Vinet, Alexandre - Die Toleranz des Evangeliums.

Luk. IX,50.
Wer nicht wider uns ist, der ist für uns.

Vor einigen Tagen, meine Brüder, entwickelten wir Euch den Sinn jener Worte des Herrn: Wer nicht mit mir ist, der ist wider mich. Damit zeigten wir Euch das Evangelium in seiner ganzen Intoleranz. Denn das Evangelium hat seine Intoleranz, obgleich es nicht mit den Verfolgern sympathisiert, und obgleich es die vollständigste religiöse Freiheit atmet; das Evangelium hat seine Intoleranz, weil es jeden als Feind ansteht, der nicht sein Freund ist. Wir bemühten uns, fühlen zu lassen, wie vernünftig diese Intoleranz ist, wie angemessen der Natur der Dinge und wie würdig Gottes. Heute, meine Brüder, versuchen wir, diese Worte, welche auch vom Herrn sind, zu entwickeln: Wer nicht wider uns ist, ist für uns. Nichts erscheint im ersten Augenblicke widersprechender, als diese beiden Aussprüche. Allein der Widerspruch ist nur ein scheinbarer, und diese Aussprüche, anstatt einer den andern auszuschließen, ergänzen sich gegenseitig, erklären sich ganz natürlich, und sind, genau genommen, nur zwei Ansichten einer und derselben Wahrheit. Wenn uns unser vorhergehender Text die Intoleranz des Evangeliums gezeigt hat, so zeigt uns der jetzige die Grenze dieser Intoleranz. Wenn uns der erstere hat erkennen lassen, was das Evangelium nicht duldet, so lehrt uns der letztere, was das Evangelium duldet. Wenn der eine die Intoleranz Gottes feststellt, so bekämpft und verwirft der andere die Intoleranz der Menschen. Diese beiden Worte, diese beiden Wahrheiten reichen sich die Hand, und stehen in einem so nahen Zusammenhang, dass wir, als wir vor einigen Tagen die eine betrachteten, uns gewissermaßen verpflichteten, heute die andere zu betrachten. Dies wollen wir tun, ohne uns jedoch zu verhehlen, dass, wenn der vorige Gegenstand zarter Natur war, es dieser hier noch mehr ist. Ihr werdet es Alle mehr oder weniger fühlen, meine Brüder, und eben dadurch verstehen, wie sehr wir, in einer solchen Materie, nötig haben, dass der heilige Geist, welcher unsere Absicht geläutert hat, unser Verständnis erleuchte und unsere Worte regiere. Bittet ihn darum für uns, meine Brüder, und bittet ihn für Euch Alle um einen aufmerksamen Geist, ein gelehriges Herz und dieses lebendige Verstehen der geistlichen Dinge, welches nur durch den Geist Gottes gegeben werden kann.

Während dass Jesus, begleitet von einigen von ihm gewählten Jüngern, in Judäa sein Amt der Barmherzigkeit ausübt, treibt ein Mensch in seinem Namen die Teufel aus. Die Jünger wollen ihn daran verhindern, weil er Jesus Christus nicht mit ihnen folgt. Aber der Herr bedeutet diesem voreiligen Eifer, indem er ihnen sagt: Wehret ihm nicht; denn wer nicht wider uns ist, der ist für uns.

Wer nicht wider uns ist, der ist für uns. Von dem Standpunkte des Textes, welchen wir neulich erklärt haben, würden diese Worte falsch sein; denn wir haben damals gesehen, dass, wenn man nicht der entschiedene Freund von Jesus Christus ist, man sein Feind ist. Allein übersehen wir nicht, von wem in den Worten die Rede ist, welche wir heute erklären; es ist von einem Menschen die Rede, welcher die Teufel im Namen Jesu austreibt; nur folgt er nicht Jesus Christus mit den Jüngern.

Nun, ein solcher Mensch, wenn schon er nicht zu dem Gefolge von Jesus Christus gehörte, war nicht gegen Jesus Christus; er war für Jesus Christus, eben so sehr und vielleicht mehr, wie die Jünger selbst. Was, in der Tat, bedurfte es, um für Jesus Christus zu sein? Seinen Namen bekennen und sein Werk tun, und diese beiden Bedingungen vereinigten sich in dem Menschen, um den es sich handelt.

