Thomas von Kempen - Buch 3 - Kapitel 45

Daß man nicht Jedermann glauben darf, und wie leicht man in Worten strauchelt.

1. Herr! rette mich aus der Trübsal, denn Menschenhülfe ist eitel.

Wie selten habe ich da Treue gefunden, wo ich sie zu finden wähnte!

Wie oft dagegen fand ich sie dort, wo ich sie am wenigsten erwartete!

Eitel ist darum die Hoffnung auf Menschen; aber das Heil der Gerechten ist in dir, o Gott.

Gepriesen seiest du, Herr, mein Gott, in Allem, was uns begegnet.

Wir sind schwach und unbeständig, leicht täuschen und verändern wir uns.

2. Wer ist der Mensch, der so behutsam und umsichtig in Allem sich bewahren kann, daß er nicht irgend einmal in eine Täuschung oder Verlegenheit käme?

Wer aber auf dich, Herr, traut, und dich mit einfältigem Herzen sucht, der fällt nicht so leicht.

Und wenn er in eine Trübsal geräth, und noch so sehr darein verwickelt wird, so wird er doch schnell wieder durch dich herausgerissen oder von dir getröstet werden; denn du willst den, der auf dich hofft, nicht verlassen bis an’s ende.

Selten ist der treue Freund, der in allen Drangsalen seines Freundes ausharrt.

Du, Herr, du allein bist der Getreueste in Allem, und außer dir ist kein Solcher.

3. O wie wohl verstand das jene heilige Seele (Agatha, die unter dem Kaiser Derius für Christus den Martertod starb.), die da sprach: Mein Herz ist fest gegründet und gewurzelt in Christo.

Wäre das auch bei mir der Fall, so würde mich Menschenfurcht nicht so leicht bekümmern, noch würden die Pfeile der Worte mich bewegen.

Wer vermag Alles vorauszusehen, wer künftigen Dingen zuvorzukommen? Wenn das Vorausgesehene oft schon verletzt, welche tiefe Wunden muß das Unerwartete schlagen?

Warum war ich Unglücklicher nicht vorsichtiger? Warum habe ich auch Andern so leicht geglaubt?

Aber wir sind Menschen; ja nichts anders, als gebrechliche Menschen sind wir, ob wir auch von Vielen für Engel gehalten und ausgegeben werden.

Wem soll ich glauben, Herr? Wem, wenn nicht dir? Du bist die Wahrheit, die nicht trügt, noch betrogen werden kann.

Der Mensch dagegen ist lügenhaft, schwach, unbeständig und gebrechlich, zumal in Worten, so daß man nicht gleich seinen Versicherungen glauben darf, so schön sie auch klingen.

4. Wie weise hast du im Voraus gewarnt, daß man sich vor den Menschen hüten soll; denn des Menschen Feinde sind seine eigenen Hausgenossen, und man darf es nicht glauben, wenn Einer sagt: Siehe hier, oder siehe da!

Ich bin klug geworden durch meinen Schaden, und – o diente es mir doch zu größerer Vorsicht und nicht zur Thorheit!

Sei vorsichtig, spricht Einer zu mir, sei vorsichtig und behalte bei dir, was ich sage. Und während ich schweige und glaube, es sei geheim, kann Jener nicht verschweigen, was er zu verschweigen gebeten hat, sondern verräth sogleich mich und sich, und geht fort.

Von dergleichen Schwätzern und unvorsichtigen Menschen bewahre mich, o Herr! daß ich nicht in ihre Hände falle, noch je ein Gleiches verschulde. – Gib ein wahres festes Wort in meinen Mund, und eine falsche Zunge laß fern von mir sein! Was ich nicht leiden mag, davor muß ich auf jede Weise mich hüten.

5. O wie gut und friedlich ist’s, von Andern zu schweigen; nicht Alles ohne Unterschied zu glauben, auch nicht leicht etwas weiter zu verbreiten; nur Wenigen sein Inneres zu enthüllen; dich, den Herzenskündiger, immerdar zu suchen; sich nicht von jedem Wind der Worte hin und her bewegen zu lassen, sondern zu wünschen, daß Alles, Inneres wie Aeußeres, nach dem Wohlgefallen deines Willens vollbracht werde!

Wie sicher ist es zur Bewahrung der himmlischen Gnade, den Schein vor Menschen zu fliehen, und nicht nach dem zu trachten, was äußerlich Bewunderung zu erregen scheint, sondern dem mit aller Emsigkeit nachzustreben, was Besserung des Lebens und Eifer gewährt.

Wie Vielen hat es geschadet, daß ihre Tugend bekannt und voreilig gepriesen wurde.

Wie heilsam dagegen war es Andern, daß ihre Gnade verborgen blieb in diesem gebrechlichen Leben, das lauter Versuchung und Kampf ist.