Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 8

Von der Geringschätzung seiner selbst in den Augen Gottes.

1. Darf ich reden zu meinem Herrn, da ich Staub und Asche bin? Wenn ich mich für mehr halten würde, siehe, so stehest du wider mich und meine Missethaten geben der Wahrheit Zeugniß und ich vermag nicht zu widersprechen.

Wenn ich mich aber erniedrige, und für nichts halte und aller Selbstschätzung entsage und mich als das, was ich wirklich bin, als Staub achte: so wird mir geneigt deine Gnade und nahe meinem Herzen dein Licht sein und jede Selbstschätzung, wie gar klein sie auch sei, wird in dem Thale meiner Nichtigkeit versinken und untergehen ewiglich.

Da zeigst du auch mir, was ich bin, was ich war und von wannen ich gekommen bin; denn nichts bin ich und wußte es nicht.

Ueberlässest du mich mir selbst, siehe, so bin ich nichts als Schwacheheit durch und durch: sobald du aber mich wieder anblickst, wird’ ich flugs stark und erfüllt mit neuer Freude.

Und gar wunderbar ist’s, daß ich so plötzlich erhoben und so gütig von dir umfangen werde, ich, den eigene Schwere stets in die Tiefe hinabzieht.

2. Das thut deine Liebe, die mir unverdient zuvorkommt und in so vielen Nöthen mir beisteht, auch vor schweren Gefahren mich behütet und in Wahrheit mich unzähligen Uebeln entreißt.

Da ich böslich mich selbst liebte, verlor ich mich und da ich dich allein suchte und dich herzlich liebte, fand ich dich und mich zugleich und versenkte mich aus Liebe zu dir noch tiefer in mein Nichts.

Denn du, o Holdester! thust an mir über alles Verdienst, ja über alles Bitten und verstehen.

3. Gepriesen seist du, mein Gott! daß, obgleich ich alles Guten unwerth bin, doch deine Huld und unbegrenzte Güte nimmer aufhört, wohlzuthun auch den Undankbaren und denen, die sich weit abgewendet haben von dir.

Bekehre uns zu dir, damit wir dankbar, demüthig und fromm sind; denn du bist unser Heil, du unsere Kraft und Stärke!