Er bekannte den Namen Jesu Christi; denn, lehrt uns das Evangelium, es geschah im Namen Jesu, dass er die Teufel austrieb. Also Jesus war für ihn, was er für alle Christen ist, der, welcher gesandt worden ist, um das Reich des Teufels zu zerstören, der, vor dem die Mächte der Finsternis und das Reich der Bosheit weichen und stürzen sollen, der, dessen gläubig angerufener Name allein ein undurchdringlicher Schild gegen die glühenden Pfeile des Bösen ist; was sollen wir mehr sagen? er war für ihn der Erlöser, weil er uns von unserm grausamsten, unserm einzigen wahren Feinde erlöst.

Dieser Mensch bekannte nicht bloß den anbetungswürdigen Namen Jesu, sondern er tat sein Werk, er trieb die Teufel aus. Er kämpfte unter dem Banner und für die Sache Jesu. Er beförderte, nach seiner Kraft, den Triumph seines Herrn. Er machte aus den Feinden Jesu seine Feinde, und aus dem großen Werte Jesu seine Angelegenheit. Die Jünger Jesu Christi, die, welche ihn auf seinen Wanderungen begleiteten, was taten sie mehr? In demselben Kapitel, aus welchem unser Text gezogen ist, lesen wir (V. 38-41): „Und siehe, ein Mann unter dem Volk rief und sprach: Meister, ich bitte dich, besiehe doch meinen Sohn, denn er ist mein einziger Sohn. Siehe, der Geist ergreift ihn, so schreit er als: bald, und reißt ihn, dass er schäumet, und mit Not weichet er von ihm, wenn er ihn gerissen hat; und ich habe deine Jünger gebeten, dass sie ihn austreiben und sie konnten nicht. Da antwortete Jesus und sprach: O, du ungläubige und verkehrte Art, wie lange soll ich bei euch sein und euch dulden?“

An wen, meine Brüder, sind nach Eurer Meinung diese niederdrückenden Worte gerichtet: Du ungläubige und verkehrte Art? an wen anders, als an die Jünger? mit wem anders ist Jesus Christus müde, zusammen zu sein, als mit den Jüngern? Und diese nämlichen Jünger, welche des nötigen Glaubens entbehren, um das Werk ihres Herrn zu tun, sind es, die sich dem Tun jenes unbekannten Menschen widersetzen! Und warum? weil er Jesus nicht mit ihnen folgt.

Das ist, in der Tat, der ganze Unterschied, welcher zwischen diesem Menschen und den Jüngern hervortritt; doch man muss zugestehen, dass er auf den ersten Blick schlagend erscheint. Wie kann man für Jesus Christus sein und ihm nicht folgen? Allein ohne, auf unbegründete Voraussetzungen hin, die Ursachen aufzusuchen, welche diesen Menschen zurückhielten und ihn nötigten, Jesus, fern von Jesus, zu dienen, bemerken wir, meine Brüder, dass zu jener Zeit unser Herr nur von denen umgeben war, welche er ausdrücklich berufen hatte, indem er sie vermöge seiner Autorität ihren Arbeiten und ihren Familien entriss, um sie zu einem ruhmwürdigen Apostelamte vorzubereiten. So hatte er Petrus befohlen, seine Netze zu lassen und ihm zu folgen, Matthäus seinen Zoll zu verlassen und ihm zu folgen; allein, ohne Zweifel, war eine solche Aufforderung nicht an diesen Menschen gerichtet worden. Erst später (Matth. X.) wurden siebzig Jünger den zwölf Aposteln zugesellt, und wer weiß, ob in dieser Zahl jener Anbeter des Namens Jesu nicht eine der ersten Stellen einnahm?

