Sobald du dich selbst in irgend einem Dinge suchest, so findest du dich auch, das ist, lauter Dürre, und Ohnmacht zum Guten. So mußt du denn alle Dinge zu Mir, als dem Urquell zurückführen, denn ich bin ja – der eine Geber aller Dinge. Lerne alle Dinge so ansehen, als so viele Bächlein, die aus dem höchsten Gut ausfließen, und leite eben darum alle Dinge zu mir, als ihrem Ursprunge, wieder zurück.
Groß und Klein, Arm und Reich – alle schöpfen aus mir, spricht der Herr, als ihrer lebendigen Brunnquelle, lebendiges Wasser. Und, die mir aus freier Liebe dienen, die nehmen Gnade um Gnade von mir. Wer aber anderswo als in mir Ehre sucht, oder in einem andern Gut als mir, in einem Gut, das ihm besonders angehören soll, Freude finden will, der suchet umsonst; nirgend wird er dauerhafte Freude finden; überall wird es seinem Herzen zu enge sein, und auf allen seinen Wegen wird ihm Hinderniß und Herzeleid begegnen. Du mußt also das Gute, das etwa in dir sein mag, nicht dir, und die Tugend, die du in irgend einem Menschen findest, nicht dem Menschen, du mußt alles Gute Gott (als der Quelle alles Guten) zuschreiben; denn ohne Gott hat der Mensch nichts Gutes. „Ich habe alles gegeben, was gut ist; und ich will alles wieder haben – und ich fordere den Dank, der mir alles wiedergibt, von allen, die Gutes empfangen haben, und treibe diesen Dank mit großer Strenge ein.“ Hast du einmal die rechte Weisheit gefunden, dann findest du keine Freude mehr, als in mir allein, dann ruht alle deine Hoffnung auf mir allein. Denn Niemand ist gut als Gott allein, und wer der Alleingute ist, der soll auch über alles gelobet und in allem verherrlicht werden.
Ein Gebet des Demüthigen, aus tiefem Gefühle des eigenen Unwerthes:
Mein Herr, was ist der Mensch, daß Du sein gedenkst, oder ein Menschensohn, daß Du ihn heimsuchest? Wie hätte der Mensch je verdienen können, daß Du ihm Deine Huld angedeihen ließest? Wie könnt‘ ich klagen, wenn Du mir Deine Huld entzögest? Was dürfte ich mit Grunde dagegen einwenden, wenn Du meine Bitten nicht erhörtest? Wahrhaftig, dies Eine kann und darf ich mit aller Wahrheit denken und sagen: Aus mir allein und ohne Dich, bin ich nichts, und vermag ich nichts und habe nichts Gutes an mir; aus mir allein, und ohne Dich bin ich brechlich und ohnmächtig zum Guten, und strebe immer nach dem, was nichts ist: und, wenn Deine Macht mich nicht unterstützet, Dein Licht mich nicht im Innern erleuchtet, so werde ich noch ganz lau und zuchtlos. Dank Dir für alles Gute, das ich zu Stande bringe, denn alles Gute kommet von Dir! Ich bin aus mir und vor Dir – eitel Nichts, ein Mensch unstät und schwach. Was habe ich nun für Grund und Recht, von mir selbst groß zu sprechen, oder andere von mir große sprechen zu lassen? Vielleicht – weil ich aus mir, Nichts bin? Ein Ruhm – auf Nichts gebaut – wäre doch unter allem, was eitel ist, das Eitelste. O, die eitele Ehre, sie ist wahrhaftig, die erste Eitelkeit, und eine Seelenpest, die alles Gute tödtet; denn sie entblößt uns von der Gnade des Himmels, und raubt uns das Kleinod der wahren, innern Herrlichkeit. Denn, sobald der Mensch an sich selbst sein Wohlgefallen findet, hast Du Mißfallen an ihm. Und, wenn er dem Lobe der Menschen nacheilet, so verliert er darüber den wahren Werth, den ihm nur die wahre Tugend verschaffen kann.
Es giebt aber doch auch einen wahren Ruhm, und eine heilige Freude: Und der wahre Ruhm besteht darin, daß der Mensch nicht sich, sondern Dich, seinen Herrn allein, verherrliche; die wahre Freude besteht darin, daß der Mensch nicht an seinem Namen, oder an seiner Tugend, oder an irgend einem Geschöpfe, sondern an Dir, und nur um Deinetwegen, an dem Guten, das von Dir kommt, Freude habe. Dein Name werde gelobet, nicht der meine! Dein Werk werde verherrlicht, nicht das meine! Dein heiliger Name werde in aller Welt ausgerufen in Lobgesängen der Liebe, und alles Lob, das die Menschen etwa bringen, bleibe nicht bei mir stehen, sondern gehe auf Dich zurück! Denn Du bist mein Ruhm, du die Jubelfreude meines Herzens. Deiner will ich mich immer rühmen, Deiner will ich mich reuen den ganzen Tag. Und, wenn ich mich meiner rühme, so will ich mich meiner Schwachheit rühmen, an der sich Deine allvermögende Gnade so herrlich offenbaret, indem sie den Schwachen stärket, und dem Gestärkten ein Loblied auf Deine Erbarmungen in den Mund legt.
