Inhaltsverzeichnis

Thomasius, Gottfried - Am Sonntag Jubilate. Die Lebensführung.

Der Gott des Friedens heilige euch durch und durch, dass euer Geist ganz, samt Seel und Leib unsträflich erfunden werde bis auf die Zukunft unseres Herrn Jesu Christi. Getreu ist, der uns ruft, welcher wird's auch tun. Amen.

Was uns Jesus Christus durch seinen Tod und durch seine Auferstehung erworben hat, das ist der ewige und feste Grund unseres Heils. In ihm, dem Gekreuzigten und Auferstandenen, ist der Welt Gerechtigkeit und Friede, Leben und Seligkeit bereitet. Und diese Güter teilt Er nun mit vollen Händen aus, an alle, die zu ihm kommen und aus seiner Fülle nehmen! Aber wie kommen wir zu ihm? Ist es doch ein Artikel unseres Glaubens, dass Niemand aus eigener Vernunft und Kraft zu Jesu Christo unserem Herrn kommen kann; und was hilft uns die ganze Fülle der Gnade, die in ihm beschlossen ist, wo wir von ihm ferne bleiben? Selbst dass ich den Weg weiß, der zu ihm führt, frommt mir nichts, so lange mir die Kraft, ihn zu gehen, fehlt; lässt er mich liegen in meiner Armut und Ohnmacht, so bin ich noch übler daran, als diejenigen, denen das Heil in ihm noch gar nicht erschienen ist.

Aber so handelt der Treue und Barmherzige nicht. Er, der uns mit seinem Blut erkauft hat, will uns auch zu sich ziehen, ja er streckt selbst seine Hand nach uns aus, um uns in seine selige Gemeinschaft hineinzuführen. Die Mittel, durch die er das tut, sind Wort und Sakrament; aber neben beiden geht ein geheimnisvoller Zug seiner Gnade durch unser ganzes Leben hindurch, eine Predigt, nicht sowohl in Worten, als durch Tat und Geschichte. Wolle Gott, dass es mir gelinge, euch diese tatsächliche Predigt zu deuten, und dass meine heutige Predigt davon selbst ein Zug zur Gnade Christi werde. Amen.

Evg. Joh. 21,1 bis 14.
Danach offenbarte sich Jesus abermal den Jüngern an dem Meer bei Tiberias. Er offenbarte sich aber also. Es waren bei einander Simon Petrus und Thomas, der da heißt Zwilling und Natanael, von Kana aus Galiläa, und die Söhne Zebedäi, und andere zwei seiner Jünger. Spricht Simon Petrus zu ihnen: Ich will hin fischen gehen. Sie sprachen zu ihm: So wollen wir mit dir gehen. Sie gingen hinaus und traten in das Schiff alsobald, und in derselbigen Nacht fingen sie nichts. Da es aber jetzt Morgen war, stand Jesus am Ufer; aber die Jünger wussten es nicht, dass es Jesus war. Spricht Jesus zu ihnen: Kinder, habt ihr nichts zu essen? Sie antworteten ihm: Nein. Er aber sprach zu ihnen: Werft das Netz zur Rechten des Schiffs, so werdet ihr finden. Da warfen sie, und konnten es nicht mehr ziehen, vor der Menge der Fische. Da spricht der Jünger, welchen Jesus lieb hatte, zu Petro: Es ist der Herr. Da Simon Petrus hörte, dass es der Herr war, gürtete er das Hemd um sich, denn er war nackend, und warf sich in das Meer. Die anderen Jünger aber kamen auf dem Schiff (denn sie waren nicht ferne vom Land, sondern bei zwei hundert Ellen,) und zogen das Netz mit den Fischen. Als sie nun austraten auf das Land, sahen sie Kohlen gelegt, und Fische darauf, und Brot. Spricht Jesus zu ihnen: Bringt her von den Fischen, die ihr jetzt gefangen habt. Simon Petrus stieg hinein und zog das Netz auf das Land voll großer Fische, hundert und drei und fünfzig. Und wiewohl ihrer so viel waren, zerriss doch das Netz nicht. Spricht Jesus zu ihnen: Kommt und haltet das Mahl. Niemand aber unter den Jüngern durfte ihn fragen: Wer bist du? Denn sie wussten es, dass es der Herr war. Da kommt Jesus und nimmt das Brot, und gibt es ihnen, desselbigen gleichen auch die Fische. Das ist nun das dritte mal, dass Jesus geoffenbart ist seinen Jüngern, nachdem er von den Toten auferstanden ist.