Aber alles dies hat nicht die Wichtigkeit der Betrachtung, welche wir jetzt anstellen. Was heißt es, Jesus Christus folgen? Nach den noch wenig erleuchteten Aposteln, heißt es, die Person des Heilandes an allen Orten begleiten; und so war es ja, wie sie selbst ihm folgten. Allein diese Anschauung ist unvollkommen und fleischlich, und wir berufen uns hierbei auf die Apostel selbst. Einer von ihnen, hierin das Organ der Ansicht Aller, hat es klar ausgedrückt, indem er sagt: „Ob wir auch Christum nach dem Fleisch gekannt haben, so kennen wir ihn doch jetzt (so) nicht mehr“ (2. Kor. V.16.) Und der Apostel hat es richtig bezeichnet; denn Jesus Christus kennen, heißt nicht, ihn in seinem Fleisch gesehen haben; Jesus Christus folgen, heißt nicht, seiner Person nachgehen; ihn kennen und ihm folgen heißt, in ihm Gott selbst im Fleisch geoffenbart entdecken; heißt, sich auf seine Verheißungen stützen; heißt, von seinem Geiste durchdrungen sein; und in diesem Sinn kann man ihm folgen, sei man auch durch tausend Meilen und tausend Jahre von ihm getrennt.

Lasst uns hiernach sehen, in welcher Weise ihm die Apostel in der Zeit, auf welche sich mein Text bezieht, folgten. Die Einbildungskraft findet Gefallen daran, sich jenes Gefolge von Freunden vorzustellen, welche den Herrn überall begleiten; es geschieht, weil sie dieselben so sieht, wie sie nachher, und nicht so, wie sie damals waren. Diese Männer, welche Jesus nicht um dessentwillen, was sie an sich selbst waren, gewählt hatte, sondern, man kann es wohl sagen, um dessentwillen, was sie nicht waren, damit seine Macht in ihnen desto deutlicher hervorträte, folgten sie Jesus Christus im wahren Sinne? Folgten sie ihm, wenn sie unter einander stritten, welcher der Größte wäre? (Marc. IX,33.34.) Folgten sie ihn, wenn sie ihn baten, Feuer vom Himmel auf eine ungläubige Stadt fallen zu lassen? (Luk. IX,54.) Folgten sie ihm, wenn sie, im Zweifel, ob sie gut daran getan hätten, sich an ihn zu schließen, von ihm Entschädigungen und Bürgschaften für ein kaum angefangenes Opfer verlangten? (Marc. X,28.) Ach! wie oft war des Menschen Sohn allein, in der Mitte dieses Gefolges von Aposteln! Wie oft, der alleinige Vertraute seiner Absichten, der alleinige Zuhörer seiner göttlichen Gedanken, suchte er vergeblich in seiner Umgebung eine Seele, die ihn verstände, ein Herz, das ihn liebte, wie er geliebt sein wollte! In diesem Sinne war er in einer tiefen Einsamkeit; sie war eine der schmerzlichsten Prüfungen seines Lebens, wie sie die bitterste Galle seines Todes sein musste. Was maßten sich also die Jünger an, wenn sie sagten: dieser Mensch folgt dir nicht mit uns? Welchen Unterschied begründete dieser Umstand zu ihren Gunsten? und wie konnten sie wissen, ob dieser Unbekannte Jesus Christus nicht besser folgte, als sie selbst ihm folgten?

O! hier, wie in Allem, zeigt sich die Intoleranz recht als treue Gefährtin der Schwachheit, und die Toleranz als Erbteil der Größe! Jesus Christus ist das toleranteste aller Wesen, weil er das Heiligste derselben ist. Alles, was sich an seine Person, in so weit sie menschlich ist, richtet, berührt ihn nicht, verletzt ihn nicht; er ist nur intolerant in Bezug auf die Sache der Wahrheit und die Sache Gottes. Was liegt ihm daran, dass dieser Mensch ihm mit den Zwölfen

Er treibt die Teufel aus, er treibt die Teufel im Namen des Sohnes Gottes aus; das ist genug; er ist für ihn.

