Psalm LI,12.
„Schaffe in mir, Gott, ein reines Herz, und gib mir einen neuen gewissen Geist.“
Man wundert sich zuweilen darüber, dass die christliche Moral ihr besonderes Wörterbuch hat; man fragt, ob nicht jeder der Begriffe, welche sie durch neue Ausdrücke bezeichnet hat, schon in der gewöhnlichen Sprache seinen Namen führte; man fragt, ob es im Grunde zwei Arten von Moral, ob es zwei menschliche Naturen gibt, und ob das Evangelium etwas anderes hat tun können, als alle die Vorstellungen zu weihen, zu läutern und zu vollenden, welche ohne Frage in dem Gewissen der Menschen vorhanden sein mussten, da sie in allen Sprachen denselben Namen erhalten hatten.
Diejenigen, welche diesen Einwurf machen, könnten noch hinzufügen, dass die ersten Prediger der christlichen Moral, die Verfasser der heiligen Schrift, sich nicht neuer Worte bedient, dass sie die Ausdrücke der allgemeinen Moral angenommen haben, und dass erst später, und bei der Übersetzung ihrer Schriften, jene besonderen Ausdrücke, jene Sprache für sich erscheint, deren Notwendigkeit von Vielen nicht zugestanden wird.
Allein diese Behauptung hat nur Kraft gegen diejenigen, welche sie aufstellen: sie lässt gerade die Notwendigkeit mehr hervortreten, welche sie bestreitet. Es ist wahr, dass die Apostel, um verstanden zu werden, die gebräuchlichen Ausdrücke annehmen mussten, sie konnten nicht einmal den Gedanken haben, andere anzuwenden; indem sie sich, im Interesse des Evangeliums, auf die von den Menschen zugestandenen Wahrheiten beriefen, mussten sie natürlich jene Wahrheiten mit ihren gewöhnlichen Namen bezeichnen, sonst würden dieselben nicht erkannt worden sein, man würde sich nicht gegenseitig verständigt haben, und der Zweck jener heiligen Männer wäre verfehlt worden. Also die Wörter: Fehltritt, Reue, Mitleid, Liebe (amour) finden sich in ihren Schriften, wie in denen der profanen Schriftsteller vor, und zwar, dem Anschein nach, in demselben Sinn. Allein wer mit Hilfe jener Wörter selbst in das Innere der Lehre des Evangeliums eindrang, erkannte bald unter diesen gewöhnlichen Ausdrücken Begriffe, welche es nicht waren; er sah, wie diese verschiedenen Begriffe in dem Christentum neue Farben annahmen, einen ganz anderen Geschmack bekamen; er fühlte, dass er ihnen nicht mehr denselben Wert beilegen konnte, welchen ihnen die beilegten, die sie außerhalb des christlichen Standpunktes gebrauchten. Das Bedürfnis, diese Vorstellungen mit unterscheidenden Ausdrücken zu bezeichnen, machte sich fühlbar, oder vielmehr die Wörter, mit denen man sie in den verschiedenen Sprachen der christlichen Nationen bezeichnete, wurden christliche Wörter, sonderten sich nach und nach und für immer von der gewöhnlichen Sprachweise ab, und bildeten die Elemente jener religiösen Sprache, welche, anstatt eine besondere und, so zu sagen, technische Sprache zu sein, die Sprache des gewöhnlichen Gebrauchs und der Unterhaltung sein würde, wenn die evangelischen Prinzipien ganz allgemein angenommen wären. Die Wörter: Sünde, Buße, Barmherzigkeit und christliche liebe (charité), welche der Kanzel und frommen Unterhaltungen vorbehalten sind, sollten allen Lippen so geläufig sein, wie jene: Fehltritt, Reue, Mitleid und Liebe, oder, besser gesagt, die letzteren sollten, in dem Geist eines Jeden, denselben Wert als die ersteren haben, und dieselben Begriffe mit sich führen. Es gibt nur zwei Sprachen in Bezug auf diese Gegenstände, weil es zwei Arten von Moral gibt; es gibt nur zwei Arten von Moral, weil es zwei verschiedene Welten gibt.1)
Wenn man die sich in jenen beiden Sprachen gegenseitig entsprechenden Ausdrücke, einen nach dem anderen, mit einander vergleicht, wenn man an dem Gewicht, das ihnen der Gebrauch beilegt, die Vorstellung abwägt, welche man in jeder dieser Sprachen damit verbindet, dann erst kann man sich einen Begriff von dem Unterschied machen, welcher, in Bezug auf die Prinzipien und die Substanz selbst, zwischen der Moral der Welt und der Moral von Jesus Christus besteht. Es ist unmöglich, hier nicht mehr zu sehen, wie ein prunkvolles Wortregister, wie eine konventionelle Ausdrucksweise, wie ein bloßes Erkennungszeichen für die Eingeweihten. Die Grundbegriffe weichen eben so sehr und mehr wie die Wörter voneinander ab, und wenn zwischen zwei entsprechenden Ausdrücken eine allgemeine Vorstellung gemeinschaftlich fortbesteht, so findet zwischen den beiden, durch die beiden Wörter ausgedrückten Begriffen derselbe Unterschied statt, welcher zwischen dem Keim und der Pflanze, zwischen dem Embryo und dem erwachsenen Menschen, zwischen dem Fragment und dem Meisterwerk, zwischen einem Chaos und einer Welt stattfindet.
Diese Wahrheit wird, glaube ich, noch mehr durch den Vergleich in die Augen springen, welchen ich heute zwischen den beiden Wörtern, oder vielmehr zwischen den beiden Zuständen, der Reue und der Buße, anzustellen versuche.
