zeugnis seinem Geiste, dass er Gottes Kind ist.

(Das folgende findet sich im Manuskript nur skizziert.)

Neue Begnadigung, neuer Sieg, neue Freiheit, neue Liebe, neue Glaubensstärkung, neuer Friede, Besiegelung der Kindschaft, neue Hoffnung, Heiligung.

Betet an! - Ich danke Gott durch Jesum Christum, unsern Herrn! Möchten wir alle jetzt, in der Todesstunde wenigstens, so sprechen, danken können!

Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch, und euer Geist ganz, samt der Seele und Leib, müsse behalten werden unsträflich auf die Zukunft unsers Herrn Jesu Christi! Amen.