Seht dagegen die, zur Zeit noch so glaubensschwachen, Apostel! Ihre Gesinnung ist das Gegenteil von der des Herrn. Was sie verletzt, ist nicht das, was der Sache Gottes schadet, es ist das, was die Person ihres Herrn, insoweit sie menschlich ist, beleidigt; was sage ich? die Person des Herrn?! sagen wir vielmehr die ihrige. Welches ist in der Tat ihre Beschwerde? er folgt nicht mit uns; er gehört nicht zu uns. Es ist wahr, er bekennt den Namen Jesu; es ist wahr, er treibt die Teufel aus; aber er folgt Jesus nicht mit uns; das ist genug; er ist gegen Jesus. Ihr habt die Toleranz Gottes gesehen; hier seht Ihr die Intoleranz des Menschen.

Es kommt jetzt darauf an, zu wissen, meine Brüder, ob sich das Wort Jesu Christi nur auf den besonderen Fall bezieht, in welchem es ausgesprochen wurde, und ob es feine Anwendung auf unsere Zeiten, auf die jetzige Welt findet. Gibt es in unseren Zeiten Personen, welche verhindern wollen, dass man die Teufel im Namen Jesu austreibe, weil man ihm nicht mit ihnen folgt? Meine Brüder, wenn wir einige, durch die Verschiedenheit der Zeiten hervorgebrachte, Verschiedenheiten zulassen, wenn wir einigen Ausdrücken des Herrn einen allgemeinern Sinn geben, begegnen wir in unseren Tagen derselben Art von Intoleranz, welche die Rüge unsers Herrn verdiente, und finden wir eine unmittelbare und tägliche Anwendung für die Worte des göttlichen Meisters wieder.

Einen Menschen verhindern, die Teufel im Namen Jesu auszutreiben, das ist etwas, was wir nicht immer tun können; aber ihn zurückstoßen, ihn ausschließen, ihn verdammen, das können wir. Die Teufel austreiben, wie sie dieser Mensch austrieb, das ist etwas, was in unseren Tagen vielleicht nicht mehr stattfindet; aber sich der Macht des Teufels widersetzen, indem man seine unheilvollen Eingebungen zurückstößt, indem man die Fallstricke vermeidet, welche er unserer Seele stellt, indem wir aus unseren Herzen und aus denen anderer die Keime des Lasters und des Irrtums, welche er darin niedergelegt, ausrotten, das ist in unseren Tagen so gut möglich, wie zur Zeit der Apostel, und das ist etwas, was wir, Gott sei Dank, häufig sehen. Endlich, einen Menschen verdammen, verwerfen, ausschließen, welcher, wenn er auch Jesus nicht mit uns folgt, doch im Namen Jesu die Werke tut, welche wir so eben bezeichnet haben, das ist etwas, was man noch jetzt, was man alle Tage steht; und dies gibt Gelegenheit zu einer fortwährenden Anwendung der Worte, voller Milde, des Heilandes: Wehret ihm nicht; denn wer nicht wider uns ist, der ist für uns.

Jesus ist von der Erde verschwunden, man kann seiner Person nicht mehr folgen; aber in dem geistigen Sinne, welchen wir erklärt haben, ist man leicht geneigt zu glauben, dass man ihm besser folge, als andere ihm folgen; manche Kirche manche Gemeinde schmeichelt sich, ihm näher zu sein, als andere; manche Kirche, manche Gemeinde glaubt, dass man, um Jesus Christus zu folgen, mit ihr sein, ihrem Körper angehören, sich der Gesellschaft, welche sie bildet, anschließen, ihre Interessen zu den seinigen machen, ihr Banner aufpflanzen müsse; manche Kirche, manche Gemeinde scheint noch jetzt, wie zur Zeit des Jesaias, diese Worte, voller Anmaßung und Bitterkeit, auszusprechen: Bleibe Daheim und rühre mich nicht an, denn ich bin dir zu heilig; und wie im Großen, so im Kleinen, sieht man jenen Satz zur Ausführung bringen, der uns so sehr in den Lehren einer Konfession empört, von welcher wir uns getrennt haben: Außerhalb unserer Kirche keine Seligkeit.