Diese Geschichte ereignete sich an dem See Tiberias in Galiläa. Die Umgebungen dieses Sees waren früher oft der Schauplatz des irdischen Lebens Jesu gewesen. Hier hatte er im Kreis seiner Jünger Tage lang zugebracht, hier den Petrus durch jenen wunderbaren Fischzug berufen, hier in der Nähe das hungernde Volk mit wenigen Broten gespeist, Tausenden das Evangelium vom Reiche gepredigt. Es lässt sich denken, dass auch jetzt nach seiner Auferstehung diese Gegend den Jüngern besonders teuer war, und dass sie nirgends lieber verweilten, als an diesen stillen Gründen und Hügeln, wo ihnen überall die seligsten Erinnerungen begegneten, aus jener Zeit, da der Herr noch in ihrer Mitte gewandelt hatte. Und eben hier offenbart sich ihnen nun der Herr, nachdem er sich ihnen bereits in Jerusalem lebendig erzeigt, wie er es verheißen hat. Die Art aber, wie er sich ihnen offenbart, hat etwas so Liebliches, dass wir uns über sie freuen müssten, auch wenn sie uns nicht weiter anginge. Sie zeigt uns aber, gleich als in einem Bild, wie der Herr die Seinigen durch die Führung ihres äußeren und inneren Lebens zu sich zieht.

  1. Durch die äußere Lebensführung lässt er sie die Erfahrung von ihrer Ohnmacht und von seiner Gnadenmacht machen;
  2. durch die innere führt er den einen schneller, den anderen langsamer, beide aber, wenn sie von ihm sich ziehen lassen, sicher zum Ziel.

I.

