Von der Erinnerung an die vielfachen Wohlthaten Gottes.
1. Oeffne, Herr, mein Herz in deinem Gesetze, und lehre mich wandeln in deinen Geboten.
Laß mich erkennen deinen Willen, und mit großer Ehrfurcht und fleißiger Betrachtung deiner Wohlthaten im Allgemeinen wie im Besonderen gedenken, damit ich dir auf würdige Weise den Dank bezahlen möge.
Aber ich weiß und bekenne, daß ich auch nicht für das Allergeringste den gebührenden Dank abzustatten und dich würdig zu loben vermag.
Ich bin zu gering für Alles mir erwiesene Gute, und wenn ich deine Hoheit erwäge, so vergeht mein Geist vor ihrer Größe.
2. Alles, was wir haben an Leib und Seele, und was wir innerlich oder äußerlich, natürlich oder übernatürlich besitzen, ist deine Wohlthat, und beweist, welch freigebiger, milder und gütiger Herr du bist, von dem wir alles Gute empfangen haben.
Und wenn auch der Eine mehr, der Andere weniger erhielt, so ist doch Alles dein, und ohne dich kann man auch das Geringste nicht haben.
Der, welcher größere Gaben empfing, darf sich nicht seines Verdienstes rühmen, noch über Andere sich erheben, noch dem Minderbegabten mit Uebermuth begegnen; denn der Größte und Beste ist der, welcher sich am wenigsten zuschreibt und um so demüthiger und eifriger ist im Danksagen.
Und wer sich für geringer als Alle achtet und sich für den Unwürdigsten hält, der ist am fähigsten, größere Gaben zu empfangen.
Wer aber weniger erhielt, soll sich darüber nicht betrüben, noch murren, noch den Reicheren beneiden; sondern vielmehr zu dir aufblicken und dein Güte preisen, daß du deine Gaben so reichlich, so unverdient und gern ohne Ansehen der Person austheilest.
Alles kommt von dir und darum bist du in Allem zu loben.
Du weißt, was für Gaben einem Jeden ersprießlich sind; warum aber dieser weniger, jener mehr habe, das zu entscheiden, kommt nicht uns, sondern dir zu, bei dem die Verdienste der Einzelnen genau bestimmt sind.
3. Daher, mein Herr und Gott! halte ich es auch für eine große Wohlthat, nicht viel zu besitzen, was äußerlich und vor den Menschen Ehre und Lob verschafft. Deßwegen soll Niemand, im Gefühl der Armuth und Niedrigkeit seiner Person, sich beschweren oder trauern oder den Muth sinken lassen, sondern soll sich vielmehr trösten und sehr freuen, weil du, o Gott, die Armen und Niedrigen und die von dieser Welt Verachteten dir zu Vertrauten und Hausgenossen erwählt hast.
Zeugen davon sind selbst deine Apostel, welche du zu Fürsten über die ganze Erde gesetzt hast.
Dennoch wandelten sie ohne Klage, so demüthig und einfältig, ohne alle Bosheit und Arglist in der Welt, daß sie sich sogar freuten, um deines Namens willen Schmach zu leiden und nach dem, was die Welt von sich stößt, mit großem Eifer griffen.
4. Nichts also darf den, der dich lieb hat und deine Wohlthaten erkennt, so erfreuen, als daß dein Wille an ihm geschieht und Alles von Ewigkeit her so geordnet ist, wie es dir wohlgefällt.
Hierin soll er so viel Trost und Beruhigung finden, daß er eben so gern der Geringste sein möchte, als ein Anderer gern der Größte wäre; er soll eben so gelassen und zufrieden die letzte Stelle einnehmen, als die erste; er soll eben so gern verkannt und verachtet, ohne Namen und Ruf, als der Geehrteste und Größte in der Welt sein.
Denn dein Wille und der Eifer für deine Verherrlichung muß ihm über Alles gehen und ihn mehr trösten und besser gefallen, als alle Wohlthaten, die er empfangen hat oder zu empfangen wünscht.