Und doch, meine Brüder, ist es zunächst gewiss, dass seine Kirche sich schmeicheln kann, frei von Mängeln und Unvollkommenheiten zu sein; keine Kirche kann sich allen andern als vollendetes Muster hinstellen; keine Kirche kann folglich behaupten, dass außerhalb ihres Schoßes es nicht möglich sei, Jesus Christus anzugehören. Sie muss also notwendiger Weise, um die zu beurteilen, welche nicht einen Teil ihres Körpers bilden, zu einer ganz andern Probe ihre Zuflucht nehmen, als zu der materiellen Probe, ihre Register aufzuschlagen, und zu sehen, ob sich ein solcher Name darin vorfindet oder nicht.

Wäre sie auch vollkommen, und wäre es ihr erlaubt, dies zu glauben, so würde sie deshalb doch noch nicht im Recht sein, diejenigen zu verdammen, welche ihr nicht angehören. Und warum dieses, meine Brüder? Weil die Vollkommenheit in der Lehre und in der Moral nicht wohl allen zu Teil werden kann; weil einige besondere Irrtümer, einige Unvollkommenheiten im Einzelnen nicht verhindern können, dass ein Mensch nicht im Wesentlichen doch auf dem rechten Wege sei; weil in allem ein Fortschreiten stattfindet, welches so notwendig erscheint, dass sich ihm nicht leicht Jemand zu entziehen vermag; weil man, im Allgemeinen, nicht mit einem Male zu dem theoretisch und praktisch Besten gelangen kann, und weil alles, was der Mensch vernünftiger Weise vom Menschen verlangen kann, darin besteht, dass er der Straße folge, welche zu diesem Besten führt.

Was ich so eben gesagt habe, ist nicht angetan, die Lässigen zu erfreuen, noch die Strengen zu beunruhigen. Denn zunächst ist es gewiss, dass das Evangelium nichts Geringeres von allen seinen Jüngern verlangt, als die Vollkommenheit, im Glauben sowohl, wie in den Sitten; und, zweitens, hat es so scharf die Grenze gezogen, über welche hinaus es nur Irrtum und Verdammung gibt, dass es unmöglich ist, sich darüber die leiseste Illusion zu machen. Was für ein Mensch ist es, der dem Heiland nicht mit seinen Aposteln folgt, und der dennoch, nach der Erklärung von Jesus selbst, für Jesus ist? Es ist ein Mensch, welcher die Teufel im Namen Jesu austrieb.

Ich sage also zu jeder intoleranten Gemeinde: Ihr verdammt diesen Menschen, weil er nicht Jesus Christus mit Euch folgt; aber ist es denn nötig, mit Euch zu sein, um den Namen Jesu zu bekennen? und dies ist es augenscheinlich, was der Mensch tut, den Ihr verdammt. Ich gebe zu, dass er nicht so gut wie Ihr das System der Religion ergründet hat; dass er die verschiedenen Teile desselben nicht so genau verbindet; dass er nicht so gut wie Ihr die Schrift inne hat; die Gaben des heiligen Geistes sind ihm mit Maß zugeteilt worden, und, wie es scheint, nach seinen Bedürfnissen; allein er bekennt den Namen Jesu; das Gefühl seines Elendes hat ihn zu Christus geführt; er hat sich in die Arme dieses Retters geworfen, er hat ihn geliebt mit aller Liebe, deren sein Herz fähig ist; bei ihm sucht er eine Zuflucht gegen den zukünftigen Zorn, einen Trost in seinen Leiden, eine Hilfe in seiner Not; durch ihn ruft er den himmlischen Vater an; und diesen Namen Jesu, den er gerne in der Stille des Kämmerleins anruft, er gefällt sich auch, ihn vor den Menschen zu ehren, als den einzigen Namen, durch welchen er selig werden kann. Was braucht er mehr? Wie! sich mit Euch vereinigen? Wie! Euren Namen neben dem des göttlichen Erlösers bekennen? Wie! Eure Banner an der Seite des von Jesus Christus aufpflanzen? Aber wer hat Euch das gesagt, ich bitte Euch? Von wem anders habt Ihr es, als von Euch selbst? Ich denke, alles, was Ihr verlangen könnt (mein Text lehrt es Euch), ist, dass er nicht gegen Euch sei, dass er Euch nicht verwerfe und nicht verdamme. Was sage ich? erklärte er sich selbst aus Vorurteil oder aus Irrtum gegen Euch, so würde er nur tun, was Ihr ihm gegenüber tut. Wenn er es nicht tun soll, warum tut Ihr es selbst? und wenn Ihr es tun könnt, warum sollte er es nicht tun? Das Unrecht ist gegenseitig; und, er und Ihr, ihr müsst in die Grenzen der Billigkeit zurücktreten.

