Von den Uebungen eines guten Ordensmannes.
1. Das Leben eines wahren Ordensmannes muß mit allen Tugenden geschmückt sein, daß er innerlich ganz so sei, wie er äußerlich den Menschen scheint.
Ja, billig muß er innerlich noch weit mehr sein, als was man äußerlich an ihm wahrnimmt; weil Gott uns durchschaut, den wir, wo wir auch sein mögen, auf's Höchste verehren und vor dessen Angesicht wir rein, wie die Engel, einherwandeln sollen.
Jeden Tag müssen wir unsern Vorsatz erneuern und uns zu innigem Eifer erwecken, als wenn wir erst heute zur Bekehrung gelangt wären und sprechen: Stehe mir bei, Herr, mein Gott, in meinem guten Vorsatz und in deinem heiligen Dienste und verleihe mir, heute einmal recht anzufangen, weil das, was ich bisher gethan, nichts ist.
2. Wie unser Vorsatz, so ist auch der Gang unserer Besserung, und wer im Guten zunehmen will, hat vielen Fleiß anzuwenden.
Wenn selbst der oft unterliegt, dessen Vorsatz fest ist, wie wird es erst jenem ergehen, der selten oder weniger fest seinen Vorsatz erneuert?
Auf verschiedene Weise aber geschieht die Uebertretung unseres Vorsatzes und eine leichte Unterlassung unserer Uebungen geht kaum ohne einigen Schaden vorüber.
Der Gerechten Vorsatz ist mehr an die Gnade Gottes, als an eigene Weisheit gebunden, auf welchen sie auch, was sie immer vornehmen mögen, stets ihr Vertrauen setzen.
Denn der Mensch denkt's, Gott aber lenkt's, und sein Weg ist nicht in des Menschen Gewalt.
3. Wenn aus frommer Absicht oder um den Nächsten nützlich zu werden, einmal die gewohnte Uebung unterlassen wird, so kann dieß später leicht wieder eingebracht werden; wenn dieselbe aber aus innerlichem Ueberdruß oder aus Nachlässigkeit leichtfertig aufgegeben wird, so ist es sehr strafbar und man wird den Schaden bald fühlen. Mögen wir aber auch thun, was in unsern Kräften steht, wir werden dessen ungeachtet noch in vielen Stücken fehlen.
Doch müssen wir uns immer etwas Bestimmtes vorsetzen und vornehmlich gegen das was uns am meisten hinderlich ist.
Unser Aeußeres und Inneres müssen wir mit gleicher Sorgfalt prüfen und ordnen, weil Beides das Fortschreiten im Guten befördert.
4. Wenn du dich auch nicht anhaltend zu sammeln vermagst, so thu' es wenigstens zuweilen, und mindestens zweimal des Tages, nämlich Morgens und Abends.
Am Morgen faße einen Vorsatz; Abends prüfe dein Betragen, wie du den Tag über gewesen in Worten, Werken und Gedanken; denn damit hast du vielleicht öfters Gott und den Nächsten beleidigt.
Waffne dich, wie ein Mann, gegen die Nachstellungen des Satans; bezähme den Gaumen und du wirst jegliche Reizung des Fleisches leichter zügeln.
Sei niemals ganz müssig, sondern lies oder schreib oder bete oder betrachte oder arbeite etwas zum allgemeinen Nutzen.
Körperliche Uebungen müssen jedoch mit Vorsicht und nicht von Allen auf gleiche Weise vorgenommen werden.
5. Was nicht gemeinsam ist, soll man nicht öffentlich verrichten; denn das Eigene wird sicherer im Geheimen abgethan.
Hüte dich jedoch, daß du nicht träge seiest zu dem Allgemeinen und bereitwilliger zu dem Eigenen; sondern nur dann, wenn du deine Schuldigkeit und Obliegenheit ganz und treu erfüllt hast, und wenn dir darüber hinaus noch freie Zeit bleibt, überlasse dich dir selbst, wie es deine Andacht verlangt.
Es können nicht alle ein' und dieselbe Uebung haben, sondern die eine ist diesem, die andere jenem mehr zugänglich.
Eben so treibe man nach den Verhältnissen der Zeit verschiedene Uebungen; denn einige taugen mehr an Festen, andere mehr an Werktagen. Anderer bedürfen wir zur Zeit der Versuchung, wieder anderer in den Tagen des Friedens und der Ruhe. An Manches denken wir lieber, wenn wir traurig und wieder an Manches, wenn wir in dem Herrn fröhlich sind.
6. Während der hohen Feste sollen wir gute Uebungen erneuern, und die Heiligen inbrünstiger um ihre Fürbitte anrufen.
Von einem Feste zum andern müssen wir uns mit dem Gedanken beschäftigen, als ob wir dann aus dieser Welt wandern und zu dem ewigen Feste gelangen würden.
Deßwegen müssen wir uns auf diese gottgeweihten Tage mit aller Sorgfalt vorbereiten und dieselben andächtiger zubringen und jede Vorschrift desto strenger beobachten, als wenn wir in Kurzem den Lohn unserer Arbeit von Gott empfangen würden.
7. Und wenn die Zeit unseres Hingangs noch verschoben wird, so wollen wir glauben, daß wir noch nicht genug vorbereitet und noch nicht würdig genug seien, so großer Herrlichkeit, die seiner Zeit an uns soll geoffenbaret werden und bemüht sein, uns besser auf den Ausgang vorzubereiten.
“Selig ist der Knecht,“ sagt Jesus beim Lukas (Kap. 12, 43,44), “welchen der Herr, wenn er kommt, wachend findet! Wahrlich, ich sage euch, er wird ihn über alle seine Güter setzen.“