1. Wie sonst, so sehen wir auch in der Geschichte unseres Textes Petrum an der Spitze der Jünger. Er war der Urheber dieses Fischzugs und ihn geht auch die folgende Begebenheit vorzugsweise an. Er sprach zu ihnen: ich will hin fischen gehen; sie antworteten: so wollen wir mit dir gehen; sie machen sich auf und werfen ihre Netze aus und arbeiten die ganze Nacht hindurch; aber umsonst; Arbeit und Mühe ist vergebens; in derselben Nacht fingen sie nichts. Es geht also hier ganz wieder so, wie vor drei Jahren an demselben Ort; denn damals, berichtet der Evangelist (Luk. 5,4-5.), sprach der Herr zu Simon: „Fahrt auf die Höhe, und werft eure Netze aus, dass ihr einen Zug tut,“ und Simon antwortete: „Herr wir haben die ganze Nacht gearbeitet und nichts gefangen.“ Die nämliche Erfahrung lässt sie der Herr jetzt abermals machen; an ihrem irdischen Beruf sollen sie es inne werden, dass alles Rennen und Laufen des Menschen vergeblich ist, wo Er nicht das Gedeihen gibt; damit sie diese Lehre mit hinüber nehmen in ihren künftigen geistigen Beruf. Denn hier mussten sie es wissen, dass sie nicht aus eigener Vernunft und Kraft Menschenseelen für das Himmelreich zu gewinnen im Stande wären, dass sie überhaupt nichts aus und durch sich selber, sondern alles allein durch die Macht des Herrn seien, damit sie desto fester auf ihn vertrauen, desto demütiger an seiner Gnade in ihrer Schwachheit sich genügen ließen. Und das müssen auch wir wissen; wissen müssen wir, dass wir von Gott abgewichen und dadurch völlig untüchtig geworden sind, nicht bloß das Heil zu erwerben, sondern auch zu dem, der es erworben hat, uns zu bekehren. Unsere natürliche Ohnmacht, unsere geistliche Armut, unsere Unfähigkeit müssen wir kennen, wenn wir überhaupt zum Herrn kommen wollen. Denn was fragt der viel nach dem Arzt, welcher die Krankheit nicht fühlt, die ihm im Herzen sitzt? Was begehrt der nach einem Heiland und Seligmacher, der sich dünken lässt, reich und satt und keines bedürftig zu sein? Lass die Predigt noch so laut von der Liebe Christi zeugen, noch so gewaltig die Tatsachen der Versöhnung preisen - sie sät da nicht, wo man kein Gefühl des eigenen Elends im Herzen hat, wo man, in sich selbst verliebt, nicht weiß, wie leer und heilsbedürftig man ist. Das könnten wir nun freilich leicht erlernen; denn das Zeugnis des göttlichen Wortes und die Gestalt unseres eigenen Inneren predigen laut genug davon. Weil aber dem menschlichen Hochmut nichts schwerer eingeht, als diese heilsame Wahrheit, so nimmt uns der Herr selbst in seine Schule, und lässt uns an der äußeren Seite unseres Lebens tatsächlich inne werden, was uns sein Wort vergeblich predigt; er lässt uns dieselbe Erfahrung machen, wie dort die Jünger. Er zieht seinen Segen von unserer trotzigen Arbeit, sein Gedeihen von dem Werk unserer Hände zurück; dann gerät alles in Stocken, Kunst und Weisheit der Menschen will nichts mehr verfangen; ja er sendet selber Mangel und Not ins Haus, Not und Elend über ganze Länder und Völker, die sein vergessen, und predigt ihnen so durch die Tat, was der Psalm sagt: „Es ist umsonst, dass man frühe aufsteht und hernach lange sitzt; wo der Herr nicht das Haus baut, so arbeiten umsonst, die daran bauen, wo der Herr nicht die Stadt behütet, da wacht der Wächter umsonst.“ So tut er wie am Großen auch am Einzelnen, und wir haben es gewiss Alle schon erfahren, dass er uns gerade bei solchen Dingen, auf die wir am meisten bauen und rechnen, seinen Segen entzieht, gerade die Wege, die wir uns selbst erwählen, uns verzäunt, jede Aussicht, jede Hoffnung uns abschneidet, und je mehr wir mit unseren eigenen Kräften auszurichten wähnen, desto weniger es gelingen lässt. Es sind dies Gerichte, welche über uns ergehen, gerechte Gerichte, die wir um unserer Sünden willen wohl verdienen; aber es liegt auch ein verborgener Segen darin. Denn wir könnten daraus zunächst am Leiblichen lernen, dass wir aus eigenen Kräften gar nichts vermögen und das wäre dann auch fürs Geistliche ein großer Gewinn. Denn so ginge unser törichtes Selbstvertrauen und der Bettelstolz unserer eigenen Weisheit zu Schanden; wir fingen an, unseren Blick weg von der eigenen Ohnmacht und Armut auf den zu richten, aus dessen Händen beides, Gericht und Segen, kommt; wir lernten aus der Not heraus zu ihm rufen und schreien und sei es auch, dass wir dann nicht die Art der Hilfe erlangten, um die wir baten: es wäre uns doch das Gericht ein Zug zu dem rechten und einigen Helfer geworden. Laufende sind auf diesem Wege zu Ihm gekommen, und haben in der bitteren Erfahrung leiblichen Elendes, in Armut und Verlassenheit, auf Schmerzens- und Krankenlagern, in Ihm den Heiland der Seelen gefunden; aber freilich nur die, welche seine Gerichte sich zur Buße leiten ließen. Darum murre du nicht, mein Christ, wenn dir dasselbe begegnet, schilt deinen Heiland nicht, wenn es das Ansehen hat, als habe er seine Hand und sein Angesicht vor dir verborgen, sondern demütige dich unter seine gewaltige Hand, so wird dir sein Gericht zum Segen werden. Er zieht uns zu sich durch die Erfahrung von unserer Ohnmacht, und, sage ich,