Die Reue (erlaubt uns noch diese sprachliche Bemerkung: ist nicht die Ausdrucksweise des Menschen die naive Offenbarung seines Gedankens und seiner Natur?), die Reue ist das Insichgehen der Seele, um sich für einen begangenen Fehler zu bestrafen; es ist eine Strafe, eine Züchtigung, welche sie sich innerlich auferlegt; es ist der natürliche Rückstoß, die Rückwirkung der Sünde in einem Gewissen, welches das Gefühl seiner Pflichten und seiner Bestimmung bewahrt hat. Die Reue ist also eine verspätete, dem Sittengesetz dargebrachte, Huldigung, die Huldigung des Bedauerns; eine Huldigung, ach! welche wir so oft an die Stelle eines reelleren und unmittelbareren Kultus setzen; eine Huldigung, auf die wir, uns zu schmücken, beschränkt sind, wie man sich mit einem Trauerflor bei der Leichenfeier eines Freundes schmückt; doch welcher Unterschied! Der Freund, welchen wir durch diese Trauer der Seele ehren, wir sind es, die ihm sein Grab gegraben haben; diese verletzte Pflicht, wir sind es, die sie verletzt; dieses unterlassene gute Wert, wir sind es, die es unterlassen; diese gebrochene Treue, wir sind es, die sie gebrochen haben. Traurige Bestimmung unserer gefallenen Natur, die immer nötig hat, sich durch Tränen rein zu waschen, die sich durch den Schmerz selbst tröstet, und ihre ursprüngliche Schönheit nur wieder herstellt, indem sie über ihre gegenwärtige Hässlichkeit seufzt und wehklagt! Allein was sollte man, auf der anderen Seite, von einer Seele denken, die nicht mehr zu bereuen wüsste? Wie wäre ein solcher Schmerz ohne Schönheit? Gibt es nicht fälle, wo die Reue den schönen Handlungen gleichsteht und ihnen selbst den Preis streitig macht, wo die Reue ein großes Werk ist? Haben nicht, gerade gestützt auf die Reue, kräftige Seelen sich am höchsten emporgeschwungen? Ist nicht die Reue, in dem jetzigen Zustande unserer Natur, oft unser reinster moralischer Akt und unser wirksamstes Beispiel? Muss man sich nicht Glück wünschen und Gott segnen, wenn, in der durch die Sünde zusammengebrückten Seele, jene Federkraft sich kräftig kundgibt und eine verhasste Last von sich stößt? Und worüber freuen sich die Engel, wenn nicht über ein Ereignis, welches den alleredelsten Schmerz zur Ursache hat?
Die Menschheit, besorgt für die Überreste ihres Ruhmes, hat sich wohl gehütet, die unleugbarste, ach! und die unverdächtigste ihrer Tugenden zu verwerfen oder gering zu schätzen. Man ist so weit gegangen, zu sagen: „Gott machte aus der Reue die Jugend der Sterblichen;“ ein ohne Zweifel ungenauer Ausdruck, wenn man darin etwas Anderes sehen will, als das traurige Geständnis unserer Armut, welche uns zwingt, mit unserer täglichen Reue unsere stündlich begangenen Sünden auszugleichen. Allein, in der Tat, nehmt die Reue dem menschlichen Leben, wie verheert und gebrandmarkt wird es nicht sein, vorausgesetzt, dass überhaupt noch der geringste Platz für die Tugend in einer Seele bleiben könnte, in welcher die Reue keinen Platz mehr fände!
Uns die Reue entziehen, das heißt nicht bloß uns berauben, sondern alle diejenigen, welche wir beleidigt haben; ist unsere Reue nicht ihr Gut, ihr teuer erworbenes Gut, und oft die einzige Entschädigung, welche wir ihnen bieten können? Durch die Reue allein finden sie uns so wieder, wie wir immer für sie hätten bleiben sollen; durch die Reue allein finden wir uns selbst als gut, billig, mitfühlend, zart wieder, nachdem wir vorher das Gegenteil von alle dem gewesen; durch die Reue allein erscheint unser moralischer Sinn in seiner Geradheit wieder, so dass, wenn unser ganzes Leben den Charakter jener Augenblick einer bitteren Sanftmut annähme, wenn wir vor einer jeden Prüfung dieselben Gesinnungen hätten, welche wir in uns finden, nachdem wir sie überstanden, unser Leben eben so sanft für unsere Umgebungen sein würde, als es ihnen jetzt peinlich ist. Gesegnet seien daher jene traurigen Stunden, wo wir ihnen in Reueschmerzen wiedererstatten, was sie von uns in guten Diensten und in guter Behandlung hätten erhalten sollen! Wohl uns, dass wir diese Rückkehr der, wenn auch unwirksamen, Liebe in uns fühlen! Wohl ihnen. dass sie sich verpflichtet fühlen, diejenigen zu lieben, welche eine bittere Erinnerung ihnen vielleicht zu hassen riet!
Jedoch, nachdem wir dieser herrlichen Regung der Seele alle die Gerechtigkeit haben wiederfahren lassen, welche sie verdient, müssen wir das hervorheben, was ihr mangelt, damit sie dem ganzen Umfang der Bedürfnisse der menschlichen Seele entspreche.
Fragen wir zunächst, ob es nicht der Reue, wenigstens der menschlichen Natur, zur Last fällt, dass die wahre Reue viel seltener ist, als man denkt. Ihr Name wird oft auf moralische Zustände, auf Eindrücke angewendet, welche wesentlich von ihr verschieden sind. Wie oft nennt man nicht Reue, was nur Scham oder Ärger des Stolzes ist! Dieses Versehen ist zu leicht möglich. Es ist dem Menschen aus zwei Gründen an der Erfüllung des Gesetzes der Moral gelegen; einmal und zunächst, weil es sein Gewissen fordert, zweitens aber, weil es die Achtung für seine eigene Würde erheischt. Haben wir das Gesetz der Moral einmal anerkannt, so machen wir es zu einem Teil von uns selbst und achten es in dieser Gestalt. Wir setzen unsere Kraft daran, und unsere Ehre darein, es pünktlich zu erfüllen. Wir freuen uns aus Eigenliebe über eine Befolgung, welche Zeugnis von unserer Kraft gibt; wir ärgern uns aus Stolz über eine Nichtbefolgung, welche uns unsere Schwachheit offenbart. Unsere Abbitte gilt dann weniger dem Gesetz, als uns selbst, allein dieser Unterschied entgeht uns; er verliert sich in einem unbestimmten Gefühl von Missvergnügen und Beschämung, welches wir, ohne es näher zu prüfen, Reue nennen. Wenn wir die Sache schärfer ins Auge fassten, so würden wir sehen, durch welchen leichten Übergang die Reue des natürlichen Menschen Gefahr läuft, in der Scham aufzugehen. Die wahre Reue setzt Achtung, Anhänglichkeit gegen das Gesetz voraus; doch das Gesetz, insofern es einzig und allein als Gesetz angenommen ist, zeigt sich nicht immer in der anziehendsten Gestalt; es kann uns, von weitem und in seiner Allgemeinheit gesehen, wohl ein Gefühl einflößen, das der Liebe gleicht; allein in seinen alltäglichen Vorschriften verhält es sich nicht so damit, und seine unaufhörlichen Mahnungen, die Ansprüche, welche es, als abstrakte und unsichtbare Sache, gegen die sichtbaren und gegenwärtigen Gegenstände unserer Leidenschaften erhebt, sind ganz geeignet, es uns verhasst zu machen. Und da es deshalb nicht aufhört, das Gesetz, das heißt, die Notwendigkeit zu sein, so sucht unsere Seele, welche es nicht liebt und es dennoch nicht verleugnen kann, gegen ihren eignen Widerwillen eine Zuflucht in dem Stolz; wir helfen uns mit einem Laster, um Tugenden zu üben; wir geben dem Gesetz eine andere Gestalt, und unter seinem Namen ist es die Ehre, welcher wir einen Kultus darbringen; die Ehre, worunter ich hier die Selbstachtung verstehe, freut sich unserer Siege, leidet um unserer Niederlage Willen; und dieses Leiden ist es, was wir Reue nennen.