Indessen, ich gestehe es, den Namen Jesu bekennen und anrufen ist noch nicht Alles. Nicht Alle, welche zu ihm Herr, Herr sagen, werden in das Himmelreich kommen. Man muss außerdem im Namen Jesu die Teufel austreiben, d. h. man muss sich heiligen. Und das gerade ist es, was, unter der gnädigen Einwirkung des heiligen Geistes, jener Mensch tut, den Ihr verdammt. Ich will glauben, dass er noch weit zurück ist, allein er geht vorwärts; ich will glauben, dass Ihr ihm um Vieles vor seid, allein er folgt Euch; ich will glauben, dass Ihr Mittel der Erbauung gefunden habt, die er nicht kennt; ich gestehe zu, dass, wenn er aufgeklärter wäre, er die Hilfsquellen benutzen würde, die Ihr gefunden habt, und dass er sich Euch anschließen würde. Nichts desto weniger hat er verstanden (und sein Leben beweist es), dass, wer da sagt, dass er von Christus ist, leben muss, wie Christus gelebt hat; dass das Opfer des alten Menschen und seiner Begierden die einzige Huldigung bildet, welche würdig ist, dem Herrn dargebracht zu werden; dass man in seinem Namen alle jene Teufel des Stolzes, der Sinnlichkeit, des Egoismus, der eigenen Gerechtigkeit austreiben muss, welche eifrig bemüht sind, das Herz des Menschen zu verwüsten; dass man gegen sie ankämpfen muss durch Wachen und durch Beten, und dass, so wir nicht mit Christus von Neuem geboren werden, wir nicht das Himmelreich sehen können. Ich sage es Euch: Gott allein kann mehr verlangen; und nichts desto weniger glaube ich, dass er einen Blick des Wohlwollens und des Friedens auf diesen Knecht herabwirft, der über Wenigem getreu gewesen ist, genug, der aber getreu gewesen ist. Steht es Euch zu, ihn zu verdammen?

Wie oft habe ich nicht gesehen, dass man einem Menschen, der die Last des Tages trug und unter dem Kreuze seines Erlösers sich beugte, kaum den Namen eines Christen zugestand! Im Kampf mit alten, so schwer zu entwurzelnden, Schwachheiten, gekrümmt unter den Gewohnheiten eines langen Lebens, bewahrte er noch den Abdruck seiner Fesseln, und verrieten eingewurzelte Sitten und Gebräuche den alten Menschen in ihm. Doch bei alledem hatte er den Ruf der Gnade vernommen, und wanderte, nach dem Maße der ihm verliehenen Kraft, außerhalb dieses Tales des Todesschatten auf beschwerlichem Pfad, unter Tränen und im Schweiße seines Angesichts. Er bekannte Christus mit Aufrichtigkeit; aber, in dem Gefühle eines kaum geheilten Elends, zählte er sich nur mit Zaghaftigkeit zu den Schafen, welche Jesus kennt, welche Jesus liebt, und welche sein Hirtenstab zu den Weiden des Lebens führt. Und ich habe Menschen gesehen, welche, aus dem geringen Zusammenhange seiner Reden, aus den ihm noch anflehenden alten Gewohnheiten, aus der Schwäche seines Charakters, das Recht zu entnehmen meinten, ihm einen Namen zu verweigern, den sie sich selbst zugestehen, und ihm seinen Anteil an ihren gemeinschaftlichen Hoffnungen streitig zu machen! Und diese Menschen nannten sich Christen! Und sie waren es in der Tat; allein auch ein Rest des alten Menschen überredete sie, dass man, um Jesus zu folgen, ihm mit ihnen folgen, ihren Umgang aufsuchen, ihre Unterhaltungen genießen, ihre Andachtsübungen annehmen müsste. Und ich habe mich getröstet, indem ich mich erinnerte, dass sie früher noch ausschließender waren, dass das Christentum schon zum Teil ihre angeborene Intoleranz gezähmt hatte, und indem ich daran dachte, dass, in dem Maße, als sie die Gabe Gottes besser gekostet haben würden, sie sich auch mehr und mehr die Gefühle der Liebe, der Barmherzigkeit und der Sanftmut aneignen würden, welche die Auserwählten Gottes, seine Heiligen und seine Geliebten haben sollen; denn die Toleranz, ich habe es schon gesagt, richtet sich immer nach dem Grade der Heiligkeit.