2. Durch die Erfahrung seiner Gnadenmacht, die er uns machen lässt. Die Jünger hatten die Nacht hindurch vergeblich gearbeitet; da es aber Tag ward, stand Jesus am Ufer, und sie wussten es nicht. Die Dämmerung des Morgens und die Nebel, die auf dem Ufer lagen, hindern sie, ihn sogleich zu erkennen, oder ihre Augen sind gehalten, wie dort auf dem Wege nach Emmaus. O wie oft, meine Lieben, ist auch uns der Herr nahe, wo wir ihn nicht gewahren; hätten wir hellere Augen, Augen des Glaubens, wie viel mehr würden wir von seiner Herrlichkeit sehen! Er aber offenbart den Jüngern bald seine Nähe, hebt seine Stimme auf und ruft ihnen übers Meer hin zu: „Kinder, habt ihr nichts zu essen?“ Kinder, redet er sie an, und es ist das erste Mal, dass er sie mit diesem Namen nennt. Denn vor seiner Auferstehung hat er sie immer nur seine Jünger und Knechte, einmal auch seine Freunde genannt; aber den schönsten aller Namen, den Brudernamen und Kindesnamen, hat er der Zeit vorbehalten, da er den Tod bereits überwunden, die Versöhnung gestiftet, Gerechtigkeit und Leben ans Licht gebracht hat. Denn nun kann er sie erst mit voller Wahrheit seine Kinder, Gottes Kinder heißen; und diesen Namen zu führen gibt er hinfort allen die Macht, die an ihn glauben. O meine Brüder! und es liegt so viel Friede und Liebe, so viel ahnungsvolle Seligkeit in diesem einen kleinen Wörtlein, dass es dem, der es aus seinem Munde vernimmt, wohl ein Zug zum Herrn werden kann. Denn wenn man ihn auch selber noch nicht kennt, das fühlt man doch schon dem Namen ab, dass er aus einem Herzen voll großer Liebe kommt; wer so seine armen und verlorenen Brüder anreden kann, der muss ein Mitleid mit ihrer Not, ein heiliges Erbarmen mit ihrem Elend haben; und wenn sie kommen und die Hand ergreifen, die sich in diesem Namen nach ihnen ausstreckt - wahrlich ich sage euch: „Wer an ihn glaubt, der hat das ewige Leben.“ Aber weil unser trotziges und verzagtes Herz dem Worte seiner Liebe eben so schwer als dem Ernst seines Gesetzes glaubt, so tut er noch mehr an uns, und lässt uns an unserem eigenen Leben die Erfahrung seiner Gnadenmacht machen. „Kinder, spricht er, habt ihr nichts zu essen?“ nicht als wüsste er es selber nicht, sondern um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken, um ihr Vertrauen zu wecken, als wollte er sagen: Siehe, ich weiß, dass ihr die Nacht hindurch umsonst gearbeitet habt, aber werft das Netz zur Rechten des Schiffs, so werdet ihr finden. Und es muss etwas Mächtiges und Unwiderstehliches in seiner Stimme gelegen haben, etwas Bekanntes, das sie an den Tod ihres Meisters erinnerte; denn sie gehorchen sogleich dem Unbekannten und werfen das Netz auf die andere Seite, und siehe, da tun sie sofort einen reichen Fang, also dass sie das Netz nicht mehr ziehen können vor der Menge der Fische. Da gehen ihnen mit einem Male die Augen auf, an dem Segen, den sie empfangen haben, erkennen sie, dass Er es ist.

Und ist denn keiner unter uns, dem Ähnliches widerfahren wäre, keiner, den der Herr nach langer Not und Verlassenheit überschwänglich gesegnet, dem er aus irgend einer drängenden Lage mächtig und wunderbar herausgeholfen hätte? Oder, wenn es auch das nicht wäre - seht euer Leben an, meine Geliebten, wie hell leuchten da überall die Spuren seiner erbarmenden Güte, wie liegen die Gaben seiner Liebe ausgebreitet auf euren Wegen in tausendfachen Segnungen leiblicher und geistiger Güter, wie könnten wir auch nur zählen, was er von Jugend auf an uns, an unseren Kindern und Häusern, Brüdern und Freunden Gutes getan? Damit meine ich nicht bloß die Wenigen, deren Lebensweg vor Anderen leicht und glücklich gewesen; auch die Schwerbeladenen, von dem Herrn Heimgesuchten, sie haben, ein jeder seine Durchhilfe in der Not, seine Bewahrung in Gefahren, seine Tröstungen an sich erfahren; sie müssen, wenn sie anders Augen zum Sehen haben, etwas zu rühmen wissen von jener seiner Barmherzigkeit, von welcher die Schrift sagt, dass sie alle Morgen neu über uns wird. Das Alles aber was ist es anders, als ein Zug zum Herrn, was anders, als Mahnung und Erinnerung, in den Gaben den Geber zu erkennen, in dem Geber leiblicher Gaben den Quell der himmlischen Güter, des ewigen Lebens zu erkennen, Mahnung und Lockung, in ihm den Freund und Heiland der Seelen zu suchen? Es liegt in Wahrheit nicht an ihm, wenn wir ihn nicht finden; er predigt es laut genug, wie durch sein Wort, so auch durch die Führung unseres Lebens, dass er die Liebe ist und man sollte wohl meinen, es müsste ihm gelingen, endlich unser kaltes Herz zu erweichen, zu beschämen, zur Buße zu treiben, in seine selige Gemeinschaft hineinzuziehen. Aber es ist ein arges, undankbares Geschlecht, an das er seine Gaben verschwendet; statt um ihretwillen den Geber zu lieben, vergessen sie über ihnen die Hand, aus der sie kommen, und machen sich aus seinen irdischen Wohltaten Götzen, daran sie ihre Herzen hängen, darauf sie ihr Vertrauen setzen, in die sie sich so hineinleben, dass sie Ihn, den Herrn, darüber völlig verlieren. Und so verwandelt sich ihnen der Segen zum Gerichte.