Die Reue ist nicht einmal immer so würdig vertreten. Der bloße Missmut, welcher einer getäuschten Hoffnung folgt, schmückt sich zuweilen mit ihrem Namen. Man wagt, von bereuen zu reden, wo es sich um eine schlechte Berechnung handelt; man wagt, sich darüber Vorwürfe zu machen, dass man nicht glücklich gewesen ist. Es könnte so scheinen, als ob der Eigennutz auch sein Gewissen, und die Selbstsucht ihre Gewissensbisse hätte. Allein, um wahr zu sein, meine Brüder, muss man hinzufügen, dass, durch eine eigentümliche Wirkung unserer gegenwärtigen Natur, der Eigennutz oft das Gewissen mahnt, und das bloße Bedauern die Reue erweckt. Es ist dies gleichsam das unwillkürliche Geständnis einer ewigen Wahrheit, der nämlich, dass in dem Gedanken und in dem Willen Gottes das Glück unzertrennlich an die Tugend, das Unglück unzertrennlich an die Sünde gebunden ist. Ein Instinkt, den nichts zum Schweigen bringen kann, hat dem Menschen diesen Beschluss der ewigen Gerechtigkeit offenbart; sein einziger, oft glücklicher, Irrtum besteht darin, dass er sich die Vollziehung desselben schneller denkt, wie es sein kann. „Weil das Urteil über die bösen Werke nicht sogleich vollstreckt wird, so ist das Herz des Menschen, sagt die Schrift, von Lust erfüllt, das Böse zu tun;“ allein wenn andererseits eine schlechte Absicht zu einem schlechten Ausgang führt, so erkennt der Mensch, aus seinem Taumel des Glücks und der Hoffnung plötzlich erwachend, augenblicklich jene Gerechtigkeit, jenes höchste Gesetz, an welches er, bei einem glücklichen Ausgang, sich zu denken gehütet hätte; das Gewissen macht sich durch das Organ des Schicksals verständlich; das Schicksal wird, so zu sagen, unser Gewissen; wenn das Schicksal uns verrät, fühlen wir, dass es uns Gerechtigkeit wiederfahren lässt; und oft erkennen wir unser ganzes Unrecht erst dann, wenn wir alle Folgen desselben getragen haben. Es ist eine, wenn auch dunkle, doch kostbare Offenbarung der Wahrheit; allein, gleichsam als ob in einer verdorbenen Natur jede Wahrheit verderben müsste, haben wir nicht gesäumt, diese hier in den unseligsten Irrtum zu verwandeln; und in dem Mund des Volkes, wie unter der Feder der Geschichtsschreiber, ist der Erfolg der oberste Richter über alle Handlungen und alle Unternehmungen geworden.
Wie dem auch sei, die Reue des natürlichen Menschen hat, wie Ihr seht, das Eigentümliche, dass sie in ganz andere Gefühle übergeht. Dies schon spricht gegen ihre Natur; denn wenn die Quelle, aus der sie entspringt, tiefer, mächtiger wäre, würde sie sich weniger leicht mit etwas verschmelzen, was nicht sie selbst ist. Allein das ist das wenigste Schlechte, was wir von ihr zu sagen haben. Selbst dann, wenn sie reell, wenn sie authentisch ist, hat sie natürliche Fehler, welche sie herabsetzen, ist sie von Gefahren bedroht, welche bis zu ihrer Vernichtung führen können.
Die Reue kann sich entweder an unser Leben, als Ganzes, knüpfen, oder an jede unserer schlechten Handlungen ins Besondere. Das Erstere ist, so scheint es, die natürliche Folge des Letzteren; das Eine ist das Produkt, die Summe von dem Anderen, ist in dem Anderen enthalten. Ich leugne es nicht, und ich sehe in der Tat ein allgemeines Missbehagen, gleich einem Nebel, aus der Gesamtheit unserer Sünden emporsteigen, sich über das ganze Leben verbreiten, die ganze Seele umgeben. Allein es ist wichtig zu bemerken, dass alle jene besonderen Reugeständnisse, deren jedes uns vielleicht schwer und bitter wurde, gewöhnlich nur, was das ganze Leben zusammengenommen betrifft, zu einer dumpfen, kaum erkannten, Unzufriedenheit führen und fast niemals zu einem Urteil über das Wesen unserer Moralität. Geneigt, bei jeder besonderen Gelegenheit zuzugestehen, dass wir gefehlt haben, möchten wir uns jeden unserer Fehltritte wie einen zufälligen Unglücksfall vorstellen; schwach im Einzelnen, meinen wir stark in Bezug auf das Ganze zu sein; oder, wenn zu oft wiederholte Schiffbrüche uns zwingen, eines der Segel unseres Stolzes einzuziehen, in unserem Charakter eine entschieden unvollkommene Seite anzuerkennen, so gehen wir nicht weiter; wir wollen uns nicht eingestehen, dass ein immer wiederkehrender Fehler, welchen wir nicht haben besiegen können, unsere ganze Seele anklagt; dass der Mittelpunkt in jedem seiner Radien mitberührt wird; dass, welches auch der leidende Teil unserer Moralität sei, man sich an das Prinzip dieser Moralität selbst halten muss; dass ein Mensch nicht aus mehreren Menschen besteht, von; denen der eine sich nicht um den anderen zu kümmern braucht - dass der Mensch eine unteilbare Einheit ist, und dass als Ganzes er für Alles verantwortlich ist, was in jedem einzelnen Teil seines moralischen Lebens vor sich geht. Wir wollen nicht begreifen, dass unsere Reue unzureichend und oberflächlich ist; dass wir zu bereuen haben, nicht was wir getan haben, sondern was wir sind; und endlich, dass das, was die Zukunft in uns schaffen soll, nicht ein neuer Lebenswandel, sondern ein neues Wesen ist.