Ach! wenn wir in unseren Tagen uns nur über die Intoleranz der Christen zu beklagen hätten, so würden wir ruhig sein. Der Glaube, welcher die Veranlassung dazu ist, ist auch das Mittel dagegen. Aber wenn es eine zu fürchtende Intoleranz gibt, so ist es die des Unglaubens oder des toten Glaubens. Wir haben mit Schmerzen christliche Gemeinden Menschen verdammen sehen, obgleich diese die Teufel im Namen Jesu austrieben; wir werden die Ungläubigen und die Form-Christen andere verdammen sehen, gerade weil sie die Teufel im Namen Jesu austreiben. Tolerant gegen Sie Gleichgültigkeit und die Lauheit, sparen sie ihre Intoleranz für den Eifer und den lebendigen Glauben auf. Und, bemerkenswerte Sache, es geschieht nicht, weil sie den Schatz der Wahrheit und die echte Richtschnur des Lebens zu besitzen glauben, sondern gerade im Gegenteil, weil sie fühlen, dass sie sie nicht besitzen, und weil sie nicht leiden können, dass andere im Besitz eines Gutes sind, welches sie selbst entbehren. Und sie verdammen nicht bloß durch ihre Worte, nein, sie verhindern, wenn sie es können, sie untersagen, sie verfolgen. Und sie verkennen und treten mit Füßen nicht bloß den Buchstaben und den Geist des Evangeliums, sondern auch die geheiligtesten Rechte des Menschengeschlechts. Und die ungeheuren Fortschritte der Aufklärung sind nicht zureichend, um diese Ausbrüche zurückzuhalten, und die öffentliche Meinung ist kaum darüber empört.

Meine Brüder, meine geliebten Brüder, betet mit mir für den Frieden Jerusalems; betet, dass die Finsternis sich nicht länger dem Reich des Lichtes widersetze; betet, dass die Gewissen keinen andern Anstoß bekommen, als den des heiligen Geistes; betet besonders, dass das Christentum, indem es sich in allen Seelen, die es empfangen haben, läutert, aller Orten das Beispiel jener göttlichen Toleranz gebe, welche in der Person unsers anbetungswürdigen Stifters erglänzte; betet, dass alle Christen mehr und mehr des Banners würdig werden, unter welches sie sich gestellt haben, und dessen Wahlspruch ist: Liebe. Und du, Ewiger, Vater unsers Herrn Jesu Christi, du, der du bekleidet bist mit allen Vollkommenheiten, und dessen Augen zu rein sind, um das Böse zu sehen, und der du dennoch voller Duldung und Langmut bist, flöße deine Nachricht denen ein, welche selbst ihrer so sehr bedürfen; lehre die Duldung denen, welche du duldest; gib und die Gesinnungen Jesu Christi, der, zufrieden mit einer reinen Absicht und einem guten Willen, das ruhig abwartete, was er hätte gleich verlangen können. Lehre uns, wie er, auf das Herz sehen, auf das Wesentliche und nicht auf eitle Nebenumstände. Erweitere unser Herz, entferne die Vorurteile und den Stolz daraus, welche den Eingang desselben verengen, und mache, dass alle die, welche du uns als Brüder gegeben hast, in demselben eine Stelle und eine Zuflucht finden.