Es sind immer nur Wenige, die sich durch die äußere Lebensführung zu ihm ziehen lassen; bei welchen sie aber nicht vergeblich ist und gebe Gott, dass wir Alle zu der Zahl derselben gehören bei denen kommt dann auch

II.

die innere Lebensführung hinzu, durch welche der Herr den einen schneller, den anderen langsamer, beide aber, wenn sie von ihm sich ziehen lassen, sicher zum Ziel führt.

1. Auch dies lernen wir aus unserem Text. Die Jünger haben einen reichen Fischzug getan. „Da spricht der Jünger, welchen Jesus lieb hatte, zu Petro: Es ist der Herr.“ Johannes erkennt ihn zuerst; er ist an seiner Brust gelegen, als er das Abendmahl mit ihnen hielt, er ist unter seinem Kreuz gestanden, als er den Tod der Weltversöhnung starb, darum hat er nun auch das zarteste, tiefste Gefühl für seine Nähe, und er merkt es nicht nur an dem wunderbaren Fischzuge, an dem mächtigen Zuge seines Herzens wird er inne, dass es Jesus ist. Und wie er dessen gewiss wird, so erfüllt es ihm mit großer, heiliger Freude die Seele, und er verkündigt es sogleich dem Petrus, der neben ihm im Schiffe steht. „Da aber Simon hörte, dass es der Herr war, gürtete er das Hemd um sich, denn er war bloß, und warf sich ins Meer.“ Da sehen wir ihn wieder, diesen kühnen Jünger, voll Glut und Leben, voll Geist und Feuer; kaum hatte er den Herrn von ferne erkannt, so lässt er sich nicht weiter halten; der kleine Raum vom Schiff zum Land ist seiner ungeduldigen Sehnsucht viel zu weit, die kurze Zeit, bis das Boot das Ufer erreicht, dünkt seiner brennenden Liebe viel zu lang; er kann das nicht erwarten, er wirft sich, wie er ist, ins Meer, und eilt mit allen Kräften durch Wogen und Wellen hin dem Heilande entgegen - die Liebe Christi dringt ihn also. O wie schön, Andächtige, ist dieser Anblick, wie beweglich, wenn ein Mensch, der den Herrn erblickt und seine Stimme vernommen hat, alsobald sich aufmacht, was dahinten ist, verlässt, was neben und um ihn ist, vergisst, was ihn aufhalten will, schnellen Laufs überwindet, alle Hindernisse, alle Schranken durchbricht, und also hineilt an das treue Herz, in die offenen Arme Jesu Christi. Wer sollte nicht wünschen, von solcher feurigen, mächtigen, dringenden Liebe zu glühen!