Also, sei es, dass unsere Reue bei jeder neuen Übertretung erwacht und darauf beschränkt bleibt, sei es, dass, allgemeiner werdend, sie sich auf unser ganzes Leben ausdehne, ihre, mehr oder weniger zahlreichen, mehr oder weniger breiten Furchen dringen nicht tief genug ein, um den Grund der Seele zu erreichen, der allein den Samen eines neuen Lebens aufnehmen und befruchten kann. Die Reue kann hie und da einige gute Vorsätze erzeugen, einige Verbesserungen bewirken, dem Leben eine andere Richtung geben; und hüten wir uns, die Güte dieser Erfolge und die Schönheit ihres Prinzips zu leugnen; eine Triebfeder, die über allen Triebfedern des natürlichen Menschen steht, gibt sich auf eine würdige Weise darin kund; allein gerade diejenigen, welche es verstanden haben, ihre Reue die meisten Früchte tragen zu lassen, werden zuerst eingestehen, dass dieselbe nicht genug Früchte trägt; dass eine ernstere Verbesserung nötig ist; dass der ganze Lauf und das ganze Wesen ihres Lebens einer Umänderung bedarf. Die Freude über jene vereinzelten Erfolge verwandelt sich bald in Traurigkeit, eine heilige Traurigkeit, die jeder Freude vorzuziehen, nur nicht der einen, deren Vorspiel und Bürgschaft sie in den ernsten und aufrichtigen Herzen ist!
Allein, so lange wie die Reue nicht durch eine höhere Macht umgeformt ist, bleibt sie für die Seele nur ein peinliches Gefühl ohne Reiz, ohne Weihe, eine Demütigung, der die Rührung fehlt, und welche die Seele nur mit Ungeduld erträgt. Vergebens ist diese Demütigung verborgen und hat sie zum Vertrauten nur den, der sie empfindet; vergebens ist die unsichtbare Macht, vor der sie uns niederwirft, so hoch über uns erhaben, dass dadurch jeder Gedanke an eine Verwahrung oder an ein Murren ausgeschlossen wird; vergebens entnähme jene Autorität, welche wir das Gesetz nennen, aus unseren Überzeugungen den heiligen Namen Gottes: es bleibt immer eine Demütigung; sie ist gerecht, wir wissen es; allein diese Überzeugung schließt durchaus kein Prinzip der Tröstung, der Ermutigung und des Lebens in sich; sie richtet uns nicht auf, sie drückt uns nieder; oder wenn, ergriffen von dem edlen Wetteifer, uns selbst überlegen zu werden und unsere Zukunft unserer Vergangenheit entgegen zu setzen, wir in diesem Entschluss einige Kraft und einige Luft schöpfen, so muss man nicht darauf rechnen, dass die Reue über einen neuen Fehltritt dieselbe Fähigkeit haben wird; die Seele hat einen Teil ihres Glaubens verloren; von einer Niederlage zur anderen verlässt sie sich immer weniger auf sich selbst; die Rückwirkung wird von Tag zu Tag schwächer, so dass man mit vollem Recht hat sagen können, dass die häufigen Reubekenntnisse die Seele abnutzen. Jede dieser fruchtlosen Bemühungen entzieht ihr etwas von ihrer Kraft, jede untergräbt sie mehr und mehr. Die Reue verändert allmählig ihre Natur; die innere Stimme fährt fort, sich hören zu lassen, allein sie hat ihren Ausdruck verloren; und von diesem verborgenen Gericht, welches die Seele über sich selbst hält, bleibt nur noch die Form. Sie vernimmt seinen Ausspruch ohne Beben, sie verhärtet sich bei dem Anhören desselben, sie findet zuletzt, ich weiß nicht welch schreckliches Vergnügen darin, sich sagen zu lassen, wie schuldig sie ist, sie stellt der Stimme, die ehedem sie in ihren Tiefen bewegte, ich weiß nicht welch vorsätzliche Dummheit entgegen, sie verliert jene heilige Scham, jene, ehedem so zarte und empfindliche, Achtung ihrer selbst; sie bietet den niederschmetternden Blicken der Wahrheit die Stirn, fast sucht sie dieselben auf; sie weidet sich an einer kalten und gefühllosen Verzweiflung, und nichts belebt mehr ihr erloschenes Auge, wenn nicht, von Zeit zu Zeit, ein bitteres Lächeln, das der Gedanke an ihre frühere Reue, an ihre früheren Bemühungen und an den schnellen Fortschritt ihres Verfalles hervorruft.
Meine Brüder, es ist schrecklich, allein es ist notwendig, es zu sagen: wir haben gesagt, dass die unwirksamen Reubekenntnisse die Seele auf die Länge abnutzen; doch es ist nicht genug, dass sie sie so lassen, wie sie sie gefunden haben, sie legen darin, bei ihrem Verschwinden, einen giftigen Samen nieder. Das ist die gewöhnliche Rache der misshandelten Wahrheit. Die Ungeduld über den schlechten Erfolg, die Scham über die Niederlage bringen die immer vorhandenen Keime der Aufreizung und des Aufstandes zur Entwicklung. Man ist zunächst gegen sich selbst aufgereizt, hernach ist man es heimlich gegen die Wahrheit. Man hasst sich deshalb, dass man sie schlecht aufgenommen, man hasst sie wegen der Beschimpfung, die man ihr angetan hat. Sie hört auf, uns liebenswürdig zu erscheinen, sobald sie über unser wiederholtes Unrecht Beschwerde gegen uns führen kann, und sobald sie von unserer Freundin und Führerin, welche sie war, gezwungener Weise unsere Gegnerin geworden ist. Immer dieselbe in sich, ist sie nicht mehr dieselbe für uns. Von der Achtung und der Liebe gehen wir durch unsere eigene Schuld zum Widerwillen und zum Hass über. Es gibt dort keine Mitte, der Atemhauch, welcher die Flamme nicht hat auslöschen können, facht sie an und pflanzt sie fort.
Die Fabeln des Altertums erzählen uns von einem Ungeheuer, dem man nicht einen Kopf abhauen konnte, ohne dass sich nicht sieben andere an seiner Stelle erhoben. Dieses Ungeheuer ist unsere Seele, und dieser abgehauene Kopf ist das Bild einer fruchtlosen Reue. Das Feuer allein, fügen die Fabeln hinzu, konnte jener verhängnisvollen Vervielfältigung der Köpfe der Hydra vorbeugen; wir werden sehen, meine Brüder, was das für ein Feuer ist, denn hier folgt die Fiktion der Wahrheit bis zu Ende; jedoch wozu die Fabeln, da das Evangelium selbst die Wahrheit, von der wir reden, in den stärksten Bildern ausgedrückt hat? Wird sie nicht, in den Worten des Heilandes selbst, durch jenen unsauberen Geist dargestellt, welcher, in ein Haus zurückkehrend, aus welchem man ihn auszutreiben versucht hatte, dort mit sieben Geistern, die ärger sind, denn er, wieder hineinkommt? (Luk. XI,21-26.)
