Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 6

Von der Bewährung des wahrhaft Liebenden.

1. Sohn, du bist noch kein starker und erfahrener Liebhaber.

Warum, o Herr?

Weil dich eine geringe Widerwärtigkeit von dem Angefangenen abbringt und du allzu begierig nach Trost suchst.

Ein starker Liebhaber steht fest in den Versuchungen und trauet nicht den listigen Vorspiegelungen des Feindes. Wie ich ihm im Glück gefalle, so mißfall‘ ich ihm auch im Unglück nicht.

2. Der erfahrene Liebhaber sieht nicht so sehr auf die Gabe des Liebenden, als auf die Liebe des Gebers.

Er achtet mehr auf die Gesinnung, als auf den Ausdruck dieser Gesinnung, und höher als alle Gaben stellt er den Geliebten. Der edle Liebhaber fordert Befriedigung nicht in der Gabe, sondern in mir, der ich ihm über alle Gaben gehe.

Darum ist nicht Alles verloren, wann du manchmal minderes Wohlgefallen an mir oder meinen Heiligen findest, als du möchtest.

Jene fromme und süße Empfindung, die du zuweilen hast, ist eine Wirkung der gegenwärtigen Gnade und ein gewisser Vorgeschmack der himmlischen Heimath, worauf man sich nicht allzu sehr stützen darf, weil sie kommt und geht.

Kämpfen aber gegen die aufsteigenden bösen Regungen des Gemüths und die Einflüsterungen des Teufels verachten: das ist ein Merkmal der Tugend und großen Verdienstes.

3. Laß dich also nicht verwirren durch fremdartige Einbildungen, die über irgend eine Sache sich einschleichen.

Halte fest deinen Vorsatz und die gerade Richtung auf Gott.

Es ist auch keine Täuschung, wenn du manchmal plötzlich entzückt wirst und dann gleich wieder in die alten Thorheiten des Herzens zurückfällst.

Denn diese leidest du mehr wider Willen, als daß du sie liebst und so lange sie dir mißfallen und du ihnen widerstrebst, ist es Verdienst und kein Schaden.

4. Wisse, daß der alte Feind immer darnach trachtet, dein Verlangen nach dem Guten zu hindern und dich von jeder frommen Uebung abzuziehen, nämlich von der Verehrung der Heiligen, von dem fruchtbaren Gedächtnisse meines Leidens, von der heilsamen Erinnerung an deine Sünden, von der Wachsamkeit über das eigene Herz und von dem festen Vorsatze, in der Tugend fortzuschreiten.

Er gibt viele böse Gedanken ein, um dir Eckel und Schrecken zu machen und dich von dem Gebet und dem Lesen heiliger Schriften abzuziehen.

Ihm mißfällt eine demüthige Beichte und wenn er es könnte, würde er dich auch von der Kommunion abwendig machen. Glaube ihm nicht und kümmere dich nicht um ihn, ob er dir gleich oft listig Fallstricke legt.

Ihm rechne es zu, wenn böse und unreine Gedanken in dir aufsteigen und sprich zu ihm: Hebe dich hinweg, du unsauberer Geist; schäme dich, Elender! Ganz unrein bist du, weil du mir Solches in meine Ohren flüsterst.

Weiche von mir, du ärgster Verführer, du sollst keinen Theil an mir haben, sondern Jesus wird mit mir sein, als ein starker Held, und du wirst beschämt dastehen. – Lieber will ich sterben und alle Pein leiden, als dir zu Willen sein. – Schweig und verstumme, ich will dich nicht weiter hören, so viele Plagen du mir auch noch anthun magst. Der Herr ist mein Licht und mein Heil; wen sollt’ ich fürchten?

Wenn Heerschaaren sich gegen mich lagerten, so wird mein Herz sich doch nicht fürchten.

Der Herr ist mein Helfer und mein Erlöser.

Kämpfe als ein wackerer Kriegsmann und wenn du auch bisweilen aus Schwachheit strauchelst, so raffe dich auf von dem Falle mit vermehrter Kraft, im Vertrauen auf meine reichlichere Gnade; hüte dich aber sehr vor eitlem Dünkel und Hochmuth.

Dadurch werden Viele in Irrthum gestürzt, und fallen manchmal in eine fast unheilbare Blindheit.

Möge dich dieser Sturz der Stolzen, die sich thörichterweise selbst vermessen, zur Vorsicht und zur beständigen Demuth führen.