Mein Herr, ich bin Deines Trostes, Deiner göttlichen Heimsuchung nicht werth! Und wenn Du mich noch so lang in meinem Elend ohne Trost schmachten ließest, so müßt ich doch bekennen, daß Du nach Gerechtigkeit handeltest. Denn, könnte ich auch Thränen der Reue vergießen, so viel als Wassertropfen im Weltmeer sein mögen: so wäre ich doch noch Deiner Tröstung unwerth. Geißel und Strafe – das ist es eigentlich, was ich verdienet habe, weil ich Deine Liebe, so oft und undankbar, beleidigt, viele und große Fehltritte gethan habe. Also, wenn ich die Vernunft, nicht die Einbildung, in mir entscheiden lasse, so darf ich mich auch des geringsten Trostes nicht würdig achten. Aber Du mein Gott, reich an Güte und Erbarmung, Du willst ja nicht, daß die Werke Deiner Hände zu Grunde gehen sollen; Du willst vielmehr den ganzen Reichthum Deiner Güte an uns Sündern, als an so vielen Gefäßen Deiner Barmherzigkeit, offenbar machen; und deßwegen sendest Du Deinem Knechte, ohne all sein Verdienst und über alle Begriffe des menschlichen Verstandes, Trost und Erweckung in sein Herz.
Was habe ich für alle meine Sünden anders verdienst, als die Hölle, das ewige Feuer? Wahrhaftig, ich bekenne, daß ich Schmach und Hohn verdient habe, und, daß ich der Stelle unter Deinen andächtigen Freunden unwerth bin. Und, ob sich gleich meine Natur dagegen sträubt, und es nicht hören mag, so muß ich doch wider mich, und für die Wahrheit reden, muß meine Sünden bekennen, muß mich selbst anklagen, damit ich tüchtiger werde, Gnade und Erbarmung bei Dir zu finden.
Diese Gnade, die so große Dinge thut, und die Natur selbst sich unterwirft, kann nicht das Werk der Natur sein, sie ist ein Licht, höher als alles Licht der Natur, ist eine besondere Gabe Gottes, ist das eigenste Siegel der Auserwählten, ist das rechte Unterpfand des ewigen Heils, hebt den Menschen über ihn und über alles Irdische, daß er das Himmlische lieben kann, und schafft aus dem sinnlichen Menschen einen geistlichen. Eben deßwegen wird sie, diese Gnade, dem Menschen desto reichlicher mitgetheilt, je mehr er die sinnliche Natur beherrschet und besieget. Täglich erhält alsdann der innere Mensch neue Zuflüsse dieser Gnade, wodurch das Ebenbild Gottes eine herrliche Gestalt gewinnt, und nach dem heiligen Urbilde erneuert wird.
O, wie höchst nothwendig habe ich Deine Gnade, um das Gute anzufangen, fortzusetzen und zu vollenden! Gutes kann ich ohne diese Gnade nichts thun: aber wenn mich diese Gnade stärkt, dann vermag ich durch dich – Alles. O, du wahrhaft himmlische Gnade! ohne doch hat keine Naturgabe, keine Schönheit, keine Leibesstärke, keine Kunst, keine Wissenschaft, keine Beredsamkeit, kein eigenes Verdienst – ein Gewicht, einen Werth vor dem Herrn, denn die Gaben der Natur haben gute und böse Menschen miteinander gemein; aber die Gnade, das ist, die heilige Liebe, die den Menschen des ewigen Lebens würdig macht, ist das rechte Unterscheidungszeichen der Auserwählten. So unübertrefflich ist diese Gnade, daß ohne sie selbst die Gabe der Weissagung und die Gabe, Wunder zu wirken, und das tiefste Forschen – so viel als nichts gelten. Noch mehr: ohne diese Gnade, ohne diese Liebe ist weder Glaube, noch Hoffnung, noch eine andere Tugend gottgefällig. Sie ist die Lehrerin der Wahrheit, sie ist die Mutter der Zucht, sie ist das Licht des Herzens; sie schaffet Raum im Gedränge, verjaget die Traurigkeit, verscheuchet die Furcht, nähret die Andacht und feuchtet das Auge mit Thränen. Was bin ich ohne sie anders, als ein dürres Holz, ein abgestandener Stock, der zu nichts taugt, als hinausgeworfen zu werden“ Also Deine Gnade komme mir allezeit bevor, Deine Gnade begleite mich überall, Deine Gnade folge mir überall nach, und lasse mich nie müde werden, Gutes zu thun, durch Jesum Christum, unsern Herrn. Amen. –
Quelle: Krummacher, Emil Wilhelm - Goldene Worte über die theure Lehre von der freien Gnade
Elberfeld 1832. Bei Wilhelm Hassel