Aber wie! wäre es besser, nicht mehr zu bereuen? Bewahre Gott! bewahre Gott! Derjenige, welcher es denken könnte, hätte gegen sich selbst die strengste Verdammung ausgesprochen. Welches auch die Fehler der natürlichen Reue, welches auch die Folgen einer oft getäuschten Reue sein mögen, niemals können sie mit dem Zustande einer Seele verglichen werden, welche in ihrer Rohheit vorsätzlich die Freuden der Sünde und die Tröstungen der Unbußfertigkeit wählt, und ihrem Gewissen selbst das Seufzen und Murren untersagt. Glücklich der, im Vergleich zu einem solchen Menschen, glücklich der, welcher Reue fühlt, wäre es auch nur eine schwache und vorübergehende Reue! Glücklich besonders der, welcher die der aufrichtigen Reue dargebotene unsichtbare Hilfe mit Eifer benutzend, sich auf seinen Schmerz selbst stützend, einen neuen Aufschwung gegen das Gute hin genommen hat, und der durch einen ersten Sieg, so oberflächlich er auch sein mag, unersättlich für neue Siege geworden ist! Glücklich der, welcher, nachdem seine Lippen die Speise der Heiligen nur im Geringsten gekostet haben, jenen Hunger und Durst nach Gerechtigkeit bekommen, welchen der getreue Gott zu stillen versprochen hat!
Die Welt redet nicht so. Die Welt hat die Reue geschändet. Empfänglich für das Gute, sobald das Gute sich unter der Form des Schönen kundgibt, kann sie in gewissen Fällen glänzende Reubekenntnisse, wo die Demütigung sich in Ruhm verwandelt, mit ihrem Beifall ehren. Jedoch in den meisten Fällen ist es die Halsstarrigkeit, welche sie ehrt; und, selbst bei dem Schlechten, zollt sie ihren Beifall der Beharrlichkeit. Ein durch und durch schlechter Lebenswandel wird in der öffentlichen Meinung freigesprochen, sobald er mit Konsequenz durchgeführt wird. Die Verhältnisse der Zeit, in welcher wir leben, haben dieser Richtung der öffentlichen Meinung eine neue Kraft verleihen können. Die Unbeständigkeit, die Veränderlichkeit so vieler Menschen unseres Zeitalters hat offenbar eine andere Ursache, als die Reue. Der Eigennutz, welcher der beinahe eingestandene Beweggrund davon ist, hat sie gerechter Weise gebrandmarkt, und den Wert der Beständigkeit um so mehr hervorgehoben, welches auch übrigens das Prinzip derselben sein mag. Gezwungen, zwischen zwei Arten des Elends zu wählen, sagt es dem Adel unserer verdorbenen Natur zu, offen das Elend des Stolzes dem der Habgier vorzuziehen. Es hat dies, bei der geringen Schärfe unserer moralischen Wahrnehmungen, den Erfolg gehabt, dass die Reue, welche einen falschen Anstrich von Unbeständigkeit hat, allgemein in Misskredit gekommen ist. Nichts widerrufen, niemals von Etwas zurückkommen, gehört heut zu Tage mit zu dem Ideal eines starken Menschen. Man ist nicht mehr im Stande zu sehen, dass die Stärke sich gerade in der Reue zeigt. Jeder will, dass sein Leben einem gedruckten Buch gleiche, in welchem nichts von dem im Manuskript Durchstrichenen zu sehen ist; Jeder setzt etwas darein, ein Leben ohne dergleichen Durchstriche zu besitzen; man möchte nicht einmal die Spur von Zögerungen, von inneren Kämpfen durchblicken lassen, welche jedem wichtigen Entschluss vorangehen; es liegt nicht an uns, dass man uns nicht jedes Mal für plötzlich erleuchtet, unfehlbar inspiriert hält; und das alte Sprichwort, welches sagt, dass irren menschlich ist, gilt für alle im Allgemeinen und für keinen insbesondere.
Die natürliche Reue, meine Brüder, ist nicht von so starker Beschaffenheit, als dass sie nicht öfters durch eine solche Meinung erschüttert werden sollte. Diese Meinung, denkt Ihr vielleicht, verbietet uns nur unser Unrecht einzugestehen, sie verhindert uns nicht, es zu fühlen. Allein das ist schon viel, das ist vielleicht sogar Alles. Ohne in Anschlag zu bringen, dass es viele Fälle gibt, wo die Reue notwendiger Weise eine Handlung, und zwar eine öffentliche Handlung nach sich zieht, so sind doch äußere Tatsachen notwendig, um uns selbst als Bürgschaft für unsere Aufrichtigkeit zu dienen. Die Reue erweist sich nur als vorhanden durch ein Bekenntnis, und dies Bekenntnis muss einem Anderen gemacht werden, als uns selbst. Um sie sicher zu stellen, muss man ihr einen Vertrauten suchen; es ist dies ein zweites Opfer, welches das erste besiegelt und heiligt; es ist, so zu sagen, ein zweites Gewissen, welches wir uns geben, und eine Geißel, welche wir dem Gesetze stellen. Noch mehr: geborene Bürgen und Verfechter des Sittengesetzes, sind wir ihm, sobald wir es öffentlich verletzt haben, eine eben so öffentliche Genugtuung schuldig. Allein, wie ihm dieselbe darbringen, wenn wir uns im Voraus einem anderen Gesetz, dem der öffentlichen Meinung, verkauft haben; und wenn der Ruf eines festen und konsequenten Menschen uns so teuer, wenn das Hängen an demselben ein so innerer und unveräußerlicher Teil unseres Charakters geworden, dass uns davon trennen, im eigentlichen Sinne des Wortes, uns von uns selbst trennen hieße?
Achtet auf diese letzten Ausdrücke, meine Brüder: sie sind uns unwillkürlich in den Mund gekommen: allein sie enthalten, kurz zusammengefasst, das ganze Geheimnis, um dessen Lösung es sich heute handelt. Die Reue trennt uns von uns selbst; dies Wort sagt Alles: es drückt die ungeheure Schwierigkeit der Aufgabe, es drückt die einzige Bedingung ihrer Erfüllung aus. Die Reue ist eine Notwendigkeit, weil das Gesetz eine Notwendigkeit ist; allein sie kann nur reell, befriedigend, wirksam sein, insofern sie uns nicht von uns selbst trennt. Jede Religion, welche, als letzte Wirkung, uns von uns selbst trennt, kann nicht wahr sein. Weit entfernt, eine innere Scheidung unseres Wesens als letzten Zweck zu haben, will die Religion jene schon begonnene Scheidung nur deshalb vollenden, will sie jene schon fühlbare Zerrissenheit nur Deshalb deutlich zeigen, um darauf eine wahre, eine unwiderrufliche Einheit folgen zu lassen. Es gibt zwei Menschen in uns, von Natur fühlen wir es; sie lässt es uns besser fühlen; sie zwingt uns, es einzugestehen; allein es geschieht, um dem neuen Menschen die Wege zu bereiten, dessen Gegenwart uns zuletzt die tiefe Freude der Einheit kennen lehren soll. Die Reue aber, welche die Haupttriebfeder der Religion ist, da Religion und Versöhnung gleichbedeutend sind, die Reue kann den Zweck der Religion nur erfüllen, indem sie uns mit uns selbst vereinigt, und nicht, indem sie uns von uns selbst trennt. Genügt sie in der natürlichen Ordnung der Dinge dieser Bedingung? Meine Brüder, Ihr habt darüber urteilen können. Man muss sich also an eine übernatürliche Ordnung wenden, man muss von der Reue zur Buße übergehen.