2. Aber wo sind denn unterdessen die Anderen? Johannes, der ihn am ersten erkannte, Jakobus, sein Bruder, und Thomas, der erst vor etlichen Tagen gläubig geworden ist - wo bleiben denn diese, während Petrus schon längst den Herrn erreicht hat? „Die anderen Jünger aber kamen auf dem Schiffe, denn sie waren nicht ferne vom Lande, sondern bei zweihundert Ellen, und zogen das Netz mit den Fischen.“ Sie lieben den Herrn nicht weniger als Simon, aber ihre Liebe ist stiller und ruhigerer Art; es zieht sie auch zu ihm hin mit heißem Verlangen, aber sie fahren langsam daher auf dem Schiffe, und bringen den reichen Segen mit. Auch gut, sage ich, auch wohl getan, wenn es nur zu demselben Einen Ziele geht. Denn die Wege sind wunderbar und verschieden; den Einen treibt sein brennendes Herz mit schneller Eile herzu, der Andere geht langsameren Gangs und gelangt nur allmählig dahin, wohin der Andere bereits längst vorangeeilt ist - doch wenn nur Beide zuletzt den Herrn finden. Darum betrübe dich nicht so sehr, mein Christ, wenn du diesen Jüngern gleichst, wenn du nicht so schnell zu deinem Heilande, nicht so bald zur völligen Entschiedenheit und Freudigkeit des Glaubens kommst, wenn du erst durch viele Hindernisse und Hemmnisse in deinem eigenen Herzen dich durchzukämpfen hast, wenn es überhaupt mit deiner Bekehrung einen langsameren Gang geht. Es sind das auch seine Wege - und seine Wege sind immer heilsam und gut; es ist seine Gnade, die dem Einen den kühnen, feurigen Glaubensmut, dem Anderen ein kleineres Maß von Freudigkeit verleiht, diesen schnell, jenen allmählig zu sich zieht; zuletzt legt er sie alle an sein Herz. Verzage also nicht, liebe Seele, wenn es auch bei dir langsam geht; der Weg der langsamen, stillen Führung ist nicht nur der gewöhnliche, sondern auch für die meisten Menschen der heilsamste. Denn da wird man erst recht tief in die Buße hineingeleitet, da lernt man das eigene Verderben und die eigene Ohnmacht recht gründlich erkennen, man macht viele wichtige Erfahrungen, man bleibt in der Demut und wird desto fester im Glauben gegründet. Sei also stille und harre des Herrn; Er ist getreu, Er will das gute Werk in dir nicht nur anfangen, sondern auch vollenden - sei nur auch du an deinem Teil getreu, halte seine züchtigende Gnade nicht durch törichten Eigendünkel oder fleischliche Gesinnung auf, wende jede Erfahrung, die du von seinem Ernst und von seiner Güte machen darfst, zur Buße, zur Demütigung und Reinigung deines inneren Menschen an, lass seinen Geist dich zum Gebete treiben und folge willig seinem Zuge: ob mit Petrus durch die Wellen, ob mit Johannes im Schiffe es ist im Grunde gleich, wenn du nur am Ende in seiner Liebe ruhst.

Dies zum Troste für aufrichtige Seelen. Dagegen aber verwahre ich mich feierlich, als wollte ich mit solchem Troste die Trägheit des Fleischs bestärken, oder die Sicheren in ihrer Sicherheit beruhigen. Das sei ferne! Wem es kein Ernst ist, den Herrn Jesum zu suchen, der findet ihn auch nicht; wer nicht seine ausgestreckte Gnadenhand mit willigem Verlangen ergreift, kommt nicht zu ihm; wer nicht auf seinen Wegen sich herzuziehen lässt, bleibt ewig fern. Denn die Wege der Welt führen allesamt zu einem anderen Ziele; die breite Straße, auf der die große Menge in hellen Haufen zieht, die Einen in groben Sünden, in Augenluft, Fleischeslust und Hoffart, die Anderen mit vornehmer Selbstgefälligkeit geht zum ewigen Verderben aus. Zum Leben führt nur einer; das ist der schmale Weg der Buße, da man sich durch Gottes Gerichte richten, durch seine Liebesbeweisungen zum Glauben bewegen lässt; auf dem zieht der Herr Alle, die ihm sein Vater gegeben hat, die Einen schneller, die Anderen langsamer, jeden aber, der seinem Zuge folgt, sicher zum Ziele, das heißt, zu sich.

Welche Seligkeit es nun sei, den Herrn gefunden zu haben, in Gemeinschaft mit ihm zu stehen und seines persönlichen Umgangs sich zu erfreuen, das sehen wir gleichfalls schließlich aus der Geschichte unseres Textes. Die Jünger haben nun den Meister wieder in ihrer Mitte, sie halten das Mahl mit ihm von den Gaben, die er ihnen geschenkt hat, sie fragen auch nicht mehr: „Wer bist du?“ sondern an dem Frieden, den sie in seiner Nähe empfinden, an dem Licht, das von ihm ausgeht, an der Liebe, die sich in ihre Herzen ergießt, werden sie inne, dass Er es ist. So hat sich das Wort seiner Verheißung an ihnen erfüllt: „Ich will euch wiedersehen und euer Herz wird sich freuen und eure Freude wird Niemand von euch nehmen.“ Doch das wollen wir uns für ein andermal versparen; für heute sei es genug, gezeigt zu haben, wie der Zug seiner Gnade durch unser ganzes Leben hindurchgeht. Gott aber gebe uns durch seinen Geist erleuchtete Augen, in allen Wegen, die er uns führt, seine verborgene Hand zu erkennen, in jedem Gerichte eine Mahnung zur Buße zu vernehmen, in jeder guten Gabe ein Zeichen jener Liebe zu erblicken, welche Alle retten, Alle selig machen, Alle durch Schmerz zur Freude, durch den Tod zum Leben hinführen will, zu Jesu Christo, in welchem Leben und volles Genüge ist. Amen.