Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 49

Von dem Verlangen nach dem ewigen Leben und den großen Gütern, die den Kämpfern verheißen sind!

1. Sohn! wenn du fühlst, daß dir ein Verlangen nach der ewigen Seligkeit von oben her eingeflößt wird und du aus der Hülle des Lebens zu gehen wünschest, um meine Klarheit ohne einen Schatten von Wechsel schauen zu können; so erweitere dein Herz und nimm mit aller Begierde diese heilige Anregung auf.

Sage innigsten Dank der höchsten Güte, die so huldreich mit die verfährt, dich so gnädig heimsucht, so brünstig erweckt, so mächtig erhebt, damit du nicht durch eigene Schwere in das Irdische versinkest.

Denn solches empfängst du nicht durch dein eigenes Denken oder Streben, sondern blos durch die Huld der höchsten Gnade, die sich zu dir herabläßt, damit du an Tugenden und größerer Demuth zunehmest und dich zu künftigen Kämpfen rüstest und mir mit ganzer Inbrunst des Herzens anhangest und mit glühendem Eifer zu dienen strebest.

2. Sohn! oft brennt das Feuer, aber ohne Rauch steiget die Flamme nicht empor. So brennt auch einiger Menschen Verlangen nach dem Himmlischen und doch sind sie nicht frei von der Versuchung fleischlicher Begier.

Daher thun sich auch nicht ganz rein zur Ehre Gottes, was sie so sehnsüchtig von ihm bitten.

Der Art ist auch oft dein Verlangen, das du für so überaus brünstig ausgibst.

Denn das ist nicht rein und vollkommen, was durch Eigennutz befleckt ist.

3. Bitte nicht um das, was dir Vergnügen und Vortheil bringt, sondern was mir wohlgefällt und zur Ehre gereicht; denn wenn du recht urtheilst, so mußt du meine Anordnung deinem Verlangen und allen deinen Wünschen vorziehen und ihr folgen.

Ich kenne dein Verlangen wohl und habe deine vielen Seufzer gehört.

Du möchtest schon jetzt in der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes sein, schon jetzt reizt dich das ewige Haus und das himmlische Vaterland mit seiner Freudenfülle; aber diese Stunde ist noch nicht gekommen, sondern gegenwärtig ist eine andere Zeit, nämlich die Zeit des Kampfes, die Zeit der Arbeit und der Prüfung.

Du wünschest von dem höchsten Gut erfüllt zu werden, aber jetzt kannst du das noch nicht erlangen.

Ich bin’s; harre meiner, spricht der Herr, bis das Reich Gottes kommt.

4. Du mußt noch auf Erden geprüft und in Vielem geübt werden.

Du wirst dabei von Zeit zu Zeit Trost empfangen; aber viele Sättigung wird hier nicht gewährt.

Darum ermanne dich und sei rüstig zu Allem, was dir der Natur zuwider zu thun oder zu leiden obliegt.

Du mußt einen neuen Menschen anziehen und in einen ganz andern Mann verwandelt werden.

Du mußt oft thun, was du nicht willst; und was du willst, mußt du unterlassen. Was andern gefällt, wird Fortgang haben; was dir gefällt, wird nicht geschehen. Was Andere sagen, darauf wird man hören; was du sagst, wird für nichts geachtet werden.

Andere werden bitten und empfangen: du wirst bitten und nichts erlangen.

Andere werden groß sein im Munde der Menschen, von dir aber wird man schweigen.

Andern wird man dieses und jenes auftragen; dich aber wird man für untauglich zu Allem halten.

Darüber wird deine Natur sich manchmal betrüben und wird es viel sein, wenn du es mit Stillschweigen erträgst.

In diesen und in viel ähnlichen Dingen pflegt der getreue Knecht des Herrn geprüft zu werden, damit er sich selbst verläugnen und den Eigenwillen brechen lerne.

5. Kaum ist irgend etwas, worin du es so nöthig hast, dir abzusterben, als wenn du sehen und dir gefallen lassen mußt, was deinem Willen widerstrebt; zumal aber, wenn man Unschickliches und was dir minder nützlich scheint, dich thun heißt.

Und bist du als Untergebener einem Vorgesetzten Gehorsam schuldig, den du nicht zu verweigern wagst; weil du dich der Gewalt unterwerfen mußt: so scheint es dir hart, auf den Wink eines Andern zu gehen und deine eigene Meinung aufgeben zu müssen.

Aber bedenke, mein Sohn! die Frucht dieser Mühseligkeiten, ihr baldiges Ende und den überschwenglichen Lohn; so wirst du dich nicht darüber beschweren, sondern den kräftigsten Trost für deine Geduld darin finden.

Denn für das Wenige, was du von deinem Willen jetzt aus freien Stücken aufgibst, wirst du für immer deinen Willen im Himmel haben.

6. Dort nämlich wirst du Alles finden, was du willst, Alles, was du nur wünschen kannst.

Dort wirst du Kraft zu allem Guten haben, ohne Furcht, sie wieder zu verlieren.

Dort wird dein Wille immerdar eins mit mir, nichts Aeußeres oder Eigenes begehren.

Dort wird dir Niemand Widerstand leisten, Niemand sich über dich beschweren, Niemand dich hindern, Nichts in den Weg dir treten; vielmehr wird Alles, was du wünschest, sogleich da sein und all dein Verlangen befriedigen und vollkommen erfüllen.

Dort werde ich dir als Ersatz geben Herrlichkeit für erlittene Schmach, den Ehrenschmuck für Traurigkeit, für den niedrigsten Platz einen Sitz in meinem Reiche ewiglich.

Dort wird zum Vorschein kommen die Frucht des Gehorsams, die Bußarbeit sich freuen, und die demüthige Unterwerfung herrlich gekrönt werden.

7. So beuge dich nun demüthig unter Aller Hände und kümmere dich nicht darum, wer das gesagt oder befohlen hat.

Aber dafür sorge angelegentlich, daß du Alles, was ein Vorgesetzter oder ein Jüngerer oder einer deines Gleichen von dir fordern oder dir bedeutet haben mag, gut aufnehmest und mit aufrichtigem Willen zu vollbringen suchst.

Der Eine mag dieß, der Andere jenes suchen; jener möge in jenem, dieser in diesem gerühmt und tausendfach gelobt werden: du aber habe deine Lust weder an diesem, noch an jenem, sondern freue dich der Verachtung deiner selbst und meines Wohlgefallens und meiner Ehre allein.

Das ist dein einziger Wunsch, daß Gott allezeit in dir verherrlicht werde, sei es durch Leben oder durch Sterben!