Die Buße charakterisieren, das heißt ihr alle die Kennzeichen zusprechen, welche die Reue nicht hat; das heißt sie, als alle die Lücken ausfüllend, zeigen, welche die Reue nicht hat ausfüllen können. Allein alle jene Kennzeichen werden erlangt, alle jene Lücken werden ausgefüllt durch eine einzige Tatsache, welche darin besteht, dass die Liebe ein Element der Reue wird.
Woher anders kommen alle Fehler der Reue, als dass wir, in dem Augenblick, wo wir sie empfinden, das Gesetz nicht lieben können, welches sie uns vorstellt? Die Liebe hat die Wirkung, dass sie uns mit dem geliebten Gegenstande vereinigt; die Liebe ist nichts Anderes, als diese Vereinigung selbst, so dass die Liebe des Gesetzes, wenn das Gesetz geliebt werden könnte, dadurch, dass sie die Pflicht und die Zuneigung in unserem Herzen mit einander verschmölze, aus dem Gesetz und uns ein und dasselbe Wesen machen, und eben dadurch jene beiden Menschen, die jeder Mensch in sich trägt und anerkennt, wieder auf die Einheit zurückführen würde.
Das Gesetz aber an und für sich, das Gesetz, getrennt von allem, was nicht es selbst ist, kann es geliebt werden? Und wenn seine eigene Schönheit, seine Übereinstimmung mit unserer Natur, die angenehme Wirkung, welche es auf uns hervorbringt, wenn es zu unserem Vorteil angewendet wird, endlich seine vollkommene Harmonie mit den allgemeinen Interessen der Menschheit, wenn alles dies der Herrschaft, welche es über unsere Überzeugungen ausübt, eine Art von Reiz verleiht, behält es diesen Reiz für uns noch bei, sobald es ein peinliches und ruhmloses Opfer von uns verlangt? Bewahrt es besonders diesen Reiz noch, sobald es uns, unter der Gestalt der Reue, die Klage und die Anschuldigung im Mund, entgegentritt? Und wie werden wir es vermeiden, dass nicht durch eine verhängnisvolle Gegenwirkung die Reue, welche uns dem Gesetze zu nähern schien, uns gerade im Gegenteil um so viel mehr davon entferne?
Und wenn dem so ist, trägt dann das Gesetz eine umformende Kraft in sich? kann es bis zu den Wurzeln unseres moralischen Wesens eindringen? ist es jenes Schwert, welches uns durch Mark und Bein geht? Das Gesetz, welches alles, was wir sein sollen, enthält, ausdrückt, bringt es uns die Kraft, alles das zu werden, was wir sein sollen? Die Gesetze, sagt man, erzeugen die Sitten; allein es ist dort die äußere Wirkung einer äußeren Ursache; es ist durchaus keine Vergleichung zwischen den bürgerlichen Gesetzen und dem Gesetz der Moral anzustellen, welches die Richtschnur für die Gedanken, für das Herz, die ganze innere Bestimmung des Menschen enthält, alles, was es Tiefstes und Geheimstes in seiner moralischen Existenz gibt. In diesem Sinn wird Niemand zu behaupten wagen, dass das Gesetz regeneriert; denn das Gesetz befiehlt die Liebe Gottes und der Menschen, und wir sind nicht im Stande, das Gesetz selbst zu lieben, welches uns die Liebe befiehlt:
Wir können ein Gesetz nicht auf diese Weise und in solchem Grad lieben; allein wir könnten den Urheber des Gesetzes lieben, wenn er ein solcher wäre, dass er uns Liebe einflößte. Und wir würden ihn unbedingt lieben, wenn er sich rücksichtlich unserer so offenbarte, dass der Gedanke an ihn in unserem Geist mit dem eines unfehlbaren, höchsten und unwiderruflichen Glückes identifiziert wäre. Und die Liebe, welche ihm alsdann zu weihen wir nicht unterlassen könnten, würde sich notwendiger Weise auch auf das Gesetz ausdehnen, welches eins mit ihm, welches sein Ausdruck, sein vollkommenes Bild, sein Wille, das heißt, welches er selbst ist; von da ab würde dies Gesetz mit unserem Herzen vereinigt sein, wie das Herz selbst darin vereinigt sein würde; wir würden uns davon nähren, wie von der Substanz Gottes selbst; es würde in unser Blut übergehen; wir würden es nicht Buchstaben für Buchstaben, Vorschrift für Vorschrift annehmen; wir würden uns das Prinzip desselben angeeignet haben, welches die allgemeine Verbindung unseres Willens mit dem Willen Gottes ist; und von da ab würde sich dieser Wille nur zu zeigen brauchen, um von uns angenommen und befolgt zu werden.
Wenn Ihr die Natur einer solchen Reue ergründet, so werdet Ihr sehen, dass diese Reue süß ist, weil sie die Liebe zum Prinzip hat; Ihr werdet sehen, dass sie gründlich ist, weil sie uns mit dem Prinzip selbst der Heiligkeit vereinigt; Ihr werdet endlich sehen, dass sie in der Seele einen natürlichen und nicht gezwungenen, noch erkünstelten Zustand erzeugt. Dieser letzte Punkt verdient die höchste Beachtung. Der Zweck der Religion besteht allerdings darin, einen neuen, doch nicht einen künstlichen Menschen in uns zu erzeugen; die Religion ist nicht die Zerstörung, sondern der Triumph der Natur; es ist unser gegenwärtiger Zustand, welcher von der Vernunft und der Wahrheit entfernt ist; es ist die Liebe Gottes und seines Gesetzes, durch die wir wieder in die Ordnung, und folglich zur Freude und zum Frieden zurückehren; dann nur erst hört alles Verschrobene auf, dann nun fühlen wir, dass in uns wieder alles an seinem Platz ist, und dass wir selbst in der Gesellschaft und im Leben an unserem Platz sind; so dass, meine Brüder, jener Name des natürlichen Menschen, welchen die Armut unserer Sprachen uns genötigt hat, ausschließlich auf den nicht wiedergeborenen Menschen anzuwenden, eigentlich der wahre, der unterscheidende Name des neuen, nach Gott in rechtschaffener Gerechtigkeit und Heiligkeit geschaffenen, Menschen ist.
