Thomas von Kempen - Buch 1 - Kapitel 8

Warnung vor allzu großer Vertraulichkeit.

1. “Offenbare dein Herz nicht Jedermann,“ (Sir. 8,29.) sondern mit einem Weisen und Gottesfürchtigen verhandle deine Sache.

Mit jungen flatterhaften Leuten und solchen, die du nicht genau kennst, geh' selten um.

Schmeichle nicht den Reichen, und erscheine nicht gern vor den Großen.

Geselle dich zu den Demüthigen und Einfältigen, zu den Andächtigen und Sittsamen, und rede mit ihnen, was zu Erbauung dient.

Meide allen vertraulichen Umgang mit dem weiblichen Geschlecht, empfiehl aber im Allgemeinen alle frommen Weiber Gott.

Nur mit Gott und seinen Engeln wünsche vertraut zu sein und meide die Bekanntschaft mit vielen Menschen.

2. Liebe soll man gegen Alle haben, aber Vertraulichkeit taugt nicht.

Zuweilen geschieht es, daß ein Unbekannter, aus der Ferne betrachtet, ein Licht ist; betrachtet man ihn aber in der Nähe, so ist sein Glanz dahin.

Wir meinen mitunter, Andern bei näherer Verbindung zu gefallen, und fangen vielmehr an, ihnen zu mißfallen durch das ungesittete Betragen, das sie an uns wahrnehmen.