Das Böse allein wird durch die Reue im Menschen zerstört, und nicht der Mensch selbst. Der Mensch, das Individuum besteht fort in alle dem, was nicht Sünde ist. Der Charakter, von dem man mit Recht gesagt hat, dass nichts ihn verwischen kann, der Charakter bleibt, allein gereinigt von alle dem, was er in der allgemeinen Masse des Bösen zu wählen und wie ein Magnet an sich zu ziehen geschienen hat. Von da ab vermischt man nicht mehr mit dem Charakter die verdorbenen Neigungen, welche die Form des Charakters angenommen haben; diese Form besteht fort, und wird in uns die individuelle Form des Guten, wie sie zuvor die des Schlechten war. Mit einem Wort, es ist derselbe Körper, allein er wird von einem anderen Blut durchströmt.
Wie aber könnten abstrakte Ideen, welches auch übrigens ihre Wahrheit und ihre Vortrefflichkeit sein mag, und welchen Anklang sie auch in Eurem Gewissen finden mögen, wie könnten sie eine solche Umwandlung bewirken? Man tadelt in der Welt den Menschen, dessen Leben nicht nach bestimmten Prinzipien geregelt ist, und man hat gewiss recht; allein was sind da, wo das eigentliche Wesen des Lebens umgewandelt werden soll, was sind da Prinzipien, welche nicht zu gleicher Zeit auch Triebfedern wären? Und um diese Idee auf unsere Rede anzuwenden, was wären, ihrer Wahrheit ungeachtet, die allgemeinen Prinzipien, welche wir Euch dargelegt haben, wenn sie nicht auch Triebfedern wären, das heißt, wenn sie sich nicht auf Tatsachen stützten, welche geeignet sind, die Liebe, die einzige Bedingung, das einzige Prinzip jeder großen Umwandlung, zu erzeugen?
Handelt es sich nur um abstrakte Prinzipe? Das Evangelium hat sie laut verkündet. Und ich bitte Euch, meine Brüder, mit Eurer Aufmerksamkeit zunächst bei dieser Tatsache zu verweilen, welche, für sich allein, von einer besonderen Wichtigkeit ist. Es erscheint, auf den ersten Blick, nicht als ein großes Wunder, dass das Evangelium die Notwendigkeit einer gründlichen Umwandlung, einer Regeneration, einer zweiten Geburt als erste Bedingung hingestellt hat. Allein warum ist es das Evangelium allein, welches diese Wahrheit, zum wenigsten mit solcher Freimütigkeit und solcher Vollständigkeit, verkündet hat? Wie kommt es, dass sich erst seit seinem Erscheinen diese Idee mit solcher Kraft und so allgemein ausgesprochen hat? Ist es nicht etwas Entsetzliches, von einer zweiten Geburt zu reden, und besonders sie zu fordern, wenn man über keine Triebfeder gebietet, um dazu zu bestimmen, über kein Mittel, um sie zu vollbringen? Eine zweite Geburt, meine Brüder! fühlt Ihr die ganze Kraft dieses Ausdrucks? Und ist es zu verwundern, dass, als Jesus Christus, welcher der Erfinder desselben ist, erklärt, dass, es sei denn, dass man von Neuem geboren werde, man nicht in das Himmelreich kommen könne, Nikodemus jenen Ausspruch mit einem ungläubigen Lächeln und einer spöttischen Antwort erwidert?
Allein er selbst, der einzige Sohn, der Heißgeliebte Gottes, stellte sich als Bürge dieses großen Grundsatzes. Er hatte es übernommen, ihn, durch ein Wunder, aus der Ordnung der abstrakten Wahrheiten hervorzuziehen. Die Liebe war in Wehen, um die Liebe zu gebären; die ewigen Arme öffneten sich, um die erstarrte Menschheit zu umfassen und zu erwärmen; der Predigt der zweiten Geburt waren alle Maßregeln vorangegangen, welche sie verwirklichen sollten: Gott hatte seinen Sohn in die Welt gesandt! Der gerechte Gott hatte sich zum erlösenden Gott gemacht! Die Menschheit sollte erkennen, dass Gott Liebe ist! Und Jesus Christus, im Voraus der Schmach geweiht, im Voraus an das Kreuz genagelt, hatte im Voraus das Recht und die Macht erkauft, dies neue Wort an die Menschheit zu richten: „Wahrlich, wahrlich, ich sage Euch, so ein Mensch nicht von Neuem geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen.“
Hier, meine Brüder, ist keine Stelle mehr für die Rede; sie unterliegt, sie wird vernichtet unter dem Gewicht des Gegenstandes. Jede Beschreibung, jede Erklärung des Verfahrens der Gnade, jeder Versuch, das größte der Mysterien und das größte der Wunder in die Ordnung der verständlichen Dinge zurückzuführen, hat, ich weiß nicht was Zudringliches und Verwegenes, welches mich erschreckt, wie eine Profanierung2). Ich verdamme nicht diese Analysen, diese Art von Physiologie des Christentums; ich habe mich selbst ihr mehr wie einmal hingegeben; und wer würde nicht Gefallen daran finden, diese wunderbare Verbindung der Gnade mit der Natur und die himmlische Weisheit Gottes zu betrachten, welcher sich unserer selbst gegen uns selbst bedient; welcher, um den Menschen zu regenerieren, seinen Stützpunkt in dem Menschen genommen hat; welcher, um der Menschheit ganz neue Gefühle zu lehren, nur an die vorhandenen Gefühle der Menschheit appelliert hat; mit einem Wort, welcher, einziger Besieger und einziger Retter unserer Seelen, uns nur durch uns selbst besiegen, uns nur durch uns selbst retten gewollt zu haben scheint? Allein ich fürchte, indem sich meine grobe Hand mit diesem eben so zarten, als erhabenen Werke befasst, dasselbe ungeschickt zu berühren; ich möchte nicht das Ansehen haben, als ob ich der heiligen Bundeslade die Stütze eines sterblichen Armes liehe; ich erschrecke vor der Gefahr, dem Gedanken eines Gottes die Form und die Verhältnisse von etwas menschlich Gedachtem zu geben, und ich überlasse Gewandteren, ich will sagen, im Glauben Vollendeteren, im christlichen Leben Vorgeschritteneren, eine rechtmäßige und schöne Aufgabe, welche jedoch von Rechtswegen nur den Starken in Israel zusteht.
Der Stoff meiner Rede ist ein ganz menschlicher, rein moralischer und philosophischer gewesen. Ich habe gesagt, was Jeder lernen kann, wenn er seine Natur und sein Leben näher prüft. Ich habe mich auf die Erfahrung Aller bezogen. Ich will diesen Kreis nicht überschreiten; allein, im Namen jener Instinkte und jener Bedürfnisse, die Niemand verkennen kann, im Namen eines unermesslichen Interesses, das Niemand zu leugnen wagt, verkündige ich auch meinerseits die gute Botschaft; ich erkläre, nach Jesus Christus und seinen Aposteln, die Notwendigkeit einer Wiedergeburt, der Buße, welche der erste Schritt dazu, und der Zuflucht zum Evangelium, welches das einzige Werkzeug dafür ist.
Allein ich weiß es, ach! die Klippe ist am Eingang des Hafens. Das, was die Kraft des Christentums ausmacht, bildet das größte Hindernis, Christ zu werden. Das ganze Evangelium ist in der zweiten Geburt zusammengefasst, und eben diese Idee ist es, durch welche es erschreckt und zurückstößt. Das ist es, was man davon fortstreichen möchte: man nimmt alles an, ausgenommen die Wiedergeburt, das heißt, alles, ausgenommen das Wesentliche; alles, ausgenommen alles. Sollen wir das Evangelium anklagen, dass es sich den Weg zu den Herzen verschlossen hat? Allein das hieße es anklagen, dass es uns hat selig machen wollen: denn es ist die Seligkeit nur in der Wahrheit, vor der wir erschrecken, und die Vernunft selbst erklärt uns, dass wir für keinen anderen Preis selig werden können; wie will man in der Tat die Seligkeit von der Wiedergeburt trennen? Was wolltet Ihr denn, dass Gott täte, um Euch selig zu machen? dass er Euch unrein aufnähme in die Wohnung der Reinheit? unwiedergeboren zu dem Leben der Heiligen? dass er Euren, nur nach vergänglicher Speise begierigen, Herzen die dauernde Speise in ewigem Leben darböte? dass er seine Prinzipe, die Prinzipe Gottes abschwüre? dass er seine Natur vergäße, dass er aufhörte, Gott zu sein, dass er Mensch würde, nicht mehr (o Gotteslästerung!) wie sein Sohn, um zu sterben, sondern um zu sündigen? Denn was heißt es am Ende, das Schlechte für gut und das Unrecht für unschuldig halten, wenn nicht sündigen? Ich sage mehr: Ihr hättet gewollt, dass Gott sich für nichts und wieder nichts entehrte; denn diese, mit seiner Heiligkeit unverträgliche, Nachgiebigkeit würde Euch doch nicht selig machen. Es gibt für Gott selbst unmögliche Dinge, weil sie widersprechend sind, weil sie durch das Bejahen verneint werden; und unter die Zahl derselben gehört die Seligkeit der unwiedergeborenen Seele. Die Seligkeit ist nicht etwas außer uns liegendes, welches uns angeeignet werden könnte, unabhängig von dem, was wir wollen und was wir sind; die Seligkeit hat nichts gemein mit jener Befriedigung der Sinne und der Eitelkeit, welche wir hienieden das Glück nennen und welche nur die vorübergehende Zerstreuung eines unheilbaren Unglücks ist. Die Seligkeit ist das in der Seele geschöpfte Glück der Seele; sie ist die Gesundheit des moralischen Wesens; sie ist die Harmonie zwischen dem Menschen und seiner Bestimmung, seinem Prinzipe. Ein solches Glück kann Gott allerdings geben; allein diese Gabe ist die Wiedergeburt selbst. Behaupten, dass Gott nicht darauf bestehe, dass er für alle Zeiten unsere Täuschung unterhalten und unser moralisches Unglück durch Belustigungen einschläfern wird, ähnlich denen, welche wir hienieden in den äußeren Gegenständen finden; behaupten, dass Gott in der Ewigkeit für das Vergnügen der Sünde, welches der wahre Name unsers sterblichen Glückes ist, sorgen wird; behaupten, dass er recht vorsätzlich in einer anderen Welt anordnen wird, was er in dieser hier nur duldet, das heißt ihn zum Mitschuldigen, zum Anstifter, zum Urheber der Sünde machen; das heißt die größte Gotteslästerung aussprechen. Beklagt Euch also über diese harte Lehre von der Wiedergeburt, über die Intoleranz derer, welche sie predigen: Ihr beklagt Euch nur, dass das Evangelium das Evangelium und dass Gott Gott ist. Erklärt, dass das Evangelium Euch zusagen würde, wenn es nicht diese Lehre enthielte: Ihr erklärt nur, dass das Evangelium Eurer würdig sein würde, wenn es Gottes unwürdig wäre. Allein ich fühle, meine Brüder, dass auch sogar die kalte Vernunft sich ereifern kann, und Gefahr läuft, heftig zu werden, wenn sie dergleichen Irrtümer berührt. Durch bloße Logik wird man bei einem solchen Gegenstande hitzig und hart. Christus ist es nicht gewesen, er, dessen ganz göttliche Vernunft mehr wie die unsrige das Recht hatte, empört zu sein. Er hat die Wahrheit mit einer friedlichen Majestät verkündet; er hat sie empfohlen durch sanfte, einschmeichelnde Worte; er hat die Menschen flehentlich gebeten, sich mit seinem Vater versöhnen zu lassen, und vor allem ist es sein Tod, durch den er die Wiedergeburt gepredigt hat. Ach! sind wir mehr wie er, um jene Bannstrahlen zu erheben, mit denen seine Hand sich nicht bewaffnen wollte? die Sanftmut und die flehentliche Bitte, ziemen sie den Sündern weniger, als dem Fürsten der Gerechten? und wenn er sich vor denen, welche er selig machen wollte, bis zur Bitte erniedrigte, bis wohin sollen wir uns erniedrigen? Möge man, wenn wir es versuchen, die Wahrheit zu beweisen, ein christliches Herz in jedem unserer Beweisgründe schlagen fühlen; möge unser Eifer sichtlich der der christlichen Liebe sein; mögen selbst unsere Drohungen brüderliche Sorge atmen! Liebe des Herrn, göttliche Himmelsbewohnerin, komm und bewohne unsere Herzen, sprich in uns, wenn die Vernunft schweigt, oder nicht gehört wird; sei die eigentliche Vernunft und das Licht unserer Reden; mache die rauesten Wahrheiten liebenswürdig; verachte die nichtigen Einwürfe des Verstandes, um gerade zu den Herzen zu dringen; verwische in den Geistern die Erinnerung unserer Schlussfolgerungen, aber lasse in den Herzen eine brennende Spur! Wahrheit, die du Liebe bist, nimm unsere Stelle ein, und beweise dich selbst! Liebe, predige die Liebe! Gütiger und heiliger Gott, Leben, Gesundheit, Wiedergeburt der Seelen, dringe in die Seelen, lass dort die Buße sich entfalten, zur Ehre deines heiligen Gesetzes, zur Ehre deiner Güte!